Bundesgerichtshof Urteil, 08. Dez. 2016 - 1 StR 344/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:081216U1STR344.16.0
08.12.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 344/16
vom
8. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:081216U1STR344.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2016 in der Sitzung am 8. Dezember 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär, Staatsanwältin – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –, Staatsanwalt – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 – als Vertreterin der Nebenklägerin, Justizangestellte – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 16. Februar 2016 werden als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
3. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Eine Erstattung der dem Angeklagten durch die Revision der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen findet nicht statt.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , Nötigung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt.
2
Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.

I.


3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war für den Angeklagten die Ehe mit der Nebenklägerin der „zentrale Dreh- und Angelpunkt seines Le- bens und wesentlicher Quell seines Selbstwertgefühls“. Als ihm die Nebenklä- gerin eine außereheliche Beziehung gestand, wollte der Angeklagte das Scheitern der Ehe verhindern und bemühte sich sehr um seine Ehefrau. Am Abend des 5. September 2015 erklärte ihm die Nebenklägerin jedoch, an diesem Tag wieder mit ihrem Liebhaber zusammen gewesen zu sein und legte sich schlafen. Im Schlaf sprach sie beglückt vom Sex mit ihrem Liebhaber. Der Angeklagte erkannte, dass seine Bemühungen, seine Frau zurückzugewinnen und die Ehe fortzuführen, erfolglos gewesen waren. Mit der nun als akut erachteten Gefährdung seiner Ehe war der Angeklagte aufgrund seiner niedrigen Intelligenz und seiner wenig ausgeprägten emotionalen Entwicklung überfordert. Er sah die Ausübung von Gewalt als einzige Möglichkeit an, „dem Reden seiner Ehefrau ein Ende zu setzen, sie ‚festzuhalten‘ und weitere (sexuelle) Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern“. Um diese Ziele zu erreichen, kniete er sich seitlich neben die schlafende Nebenklägerin, packte sie mit beiden Händen „mit festem Griff“ am Hals und drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend, oh- ne seine ganze ihm mögliche Kraft auszuüben und ohne sein ganzes Gewicht von über 140 kg in den Griff hineinzulegen. Gleichzeitig rief er wiederholt laut- stark: „Du gehst mir nicht mehr fremd“. Er erkannte, dass das Würgen die Ne- benklägerin erheblich verletzen könnte und mit der von ihm ausgeübten Intensi- tät „potentiell“ lebensgefährlich war. Dies nahm er billigend in Kauf. In dem kräf- tigen Griff an ihren Hals sah er jetzt die einzige Möglichkeit, das für ihn unerträgliche Schwärmen vom Sex mit dem Liebhaber zu beenden und weitere derartige Kontakte zu verhindern.
4
Die Nebenklägerin wachte unmittelbar nach dem Beginn des Würgevorgangs auf. Ihre Atemwege waren durch das Zudrücken teilweise verlegt und sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Sie röchelte, rang nach Luft und wand sich auf dem Bett hin und her, um dem Griff des Angeklagten zu entkommen.
5
Die drei Kinder des Angeklagten und deren Freunde hörten das laute Rufen des Angeklagten aus dem elterlichen Schlafzimmer und das nach Luft Schnappen der Nebenklägerin. Der Sohn B. betrat bereits fünf Sekunden nach Beginn des Würgevorgangs das Zimmer, schrie seinen Vater an, „lass sie los“ und versuchte, ihn von der Nebenklägerin wegzuziehen. Der An- geklagte lockerte deswegen seinen Griff, so dass die Nebenklägerin atmen konnte. Dann festigte er seinen Griff wieder, da er sich in seinem verzweifelten psychischen Zustand nicht anders als durch das Würgen seiner Frau zu helfen wusste. Sekunden danach betraten auch die beiden anderen Kinder das Schlafzimmer. Zu dritt versuchten sie, den Angeklagten zurückzuziehen. Der Angeklagte lockerte deshalb erneut den Griff um den Hals der Nebenklägerin, den er insgesamt etwa zehn Sekunden aufrechterhalten hatte. Die Nebenklägerin verließ das Schlafzimmer.
6
Als die Kinder den Angeklagten schließlich losließen, nahm er ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm an sich und machte sich auf die Suche nach der Nebenklägerin. Er wollte sie daran hindern, ihn zu verlassen und ihn weiter mit anderen Männern zu betrügen. Dabei nahm er billigend in Kauf, das Messer gegebenenfalls einzusetzen, wobei er sich über die Art des Messereinsatzes noch keine Gedanken machte. Der Angeklagte rannte um den Wohnblock, fand die Nebenklägerin jedoch nicht. Schließlich ließ er sich von seinem Sohn D. das Messer abnehmen.
7
2. Das Landgericht hat das Würgen als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet.
8
Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem kognitiven und voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Strafkammer insbesondere die „affektiven Elemente der Tataus- übung“, den spontanen Tatentschluss aufgrund der von der Nebenklägerin im Schlaf geäußerten Worte, die fehlende maximale Kraftentfaltung, die niedrige Intelligenz verbunden mit der emotionalen Überforderung, die Ehe mit der Ne- benklägerin als „zentralen Dreh- und Angelpunkt seines Lebens und wesentli- chen Quell seines Selbstwertgefühls“ und die nachfolgende Bewaffnung mit dem Messer berücksichtigt und sich mit der Gefährlichkeit der Tathandlung auseinandergesetzt.

II.


9
Die zunächst mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete und einen umfassenden Aufhebungsantrag enthaltende Revision des Angeklagten beanstandet in ihrer Stellungnahme zu den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage nur den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Eine teilweise Rücknahme der unbeschränkt eingelegten Revision liegt darin nicht, weil die Voraussetzungen des § 302 Abs. 2 StPO nicht dargetan sind.
10
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
11
1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in der Tatbestandsvariante der lebensgefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
12
Nicht jeder Angriff auf den Hals des Opfers in der Form des Würgens ist eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung , die zwar nicht dazu führen müssen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 185/05, NStZ-RR 2006, 11, 12 mwN).
13
Der Angeklagte hielt die Nebenklägerin etwa zehn Sekunden mit festem Griff mit beiden Händen am Hals gepackt, drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend , wodurch die Atemwege teilweise verlegt wurden. Angesichts der als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Geschädigten – Todesangst und das Gefühl, ein Schleier bilde sich vor ihr, verspürt und gedacht zu haben, sie stehe kurz vor der Bewusstlosigkeit – ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine abstrakt lebensgefährdende Tathandlung angenommen hat. Der rechtsmedizinische Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, hatte ausgeführt, es hänge bei einem Angriff auf den Hals mit der festgestellten Dauer und Intensität weitgehend vom Zufall ab, nämlich vom Druckpunkt des Würgegriffs und der körperlichen Konstitution des Angegriffenen, ob lebenswichtige Funktionen zerstört werden, insbesondere die für die Sauerstoffversorgung des Gehirns wichtige Blutzufuhr bzw. Blutabfuhr beeinträchtigt oder der Kehlkopf eingedrückt wird. Hätte der Druckpunkt geringfügig anders gelegen, hätte sich das Verletzungsbild ganz anders darstellen können. Für den Täter sei nicht kontrollierbar, ob durch das kräftige Zudrücken des Halses eine kreislaufrelevante Vene, empfindliche Teile des Kehlkopfs oder der Stimmlippen getroffen werden.
14
2. Im Strafausspruch enthält das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht trotz des Vorliegens des vertypten Milderungsgrunds des § 21 StGB infolge der erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung keinen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB angenommen hat. Die Strafkammer hat in die gebotene Gesamtwürdigung zu Lasten des Angeklagten insbesondere dessen vielfache und einschlägige Vorstrafen, den Angriff auf die arglos eingeschlafene und schlafende Nebenklägerin und die psychologischen Folgen bei ihr eingestellt und deshalb einen minder schweren Fall auch bei Berücksichtigung des § 21 StGB abgelehnt.

III.


15
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft und die in der Sache ebenfalls darauf beschränkte Revision der Nebenklägerin beanstanden die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit als dieses einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten und damit eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts verneint hat.
16
Die Revisionen bleiben ohne Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält in diesem Punkt revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
17
1. Die Beweiswürdigung ist dann rechtsfehlerhaft, wenn sie widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 Rn. 20 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18 und vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15, StraFo 2016, 347, 348).
18
2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt ; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Um- stände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).
19
3. Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint hat. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist weder widersprüchlich noch in einer Weise lückenhaft, dass dies den Bestand des Urteils gefährden könnte.
20
a) Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen. Im Rahmen dieser Gesamtschau hat sie die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung beleuchtet und deren Bedeutung als gewichtigen Indikator (für beide Vorsatzelemente) eines bedingten Tö- tungsvorsatzes gesehen. Sie hat ihr aber nur eine begrenzte Aussagekraft beigemessen , da durch das Eingreifen Dritter die Tathandlung bereits kurz nach deren Beginn unterbrochen wurde. Hierbei hat die Strafkammer dargelegt, dass ein Würgen mit tödlichem Ausgang regelmäßig einen deutlich längeren Würgevorgang erfordere, um die Blutversorgung des Gehirns nicht nur vorübergehend mit der Folge einer Bewusstlosigkeit zu unterbrechen, sondern dauerhaft. Auch eine vollständige Verlegung der Atemwege sei im Gegensatz zu der hier eingetretenen teilweisen Verlegung kaum denkbar, ohne gleichzeitig die Blutversorgung des Gehirns abzuschneiden.
21
Damit hat die Strafkammer bereits das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten) Tötungsvorsatzes in Frage gestellt und dessen Fehlen nachfolgend mit der subjektiven Befindlichkeit des Angeklagten belegt.
22
Sie hat insoweit ausgeführt, auch die psychische Ausnahmesituation spreche dagegen, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könnte durch seinen Griff an den Hals zu Tode kommen. Es sei durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar die potentielle Lebensgefährlichkeit seines Handelns erkannt hatte, ohne sich aber in der konkreten Situation bewusst gewesen zu sein, dass sein Vorgehen zum Tod des Opfers führen könnte. Diese Überlegung enthält keinen Widerspruch.
23
Auch wenn dem Angeklagten bewusst gewesen ist, dass man durch Würgen einen Menschen töten könne, belegt dies nur das Wissen um die allgemeine Gefährlichkeit eines solchen Angriffs gegen den Hals eines Menschen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 7. September 2015 – 2 StR 194/15, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 13 und vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könne zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 4 StR 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41).
24
Das Landgericht hat sich insoweit auch mit den besonderen Tatumständen auseinandergesetzt, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten:
25
Aufgrund der niedrigen Intelligenz, der emotionalen Überforderung und des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf seine im Schlaf von ihrem Liebhaber schwärmende Ehefrau kann dem Angeklagten das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung ihren Tod zur Folge haben könnte.
26
Die Strafkammer hat hierzu dargelegt, dass es die affektiven Elemente der Tatausübung (der plötzliche aggressive Impulsdurchbruch, der spontane Tatentschluss, seine lauten Rufe „Du gehst mir nicht mehr fremd“ während der Tatausführung trotz der in der gleichen Wohnung anwesenden Kinder) und die „deutliche Erosion seiner psychischen Stabilität“ verbunden mit seiner niedrigen Intelligenz eher wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Angeklagte einen möglichen tödlichen Ausgang seines Handelns nicht in den Blick genommen hat. Er sei bei emotionalen Herausforderungen schnell überfordert, was – wie die Vorverurteilungen zeigten – zu Gewaltdurchbrüchen als Handlungsalternativen führe.
27
Dass sich das Landgericht nicht von dem Vorliegen des Wissenselements des Tötungsvorsatzes hat überzeugen können, ist angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11 mwN).
28
b) Auch das Vorliegen des voluntativen Elements des Tötungsvorsatzes hat die Strafkammer geprüft. Dafür sprach aus Sicht des Landgerichts, dass der Angeklagte trotz des hörbaren Luftschnappens der Nebenklägerin und dem Eintreffen seiner Kinder das Würgen fortsetzte; dagegen sprach, dass er es nicht mit der vollen, ihm möglichen Kraftentfaltung ausgeführt hatte und er sich gegen das Einschreiten der Kinder nicht – z.B. durch Schläge – gewehrt und zuvor auch nicht versucht hatte, die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht zu fixieren oder ihre Gegenwehr mit Schlägen oder auf andere Weise zu unterbinden. Auch Äußerungen des Angeklagten, die auf einen Tötungsvorsatz hindeuten könnten, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Fest standen lediglich die von der Strafkammer nicht näher hinterfragten Worte des Angeklagten „Du gehst mir nicht mehr fremd“, die verschiedene Interpretationen zulassen.
29
Auch bei Prüfung dieses Elements hat die Strafkammer die psychische Befindlichkeit des Angeklagten, seine Persönlichkeit und seine niedrige Intelligenz herangezogen. Sie hat erwogen, dass der Angeklagte für sich keine andere Möglichkeit mehr sah, als die Nebenklägerin mit Gewalt festzuhalten und so weitere sexuelle Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern. Sein Ziel sei es nicht gewesen, die Nebenklägerin zu beseitigen, sondern mit allen Mitteln als seine Partnerin zu behalten. Dies verdeutliche seine spontane Äußerung gegenüber dem Ermittlungsbeamten zwei Stunden nach der Tat. Diesem erklärte er spontan und ungefragt, er habe die Nebenklägerin nicht töten wollen, er liebe sie, er habe sie „nur am Hals packen und ein bisschen halten wollen, so als ob sie zu ihm gehöre und nicht wegsolle“.
30
Dem Nachtatverhalten vermochte die Strafkammer keine objektiven Anhaltspunkte zu entnehmen, dass der Angeklagte das Messer ergriffen hat, um seinen Vorsatz, die Nebenklägerin zu töten, nun umzusetzen. Sie hielt es vielmehr für möglich, dass der Angeklagte das Messer nur dazu einsetzen wollte die Nebenklägerin zu nötigen, bei ihm zu bleiben bzw. mit ihm zu reden. Über die Art des Messereinsatzes hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.
31
Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass bei spontanen, unüberlegten und in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen auch aus dem Wissen um den möglichen Todeseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf das selbstständig neben dem Wissenselement stehende Willenselement des Vorsatzes geschlossen werden kann (siehe nur BGH, Urteile vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 f. und vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.). Die Einordnung und Würdigung eines spontanen oder in affektiver Erregung erfolgenden Handelns obliegt dabei dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.).
32
Das Landgericht hat tragfähige Anhaltspunkte dafür benannt, warum bei dem Angeklagten selbst bei der erkannten Möglichkeit des Todeseintritts die Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gegeben ist.
33
4. Auch die Milderung des Strafrahmens aus § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung stand. Bei Tatbegehung unterlag er einer erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung.

IV.


34
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO. Danach trägt bei erfolglosem Rechtsmittel des Angeklagten und des Nebenklägers jeder seine notwendigen Auslagen selbst, so dass hier eine Erstattung der dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen durch die Nebenklägerin nicht stattfindet, da auch die Revision des Angeklagten verworfen worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

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(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

20
aa) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters ist. Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2008 – 5 StR 564/07, NStZ-RR 2008, 180, 181). Hieran gemessen weist die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Vorstellungsbild der beiden Angeklagten, sie hätten die erworbenen Zytostatika lediglich als Ausgangsstoffe für die Herstellung einer Rezeptur angesehen und die zubereiteten ZytostatikaLösungen für zulassungsfreie Rezepturarzneimittel gehalten, die als solche auch abzurechnen gewesen seien, keine Rechtsfehler auf.
18
1. Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Ur- teil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 371/13
vom
5. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Dezember
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 24. April 2013 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift legt dem Angeklagten fünf tateinheitlich zusammentreffende Fälle des versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zur Last, wobei es in einem Fall der gefährlichen Körperverletzung beim Versuch geblieben sei. Von diesem Vorwurf hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge, die sich ausschließlich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet und insbesondere deren Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit geltend macht. Das Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg.

I.


2
Der nicht vorbestrafte Angeklagte war als ausgebildeter Chemiker bei der Fa. F. GmbH in L. in der Qualitätssicherung angestellt. Am Morgen des 29. März 2010, einem Montag, tranken vier Mitarbeiter des Un- ternehmens Kaffee, den einer von ihnen nach 6.40 Uhr in einem Büro in einer von mehreren Angestellten genutzten Kaffeemaschine zubereitet hatte. Eine fünfte Mitarbeiterin hatte sich zwar von dem Kaffee eine Tasse eingeschenkt, kam aber nicht mehr dazu, davon zu trinken. Kurze Zeit nach dem Konsum des Kaffees litten die vier Mitarbeiter, die von dem Kaffee getrunken hatten, unter anderem an Schwindelanfällen, wurden bewusstlos und mussten notärztlich und anschließend in einem Krankenhaus versorgt werden.
3
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde in dem in den Tassen der fünf Mitarbeiter verbliebenen Kaffee sowie im Filterrückstand der Giftstoff Scopolamin festgestellt; auch im Blut und Urin der vier Geschädigten wurde Scopolamin gefunden.
4
Die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am Morgen des 29. März 2010 in den Wasserbehälter der Kaffeemaschine mindestens 193 mg Scopolamin geschüttet zu haben.
5
Zur Täterschaft hat das Schwurgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: - es ist "sehr wahrscheinlich", dass sich der Täter mit den Gegebenheiten in dem Unternehmen gut auskannte und deshalb aus dem Kreis dessen Mitarbeiter oder der dem Unternehmen nahe stehenden Personen kam; - der seit dem Jahr 2005 bei dem Unternehmen beschäftigte Angeklagte hatte ein Motiv dafür, den Mitarbeitern Schaden zuzufügen, denn er wurde unter anderem mit zwei Abmahnungen im Jahr 2009 massiv kritisiert und hegte einen "tiefen Groll" gegen den 2006 eingesetzten Geschäftsführer des Unternehmens; - der die Tatbegehung bestreitende Angeklagte hielt sich - was nicht ungewöhnlich war - am Tattag ab etwa 4.00 Uhr vorübergehend auf dem Betriebsgelände auf; zwei auf 5.50 und 5.53 Uhr dieses Tages datierte Messprotokolle aus dem Bereich der Qualitätssicherung, für die der Angeklagte zuständig ist, sind von ihm unterzeichnet; etwa ab 6.00 Uhr war er - anders als sonst - über mehrere Stunden hin telefonisch nicht mehr erreichbar; als sich eine Mitarbeiterin am späten Vormittag nach seinem Befinden erkundigte, benahm sich der Angeklagte aus deren Sicht ungewöhnlich (er habe "ironisch gelacht"); - in dem Büro, in dem die Kaffeemaschine stand, brannte etwa um 5.45 bzw. 5.50 Uhr Licht; kurze Zeit später war die Hoftür zu dem Büro abgeschlossen und es brannte in dem Büro kein Licht mehr; - der Angeklagte hatte Zugang zu dem Büro, in dem die Kaffeemaschine stand; - auf dem Wassertank an der Rückseite der Kaffeemaschine wurde ein Fingerabdruck des Angeklagten sichergestellt; - die Kaffeemaschine war von einer Reinigungskraft am Samstag, dem 27. März 2010, gereinigt worden, unter anderem hatte sie den Was- sertank feucht abgewischt; anschließend bereitete sich die Zeugin selbst Kaffee zu, ohne nach dessen Konsum zu erkranken; - auf der Festplatte des Computers eines in dem Unternehmen beschäftigten Praktikanten, den auch der Angeklagte benutzte, wurde ein am 18. September 2007 erstelltes "Browsercookie" aufgefunden, nach dem im Jahr 2007 unter dem Namen "k. " das Forum der Internetseite "www. .de" besucht wurde; in diesem Forum hatte ein (nicht ermittelter) Nutzer am 9. März 2007 nach der "Totalsynthese" , also der chemischen Zusammensetzung von Scopolamin gefragt; - an der Kaffeemaschine und der Kaffeekanne wurde DNA gesichert, die allerdings nicht für eine Typisierung ausreichte bzw. für die lediglich festgestellt werden konnte, dass sie von drei bzw. zwei Personen herrührt; - ein an einer anderen Stelle des Gehäuses der Kaffeemaschine gesicherter weiterer Fingerabdruck konnte keinem konkreten Verursacher zugeordnet werden; - in dem vom Angeklagten und seiner Ehefrau bewohnten Haus wurde eine Vielzahl chemischer Substanzen - aber kein Scopolamin - aufgefunden.
6
Aufgrund dieser Feststellungen vermochte sich das Landgericht nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen.

II.


7
Dies begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sein (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Brause, NStZ-RR 2010, 329, 330 f.; MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 337 Rn. 26 ff.).
9
Schließlich unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung auch, ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180 mwN). Jedoch ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof als Maßstab seiner revisionsrechtlichen Kontrolle darauf abstellt, ob die vom Tatgericht gezogenen Schlussfolgerungen möglich sind (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2008 - 2 BvR 2067/07, Rn. 43). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung sogar dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise näher liegend gewesen wäre (BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89). Dies gilt unabhängig von der Bedeutung und dem Gewicht des strafrechtlichen Vorwurfs des jeweiligen Verfahrens; denn diese vermögen eine unterschiedliche Handhabung der Grundsätze revisionsgerichtlicher Rechtsprüfung nicht zu rechtfertigen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 - 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146).
10
2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer ausreichenden Gesamtschau der maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände.
11
a) Die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht lückenhaft.
12
aa) Auch im Fall eines Freispruchs muss der Tatrichter die wesentlichen Gründe seiner Entscheidung in den schriftlichen Urteilsgründen darlegen (BGH, Urteile vom 2. April 2008 - 2 StR 19/08; vom 24. Januar 2006 - 5 StR 410/05). Indes kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach nicht erschöpfend in dem Sinne sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen auch nicht zu verlangen. Aus einzelnen Lücken kann daher nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10, NStZ-RR 2011, 50; ähnlich Urteil vom 14. Dezember 2005 - 2 StR 375/05, NStZ-RR 2006, 82, 83).
13
Lückenhaft ist eine Beweiswürdigung vielmehr namentlich dann, wenn sie wesentliche Feststellungen nicht erörtert (BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06). Bei der Prüfung, ob dies der Fall ist, ist es jedoch nicht Sache des Revisionsgerichts, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob nicht naheliegend weitere Beweismittel zur Aufklärung der Tatvorwürfe zur Verfügung gestanden hätten oder weitere Beweise erhoben und im Urteil lediglich nicht gewürdigt worden sind. Schon gar nicht kann das Revisionsgericht aufgrund derartiger Mutmaßungen das Urteil auf die Sachrüge hin aufheben. Vielmehr ist es in solchen Fällen Sache der Staatsanwaltschaft, entweder durch Erhebung einer Aufklärungsrüge geltend zu machen, dass das Landgericht weitere mögliche Beweise zur Erforschung des Sachverhalts unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nicht erhoben hat, oder zu beanstanden, dass es hierzu erhobene Beweise nicht in seine Würdigung einbezogen und daher zu seiner Überzeugungsbildung den Inbegriff der Hauptverhandlung nicht ausgeschöpft hat (§ 261 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 317/10, NStZ-RR 2011, 88 f.).
14
bb) Auf dieser Grundlage haben die Beanstandungen der Revisionsführerin und des Generalbundesanwalts zur Lückenhaftigkeit der tatrichterlichen Beweiswürdigung keinen Erfolg.
15
Sie erschöpfen sich zum einen in einer anderen Bewertung von Tatsachen , die das Landgericht in seine Würdigung einbezogen und ersichtlich bedacht hat, etwa dass der Angeklagte - insbesondere zeitlich und räumlich - Gelegenheit zur Tatbegehung hatte, er sich nach der Tat auffällig verhielt und keine konkreten Hinweise dafür vorliegen, welche andere Person Täter sein könnte. Es ist jedoch allein Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien zu bewerten; das Revisionsgericht kann nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89; vom 4. April 2013 - 3 StR 37/13; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, StraFo 2013, 339).
16
Zum anderen sehen Revisionsführerin und Generalbundesanwalt Lücken in einer nicht hinreichenden Aufklärung etwa zu den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten oder zu der Frage, ob andere Firmenangehörige mit chemischen Kenntnissen Zugang zu dem Büro und ein ebenso starkes Motiv für die Vergiftung hatten. Da Grundlage der materiell-rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht allein das tatrichterliche Urteil ist, liegt hierin angesichts der im Übrigen getroffenen Feststellungen kein auf die Sachrüge hin zu beachtender Rechtsfehler, sondern ein Mangel, der mit einer Aufklärungsrüge gerügt werden musste (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 403; vom 8. August 2001 - 5 StR 252/01; zur Erforderlichkeit von Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen in einer anders gearteten Konstellation auch BGH, Urteil vom 21. November 2013 - 4 StR 242/13).
17
b) Die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil enthält auch keine einen Rechtsfehler darstellende Widersprüche.
18
Ein solcher die Sachrüge begründender Widerspruch kann nicht allein darin liegen, dass einzelne Beweismittel miteinander Unvereinbares ergeben haben. Ebenso wenig kann ein Widerspruch darin gesehen werden, dass das Gericht einer Zeugenaussage folgt (hier z.B. zur - gründlichen - Reinigung der Kaffeemaschine am 27. März), aber hieraus nicht die von der Staatsanwaltschaft gezogene Schlussfolgerung ziehen will (dass dann der Fingerabdruck des Angeklagten nicht am Tag zuvor an die Kaffeemaschine gelangt sein kann).
Vielmehr ist bei ambivalenten Beweisanzeichen, die dem Tatrichter im Einzelfall rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen, eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber , welche indizielle Bedeutung ein solcher Umstand im konkreten Fall entfaltet , vom Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, StraFo 2013, 339; vom 4. April 2013 - 3 StR 37/13; vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89).
19
c) Auch die Würdigung der Einlassung des Angeklagten lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
20
Zwar ist der Tatrichter nicht verpflichtet, einer Einlassung zu folgen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt, mittels derer die Behauptung sicher widerlegt werden kann. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Sachverhalte zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte vorhanden sind (vgl. BGH, Urteile vom 2. September 2009 - 2 StR 229/09, NStZ 2010, 102; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402; ferner BVerfG, NStZ-RR 2007, 381, 382).
21
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Dass - wie der Generalbundesanwalt anführt - das Schwurgericht nach der im letzten Wort erfolgten Einlassung des bis dahin schweigenden Angeklagten weder Vorhalte gemacht noch Nachfragen gestellt oder erneut in die Beweisaufnahme eingetreten ist, ist auf die allein erhobene Sachrüge hin unbeachtlich.
22
d) Schließlich hat das Landgericht weder die gebotene Gesamtwürdigung der für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstän- de unterlassen oder rechtsfehlerhaft vorgenommen, noch hat es überspannte Anforderungen an die entsprechende Überzeugungsbildung gestellt.
23
Eine Gesamtwürdigung hat das Schwurgericht vielmehr ausdrücklich vorgenommen. Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugeben, dass die Strafkammer dabei die für ihre Überzeugungsbildung maßgeblichen Beweisanzeichen weiter gehend oder noch detaillierter hätte erörtern können. Sie hat aber auch angesichts der von ihr nicht verkannten, den Angeklagten belastenden Umstände weder nahe liegende andere Deutungsmöglichkeiten außer Acht gelassen , noch bloße Schlussfolgerungen zur Begründung von Zweifeln an der Täterschaft des Angeklagten angeführt, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fernliegend zu betrachten sind. Auch die Gesamtwürdigung weist daher keinen Rechtsfehler auf.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
18
1. Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Ur- teil vom 10. Dezember 2014 - 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 569/15
vom
12. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
zu 2.: Verdachts des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
in nicht geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2016:120516U4STR569.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Mai 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Mutzbauer, Bender, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger des Angeklagten B. , Rechtsanwältin - in der Verhandlung - als Verteidigerin des Angeklagten K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten K. gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 23. Juli 2015 werden verworfen.
2. Die durch die Revisionen der Staatsanwaltschaft entstanden Kosten und notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last. Der Angeklagte K. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten K. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten B. hat es freigesprochen. Gegen seine Verurteilung richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten K. . Mit ihren zu Ungunsten der beiden Angeklagten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmitteln erhebt die Staatsanwaltschaft jeweils eine Verfahrensrüge sowie sachlich-rechtliche Beanstandungen. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt den
2
Angeklagten mittäterschaftlich begangenen, unerlaubten bewaffneten Handel mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last. Sie führt hierzu unter anderem aus, die Angeklagten seien am 5. Februar 2015 auf der Fahrt von D. nach H. auf dem Rastplatz T. von Zollvollzugsbeamten in dem vom Angeklagten K. geführten Pkw des Angeklagten B. angetroffen worden, in dem 499,14 g Heroin versteckt gewesen seien , die in H. gewinnbringend verkauft werden sollten. Dabei hätten sie eine Machete und ein Teppichmesser mitgeführt.
3
2. Das Landgericht hat hierzu im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte K. , der früher ein Taxi-Unternehmen betrieben hat, hatte bereits in der Vergangenheit für den türkischen Staatsbürger „Ha. “ Taxi- und Kurierfahrten durchgeführt. Am 5. Februar 2015 fragte „Ha. “ erneut beim Angeklagten K. wegen einer Kurierfahrt an. Daraufhin bat der Angeklagte K. den Angeklagten B. , ihn bei dieser Fahrt zu begleiten. Denn er wollte die Fahrt mit seinem Pkw VW Golf durchführen, den er nach einem Motorradunfall, bei dem er erheblich verletzt worden war, dem Angeklagten B. zur Nutzung überlassen hatte; da der Angeklagte B. den Pkw daraufhin auch auf sich zugelassen hatte, die Fahrt aber von N. nach H. gehen sollte, wollte der Angeklagte K. , dass der Angeklagte B. als Fahrzeughalter bei möglichen Kontrollen und Nachfragen zur Berechtigung, das Fahrzeug zu führen, anwesend ist.
5
Der Angeklagte K. begab sich daraufhin zu dem mit „Ha. “ verabredeten Treffpunkt in ein Restaurant und übernahm dort – während der Angeklagte B. außerhalb des Lokals wartete – zum Verkauf in Deutschland bestimmte 499,14 g Heroin mit einem Wirkstoffgehalt von 50,2 %, die er hinter der Armlehne in der Mitte der Rücksitzbank des VW Golf versteckte. Anschließend fuhren der Angeklagte K. und der Angeklagte B. als Beifahrer in dem Fahrzeug von D. nach De. , wo sie an der Raststätte T. von Zollbeamten kontrolliert wurden. Diese fanden neben dem Heroin auch ein Cutter-Messer im Ablagefach der Fahrertür, ein „Multitool“ im Bereich der Mittelarmlehne der Vordersitze und im Kofferraum des Fahrzeugs eine Machete.Ferner war der Angeklagte B. im Besitz von 12 Geld- scheinen zu je 50 €; der Angeklagte K. führte etwas mehr als 200 € mit sich.
6
Dass der Angeklagte K. von diesen Gegenständen (Cutter- Messer, „Multitool“ und Machete) Kenntnis hatte, vermochte die Strafkammer ebenso wenig festzustellen wie die Kenntnis des Angeklagten B. vondem mitgeführten Heroin.

II.


7
Das Rechtsmittel des Angeklagten K. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
8
Dies gilt auch, soweit die Staatsanwaltschaft die Feststellung vermisst, dass sich der Gehilfenvorsatz dieses Angeklagten auf die Erzielung von Gewinn durch den Verkauf der Betäubungsmittel erstreckt hat. Zwar muss der Gehilfe seinen eigenen Tatbeitrag sowie die wesentlichen Merkmale der Haupt- tat, insbesondere deren Unrechts- und Angriffsrichtung, zumindest für möglich halten und billigen. Er braucht aber Einzelheiten der Haupttat nicht zu kennen und keine bestimmte Vorstellung von ihr zu haben. Dass die Betäubungsmittel zum Verkauf in Deutschland bestimmt waren und der AngeklagteK. dies wusste, hat die Strafkammer festgestellt. Insbesondere wenn sein Tatbeitrag – wie hier – aber nur zu deliktischen Zwecken verwendet werden kann und an- gesichts der Menge an Betäubungsmitteln diese nur zum gewinnbringenden Weiterverkauf mittels Transport zu etwaigen Käufern oder Weiterverkäufern bestimmt sein konnten, liegt es auf der Hand, dass der Angeklagte genau damit rechnete und dies insbesondere im Hinblick auf den ihm auch für diese Fahrt – ersichtlichstillschweigend – versprochenen „angemessenen Kurierlohn“ billigend in Kauf nahm (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2013 – 1 StR 403/13, NStZ 2014, 475 f. mwN).

III.


9
Die trotz obiger – beiläufiger – Bemerkung ausschließlich zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft bleiben ebenfalls erfolglos.
10
1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
11
a) Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit Aufklärungsrügen, dass die Strafkammer es unterlassen hat, die für beide – in den Niederlanden geborenen und dort auch lebenden – Angeklagten erholten und zu den Akten gelangten niederländischen Strafregisterauskünfte zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Diese weisen für beide Angeklagte mehrere Verurteilungen – auch wegen „Verstoßes gegen das Opiumgesetz“ – aus. In ihrem Urteil bezeichnet die Strafkammer den Angeklagten K. als „nicht vorbestraft“; hinsichtlich des Angeklagten B. enthält das Urteil keine Mitteilung zu (nicht) vorhandenen Vorstrafen.
12
b) Die Rügen sind unzulässig.
13
aa) Wird beanstandet, das Tatgericht habe den Inhalt in der Hauptverhandlung nicht verlesener Urkunden verwertet, so gehört zur ordnungsgemäßen Begründung der Verfahrensrüge nicht nur die Behauptung, dass die Urkunde nicht verlesen worden, sondern auch die Darlegung, dass der Inhalt der Urkunde nicht in sonst zulässiger Weise eingeführt worden sei (st. Rspr.,vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 – 4 StR 78/14, NStZ 2014, 604, 605 mwN). Nichts anderes gilt, wenn statt einer Inbegriffsrüge gemäß § 261 StPO eine Aufklärungsrüge erhoben wird und hierbei nicht auf die – überlegene – Beweisqualität der Urkunde, auf deren genauen Wortlaut oder auf andere, durch sonstige Beweismittel nicht oder schwerer nachweisbare Umstände abgestellt wird. Denn eine erfolgreiche Aufklärungsrüge setzt voraus, dass der Beweis nicht erhoben wurde. Liegt ein solcher Fall nicht vor und wird mit einer Aufklärungsrüge beanstandet, dass eine Urkunde nicht verlesen oder im Wege des Selbstleseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist, so ist es – zumindest in Fällen, in denen dies in Betracht kommt – daher erforderlich, dass die Revision mitteilt, dass die Urkunde oder deren Inhalt nicht auf andere Weise in die Hauptverhandlung eingeführt wurde (vgl. zur Verpflichtung zum Vortrag sogenannter Negativtatsachen auch BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 2005 – 2 BvR 656/99, BVerfGE 112, 185; ferner KK/Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN).
14
bb) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird der Tatsachenvortrag der Staatsanwaltschaft nicht gerecht (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
15
Denn die Staatsanwaltschaft trägt in ihrer Rechtsmittelbegründung selbst vor, dass die niederländischen Strafregisterauskünfte nicht nur „zumindest auszugsweise verlesen“, sondern „den Angeklagten auch vorgehalten worden sind“. Zwar beweist das Hauptverhandlungsprotokoll (§ 274 StPO), dass eine Verlesung nicht erfolgt ist. Jedoch verhält sich die Revisionsbegründung nicht dazu, ob und gegebenenfalls welche Angaben die Angeklagten, deren „Werdegang“ (was die Staatsanwaltschaftebenfalls nicht mitteilt) laut Protokoll in der Hauptverhandlung erörtert wurde, auf den – nicht protokollierungsbedürftigen – Vorhalt hin gemacht haben. Auch aus dem Schweigen der Urteilsgründe kann nicht geschlossen werden, dass das Gericht die von der Staatsanwaltschaft vermisste Aufklärung unterlassen hat (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1999 – 3StR 17/99 mwN). Die Revisionsbegründung trägt daher nicht vor, dass ein Aufklärungsmangel tatsächlich vorliegt oder sich über die Vorhalte und hierzu möglicherweise abgegebene Erklärungen hinaus die Verlesung der Urkunden aufgedrängt hat. Dies hat die Unzulässigkeit der Verfahrensrügen zur Folge. Daher kann offen bleiben, ob in Fällen, in denen der Inhalt eines Schriftstücks in der Hauptverhandlung erörtert und nicht bestritten worden ist, dass das Schriftstück diesen Inhalt hat, ein Urteil regelmäßig nicht darauf beruhen kann, dass das Schriftstück nicht verlesen worden ist (so BGH, Beschluss vom 18. Februar 2016 – 1 StR 590/15).
16
2. Die von der Staatsanwaltschaft erhobene Sachrüge hat hinsichtlich des Angeklagten K. ebenfalls keinen Erfolg.
17
a) Der diesen Angeklagten betreffende Schuldspruch weist keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler auf.
18
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war die Machete in einem geschlossenen, aber nicht verschlossenen Koffer im Kofferraum des Pkws unter einer als Boden des Kofferraums angebrachten und mit einem Schraubenzieher verkeilten Holzplatte verwahrt; die Rücksitzbank des Fahrzeugs war nicht umzuklappen und die Hutablage war ebenfalls durch eine Holzplatte ersetzt. Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen Bedenken, dass die Strafkammer davon ausging, die Machete sei nicht – wie für den bewaffneten Handel mit Betäubungsmitteln erforderlich (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. Juni 2015 – 1 StR 211/15) – „zugriffsbereit“ und es sei nicht erwiesen, dass der Angeklagte K. von der dem Angeklagten B. gehörenden Machete Kenntnis gehabt habe (vgl. zum Mitführen einer Waffe lediglich durch den Gehilfen auch BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2013 – 3 StR 224/13).
19
Keinen Rechtsfehler weist auch die Annahme auf, dass derAngeklagte K. von dem in der Ablage der Fahrertür abgelegten Messer des Angeklagten B. nichts wusste, da dieses unter einer solchen Menge Müll verbor- gen war, dass es weder „unmittelbar gesehen, noch ertastet werden konnte“ und selbst der das Fahrzeug durchsuchende Zollbeamte dieses Messer bei der ersten Durchsuchung nicht aufgefunden hat, obwohl er „als erstes“ in dieser Ablage nachsah, um sicherzustellen, dass sich dort keine für ihn gefährlichen Gegenstände befinden.
20
Auch hinsichtlich des in einem Fach zwischen den Vordersitzen aufgefundenen , ebenfalls dem Angeklagten B. gehörenden „Multitools“ vermochte die Strafkammer sich rechtsfehlerfrei nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte K. von diesem Kenntnis hatte. Zudem konnte die Strafkammer – ersichtlich auch aufgrund der Aussagen der beiden die Angeklagten kontrollierenden Zollbeamten – keine näheren Feststellungen zur „Beschaffenheit“ dieses Gegenstandes treffen und ihn somit auch – rechtsfehlerfrei – nicht unter § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG subsumieren (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 25. Mai 2010 – 1 StR 59/10, NStZ 2011, 98, 99).
21
Soweit der Angeklagte K. lediglich wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wurde , weist das Urteil ebenfalls keinen Rechtsfehler auf.
22
b) Auch der den Angeklagten K. betreffende Strafausspruch hält der Überprüfung stand.
23
Grundlage der revisionsgerichtlichen Überprüfung eines Urteils auf die Sachrüge hin sind nur die Urteilsurkunde und dort zulässig in Bezug genommene Abbildungen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 337 Rn. 22 mwN). Da das Urteil aber feststellt, dass der Angeklagte K. nicht vorbestraft ist, durfte die Strafkammer strafmildernd werten, dass der Angeklagte strafrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist.
24
Es begegnet auch keinen Bedenken, dass die Strafkammer die „deutlich erhöhte Haftempflindlichkeit“ des Angeklagten K. strafmildernd berück- sichtigt hat, die sie unter anderem darauf gestützt hat, dass der durch die Un- tersuchungshaft „erkennbar stark“ beeindruckte Angeklagte der deutschen Sprache nicht mächtig und von seinem Sohn und seinem sonstigen sozialen Umfeld getrennt wurde und würde. Anders als die Revisionsführerin meint, hat das Landgericht damit nicht lediglich die Verbüßung von Untersuchungshaft (als solche), sondern – rechtsfehlerfrei – festgestellte besondere Nachteile für den Angeklagten durch die Haft strafmildernd berücksichtigt (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände

21).


25
3. Der Freispruch des Angeklagten B. hält ebenfalls der Überprüfung stand.
26
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denk- oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn das Tatgericht zu hohe Anforderungen an die Überzeugungsbildung stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugung auch dann hinzunehmen , wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder gar naheliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15 mwN).
27
Nach diesen Maßstäben zeigt die Beschwerdeführerin Rechtsfehler nicht auf. Ihre Angriffe gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts erschöpfen sich vielmehr neben urteilsfremden Vorbringen (zu den Vorstrafen der Angeklagten ) im Wesentlichen darin, eine eigene Würdigung der Beweise vorzunehmen. Damit kann sie im Revisionsverfahren keinen Erfolg haben. Als Rechtsfehler im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO zu bewertende Lücken der Beweiswürdigung liegen – etwa zu der Feststellung, dass der Angeklagte B. keine Kenntnis von dem mitgeführten Heroin hatte – nicht vor. Insofern stützt sich die Strafkammer auch nicht lediglich auf eine denktheoretische Möglichkeit , sondern auf die Einlassungen der beiden Angeklagten, die sie einer ausführlichen und kritischen Würdigung unterzogen hat.
28
b) Auch soweit die Revision eine Verletzung von § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO geltend macht, weil die Strafkammer keine Feststellungen zum Bestehen von Vorstrafen des Angeklagten B. getroffen hat, bleibt ihr der Erfolg versagt.
29
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es allerdings einen auf die Sachrüge zu beachtenden Darstellungsmangel darstellen, wenn die Urteilsgründe keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten enthalten. Solche sind zwar in erster Linie bei verurteilenden Erkenntnissen notwendig, um das Revisionsgericht in die Lage zu versetzen, die Strafzumessungserwägungen des Tatgerichts nachvollziehen zu können. Bei freisprechenden Urteilen ist der Tatrichter aus sachlich-rechtlichen Gründen aber zumindest dann zu Feststellungen zur Person des Angeklagten verpflichtet , wenn diese für die Beurteilung des Tatvorwurfs eine Rolle spielen können und deshalb zur Überprüfung des Freispruchs durch das Revisionsgericht auf Rechtsfehler hin notwendig sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 13. März 2014 – 4 StR 15/14; vom 5. März 2015 – 3 StR 514/14 jeweils mwN). Insoweit verbietet sich indes eine schematische Betrachtung; die Entscheidung, ob ein Verstoß gegen § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO vorliegt, ist aufgrund der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu treffen (BGH, Urteil vom 5. März 2015 – 3 StR 514/14 mwN).
30
bb) Es kann dahinstehen, ob in Fällen, in denen das Landgericht – wie hier hinsichtlich des Angeklagten B. – Feststellungen zum Werdegang, zum Vorleben und zur Persönlichkeit des Angeklagten getroffen hat, es dabei Vorstrafen (oder ihr Fehlen) aber nicht ausdrücklich erwähnt, bereits das Schweigen des Urteils den Schluss zulässt, dass keine (relevanten) Vorstrafen vorhanden sind. Auch bedarf keiner Entscheidung, ob jedenfalls in solchen Fallgestaltungen das Fehlen von Mitteilungen zu relevanten Vorstrafen die Erhebung einer zulässigen Verfahrensrüge erfordert, zumal selbst der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift – zutreffend – nicht das völlige Fehlen, sondern lediglich beanstandet, dass das Urteil „keine ausreichenden Feststel- lungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten“ enthält (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 5. März 2015 – 3 StR 514/14). Denn jedenfalls kam dem Umstand, dass der Angeklagte B. bereits vorbestraft ist, für die Frage,ob er von dem vom Angeklagten K. in dem Fahrzeug versteckten Heroin wusste oder ob er den Transport von Betäubungsmitteln durch die Fahrt zumindest billigend in Kauf nahm, keine solch bestimmende Bedeutung zu, dass die Strafkammer zur Mitteilung jener Erkenntnisse in den Urteilsgründen verpflichtet war. Dies gilt auch, soweit sich aus dem Strafregisterauszug (und daher ohne nähere Mitteilungen zu den dort abgeurteilten Taten) herleiten lassen sollte, dass ihm Verstöße gegen das Betäubungsmittel- bzw. das niederländische Opiumgesetz nicht wesensfremd sind; mehr hätte sich aus dem Bestehen der einen, von der Revision zur Verfahrensrüge mitgeteilten, zur Sachrüge in- des urteilsfremd vorgetragenen Vorstrafe wegen „Verstoßes gegen das Opiumgesetz“ aus dem Jahr 2012 mit einer Ahndung von 30 Tagen Freiheitsstrafe und gemeinnütziger Arbeit nicht ableiten lassen (vgl. dazu auch BGH aaO).
31
c) Erfolglos macht die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Sachrüge ferner geltend, dass das Landgericht verpflichtet gewesen wäre, die mit der Anklageerhebung von ihr erklärte Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 1 StPO „aufzuheben“ und die beim Angeklagten B. inBetracht kommenden Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten nach dem Waffengesetz wieder in das Verfahren einzubeziehen.
32
aa) Ist nach einer Beschränkung gemäß § 154a StPO eine Verurteilung wegen des verbliebenen Straftatbestandes nicht möglich, ist die nach § 154a StPO ausgeschiedene Gesetzesverletzung wieder in das Verfahren einzubeziehen , um der umfassenden gerichtlichen Kognitionspflicht (§ 264 StPO) zu genügen (vgl. BGH, Urteil vom 15. September 1983 – 4 StR 535/83, BGHSt 32, 84, 85; Beschluss vom 23. November 2000 – 3 StR 472/00, NStZ-RR 2001, 263, bei Becker; Urteil vom 4. April 2002 – 3 StR 405/01 jeweils mwN).
33
bb) Eine solche Rüge muss jedoch als verfahrensrechtliche Beanstandung erhoben werden (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 – 4 StR 370/95, NStZ 1996, 241 mwN auch zu einer eine andere Ansicht vertretenden Entscheidung des 1. Strafsenats). Die Revision hätte daher, um den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen zu entsprechen, den Wortlaut der in Bezug genommenen Verfügung mitteilen und den Verfahrensablauf im Einzelnen schildern müssen (BGH aaO). Hierbei ist auch zu beachten , dass in Fällen, in denen die Beweislage die Beurteilung zulässt, dass im Falle der Wiedereinbeziehung der Angeklagte auch von dem Vorwurf, der den ausgeschiedenen Tatteil oder Straftatbestand betrifft, freizusprechen gewesen wäre, der Tatrichter von der förmlichen Wiedereinbeziehung des ausgeschiedenen Tatteils oder Straftatbestands absehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 – 2 StR 72/06 mwN).
34
cc) Hiervon ausgehend bleibt der Rüge der Staatsanwaltschaft der Erfolg versagt.
35
Hinsichtlich des „Multitools“ vermochte die Strafkammer – wie oben aus- geführt – keine näheren Feststellungen zur „Beschaffenheit“ dieses Gegenstandes treffen und ihn – wie ersichtlich auch die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift – noch nicht einmal unter § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG zu subsumieren.
36
Das von der Anklage als Teppich- und im Urteil als Cutter-Messer bezeichnete Messer wurde ausweislich der Urteilsgründe zwar insofern verändert, als die Klinge nicht herausgeschoben werden muss, sondern herausgeklappt werden kann. Ein solches Klappmesser ist jedoch ohne weitere – nicht mitgeteilte – Besonderheiten weder eine Waffe im technischen Sinne, noch unterfällt es – wie sich aus der fehlenden Erwähnung dieses Messertyps in der Anlage 1 Abschnitt 1 Unterabschnitt 2 Nr. 2.1 zu § 1 Abs. 4 WaffG ergibt – der Kategorie der sogenannten gekorenen Waffen im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 lit. b WaffG (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2012 – 2 StR 394/12, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Gegenstand 6). Im Übrigen unterlässt es die Staatsanwaltschaft mitzuteilen, dass die Klinge des Messers abgebrochen ist (vgl. Sachakten Bd. 1 Bl. 183); auch ein bei den Akten befindliches Foto des Messers (Sachakten Bd. 1 Bl. 203) legt sie nicht vor.
37
Hinsichtlich der etwa 60 cm langen Machete lässt sich den Urteilsgründen schon nicht entnehmen, ob es sich bei ihr um einen tauglichen Gegenstand im Sinne des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG handelt (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. September 2015 – 2 StR 126/15, NStZ 2016, 123 f.), zumal die Revision die sich in den Akten befindliche nähere Beschreibung der Machete (Sachakten Bd. 1 Bl. 183) nicht mitteilt. Dass es sich bei ihr – worauf die Anklageschrift abstellt – um eine gekorene Waffe handelt (insofern verweist die Anklage auf Anlage 1 Unterabschnitt 2 Nr. 1.1) trifft nicht zu (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juli 2013 – 3 StR 143/13, NStZ 2014, 164, 165 mwN).
Sost-Scheible Franke Mutzbauer
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 8 3 / 1 4
vom
16. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. September
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 30. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts bewohnte der später getötete V. , der Alkoholprobleme hatte, ab August 2013 ein Zimmer in der Wohnung des Angeklagten. Das Zusammenleben gestaltete sich anfangs harmonisch , später kam es zu Differenzen. So leistete V. keine Zahlung für die Nutzung der Wohnung, er beteiligte sich nicht an der Reinigung.
Während er im Zimmer des Angeklagten Fernsehen schaute, trank er Schnaps und rauchte, ohne zu lüften, was dem Angeklagten missfiel.
3
Weihnachten 2013 war der Besuch der Mutter des Angeklagten angekündigt. Aus diesem Grund forderte der Angeklagte V. auf, ihm beim Aufräumen der Wohnung zu helfen. Nach Rückkehr von der Arbeit am 23. Dezember 2013 gegen 12.15 Uhr stellte der Angeklagte fest, dass sein Mitbewohner noch keine Anstalten unternommen hatte aufzuräumen. Aus Ärger trank er zwei oder drei Bier. Daraufhin beschloss er zwischen 15.00 und 16.00 Uhr, zu einem ca. 800 m entfernten Imbiss zu fahren, um dort etwas zu essen. Auf der Fahrt dorthin ging sein Roller kaputt; aus Frust hierüber trank er weiter Bier oder Apfelwein. Gegen 18.00 Uhr verließ der Angeklagte, der zwar nicht volltrunken war, aber "einen über den Durst" getrunken hatte, den Imbiss und schob seinen Roller zunächst, bis er ihn stehen ließ, weil er sich nicht mehr in der Lage sah, ihn weiter zu schieben. Er lief nach Hause und stellte dort fest, dass V. , der betrunken war und sich eingenässt hatte, in seinem Zimmer fernsah und rauchte. Zu Aufräumarbeiten war es nicht gekommen. Auf eine Strafpredigt des Angeklagten hin verteidigte sich V. damit, es gehe ihm nicht gut. Anschließend tranken der Angeklagte und V. ein weiteres Bier, bevor der Angeklagte eine von V. versteckt gehaltene Flasche Kräuterschnaps entdeckte. Aus Verärgerung trank der Angeklagte hiervon einige Schlucke und schüttete den Rest fort.
4
Auf Aufforderung des Angeklagten verließ V. das Zimmer des Angeklagten, der sich mit Kleidung und seinen Arbeitsschuhen mit Stahlkappen in sein Bett legte und sogleich einschlief. Gegen 19.00 Uhr betrat V. mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille das Zimmer des Angeklagten, kam zu Fall und stürzte in das Bett des Angeklagten. Er traf dabei mit seinem Kopf direkt auf das Gesicht des Angeklagten, bei dem sich infolge dessen ein Schneidezahn lockerte. Der Angeklagte, der einen Blutalkoholwert von 2,57 Promille aufwies, schreckte hoch, trat nach V. und "donnerte" ihn vom Bett hinunter. Anschließend übergab er sich. V. rappelte sich auf und stürzte noch einmal auf das Bett des Angeklagten, der sich nunmehr enthemmt durch den Alkoholeinfluss entschloss, seinem Frust und Ärger über V. freien Lauf zu lassen. Enthemmt durch den Alkohol schlug er ihn mehrfach mit der Faust ins Gesicht und gegen den Kopf. Anschließend trat er V. mit voller Wucht von einem Stuhl hinunter, auf den sich dieser gesetzt hatte. Dem am Boden liegenden Geschädigten trat er sodann mehrfach, mindestens sechs Mal, mit seinen Arbeitsschuhen gegen Kopf, Hals und Oberkörper. Auch nahm der Angeklagte den Kopf des V. und schlug ihn mehrfach wuchtig auf den Boden. Dabei war ihm trotz seiner Alkoholisierung bewusst, dass V. durch die zahlreichen wuchtigen Schläge und Tritte zu Tode kommen konnte. Dies nahm er bei Ausführung der Tat billigend in Kauf.
5
V. erlitt zahlreiche Hämatome und Einblutungen, außerdem acht Rippenbrüche auf der rechten und zwei auf der linken Seite. Zudem kam es zu einer Zertrümmerung des Mittelgesichts sowie zu einem Bruch des Zungenbeins. Infolge weiter eingetretener Einblutungen in die Schädelhöhle sowie der Erschwerung der Atmung verstarb V. in der Nacht, spätestens einige Stunden nach der Tat.
6
Zum Zeitpunkt der Tat war der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
7
Der Angeklagte, der seinen Frust und Ärger nunmehr abreagiert hatte, legte sich nach der Tat wieder schlafen und fand am nächsten Morgen den Leichnam seines Mitbewohners vor seinem Bett. Er schaffte ihn in dessen Zimmer und reinigte die Wohnung. Zunächst war er bemüht, die Tat zu verdecken , bevor er sich am 5. Januar 2014 entschloss, sich der Polizei zu stellen.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Das Landgericht hat festgestellt, dem Angeklagten sei trotz seiner Alkoholisierung bewusst gewesen, dass V. durch die zahlreichen wuchtigen Schläge und Tritte gegen Kopf, Hals und Oberkörper zu Tode kommen konnte. Dies habe er bei Ausführung der Tat zumindest billigend in Kauf genommen.
10
2. Eine Beweiswürdigung hierzu fehlt in den Urteilsgründen. Dies erweist sich aus zwei Gründen als fehlerhaft.
11
a) Das Landgericht hat nicht mitgeteilt, wie sich der Angeklagte hinsichtlich der subjektiven Tatseite eingelassen hat. Aus den Ausführungen der Strafkammer ergibt sich zwar, dass die Feststellungen zur Sache auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten , beruhen. Die im Folgenden wiedergegebenen Angaben des Angeklagten beziehen sich aber lediglich auf den äußeren Geschehensablauf und enthalten keinerlei Hinweise, ob und in welcher Weise der Angeklagte sich hinsichtlich des Tatvorsatzes eingelassen hat.
12
Aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil vorzunehmen, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH NStZ 2015, 299; NStZ-RR 2013, 134, 135 m.w.N.; NStZ-RR 1999, 45; siehe auch: OLG Hamm StraFO 2003, 133; OLG Köln StraFO 2003, 313). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, regelmäßig auch mit Blick auf die subjektive Tatseite, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlichrechtliche Fehler hin überprüfen zu können. In den Urteilsgründen fehlt dies ebenso wie eine Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten. Schon deshalb ist das Urteil aufzuheben.
13
b) Die Strafkammer hat auch nicht dargelegt, wie sie zu den Feststellungen zur subjektiven Tatseite gelangt ist. Darauf konnte im vorliegenden Fall auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes auf der Hand gelegen hätte. Vielmehr machten die Umstände des Falles eine eingehende Darlegung der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite erforderlich.
14
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH NStZ 2011, 699). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter be- kannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH NStZ 2012, 443, 444). Bei der Würdigung des Willenselements sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; BGH NStZ-RR 2007, 267, 268; NStZ-RR 2009,

372).

15
Es kann bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe liegen, dass der Täter damit rechnet, dass sein Opfer zu Tode kommen könnte, und er dies billigend in Kauf nimmt, wenn er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt. Aber immer ist auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Liegen - wie hier - Umstände vor, die auf diese Möglichkeit hinweisen, muss sich der Tatrichter damit auseinander setzen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 41 m.w.N.).
16
Trotz der gefährlichen Schläge und Tritte des Angeklagten, die zu den massiven Verletzungen des Tatopfers und schließlich zu seinem Tod geführt haben, kann schon zweifelhaft sein, ob dem Angeklagten tatsächlich bewusst war, dass V. zu Tode kommen könne. Er war hochgradig alkoholisiert und wurde von V. , als dieser auf das Gesicht des Angeklagten stürzte, schmerzhaft aus dem Schlaf gerissen und erschreckt; gleich danach musste er sich übergeben. Ob dem durch die Vorgeschehnisse ohnehin affektiv aufgeladenen Angeklagten angesichts des überraschenden Sturzes des Tatopfers in sein Bett und der vorhandenen, zu erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit führenden Alkoholisierung im Zeitpunkt des Übergriffs wirklich die möglichen Folgen seines spontanen Tuns bewusst waren und er auch einen tödlichen Ausgang in seine Überlegungen einbezogen hatte, hätte jeden- falls über die bloße Feststellung hinaus auch deshalb eingehenderer Würdigung bedurft, weil der Angeklagte sich nach seinen Gewalthandlungen ohne Weiteres wieder schlafen legte und das Tatopfer vor seinem Bett liegen ließ. Insoweit wäre zumindest zu erörtern gewesen, ob dies nicht ein gravierender Beleg für einen womöglich wenig orientierten Zustand des Angeklagten sein könnte, der (lediglich) seinen Ärger abreagiert und die Auswirkungen seiner Handlungen nicht realistisch abgeschätzt haben könnte. Dies gilt um so mehr, als der Tod des Opfers nicht unmittelbar nach den Übergriffen des Angeklagten, sondern erst im weiteren Verlauf der Nacht eingetreten ist.
17
Es versteht sich auch angesichts der erheblichen Verletzungen, die V. erlitten hat, nicht von sich selbst, dass sich der Angeklagte, selbst wenn davon auszugehen wäre, dass er die mögliche Tödlichkeit der dem Opfer beigefügten Verletzungen erkannt haben sollte, mit dessen Tod abgefunden hat. Schon der Umstand, dass der Angeklagte in einer affektaufgeladenen und von der Alkoholisierung der beiden Beteiligten geprägten Situation seinen Frust und Ärger abreagiert hat, ist ein Umstand, der gegen die Schlussfolgerung sprechen könnte, der Angeklagte habe im Zeitpunkt der Schläge und Tritte den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen, und deshalb vom Landgericht hätte erörtert werden müssen. Gleiches gilt für die vom Landgericht getroffene Feststellung, dass der Angeklagte am nächsten Morgen, als er den Tod von V. feststellte, über die Tat erschrocken und von Angst und Schuldgefühlen geplagt war. Auch dies hätte - trotz begrenzter Aussagekraft dieser zeitlich nach der Tat liegenden Umstände - jedenfalls erörtert werden müssen, weil es unter Umständen Rückschlüsse auf die innere Verfassung des Angeklagten zu dem ihm vorgeworfenen Taterfolg im Tatzeitpunkt zulässt. Nicht zuletzt hätte sich das Landgericht auch im Rahmen des voluntativen Vorsatzelements mit der Alkoholisierung des Angeklagten und der dadurch bedingten erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit auseinander setzen müssen. Fischer Appl Krehl Eschelbach Ott
7
a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fern liegende Folge seines Handelns erkennt (Wissens- element) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 26), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive, als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, aaO, mwN; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, aaO, vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände im Einzelfall – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 502/10
vom
27. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 1
wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 2
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten A. ,
Rechtsanwälte
als Nebenkläger-Vertreter für Roswitha und Gerhard O. ,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreterin für Ronja A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 4. Mai 2010 bezüglich des Angeklagten A. dahin abgeändert, dass die von diesem in Portugal erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen ist. 2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft bezüglich des Angeklagten A. , ihr Rechtsmittel bezüglich des Angeklagten S. sowie die Revisionen der Nebenkläger und der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. 3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten hierdurch und durch die Rechtsmittel der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Nötigung und mit Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten S. hat es wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Beihilfe zur Beteiligung an einer Schlägerei und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen beide Angeklagte Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und bestimmt, dass die vom Angeklagten A. in dieser Sache in Portugal erlittene Freiheitsentziehung auf die verhängte Freiheitsstrafe in der Weise angerechnet wird, dass ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen inländischer Haft entspricht.
2
Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger beanstanden das Verfahren und erheben die Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft wendet sich insbesondere gegen die Feststellungen und die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite; zudem bemängelt sie die fehlende Prüfung der Unterbringung des Angeklagten A. in der Sicherungsverwahrung. Die Nebenkläger begehren unter anderem eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge. Die Angeklagten rügen ebenfalls die Anwendung des sachlichen Rechts. Der Angeklagte A. beanstandet insbesondere den Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Bewertung der Nötigung als besonders schweren Fall. Der Angeklagte S. meint, der Tatbestand des § 231 StGB sei nicht gegeben, weil es sich nicht um eine Schlägerei im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe; ferner beanstandet auch er die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung.
3
Erfolg hat in geringem - aus dem Tenor ersichtlichem - Umfang lediglich das zum Nachteil des Angeklagten A. eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.

I.


4
Das Schwurgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
5
Die beiden Angeklagten waren Mitglieder der "Hells Angels", der Angeklagte A. als Vollmitglied ("full member"), der Angeklagte S. als Unterstützer ("supporter"). Dirk O. - das Tatopfer - war Vollmitglied der "Outlaws" und Präsident des "Chapters" Donnersbergkreis.
6
Am 24. Juni 2009 hatte der Angeklagte S. in Bad Kreuznach aus ungeklärten Gründen eine körperliche Auseinandersetzung mit Tobias L. , einem Mitglied des dortigen neu gegründeten Outlaws-Chapters, an deren Ende er von Tobias L. darauf hingewiesen wurde, dass Bad Kreuznach "OutlawGebiet" sei.
7
Am Nachmittag des 26. Juni 2009 trafen sich die Angeklagten in Landstuhl unter anderem mit Björn Sch. , der ebenfalls - als Anwärter ("prospect") - den Hells Angels angehörte. Sie beschlossen, nach Bad Kreuznach zu fahren, um dort "Präsenz zu zeigen"; gegebenenfalls wollten sie auch einem Mitglied der Outlaws wegen des Vorfalls vom 24. Juni 2009 eine "Abreibung verpassen". Gegen 20.00 Uhr brachen die Angeklagten und Björn Sch. in einem angemieteten Pkw nach Bad Kreuznach auf. Dort sahen sie zwar einen Motorradfahrer in "Rockerkluft", konnten ihm aber nicht folgen. Sie beschlossen daher, nach Marnheim zur Gaststätte "I. " zu fahren, dem Treffpunkt der Outlaws in deren neu gegründetem Chapter im Donnersbergkreis , um diese auszukundschaften und - so das Vorhaben des Angeklagten A. und von Björn Sch. - eine nicht näher bestimmte "Aktion" gegen dieses Chapter durchzuführen.
8
Etwa um 23.00 Uhr verließen mehrere Mitglieder der Outlaws, unter anderem Dirk O. , das "I. " und fuhren nach Kirchheimbolanden. Die Angeklagten und Björn Sch. folgten ihnen. Während sich die Mitglieder der Outlaws in einer Gaststätte aufhielten, fassten der Angeklagte A. und Björn Sch. den Entschluss, dem - von ihnen als solchem erkannten - Vollmitglied der Outlaws bei sich bietender Gelegenheit die "Kutte", also die mit Aufnähern versehene Lederweste, abzunehmen, um hierdurch "ein Zeichen gegen die Outlaws zu setzen" sowie "Präsenz zu zeigen" und den Outlaws deutlich zu machen, dass deren Gebietsanspruch nicht akzeptiert werde. Den Angeklagten und Björn Sch. war dabei klar, dass es zu einer "harten körperlichen Auseinandersetzung" auch mit Waffen und Werkzeugen kommen kann. Ihnen war bewusst, dass ihr Handeln "auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte", sie vertrauten aber darauf, dass insbesondere wegen ihrer körperlichen und zahlenmäßigen Überlegenheit "ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde". Ein solcher tödlicher Ausgang war den Angeklagten unerwünscht; der Angeklagte A. fürchtete bei einem "tödlichen Zwischenfall" clubinterne Sanktionen, der Angeklagte S. , der als einziges Mitglied der Hells Angels im Donnersbergkreis wohnte, befürchtete eine "Retourkutsche" der Outlaws.
9
Nachdem die Outlaws die Gaststätte verlassen hatten, folgten die Angeklagten - der Angeklagte S. als Fahrer - und Björn Sch. mit ihrem Pkw zwei Motorrädern der Outlaws, wobei sie die Stellung deren Fahrer als "full member" bzw. "prospect" erkannten, das Vollmitglied aber nicht als Dirk O. und den dortigen Chapter-Präsidenten identifizierten. Nachdem der zweite Motorradfahrer abgebogen war, fuhren Dirk O. und hinter ihm die Angeklagten und Björn Sch. gegen 23.50 Uhr auf der Landstraße 386 in Richtung Stetten. Der Angeklagte A. und Björn Sch. beschlossen nunmehr, Dirk O. zu überholen und zum Anhalten zu bringen, um ihm die Kutte abnehmen zu können. Auf Weisung des Angeklagten A. überholte der Angeklagte S. das Motorrad und bremste den Pkw anschließend bis zum Stillstand stark ab, wobei er darauf achtete und darauf vertraute, dass es nicht zu einer Kollision kam und Dirk O. nicht stürzte. Dirk O. gelang es wenige Meter hinter dem Pkw anzuhalten, wobei die Strafkammer ungeachtet einer Blockierspur von 13,3 Metern Länge nicht festzustellen vermochte, dass dabei tatsächlich die Gefahr bestand, er werde mit dem Pkw kollidieren oder stürzen.
10
Während der Angeklagte S. - auch in der Folgezeit - in dem Pkw verblieb, sprangen der Angeklagte A. und Björn Sch. aus dem Fahrzeug , liefen auf Dirk O. zu und zogen diesen von seinem Motorrad herunter. Sodann schnitten sie mit einem Messer die rechte Hosentasche des Dirk O. auf, in der er - erkennbar - ein Messer mitführte, und warfen dieses Messer weg. Nachdem ein entgegenkommender Pkw vorbeigefahren war und Dirk O. das umgefallene Motorrad aufgerichtet hatte, um mit diesem zu fliehen, versetzte Björn Sch. Dirk O. sechs Stiche kurz unterhalb des Arms in die rechte Seite. Er handelte dabei aus Verärgerung darüber, dass "das gesamte Vorhaben" durch das zufällige Erscheinen des Pkws zu scheitern gedroht hatte, und wollte der "Aktion" endgültig und sicher zum Erfolg verhelfen. "Dass der Dirk O. dabei sterben könnte, war ihm klar, jedoch auch egal". Der Angeklagte A. sah diese nicht abgesprochene Messerattacke, konnte allerdings nicht mehr eingreifen; er ging - wie auch der Angeklagte S. - davon aus, dass das Opfer bereits tödlich verletzt sei und jede, auch eine sofort herbeigerufene Hilfe zu spät kommen werde. Er und Björn Sch. zogen Dirk O. die Kutte aus, um diese mitzunehmen. Welche Motivation dieser Wegnahme zugrunde lag, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen, insbesondere konnte sie nicht ausschließen, dass der Tatplan von vorneherein vorsah, die Kutte "zu vernichten" bzw. "verschwinden" zu lassen, damit sie nicht in die Hände der Outlaws gelangt. Sodann versetzte Björn Sch. ebenfalls ohne Absprache mit dem Angeklagten A. Dirk O. einen weiteren Messerstich in den Rücken, der zu einer Querschnittlähmung führte.
11
Infolge der Stiche in die Seite und des dadurch eingetretenen Blutverlustes verstarb Dirk O. am 27. Juni 2009 um 2.17 Uhr.

II.


12
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben keinen (Rechtsmittel der Nebenkläger) bzw. nur in geringem Umfang Erfolg (Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft).
13
1. Die von Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
14
Die Rügen, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt , dass es keinen "in so genannten Motorradclubs … szenekundigen, erfahrenen Ermittlungsbeamten eines Landeskriminalamts oder einer sonst überörtlich zuständigen Polizeidienststelle oder einen Kriminalwissenschaftler" zu deren "Herrschaftsgefüge, Befehlsstrukturen, Riten und Verhaltenskodizes" ange- hört hat, sind unzulässig. Denn die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger teilen nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise mit, warum sich eine solche Beweiserhebung entgegen und trotz der Ausführungen des Schwurgerichts zu einem nicht zu erwartenden weiteren Erkenntnisgewinn durch eine solche Beweisaufnahme (UA 80) aufgedrängt haben soll, nachdem das Gericht - neben einer Vielzahl weiterer Polizeibeamter sowie mehrerer Zeugen aus "Rockerkreisen" - auch die dem Polizeipräsidium Mainz angehörende Sachbearbeiterin vernommen und diese über die Informationen berichtet hat, die ihr "im Bereich der organisierten Kriminalität erfahrene Kollegen" unter anderem zum "Trophäenkult mit Kutten" gegeben hatten. So wird insbesondere die in den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger angesprochene polizeiliche Vernehmung des Angeklagten S. nicht vollständig mitgeteilt; die Staatsanwaltschaft hat es zudem unterlassen , den von ihr zitierten polizeilichen Abschlussbericht vollständig vorzutragen.
15
Soweit die Staatsanwaltschaft ferner einen Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet und geltend macht, das Gericht habe in Zusammenhang mit dem Fluchtversuch des Dirk O. Feststellungen zu "inneren Vorgängen (Überlegungen )" beim Tatopfer getroffen, ohne hierfür über eine "äußere Grundlage" zu verfügen, fehlt es jedenfalls am Beruhen des Urteils auf einer etwaigen Gesetzesverletzung.
16
Erfolglos ist auch die von zwei Nebenklägern in Zusammenhang mit der Zurückweisung einer Frage an den Zeugen G. erhobene Aufklärungsrüge. Insofern verweist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf, dass dem Zeugen G. das von ihm geltend gemachte Auskunftsverweigerungsrecht zustand.
17
2. Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat - abgesehen von der Entscheidung bezüglich des Angeklagten A. nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB aufgrund des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft - keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten ergeben.
18
a) Das Schwurgericht hat die Angeklagten auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht nicht wegen besonders schweren Raubes (mit Todesfolge) oder besonders schwerer räuberischer Erpressung (mit Todesfolge) verurteilt.
19
aa) Ein besonders schwerer Raub (mit Todesfolge) liegt - wie ersichtlich auch der Generalbundesanwalt meint - nicht vor.
20
(1) Täter - auch Mittäter - kann beim Raub nur sein, wer bei der Wegnahme die Absicht hat, sich oder einem Dritten die fremde Sache rechtswidrig zuzueignen. Hierfür genügt, dass der Täter die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder den Dritten haben und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem des Dritten “einverleiben” oder zuführen will. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter oder der Dritte die Sache auf Dauer behalten soll oder will (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 mwN).
21
An der Voraussetzung, dass der Wille des Täters auf eine Änderung des Bestandes seines Vermögens oder das des Dritten gerichtet sein muss, fehlt es in Fällen, in denen er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten”, „preiszugeben”, „wegzuwerfen”, „beiseitezuschaffen” oder „zu beschädigen” (BGH, Urteile vom 10. Mai 1977 - 1 StR 167/77, NJW 1977, 1460; vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 jeweils mwN). Der etwa auf Hass- und Rachegefühlen beruhende Schädigungswille ist zur Begründung der Zueignungsabsicht ebenso wenig geeignet wie der Wille, den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812, 813 mwN; Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10). In solchen Fällen genügt es auch nicht, dass der Täter - was grundsätzlich ausreichen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1980 - 2 StR 224/80, NStZ 1981, 63) - für eine kurze Zeit den Besitz an der Sache erlangt.
22
(2) Hiervon ausgehend handelten die Angeklagten und Björn Sch. nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen in Bezug sowohl auf die Kutte von Dirk O. als auch dessen Messer ohne die für eine Verurteilung wegen Raubes erforderliche Zueignungsabsicht.
23
Zwar diente die Wegnahme der Kutte nach dem Tatplan "dem Ziel, diesem Outlaw im speziellen und den sich neuangesiedelten Outlaws im Allgemeinen gegenüber 'Präsenz zu zeigen' und ihnen klarzumachen, dass mit den in der Nähe angesiedelten Hells Angels stets zu rechnen ist". Eine über die Enteignung hinausgehende Zueignungsabsicht konnte die Strafkammer jedoch nicht feststellen (UA 17: "Ein weiteres Interesse an der zu erlangenden Kutte, etwa als Tauschobjekt, Arbeitsnachweis oder zum 'Angeben', war nicht feststellbar" ). Vielmehr vermochte sie nicht auszuschließen, "dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten." (UA 79). Entsprechendes gilt für das Dirk O. abgenommene Messer, das der Angeklagte A. und Björn Sch. sofort nach der Entwaffnung ihres Opfers wegwarfen (UA 20, 55).
24
Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist - wie auch im Übrigen - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juni 2007 - 2 StR 161/07). Nach der durch § 261 und § 337 StPO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen „lebensfremd“ erscheinen mögen (BGH, Urteile vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10; vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10 mwN). Denn der vom Gesetz verwendete "Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, dass sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Es ist also die für die Schuldfrage entscheidende , ihm allein übertragene Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht“ (so bereits BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209; zuletzt BGH, Urteil vom 9. November 2010 - 5 StR 297/10). Ist das Tatgericht – wie vorliegend – ausgehend von einer lückenlosen Tatsachengrundlage im Rahmen einer Bewertung der erhobenen Beweise im Einzelnen (UA 79 ff.) sowie in einer Gesamtschau (UA 82) zu der möglichen - hier sogar plausiblen - Schlussfolgerung gelangt, die erhobenen Beweise seien mangels nachgewiesener Zueignungsabsicht nicht geeignet, eine Verurteilung der Angeklagten wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge zu tragen, hat dies – nicht anders als in gegenteiligen Verurteilungsfällen – als möglicher Schluss des Tatgerichts in der Revisionsinstanz Bestand. Die vom Revisionsgericht nicht mehr hinzunehmende, einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten begründende Grenze der Denkfehlerhaftigkeit wird vom Schwurgericht nirgendwo überschritten (zu diesen Maßstäben: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10).
25
bb) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts liegt nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen aber auch eine besonders schwere räuberische Erpressung (mit Todesfolge) nicht vor.
26
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine (besonders schwere) räuberische Erpressung zwar auch derjenige begehen, der das Opfer mit Gewalt dazu zwingt, die Wegnahme einer Sache zu dulden (BGH, Urteil vom 30. August 1973 - 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 228 mwN), eine Verurteilung wegen Raubes aber daran scheitert, dass die dafür erforderliche Zueignungsabsicht nicht vorliegt bzw. nicht nachweisbar ist (BGH, Urteile vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388, 390 f.; vom 6. August 1991 - 1 StR 430/91, BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 2; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103).
27
Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung erfordert jedoch die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Diese Tatbestandsvoraussetzung des § 253 StGB deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug vorausgesetzten Bereicherungsabsicht (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9). Sie setzt nach dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen wirtschaftlichen Vermögensbegriff deshalb voraus, dass der erstrebte Vorteil zu einer objektiv günstigeren Gestaltung der Vermögenslage für den Täter oder den Dritten führen soll (BGH, Urteil vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN; ähnlich: BGH, Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 2. Mai 2001 - 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), also eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens angestrebt wird (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN).
28
Als ein solcher Vermögenszuwachs kann auch die Erlangung des Besitzes an einer Sache bewertet werden und zwar selbst bei einem nur vorübergehenden Besitzwechsel (BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.). Jedoch ist der bloße Besitz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in den Fällen als Vermögensvorteil anerkannt, in denen ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (BGH, Urteil vom 17. August 2001 - 2 StR 159/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 2), was regelmäßig lediglich dann zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind, die der Täter oder der Dritte nutzen will (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1995 - 2 StR 303/95, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 1 mwN; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rdn. 98; zum Besitz an einem Kraftfahrzeug: BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.; Beschluss vom 24. April 1990 - 5 StR 111/90, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 7; Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103; ähnlich für den Betrug: BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 4 StR 58/08, NStZ 2008, 627).
29
Dagegen genügt - wie beim Raub - nicht, wenn der Täter zwar kurzzeitigen Besitz begründen will, die Sache aber unmittelbar nach der Erlangung vernichtet werden soll (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 StR 71/04, NStZ 2005, 155 mwN; Vogel in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 253 Rn. 29; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 253 Rn. 17). Ebenso wenig reicht es aus, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (BGH, Urteil vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; ähnlich BGH, Beschluss vom 19. August 1987 - 2 StR 394/87, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 1) und allein einen anderen als einen wirtschaftlichen Vorteil erstrebt (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1971 - 4 StR 397/71).
30
Auf dieser Grundlage fehlt es an einer Bereicherungsabsicht der Angeklagten bzw. des Björn Sch. in Bezug auf die Kutte des Dirk O. und dessen Messer. Denn das Landgericht vermochte - wie oben ausgeführt - nicht auszuschließen, dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten und das Messer sofort wegzuwerfen.
31
b) Da die Angeklagten sowie Björn Sch. weder einen Raub noch eine räuberische Erpressung beabsichtigt haben, kommt auch eine Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a StGB nicht in Betracht.
32
c) Das Schwurgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Angeklagten zu Recht nicht wegen Täterschaft oder Teilnahme an der vorsätzlichen Tötung des Dirk O. verurteilt.
33
aa) Einen Tötungsvorsatz der Angeklagten hat es rechtsfehlerfrei als nicht erwiesen erachtet.
34
(1) Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN). Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN), mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, 373; ähnlich zum unerwünschten Erfolg bereits BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 369). Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451).
35
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN); sowohl das Wissens - als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 jeweils mwN). Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267; Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZRR 2009, 372 jeweils mwN). Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jeweils mwN). Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 mwN).
36
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die rechtlichen Grundlagen für die Ab- grenzung des bedingten Tötungsvorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zutreffend gesehen und beachtet. Ihre Bewertung, Tötungsvorsatz bei den Angeklagten sei nicht erwiesen, weist keinen Rechtsfehler auf.
37
Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wussten die Angeklagten, "dass es zur Erlangung der symbolträchtigen Kutte zu einer möglicherweise auch harten körperlichen Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Rocker" und "auch zum Einsatz von Waffen und Werkzeugen - wie etwa Schlaghölzern, Reizgas, Schlagstöcken, Motocrosshandschuhen und evtl. auch Messern - kommen könnte". Ihnen war "bewusst …, dass derartige Aktionen … ein hohes, unter Umständen auch tödliches, Gewaltpotential in sich tragen" und ihr Handeln "aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Gleichwohl vermochte sich das Landgericht - rechtsfehlerfrei - nicht davon zu überzeugen, dass das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes gegeben ist. Denn die Angeklagten vertrauten - wie das Schwurgericht ausführlich belegt - "im Hinblick auf ihre körperliche und auch zahlenmäßige Überlegenheit … darauf, dass ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde"; auch war ihnen aus unterschiedlichen Gründen ein tödlicher Ausgang unerwünscht.
38
bb) Der Generalbundesanwalt meint auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als besonders schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge unter Hinweis auf das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2007 (1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281 und Walter, NStZ 2008, 548), der Angeklagte A. sei Gehilfe des vorsätzlichen Tötungsdelikts, weil sich "durch das gemeinsame Ausziehen und Ansichnehmen der Kutte des dann zurückgelassenen tödlich Verletzten … sein Vorsatz sukzessive auf die zum Tod führende Gewalthandlung des Mittäters Sch. erstreckt" habe. Der Senat lässt offen, ob dem bei Vorliegen einer räuberischen Erpressung zu folgen wäre. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da weder der Angeklagte A. noch Björn Sch. den Tatbestand des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung (mit Todesfolge) verwirklicht haben. Kann bei mehreren nacheinander aktiv werdenden Tätern der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Allein eine nachträgliche Billigung der tödlichen Gewalt kann deshalb jedenfalls im vorliegenden Fall eine strafbare Verantwortlichkeit des Angeklagten A. für die bereits abgeschlossene Tötungshandlung nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1984 - 4 StR 526/84 mwN). Dies gilt auch für die vom Generalbundesanwalt bejahte Beihilfe zum Mord und bezieht sich in gleicher Weise auf den Angeklagten S. .
39
d) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist den Angeklagten auch der zur Querschnittlähmung des Opfers führende (letzte) Messerstich des Björn Sch. nicht zuzurechnen.
40
Eine solche Zurechnung scheidet aus, wenn der unmittelbare Täter dem Opfer den weiteren Stich nicht mehr im Rahmen verabredeter Gewaltanwendung beibrachte, der Dritte die (weitere) Gewaltanwendung weder gebilligt noch zu ihr gefahrerhöhend beigetragen hat und er deren Folgen auch nicht dazu ausnutzen wollte, den Besitz von durch die Tat erlangten Vermögenswerten zu erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2009 - 2 StR 259/09, NStZ 2010, 33, 34). So verhält es sich hier. Der Messerstich erfolgte nach der Wegnahme der Kutte, er entsprach nicht dem Tatplan, sondern wurde "ohne weitere Absprache" mit dem Angeklagten A. von Björn Sch. ausgeführt, um (nicht ausschließbar) "ganz sicher zu gehen, dass dieser [also Dirk O. ] versterbe" (UA 63).
41
e) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts haben sich die Angeklagten auch nicht der Täterschaft oder Teilnahme an einem versuchten vorsätzlichen Tötungsverbrechen durch Unterlassen schuldig gemacht.
42
Denn eine Handlungspflicht des Garanten für das Leben eines anderen entfällt, wenn die gebotenen Rettungsbemühungen sicher erfolglos geblieben wären (BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rdn. 63). Das ist nach den von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen und tragfähig begründeten Feststellungen der Fall. Danach ging der Angeklagte A. - der objektiven Lage entsprechend (UA 78 f.) - nach der ersten Messerattacke des Björn Sch. davon aus, "dass der Outlaw durch die Messerstiche bereits tödlich verletzt sei" und selbst "bei sofort herbeigerufener Hilfe sterben" werde. Dasselbe hat das Landgericht bezüglich des Angeklagten S. festgestellt.
43
Da es durch das Sichentfernen der Angeklagten nicht zu einer Steigerung der für Dirk O. bestehenden Gefahr kam, haben sich die Angeklagten auch nicht nach § 221 StGB strafbar gemacht (vgl. SSW-StGB/Momsen, § 221 Rn. 10, 11).
44
f) Nach den getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht die Angeklagten zu Recht auch nicht des (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB schuldig gesprochen.
45
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst § 315b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu "pervertieren" und er dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt (Beschluss vom 16. März 2010 - 4 StR 82/10 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Ernemann, § 315b StGB Rn. 18). Einen solchen, mit dem Eingriff in den Straßenverkehr verbundenen Schädigungsvorsatz vermochte das Landgericht jedoch nicht festzustellen. Es kam vielmehr - rechtsfehlerfrei - zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte S. darauf vertraute, dass Dirk O. weder zu Fall kommt, noch auf den Pkw auffährt und dass eine solche Gefahr auch objektiv nicht bestand. Eine versuchte Anstiftung durch den Angeklagten A. (§ 30 Abs. 1, § 315b Abs. 1, 3, § 315 Abs. 3 StGB) liegt nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.
46
g) Soweit eine Verurteilung der Angeklagten nach § 323c StGB in Betracht kam (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 323c Rn. 18), hat der Senat das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
47
h) Auch die Rechtsfolgenaussprüche weisen - abgesehen von der den Angeklagten A. betreffenden Entscheidung nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB - keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
48
aa) Dies gilt auch, soweit der Generalbundesanwalt und die revisionsführende Staatsanwaltschaft beim Angeklagten A. die Prüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vermissen.
49
Denn es fehlt nach der vom Senat gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB, § 354a StPO zu beachtenden, am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Neufassung des § 66 StGB an Vorstrafen, die die dort geforderten Voraussetzungen erfüllen (vgl. BT-Drucks. 17/3403 S. 50). Insbesondere die im Jahr 2005 erfolgte Verurteilung wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und anderem ist nicht mehr geeignet, die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen.
50
bb) Die Revision der Staatsanwaltschaft führt jedoch zur Abänderung des Maßstabs für die Anrechung der in Portugal beim Angeklagten A. vollzogenen Auslieferungshaft, den das Landgericht mit 2:1 bestimmt hat.
51
Besondere Erschwernisse, die diesen Anrechnungsmaßstab rechtfertigen könnten, hat die Strafkammer - ersichtlich aufgrund des Schweigens des Angeklagten A. zur Person und zur Sache (UA 25) - nicht festgestellt. Im Hinblick darauf, dass in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union - auch in Portugal (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 251/10) - grundsätzlich Anhaltspunkte für eine andere Anrechnung als im Verhältnis 1:1 nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen sind, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab selbst entsprechend bestimmt (BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2003 - 5 StR 124/03, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 3; vom 4. Juli 2007 - 1 StR 298/07; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2005 - 2 BvR 1593/03).

III.


52
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
53
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. ist unbegründet.
54
a) Seine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
55
Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, grundsätzlich nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 Rn. 15 mwN). Handelt ein Mittäter aber mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz, ein anderer dagegen nur mit Verletzungsvorsatz, so ist letzterer - wenn er den tödlichen Ausgang für das Opfer vorhersehen konnte - zwar nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts , aber wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar (BGH, Urteil vom 19. August 2004 - 5 StR 218/04, NStZ 2005, 93 m. Anm. Heinrich). Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, mithin auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausgeführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beigetragen hat, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei dem Mittäter das Wissenselement des Tötungsvorsatzes vorlag und dieser allein deshalb fehlte, weil es am Willenselement mangelte (vgl. auch BGH, Urteile vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261, 262; vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 mwN).
56
So verhält es sich hier. Beide Angeklagten rechneten - wie ausgeführt - mit Körperverletzungen unter Einsatz von Waffen und Werkzeugen, auch eines Messers, und billigten diese. Ihnen war ferner bewusst, dass "die Aktion aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Die damit gegebene Vorhersehbarkeit des Todes von Dirk O. reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente des § 227 StGB aus; einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN).
57
b) Auch die Verurteilung des Angeklagten A. wegen mit der Körperverletzung mit Todesfolge und der Nötigung in Tateinheit stehenden Beteiligung an einer Schlägerei begegnet keinen Bedenken. Sie entspricht sowohl hinsichtlich der Bejahung des Tatbestandes des § 231 StGB als auch bezüglich der Konkurrenzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - 3 StR 236/08; Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN)
58
c) Entsprechendes gilt für den Schuldspruch wegen Nötigung. Diese wird hinsichtlich des Ausbremsens vom Verteidiger des Angeklagten A. nicht in Frage gestellt. Sie liegt aber auch hinsichtlich der Wegnahme der Kutte vor, bezüglich derer der Einsatz des Messers von Anfang an vom Vorsatz des Angeklagten A. umfasst war (vgl. auch UA 79).
59
d) Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Schwurgerichts, bei der vom Angeklagten A. begangenen Nötigung handle es sich um einen (unbenannten) besonders schweren Fall im Sinne des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB. Sie wird vom Tatgericht zutreffend auf das "besonders grobe" Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck gestützt.
60
e) Auch der Maßregelausspruch hält der Überprüfung stand. Zwar war der Angeklagte A. "nur" Beifahrer in dem vom Angeklagten S. gesteuerten Pkw. Indes hat der Angeklagte A. an der ihm zu Recht angelasteten Nötigung des Dirk O. durch das Ausbremsen nicht nur dadurch mitgewirkt, dass er den Angeklagten S. hierzu "verbal gedrängt" hat, sondern auch dadurch, dass er die "Weisung" für den Beginn des Überholmanövers gab. Dies rechtfertigt die Maßregel nach §§ 69, 69a StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2004 - 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617; Tepperwien in Festschrift Nehm, 2006, S. 427, 430).
61
2. Die Revision des Angeklagten S. ist ebenfalls unbegründet.
62
a) Die Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge und zur Beteiligung an einer Schlägerei sowie wegen Nötigung ist nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerfrei ist - wie ausgeführt - auch die Annahme von Tateinheit zwischen diesen Straftatbeständen.
63
b) Der Strafausspruch hält im Ergebnis ebenfalls der Überprüfung stand.
64
Zwar hat es das Schwurgericht unterlassen, beim Angeklagten S. trotz Vorliegens zweier vertypter Milderungsgründe (§ 27 Abs. 2, § 46b StGB) zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt. Der Senat schließt aufgrund der Besonderheiten des Falles jedoch aus, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn es lag im Hinblick auf die vom Landgericht zutreffend dargelegten Strafschärfungsgründe (u.a. Bewährungsversagen ) fern, einen minder schweren Fall gemäß § 227 Abs. 2 StGB ohne "Verbrauch" mindestens eines der vertypten Milderungsgründe anzunehmen. Wäre aber der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB einmal nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert worden, so wäre - bei nur geringfügig niedrigerer Strafrahmenobergrenze - die Strafrahmenuntergrenze höher gewesen als nach der vom Schwurgericht vorgenommenen doppelten Minderung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB.
65
Die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung begegnet beim Angeklagten S. auch angesichts der nur eingeschränkten Überprüfbarkeit dieser Bewertung in der Revision (vgl. Fischer aaO § 46 Rn. 85 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

IV.


66
Das nur geringfügige Obsiegen der Staatsanwaltschaft rechtfertigt keine Kostenteilung. Da mithin sowohl die Revisionen der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenkläger erfolglos geblieben bzw. entsprechend zu behandeln sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch diese Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO); eine Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf den Nebenkläger erfolgt nur dann, wenn dieser allein erfolglos Revision eingelegt hat, nicht dagegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführe- rin ist (§ 473 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. aber BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 5 StR 405/10). Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Revisionen der Angeklagten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Zwar sind auch die Revision der Nebenkläger erfolglos geblieben, dies rechtfertigt es jedoch nicht, von einer Auslagenerstattung zu ihren Gunsten abzusehen (§ 473 Abs. 1 Satz 2 StPO; zum Ganzen: BGH, Urteil vom 30. November 2005 - 2 StR 402/05).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR435/14
vom
13. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin F.
als Verteidigerin des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt R.
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin G.
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. März 2014 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seinen auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht festgestellt hat. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die aus Polen stammenden, alkoholisierten und unter dem Einfluss von Cannabis stehenden, zur Tatzeit 23 Jahre (K. ) und 33 Jahre (L. ) alten Angeklagten am Nachmittag des 9. Juli 2013 auf dem Platz am Neptunbrunnen nahe dem Berliner Alexanderplatz auf und baten andere Personen um Zigaretten. Dabei trat der Angeklagte L. bedrohlich dicht an einen Zeugen heran. Der Angeklagte K. zog L. beiseite.
3
Wenig später ging der muskulöse K. – bewusst in einem bedrohlich geringen Abstand – an dem auf einer Parkbank sitzenden schmächtigen , dunkelhäutigen Nebenkläger vorbei, dem er körperlich deutlich überlegen war. Dabei strahlte K. eine solche Aggressivität aus, dass er einem Zeugen auffiel, der eine Bank vom Nebenkläger entfernt saß und den Angeklagten als „potentielle Gefahr“ im Auge behielt. K. , der nach eigener Aussage „keine Neger mag“, störte sich an der dunklen Hautfarbe des Neben- klägers. Im Vorbeigehen beleidigte er ihn mit einem dem deutschen Wort „Ne- ger“ vergleichbaren Wort in polnischer Sprache. Der Nebenkläger, der der russischen Sprache mächtig ist, verstand dieses Wort. Er reagierte, indem er K. auf Russisch fragte, was er getan habe. K. blieb ruckartig stehen und wandte sich dem Nebenkläger zu; er ergriff ihn, zog ihn von der Parkbank hoch und begann, ihn zu schubsen. Auf erfolglose Versuche des Nebenklägers , den Angeklagten K. abzuwehren, schlug dieser den Nebenkläger mit drei wuchtigen Faustschlägen ins Gesicht zu Boden. K. versuchte, den benommen am Boden liegenden – sehr leichten – Nebenkläger an dessen Gürtel in die Luft zu heben und zu Boden fallen zu lassen. Dies verhinderte der Nebenkläger zunächst, indem er sich an der Hose des Angeklagten festkrallte. Als er jedoch das Bewusstsein verlor, nutzte K. dies aus, um den Nebenkläger an seinem Gürtel aufzuheben, sein Knie in das Gesicht des Nebenklägers zu stoßen und ihn schließlich mit dem Gesicht voran auf den Steinboden des Platzes fallen zu lassen. K. versetzte dem bewusstlos auf dem Boden liegenden Nebenkläger noch mindestens einen Faustschlag ins Gesicht, ließ dann aber von ihm ab, als L. eingriff und gegen den Kopf des Nebenklägers trat. L. erkannte, dass der Nebenklä- ger nicht unerheblich verletzt, ohne Bewusstsein und deshalb wehrlos war, trat aber aus fremdenfeindlicher Verachtung ein zweites Mal gegen dessen Kopf. Bevor er dem Nebenkläger einen weiteren Tritt versetzen konnte, näherten sich von verschiedenen Seiten Passanten und forderten die Angeklagten lautstark auf, vom Nebenkläger abzulassen. Daraufhin entfernten sich die Angeklagten vom Tatort.
4
Passanten kümmerten sich um den verletzten Nebenkläger und sorgten dafür, dass er in eine Klinik gebracht wurde, in der er bis zum 23. Juli 2013 stationär behandelt wurde. Er hatte unter anderem einen Bruch der rechten Augenhöhlenwand und des Nasenbeins, ein Schädelhirntrauma sowie eine dünne Blutung unter die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) und eine minimale Einblutung ins Hirngewebe (Kontusionsblutung) erlitten. Seine Verletzungen waren potentiell, nicht aber konkret lebensgefährlich.
5
2. Das Landgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung – mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie gemeinschaftlich begangen – gewürdigt und ausgeführt, es habe sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass die Angeklagten den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf nahmen. Dagegen spreche, dass es sich um eine „spontane, unüberlegte und sehr kurz andauernde Tat“ gehandelt habe. Die Angeklagten hätten aufgrund einer mehrjährigen Erfahrung als Kickboxer (K. ) beziehungsweise aufgrund verschiedener Schlägereien als Fußballfan (L. ) möglicherweise ihre Kräfte besser als andere Täter einschätzen können, so dass der Nebenkläger nicht noch schwerer verletzt worden sei. Zudem hätten die Angeklagten in einer „(gruppen-)dynamischen Situation“ gestanden sowie unter erheblichem Einfluss von Alkohol und Cannabis, deren Wirkung sie möglicherweise leichtfertig darauf vertrauen ließ, ein tödlicher Erfolg werde nicht eintreten. Die Gewalthandlungen der Angeklagten hätten „keine schwersten Kopfverletzungen, insbesondere keinen Bruch des Schädels,“ herbeigeführt. Der Umstand, dass die Tat auf öffent- lichem Straßenland vor zahlreichen Zeugen stattgefunden habe, weise darauf hin, „dass eine Schlägerei – auffür den Geschädigten schreckliche Art – ‚aus dem Ruder lief', die Angeklagten aber den Tod des Nebenklägers jedenfalls nicht billigend in Kauf nahmen“ (UA S. 25). Dass ihre tatmotivierende Fremden- feindlichkeit so weit gegangen sei, auch den Tod eines Menschen billigend in Kauf zu nehmen, lasse sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Strafkammer hat nicht ausschließen können, dass sich die Angeklagten bei Tatbegehung in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) befanden.
6
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tötungsvorsatz hält – auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, da sie lückenhaft ist.
7
a) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt nicht verkannt, dass die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443). Bei dessen Prüfung ist es aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dem genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht, da mehrere wesentlich für einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten sprechende tatsächliche Umstände nicht bedacht werden.
8
b) Soweit die Strafkammer gegen das Vorliegen des voluntativen Ele- ments eines Tötungsvorsatzes ausführt, es habe sich um eine „spontane, unüberlegte und sehr kurz andauernde“ Tat gehandelt, berücksichtigt sie nicht, dass beide Angeklagte gegen den bereits bewusstlosen Nebenkläger mehrere gefährliche Gewalthandlungen ausführten und mit diesen erst aufhörten, als sich Passanten näherten und sie lautstark aufforderten, vom Nebenkläger abzulassen. Der Tatsache, dass die Angeklagten nicht freiwillig mit der Misshandlung des Nebenklägers aufhörten, kann ein hoher Indizwert für ihre innere Einstellung gegenüber einer möglichen Tötung des Nebenklägers zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640). Das gewollte weitere Tun kann den Schluss nahelegen, dass ihnen die Folgen ihrer Tat bis hin zum möglichen Tod des Nebenklägers gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz genügen und war mithin erörterungsbedürftig.
9
Zudem sprechen die Urteilsfeststellungen zum Verhalten der – berauschten – Angeklagten vor der Tat gegen ein spontanes und unüberlegtes Handeln, sondern eher dafür, dass sie bewusst Streit suchten. Dass es sich bei der Misshandlung des Nebenklägers um eine aus dem Ruder gelaufene „Schlägerei“ (UA S. 25)gehandelt haben könnte, wird durch die Feststellungen widerlegt. Danach beschränkte sich der zunächst vom Angeklagten K. – grundlos – körperlich angegriffene Nebenkläger auf Schutzwehr, zu der er wegen eintretender Bewusstlosigkeit alsbald schon nicht mehr in der Lage war. Er hatte in keiner Weise zu einer Eskalation des Geschehens über ein von den Angeklagten möglicherweise ursprünglich gewolltes begrenztes Maß hinaus beigetragen. Es ist auch nicht belegt oder sonst ersichtlich, dass eine von der Schwurgerichtskammer angenommene „gruppendynamische Situation“ vorlag, bei der sich die Entstehung oder zumindest das Ausmaß der Gewalttätigkeit der Angeklagten ausschließlich aus ihrer Interaktion untereinander oder mit dem Nebenkläger oder den Umstehenden ergab. Abgesehen davon stünden stattgehabte gruppendynamische Prozesse der Entwicklung eines – anfangs nicht vorhandenen – bedingten Tötungsvorsatzes in ihrem Verlauf auch keineswegs entgegen, sondern könnten sie im Gegenteil gerade gefördert haben.
10
c) Soweit die Strafkammer meint, aus der – rechtsfehlerfrei festgestellten – fremdenfeindlichen Motivation der Angeklagten keinen Tötungsvorsatz schlussfolgern zu können, berücksichtigt sie nicht, dass die Angeklagten noch in der Hauptverhandlung ihre anhaltende Missachtung für den anwesenden Nebenkläger durch höhnisches Lachen über ein Foto des schwer im Gesicht Verletzten sowie „demonstratives Gähnen, Lümmeln und Lachen“ während der Beweisaufnahme (UA S. 14) zum Ausdruck gebracht haben. Dieses Verhalten kann darauf schließen lassen, dass sie das Leiden des – in ihren Augen „min- derwertigen“ (UA S. 11) – Nebenklägers und die ihm zugefügtenerheblichen Verletzungen bagatellisierten. Dieses auf einer „tief dissozialen Prägung“ beru- hende Verhalten (UA S. 14) der Angeklagten kann ein Indiz dafür sein, dass sie auch weitergehende Verletzungen des Nebenklägers bis hin zu seinem Tod billigend in Kauf genommen hätten, und wäre mithin zu erörtern gewesen.
11
d) Wenn die Strafkammer eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung bejaht, so geht sie davon aus, dass die Tat in der Vorstellung der Angeklagten auf eine Lebensgefährdung „angelegt” war (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 4 StR 318/89, BGHSt 36, 262, 265). Demnach erkannten die Angeklagten trotz ihrer Beeinflussung durch Alkohol und Cannabis die Lebensgefährlichkeit ihrer Gewalthandlungen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass sie dennoch darauf vertraut haben könnten, der Nebenkläger werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festge- stellt. Soweit es zugunsten der Angeklagten davon ausgeht, dass sie aufgrund ihrer Gewalterfahrenheit die Wirkung ihrer Verletzungshandlungen möglicherweise besser als andere Täter einschätzen konnten, weist die Revision zu Recht darauf hin, dass es nach Vornahme einer potentiell lebensgefährlichen Handlung grundsätzlich dem Zufall anheim gegeben bleibt, ob die Lebensgefahr sich konkretisiert und letztlich zum Tod führt.
12
4. Der aufgezeigte Rechtsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen; jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben. Ergänzende, ihnen nicht widersprechende Feststellungen durch das neue Tatgericht sind zulässig.
Sander Schneider Dölp
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 45/13
vom
16. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten D. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2012 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt, rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Ablehnung des (bedingten) Tötungsvorsatzes der Angeklagten durch das Landgericht. Das Rechtsmittel ist unbegründet; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachbeschwerde ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) der Angeklagten.

I.

2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Morgen des 17. September 2011 kam es in der Nähe einer Diskothek in A. zunächst zu einem verbalen Konflikt zwischen einer Gruppe um die - erheblich alkoholisierten und in ihrer Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich verminderten - Angeklagten und dem Geschädigten S.. Dieser begab sich danach zum Eingangsbereich der Diskothek und setzte sich auf die dortigen Stufen. Nachdem die Angeklagten und zwei ihrer Begleiter ein Taxi bestiegen hatten und aus diesem Fahrzeug heraus beim Vorbeifahren an dem Geschädigten und dessen Bekannten K. ein sogenannter "Stinkefinger" gezeigt worden war, stand K. auf, folgte dem Taxi und schlug gegen die Scheibe, um die Insassen zu einer Klärung aufzufordern. Die Insassen des Taxis stiegen aus. Einer von ihnen, der Zeuge Sch. , begab sich sogleich zum Zeugen K. , worauf sich zwischen diesen beiden eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen ergab. Der Geschädigte ging in die Richtung der Streitenden, um K. aus der Auseinandersetzung herauszuholen. Daraufhin kam es zwischen dem Angeklagten D. und dem Geschädigten ebenfalls zu Beleidigungen und zu einem Gerangel. Schließlich versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten zwei bis drei gezielte heftige Faustschläge in das Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Der Angeklagte D. beugte sich sodann herunter und schlug jedenfalls ein weiteres Mal mit der Faust auf den Oberkörper oder in das Gesicht des Geschädigten, wobei dieser versuchte, sich durch seine Hände und Arme vor der Wucht der Schläge zu schützen. Der Angeklagte G. , der sich bis dahin irgendwo im Umfeld des Geschehens aufgehalten hatte, ohne selbst einzugreifen, kam hinzu, als der Geschädigte bereits am Boden lag, um mit seinem Freund D. gemeinsam auf den Geschädigten einzuwirken. Der Angeklagte G. trat aus dem Lauf heraus mit der Innenseite seines mit Straßenturnschuhen beschuhten linken Fußes wuchtig gegen den Kopf des Geschädigten. In schneller Abfolge folgten von diesem Angeklagten ausgeführte vier bis fünf weitere Tritte in das Gesicht des am Boden Liegenden. Der Angeklagte D. , der leichte Straßenturnschuhe trug, nahm dies wahr, billigte das Vorgehen seines Freundes G. und trat nunmehr ebenfalls zwei- bis dreimal heftig auf das sich nicht mehr wehrende Opfer ein. Die Tritte gingen jedenfalls auch gezielt auf den Kopf des Opfers. Sie waren wuchtig und potentiell lebensbedrohlich, ohne dass es allerdings zu einer konkreten Lebensgefahr kam. Schließlich ließ der Angeklagte D. von dem Geschädigten ab und lief, sich die Jacke über den Kopf ziehend, in Richtung einer nahegelegenen Tankstelle davon. Der Angeklagte G. führte noch einen Tritt aus und flüchtete dann, sich seine Jacke ebenfalls über den Kopf ziehend, unmittelbar hinter dem Angeklagten D. her. Bei der Tankstelle blieben sie gut sichtbar stehen.
4
Infolge der Gewalteinwirkung durch die Angeklagten erlitt der Geschädigte im Wesentlichen eine Fraktur des Orbitabogens links, eine Kieferhöhlenfraktur links sowie eine Nasenbeinfraktur. Er verlor insgesamt drei Zähne. Im Bereich des linken Auges bis hinunter zum Jochbogen hatte er ein sogenanntes Monokelhämatom. Der Geschädigte verbrachte einen Tag im Krankenhaus; er litt auch danach noch in erheblichen Umfang und längere Zeit an den psychischen Folgen der Tat, die auch zum Verlust seines Arbeitsplatzes führten.
5
2. Den Schuldspruch hat das Landgericht auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB gestützt. Die Angeklagten hätten jedenfalls billigend in Kauf genommen, mit ihren wuchtigen Tritten gegen den Kopf des Geschädigten er- hebliche Körperverletzungen hervorzurufen. Demgegenüber hat das Landgericht nicht sicher feststellen können, "dass der vor Beginn der Tathandlung gefasste Entschluss einen Tötungsvorsatz enthielt" oder die Angeklagten "im Verlauf der Geschehnisse einen Tötungsvorsatz fassten". Die Jugendkammer hat daher den Tatbestand des versuchten Totschlags nicht festzustellen vermocht. Dies hat das Landgericht ausführlich und im Einzelnen begründet. Dabei hat es sich davon überzeugt, dass das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei den Angeklagten gegeben war, aber unter Abwägung der festgestellten Gesamtumstände das Vorliegen des Willenselementes des bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten nicht ohne vernünftige Zweifel festzustellen vermocht.

II.

6
Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung , auf welcher die Überzeugung der Jugendkammer beruht, ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz sei nicht zweifelsfrei festzustellen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens - als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen , wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre.
8
Gleichermaßen allein Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich gewesen sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Umstandes, die einer Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widerspräche.
9
Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN).
10
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten.
11
2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Beweiswürdigung weitgehend mit eigenen Wertungen; damit kann die Revision regelmäßig nicht erfolgreich begründet werden. Im Einzelnen:
12
Das Landgericht ist bei seiner Würdigung der Feststellungen und Beweisanzeichen von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Jugendkammer habe den Indizwert der Tritte gegen den Kopf des Geschädigten und das äußere Tatgeschehen für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu gering bewertet, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Gewichtung der objektiven Tatumstände und die Bewertung ihrer Bedeutung für den subjektiven Tatbestand sind allein dem Tatrichter vorbehalten. Dies gilt auch bei Tritten des Täters gegen den Kopf des Opfers, die nicht stets und gleichsam automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründen. Auch die Einordnung und Würdigung der - ambivalenten - Beweisanzeichen einer erheblichen Alkoholisierung und eines spontanen Handelns in affektiver Erregung obliegen dem Tatrichter (BGH, aaO, juris Rn. 16). Zudem ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen , unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 mwN). Ebenso dem Tatrichter vorbehalten ist die Entscheidung, welcher Stellenwert dem Nachtatverhalten des Täters im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung beizumessen ist. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten nach der Tat, das nach den Feststellungen nicht nur von einer Flucht unter Verbergen des Gesichts, sondern auch durch ein sichtbares Verbleiben in der Nähe des Tatortes gekennzeichnet war, unter Heranziehung aller insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt. Der Senat kann mit Blick auf die Urteilsgründe ausschließen, dass die Jugendkammer bei der Bewertung der Verletzungen des Geschädigten die von ihr festgestellten Gesichtsschädelfrakturen außer Acht gelassen hat. Die Würdigung des Landgerichts, es könne trotz der Heftigkeit der Tritte nicht ausgeschlossen werden, dass die - fußballerisch erfahrenen - Angeklagten nicht mit der ihnen möglichen vollen Wucht auf den Kopf des Opfers eintraten, stellt angesichts der hierfür herangezogenen Umstände eine mögliche Schlussfolgerung dar; diese ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
13
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke
7
a) Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fern liegende Folge seines Handelns erkennt (Wissens- element) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183 Rn. 26), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen ist (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive, als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, aaO, mwN; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, aaO, vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Umstände im Einzelfall – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 364/13
vom
9. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. Oktober 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 25. April 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung (Fall B. I. 2 der Urteilsgründe ) verurteilt worden ist, jedoch können die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine als Schwurgericht zuständige andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit falscher uneidlicher Aussage in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung wegen versuchten Mordes u.a. im Fall B. I. 2 der Urteilsgründe war aufzuheben, weil das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet hat.
3
1. Zum Tatgeschehen in der Nacht vom 27. auf den 28. April 2012, das allein der Erörterung bedarf, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der Angeklagte befuhr mit seinem Pkw Mercedes Kombi öffentliche Straßen in und um K. , obwohl er keine Fahrerlaubnis besaß. Außerdem war er alkoholbedingt fahruntüchtig, was er zumindest hätte erkennen können und müssen. Als er einer Polizeikontrolle unterzogen werden sollte, missachtete er das ihm gegebene Haltesignal („Stopp Polizei“) und floh mit seinem Pkw. Bei der anschließenden Fahrt durch das Stadtgebiet von K. beging er mehrere Verkehrsverstöße und überfuhr alkoholbedingt mehrmals die Fahrbahnmarkierung. Als er an einer Einmündung anhalten musste, weil sich ihm der Zeuge S. mit seinem Pkw quer in den Weg gestellt hatte, stoppten die verfolgenden Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug hinter dem Wagen des Angeklagten. Die Polizeibeamtin W. stieg aus, klopfte auf der Beifahrerseite an die Fahrzeugtür des Angeklagten und forderte ihn zum Öffnen der verschlossenen Beifahrertür auf, um seine Personalien festzustellen und eine Alkoholisierung zu überprüfen. Der Angeklagte leistete den Aufforderungen keine Folge, sondern rangierte mehrmals hin und her. Die Zeugin W. musste mehrere Schritte zurückgehen, um nicht zwischen dem Pkw des Angeklagten und einem am Fahrbahnrand geparkten Pkw eingeklemmt zu werden. Der Angeklagte setzte noch weitere Male vor und zurück, wobei er der Zeugin W. über den rechten Fuß fuhr und gegen das Dienstfahrzeug der Polizei stieß, an dem dadurch ein von ihm billigend in Kauf genommener Sachschaden in Höhe von 1.136,01 Euro entstand. Die Zeugin W. begab sich schließlich vor den Pkw des Angeklagten und forderte ihn aus einem Abstand von zwei bis vier Metern zum Anhalten auf. Der Angeklagte fuhr nun, auch diese Aufforderung missachtend, mit Vollgas an und flüchtete, indem er durch eine zwischen dem Bordstein und dem Pkw des Zeugen S. bestehende etwa 1,6 Meter breite Lücke hindurchfuhr. Die Zeugin W. konnte sich durch einen Sprung zur Seite und ein seitliches Wegdrehen in Sicherheit bringen, wurde jedoch von der vorderen rechten Stoßstange des Pkw des Angeklagten im Bereich des linken Knies erfasst. Dadurch erlitt sie Abschürfungen sowie Schmerzen am linken Knie.
5
Dem Angeklagten kam es bei diesem Vorgehen allein darauf an, sich der Polizeikontrolle zu entziehen, um seine Identifizierung und die Feststellung seiner Alkoholisierung zu verhindern. Er nahm dabei in Kauf, dass er die Zeugin W. mit dem Pkw anfuhr, dass sie unter den Pkw geriet oder unglücklich zu Boden stürzte, wodurch sie schwere, möglicherweise sogar tödliche Verletzungen erleiden könnte. Hierzu kam es nur deshalb nicht, weil die Zeugin W. sehr schnell reagierte und es ihr gelang auszuweichen.
6
Auf seiner anschließenden Fluchtfahrt missachtete der Angeklagte erneut die Vorfahrt und stieß mit seinem Pkw gegen einen Omnibus, an dem ein Sachschaden in Höhe von 2.613,01 Euro entstand. Obwohl er den Anstoß bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt ohne anzuhalten fort. Nach einem weiteren erfolglosen polizeilichen Anhalteversuch und einem erneuten Unfall konnte der Angeklagte schließlich festgenommen werden.
7
b) Der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes liegen die folgenden Erwägungen zugrunde: Das gesamte Verhalten des Angeklagten sei dadurch motiviert gewesen, der Polizei zu entkommen und einer Kontrolle zu entgehen. Dabei habe er auch vor und nach dem Vorfall äußerst rücksichtslos gehandelt. Daraus werde deutlich, dass ihm andere Personen völlig gleichgültig gewesen seien. Auch das Zufahren mit Vollgas auf die wenige Meter vor ihm stehende Polizeibeamtin stelle ein erheblich rücksichtsloses Verhalten dar. Aufgrund der Gesamtsituation – der Entfernung zwischen der Polizeibeamtin W. und seinem Pkw und der relativ engen Lücke – habe er nicht darauf vertrauen können , dass sie es rechtzeitig schaffen würde, sich durch einen Schritt oder Sprung in Sicherheit zu bringen. Auch gelte es zu berücksichtigen, dass dem Angeklagten bewusst gewesen sei, dass ihn die Polizeibeamtin an einer Weiterfahrt habe hindern wollen und er deshalb nicht davon habe ausgehen können, dass sie ihn anstandslos vorbeifahren lassen würde. Aufgrund dieser Situation habe auch der Angeklagte damit rechnen müssen, „dass PHMin W. nicht mehr rechtzeitig ausweichen könnte oder beim Ausweichen stolpern würde und entweder durch sein Fahrzeug umgestoßen und überfahren oder nach einem Sturz auf die Motorhaube zu Boden fallen könnte, wobei es zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen hätte kommen können“.
8
2. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
a) Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 f. mwN). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens-, als auch für das Willenselement (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich besonders gefährliche Gewalthandlung begangen, kann im Einzelfall allein daraus der Schluss auf ein Wissen um die vorhandene Lebensgefahr und deren Inkaufnahme gezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN). Der Tatrichter ist jedoch nicht gehalten , seinen Feststellungen zur objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen (BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; vgl. Urteil vom 9. Januar 2013 – 5 StR 395/12, NStZ-RR 2013, 169).
10
b) Den Anforderungen an die gebotene Gesamtbetrachtung wird die Beweiswürdigung zur inneren Tatseite nicht gerecht.
11
Die Erwägung, der Angeklagte habe aufgrund der Gesamtsituation nicht darauf vertrauen können, dass sich die Zeugin W. rechtzeitig in Sicherheit bringen würde, und deshalb damit rechnen müssen, dass es bei ihr zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen kommen konnte, findet in dem mitgeteilten Beweisergebnis keine ausreichende Stütze. Nach den vom Landgericht für schlüssig und nachvollziehbar erachteten Ausführungen des KfzSachverständigen We. vermochte der Angeklagte seinen Pkw bis zum Standort der Zeugin W. maximal auf 16 km/h zu beschleunigen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Gefahrerkennungs- und Reaktionszeit verblieb der Zeugin eine Zeitspanne von wenigstens einer Sekunde, um sich in Sicherheit zu bringen. In dieser Zeit konnte sie mindestens einen Meter zurücklegen. Da tödliche Aufprallverletzungen erst ab einer Geschwindigkeit von 40 km/h zu erwarten seien, wurden tödliche Folgen von dem Sachverständigen We. nur für den Fall in Betracht gezogen, dass es zu einem Sturz der Zeugin W. nach hinten (etwa in Folge eines Stolperns oder Abstoßens von der Motorhaube ) und danach zu einem Überrollen durch den Pkw des Angeklagten gekommen wäre. Der medizinische Sachverständige Prof. Dr. B. hat tödliche Verlet- zungen daneben auch für den Fall für „denkbar“ gehalten, dass die Zeugin auf die Motorhaube aufgeladen worden wäre und sich daran ein Sturz von der Motorhaube mit unglücklichem Aufprall angeschlossen hätte. Auch diesen Ausführungen ist das Landgericht gefolgt. Weder die Angaben des Sachverständigen We. , noch diejenigen des Sachverständigen Prof. Dr. B. belegen, dass das Leben der Zeugin W. so konkret und erheblich in Gefahr gebracht worden ist, dass daraus ohne ergänzende Erwägungen der Schluss gezogen werden könnte, der Angeklagte habe – entgegen seiner anderslautenden Erklärung in der Hauptverhandlung – ein ernst zu nehmendes Todesrisiko für gegeben erachtet und in Kauf genommen.
12
Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang auf die zu Tage getretene Rücksichtslosigkeit des Angeklagten und seinen unbedingten Fluchtwillen hinweist, werden keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die auf eine weiter gehende Risikoeinschätzung hindeuten. Zwar können sich aus einem risikogeneigten Gesamtverhalten und der sich aus der Art des Handlungsantriebes ergebenden Stärke des Tatanreizes (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318; Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22) Rückschlüsse auf eine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben, doch ist dies vornehmlich für das Willenselement von Bedeutung. Welche konkrete Folgenerwartung (Wissenselement) der Täter mit seiner Tat verknüpft hat, kann dagegen nur sehr begrenzt aus seiner Risikobereitschaft und seinem Tatmotiv erschlossen werden.
13
Der Umstand, dass der Angeklagte die Flucht erzwang, obwohl ihn die Zeugin W. an einer Weiterfahrt hindern wollte, vermag eine erhöhte Risikoeinschätzung für sich genommen ebenfalls nicht zu begründen. Erfahrungsgemäß weichen Polizeibeamte Kraftfahrern aus, die eine Polizeisperre durchbrechen wollen, obgleich es ihnen gerade auf deren Anhaltung ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 1995 – 4 StR 628/95, NStZ-RR 1996, 97; Beschluss vom 12. Mai 1992 – 4 StR 181/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vor- satz, bedingter 28; Urteil vom 21. Oktober 1982 – 4 StR 511/82, VRS 64, 191, 192). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im konkreten Fall Grund für die Annahme hatte, die Zeugin W. werde zur Durchsetzung ihrerberechtigten Anhalteaufforderung ein erhöhtes Eigenrisiko eingehen, können dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.
14
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

II.


15
Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes erfasst auch die Verurteilung wegen der hierzu in Tateinheit stehenden Delikte (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 465/11; Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Neue Feststellungen sind zulässig, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
16
Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes u.a. hat die Aufhebung der dafür verhängten Einzelstrafe zur Folge. Dies entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Maßregelanordnung war aufzuheben, weil sie nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StGB an die aufgehobenen Verurteilungen wegen Trunkenheit im Verkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort geknüpft ist. Der Adhäsionsausspruch bleibt bestehen, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch anerkannt hat (§ 406 Abs. 2 StPO) und die Wirksamkeit des Anerkenntnisses von ihm nicht in Frage gestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2006 – 4 StR 570/05, NJW 2006, 1890, 1891, insoweit in BGHSt 50, 370 nicht abge- druckt).
17
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Ausführungen der Revision zu § 113 Abs. 1 StGB im Schriftsatz vom 27. September 2013 (Rechtsanwalt Wei. ) liegen neben der Sache. Allerdings wird der neue Tatrichter zu beachten haben, dass die Annahme eines besonders schweren Falls des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Feststellung voraussetzt, dass der Täter den angegriffenen Amtsträger durch eine Gewalttätigkeit in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB) gebracht hat (vgl. Rosenau in LK-StGB, 12. Aufl., § 113 Rn. 86). Dabei muss die Gefahr zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt worden sein (BGH, Urteil vom 24. Juli 1975 – 4 StR 165/75, BGHSt 26, 176, 180 ff.).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin
5 StR 360/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 1. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
1.
,
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
am 30. November und 1. Dezember 2011, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof ,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt W.
als Verteidiger für den Angeklagten D. ,
Rechtsanwalt M.
als Verteidiger für den Angeklagten S. ,
Rechtsanwältin K.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
am 1. Dezember 2011 für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 25. Februar 2011 betreffend den Angeklagten S. mit den zugehörigen Feststellungen hinsichtlich III. Fall 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Jugendstrafe aufgehoben. 2. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das vorgenannte Urteil betreffend diesen Angeklagten mit den zugehörigen Feststellungen hinsichtlich III. Fall 3 der Urteilsgründe sowie im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben; seine weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten D. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von einem Jahr der Jugendstrafe vor der Maßregel angeordnet. Darüber hinaus hat es ihn verur- teilt, an den Neben- und Adhäsionskläger L. ein Schmerzensgeld in Hö- he von 10.000 € nebst Zinsen zu zahlen sowie seine Verpflichtung zum Er- satz weiterer Schäden wegen des Vorfalls vom 5. Juni 2010 festgestellt. Den Angeklagten S. hat es wegen gefährlicher sowie schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und diese zur Bewährung ausgesetzt.
2
Die Revision des Angeklagten D. führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall III.3 der Urteilsgründe und im gesamten Rechtsfolgenausspruch. Sie ist unbegründet hinsichtlich des Schuldspruchs im Fall II sowie hinsichtlich der Fälle III.1 und 2. Insoweit hat die revisionsgerichtliche Überprüfung keinen Rechtsfehler ergeben. Die zu Ungunsten des Angeklagten S. eingelegte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft , die den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (III.1 der Urteilsgründe) vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat, ist erfolgreich.
3
1. Zum Tatgeschehen vom 5. Juni 2010 (III der Urteilsgründe), das allein näherer Erörterung bedarf, hat die Jugendkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der damals fast 19 Jahre alte, mehrfach auch einschlägig vorbestrafte Angeklagte D. war gemeinsam mit dem 17 Jahre alten, wegen jugendtypischer Straftaten mit Bagatellcharakter vorgeahndeten Mitangeklagten S. am Tatabend im Stadtgebiet von Hamburg-Harburg unterwegs. Die alkoholisierten Angeklagten schlugen den Passanten Kn. , von dem sie sich provoziert fühlten, jeweils mit der Faust gegen den Kopf. Nachdem dieser bei einer Rangelei zu Boden gegangen war, schlugen und traten beide Angeklagten weiter auf ihn ein, bis andere Passanten zugunsten des Geschädigten eingriffen (Fall 1).
5
Nachdem Kn. auf seinem Fahrrad geflüchtet war, wandten sich die Angeklagten den bislang unbeteiligten Zeugen Di. und seiner Lebensge- fährtin De. zu. D. forderte den Zeugen auf, mit ihm zu kämpfen, schlug ihn gegen den Oberarm und Rücken. Er streifte den weitergehenden Zeugen durch einen kampfsportartigen Tritt in Richtung des Rückens. Der Angeklagte S. , der sich an den Gewalttätigkeiten gegen Di. nicht beteiligte, forderte D. auf, den Zeugen in Ruhe zu lassen (Fall 2).
6
D. wandte sich nun dem unbeteiligt in unmittelbarer Nähe an einer Straßenecke stehenden Nebenkläger L. zu. D. schlug ihm unvermittelt so heftig ins Gesicht, dass der durch einen früher erlittenen Schlaganfall gesundheitlich vorgeschädigte Nebenkläger „wie ein Baum“ zu Boden fiel und verteidigungsunfähig liegen blieb (UA S. 21). Sodann trat D. ihm mehrfach in den Bauch und gegen den Oberkörper. „Völlig über- raschend“ lief in diesem Moment der Angeklagte S. zu dem am Boden liegenden Nebenkläger und trat ihm „mit voller Wucht“ (UA S. 21) von oben auf den Kopf, der dadurch zwischen Schuh und Straßenpflaster eingeklemmt wurde. Unmittelbar nach dem Tritt flüchtete S. , während D. mit der Faust noch zwei- bis dreimal „in Richtung Gesicht, möglicherweise auch ge- gen den Körper“ des Nebenklägers schlug (UA S. 22). Dieser erlitt potentiell lebensgefährliche Schädelverletzungen und es kam zur Vernarbung einer Arterie im Gehirn. Infolgedessen hat sich sein Allgemeinzustand erheblich verschlechtert. Aufgrund der Vernarbung der Gehirnarterie besteht die Gefahr , dass er einen weiteren Schlaganfall erleiden könnte (Fall 3).
7
b) Die Jugendkammer vermochte keinen (bedingten) Tötungsvorsatz des Angeklagten S. festzustellen: Es fehle bereits am kognitiven Vorsatzelement , weil S. im Zeitpunkt der Tat derart von aggressiven Gefüh- len überwältigt worden sei, dass er die Gefährlichkeit seines Handelns „nicht mehr vollumfänglich reflektieren konnte“ (UA S. 51). Hingegen geht das Tatgericht davon aus, dass der Angeklagte D. die Lebensgefährlichkeit des von S. geführten Tritts gegen den Nebenkläger erkannte und die Möglichkeit seines Todes billigend in Kauf nahm.
8
Bei der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten S. kommt die Jugendkammer zu dem Ergebnis, dass dieser im Fall 3 „durch einen Ge- fühlsausbruch im Zusammenwirken mit Alkohol als konstellativem Faktor re- gelrecht ‚überflutet‘ worden ist von ihm bisdahin unbekannten aggressiven Persönlichkeitsanteilen“ (UA S. 45) und dies bei ihm einen „Verwirrtheitszustand“ ausgelöst habe. Seine Steuerungsfähigkeit sei daher hier – anders als im Fall 1, in dem er voll schuldfähig gewesen sei – aufgrund einer tiefgreifen- den Bewusstseinsstörung „nicht unerheblich eingeschränkt“ gewesen.
9
2. Die Ablehnung des Tötungsvorsatzes beim Angeklagten S. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
a) Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es – wovon auch das Landgericht im Ansatz zutreffend ausgeht – nahe, dass der Täter mit dem Eintritt des Todes seines Opfers rechnet; indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, nimmt er einen solchen Erfolg billigend in Kauf (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 7. August 1986 – 4StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, und vom 20. Juni 2000 – 5 StR 25/00, NStZ-RR 2000, 328; zu Tritten gegen den Kopf: BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 1 StR 178/05 – und vom 23. August 2011 – 1 StR 153/11, Rn. 51). Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des Täters auf bedingten Tötungsvorsatz möglich und regelmäßig ein Vertrauen des Täters auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges zu verneinen, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 28. April 1994 – 4 StR 81/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38).
11
Die Brutalität der Tathandlung und die Augenfälligkeit der hiermit verbundenen Lebensgefahr machten hier das Todesrisiko kognitiv leicht erfass- bar. Dies drängt sich selbst bei Annahme erheblich verminderter „Reflekti- onsfähigkeit“ (UA S. 51) auf. Angesichts dessen ist die Verneinung des Tö- tungsvorsatzes unter Hinweis darauf, der Angeklagte S. habe „die volle Tragweite“ seiner Handlungen infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstö- rung nicht erkennen und deren Gefahr nicht realistisch einschätzen können, nicht hinreichend begründet.
12
b) Hinzu kommt, dass die Begründung, mit der die Jugendkammer eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung im Fall 3 bejaht, lückenhaft und in wesentlichen Punkten widersprüchlich ist.
13
Bei der unmittelbar vorangegangenen Tat (Fall 1) hat die Jugendkammer – im Einklang mit beiden Sachverständigen – keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gefunden. Seine Alkoholisierung – durch Rückrechnung der knapp sechs Stunden nach der Tat festgestellten Blutalkoholkonzentration ermittelt sie einen maximalen Tatzeitwert von 2,3 bis 2,4 ‰ – hält sie angesichts des langen Rückrechnungszeitraums und des Fehlens alkoholbedingter Ausfallerscheinungen zu Recht nicht für allein ausschlaggebend. Hinsichtlich seiner Schuldfähigkeit bei dem nur wenige Augenblicke später erfolgenden Angriff auf den Nebenkläger (Fall 3) kommt die Jugendkammer zu einem anderen Ergebnis. Besondere Bedeutung misst sie dabei der Tatsache zu, dass sich der AngeklagteS. zuvor im Fall 2 beschwichtigend verhalten hat und der Tathergang – entsprechend der Analyse des Sachverständigen A. – somit einen „logi- schen Bruch“ aufweise. Aus diesem „logischen Bruch“ folgert das Tatgericht einen „Verwirrtheitszustand“ des Angeklagten S. imZeitpunkt der Tatbegehung im Fall 3.
14
Die Annahme eines „unerklärlichen Verhaltensumschwungs“ findet in den Feststellungen zum Vorgehen des Angeklagten S. keine Stütze: Bereits im Fall 1 nahm er – gemeinsam mit D. – eine allenfalls geringfügige Provokation durch den Geschädigten zum Anlass, diesem Faustschläge ge- gen den Kopf zu versetzen und dem bereits auf dem Boden Liegenden gegen den Oberkörper und den Kopf zu treten. Gegenüber diesem Verhalten mag die Tat des Angeklagten S. im Fall 3 zwar eine Intensivierung der Gewaltanwendung darstellen; einen „logischen Bruch“ dokumentiert dieser Tatablauf auch unter Berücksichtigung des Verhaltens im Fall 2 gerade nicht.
15
Allein aus der – scheinbaren – Unerklärlichkeit der von der Jugendkammer erkannten Verhaltensänderung des Angeklagten kann überdies nicht auf einen diese bedingenden, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindernden „Überflutungs- und Verwirrtheitszustand“ geschlos- sen werden, der ein Eingangsmerkmal der §§ 20, 21 StGB erfüllt.
16
3. Die Annahme eines Tötungsvorsatzes des BeschwerdeführersD. ist in den Urteilsgründen nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
17
a) Die Jugendkammer hat D. die Handlung des Mitangeklagten S. über § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet. Sie stellt insoweit zunächst fest, D. habe erkannt und „billigend in Kauf“ genommen, dass der Nebenklä- ger „durch den Kopftritt des Angeklagten S. zuTode kommen könnte“ (UA S. 21). An anderer Stelle führt sie beweiswürdigend aus, dass beide Angeklagte einen wesentlichen Tatbeitrag im Rahmen eines bestehenden Tat- plans geleistet hätten. Letzterer sei „während der Tat“ dahingehend gefasst worden, den Nebenkläger „unter Ausübung von Schlägen und Tritten anzu- greifen“ (UA S. 47). Diese Annahme sieht das Tatgericht belegt durch die von beiden Angeklagten vorgenommenen, wechselseitig gebilligten Gewalt- handlungen innerhalb eines einheitlichen Geschehensablaufs. „Dadurch, dass der Angeklagte S. sich in das Geschehen einschaltete und seinerseits auf den Geschädigten L. einwirkte, hat er sich mit den zuvor vom Angeklagten D. verübten Handlungen einverstanden erklärt. Auch hat der Angeklagte D. nachfolgend sein Einverständnis mit dem vom Angeklagten S. verübten Fußtritt zum Ausdruck gebracht, indem er seinerseits weiter auf den Geschädigten L. einschlug“ (UA S. 48).
18
b) Zwar geht die Strafkammer damit im Ansatz zutreffend davon aus, dass der gemeinsame Tatplan auch konkludent durch arbeitsteilige Tatausführung gefasst werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 1991 – 5 StR 492/90, BGHSt 37, 289; hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 25 Rn. 17). Sie erörtert in diesem Zusammenhang indes nicht, wie sich damit die Feststellung vereinbaren lässt, S. habe dem Nebenkläger „völlig überraschend“ – mithinfür D. unvorhersehbar – den Tritt auf den Kopf versetzt (UA S. 21). Dieser Umstand legt einen Mittäterexzess nahe. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat nicht zu erkennen, welche Anknüpfungstatsachen das Tatgericht seiner Annahme eines mittäterschaftlichen Totschlagsversuchs zugrunde gelegt hat.
19
c) Auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich insoweit – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – keine rechtlich tragfähigen Anknüpfungspunkte. Diese sind in Bezug auf den Zurechnungsmaßstab (§ 25 Abs. 2 StGB) widersprüchlich.
20
Das Tatgericht hebt nämlich einerseits ausdrücklich auf einen konkludent – zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt – während der Tatbege- hung gefassten Tatplan ab. Zum anderen erörtert es das „Vorliegen sukzessiver Mittäterschaft“ (UA S. 48) und führt aus, dass D. durch sein Verhal- ten nach dem Tritt seine Billigung der Handlungen des S. „zum Ausdruck gebracht hat“ (UA S. 49).
21
Die Angabe, an welchem Maßstab die Strafkammer ihre Bewertung eines mittäterschaftlich begangenen versuchten Totschlags gemessen hat, war jedoch mit Blick auf die für eine Erfolgszurechnung im Wege sukzessiver Täterschaft erforderliche gemeinsame (versuchte) Tatvollendung unentbehrlich ; danach muss der Hinzutretende die Vorstellung haben, die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges durch sein eigenes Handeln weiter zu fördern (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 – 5 StR 143/10, StraFo 2010, 296). Im angefochtenen Urteil ist indes nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer D. seine anschließenden Gewalthandlungen als möglicherweise todesfördernd oder -beschleunigend erfasste. Die von der Strafkammer festgestellten – auf den heftigen Tritt des Angeklagten S. folgenden – Schläge des Beschwerdeführers D. „in Richtung Gesicht möglicherweise auch gegen den Körper“ des Nebenklägers (UA S. 22) bele- gen dies nicht ohne weiteres. In diesem Zusammenhang kann zudem von Bedeutung sein, in welchem Zustand sich der Nebenkläger nach dem Tritt befunden hat, wozu sich das Landgericht gleichfalls nicht eindeutig verhält.
22
d) Schließlich lässt die nicht näher ausgeführte Erwägung der Strafkammer , der Beschwerdeführer habe durch sein Verhalten im Anschluss an den Tritt des Angeklagten S. „zum Ausdruck gebracht“, dass er den „Fußtritt gebilligt hat“ (UA S. 49), besorgen, dass das Tatgericht allein aus der nachträglichen Billigung einer Handlung in unzulässiger Weise auf einen sukzessiv gefassten gemeinsamen Tatplan geschlossen hat (vgl. hierzu Fischer , aaO, Rn. 17). Dieser Gesichtspunkt hätte allenfalls bei einem zugrunde gelegten konkludent gefassten Tatentschluss beweiswürdigend zu Lasten des Beschwerdeführers herangezogen werden können.
23
4. Die Sache bedarf neuer Aufklärung und Bewertung. Der Senat hebt wegen des hier gegebenen engen Zusammenhangs im Fall 3 auch die Feststellungen zu den äußeren Tatumständen auf. Er weist darauf hin, dass sich zur Erhellung des Vorsatzes der Angeklagten ergänzende Feststellungen zu den zeitlich unmittelbar vorgelagerten Fällen III.1 und 2 empfehlen.
24
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
25
a) Die Begründung, mit der die Jugendkammer – bei rechtsfehlerfreier Verneinung eines völligen Ausschlusses der Schuldfähigkeit – betreffend den Angeklagten D. auch die Voraussetzungen des § 21 StGB bei allen verfahrensgegenständlichen Taten ausschließt, ist teilweise widersprüchlich. Zwar sprechen die zeitnah nach den Taten gemessenen Atemalkoholkon- zentrationen (1,21 bzw. 1,33 ‰) zumindest indiziell (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Januar 2010 – 5 StR 520/09 Rn 9, NStZ-RR 2010, 275; Urteil vom 6. Juni 2002 – 1 StR 14/02, NStZ 2002, 532, 533) dafür, dass vor den Taten keine Alkoholaufnahme erfolgte, die zur Anwendung des § 21 StGB führen musste. Auch die beiden von der Strafkammer gehörten Sachverständigen kommen unter maßgeblicher Berücksichtigung – hier allerdings wenig aussagekräftiger – psychodiagnostischer Kriterien zur Verneinung einer alkoholbedingt erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten. Dieses Ergebnis steht indes in einem Spannungsverhältnis zu der – von der Jugendkammer im Zusammenhang mit der Feststellung der Voraussetzungen einer Unterbringung des alkoholabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gewürdigten – Äußerung des Sachverständigen B. , Alkohol führe bei dem Angeklagten „nicht lediglich zu einer Enthemmung, sondern zu unkontrollierten Aggressionsausbrüchen“ (UA S. 62).
26
b) Da sich die Bemessung der Jugendstrafe an der erforderlichen erzieherischen Einwirkung zu orientieren hat (§ 18 Abs. 2 JGG), würde hier eine durch Alkoholisierung vermittelte Annahme des § 21 StGB – auch bei Wegfall des versuchten Tötungsdelikts (vgl. auch BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 – 5 StR 290/04, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 59) – allerdings nicht zwingend zu einer niedrigeren Sanktion führen. Das mit einer Alkoholisierung verbundene Risiko der Begehung von Straftaten war für den Angeklagten – insbesondere mit Blick auf seine zahlreichen einschlägigen erheblichen Vorstrafen – auch ersichtlich (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239).
27
c) Der Senat hebt wegen des engen Zusammenhangs mit der Bewertung der Schuldfähigkeit auch die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB auf. Gleichwohl wird die Anordnung dieser Maßregel – jedenfalls soweit keine wesentlich anderweitigen Feststellungen getroffen werden – wiederum naheliegen.
Raum Brause Schaal Schneider König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 1 9 4 / 1 5
vom
7. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. September 2015 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 9. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug der verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten "einschließlich der erlittenen Untersuchungshaft" angeordnet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Der mehrfach - auch wegen Körperverletzungsdelikten - vorbestrafte Angeklagte, der sich zum Tatzeitpunkt im offenen Vollzug befand, besuchte mit seiner Ehefrau, seinem Schwager und dessen Freundin ein Stadtfest. Obwohl ihm während seines Hafturlaubs der Genuss von Alkohol untersagt war, trank er im Laufe des Abends mindestens zwei Liter Bier und konsumierte 0,2 bis 0,3 Gramm Kokain. Der Angeklagte trennte sich gegen 23.00 Uhr kurzfristig von der Gruppe, um an einer Tankstelle einzukaufen. Währenddessen geriet die Ehefrau des Angeklagten in eine Auseinandersetzung mit dem ihr unbekannten Zeugen S. , von dem sie sich "angemacht" fühlte und dem sie (deswegen) den Inhalt ihres Glases ins Gesicht schüttete. Dabei traf sie den Zeugen mit dem Glas "leicht am Kinn", woraufhin dieser ihr eine Ohrfeige versetzte und sich entfernte. Die Ehefrau des Angeklagten lief dem Zeugen S. nach und "schrie unterdessen hysterisch mehrmals" nach ihrem Bruder. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Schlägerei zwischen ihrem Bruder, dem Zeugen S. und weiteren - teils unbekannten - Personen.
4
Währenddessen war der Angeklagte mit einer gläsernen Flasche Bier zu 0,5 Liter, die er zuvor etwa zur Hälfte ausgetrunken hatte, zu seiner Ehefrau zurückgekehrt. Sie berichtete ihm "laut weinend und hysterisch, dass sie von einem jungen Türken belästigt und geschlagen worden sei. Auf seinen Einwand , er sei im offenen Vollzug, forderte die Ehefrau ihn auf, wenigstens ihren Bruder aufzusuchen und dafür zu sorgen, dass nichts passiere".
5
Der Angeklagte lief zu der sich am Boden prügelnden Gruppe und ging davon aus, dass sich dort sein Schwager befand. Er nahm ferner wahr, dass abseits von dieser Schlägerei der Zeuge A. stand, von dem der Angeklagte annahm, dass dieser entweder selbst der Türke sei, der seine Frau belästigt habe oder aber zumindest zur Gruppe der Türken gehöre, die für die Beleidigung seiner Ehefrau verantwortlich sei. Der Angeklagte schlug dem Zeugen A. ohne Vorwarnung mit erhobener rechter Hand unvermittelt von oben mit voller Wucht die halb gefüllte Bierflasche auf die rechte Kopfseite; die Glasfla- sche zersplitterte infolge des wuchtigen Schlages an der rechten Schläfe des Geschädigten. Dem Angeklagten, dessen Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,46 ‰ betrug, war bei der Tatausführung bewusst, dass ein solcher massiver Schlag mit einer Glasflasche gegen den Kopf eines Menschen geeignet ist, schwerste Verletzungen mit tödlichem Ausgang herbeizuführen, was ihm jedoch gleichgültig war.
6
Der Geschädigte trug eine Platz-Schnittwunde davon, bei der eine Arterie eröffnet wurde, so dass es zu einer heftigen Spritzblutung kam. Der Angeklagte zog die abgebrochene Flasche von der Schläfe des Geschädigten in Richtung des rechten Ohrs bis hinter die Ohrmuschel. Der Zeuge A. sackte zu Boden und rief mehrfach, dass er verblute und sterbe. Der Angeklagte nahm wahr, dass er dem Geschädigten schwerste Verletzungen zugefügt hatte, zumal der Zeuge A. wiederholt rief "Ich sterbe". Er verließ den Tatort, ohne sich um Hilfe zu bemühen. Der Geschädigte zog sich mehrere Schnittwunden am Kopf und eine Schädelprellung zu, die ärztlich versorgt wurden.
7
b) Seine Überzeugung, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat das Schwurgericht auf die Lebensgefährlichkeit der konkreten Verletzungshandlung gestützt. Dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass der Schlag mit einer gläsernen Bierflasche gegen den Kopf des Zeugen A. dessen Tod herbeiführen konnte; dies entspräche "dem Allgemeinwissen eines durchschnittlich intelligenten Menschen", wozu auch der Angeklagte gehöre. Die Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände ergebe auch, dass dem Angeklagten der Tod des Zeugen A. gleichgültig gewesen sei.
8
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes ist nicht tragfähig begründet.
9
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Beide Elemente der inneren Tatseite müssen in jedem Einzelfall gesondert geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. Senat, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; Senat, Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14). Annahme oder Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes können nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH, Urteil vom 25. März 1999 - 1 StR 26/99, NJW 1999, 2533, 2534). Neben der konkreten Angriffsweise ist dabei regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die erforderliche Gesamtbetrachtung einzubeziehen (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267, 268; Beschluss vom 9. Juni 2015 - 2 StR 504/14).
10
b) Diesen Anforderungen wird die landgerichtliche Entscheidung nicht gerecht. Das Landgericht hat schon nicht eindeutig das kognitive Moment des bedingten Tötungsvorsatzes festgestellt. Auch wenn dem Angeklagten - wovon das Landgericht ausgeht - "bewusst" gewesen ist, dass man mit einer Bierflasche einen Menschen töten könne, so belegt dies nur das Wissen um die all- gemeine Gefährlichkeit des Einsatzes dieses Tatwerkzeugs gegen den Kopfbereich eines Menschen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, der Zeuge A. könne durch einen Schlag mit einer Flasche auf dessen Kopf zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 - 4 StR 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom 19. Juli 1994 - 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41). Das Landgericht hätte sich insoweit insbesondere mit den besonderen Tatumständen auseinandersetzen müssen, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten: Aufgrund der deutlichen Tatzeitalkoholisierung des Angeklagten mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,46 ‰, des zusätzlichen Konsums von Kokain, seiner Übermüdung und des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf das hysterische Verhalten seiner Ehefrau kann dem Angeklagten, der zudem unmittelbar zuvor erklärt hatte, sich im offenen Vollzug zu befinden, das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung den Tod des Zeugen A. zur Folge haben könnte.
11
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12). Die Sache bedarf insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Fischer Eschelbach Ott Zeng Bartel

Strafbar ist nur vorsätzliches Handeln, wenn nicht das Gesetz fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe bedroht.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 499/11
vom
12. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Januar
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Bender
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 17. Mai 2011 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen wurde.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird als unbegründet verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „schweren Raubes in zwei tateinheitlichen Fällen, jeweils im Zusammentreffen mit gefährlicher Körperverletzung“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihn vom Vorwurf , einen weiteren Raubüberfall begangen zu haben, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Dieses Rechtsmittel hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten, mit der er allgemein die Verletzung materiellen Rechts rügt und eine Verfahrensrüge erhebt, ist unbegründet.
2
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schloss sich der Angeklagte spätestens im August 2007 mit dem M. K. und dem C. zusammen, um durch Raubüberfälle auf potentiell vermögende Tatopfer in deren Wohnungen an Geld und Wertgegenstände zu gelangen. Der Bande schlossen sich im weiteren Verlauf noch vier Personen an. Der erste Überfall, an dem der Angeklagte teilnahm, erfolgte am 29. August 2007 in M. . Dieser ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Von dem Vorwurf, am 28. Juli 2009 an dem Überfall auf L. in O. beteiligt gewesen zu sein, wurde der Angeklagte freigesprochen. Verurteilt wurde er wegen einer Tat in der Nacht vom 30. auf den 31. Dezember 2009. Opfer waren die Ehefrau des M. K. , H. K. , und die im selben Haus wohnende E. .

II.


3
Der Senat ist mit Vorsitzendem Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ernemann , Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck sowie den Richtern am Bundesgerichtshof Cierniak, Dr. Mutzbauer und Bender vorschriftsmäßig besetzt. Das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Absatz 1 Satz 2 GG) ist gewahrt (vgl. Senatsbeschluss vom 11. Januar 2012 – 4 StR 523/11).

III.


4
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
5
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 mwN). Aus den Urteilsgründen muss sich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet , sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung zudem, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR § 261 Beweiswürdigung 16 mwN; BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36; BGH, Urteil vom 17. März 2005 – 4 StR 581/04, NStZ-RR 2005, 209; BGH, Urteil vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, jew. mwN).
6
2. Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht.
7
a) Die Erwägungen des Landgerichts, warum eine aktive Beteiligung des Angeklagten an der Tat vom 28. Juli 2009 trotz seiner eindeutigen Identifizierung als Spurenleger an einem am Tatort aufgefundenen 60 cm langen Klebeband (Spur T06.06) nicht nachweisbar sei, lassen besorgen, dass es überspannte Anforderungen an die zu einer Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat. Das Landgericht hat nicht ausschließen können, dass die DNA-Antragung bei einem Anlass erfolgt sei, der in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Geschehen zum Nachteil des L. stehe. Die DNA-Antragung befand sich an der gerissenen Seite des Klebebandes, während die andere Kante mittels eines Abrollers durchtrennt war. Aufgrund der generellen persönlichen Verflechtung des Angeklagten mit den Tätern bestehe die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass der Angeklagte die Klebebandrolle im anderen Zusammenhang in der Hand gehabt habe. Selbst wenn sich die gerissene Kante bei Tatbeginn noch im Rolleninneren befunden hätte, könne die DNA-Antragung seitlich der späteren Abrisskante erfolgt sein. Hierfür spreche , dass die Täter bei der Tatausführung Gummihandschuhe getragen hätten, also darauf bedacht gewesen seien, keine Spuren zu hinterlassen.
8
Das Landgericht hat der Spur T06.06 den Beweiswert rechtsfehlerhaft aufgrund lediglich theoretischer Erklärungsansätze abgesprochen. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte vor der Tat zum Nachteil des L. und ohne Zusammenhang mit dieser die dort verwendete Klebebandrolle angefasst hätte, sind nicht festgestellt. Soweit das Landgericht darauf abstellt, dass die Täter bei der Tatausführung Gummihandschuhe trugen, ist die Beweiswürdigung lückenhaft, denn sie setzt sich nicht mit dem Umstand ausei- nander, dass auch am Tatort in M. DNA-Spuren des nach der Überzeugung des Landgerichts tatbeteiligten Angeklagten gesichert worden sind. Im Übrigen belegen auch die Spuren an drei weiteren Gegenständen am Tatort (im Folgenden unter b), insbesondere diejenige am Küchenmesser des Geschädigten, dass es trotz der von den Tätern getragenen Gummihandschuhe zu Spurenantragungen am Tatort gekommen ist. Auch dies wird vom Landgericht nicht bedacht.
9
b) Das Landgericht hat bei weiteren Spuren vom Tatort zu Unrecht eine Indizwirkung für eine Anwesenheit des Angeklagten verneint. Es wurden DNASpuren an einem weiteren Stück Klebeband (Spur RL51.03), an einem Küchenmesser des Geschädigten und an einem Kabelbinder gesichert, die jeweils Mischprofile ergaben. An dem Klebeband RL51.03 waren in allen bewerteten PCR-Systemen Merkmale nachweisbar, die mit denen des Geschädigten und denen des Angeklagten übereinstimmen. Hinsichtlich des Küchenmessers ergaben sich in allen elf überprüften PCR-Systemen Hinweise auf Übereinstimmungen des überwiegenden Spurenanteils mit dem Vergleichsprofil des Angeklagten. An dem Kabelbinder waren neben Merkmalen, die mit denen des Geschädigten übereinstimmen, zusätzliche Allele nachweisbar, die Hinweise auf Übereinstimmungen mit dem Vergleichsprofil des Angeklagten ergaben. Das Landgericht hat diesen Spuren jeglichen belastenden Beweiswert abgesprochen , weil sie keine Aussage zur Identitätswahrscheinlichkeit zuließen.
10
Auch wenn von den drei am Tatort gesicherten Mischspuren jede für sich allein eine Überführung des Angeklagten nicht zuließ, durfte ihnen ein Indizwert in der Zusammenschau mit anderen Beweisanzeichen, insbesondere mit der Spur T06.06, nicht abgesprochen werden. Das Vorhandensein von Übereinstimmungen von DNA-Spuren mit dem Vergleichsprofil des Angeklagten an drei (weiteren) Gegenständen am Tatort, wovon das Küchenmesser nicht von den Tätern mitgebracht worden war, kann für eine Anwesenheit des Angeklagten sprechen.
11
c) Schließlich fehlt hinsichtlich des hier angegriffenen Freispruchs auch die gebotene Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände. Das Landgericht beschränkt sich rechtsfehlerhaft darauf, den Beweiswert der DNA-Spuren einzeln zu erörtern und auf ihren Beweiswert zu prüfen. Es setzt sich hingegen nicht damit auseinander, ob die Belastungsindizien, die für sich genommen jeweils zum Beweis der Täterschaft nicht ausreichen, in ihrer Gesamtheit insbesondere auch zusammen mit denjenigen Indizien, die das Landgericht für die Zuordnung der Tat zu der Bande um M. K. angeführt hat (UA S. 30 f, 33), die für eine Verurteilung notwendige Überzeugung hätten begründen können. Es ist nicht auszuschließen, dass der Freispruch auf den aufgezeigten Rechtsfehlern beruht. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden.

IV.


12
Die Revision des Angeklagten zeigt keinen ihn belastenden Rechtsfehler auf.
13
1. Der Angeklagte ist für die Verfolgung der verfahrensgegenständlichen Taten, die auch dem Europäischen Auslieferungshaftbefehl zugrunde lagen, von der Russischen Föderation ausgeliefert worden. Die Revision beanstandet mit einer Verfahrensrüge, dass das Landgericht Beweiserhebungen zu dem Raubüberfall am 29. August 2007 durchgeführt hat, der nicht Gegenstand des Europäischen Haftbefehls und der Auslieferungsbewilligung war. Als Ergebnis dieser Beweiserhebungen sei das Landgericht zu der Feststellung gelangt, dass der Angeklagte den Überfall vom 30./31. Dezember 2009 als Bandenmitglied ausgeführt und so die Qualifikation des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht habe, was sich strafschärfend ausgewirkt habe.
14
Ob der Verurteilung des Angeklagten mit Rücksicht auf seine Auslieferung gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen entgegenstehen, ist auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen. Die Nachprüfung ergibt, dass die Verurteilung nicht gegen den Grundsatz der Spezialität verstößt.
15
a) Die Auslieferungsbewilligung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation vom 27. August 2010 erfasst ausdrücklich die Verfolgung des Angeklagten wegen Raubes nach § 250 StGB. Sie enthält keine Einschränkung hinsichtlich bestimmter Tatmodalitäten.
16
Darüber hinaus schließt Art. 14 Abs. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk) eine Verurteilung unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt nicht aus, sofern ihr derselbe Sachverhalt zugrunde liegt und die Tatbestandsmerkmale der rechtlich neu gewürdigten strafbaren Handlung die Auslieferung gestatten würden (BGH, Urteil vom 6. März 1985 – 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318; Urteil vom 28. Mai 1986 – 3 StR 177/86, StV 1987, 6). Dies gilt auch im Verhältnis von Grundtatbestand und qualifizierenden bzw. privilegierenden Tatbeständen (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1985 – 2 StR 782/84, NStZ 1985, 318 und vom 11. Januar 2000 – 1 StR 505/99, NStZ-RR 2000, 333; vgl. auch Vogel/Burchard in Grütz- ner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl. § 11 IRG Rn. 43).
17
Die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk sind im konkreten Fall erfüllt. Der Verurteilung liegt derselbe Sachverhalt zu Grunde. Der im Europäischen Auslieferungshaftbefehl nicht explizit angeführte Bandenraub ist eine auslieferungsfähige Straftat. Das Strafgesetzbuch der Russischen Föderation kennt den Tatbestand des Raubes begangen „von einer organisierten Gruppe“, der mit Freiheitsentzug von acht bis fünfzehn Jahren geahndet wird (Art. 162 Nr. 4a, siehe Schroeder, Strafgesetzbuch der Russischen Föderation nach dem Stand vom 1.1.2007).
18
b) Das Landgericht war auch nicht gehindert, Feststellungen zur Zugehörigkeit des Angeklagten zu der Bande um M. K. zu treffen, und zu diesem Zweck Beweiserhebungen über frühere Überfälle durchzuführen. Der Spezialitätsgrundsatz schließt nicht aus, Umstände, die eine Straftat darstellen, auf die sich die Auslieferung nicht erstreckt, bei der Überzeugungsbildung hinsichtlich der Täterschaft der Auslieferungstat als Indiz zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86, BGHSt 34, 352 = NStZ 1987, 417; Urteil vom 20. Dezember 1968 – 1 StR 508/67, BGHSt 22, 307, 310 f.; aA Gillmeister NStZ 2000, 344, 345). Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk verbietet u. a. die Aburteilung und die Verfolgung des Ausgelieferten wegen einer anderen Straftat als derjenigen , für welche die Auslieferung bewilligt worden ist. Von der „Verfolgung“ einer Tat kann aber nur bei einem Verfahren gesprochen werden, das diese Tat zum Gegenstand hat und mit dem Ziel ihrer Ahndung oder der Verhängung einer wegen ihr gebotenen Maßnahme durchgeführt wird. Gegenstand eines solchen eigenständigen Verfahrens wird eine Tat nicht schon dadurch, dass die Beweisaufnahme in dem eine andere Tat betreffenden Prozess auf sie erstreckt wird, weil sie als Indiz zum Nachweis dieser anderen Tat in Betracht kommt.
19
c) Aufgrund der festgestellten Bandenmitgliedschaft hat das Landgericht hinsichtlich der Tat vom 30./31. Dezember 2009 den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 2 StGB neben dem des § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB als erfüllt angesehen und dies dem Angeklagten bei der Strafzumessung angelastet. Auch dies begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar darf ein Sachverhalt, der nicht zu der Auslieferungstat im Sinne des § 264 StPO gehört, nicht bei der Bestimmung der Strafhöhe zum Nachteil des Angeklagten Verwendung finden (BGH, Urteil vom 15. April 1987 – 2 StR 697/86 aaO; Urteil vom 19. Februar 1969 – 2 StR 612/68, BGHSt 22, 318). Danach ist nicht nur die Festsetzung selbständiger Strafen für andere Taten als die Auslieferungstat ausgeschlossen, sondern auch deren Mitbestrafung auf dem Wege der Erhöhung der für die Auslieferungstat verwirkten Strafe. Dies schließt jedoch nicht aus, den Strafrahmen eines festgestellten Qualifikationstatbestandes der Verurteilung wegen der Auslieferungstat auch dann zu Grunde zu legen, wenn diese Feststellungen mittels Beweiserhebungen zu einer verfahrensfremden Tat getroffen wurden. Ob dies auch für die Verwirklichung von Regelbeispielen gelten würde, kann der Senat hier offen lassen. Das Vorliegen eines qualifizierenden Merkmals ist jedenfalls Teil des Tatbestandes der Auslieferungstat selbst. Die dem Qualifikationsstrafrahmen entnommene Strafe ahndet allein die Auslieferungstat, sie kennzeichnet deren Gefährlichkeit. Eine „Mitbestrafung“ der anderen Tat ist damit nicht verbunden. Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – die Erfüllung mehrerer Qualifikationsmerkmale zusätzlich strafschärfend gewertet wird. Die Strafschärfung berücksichtigt allein die bei der Auslieferungstat erfüllten qualifizierenden Merkmale und damit deren erhöhte Gefährlichkeit, nicht die Begehung einer anderen Tat. Nur der nicht zum Tatbestand der Auslieferungstat gehörige Sachverhalt als solcher darf innerhalb des Strafrahmens nicht strafschärfend gewertet werden. Dies hat das Landgericht auch nicht getan; die Teilnahme an dem Überfall in M. hat es bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt.
20
2. Die weitere Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben. Das Landgericht hat zwar übersehen, dass Pfefferspray ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB sein kann (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2008 – 5 StR 445/08, BGHSt 52, 376, 377). Dadurch, dass es nicht geprüft hat,ob das Einnebeln des Schlafzimmers von H. K. mit Pfefferspray geeignet war, erhebliche Körperverletzungen zuzufügen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 3 StR 338/10 Rn. 7), ist der Angeklagte aber nicht beschwert. Dies gilt auch für die Annahme der Strafkammer, dass die tateinheitliche fahrlässige Körperverletzung hinter der vorsätzlichen Körperverletzung zurück tritt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 1997 – 2 StR 231/97, NStZ 1997, 493).
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 163/14
vom
14. August 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. August
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten A. G. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger der Angeklagten B. G. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 17. Dezember 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von sechs Jahren und sechs Monaten (A. G. ) und vier Jahren (B. G. ) verurteilt. Außerdem hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit ihren Revisionen rügen die Angeklagten die Verletzung materiellen Rechts und wenden sich insbesondere gegen die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit ihren zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten und der Sachrüge begründeten Revisionen vor allem, dass diese nicht auch wegen schwerer Körperverletzung verurteilt wurden und ihnen verminderte Schuldfähigkeit zugebilligt wurde. Soweit die Staatsanwaltschaft eine Verurteilung der Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung anstrebt, wird ihr Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt nicht vertreten. Die Revisionen haben Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Im Sommer 2011 ging die älteste Tochter der Angeklagten, die Zeugin M. G. , eine freundschaftliche Beziehung zu dem drei Jahre älteren Nebenkläger und späteren Tatopfer St. ein, aus der sich ein intimes Verhältnis entwickelte. Als die Angeklagten spätestens im Januar 2013 hiervon erfuhren, drängten sie auf ein Ende der Verbindung und erwirkten im März 2013 in Vertretung ihrer noch minderjährigen Tochter gegen St. eine einstweilige Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz. Als St. Ende April 2013 davon Kenntnis erlangte, dass gegen ihn nun auch ein Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes wegen eines Verstoßes gegen die Gewaltschutzanordnung gestellt worden war, gab er die zunächst fortgesetzte Beziehung zu M. G. auf und mied weiteren Kontakt.
4
Anfang Juni 2013 wurden im Internet intime und teilweise pornographische Fotos von M. G. veröffentlicht. Die Angeklagten waren deswegen zutiefst beschämt und sahen darin eine Bloßstellung ihrer gesamten Familie. Sie schliefen wenig, nahmen kaum Nahrung zu sich und zogen sich von ihren Mitmenschen zurück. Sie wollten den Urheber der Bilder zur Verantwortung ziehen und hatten dabei - zu Unrecht - St. in Verdacht. Als die Angeklagten das Gerücht erreichte, dass auch noch die Veröffentlichung eines Sex-Videos bevorstünde, begannen sie intensiv nach Indizien zu suchen, die ihren Verdacht zu stützen vermochten. Am 13. Juni 2013 berichtete die Zeugin J. Br. der Angeklagten B. G. , sie habe gehört, St. habe die Bilder aus Enttäuschung in Umlauf gebracht. Für die Angeklagten stand danach außer Zweifel, dass St. für die Bildveröffentlichungen verantwortlich war.
5
Am 14. Juni 2013 bat der Angeklagte A. G. den Zeugen A. Br. ein vermeintlich zufälliges Treffen mit St. herbeizuführen. A. Br. veranlasste daraufhin den gutgläubigen St. dazu, um 15.45 Uhr zum Taxistand vor dem Bahnhof von H. zu kommen und setzte den Angeklagten A. G. hiervon in Kenntnis. Die Angeklagten hatten die Absicht, St. als vermeintlichen Urheber der Bilder zur Rede zu stellen. Dabei waren sie auch zur Anwendung von Gewalt bereit. Einen gemeinschaftlichen Plan ihn zu töten gab es jedoch nicht.
6
Am vereinbarten Treffpunkt kam es zunächst zu einem Gespräch zwischen St. und A. Br. . Währenddessen näherten sich die Angeklagten von der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Angeklagte B. G. verlor beim Anblick von St. „die Kontrolle über ihre Wut“. Sie rannte über die Straße auf St. zu und begann ihn laut schreiend mit ihren Fäusten zu misshandeln. St. schlug daraufhin zu seiner Verteidigung mit einer Glasflasche um sich, wobei er B. G. wenigstens einmal mit der bloßen Hand oder der Flasche im Gesicht traf. Als der noch auf der gegenüberliegenden Straßenseite zurückgebliebene A. G. sah, dass sich St. zu verteidigen begann, stürmte er „außer sich vor Wut“ seiner Ehefrau hinterher und zog ein schweres Taschenmesser mit Cutterklinge aus seiner Hosentasche. Als er den Nebenkläger und die Mitangeklagte erreichte , begann er sofort auf St. einzustechen und ihn mit schneidenden Bewegungen zu verletzen, wobei er in seinem Wunsch nach Vergel- tung „sogar dessen Tod billigte“. Vorzugsweise richtete A. G. das Messer gegen den Oberkörper, den Hals und den Kopf des Nebenklägers, wobei er ihm mehrere tiefe Schnittverletzungen beibrachte. Als B. G. sah, wie A. G. mit dem Messer auf St. einstach, war ihr klar, „dass es nun um Leben und Tod ging“. Sie billigte das Handeln ihres Ehemannes und er- kannte, dass die tiefen und kraftvollen Schnitte ernsthafte Verletzungen verursachten. Dabei fand auch sie sich mit einem möglichen Tod von St. ab und schlug weiter mit den Händen auf ihn ein. Einen Versuch des Zeugen A. Br. , A. G. am Arm zu packen, kommentierte B. G. mit dem Hinweis, er solle sich nicht einmischen, damit ihm nicht dasselbe passiere.
7
Als der Angeklagte A. G. realisierte, dass er in seiner Wut viel zu weit gegangen war und er St. möglicherweise tödlich verwundet hatte , ließ er von dem Geschädigten ab. Die Angeklagte B. G. unternahm noch kurzzeitig den Versuch, dem sich in Richtung eines Supermarkts davon schleppenden St. zu folgen, ehe ihr bewusst wurde, „dass der Kampf nun augenscheinlich zu Ende war“. Dabei ging auch sie davon aus, dass St. durch die Schnitte mit dem Messer möglicherweise bereits tödlich verletzt war. Der Zeuge A. Br. setzte sich in sein Fahrzeug und fuhr hinter St. her. Nachdem beide den Ort des Geschehens verlassen hatten, rief der Angeklagte A. G. mit seinem Mobiltelefon die Leitstelle der Polizei an und teilte mit, dass er gerade „jemanden zusammengeschlagen“ ha- be und dieser sterben werde. Die Polizei solle kommen und ihn festnehmen. Wo das Opfer sei, wisse er nicht. Auch solle man einen Krankenwagen vorbeischicken , weil auch er sich verletzt habe.
8
Als St. den mehrere Hundert Meter vom Tatort entfernten Supermarkt erreichte, brach er zusammen und verlor aufgrund des hohen Blutverlustes kurze Zeit später das Bewusstsein. Nachdem auch von dritter Seite mehrere Notrufe abgesetzt worden waren, trafen schon wenig später Rettungs- kräfte ein, die die Notfallversorgung des Nebenklägers einleiteten. St. überlebte, weil A. G. seine Hauptschlagader nur knapp verfehlt hatte. Er erlitt unter anderem eine 12 cm lange horizontal über die linke Wange bis auf die Ohrmuschel verlaufende Schnittverletzung, die eine deutlich sichtbare wenige Millimeter breite Narbe hinterlassen hat. Inwieweit eine kosmetischchirurgische Behandlung möglich ist, konnte nicht geklärt werden.
9
2. Das Landgericht hat den Sachverhalt bei beiden Angeklagten als versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in den Varianten des § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB bewertet.
10
Es ist der Auffassung, dass der Angeklagte A. G. nicht nach § 24 Abs. 2 StGB strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten sei, weil er mit dem Tod von St. gerechnet habe und sein Notruf nicht als ernsthaftes Bemühen um eine Verhinderung der Tatvollendung anerkannt werden könne.
11
Eine schwere Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB liege nicht vor, weil die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Entstellung nicht gegeben seien. Die Narbe auf der linken Wange sei zwar deutlich sichtbar und springe sofort ins Auge, doch fehle es an einer Beeinträchtigung des Gesamterscheinungsbildes. Auch habe die Dauerhaftigkeit der Beeinträchtigung nicht abschließend geklärt werden können.
12
Im Anschluss an den Sachverständigen Dr. S. ist das Landgericht hinsichtlich des Angeklagten A. G. davon ausgegangen, dass bei ihm im Zeitpunkt der Tatbegehung eine schwere andere seelische Abartigkeit in Form einer „Anpassungsstörung“ vorgelegen haben könne und deshalb zu seinen Gunsten von einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB auszugehen sei. Bei der Angeklagten B. G. sei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB ebenfalls nicht auszuschließen, da auch sie im Tatzeitpunkt an einer „hinreichend schweren Anpassungsstörung“ gelitten habe.

II.


13
Die Rechtsmittel der Angeklagten haben Erfolg.
14
1. Die Erwägungen, mit denen das Landgericht bei beiden Angeklagten einen (bedingten) Tötungsvorsatz begründet hat, weisen durchgreifende Erörterungsmängel auf. Ihre Verurteilung wegen versuchten Totschlags hat daher keinen Bestand.
15
a) Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche , nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen getrennt voneinander geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, Rn. 7; Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 Rn. 34 f. mwN). In die Prüfung sind dabei neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung und der konkreten Angriffsweise des Täters auch seine psychische Verfassung bei Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, Rn. 7; Urteil vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582 mwN).
16
b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die Darlegungen des Landgerichts zur inneren Tatseite bei beiden Angeklagten nicht gerecht.
17
aa) Das Landgericht hat seine Annahme, der Angeklagte A. G. habe um die objektive Lebensgefährlichkeit seines Tuns auch schon bei der Tatbegehung gewusst, aus den gezielt gegen Kopf, Hals und Nacken des Nebenklägers geführten Messerangriffen und seinen im Rahmen des Notrufes gemachten Äußerungen hergeleitet (UA 18). Damit ist jedoch nur das Wissenselement belegt. Dass bei ihm auch das voluntative Vorsatzelement gegeben ist, hat die Strafkammer dagegen nicht in ausreichender Weise begründet.
18
(1) Wird eine lebensgefährliche Gewalttat - wie hier - spontan, unüberlegt und in affektiver Erregung ausgeführt, kann aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf eine billigende Inkaufnahme des Erfolgseintritts geschlossen werden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; Urteil vom 16. August 2012 - 3 StR 237/12, NStZ-RR 2012, 369, 370; Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 f.; weitere Nachweise bei Fischer, StGB, 61. Aufl., § 212 Rn. 11).
19
(2) Danach hätte das Landgericht erkennbar in seine Erwägungen einbeziehen müssen, dass der Angeklagte von weiteren Tathandlungen absah, als er realisierte, „dass er in seiner Wut viel zu weit gegangen war und den Nebenklä- ger möglicherweise tödlich verwundet hatte“ (UA 11). Auch wäre an dieser Stelle der alsbald danach abgesetzte Notruf zu erörtern gewesen (zur Indizwirkung von Rettungsversuchen bei der Vorsatzfrage vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom 18. Januar 2007 - 4 StR 489/06, NStZ 2007, 331 f. mwN). Schließlich durfte das Landgericht in diesem Zusammenhang auch die dem Angeklagten zugebilligte „Anpassungsstörung“ - unabhängig von deren Bewertung unter dem Gesichtspunkt des § 21 StGB - und seine affektive Erregung nicht unerwähnt lassen. Psychische Ausnahmesituationen oder Störungen können neben einer - hier fernliegenden - Beeinträchtigung der Erkenntnisfähigkeit dazu führen, dass der Täter die von seinem Handeln ausgehende Lebensgefahr für das Opfer unzutreffend beurteilt (zu den möglichen Schlüssen vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343 mwN). Dies ist in den schriftlichen Urteilsgründen zu erörtern (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2005 - 3 StR 324/05, NStZ 2006, 169; Beschluss vom 6. März 2002 - 4 StR 30/02, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 54; Beschluss vom 15. Januar 1987 - 1 StR 704/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 7).
20
bb) Bei der Angeklagten B. G. hat das Landgericht dieAnnahme eines bedingten Tötungsvorsatzes allein mit der Erwägung begründet, dass sie das Vorgehen ihres Mannes gegen den Nebenkläger sah und durch ihre weitere „Unterstützung“ billigte (UA 11 und 19). Dass auch sie an einer „Anpas- sungsstörung“ litt und schon vor dem Eingreifenihres Ehemannes unter einer so hohen affektiven Anspannung stand, dass sie „die Kontrolle über ihre Wut verlor“, hat es nicht berücksichtigt. Beides hätte aus den bereits dargelegten Gründen auch bei ihr ausdrücklicher Erörterung bedurft.
21
2. Die Sache bedarf daher bei beiden Angeklagten neuer Verhandlung und Entscheidung. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, wenngleich die tateinheitliche Verurteilung beider Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB an sich rechtsfehlerfrei erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 - 4 StR 465/11, NStZ-RR 2012, 51, 52 mwN).

III.


22
Auch die zu Ungunsten beider Angeklagten eingelegten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg. Darauf, dass Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten wirken (§ 301 StPO), kommt es nach dem Erfolg der Revisionen der Angeklagten nicht mehr an (BGH, Urteil vom 28. September 2011 - 2 StR 93/11, Rn. 29; Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 144/08, Rn. 3).
23
1. Das Urteil hat bei beiden Angeklagten keinen Bestand, weil anhand der Urteilsgründe nicht überprüft werden kann, ob die Qualifikation des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB vom Landgericht zu Recht abgelehnt worden ist.
24
a) Ein Verletzter ist im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt, wenn es durch die Tat zu einer Verunstaltung seiner Gesamterscheinung gekommen ist, die in ihren Auswirkungen dem Gewicht der geringsten Fälle des § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGH, Urteil vom 17. Juli 2013 - 2 StR 139/13, NStZ-RR 2013, 343; Urteil vom 20. April 2011 - 2 StR 29/11, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 3; Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2 mwN). Dies kann grundsätzlich auch bei einzelnen besonders großen oder markanten Narben (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso wie bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion der Fall sein. Allein der Umstand, dass eine Narbe deutlich sichtbar ist, reicht dabei aber für die Annahme einer erheblichen Entstellung noch nicht aus.
Erst wenn im Einzelfall - etwa durch eine deutliche Verzerrung der Proportionen des Gesichts - ein Grad an Verunstaltung erreicht ist, der in einer Relation zu den anderen schweren Folgen im Sinne des § 226 Abs. 1 StGB steht, kommt die Annahme einer erheblichen Entstellung in Betracht (BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 185/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2; Beschluss vom 2. Mai 2007 - 3 StR 126/07, BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung

1).


25
b) Ob das äußere Erscheinungsbild des Nebenklägers durch die verbliebenen Narben eine Verunstaltung erfahren hat, die diesen Vorgaben entspricht, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht beurteilt werden. Das Landgericht teilt zwar ausführlich mit, welche Schnittverletzungen der Nebenkläger erlitten hat. Eine revisionsgerichtlicher Überprüfung zugängliche Beschreibung des verbliebenen Narbenbildes und seiner Auswirkungen auf die äußere Erscheinung des Nebenklägers fehlt jedoch. Den Urteilsgründen kann dazu lediglich entnommen werden, dass die Narbe auf der linken Wange lang ist und „sofort ins Auge springt“ (UA 25). Zu den anderen Narben und dem durch sie hervorgerufenen optischen Gesamteindruck verhält sich die Strafkammer dagegen nicht. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich ein Tatrichter die mitunter nicht einfache textliche Schilderung einer solchen verunstaltenden Wirkung durch eine nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zulässige Bezugnahme auf Lichtbilder erleichtern kann.
26
2. Darüber hinaus begegnet auch die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB bei beiden Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe belegen nicht, dass bei ihnen zur Tatzeit eine schwere andere seelische Abartigkeit vorgelegen hat. Auch fehlt es an der erforderlichen tatbezogenen Beurteilung der Verminderung der Schuldfähigkeit.
27
a) Bei einer nicht pathologisch bedingten Persönlichkeitsstörung liegt eine andere schwere seelische Abartigkeit nur dann vor, wenn sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt und Symptome aufweist, die in ihrer Gesamtheit das Leben des Täters vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen stören, belasten oder einengen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07, NStZ-RR 2008, 274; Beschluss vom 21. September 2004 - 3 StR 333/04, NStZ 2005, 326, 327 mwN). Auch müssen sich die defekten Muster im Denken, Fühlen oder Verhalten des Betroffenen als zeitstabil erwiesen haben (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310; Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52 f.).
28
Dass die von dem Sachverständigen bei beiden Angeklagten diagnostizierte Anpassungsstörung nach diesen Maßstäben zu einer schweren anderen seelischen Abartigkeit geführt hat, hat das Landgericht nicht dargetan. Bei den sog. Anpassungsstörungen (vgl. ICD-10 F 43.2) handelt es sich um eine Mischbzw. Sammelkategorie mit einer vielgestaltigen und unspezifischen Symptomatik , die zumeist nicht mit stärkeren psychopathologischen Auffälligkeiten einhergehen (Lau/Kröber in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 510). Ein die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit rechtfertigender Beeinträchtigungsgrad wird dabei nur in Ausnahmefällen erreicht (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2007 - 4 StR 7/07, NStZ-RR 2008, 274; Beschluss vom 4. November 2003 - 1 StR 384/03, NStZ-RR 2004, 70, 71). Dass die für beide Angeklagten beschriebenen - offenkundig passageren - Auffälligkeiten (gedankliche Einengung auf die Bilder im Internet, Schlaf- losigkeit, eingeschränkte Nahrungsaufnahme, sozialer Rückzug) ihr Leben ähnlich schwer belastet haben, wie die Folgen von anerkannten krankhaften seelischen Störungen, lässt sich den Gründen des angefochtenen Urteils nicht entnehmen und liegt eher fern. Die in diesem Zusammenhang gebrauchte Wendung , wonach die Angeklagten ihren Alltag nur noch „mehr schlecht als recht“ bewältigen konnten (UA 7), ist ohne Aussagekraft und kann die an dieser Stelle erforderliche umfassende wertende Betrachtung des Schweregrades der Störung und ihrer Tatrelevanz nicht ersetzen. Stattdessen ist zu besorgen, dass das Landgericht in rechtsfehlerhafter Weise davon ausgegangen ist, bereits die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung führe ohne weiteres zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB. Ob eine Störung den erforderlichen Schweregrad aufweist, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter wertend zu entscheiden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 - 5 StR 168/14, NStZ-RR 2014, 244, 245; Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310).
29
b) Auch die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit bei der Tat infolge einer festgestellten schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310; Beschluss vom 28. Oktober 2009 - 2 StR 383/09, NStZ-RR 2010, 73, 74; weitere Nachweise bei Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 7b). Angesichts des zielgerichteten Handelns der Angeklagten bei der Herbeiführung des Zusammentreffens mit St. hätte das Landgericht im Einzelnen darlegen müssen, in welcher Weise und in welchem Umfang das als Anpassungsstörung bezeichnete Zustandsbild die Steuerungs- fähigkeit der Angeklagten in dem von § 21 StGB vorausgesetzten erheblichen Maß beeinträchtigt haben kann. Das angefochtene Urteil enthält hierzu keinerlei Ausführungen.
30
3. Abschließend weist der Senat darauf hin, dass in den Urteilsgründen die für erwiesen erachteten Tatsachen (§ 267 Abs. 1 Satz 1 StPO) in sachlicher Form und mit möglichst eindeutigen Formulierungen dargestellt werden sollten. Der Umgangssprache entnommene Wendungen und Redensarten („mehr schlecht als recht“, „mit Vorwürfen bombardierend“, „kochte in ihr alles hoch“, „sodann war ihr alles egal“, „vergaß sich der Angeklagte komplett“) sind dabei - sofern nicht als Zitate unerlässlich - grundsätzlich zu vermeiden. Ihre Verwendung kann den Bestand des Urteils gefährden, wenn sie mehrdeutig sind oder Wertungen enthalten, die nicht durch Tatsachen belegt sind.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 387/15
vom
3. Dezember 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Dezember
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 23. März 2015 werden mit der Maßgabe verworfen, dass auch das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 30. September 2010 einbezogen ist.
2. Die Staatskasse sowie der Nebenkläger haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren hierdurch jeweils entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen, das Urteil des Amtsgerichts Freiburg vom 25. August 2011 einbezogen und die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die Revision des Nebenklägers haben keinen Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Der mehrfach – auch einschlägig – vorbestrafte, damals knapp 19 Jahre alte Angeklagte besuchte in der Nacht vom 7. zum 8. Juni 2014 mit seinem Bruder S. sowie Freunden und Bekannten eine Bar in F. , wo er den bereits zuvor begonnenen Alkoholkonsum fortsetzte. Etwa um 2 Uhr kam es vor der Bar zu einer Auseinandersetzung zwischen anderen Personen, bei der der erkennbar erheblich alkoholisierte D. – das spätere Tatopfer – versuchte, schlichtend auf die Beteiligten einzuwirken. In der Folge geriet er auf nicht geklärte Weise in eine verbale Auseinandersetzung mit dem Bruder des Angeklagten, den er schließlich von sich stieß, wodurch S. zu Boden ging. Der Angeklagte, der diese Auseinandersetzung mitbekommen hatte, eilte hinzu, drängte D. zurück und zog seinen Bruder fort, um ihm zu helfen und eine Eskalation der Auseinandersetzung zu vermeiden. D. entfernte sich sodann in der Annahme, die Auseinandersetzung sei beendet; der Angeklagte und sein Bruder wendeten sich zum Gehen in die entgegengesetzte Richtung.
4
Der Angeklagte, den mit seinem Bruder eine äußerst enge emotionale Beziehung verbindet und der sich für dessen Sicherheit und Befinden verantwortlich fühlt, geriet nunmehr aufgewühlt durch das vorangegangene Geschehen aufgrund seiner emotional instabilen Persönlichkeitsstörung impulsiven Typs derart in eine affektive Erregung, dass er sich entschloss, D. einen „Denkzettel zu verpassen“. Er drehte sich um und rannte dem bereits etwa 50 Meter entfernten Nebenkläger hinterher, holte ein Messer aus seiner Tasche und klappte dessen acht bis zehn Zentimeter lange Klinge auf, um D. damit zu verletzen. Etwa zehn Meter von D. entfernt forderte er diesen zum Stehenbleiben auf, was dieser tat und sich dem Angeklagten zuwandte. Daraufhin versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen Stich in den Bauch, einen Stich in den rechten Oberarm und zwei Stiche in den Rücken. Bei den Stichen, bei denen der Angeklagte nicht ausschließbar mit Daumen und Zeigefinger auf die Klinge griff, um hierdurch deren „einsatz- fähigen Teil“ zu verkleinern, nahm er lebensgefährliche Verletzungen seines Opfers in Kauf, vertraute aber darauf, dass die Stiche nicht zum Tod des D. führen. Anschließend rannte der Angeklagte weg, obwohl ihm – wie er erkannte – weitere Stiche gegen das Opfer ohne weiteres möglich ge- wesen wären, wobei er befürchtete, sein Opfer tödlich verletzt zu haben.
5
D. befand sich aufgrund der Stiche zu keinem Zeitpunkt in konkreter Lebensgefahr. Der Stich in den Bauch (mittig links unterhalb der letz- ten Rippe) war zwei bis vier Zentimeter tief und „eher flach“, er durchtrennte das Bauchfell nicht und führte auch nicht zu Verletzungen lebenswichtiger Organe oder Gefäße; ein Stich in den Rücken (etwa drei bis fünf Zentimeter links neben der Wirbelsäule in mittlerer Rückenhöhe) war zwei bis drei Zentimeter tief; der weitere Stich in den Rücken (drei bis fünf Zentimeter oberhalb der linken Achsel ) hatte eine Tiefe von zwei bis zweieinhalb Zentimeter. Die Verletzung am Arm befand sich an einer Stelle, die „grundsätzlich nicht geeignet war, lebens- gefährliche Verletzungen zu verursachen“; die Tiefe dieses Stichs ließ sich nicht feststellen.
6
2. Das Landgericht hat dies als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB bewertet. Es ist aber trotz der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung aufgrund der konkreten Angriffsweise, der psychi- schen Verfassung des Angeklagten und seiner Motivationslage der Überzeugung gewesen, dass der Angeklagte nicht mit Tötungsvorsatz handelte.
7
3. Dies beanstanden die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger mit ihren Rechtsmitteln. Die Staatsanwaltschaft rügt zudem, dass das Landgericht § 5 Abs. 3 JGG falsch angewendet und zu Unrecht von der Verhängung einer Jugendstrafe neben der Unterbringungsanordnung abgesehen habe.

II.


8
Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.
9
1. Insbesondere dringen die Angriffe der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts zum fehlenden Tötungsvorsatz nicht durch.
10
a) Vor Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement , umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden , so hat das Revisionsgericht, sofern Rechtsfehler nicht vorliegen, dies auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre. Gleichermaßen allein Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Dies gilt sogar dann, wenn der Tatrichter – anders als hier – im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich gewesen sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissensals auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Umstandes, die einer Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widerspräche (vgl. zum Ganzen BGH, Urteil vom 16. März 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243 mwN; ferner auch Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13). Dies gilt auch für die revisionsgerichtliche Überprüfung im Fall der Nichtverurteilung wegen eines idealkonkurrierenden Delikts aus tatsächlichen Gründen (vgl. BGH, Urteil vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85).
11
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar, noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze.
12
aa) Die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht lückenhaft.
13
Lückenhaft ist eine Beweiswürdigung namentlich dann, wenn sie wesentliche Feststellungen nicht erörtert (BGH, Urteile vom 22. Mai 2007 – 1 StR 582/06; vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13). Einen solchen Mangel des Urteils zeigen die Revisionsführer nicht auf, vielmehr erschöpfen sich ihre Angriffe im Wesentlichen in einer anderen Bewertung von Tatsachen, die das Landgericht in seine Würdigung einbezogen und ersichtlich bedacht hat. Ein zu einem Rechtsfehler führendes „Erörterungsdefizit“ liegt auch nicht darin, dass die Jugendkammer ein bewusstes Verkürzen der Klingenlänge sowie die „rationale Überlegung“ des Angeklagten, dem Opfer einen Denkzettelzu verpassen, bejaht hat, obwohl sie bei diesem von einer hochgradigen affektiven Erregung ausgegangen ist. Denn eine solche Erregung schließt ein bewusstes und ratio- nales Verhalten nicht von vorneherein aus. Auch zur „Hemmschwellentheorie“ bedurfte es keiner näheren Ausführungen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 189 ff.). Soweit die Revisionsführer Feststel- lungen zur verbliebenen Länge der in den Körper des Geschädigten eindringenden Klinge oder dazu vermissen, wie weit der Angeklagte die Klinge hätte verkürzen müssen, damit die Stiche nicht lebensgefährlich sind, hätte es der Erhebung einer zulässigen Verfahrensrüge bedurft (vgl. auch BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13 mwN).
14
bb) Die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil enthält auch weder einen Rechtsfehler darstellende Widersprüche, noch Verstöße gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze.
15
Insbesondere vermag der Senat einen Widerspruch nicht darin zu sehen, dass die Kammer einerseits davon ausgeht, bei der konkreten Art des Messereinsatzes (mit verkürzter Klingenlänge) handle es sich nicht um eine Verletzungshandlung von solch besonderer Gefährlichkeit, dass das Ausbleiben des Todeserfolges sich lediglich als Zufall darstelle, sie aber andererseits davon ausgeht, dass es auch dem Angeklagten bekanntes Allgemeinwissen sei, dass Messerstiche in den Oberkörper grundsätzlich lebensgefährlich seien. Soweit die Jugendkammer im Rahmen der Prüfung des Tötungsvorsatzes darauf verweist , dass gegen ein Billigen der Tötung auch spreche, dass der Angeklagte für diese keinen einsichtigen Beweggrund gehabt habe (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172, 173 mwN), handelt es sich ersichtlich um eine – verkürzte – Bezugnahme auf das von ihr mehrfach angesprochene „Maßregelungsmotiv“, also das Vorhaben, dem Nebenkläger einen „Denkzettel zu verpassen“.
16
cc) Schließlich hat das Landgericht weder die gebotene Gesamtwürdigung unterlassen oder rechtsfehlerhaft vorgenommen, noch hat es überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt. Es hat auch angesichts der von ihm nicht verkannten, den Angeklagten belastenden Umstände weder naheliegende andere Deutungsmöglichkeiten außer Acht gelassen, noch bloße Schlussfolgerungen zur Begründung von Zweifeln am Tötungsvorsatz des Angeklagten angeführt, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fernliegend zu betrachten sind.
17
Soweit die Beschwerdeführer rügen, die Jugendkammer habe den Indizwert der Stiche insbesondere in Bauch und Rücken des Geschädigten und das äußere Tatgeschehen für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu gering bewertet , zeigen sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Gewichtung der objektiven Tatumstände und die Bewertung ihrer Bedeutung für den subjektiven Tatbestand sind allein dem Tatrichter vorbehalten. Dies gilt auch bei Stichen in den Oberkörper des Opfers, die nicht stets und gleichsam automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. August 2012 – 3 StR 237/12, NStZ-RR 2012, 369 f.; vom 17. Dezember 2009 – 4 StR 424/09, NStZ 2010, 571, 572; zu mehreren Messerstichen auch BGH, Urteil vom 28. Januar 2010 – 3 StR 533/09, NStZ-RR 2010, 144 f.).
18
Auch die Einordnung und Würdigung des Handelns in affektiver Erregung obliegt dem Tatrichter (BGH, Urteil vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 f. mwN). Zudem ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass insbesondere bei spontanen, unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das – selbständig neben dem Wissenselement stehende – voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. etwa BGH, Urteil vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 f.).
19
Die Würdigung der Einlassung des Angeklagten lässt ebenfalls keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar ist der Tatrichter nicht verpflichtet, einer Einlassung zu folgen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt, mittels derer die Behauptung sicher widerlegt werden kann (vgl. BGH, Urteile vom 5. November 2014 – 1 StR 327/14, NStZ-RR 2015, 83, 85; vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Denn die Einlassung des Angeklagten zum Verkürzen der Klingenlänge sieht die Jugendkammer rechtsfehlerfrei als belegt an durch die relativ geringe Stichtiefe sowie die Ausführungen des Sachverständigen, dass aus (rechts-)medizinischer Sicht ein weiteres Einführen des Messers in den Körper des Opfers ohne größeren Widerstand möglich gewesen wäre.
20
2. Auch soweit die Jugendkammer von der – zusätzlichen – Verhängung einer Jugendstrafe abgesehen hat, hält das Urteil der Überprüfung stand.
21
a) Wird aus Anlass der Straftat eines Jugendlichen oder Heranwachsenden dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, so wird gemäß § 5 Abs. 3 (i.V.m. § 105 Abs. 1) JGG von Jugendstrafe abgesehen , wenn die Maßregelanordnung die Ahndung durch Jugendstrafe entbehrlich macht. Diese spezifisch jugendstrafrechtliche Vorschrift ermöglicht es, dem Gedanken der Einspurigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen im Jugendstrafrecht Rechnung zu tragen (BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2002 – 4 StR 529/01, NStZ-RR 2002, 182, 183; vom 26. Mai 2011 – 4 StR 159/11, StraFo 2011, 288). Erforderlich ist ein zusätzliches Bedürfnis für die Verhängung einer Jugendstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2009 – 2 StR 240/09).
22
b) Dieses hat die Jugendkammer rechtsfehlerfrei verneint. Die Grenzen des ihr bei dieser Entscheidung zustehenden Ermessens (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2013 – 1 StR 372/13, NStZ-RR 2014, 28) hat sie nicht überschritten; insbesondere hat sie auch den Gedanken des Schuldausgleichs hinreichend berücksichtigt.

III.


23
1. Die Überprüfung des Urteils hat auch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 301 StPO). Insbesondere begegnet die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen rechtlichen Bedenken.
24
Insofern reicht zwar die Diagnose einer "emotional instabilen Persönlich- keitsstörung vom impulsiven Typ“ zur Begründung eines dauerhaften Zustan- des im Sinne des § 63 StGB nicht ohne weiteres aus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Oktober 2006 – 2 StR 349/06, NStZ 2007, 29; vom 21. November 2012 – 4 StR 257/12; ferner Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14), da eine auf eine Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, nicht ohne weiteres einen dauernden Zustand im Sinne des § 63 StGB darstellt (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 4 StR 595/07; vgl. ferner Beschluss vom 22. Februar 2006 – 3 StR 479/05).
25
Die Strafkammer belegt aber – unter anderem durch das Verhalten des Angeklagten in verschiedenen Einrichtungen der Jugendhilfe, seine Vorstrafen sowie die Gründe seiner Verlegung in die Untersuchungshaft für Erwachsene – hinreichend, dass die Auswirkungen seiner Persönlichkeitsstörung zu gravierenden Einschränkungen seines gesamten beruflichen und sozialen Handlungsvermögens geführt und seinen bisherigen Lebenslauf nachhaltig geprägt haben. Die von ihr festgestellten konkreten Auswirkungen auf das Leben des Angeklagten gehen damit über verbreitete Persönlichkeitsakzentuierungen hinaus und belegen nicht nur eine dauerhaft erheblich verminderte Schuldfähigkeit, sondern auch einen Zustand, der die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag; denn dieser liegt auch dann vor, wenn alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 2012 – 4 StR 257/12; zum Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Alkoholeinfluss auch BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15; Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13).
26
2. Jedoch ist der Entscheidungstenor – wie vom Generalbundesanwalt angeregt – dahin klarzustellen, dass das in dem einbezogenen Urteil seinerseits einbezogene frühere Urteil ebenfalls einbezogen ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 3. März 2015 – 3 StR 595/14).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.

(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.

(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.

(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.

(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag

1.
auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder
2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
verursacht worden sind.

(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.