Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2017 - 5 StR 20/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:280617U5STR20.16.0
bei uns veröffentlicht am28.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Zur Frage der Strafbarkeit von Manipulationen im Rahmen der
Verteilung von postmortal gespendeten Lebern wegen versuchten
Totschlags oder versuchter Körperverletzung.
BGH, Urteil vom 28. Juni 2017 – 5 StR 20/16
LG Göttingen –
ECLI:DE:BGH:2017:280617U5STR20.16.0
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 20/16
vom 28. Juni 2017 in der Strafsache gegen

wegen Verdachts des versuchten Totschlags u.a.

ECLI:DE:BGH:2017:280617U5STR20.16.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni 2017, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S. , Rechtsanwalt H. , Rechtsanwalt Ha.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 6. Mai 2015 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen,
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im Zuge von in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführten Lebertransplantationen durch Verletzung von Regeln zur Verteilung von postmortal gespendeten Lebern versuchten Totschlag in elf Fällen und aufgrund nicht gegebener medizinischer Indikation Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen begangen zu haben. Mit ihrer gegen das Urteil gerichteten und auf die Sachrüge gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass der Angeklagte vom Vorwurf des versuchten Totschlages in acht Fällen freigesprochen worden ist. Das in diesem Umfang vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.


1. Das Landgericht hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:
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a) Zum Ablauf des Transplantationsverfahrens:
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Nach der Diagnose einer schweren Lebererkrankung erfolgt zunächst die
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Vorstellung des Patienten in einem als Transplantationszentrum zugelassenen Krankenhaus. Dort wird geprüft, ob die Voraussetzungen für die Durchführung einer Transplantation vorliegen. Bejahendenfalls erfolgt die Aufnahme in die Warteliste des Transplantationszentrums sowie die Listung des Patienten bei Eurotransplant, einer privatrechtlichen Stiftung mit Sitz in Leiden/Niederlande. Eurotransplant vermittelt Spenderorgane im Rahmen eines internationalen Organaustausches in acht europäischen Ländern, darunter Deutschland, und ist von den zuständigen Institutionen in Deutschland als Vermittlungsstelle beauftragt.
Vorgaben und Ausschlusskriterien enthielten zu den Tatzeiten die Richt5 linien der Bundesärztekammer „zur Organtransplantation gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 5 TPG – Regeln zur Aufnahme in die Warteliste und zur Organvermittlung“ in der Fassung vom 18. Dezember 2009 (im Folgenden: RL-BÄK 2009). Entsprechend dem im Jahr 2000 geschlossenen Vertrag über die Vermittlungsstelle hat Eurotransplant ein Handbuch (EurotransplantManual ) herausgegeben, in dem gleichfalls Bestimmungen zur Organverteilung enthalten sind. Danach haben die Richtlinien der Bundesärztekammer Vorrang, wenn Abweichungen zu denen des Handbuchs bestehen.
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Nach der Meldung einer Spenderleber wird von Eurotransplant für diese Leber eine „Match-Liste“ erstellt, auf der die potentiellen Empfänger in einer bestimmten Reihenfolge gelistet sind. In die jeweilige Match-Liste werden lediglich die bei Eurotransplant registrierten Patienten aufgenommen, die aufgrund der von den Transplantationszentren übermittelten Spenderdaten als Empfänger der konkreten Leber in Betracht kommen. Die Reihenfolge auf der Liste richtet sich nach Dringlichkeitsstufen. Vorrangig werden Patienten in akut le- bensbedrohlichen Situationen („High Urgency – HU“) sowie solche berücksich- tigt, die eine kombinierte Organtransplantation benötigen (Transplantation mehrerer Organe). Im Übrigen wird die Reihenfolge durch den „MELD-Score“ bestimmt (Model for Endstage Liver Disease, Modell für Lebererkrankungen im Endstadium). Dieser Wert wird aus drei Blutwerten errechnet (International Normalized Ratio – INR, Serum-Kreatinin und Serum-Bilirubin). Je höher der MELD-Score ist, desto höher ist die statistische Wahrscheinlichkeit, dass der Patient innerhalb von drei Monaten verstirbt. Während ein Patient mit einem MELD-Score von sechs eine Wahrscheinlichkeit von 1 % hat, innerhalb von drei Monaten zu versterben, besteht bei einem Patienten mit dem höchsten MELDScore von 40 ein Sterberisiko von 98 %.
Nach Erstellung der Match-Liste wird das Organ nach einem vorgegebe7 nen Verfahren zugeteilt. Im Standardverfahren (Regelallokation) bietet Eurotransplant das Organ einem Transplantationszentrum für einen bestimmten (elektiven) Patienten an, wobei sich die Abgabe des Angebots beginnend mit dem höchsten MELD-Score nach der absteigenden Reihenfolge der Patienten auf der bis zu einem MELD-Score von 40 reichenden Match-Liste richtet. Der MELD-Score spiegelt dabei die Dringlichkeit der Transplantation und zugleich das statistische Sterberisiko des jeweiligen Patienten wegen einer systembedingten Benachteiligung bestimmter Patientengruppen (unter anderem von
Patienten mit geringer Muskelmasse) sowie wegen einer Interlaborvariabilität hinsichtlich der gemessenen Blutwerte nicht durchweg zuverlässig wider. Eurotransplant ist gleichwohl verpflichtet, die Reihenfolge strikt einzuhalten. Eine Spenderleber wäre daher auch dann dem höherrangigen Patienten anzubieten und im Falle der Annahme zuzuteilen, wenn feststünde, dass ein Patient mit einem niedrigeren MELD-Score die Transplantation zur Lebensrettung dringlicher benötigte als der Patient mit dem höheren MELD-Score.
Bei Annahme des Organangebots im jeweiligen Transplantationszentrum
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teilt Eurotransplant das Organ verbindlich zu. Die Annahmeentscheidung trifft zunächst der Transplantationschirurg und abschließend der Patient. Etwa beim Angebot einer aus ärztlicher Sicht qualitativ unterdurchschnittlichen Leber kann der Arzt im Fall hinreichend stabilen Zustandes seines Patienten das Organangebot ablehnen und auf ein qualitativ besseres Organ warten, um die Chancen des Patienten zu erhöhen, die Transplantation zu überstehen und ein längerfristiges Überleben zu erreichen. Zur Ablehnung von Organangeboten kann es aber auch deshalb kommen, weil im Transplantationszentrum aktuell keine Möglichkeit der Transplantation besteht oder der Zustand des Patienten gerade keine Transplantation erlaubt. Bei einer Ablehnung wird die Leber gemäß Reihung auf der Match-Liste für den jeweils nachfolgenden Patienten angeboten.
Wenn das Organ im Standardverfahren nicht akzeptiert wird, leitet Euro9 transplant in das beschleunigte Vermittlungs- bzw. Zentrumsverfahren über, um den Verlust des Organs für die Transplantation zu vermeiden. Zu den Tatzeiten erfolgte dieser Übergang im Durchschnitt nach 7,4 Ablehnungen. Im beschleunigten Verfahren werden die Organe losgelöst von der konkreten Match-Liste einzelnen Transplantationszentren angeboten, die den ihnen geeignet erscheinenden Patienten nach Ermessen auswählen. Von Oktober 2008 bis Okto-
ber 2011 wurden in Deutschland 2.219 Lebern im Standardverfahren und 1.187, also knapp 35 %, im beschleunigten Verfahren vergeben.

b) Zu den einzelnen Fällen:
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In zwei der noch verfahrensgegenständlichen Fälle liegt dem Angeklag11 ten nach den Feststellungen ausschließlich zur Last, die Aufnahme von Patientinnen in die Warteliste bewirkt zu haben, obwohl dem eine Bestimmung in den RL-BÄK 2009 zwingend entgegengestanden hatte (im Folgenden: „Wartelisten- fälle“). In den verbleibenden sechs Fällen ist hingegen festgestellt, dass der Angeklagte (auch) Falschangaben gegenüber Eurotransplant zu tatsächlich nicht vorgenommenen Nierenersatztherapien veranlasste, um den MELD-Score zu erhöhen und dem jeweiligen Patienten gegebenenfalls zu einem höheren Listenplatz zu verhelfen (im Folgenden: „Manipulationsfälle“). Wird bei einem Patienten nämlich zweimal innerhalb einer Woche vor dem Serum-KreatininTest eine Nierenersatztherapie vorgenommen, so wird der Serum-KreatininWert unabhängig vom tatsächlich gemessenen Wert auf den Höchstwert von 4,0 mg/dl festgesetzt. Bei einem Teil der „Manipulationsfälle“ lagen darüber hin- aus Ausschlusskriterien zur Aufnahme in die Warteliste vor.
aa) „Wartelistenfälle“
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Die Patientinnen F. und V. litten unter alkoholinduzierter
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Leberzirrhose. Der Angeklagte bewirkte jeweils im Mai 2010 deren Aufnahme in die Warteliste. Damit verletzte er die zur Tatzeit gültigen Richtlinien der Bundesärztekammer , nach denen Patienten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose erst in die Warteliste aufgenommen werden durften, wenn sie eine mindestens sechsmonatige Alkoholabstinenz eingehalten hatten (Ziffer II 2.1 Satz 1 RL-BÄK 2009). Beide Patientinnen waren aber – was dem Angeklagten be- kannt war – zu diesem Zeitpunkt noch keine sechs Monate alkoholabstinent gewesen. Im Mai bzw. Juli 2010 nahm der Angeklagte Organangebote an und führte die Transplantation bei den in höchster Lebensgefahr befindlichen Patientinnen lege artis durch.
Hinsichtlich der Patientin F. war darüber hinaus gegenüber Euro14 transplant fälschlich angegeben worden, dass zeitnah Nierenersatztherapien durchgeführt worden seien. Für die Patientin V. war zudem ein unzutreffender Bilirubin-Wert gemeldet worden. Das Landgericht vermochte jedoch nicht festzustellen, dass die Falschangaben durch den Angeklagten veranlasst oder gebilligt worden waren.
bb) „Manipulationsfälle“
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Den Patienten B. , I. , W. , We. , P. und
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Fe. übertrug der Angeklagte im Zeitraum von 2010 bis 2011 jeweils eine Spenderleber. Gegenüber Eurotransplant war zuvor in allen Fällen auf Veranlassung des Angeklagten jeweils der Wahrheit zuwider angegeben worden, es seien zuvor zwei Nierenersatztherapien durchgeführt worden. Die Patienten hatten deshalb an den zum Organangebot und zur Organannahme führenden Match-Verfahren mit einem höheren als dem sich ohne die Falschangaben ergebenden MELD-Score und in der Folge auf einem ihnen an sich nicht gebührenden höheren Listenplatz teilgenommen.
Ziel der vom Angeklagten veranlassten Falschmeldungen war es, die
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Aussichten der Patienten auf eine Organzuteilung zu erhöhen. Sowohl im Zeitpunkt der Falschangabe als auch bei der Annahme des Organs rechnete er damit, dass seinen Patienten das jeweilige Organ bei zutreffenden Angaben unter Umständen nicht zugeteilt würde, weil es dann ein etwa „vorrangiger“ Patient erhalten hätte. Ihm war bewusst, dass ein solcher „vorrangiger“ Patient in die Gefahr geraten könne, nicht mehr rechtzeitig ein anderes passendes Organangebot zu erhalten und aufgrund dessen zu versterben. Er vertraute allerdings darauf, dass der womöglich an höchster Stelle übersprungene (im Fol- genden: „erstüberholte“) Patient rechtzeitig ein anderes passendes Organange- bot bekommen und aufgrund der fehlerhaften Organzuteilung keinen gesund- heitlichen Schaden erleiden werde. Hinsichtlich etwa „überholter“ Patienten auf den Positionen nach dem „Erstüberholten“ vermochte er aufgrund der Unwägbarkeiten des Allokationsverfahrens schon den tatsächlichen Verlauf in seinen wesentlichen Zügen nicht vorauszusehen.
Bei einzelnen Patienten bestanden folgende Besonderheiten:
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Der Patient B. hatte ein akutes Leberversagen infolge Reaktivie19 rung einer Hepatitis B-Virusinfektion unter Chemotherapie erlitten. Der Angeklagte bewirkte seine Aufnahme in die Warteliste, obwohl namentlich die dafür unter Ziffer II 2.5 der RL-BÄK 2009 vorgesehene Bedingung einer Enzephalo- pathie des Grades 3 und 4 („Clichy-Kriterien“) nicht erfüllt war.
Bei dem Patienten I. lag ein extrahepatisches Tumorwachstum vor,
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aufgrund dessen die sogenannten Mailand-Kriterien nicht eingehalten waren (ein Tumor zwischen 2 und 5 cm oder bis zu drei Tumoren kleiner als 3 cm Größe, frei von extrahepatischen Metastasen und makrovaskulär invasivem Wachstum; vgl. Tabelle 3 RL-BÄK 2009). Der Angeklagte bewirkte seine Aufnahme in die Warteliste, obwohl Ziffer II 2.3 der RL-BÄK 2009 Patienten mit extrahepatischem Tumorwachstum von der Aufnahme in die Warteliste ausschloss. Ferner wurde der Patient bei Eurotransplant als „resident“ gemeldet, obwohl er zum Zeitpunkt der Registrierung weder die Staatsangehörigkeit eines „Eurotransplant-Staates“ besaß, noch berechtigterweise für länger als sechs Monate in einem „Eurotransplant-Staat“ gelebt oder gearbeitet hatte.
Der Patient We. litt – wie auch die Patientinnen F. undV. –
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an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose. Auch bei diesem Patienten bewirkte der Angeklagte die Aufnahme in die Warteliste, obwohl die sechsmonatige Wartezeit nicht eingehalten war. Beim Patienten W. vermochte das Landgericht hingegen nicht festzustellen, dass dieser an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose litt und deswegen richtlinienwidrig auf die Warteliste genommen wurde.
cc) Sowohl in den „Wartelisten-“ als auch in den „Manipulationsfällen“
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waren die Lebertransplantationen im Hinblick auf den lebensbedrohlichen Zustand der Patienten durchweg dringlich. Sie wurden zu Heilzwecken und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt. Nach den landgerichtlichen Feststellungen sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der Angeklagte für die regelwidrige Verschaffung von Spenderlebern von seinen Patienten oder Dritten ungebührliche Gegenleistungen erhielt. Ebenso wenig hat das Landgericht festgestellt, dass sich der Angeklagte maßgebend von dem Bestreben leiten ließ, die ohnehin hohe Zahl seiner Transplantationen weiter zu erhöhen und hierdurch seine berufliche Reputation zu steigern.
3. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit wegen versuchten Totschlags
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sowohl aus rechtlichen als auch aus tatsächlichen Gründen verneint.

a) Es hat die Auffassung vertreten, dass den Regularien des Transplan24 tationsgesetzes zur Organverteilung kein Individualschutzcharakter beizumessen sei. Sie bezweckten lediglich den allgemeinen Schutz menschlichen Lebens und der Verteilungsgerechtigkeit nach objektiven, transparenten, gerech-
ten und nachvollziehbaren Maßstäben als Ausdruck der Menschenwürde. Im Blick darauf würde es an der objektiven Zurechenbarkeit eines Todes- oder Körperverletzungserfolgs bei einem Patienten fehlen, der infolge der regelwidrigen Aufnahme von anderen Patienten in die Warteliste oder von Falschangaben zu Nierenersatztherapien nicht den ihm eigentlich gebührenden Platz auf der Match-Liste eingenommen und deshalb kein lebensrettendes Organ erhalten habe. Daraus ergebe sich zugleich, dass es des für einen entsprechenden Versuch erforderlichen Tatentschlusses ermangele.

b) Ferner seien die zu den Tatzeiten geltenden Richtlinien der Bundes25 ärztekammer materiell verfassungswidrig und damit unbeachtlich, soweit hiernach Patienten erst nach mindestens sechs Monaten völliger Alkoholabstinenz in die Warteliste aufgenommen werden durften (Ziffer II 2.1 Satz 1 RL-BÄK 2009). Entsprechendes gelte für den Ausschluss von Patienten mit extrahepatischem Tumorwachstum (Ziffer II. 2.3 RL-BÄK 2009) und von Patienten, bei denen die sogenannten Clichy-Kriterien nicht erfüllt waren (Ziffer II 2.5 RLBÄK 2009). Nach heute geltenden Maßgaben im insoweit relevanten Eurotransplant -Manual dürften auch „non-residents“ bei Eurotransplant gemeldet werden. Dies müsse dem Angeklagten im Fall des Patienten I. nach dem Rechtsgedanken des § 2 Abs. 3 StGB zugutekommen.

c) Schließlich sei ein Tötungs- oder Körperverletzungsvorsatz nicht
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nachweisbar. Das kognitive Vorsatzelement sei allenfalls hinsichtlich des je- weils „erstüberholten“ Patienten aufgrund sachgedanklichen Mitbewusstseins zu bejahen. Insoweit scheide aber das voluntative Vorsatzelement aus. Der Angeklagte habe sich – durch die Feststellungen bestätigt – dahin eingelassen, dass bei hohen MELD-Scores ein Überangebot von Lebern bestehe und dass er deswegen auf einen guten Ausgang habe vertrauen können und tatsächlich auch vertraut habe. In Bezug auf weiter „überholte“ Patienten könne aufgrund eines gänzlich unübersichtlichen tatsächlichen Verlaufs der Organverteilung schon nicht von einer Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs in seinen wesentlichen Zügen und damit nicht vom kognitiven Vorsatzelement ausgegangen werden.

II.


Die Freisprechung des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.
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Die Auffassung des Landgerichts, dass eine Verletzung der durch und aufgrund des Transplantationsgesetzes getroffenen Regularien zur Allokation von postmortal entnommenen Lebern kein Tötungs- oder Körperverletzungsunrecht zu begründen vermag, trifft im Ergebnis jedenfalls für die „Wartelistenfälle“ zu. Hinsichtlich der „Manipulationsfälle“ enthält die durch das Landgericht vorgenom- mene Ablehnung eines Tötungs- bzw. Körperverletzungsvorsatzes keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten. Auch gegen den Freispruch bezüglich denkbarer Ordnungswidrigkeiten nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG ist rechtlich nichts zu erinnern.
1. Der Senat muss nicht abschließend entscheiden, ob eine Verurteilung
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des Angeklagten wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten insgesamt bereits wegen einer fehlenden Zurechenbarkeit scheitert. Dies könnte der Fall sein, wenn § 12 Abs. 3 Satz 1 TPG sowie die damit in Zusammenhang stehenden Vorschriften (insbesondere § 10 Abs. 2 Nr. 1 bis 3, § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 5, § 13 Abs. 3 Satz 1, 3 TPG) lediglich Ausdruck eines Gerechtigkeitsprinzips bei der Organverteilung wären, mithin – wie vom Landgericht angenommen – nicht auf die Verhinderung von Körperverletzungs- und Tötungshandlungen zielten (so Bülte, StV 2013, 753, 755; Verrel, MedR 2014, 464, 467 f.). Gleiches könnte zu gelten haben, wenn die Verwirklichung von Tötungs- und Körperverletzungsdelikten voraussetzen würde, dass dem (den) aufgrund von Manipulationen „überholten“ Patienten ein rechtlich gesicherter Anspruch oder zumindest ein „Anwartschaftsrecht“ auf einOrgan zugestanden hätte, was das allein ein derivatives Teilhaberecht vermittelnde Transplantationsgesetz aber nicht gewährleiste (in diesem Sinne Schroth, NStZ 2013, 437, 443; Schroth/Hofmann, FS Kargl, 2015, S. 526, 530 ff.; Fateh-Moghadam, MedR 2014, 665).
Für eine solche Anschauung könnte über die durch das Landgericht im
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Anschluss an das Schrifttum angeführten Erwägungen hinaus allerdings sprechen , dass der Gesetzgeber des Transplantationsgesetzes Regelverstöße im Rahmen der Organverteilung in § 20 Abs. 1 Nr. 2 (später Nr. 4) TPG lediglich mit Geldbuße bewehren wollte (vgl. hierzu auch RL-BÄK 2009, S. 60 unter Ziffer II 5; entspricht den heute geltenden Richtlinien unter Ziffer II 4). Sie könnten eine weitere Bestätigung durch den Umstand erhalten, dass zur strafrechtlichen Erfassung der in mehreren Transplantationszentren aufgedeckten „Manipulationen“ (vgl. BT-Drucks. 17/13947 S. 25), darunter die des Angeklagten, durch Art. 5d des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2423, 2430) in § 19 Abs. 2a TPG ein Sonderdelikt für Ärzte und von ihnen beauftragte Personen geschaffen worden ist. Nach § 19 Abs. 2a i.V.m. § 10 Abs. 3 Nr. 1 und 2 TPG kann der Arzt oder der von ihm Beauftragte mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft werden, der für eine Meldung des Transplantationszentrums gegenüber Eurotransplant gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 TPG absichtlich den Gesundheitszustand eines Patienten unrichtig erhebt oder dokumentiert oder bei der Meldung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 TPG absichtlich einen unrichtigen Gesundheitszustand übermittelt, um Patienten bei der Führung der einheitlichen Warteliste zu bevorzugen. Die damit verpönten, in der Absicht der Bevorzugung von Patienten erfolgten „Manipulationen“ entsprechen den durch das Landgericht festgestellten Taten des Angeklagten. Die Schaffung der neuen Strafvorschrift wäre unverständlich, wenn die Taten bei weitaus höheren Strafdrohungen wegen eines individualschützenden Charakters der Regeln des Allokationsverfahrens bereits als (versuchte) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte angesehen werden könnten. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht entscheidend an, weil der Freispruch aus anderen Gründen Bestand hat.
2. Soweit dem Angeklagten allein zur Last liegt, die Aufnahme von Pati30 entinnen mit alkoholinduzierter Leberzirrhose in die Warteliste bewirkt zu haben , obwohl die in Ziffer II 2.1 Satz 1 RL-BÄK 2009 enthaltene Ausschlussklausel betreffend eine Alkoholabstinenzzeit von sechs Monaten nicht eingehalten war (Patientinnen F. und V. ), scheidet eine Bestrafung des Angeklagten wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung im Blick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG garantierte Gesetzlichkeitsprinzip aus (dazu Buchst. a). Zudem vermag die Richtlinienbestimmung wegen Überschreitung der Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 2 Nr. 2 TPG sowie wegen inhaltlicher Mängel keine strafrechtsbegründende Wirkung zu entfalten (dazu Buchst. b).

a) Die Verletzung der genannten Richtlinienbestimmung ist jedenfalls auf
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der Grundlage des zur Tatzeit geltenden Transplantationsgesetzes einer strafrechtlichen Bewehrung nicht zugänglich (zur Beurteilung nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 16 Abs. 3 Satz 1 TPG vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 678 f.).
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ver32 langen der strenge Gesetzesvorbehalt des Art. 103 Abs. 2 GG sowie Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, dass der Gesetzgeber selbst die Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Art der Strafe festlegt; diesen Anforderungen ist nicht genügt,
wenn die Strafbarkeit ohne hinreichende Vorgaben in einer Ermächtigungsnorm an einen Verstoß gegen Verhaltenspflichten geknüpft wird, die erst durch einen Ausführungsakt (Rechtsverordnung oder Verwaltungsakt) begründet werden (vgl. etwa BVerfGE 75, 329, 341 ff.; 78, 374, 383 ff.; BVerfG, NJW 2016, 3648, 3651 Rn. 46 f.).
bb) Mit der wohl herrschenden Meinung im Schrifttum sind die Richtlinien
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der Bundesärztekammer trotz deren privat-rechtlicher Organisation (nicht rechtsfähiger Verein) als eine Form exekutiver Rechtssetzung zu qualifizieren (vgl. Höfling, TPG, 2. Aufl., § 16 Rn. 5; Gutmann in Schroth/König/Gutmann/ Oduncu, TPG, 2005, § 16 Rn. 4; Bader, Organmangel und Organverteilung, 2010, S. 184, alle mwN; aM Nickel/Schmidt-Preisigke/Sengler, TPG, 2001, § 16 Rn. 20: „antizipiertes Sachverständigengutachten“). Nach den Feststellungen des Landgerichts werden sie in der Praxis der Transplantationsmedizin auch so gehandhabt, indem Alkoholkranke trotz gegebener medizinischer Indikation für eine Leberübertragung bei Nichteinhaltung der Abstinenzzeit nicht in die Warteliste aufgenommen und so gegebenenfalls dem Tod überantwortet werden.
Als Ausfluss exekutiver Rechtssetzung wäre die Bestimmung zwar im
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Grundsatz mit repressiver Sanktion bewehrbar. Jedoch würde ein Blankettstrafgesetz , das die Verletzung der Richtlinie zur Aufnahme in die Warteliste unter Strafe stellt, den vorgenannten Erfordernissen offensichtlich nicht entsprechen. Denn das Transplantationsgesetz enthält keine annähernd bestimmten Vorgaben für die Ausgestaltung der Regeln (vgl. auch Schmidt-Aßmann, Grundrechtspositionen , 2001, S. 103). Die insoweit relevanten, in der Tendenz gegenläufigen Kriterien der „Notwendigkeit und Erfolgsaussicht“ einer Transplantation (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 TPG), die überdies nur beispielhaft genannt („insbesondere“) und in eine Vermutungsregel eingestellt sind (§ 16 Abs. 1 Satz 2 TPG), lassen bereits nicht erkennen, welche konkreten Handlungs- oder Unterlassungspflichten hieran geknüpft sein könnten (vgl. Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539; Streng-Baunemann, FS Streng, 2017, S. 767, 777). Einen annähernd bestimmten gesetzgeberischen Auftrag für die Normierung eines strikten und mit repressiver Sanktion zu bewehrenden Ausschlusstatbestandes betreffend Alkoholkranke enthält die Regelung nicht. Ein solcher kann auch nicht aus § 16 Abs. 1 Satz 1 TPG abgeleitet werden, wonach die Bundesärztekammer den „Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ festzulegen hat.
cc) Diese Umstände können bei der Interpretation des § 212 StGB nicht
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außer Acht bleiben. Zwar trifft es zu, dass das vorsätzliche Tötungsdelikt des § 212 Abs. 1 StGB (ebenso wie das vorsätzliche Körperverletzungsdelikt nach § 223 StGB) keine spezielle Form der Tatbegehung voraussetzt (vgl. Rissingvan Saan, NStZ 2014, 233, 239; Bülte, aaO, S. 753). Da die „Alkoholkarenz- klausel“ keinem medizinisch-naturwissenschaftlichen Erfahrungssatz entspringt, wonach die Lebertransplantation bei alkoholinduzierter Zirrhose vor Ablauf von exakt sechs Monaten Alkoholabstinenz medizinisch nicht sinnvoll ist (dazu auch unten Buchst. b), könnte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte vorliegend nur mit der formalen Verletzung der Richtlinien begründet werden. Es kann aber nicht in Betracht kommen, im Wege der Auslegung der §§ 212, 223 StGB eine allein an den Formalverstoß anknüpfende Bewehrung der – nach den vorbezeichneten Grundsätzen nicht strafrechtlich bewehrbaren – Richtlinienbestimmung herbeizuführen und insbesondere den Totschlagstatbestand hierdurch bei sehr hohen Strafdrohungen gleichsam als durch die Richtlinienbestimmung ausgefülltes Blankett auszugestalten (vgl. auch Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539). Eine Auslegung in diesem Sinne würde Art. 103 Abs. 2 GG verletzen.
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b) Das Landgericht hat ferner zutreffend inhaltliche Bedenken gegen die Ausschlussklausel geltend gemacht.
aa) Nach dessen rechtsfehlerfreien Feststellungen hat der Angeklagte
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bei den alkoholkranken und an einer alkoholinduzierten Leberzirrhose leidenden Patientinnen F. und V. die Aufnahme in die Warteliste bewirkt, obwohl diese, wie er wusste, noch nicht sechs Monate abstinent waren. In beiden Fällen war die Transplantation zur Lebensrettung dringend angezeigt. Die Patientinnen wären ohne sie binnen weniger Tage verstorben, hätten die Karenzfrist mithin nicht überlebt (UA S. 390, 486).
Die durch mehrere Gutachter sachverständig beratene Schwurgerichts38 kammer hat zu den medizinischen Gesichtspunkten festgestellt, dass die Lebertransplantation auch bei einem denkbaren Rückfall in die Alkoholsucht erfolgversprechend sei. Es sei relativ selten, dass Patienten mit alkoholinduzierter Zirrhose, die nach einer Lebertransplantation weiterhin Alkoholabusus betrieben , aus diesem Grund einen Transplantatverlust erlitten (UA S. 135, 442). Bei einer angenommenen Rückfallquote von 50 % erlitten nur etwa 4 % der untersuchten Patienten einen Transplantatverlust (UA S. 454). Das Sterberisiko nach Transplantation liege bei erneutem schwerem Alkoholkonsum unter 2 % (UA S. 454). Die Überlebensraten betrügen nach fünf Jahren 73 % und nach zehn Jahren 58 % (UA S. 442 f.). Bei einer Alkoholkarenz trete auch keine Besserung der Leberzirrhose ein. Bessern könne sich lediglich die Leberfunktion. Die Leberzirrhose selbst sei hingegen irreversibel und bleibe trotz Alkoholkarenz mit all ihren Risiken bestehen; so drohe jederzeit die Entwicklung einer akuten, lebensgefährlichen Dekompensation (UA S. 452 f.). Dementsprechend sei es europäischer Standard, dass zumindest dann transplantiert werde, wenn der Patient eine Abstinenzzeit voraussichtlich nicht überleben würde (UA S. 443).
Darüber hinaus wird – ohne Karenzzeit – auch in Deutschland bei Alkoholkranken eine medizinische Indikation für eine Leberteillebendspende angenommen (Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 492).
bb) Angesichts dieser Befunde, die durch zahlreiche Untersuchungen
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bestätigt werden (vgl. Bader, aaO, S. 247 ff.; Fateh-Moghadam, aaO, S. 666; Strassburg, Der Chirurg, 2013, 363, 367, alle mwN), ist die Schwurgerichtskammer mit Recht davon ausgegangen, dass keine medizinischen Gründe existieren , die den in den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgenommenen strikten Ausschluss von Alkoholikern vor Ablauf einer sechsmonatigen Absti- nenzzeit zu rechtfertigen vermögen. Daraus folgt zugleich, dass die „Karenzklausel“ die auf die Festlegung von „Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft“ zielende Ermächtigungsnorm des § 16 Abs. 1 TPG überschreitet und damit schon aus diesem Grunde nicht strafrechtsbegründend wirken kann (vgl. Gutmann, aaO, § 16 Rn. 15; Bader, aaO, S. 381; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 492 mit Fn. 54; Dannecker/A. Streng, JZ 2012, 444, 451 mit Fn. 94; Dannecker /Streng-Baunemann, NStZ 2014, 673, 675 f.; Sickor, GesR 2014, 204 f.; Lang, MedR 2005, 269, 275 ff.). Es bestehen überdies Zweifel, dass eine nicht durch eine Therapie begleitete Abstinenzzeit von exakt sechs Monaten eine wesentliche Verminderung der Rückfallgefahr und damit eine signifikante Steigerung der Erfolgschancen (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 TPG) zu bewirken geeignet wäre (vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, aaO, S. 676 mwN; siehe auch Strassburg, aaO). Ungeachtet dessen ist die Karenzklausel wegen der auch bei einem Alkoholrückfall bestehenden Überlebenschancen jedenfalls insoweit durchgreifenden Bedenken unter dem Blickwinkel von Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1 GG ausgesetzt, als dadurch auch Patienten ausgeschlossen werden, die – wie die Patientinnen F. und V. – die Frist von sechs Monaten ohne Transplantation nicht überleben würden (vgl. Dannecker/Streng-Baunemann, aaO, S. 675 ff.).
cc) Da jedenfalls eine Norm im Rang unter dem förmlichen Gesetz in
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Frage steht, ist der Senat nicht durch das Normverwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gehindert, deren Verfassungswidrigkeit in den Gründen seiner Entscheidung festzustellen (vgl. BVerfG, NVwZ-RR 2000, 473, 474 mwN). Die verfassungsrechtliche Nachprüfung obliegt in Fällen ihrer Entscheidungserheblichkeit vielmehr jedem Richter (vgl. BVerfGE 48, 40, 45; BVerfG, NVwZ-RR 2000, 473, 474; BGH, Urteil vom 11. Januar 2016 – AnwZ [Brfg] 49/14, BRAK-Mitt 2016, 139 Rn. 11, jeweils mwN; Dannecker/StrengBaunemann , aaO, S. 678).
dd) Eine strafrechtsbegründende Bindungswirkung der Ausschlussklau41 sel lässt sich entgegen der Meinung des Generalbundesanwalts auch nicht mit dem Gedanken einer „Schicksalsgemeinschaft“ rechtfertigen, der alle ein Organ benötigenden Patienten angehören sollen und innerhalb derer die Regeln bis zu einer gerichtlich festgestellten Verfassungswidrigkeit auch bei tatsächlich gegebener Verfassungswidrigkeit zu beachten seien, andernfalls eine Strafbarkeit wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung zwingend geboten sei, um einen „ungeregelten“ Zustand zu vermeiden (vgl. auch Rissing- van Saan, aaO, S. 244; hiergegen Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 540 ff.). Zunächst würde diese Auffassung im Blick auf nach wie vor völlig ungeklärte Fragen des Rechtsschutzes (dazu Lang in Höfling, aaO, Einführung IV Rn. 25 ff., Gutmann, aaO, § 12 Rn. 39 ff.; Schmidt-Aßmann, aaO, S. 109 ff., jeweils mwN) in Verbindung mit der Situation des vor einer lebensnotwendigen Operation stehenden Arztes – ungeachtet der insoweit verfassungsrechtlich gebotenen Gewährleistung eines Eilrechtsschutzes (vgl. BVerfG, NJW 2017,
545; 2013, 1727; Beschluss vom 18. August 2014 – 1 BvR 2271/14) – faktisch auf eine kaum zu begründende „Schicksalsgemeinschaft bis in den Tod hinein“ hinauslaufen. Zudem könnte durch diesen Gedanken jedenfalls nicht die Absicherung eines etwa verfassungswidrigen Systems gerade durch die Straftatbestände des Totschlags oder der Körperverletzung gerechtfertigt werden (vgl. Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 542). Der Gesetzgeber des Transplantationsgesetzes hat für Regelverstöße in diesem Bereich mit § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG eine Bußgeldbestimmung normiert. Soweit sie Fälle der vorliegenden Art nach Ansicht des Senats nicht erfasst (dazu unten I. 4.), kann sich dies nicht dahin auswirken, dass der Normunterworfene aufgrund des gesetzgeberischen Defizits nunmehr wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte bestraft werden müsste.
3. Auch die Freisprüche in den sechs „Manipulationsfällen“ halten revisi-
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onsgerichtlicher Nachprüfung stand.

a) Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob eine Bestrafung des An43 geklagten wegen der durch ihn veranlassten Falschangaben bereits aus den vorstehenden Gründen unter dem Aspekt des Art. 103 Abs. 2 GG oder wegen Unbeachtlichkeit der Richtlinienbestimmungen ausscheiden müsste. Dafür könnte sprechen, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung hier gleichfalls nur mit der formalen Verletzung von Bestimmungen in den Richtlinien der Bundesärztekammer begründet werden könnte. Auch hinsichtlich der Falschangaben betreffend die zeitnahe Durchführung von Nierenersatztherapien geht der Vorwurf nicht dahin, Patienten mit höherer Dringlichkeit als die der eigenen Patienten benachteiligt zu haben. Die Frage der Dringlichkeit im konkreten Einzelfall spielt vielmehr , wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 573 f.), im formali-
sierten Match-Listenverfahren keine Rolle. Über den Rang auf der Match-Liste entscheidet allein der sich aus drei Blutwerten konstituierende MELD-Score, der die Dringlichkeit im Einzelfall nach den Ausführungen aller durch die Schwurgerichtskammer angehörten Sachverständigen aber nicht durchweg zuverlässig widerzuspiegeln vermag. Eurotransplant wäre daher zu einem Angebot und nach der Annahme durch den behandelnden Arzt zur Zuteilung des Organs an den den ersten Rang einnehmenden Patienten auch dann verpflichtet, wenn sicher feststünde, dass die Transplantation bei einem nachrangigen Patienten dringlicher wäre als bei diesem.
Das Landgericht hat ferner festgestellt, dass die für den MELD-Score
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ausschlaggebenden Blutwerte, die über die Rangstellung in der Match-Liste und damit auch für die Chance der Organerlangung entscheidend sind, derzeit nicht in einem standardisierten Verfahren ermittelt werden. Nach den durch die Schwurgerichtskammer zugrunde gelegten Ausführungen der Sachverständigen besteht namentlich bei der Messung des INR-Werts eine hohe Interlaborva- riabilität (UA S.589). In einschlägigen Studien hätten sich im Durchschnitt Unterschiede zwischen drei und fünf MELD-Punkten ergeben. Es könne aber auch zu Abweichungen von bis zu zwölf MELD-Punkten kommen (UA S. 590). Eine Standardisierung sei zwar möglich, jedoch derzeit nicht „verfügbar“ (UA S. 590). Zu Abweichungen aufgrund unterschiedlicher Messmethoden könne es auch bei der Messung des Bilirubin- und des Kreatininwerts kommen (bis zu sieben MELD-Punkten; UA S. 591). Weitere Verwerfungen entstünden etwa bei Patienten mit geringer Muskelmasse, weswegen Frauen und bettlägerige Patienten generell benachteiligt seien; bei 65 % der weiblichen Lebertransplantationskandidaten sei eine Differenz von zwei bis drei Punkten beobachtet worden (UA S. 591). Eine mangels – grundsätzlich möglichen – standardisierten Verfahrens zu verzeichnende „Interlaborvariabilität“ bis in den zweistelligen Bereich hinein auf dem lediglich bis zu 40 Punkten reichenden MELD-Score kann aber gewichtige Auswirkungen auf die zu ermittelnde Rangliste und damit zugleich auf die Chance der Organerlangung haben. Angesichts der hierdurch verursachten Verzerrungen und der damit verbundenen Beeinträchtigung der Chancengleichheit der betroffenen Patienten könnte es deshalb auch insoweit der Basis für eine strafrechtliche Absicherung der vorgegebenen Regularien ermangeln (vgl. auch Streng-Baunemann, aaO, S. 775).

b) Es kann ebenso offen bleiben, ob dem Landgericht darin beizutreten
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ist, dass die in Ziffer II 2.5 der RL-BÄK 2009 enthaltene Bedingung einer Enzephalopathie des Grades 3 und 4 („Clichy-Kriterien“) für die Aufnahme in die Warteliste von Patienten mit einer Hepatitis B-Virusinfektion (Patient B. ) materiell verfassungswidrig und deswegen unbeachtlich ist. Entsprechendes gilt für das Ausschlusskriterium eines extrahepatischen Tumorwachstums gemäß Ziffer II 2.3 der RL-BÄK 2009 (Patient I. ). Allerdings treffen die Erwägungen unter Ziffer 2 Buchst. a betreffend eine fehlende Ahndbarkeit unter dem Blickwinkel des Art. 103 Abs. 2 GG auch auf diese Ausschlussbestimmungen zu.

c) Der Senat muss diese Fragen nicht abschließend entscheiden, weil
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jedenfalls die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Prüfung des Vorsatzes (Tatentschlusses) keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten aufweist. Die beweiswürdigenden Ausführungen des Landgerichts , mit denen es einen bedingten Tötungs- und Körperverletzungsvorsatz verneint hat, halten im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
aa) Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Erfolg als
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mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumin- dest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 344/16 Rn. 18; vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Die Prüfung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.). Dabei sind insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582; vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 344/16, aaO).
(1) Die Schwurgerichtskammer hat zugrunde gelegt, dass der Angeklag48 te in sämtlichen Fällen handelte, um seinen Patienten zu helfen. In allen verfahrensgegenständlichen Fällen ging er berechtigterweise davon aus, dass die Transplantation bei ihnen hochdringlich war. Es bestand die Gefahr, dass die Patienten ohne Transplantation kurzfristig versterben würden. Ziel der durch den Angeklagten veranlassten Falschmeldungen zu zeitnah durchgeführten Nierenersatztherapien war es, den für das Organangebot und die Organzuteilung durch Eurotransplant maßgeblichen MELD-Score zu erhöhen. Hierdurch wollte er erreichen, dass seine Patienten in nachfolgenden Match-Verfahren andere Patienten „überholen“ würden, die bei wahrheitsgemäßen Angaben und
damit regulärem Match-Verlauf auf den Match-Listen womöglich vor seinen Patienten gestanden hätten.
Ihm war dabei bekannt,
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 dass zu den Tatzeiten etwa 400 bis 500 Patienten auf der Leberwarteliste stehende Patienten ohne rechtzeitiges Organangebot verstarben, darunter jedoch eine unbekannte Zahl, die selbst durch schnellstmögliche Transplantation nicht mehr hätten gerettet werden können,  dass sich die jeweilige „Manipulation“ unter Umständen überhaupt nicht auswirken, regelmäßig jedoch einige wenige Patienten betreffen werde,  dass sie sich für einen „überholten“ Patienten im Einzelfall sogar lebensverlängernd auswirken könne,  dass tatsächlich „überholte“ Patienten weitere Erstangebote erhal- ten würden, ihr Risiko, aufgrund der Manipulation zu versterben, deshalb gering und zudem nicht sicher sei, ob das aufgrund der Täuschung ihnen nicht angebotene Organ für sie auch geeignet gewesen wäre.
Ob die Transplantation bei den unter Umständen „überholten“ Patienten
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dringlicher, vergleichbar dringlich oder weniger dringlich sein würde als bei seinen Patienten, wusste er nicht.
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Davon ausgehend habe es der Angeklagte für denkbar gehalten, dass aufgrund der Falschangaben ein vielleicht ansonsten den ersten Rang auf der für eine bestimmte Leber durch Eurotransplant erstellten Match-Liste einnehmender Patient das vom Angeklagten später transplantierte Organ nicht erhalten und deswegen versterben werde. Jedoch habe er begründet darauf vertraut , dass dieser Erfolg nicht eintreten werde. Hingegen habe er hinsichtlich womöglich weiterer „überholter“ Patienten aufgrund der Unwägbarkeiten des Allokationsverfahrens den Kausalverlauf in seinen wesentlichen Zügen nicht vorausgesehen und auch nicht voraussehen können, weswegen es insoweit bereits am Wissenselement des Vorsatzes gefehlt habe.
(2) Das Landgericht hat in seine Vorsatzprüfung sämtliche vorsatzrele52 vanten Umstände eingestellt und im Ergebnis in vertretbarer Weise gewürdigt. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerfrei.
(a) Allerdings kommt in den durch die Schwurgerichtskammer angestell53 ten Erwägungen ein für den Tatvorsatz entscheidender Bezugspunkt nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. Wie das Landgericht in seiner Begründung zur Ablehnung vollendeter Totschlagstaten nämlich zutreffend ausführt, ist dafür maßgebend, ob ein aufgrund der Falschangaben „überholter“ und dann verstorbener Patient mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt hätte, wenn ihm das konkrete Organ entsprechend der ihm eigentlich gebührenden Rangstellung angeboten worden wäre (UA S. 291). Die Richtigkeit die- ser Fragestellung wird ohne Weiteres daran deutlich, dass der „überholte“ Pati- ent im Fall seines Versterbens nicht gerade aufgrund einer Handlung des Angeklagten verstorben wäre, sondern an den Folgen seiner Krankheit. Der insoweit für die strafrechtliche Beurteilung entscheidende Akt ist deshalb die durch die Falschangaben bewirkte Nichtzuteilung des Organs, mithin ein Unterlassen.
Ein Nichtgeschehen kann aber nicht Ursache eines Erfolgs sein, weswegen die Grundsätze der sogenannten „Quasi-Kausalität“ zur Anwendung kommen müssen (vgl. dazu BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 4 StR 473/13, BGHSt 59, 292, 301 mwN). Das gilt gewiss, wenn Fälle wie die vorliegenden als Unterlassungstaten gewertet werden (so Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486, 488 f.). Nichts anderes ergibt sich jedoch, sofern man etwa unter Annahme einer Konstellation des Abbruchs rettender Kausalverläufe ein positives Tun bejaht (so Rosenau, FS Schünemann, 2014, S. 689, 696; im Ergebnis auch Jäger in Kudlich /Jä-ger/Montiel, Aktuelle Fragen des Medizinstrafrechts, 2017, S. 11, 26 f.). Denn auch dann bleibt es dabei, dass die Nichtzuteilung eines Organs ein „Nichtgeschehen“, mithin ein Unterlassen darstellt. Anerkanntermaßen dürfen und müssen daher beim Eingriff in rettende Kausalverläufe hypothetische Kausalverläufe berücksichtigt werden (vgl. Rosenau, aaO; Schroth/Hofmann, NStZ 2014, aaO; allgemein Philipps, Der Handlungsspielraum, 1974, S. 120 f.; aM Rissing-van Saan, aaO, S. 241).
Mit Recht geht das Landgericht davon aus, dass der Nachweis einer mit
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an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretenden Lebensverlängerung und damit eines vollendeten Totschlags vorliegend nicht geführt werden kann (UA S. 291). Das gilt bereits wegen des mit 5 bis 10 % (vgl. UA S. 585) beträchtlichen Risikos jedes Patienten, in oder unmittelbar nach der Transplantation zu versterben. Die in den Urteilsgründen im Einzelnen dargelegten Unwägbarkeiten des Allokationsverfahrens kommen hinzu (z.B. UA S. 594). Danach kann unter anderem nicht beurteilt werden, ob das konkrete Organ für den „überholten“ Patienten überhaupt geeignet und er zum maßgebenden Zeitpunkt transplantabel gewesen wäre sowie ob die Transplantation zum Zeitpunkt des Angebots im fraglichen Transplantationszentrum hätte durchgeführt werden können.
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Diese Umstände müssen in die Prüfung des Tatentschlusses im Rahmen der Versuchsprüfung einbezogen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss dem Täter bewusst sein, dass der Rettungserfolg mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten würde (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 1970 – 1 StR 175/70, MDR 1971, 361, 362 [bei Dallinger]; wohl auch Beschluss vom 6. März 2007 – 3 StR 497/06, NStZ 2007, 469; zust. z.B. SSW-StGB/Kudlich, 3. Aufl., § 13 Rn. 38; LK-StGB/Jescheck, 11. Aufl., vor § 13 Rn. 96; Rosenau, aaO, S. 699; aM etwa Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 15 Rn. 94 mwN; Verrel, aaO, S. 467; Haas, HRRS 2016, 384, 395 f.). Es lassen sich den Urteilsgründen aber keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass eine „Quasi-Kausalität“ im genannten Sinne vom Vorstellungsbild des in allen Belangen der Lebertransplantation versierten Angeklagten umfasst gewesen ist. Zwar hielt er es nach den Wertungen des Landgerichts für möglich, dass ein „erstüberholter“ Patient mangels Angebots des konkreten Organs und darauf folgender Transplantation versterben könnte. Er konnte jedoch schon wegen des ihm bekannten hohen Sterberisikos in oder unmittelbar nach der Transplantation und der weiteren Verwerfungen des Allokationsverfahrens nicht davon ausgehen, dass bei dem ihm unbekannten Patienten im Fall des Angebots bzw. der Zuteilung und dann der Übertragung der konkreten Leber mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eine Lebensverlängerung eintreten werde. Damit fehlt es bereits am kognitiven Vorsatzelement.
Der Senat ist – jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles – be56 fugt, die Auswirkungen des Kriteriums der „Quasi-Kausalität“ auf die Beurteilung des Vorsatzes selbst zu würdigen. Die maßgebenden Gesichtspunkte hat die Schwurgerichtskammer im Ansatz nicht verkannt. Sie sind bei ihren Ausführungen zum voluntativen Vorsatzelement (insbesondere UA S. 584 f.) sowie zum
(fehlenden) Wissenselement in Bezug auf die weiter „überholten“ Patienten (UA S. 593 ff.) – wenngleich in anderem Zusammenhang – allesamt dargetan und zwingen zur Ablehnung des Wissenselements des Vorsatzes. Danach ist auszuschließen , dass das Tatgericht zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn es seiner Vorsatzprüfung den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hätte.
(b) Aus dem Vorstehenden folgt zugleich, dass die Schwurgerichtskam57 mer hinsichtlich der Patienten, die bei ordnungsgemäßer Allokation Rangstellen unterhalb des ersten Platzes, aber womöglich vor den Patienten des Angeklagten auf der Match-Liste eingenommen hätten, im Ergebnis zutreffend das kognitive Vorsatzelement abgelehnt hat.
(c) Aber auch die Prüfung des voluntativen Vorsatzelements in Bezug auf
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die „erstüberholten“ Patienten nach den durch die Schwurgerichtskammer an- gelegten Maßstäben wäre nicht durchgreifend rechtsfehlerhaft.
Das Landgericht hat maßgebend auf das Wissen des Angeklagten abge59 stellt, dass zu den Tatzeiten namentlich bei hohen MELD-Scores ein „Überan- gebot“ von Lebern bestand. Hierfür hat es beweiswürdigend insbesondere den Umstand herangezogen, dass nach den Verläufen der ursprünglich verfahrensgegenständlichen insgesamt elf Match-Listen-Verfahren lediglich eine Patientin ohne Organangebot verstorben ist. Diese war aber schon angesichts des Todeszeitpunkts unmittelbar nach Beginn des fraglichen Match-Verfahrens wahrscheinlich nicht mehr transplantabel (UA S. 536 f.). Für alle sonstigen Patienten hatte es bis zu 54 Organangebote gegeben. Soweit in oder nach der Transplantation Todesfälle eingetreten sind, besagt dies nichts über die Auswirkungen der „Manipulationen“. Der Umstand kann unter anderem durch die hohen Risiken jeder Lebertransplantation bedingt sein. Hinsichtlich der jeweils „erstüber-
holten“ Patienten hat das Landgericht ferner den Match-Listen-Verläufen in den verbliebenen „Manipulationsfällen“ entnommen, dass diese, teilweise nach bis zu 19 Erstangeboten, in fünf der sechs Fälle erfolgreich transplantiert wurden. Allein im Fall des Patienten We. verstarb der „erstüberholte“ Patient ohne Transplantation. Es waren ihm zuvor aber neun Erstangebote unterbreitet worden. Auch die gehörten medizinischen Sachverständigen haben die Einlassung des Angeklagten betreffend das „Überangebot“ von Spenderlebern bestätigt.
Anders als der Generalbundesanwalt besorgt der Senat nicht, das Land60 gericht könne im Rahmen seiner Vorsatzprüfung durch die Rechtsprechung entwickelte „Vorgaben zum vorsatzspezifischen Umgang mit statistischen Lebensgefahren“verkannt haben. Zwar hat der Bundesgerichtshof in der durch den Generalbundesanwalt zitierten Entscheidung zu ungeschützten Sexualkontakten eines HIV-Infizierten die Auffassung vertreten, für die Annahme eines bedingten (Körperverletzungs-)Vorsatzes könnten auch statistisch gering zu veranschlagende Risiken herangezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 11 f.). Abgesehen davon, dass das Urteil wegen des hier anzulegenden Maßstabes einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ (dazu oben) nicht übertragbar ist, hat der Bundesgerichtshof darin nicht etwa einen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, dass bei bestimmten Wahrscheinlichkeitsgraden eines Erfolgseintritts stets vom Vorliegen bedingten Vorsatzes auszugehen sei. Zudem hat er im konkreten Fall die tatgerichtliche Ablehnung eines Tötungsvorsatzes wegen einer denkbaren Hoffnung des dortigen Angeklagten auf die Entwicklung eines geeigneten Medikaments gebilligt (vgl. BGH, aaO, S. 15 f.).
Das Landgericht hat die statistischen Wahrscheinlichkeitsberechnungen
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zum Risiko zeitnahen Versterbens bei hohen MELD-Scores – unbeschadet de- ren aufgrund der bereits dargestellten Umstände verminderter Aussagekraft – nicht außer Acht gelassen. Es hat diese in Bezug gesetzt zu der (höheren) Wahrscheinlichkeit eines zeitnahen Organangebots und dem durch die Beweisaufnahme bestätigten breiten Erfahrungswissen des Angeklagten zu einem „Überangebot“ von Lebern vor allem bei hohen MELD-Scores. Im Rahmen sei- ner sorgfältigen Gesamtschau hat es diese sowie weitere Umstände bedacht und gegeneinander abgewogen. Im Ergebnis hat es kein deutliches Überwie- gen der „negativen“ Faktoren gesehen, aufgrund dessen ein Vertrauen des Angeklagten in einen „guten Ausgang“ in den Bereich der vagen Hoffnunghätte verwiesen werden müssen. Dieser Schluss ist möglich, zwingend muss er nach allgemeinen Regeln nicht sein. Ihm steht auch nicht etwa die Sorge des Ange- klagten um den eigenen Patienten entgegen, die als deren Kehrseite „zwingend“ den Tötungsvorsatz zubegründen geeignet sei (so OLG Braunschweig, NStZ 2013, 593, 595). Denn aus dem Bewusstsein der Gefährdung etwa „überholter“ Patienten (Wissenselement) folgt nicht notwendig auch das billigende Inkaufnehmen eines Tötungserfolges (Willenselement). Für den Angeklagten war eine hinreichende Vertrauensbasis vorhanden.
Angesichts des insoweit beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungs62 maßstabes wäre die tatgerichtliche Überzeugungsbildung im Übrigen selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 344/16 Rn. 17, vom 14. Januar 2015 – 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460; vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87, alle mwN). Mit seiner gegenteiligen Würdigung derselben Umstände kann der Generalbundesanwalt im Revisionsverfahren kein Gehör finden.
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bb) Aus den vorgenannten Gründen hält auch die Ablehnung versuchter Körperverletzungsdelikte rechtlicher Nachprüfung stand.
Nach den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts spricht nichts
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dafür, dass der Angeklagte angenommen haben könnte, das Leiden eines auf- grund der Falschangaben „überholten“ Patienten werde sich wegen der Nicht- zuteilung der jeweiligen Leber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verschlimmern oder jedenfalls verlängern. Das gilt schon wegen des hohen Sterberisikos in und unmittelbar nach der Transplantation. Hinzu kommen entsprechend den landgerichtlichen Darlegungen die jeweils nicht fernliegenden Möglichkeiten der Nichteignung des Organs, fehlender Operationsmöglichkeiten im jeweiligen Transplantationszentrum, eines stabilen Zustandes des Patienten oder der Notwendigkeit der Retransplantation wegen Abstoßung der übertragenen Leber. Selbst die Aussicht, dass es dem Patienten ohne die Übertragung der konkret betroffenen Leber besser gehen könne als bei Vornahme der Transplantation hat das sachverständig beratene Landgericht als nicht nur theoretisch bezeichnet. Mit diesen Gesichtspunkten war der Angeklagte aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen vertraut.
4. Letztlich mit Recht hat das Landgericht die Voraussetzungen des
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Bußgeldtatbestandes nach § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG in der Fassung vom 4. September 2007 als nicht erfüllt angesehen.
Es liegt sehr nahe, dass die Bußgeldbestimmung, sofern sie auf die um66 fassende Bewehrung der Richtlinienbestimmungen der Bundesärztekammer nach § 16 Abs. 1 Nr. 5 TPG abzielen sollte, den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung von Blanketttatbeständen nicht genügen würde (zu Bedenken gegen die Regelung König in Schroth/König/Gutmann/Oduncu, aaO, § 20 Rn. 9 ff.). Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung,
weil ein etwaiger gesetzgeberischer Wille in diese Richtung in der Bußgeldnorm keinen hinreichenden, dem im Grundsatz auch im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 Abs. 2 GG, § 3 OWiG) genügenden Ausdruck gefunden hätte. Der Normbefehl der in § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG – neben zahlreichen anderen Bestimmungen – mit Bußgeld bewehrten Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 TPG geht dahin, dass die Übertragung des Organs verboten ist, wenn die Vermittlungsstelle (Eurotransplant) das Organ vermittelt hat, ohne die Regelungen „nach § 12“ zu „beachten“. Die Bußgeldbewehrung setzt damit nach dem eindeutigen, nicht durch Auslegung korrigierbaren Wortlaut des § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG ein normwidriges Verhalten durch Nichtbeachtung der Regeln gerade vonseiten der Vermittlungsstelle voraus (krit. Sickor/Bernsmann, in Höfling, TPG, aaO, § 20 Rn. 14; König, aaO, § 20 Rn. 11). Solches ist hier nicht ersichtlich. Auf die Erwägungen der Schwurgerichtskammer betreffend eine Bußgeldbewehrung der gesetzlichen Maßgaben der „Erfolgsaussicht und Dringlichkeit“ (§ 12 Abs. 3 Satz 1 TPG) und die damit verbundenen Verwerfun- gen kommt es deshalb nicht mehr an.
Sander Schneider Dölp
König Berger

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Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2017 - 5 StR 20/16 zitiert 20 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 3


(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 104


(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden. (2) Über die Zuläss

Strafgesetzbuch - StGB | § 2 Zeitliche Geltung


(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt. (2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt. (3) Wird das Gesetz, das

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Transplantationsgesetz - TPG | § 12 Organvermittlung, Vermittlungsstelle


(1) Zur Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe errichten oder beauftragen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine geeignete Einrichtung (Vermittlungsstelle). Sie muß auf G

Transplantationsgesetz - TPG | § 10 Transplantationszentren


(1) Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie für die Ent

Transplantationsgesetz - TPG | § 13 Dokumentation, Rückverfolgung, Verordnungsermächtigung zur Meldung schwerwiegender Zwischenfälle und schwerwiegender unerwünschter Reaktionen


(1) Die Koordinierungsstelle verschlüsselt in einem mit den Transplantationszentren abgestimmten Verfahren die personenbezogenen Daten des Organspenders und bildet eine Kenn-Nummer, die ausschließlich der Koordinierungsstelle einen Rückschluss auf di

Transplantationsgesetz - TPG | § 16 Richtlinien zum Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft bei Organen


(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für1.die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht be

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten - OWiG 1968 | § 3 Keine Ahndung ohne Gesetz


Eine Handlung kann als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.

Transplantationsgesetz - TPG | § 9 Zulässigkeit der Organentnahme und -übertragung, Vorrang der Organspende


(1) Die Entnahme von Organen bei verstorbenen Spendern darf nur in Entnahmekrankenhäusern nach § 9a durchgeführt werden. (2) Die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie die Entnahme und Übertragung von Organen lebender Spender darf nur

Transplantationsgesetz - TPG | § 20 Bußgeldvorschriften


(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,2. entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit

Transplantationsgesetz - TPG | § 19 Weitere Strafvorschriften


(1) Wer 1. entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a oder Buchstabe b oder Nr. 4 oder § 8c Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3, Abs. 2 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2, oder § 8c Abs. 3 Satz 1 ein Organ oder Gewebe entnimmt,2. entgegen § 8 Abs. 1

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Bundesgerichtshof Urteil, 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13

bei uns veröffentlicht am 16.05.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 45/13 vom 16. Mai 2013 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen gefährlicher Körperverletzung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013, an der teilgenommen haben:

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Dez. 2013 - 4 StR 371/13

bei uns veröffentlicht am 05.12.2013

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 371/13 vom 5. Dezember 2013 in der Strafsache gegen wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Dezember 2013, an der teilgenomme

Bundesgerichtshof Urteil, 04. Sept. 2014 - 4 StR 473/13

bei uns veröffentlicht am 04.09.2014

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 473/13 vom 4. September 2014 BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ––––––––––––––––––––––––––- StGB § 13 Abs. 1, § 222, § 239 Abs. 1 und Abs. 4 1. Hat es der h

Bundesgerichtshof Urteil, 27. Jan. 2011 - 4 StR 502/10

bei uns veröffentlicht am 27.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 502/10 vom 27. Januar 2011 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 1 wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 2 Der 4. Strafsen

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2013 - 4 StR 364/13

bei uns veröffentlicht am 09.10.2013

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 364/13 vom 9. Oktober 2013 in der Strafsache gegen wegen versuchten Mordes u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. Oktober 2013 gemä

Bundesgerichtshof Urteil, 22. März 2012 - 4 StR 558/11

bei uns veröffentlicht am 22.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 558/11 vom 22. März 2012 in der Strafsache gegen BGHSt: ja BGHR: ja Nachschlagewerk: ja Veröffentlichung: ja ____________________________ StGB §§ 15, 211, 212 Zur "Hemmschwellentheorie" bei

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Dez. 2016 - 1 StR 344/16

bei uns veröffentlicht am 08.12.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 344/16 vom 8. Dezember 2016 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. ECLI:DE:BGH:2016:081216U1STR344.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Haup

Bundesgerichtshof Urteil, 16. Sept. 2015 - 2 StR 483/14

bei uns veröffentlicht am 16.09.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 4 8 3 / 1 4 vom 16. September 2015 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. September 2015, an der teilgenommen haben: Vorsit

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Jan. 2015 - 5 StR 494/14

bei uns veröffentlicht am 14.01.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR494/14 vom 14. Januar 2015 in der Strafsache gegen wegen fahrlässiger Tötung Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar 2015, an der teilgenommen haben: Richter Pr

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Jan. 2015 - 5 StR 435/14

bei uns veröffentlicht am 13.01.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR435/14 vom 13. Januar 2015 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen versuchten Mordes Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Januar 2015, an der teilgenommen haben: Ri

Referenzen

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie für die Entnahme und Übertragung von Organen lebender Spender zugelassen sind. Bei der Zulassung nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind Schwerpunkte für die Übertragung dieser Organe zu bilden, um eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten und die erforderliche Qualität der Organübertragung zu sichern.

(2) Die Transplantationszentren sind verpflichtet,

1.
Wartelisten der zur Übertragung von vermittlungspflichtigen Organen angenommenen Patienten mit den für die Organvermittlung nach § 12 erforderlichen Angaben zu führen sowie unverzüglich über die Annahme eines Patienten zur Organübertragung und seine Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden und den behandelnden Arzt darüber zu unterrichten, ebenso über die Herausnahme eines Patienten aus der Warteliste,
2.
über die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung,
3.
die auf Grund des § 11 getroffenen Regelungen zur Organentnahme sowie bei vermittlungspflichtigen Organen die auf Grund des § 12 getroffenen Regelungen zur Organvermittlung einzuhalten,
4.
vor der Organübertragung festzustellen, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a abgeschlossen und dokumentiert ist und die Bedingungen für die Konservierung und den Transport eingehalten worden sind,
5.
jede Organübertragung unverzüglich so zu dokumentieren, dass eine lückenlose Rückverfolgung der Organe vom Empfänger zum Spender ermöglicht wird; bei der Übertragung von Organen verstorbener Spender ist die Kenn-Nummer (§ 13 Abs. 1 Satz 1) anzugeben, um eine Rückverfolgung durch die Koordinierungsstelle zu ermöglichen,
6.
die durchgeführten Lebendorganspenden aufzuzeichnen,
7.
vor und nach einer Organübertragung Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen und
8.
nach Maßgabe der Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Maßnahmen zur Qualitätssicherung, die auch einen Vergleich mit anderen Transplantationszentren ermöglichen, im Rahmen ihrer Tätigkeit nach diesem Gesetz durchzuführen; dies gilt für die Nachbetreuung von Organspendern nach § 8 Abs. 3 Satz 1 entsprechend.
§ 9a Absatz 2 Nummer 2 und 3 gilt entsprechend.

(3) Die nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 für die Organvermittlung erforderlichen Angaben sind von einem Arzt oder einer von diesem beauftragten Person zu erheben, zu dokumentieren und an die Vermittlungsstelle nach Maßgabe des § 13 Absatz 3 Satz 3 zu übermitteln. Den in Satz 1 genannten Personen ist es verboten,

1.
für eine Meldung nach § 13 Absatz 3 Satz 3 den Gesundheitszustand eines Patienten unrichtig zu erheben oder unrichtig zu dokumentieren oder
2.
bei der Meldung nach § 13 Absatz 3 Satz 3 einen unrichtigen Gesundheitszustand eines Patienten zu übermitteln,
um Patienten bei der Führung der einheitlichen Warteliste nach § 12 Absatz 3 Satz 2 zu bevorzugen.

(1) Zur Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe errichten oder beauftragen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine geeignete Einrichtung (Vermittlungsstelle). Sie muß auf Grund einer finanziell und organisatorisch eigenständigen Trägerschaft, der Zahl und Qualifikation ihrer Mitarbeiter, ihrer betrieblichen Organisation sowie ihrer sachlichen Ausstattung die Gewähr dafür bieten, daß die Organvermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes erfolgt. Soweit sie Organe vermittelt, die in Ländern entnommen werden, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, um die Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu übertragen, oder die im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen werden, um die Organe in Ländern zu übertragen, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, muss sie auch gewährleisten, dass die zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft durchgeführt und die Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen erfüllt werden, die den in diesem Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen festgelegten Anforderungen gleichwertig sind, und dass eine lückenlose Rückverfolgung der Organe sichergestellt ist. Es dürfen nur Organe vermittelt werden, die im Einklang mit den am Ort der Entnahme geltenden Rechtsvorschriften entnommen worden sind, soweit deren Anwendung nicht zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist.

(2) Als Vermittlungsstelle kann auch eine geeignete Einrichtung beauftragt werden, die ihren Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat und die Organe im Rahmen eines internationalen Organaustausches unter Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes für die Organvermittlung vermittelt. Dabei ist sicherzustellen, daß die Vorschriften der §§ 14 und 15 sinngemäß Anwendung finden; eine angemessene Datenschutzaufsicht muß gewährleistet sein.

(3) Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln. Die Wartelisten der Transplantationszentren sind dabei als eine einheitliche Warteliste zu behandeln. Die Vermittlungsentscheidung ist für jedes Organ unter Angabe der Gründe zu dokumentieren und unter Verwendung der Kenn-Nummer dem Transplantationszentrum und der Koordinierungsstelle zu übermitteln, um eine lückenlose Rückverfolgung der Organe zu ermöglichen.

(4) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Vermittlungsstelle regeln durch Vertrag die Aufgaben der Vermittlungsstelle mit Wirkung für die Transplantationszentren. Der Vertrag regelt insbesondere

1.
die Art der von den Transplantationszentren nach § 13 Abs. 3 Satz 3 zu meldenden Angaben über die Patienten sowie die Verwendung dieser Angaben durch die Vermittlungsstelle in einheitlichen Wartelisten für die jeweiligen Arten der durchzuführenden Organübertragungen,
2.
die Erfassung der von der Koordinierungsstelle nach § 13 Abs. 1 Satz 4 gemeldeten Organe,
3.
die Vermittlung der Organe nach den Vorschriften des Absatzes 3 sowie Verfahren zur Einhaltung der Vorschriften des Absatzes 1 Satz 3 und 4,
3a.
für Organe, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum entnommen werden, um die Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu übertragen, oder die im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen werden, um diese Organe in diesen Staaten zu übertragen, die Anforderungen an die Vermittlung dieser Organe unter Einhaltung der Regelungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen,
3b.
die Übermittlung von Daten an die Transplantationsregisterstelle nach § 15e bei Organen, die im Rahmen eines internationalen Austausches in den Geltungsbereich oder aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes vermittelt worden sind,
4.
die Überprüfung von Vermittlungsentscheidungen in regelmäßigen Abständen,
5.
die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit der Koordinierungsstelle und den Transplantationszentren,
6.
eine regelmäßige Berichterstattung der Vermittlungsstelle an die anderen Vertragspartner,
7.
den Ersatz angemessener Aufwendungen der Vermittlungsstelle für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz,
8.
eine vertragliche Kündigungsmöglichkeit bei Vertragsverletzungen der Vermittlungsstelle.
Der Vertrag nach Satz 1 bedarf des Einvernehmens mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung.

(5) Der Vertrag nach den Absätzen 1 und 4 sowie seine Änderung bedarf der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit und ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Vertrag oder seine Änderung den Vorschriften dieses Gesetzes und sonstigem Recht entspricht. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft überwachen die Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtung nach Satz 3 setzen sie eine Kommission ein, die jeweils aus mindestens einem Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und zwei Vertretern der Länder zusammengesetzt ist. Die Vermittlungsstelle und die Transplantationszentren sind verpflichtet, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Kommission ist verpflichtet, Erkenntnisse über Verstöße gegen dieses Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterzuleiten. Das Nähere zur Zusammensetzung der Kommission, zur Arbeitsweise und zum Verfahren regelt der Vertrag nach Absatz 4.

(6) (weggefallen)

(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für

1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation,
1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme,
3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1,
4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an
a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten,
b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten,
c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1,
6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und
7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.

(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.

(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1.
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,
2.
entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 3 nicht sicherstellt, dass eine Laboruntersuchung durchgeführt wird,
3.
entgegen § 8d Abs. 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 eine Gewebeentnahme, eine Gewebeabgabe, eine damit verbundene Maßnahme oder eine dort genannte Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
3a.
entgegen § 8d Absatz 3 Satz 2 einen Bericht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übermittelt,
4.
entgegen § 9 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder Satz 3 ein Organ entnimmt oder überträgt,
5.
entgegen § 9 Absatz 2 Satz 2 ein Organ überträgt, ohne dass die Entnahme des Organs durch die Koordinierungsstelle organisiert wurde,
6.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 4 nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig feststellt, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a Absatz 1 abgeschlossen ist oder die Bedingungen für den Transport nach § 10a Absatz 3 Satz 1 eingehalten sind,
7.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 5 die Organübertragung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
8.
entgegen § 10a Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Organ nur unter den dort genannten Voraussetzungen für eine Übertragung freigegeben wird,
9.
entgegen § 13a in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 nicht dafür sorgt, dass ein übertragenes Gewebe dokumentiert wird,
10.
entgegen § 13b Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 4 einen Qualitäts- oder Sicherheitsmangel oder eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig dokumentiert oder eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder
11.
einer Rechtsverordnung nach § 10a Absatz 4 Satz 1, § 13 Absatz 4 oder § 16a Satz 1 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 und 4 bis 11 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3a das Paul-Ehrlich-Institut.

(1) Zur Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe errichten oder beauftragen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine geeignete Einrichtung (Vermittlungsstelle). Sie muß auf Grund einer finanziell und organisatorisch eigenständigen Trägerschaft, der Zahl und Qualifikation ihrer Mitarbeiter, ihrer betrieblichen Organisation sowie ihrer sachlichen Ausstattung die Gewähr dafür bieten, daß die Organvermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes erfolgt. Soweit sie Organe vermittelt, die in Ländern entnommen werden, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, um die Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu übertragen, oder die im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen werden, um die Organe in Ländern zu übertragen, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, muss sie auch gewährleisten, dass die zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft durchgeführt und die Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen erfüllt werden, die den in diesem Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen festgelegten Anforderungen gleichwertig sind, und dass eine lückenlose Rückverfolgung der Organe sichergestellt ist. Es dürfen nur Organe vermittelt werden, die im Einklang mit den am Ort der Entnahme geltenden Rechtsvorschriften entnommen worden sind, soweit deren Anwendung nicht zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist.

(2) Als Vermittlungsstelle kann auch eine geeignete Einrichtung beauftragt werden, die ihren Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat und die Organe im Rahmen eines internationalen Organaustausches unter Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes für die Organvermittlung vermittelt. Dabei ist sicherzustellen, daß die Vorschriften der §§ 14 und 15 sinngemäß Anwendung finden; eine angemessene Datenschutzaufsicht muß gewährleistet sein.

(3) Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln. Die Wartelisten der Transplantationszentren sind dabei als eine einheitliche Warteliste zu behandeln. Die Vermittlungsentscheidung ist für jedes Organ unter Angabe der Gründe zu dokumentieren und unter Verwendung der Kenn-Nummer dem Transplantationszentrum und der Koordinierungsstelle zu übermitteln, um eine lückenlose Rückverfolgung der Organe zu ermöglichen.

(4) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Vermittlungsstelle regeln durch Vertrag die Aufgaben der Vermittlungsstelle mit Wirkung für die Transplantationszentren. Der Vertrag regelt insbesondere

1.
die Art der von den Transplantationszentren nach § 13 Abs. 3 Satz 3 zu meldenden Angaben über die Patienten sowie die Verwendung dieser Angaben durch die Vermittlungsstelle in einheitlichen Wartelisten für die jeweiligen Arten der durchzuführenden Organübertragungen,
2.
die Erfassung der von der Koordinierungsstelle nach § 13 Abs. 1 Satz 4 gemeldeten Organe,
3.
die Vermittlung der Organe nach den Vorschriften des Absatzes 3 sowie Verfahren zur Einhaltung der Vorschriften des Absatzes 1 Satz 3 und 4,
3a.
für Organe, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum entnommen werden, um die Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu übertragen, oder die im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen werden, um diese Organe in diesen Staaten zu übertragen, die Anforderungen an die Vermittlung dieser Organe unter Einhaltung der Regelungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen,
3b.
die Übermittlung von Daten an die Transplantationsregisterstelle nach § 15e bei Organen, die im Rahmen eines internationalen Austausches in den Geltungsbereich oder aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes vermittelt worden sind,
4.
die Überprüfung von Vermittlungsentscheidungen in regelmäßigen Abständen,
5.
die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit der Koordinierungsstelle und den Transplantationszentren,
6.
eine regelmäßige Berichterstattung der Vermittlungsstelle an die anderen Vertragspartner,
7.
den Ersatz angemessener Aufwendungen der Vermittlungsstelle für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz,
8.
eine vertragliche Kündigungsmöglichkeit bei Vertragsverletzungen der Vermittlungsstelle.
Der Vertrag nach Satz 1 bedarf des Einvernehmens mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung.

(5) Der Vertrag nach den Absätzen 1 und 4 sowie seine Änderung bedarf der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit und ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Vertrag oder seine Änderung den Vorschriften dieses Gesetzes und sonstigem Recht entspricht. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft überwachen die Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtung nach Satz 3 setzen sie eine Kommission ein, die jeweils aus mindestens einem Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und zwei Vertretern der Länder zusammengesetzt ist. Die Vermittlungsstelle und die Transplantationszentren sind verpflichtet, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Kommission ist verpflichtet, Erkenntnisse über Verstöße gegen dieses Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterzuleiten. Das Nähere zur Zusammensetzung der Kommission, zur Arbeitsweise und zum Verfahren regelt der Vertrag nach Absatz 4.

(6) (weggefallen)

(1) Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie für die Entnahme und Übertragung von Organen lebender Spender zugelassen sind. Bei der Zulassung nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind Schwerpunkte für die Übertragung dieser Organe zu bilden, um eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten und die erforderliche Qualität der Organübertragung zu sichern.

(2) Die Transplantationszentren sind verpflichtet,

1.
Wartelisten der zur Übertragung von vermittlungspflichtigen Organen angenommenen Patienten mit den für die Organvermittlung nach § 12 erforderlichen Angaben zu führen sowie unverzüglich über die Annahme eines Patienten zur Organübertragung und seine Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden und den behandelnden Arzt darüber zu unterrichten, ebenso über die Herausnahme eines Patienten aus der Warteliste,
2.
über die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung,
3.
die auf Grund des § 11 getroffenen Regelungen zur Organentnahme sowie bei vermittlungspflichtigen Organen die auf Grund des § 12 getroffenen Regelungen zur Organvermittlung einzuhalten,
4.
vor der Organübertragung festzustellen, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a abgeschlossen und dokumentiert ist und die Bedingungen für die Konservierung und den Transport eingehalten worden sind,
5.
jede Organübertragung unverzüglich so zu dokumentieren, dass eine lückenlose Rückverfolgung der Organe vom Empfänger zum Spender ermöglicht wird; bei der Übertragung von Organen verstorbener Spender ist die Kenn-Nummer (§ 13 Abs. 1 Satz 1) anzugeben, um eine Rückverfolgung durch die Koordinierungsstelle zu ermöglichen,
6.
die durchgeführten Lebendorganspenden aufzuzeichnen,
7.
vor und nach einer Organübertragung Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen und
8.
nach Maßgabe der Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Maßnahmen zur Qualitätssicherung, die auch einen Vergleich mit anderen Transplantationszentren ermöglichen, im Rahmen ihrer Tätigkeit nach diesem Gesetz durchzuführen; dies gilt für die Nachbetreuung von Organspendern nach § 8 Abs. 3 Satz 1 entsprechend.
§ 9a Absatz 2 Nummer 2 und 3 gilt entsprechend.

(3) Die nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 für die Organvermittlung erforderlichen Angaben sind von einem Arzt oder einer von diesem beauftragten Person zu erheben, zu dokumentieren und an die Vermittlungsstelle nach Maßgabe des § 13 Absatz 3 Satz 3 zu übermitteln. Den in Satz 1 genannten Personen ist es verboten,

1.
für eine Meldung nach § 13 Absatz 3 Satz 3 den Gesundheitszustand eines Patienten unrichtig zu erheben oder unrichtig zu dokumentieren oder
2.
bei der Meldung nach § 13 Absatz 3 Satz 3 einen unrichtigen Gesundheitszustand eines Patienten zu übermitteln,
um Patienten bei der Führung der einheitlichen Warteliste nach § 12 Absatz 3 Satz 2 zu bevorzugen.

(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für

1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation,
1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme,
3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1,
4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an
a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten,
b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten,
c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1,
6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und
7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.

(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.

(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.

(1) Die Koordinierungsstelle verschlüsselt in einem mit den Transplantationszentren abgestimmten Verfahren die personenbezogenen Daten des Organspenders und bildet eine Kenn-Nummer, die ausschließlich der Koordinierungsstelle einen Rückschluss auf die Person des Organspenders zulässt, um eine lückenlose Rückverfolgung der Organe zu ermöglichen. Die Kenn-Nummer ist in die Begleitpapiere für das entnommene Organ aufzunehmen. Die Begleitpapiere enthalten daneben alle für die Organübertragung erforderlichen medizinischen Angaben, einschließlich der Angaben zur Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a. Die Koordinierungsstelle meldet das Organ, die Kenn-Nummer und die für die Organvermittlung erforderlichen medizinischen Angaben an die Vermittlungsstelle und übermittelt nach Entscheidung der Vermittlungsstelle die Begleitpapiere an das Transplantationszentrum, in dem das Organ auf den Empfänger übertragen werden soll. Das Nähere wird im Vertrag nach § 11 Abs. 2 geregelt.

(2) Die Koordinierungsstelle darf Angaben aus den Begleitpapieren mit den personenbezogenen Daten des Organspenders zur weiteren Information über diesen nur gemeinsam verarbeiten, insbesondere zusammenführen und an die Transplantationszentren übermitteln, in denen Organe des Spenders übertragen worden sind, soweit dies zur Abwehr einer zu befürchtenden gesundheitlichen Gefährdung der Organempfänger erforderlich ist.

(3) Der behandelnde Arzt hat Patienten, bei denen die Übertragung vermittlungspflichtiger Organe medizinisch angezeigt ist, mit deren schriftlicher oder elektronischer Einwilligung unverzüglich an das Transplantationszentrum zu melden, in dem die Organübertragung vorgenommen werden soll. Die Meldung hat auch dann zu erfolgen, wenn eine Ersatztherapie durchgeführt wird. Die Transplantationszentren melden die für die Organvermittlung erforderlichen Angaben über die in die Wartelisten aufgenommenen Patienten nach deren schriftlicher oder elektronischer Einwilligung an die Vermittlungsstelle. Duldet die Meldung nach Satz 1 oder 3 wegen der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung des Patienten keinen Aufschub, kann sie auch ohne seine vorherige Einwilligung erfolgen; die Einwilligung ist unverzüglich nachträglich einzuholen.

(4) Das Bundesministerium für Gesundheit kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verfahren regeln

1.
für die Übermittlung der Angaben, die für die Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit der Organe nach Absatz 1 notwendig sind,
2.
für die Meldung, Dokumentation, Untersuchung und Bewertung schwerwiegender Zwischenfälle und schwerwiegender unerwünschter Reaktionen und, soweit beim Organspender gleichzeitig Gewebe entnommen wurde, für die Meldung an die Gewebeeinrichtung, die das Gewebe entgegengenommen hat, sowie
3.
zur Sicherstellung der Meldung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, und von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender.

(1) Wer

1.
entgegen § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a oder Buchstabe b oder Nr. 4 oder § 8c Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3, Abs. 2 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 3 Satz 2, oder § 8c Abs. 3 Satz 1 ein Organ oder Gewebe entnimmt,
2.
entgegen § 8 Abs. 1 Satz 2 ein Organ entnimmt oder
3.
entgegen § 8b Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit Abs. 2, ein Organ oder Gewebe zur Übertragung auf eine andere Person verwendet oder menschliche Samenzellen gewinnt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer entgegen § 3 Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 2, § 4 Abs. 1 Satz 2 oder § 4a Abs. 1 Satz 1 ein Organ oder Gewebe entnimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2a) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer absichtlich entgegen § 10 Absatz 3 Satz 2 den Gesundheitszustand eines Patienten erhebt, dokumentiert oder übermittelt.

(3) Wer

1.
entgegen § 2a Absatz 4 Satz 1 oder Satz 4 eine Auskunft erteilt oder übermittelt,
2.
entgegen § 13 Abs. 2 eine Angabe verarbeitet oder
3.
entgegen § 14 Abs. 2 Satz 1, auch in Verbindung mit Satz 2, oder Satz 3 personenbezogene Daten offenbart oder verarbeitet,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(4) In den Fällen der Absätze 1, 2 und 2a ist der Versuch strafbar.

(5) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 2 fahrlässig, ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(1) Transplantationszentren sind Krankenhäuser oder Einrichtungen an Krankenhäusern, die nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch oder nach anderen gesetzlichen Bestimmungen für die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie für die Entnahme und Übertragung von Organen lebender Spender zugelassen sind. Bei der Zulassung nach § 108 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch sind Schwerpunkte für die Übertragung dieser Organe zu bilden, um eine bedarfsgerechte, leistungsfähige und wirtschaftliche Versorgung zu gewährleisten und die erforderliche Qualität der Organübertragung zu sichern.

(2) Die Transplantationszentren sind verpflichtet,

1.
Wartelisten der zur Übertragung von vermittlungspflichtigen Organen angenommenen Patienten mit den für die Organvermittlung nach § 12 erforderlichen Angaben zu führen sowie unverzüglich über die Annahme eines Patienten zur Organübertragung und seine Aufnahme in die Warteliste zu entscheiden und den behandelnden Arzt darüber zu unterrichten, ebenso über die Herausnahme eines Patienten aus der Warteliste,
2.
über die Aufnahme in die Warteliste nach Regeln zu entscheiden, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Notwendigkeit und Erfolgsaussicht einer Organübertragung,
3.
die auf Grund des § 11 getroffenen Regelungen zur Organentnahme sowie bei vermittlungspflichtigen Organen die auf Grund des § 12 getroffenen Regelungen zur Organvermittlung einzuhalten,
4.
vor der Organübertragung festzustellen, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a abgeschlossen und dokumentiert ist und die Bedingungen für die Konservierung und den Transport eingehalten worden sind,
5.
jede Organübertragung unverzüglich so zu dokumentieren, dass eine lückenlose Rückverfolgung der Organe vom Empfänger zum Spender ermöglicht wird; bei der Übertragung von Organen verstorbener Spender ist die Kenn-Nummer (§ 13 Abs. 1 Satz 1) anzugeben, um eine Rückverfolgung durch die Koordinierungsstelle zu ermöglichen,
6.
die durchgeführten Lebendorganspenden aufzuzeichnen,
7.
vor und nach einer Organübertragung Maßnahmen für eine erforderliche psychische Betreuung der Patienten im Krankenhaus sicherzustellen und
8.
nach Maßgabe der Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch Maßnahmen zur Qualitätssicherung, die auch einen Vergleich mit anderen Transplantationszentren ermöglichen, im Rahmen ihrer Tätigkeit nach diesem Gesetz durchzuführen; dies gilt für die Nachbetreuung von Organspendern nach § 8 Abs. 3 Satz 1 entsprechend.
§ 9a Absatz 2 Nummer 2 und 3 gilt entsprechend.

(3) Die nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 für die Organvermittlung erforderlichen Angaben sind von einem Arzt oder einer von diesem beauftragten Person zu erheben, zu dokumentieren und an die Vermittlungsstelle nach Maßgabe des § 13 Absatz 3 Satz 3 zu übermitteln. Den in Satz 1 genannten Personen ist es verboten,

1.
für eine Meldung nach § 13 Absatz 3 Satz 3 den Gesundheitszustand eines Patienten unrichtig zu erheben oder unrichtig zu dokumentieren oder
2.
bei der Meldung nach § 13 Absatz 3 Satz 3 einen unrichtigen Gesundheitszustand eines Patienten zu übermitteln,
um Patienten bei der Führung der einheitlichen Warteliste nach § 12 Absatz 3 Satz 2 zu bevorzugen.

(1) Die Koordinierungsstelle verschlüsselt in einem mit den Transplantationszentren abgestimmten Verfahren die personenbezogenen Daten des Organspenders und bildet eine Kenn-Nummer, die ausschließlich der Koordinierungsstelle einen Rückschluss auf die Person des Organspenders zulässt, um eine lückenlose Rückverfolgung der Organe zu ermöglichen. Die Kenn-Nummer ist in die Begleitpapiere für das entnommene Organ aufzunehmen. Die Begleitpapiere enthalten daneben alle für die Organübertragung erforderlichen medizinischen Angaben, einschließlich der Angaben zur Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a. Die Koordinierungsstelle meldet das Organ, die Kenn-Nummer und die für die Organvermittlung erforderlichen medizinischen Angaben an die Vermittlungsstelle und übermittelt nach Entscheidung der Vermittlungsstelle die Begleitpapiere an das Transplantationszentrum, in dem das Organ auf den Empfänger übertragen werden soll. Das Nähere wird im Vertrag nach § 11 Abs. 2 geregelt.

(2) Die Koordinierungsstelle darf Angaben aus den Begleitpapieren mit den personenbezogenen Daten des Organspenders zur weiteren Information über diesen nur gemeinsam verarbeiten, insbesondere zusammenführen und an die Transplantationszentren übermitteln, in denen Organe des Spenders übertragen worden sind, soweit dies zur Abwehr einer zu befürchtenden gesundheitlichen Gefährdung der Organempfänger erforderlich ist.

(3) Der behandelnde Arzt hat Patienten, bei denen die Übertragung vermittlungspflichtiger Organe medizinisch angezeigt ist, mit deren schriftlicher oder elektronischer Einwilligung unverzüglich an das Transplantationszentrum zu melden, in dem die Organübertragung vorgenommen werden soll. Die Meldung hat auch dann zu erfolgen, wenn eine Ersatztherapie durchgeführt wird. Die Transplantationszentren melden die für die Organvermittlung erforderlichen Angaben über die in die Wartelisten aufgenommenen Patienten nach deren schriftlicher oder elektronischer Einwilligung an die Vermittlungsstelle. Duldet die Meldung nach Satz 1 oder 3 wegen der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung des Patienten keinen Aufschub, kann sie auch ohne seine vorherige Einwilligung erfolgen; die Einwilligung ist unverzüglich nachträglich einzuholen.

(4) Das Bundesministerium für Gesundheit kann durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates das Verfahren regeln

1.
für die Übermittlung der Angaben, die für die Sicherstellung der Rückverfolgbarkeit der Organe nach Absatz 1 notwendig sind,
2.
für die Meldung, Dokumentation, Untersuchung und Bewertung schwerwiegender Zwischenfälle und schwerwiegender unerwünschter Reaktionen und, soweit beim Organspender gleichzeitig Gewebe entnommen wurde, für die Meldung an die Gewebeeinrichtung, die das Gewebe entgegengenommen hat, sowie
3.
zur Sicherstellung der Meldung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, und von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für

1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation,
1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme,
3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1,
4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an
a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten,
b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten,
c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1,
6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und
7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.

(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.

(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für

1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation,
1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme,
3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1,
4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an
a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten,
b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten,
c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1,
6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und
7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.

(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.

(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für

1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation,
1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme,
3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1,
4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an
a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten,
b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten,
c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1,
6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und
7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.

(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.

(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1.
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,
2.
entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 3 nicht sicherstellt, dass eine Laboruntersuchung durchgeführt wird,
3.
entgegen § 8d Abs. 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 eine Gewebeentnahme, eine Gewebeabgabe, eine damit verbundene Maßnahme oder eine dort genannte Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
3a.
entgegen § 8d Absatz 3 Satz 2 einen Bericht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übermittelt,
4.
entgegen § 9 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder Satz 3 ein Organ entnimmt oder überträgt,
5.
entgegen § 9 Absatz 2 Satz 2 ein Organ überträgt, ohne dass die Entnahme des Organs durch die Koordinierungsstelle organisiert wurde,
6.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 4 nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig feststellt, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a Absatz 1 abgeschlossen ist oder die Bedingungen für den Transport nach § 10a Absatz 3 Satz 1 eingehalten sind,
7.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 5 die Organübertragung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
8.
entgegen § 10a Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Organ nur unter den dort genannten Voraussetzungen für eine Übertragung freigegeben wird,
9.
entgegen § 13a in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 nicht dafür sorgt, dass ein übertragenes Gewebe dokumentiert wird,
10.
entgegen § 13b Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 4 einen Qualitäts- oder Sicherheitsmangel oder eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig dokumentiert oder eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder
11.
einer Rechtsverordnung nach § 10a Absatz 4 Satz 1, § 13 Absatz 4 oder § 16a Satz 1 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 und 4 bis 11 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3a das Paul-Ehrlich-Institut.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

18
2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt ; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Um- stände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 8 3 / 1 4
vom
16. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. September
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 30. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts bewohnte der später getötete V. , der Alkoholprobleme hatte, ab August 2013 ein Zimmer in der Wohnung des Angeklagten. Das Zusammenleben gestaltete sich anfangs harmonisch , später kam es zu Differenzen. So leistete V. keine Zahlung für die Nutzung der Wohnung, er beteiligte sich nicht an der Reinigung.
Während er im Zimmer des Angeklagten Fernsehen schaute, trank er Schnaps und rauchte, ohne zu lüften, was dem Angeklagten missfiel.
3
Weihnachten 2013 war der Besuch der Mutter des Angeklagten angekündigt. Aus diesem Grund forderte der Angeklagte V. auf, ihm beim Aufräumen der Wohnung zu helfen. Nach Rückkehr von der Arbeit am 23. Dezember 2013 gegen 12.15 Uhr stellte der Angeklagte fest, dass sein Mitbewohner noch keine Anstalten unternommen hatte aufzuräumen. Aus Ärger trank er zwei oder drei Bier. Daraufhin beschloss er zwischen 15.00 und 16.00 Uhr, zu einem ca. 800 m entfernten Imbiss zu fahren, um dort etwas zu essen. Auf der Fahrt dorthin ging sein Roller kaputt; aus Frust hierüber trank er weiter Bier oder Apfelwein. Gegen 18.00 Uhr verließ der Angeklagte, der zwar nicht volltrunken war, aber "einen über den Durst" getrunken hatte, den Imbiss und schob seinen Roller zunächst, bis er ihn stehen ließ, weil er sich nicht mehr in der Lage sah, ihn weiter zu schieben. Er lief nach Hause und stellte dort fest, dass V. , der betrunken war und sich eingenässt hatte, in seinem Zimmer fernsah und rauchte. Zu Aufräumarbeiten war es nicht gekommen. Auf eine Strafpredigt des Angeklagten hin verteidigte sich V. damit, es gehe ihm nicht gut. Anschließend tranken der Angeklagte und V. ein weiteres Bier, bevor der Angeklagte eine von V. versteckt gehaltene Flasche Kräuterschnaps entdeckte. Aus Verärgerung trank der Angeklagte hiervon einige Schlucke und schüttete den Rest fort.
4
Auf Aufforderung des Angeklagten verließ V. das Zimmer des Angeklagten, der sich mit Kleidung und seinen Arbeitsschuhen mit Stahlkappen in sein Bett legte und sogleich einschlief. Gegen 19.00 Uhr betrat V. mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille das Zimmer des Angeklagten, kam zu Fall und stürzte in das Bett des Angeklagten. Er traf dabei mit seinem Kopf direkt auf das Gesicht des Angeklagten, bei dem sich infolge dessen ein Schneidezahn lockerte. Der Angeklagte, der einen Blutalkoholwert von 2,57 Promille aufwies, schreckte hoch, trat nach V. und "donnerte" ihn vom Bett hinunter. Anschließend übergab er sich. V. rappelte sich auf und stürzte noch einmal auf das Bett des Angeklagten, der sich nunmehr enthemmt durch den Alkoholeinfluss entschloss, seinem Frust und Ärger über V. freien Lauf zu lassen. Enthemmt durch den Alkohol schlug er ihn mehrfach mit der Faust ins Gesicht und gegen den Kopf. Anschließend trat er V. mit voller Wucht von einem Stuhl hinunter, auf den sich dieser gesetzt hatte. Dem am Boden liegenden Geschädigten trat er sodann mehrfach, mindestens sechs Mal, mit seinen Arbeitsschuhen gegen Kopf, Hals und Oberkörper. Auch nahm der Angeklagte den Kopf des V. und schlug ihn mehrfach wuchtig auf den Boden. Dabei war ihm trotz seiner Alkoholisierung bewusst, dass V. durch die zahlreichen wuchtigen Schläge und Tritte zu Tode kommen konnte. Dies nahm er bei Ausführung der Tat billigend in Kauf.
5
V. erlitt zahlreiche Hämatome und Einblutungen, außerdem acht Rippenbrüche auf der rechten und zwei auf der linken Seite. Zudem kam es zu einer Zertrümmerung des Mittelgesichts sowie zu einem Bruch des Zungenbeins. Infolge weiter eingetretener Einblutungen in die Schädelhöhle sowie der Erschwerung der Atmung verstarb V. in der Nacht, spätestens einige Stunden nach der Tat.
6
Zum Zeitpunkt der Tat war der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
7
Der Angeklagte, der seinen Frust und Ärger nunmehr abreagiert hatte, legte sich nach der Tat wieder schlafen und fand am nächsten Morgen den Leichnam seines Mitbewohners vor seinem Bett. Er schaffte ihn in dessen Zimmer und reinigte die Wohnung. Zunächst war er bemüht, die Tat zu verdecken , bevor er sich am 5. Januar 2014 entschloss, sich der Polizei zu stellen.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt , hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
1. Das Landgericht hat festgestellt, dem Angeklagten sei trotz seiner Alkoholisierung bewusst gewesen, dass V. durch die zahlreichen wuchtigen Schläge und Tritte gegen Kopf, Hals und Oberkörper zu Tode kommen konnte. Dies habe er bei Ausführung der Tat zumindest billigend in Kauf genommen.
10
2. Eine Beweiswürdigung hierzu fehlt in den Urteilsgründen. Dies erweist sich aus zwei Gründen als fehlerhaft.
11
a) Das Landgericht hat nicht mitgeteilt, wie sich der Angeklagte hinsichtlich der subjektiven Tatseite eingelassen hat. Aus den Ausführungen der Strafkammer ergibt sich zwar, dass die Feststellungen zur Sache auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf dem glaubhaften Geständnis des Angeklagten , beruhen. Die im Folgenden wiedergegebenen Angaben des Angeklagten beziehen sich aber lediglich auf den äußeren Geschehensablauf und enthalten keinerlei Hinweise, ob und in welcher Weise der Angeklagte sich hinsichtlich des Tatvorsatzes eingelassen hat.
12
Aus § 267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil vorzunehmen, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Einlassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel regelmäßig eine Wiedergabe der Einlassung des Angeklagten erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle Recht richtig angewendet hat (vgl. BGH NStZ 2015, 299; NStZ-RR 2013, 134, 135 m.w.N.; NStZ-RR 1999, 45; siehe auch: OLG Hamm StraFO 2003, 133; OLG Köln StraFO 2003, 313). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzüge der Einlassung des Angeklagten, regelmäßig auch mit Blick auf die subjektive Tatseite, um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlichrechtliche Fehler hin überprüfen zu können. In den Urteilsgründen fehlt dies ebenso wie eine Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten. Schon deshalb ist das Urteil aufzuheben.
13
b) Die Strafkammer hat auch nicht dargelegt, wie sie zu den Feststellungen zur subjektiven Tatseite gelangt ist. Darauf konnte im vorliegenden Fall auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes auf der Hand gelegen hätte. Vielmehr machten die Umstände des Falles eine eingehende Darlegung der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite erforderlich.
14
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. BGH NStZ 2011, 699). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter be- kannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. BGH NStZ 2012, 443, 444). Bei der Würdigung des Willenselements sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51; BGH NStZ-RR 2007, 267, 268; NStZ-RR 2009,

372).

15
Es kann bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe liegen, dass der Täter damit rechnet, dass sein Opfer zu Tode kommen könnte, und er dies billigend in Kauf nimmt, wenn er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt. Aber immer ist auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Liegen - wie hier - Umstände vor, die auf diese Möglichkeit hinweisen, muss sich der Tatrichter damit auseinander setzen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 41 m.w.N.).
16
Trotz der gefährlichen Schläge und Tritte des Angeklagten, die zu den massiven Verletzungen des Tatopfers und schließlich zu seinem Tod geführt haben, kann schon zweifelhaft sein, ob dem Angeklagten tatsächlich bewusst war, dass V. zu Tode kommen könne. Er war hochgradig alkoholisiert und wurde von V. , als dieser auf das Gesicht des Angeklagten stürzte, schmerzhaft aus dem Schlaf gerissen und erschreckt; gleich danach musste er sich übergeben. Ob dem durch die Vorgeschehnisse ohnehin affektiv aufgeladenen Angeklagten angesichts des überraschenden Sturzes des Tatopfers in sein Bett und der vorhandenen, zu erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit führenden Alkoholisierung im Zeitpunkt des Übergriffs wirklich die möglichen Folgen seines spontanen Tuns bewusst waren und er auch einen tödlichen Ausgang in seine Überlegungen einbezogen hatte, hätte jeden- falls über die bloße Feststellung hinaus auch deshalb eingehenderer Würdigung bedurft, weil der Angeklagte sich nach seinen Gewalthandlungen ohne Weiteres wieder schlafen legte und das Tatopfer vor seinem Bett liegen ließ. Insoweit wäre zumindest zu erörtern gewesen, ob dies nicht ein gravierender Beleg für einen womöglich wenig orientierten Zustand des Angeklagten sein könnte, der (lediglich) seinen Ärger abreagiert und die Auswirkungen seiner Handlungen nicht realistisch abgeschätzt haben könnte. Dies gilt um so mehr, als der Tod des Opfers nicht unmittelbar nach den Übergriffen des Angeklagten, sondern erst im weiteren Verlauf der Nacht eingetreten ist.
17
Es versteht sich auch angesichts der erheblichen Verletzungen, die V. erlitten hat, nicht von sich selbst, dass sich der Angeklagte, selbst wenn davon auszugehen wäre, dass er die mögliche Tödlichkeit der dem Opfer beigefügten Verletzungen erkannt haben sollte, mit dessen Tod abgefunden hat. Schon der Umstand, dass der Angeklagte in einer affektaufgeladenen und von der Alkoholisierung der beiden Beteiligten geprägten Situation seinen Frust und Ärger abreagiert hat, ist ein Umstand, der gegen die Schlussfolgerung sprechen könnte, der Angeklagte habe im Zeitpunkt der Schläge und Tritte den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen, und deshalb vom Landgericht hätte erörtert werden müssen. Gleiches gilt für die vom Landgericht getroffene Feststellung, dass der Angeklagte am nächsten Morgen, als er den Tod von V. feststellte, über die Tat erschrocken und von Angst und Schuldgefühlen geplagt war. Auch dies hätte - trotz begrenzter Aussagekraft dieser zeitlich nach der Tat liegenden Umstände - jedenfalls erörtert werden müssen, weil es unter Umständen Rückschlüsse auf die innere Verfassung des Angeklagten zu dem ihm vorgeworfenen Taterfolg im Tatzeitpunkt zulässt. Nicht zuletzt hätte sich das Landgericht auch im Rahmen des voluntativen Vorsatzelements mit der Alkoholisierung des Angeklagten und der dadurch bedingten erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit auseinander setzen müssen. Fischer Appl Krehl Eschelbach Ott

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 502/10
vom
27. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 1
wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 2
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Januar
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
die Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer
als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten S. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger für den Angeklagten A. ,
Rechtsanwälte
als Nebenkläger-Vertreter für Roswitha und Gerhard O. ,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreterin für Ronja A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Kaiserslautern vom 4. Mai 2010 bezüglich des Angeklagten A. dahin abgeändert, dass die von diesem in Portugal erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe anzurechnen ist. 2. Die weiter gehende Revision der Staatsanwaltschaft bezüglich des Angeklagten A. , ihr Rechtsmittel bezüglich des Angeklagten S. sowie die Revisionen der Nebenkläger und der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen. 3. Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft sowie die den Angeklagten hierdurch und durch die Rechtsmittel der Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die Nebenkläger tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Die im Revisionsverfahren entstandenen gerichtlichen Auslagen tragen die Staatskasse und die Nebenkläger je zur Hälfte. Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten A. wegen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Nötigung und mit Beteiligung an einer Schlägerei zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten, den Angeklagten S. hat es wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit Beihilfe zur Beteiligung an einer Schlägerei und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen beide Angeklagte Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet und bestimmt, dass die vom Angeklagten A. in dieser Sache in Portugal erlittene Freiheitsentziehung auf die verhängte Freiheitsstrafe in der Weise angerechnet wird, dass ein Tag Auslieferungshaft zwei Tagen inländischer Haft entspricht.
2
Gegen das Urteil richten sich die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und der Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft und die Nebenkläger beanstanden das Verfahren und erheben die Sachrüge. Die Staatsanwaltschaft wendet sich insbesondere gegen die Feststellungen und die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite; zudem bemängelt sie die fehlende Prüfung der Unterbringung des Angeklagten A. in der Sicherungsverwahrung. Die Nebenkläger begehren unter anderem eine Verurteilung der Angeklagten auch wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge. Die Angeklagten rügen ebenfalls die Anwendung des sachlichen Rechts. Der Angeklagte A. beanstandet insbesondere den Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge sowie die Bewertung der Nötigung als besonders schweren Fall. Der Angeklagte S. meint, der Tatbestand des § 231 StGB sei nicht gegeben, weil es sich nicht um eine Schlägerei im Sinne dieser Vorschrift gehandelt habe; ferner beanstandet auch er die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung.
3
Erfolg hat in geringem - aus dem Tenor ersichtlichem - Umfang lediglich das zum Nachteil des Angeklagten A. eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet.

I.


4
Das Schwurgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
5
Die beiden Angeklagten waren Mitglieder der "Hells Angels", der Angeklagte A. als Vollmitglied ("full member"), der Angeklagte S. als Unterstützer ("supporter"). Dirk O. - das Tatopfer - war Vollmitglied der "Outlaws" und Präsident des "Chapters" Donnersbergkreis.
6
Am 24. Juni 2009 hatte der Angeklagte S. in Bad Kreuznach aus ungeklärten Gründen eine körperliche Auseinandersetzung mit Tobias L. , einem Mitglied des dortigen neu gegründeten Outlaws-Chapters, an deren Ende er von Tobias L. darauf hingewiesen wurde, dass Bad Kreuznach "OutlawGebiet" sei.
7
Am Nachmittag des 26. Juni 2009 trafen sich die Angeklagten in Landstuhl unter anderem mit Björn Sch. , der ebenfalls - als Anwärter ("prospect") - den Hells Angels angehörte. Sie beschlossen, nach Bad Kreuznach zu fahren, um dort "Präsenz zu zeigen"; gegebenenfalls wollten sie auch einem Mitglied der Outlaws wegen des Vorfalls vom 24. Juni 2009 eine "Abreibung verpassen". Gegen 20.00 Uhr brachen die Angeklagten und Björn Sch. in einem angemieteten Pkw nach Bad Kreuznach auf. Dort sahen sie zwar einen Motorradfahrer in "Rockerkluft", konnten ihm aber nicht folgen. Sie beschlossen daher, nach Marnheim zur Gaststätte "I. " zu fahren, dem Treffpunkt der Outlaws in deren neu gegründetem Chapter im Donnersbergkreis , um diese auszukundschaften und - so das Vorhaben des Angeklagten A. und von Björn Sch. - eine nicht näher bestimmte "Aktion" gegen dieses Chapter durchzuführen.
8
Etwa um 23.00 Uhr verließen mehrere Mitglieder der Outlaws, unter anderem Dirk O. , das "I. " und fuhren nach Kirchheimbolanden. Die Angeklagten und Björn Sch. folgten ihnen. Während sich die Mitglieder der Outlaws in einer Gaststätte aufhielten, fassten der Angeklagte A. und Björn Sch. den Entschluss, dem - von ihnen als solchem erkannten - Vollmitglied der Outlaws bei sich bietender Gelegenheit die "Kutte", also die mit Aufnähern versehene Lederweste, abzunehmen, um hierdurch "ein Zeichen gegen die Outlaws zu setzen" sowie "Präsenz zu zeigen" und den Outlaws deutlich zu machen, dass deren Gebietsanspruch nicht akzeptiert werde. Den Angeklagten und Björn Sch. war dabei klar, dass es zu einer "harten körperlichen Auseinandersetzung" auch mit Waffen und Werkzeugen kommen kann. Ihnen war bewusst, dass ihr Handeln "auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte", sie vertrauten aber darauf, dass insbesondere wegen ihrer körperlichen und zahlenmäßigen Überlegenheit "ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde". Ein solcher tödlicher Ausgang war den Angeklagten unerwünscht; der Angeklagte A. fürchtete bei einem "tödlichen Zwischenfall" clubinterne Sanktionen, der Angeklagte S. , der als einziges Mitglied der Hells Angels im Donnersbergkreis wohnte, befürchtete eine "Retourkutsche" der Outlaws.
9
Nachdem die Outlaws die Gaststätte verlassen hatten, folgten die Angeklagten - der Angeklagte S. als Fahrer - und Björn Sch. mit ihrem Pkw zwei Motorrädern der Outlaws, wobei sie die Stellung deren Fahrer als "full member" bzw. "prospect" erkannten, das Vollmitglied aber nicht als Dirk O. und den dortigen Chapter-Präsidenten identifizierten. Nachdem der zweite Motorradfahrer abgebogen war, fuhren Dirk O. und hinter ihm die Angeklagten und Björn Sch. gegen 23.50 Uhr auf der Landstraße 386 in Richtung Stetten. Der Angeklagte A. und Björn Sch. beschlossen nunmehr, Dirk O. zu überholen und zum Anhalten zu bringen, um ihm die Kutte abnehmen zu können. Auf Weisung des Angeklagten A. überholte der Angeklagte S. das Motorrad und bremste den Pkw anschließend bis zum Stillstand stark ab, wobei er darauf achtete und darauf vertraute, dass es nicht zu einer Kollision kam und Dirk O. nicht stürzte. Dirk O. gelang es wenige Meter hinter dem Pkw anzuhalten, wobei die Strafkammer ungeachtet einer Blockierspur von 13,3 Metern Länge nicht festzustellen vermochte, dass dabei tatsächlich die Gefahr bestand, er werde mit dem Pkw kollidieren oder stürzen.
10
Während der Angeklagte S. - auch in der Folgezeit - in dem Pkw verblieb, sprangen der Angeklagte A. und Björn Sch. aus dem Fahrzeug , liefen auf Dirk O. zu und zogen diesen von seinem Motorrad herunter. Sodann schnitten sie mit einem Messer die rechte Hosentasche des Dirk O. auf, in der er - erkennbar - ein Messer mitführte, und warfen dieses Messer weg. Nachdem ein entgegenkommender Pkw vorbeigefahren war und Dirk O. das umgefallene Motorrad aufgerichtet hatte, um mit diesem zu fliehen, versetzte Björn Sch. Dirk O. sechs Stiche kurz unterhalb des Arms in die rechte Seite. Er handelte dabei aus Verärgerung darüber, dass "das gesamte Vorhaben" durch das zufällige Erscheinen des Pkws zu scheitern gedroht hatte, und wollte der "Aktion" endgültig und sicher zum Erfolg verhelfen. "Dass der Dirk O. dabei sterben könnte, war ihm klar, jedoch auch egal". Der Angeklagte A. sah diese nicht abgesprochene Messerattacke, konnte allerdings nicht mehr eingreifen; er ging - wie auch der Angeklagte S. - davon aus, dass das Opfer bereits tödlich verletzt sei und jede, auch eine sofort herbeigerufene Hilfe zu spät kommen werde. Er und Björn Sch. zogen Dirk O. die Kutte aus, um diese mitzunehmen. Welche Motivation dieser Wegnahme zugrunde lag, vermochte die Strafkammer nicht festzustellen, insbesondere konnte sie nicht ausschließen, dass der Tatplan von vorneherein vorsah, die Kutte "zu vernichten" bzw. "verschwinden" zu lassen, damit sie nicht in die Hände der Outlaws gelangt. Sodann versetzte Björn Sch. ebenfalls ohne Absprache mit dem Angeklagten A. Dirk O. einen weiteren Messerstich in den Rücken, der zu einer Querschnittlähmung führte.
11
Infolge der Stiche in die Seite und des dadurch eingetretenen Blutverlustes verstarb Dirk O. am 27. Juni 2009 um 2.17 Uhr.

II.


12
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben keinen (Rechtsmittel der Nebenkläger) bzw. nur in geringem Umfang Erfolg (Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft).
13
1. Die von Staatsanwaltschaft und den Nebenklägern erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch.
14
Die Rügen, das Landgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt , dass es keinen "in so genannten Motorradclubs … szenekundigen, erfahrenen Ermittlungsbeamten eines Landeskriminalamts oder einer sonst überörtlich zuständigen Polizeidienststelle oder einen Kriminalwissenschaftler" zu deren "Herrschaftsgefüge, Befehlsstrukturen, Riten und Verhaltenskodizes" ange- hört hat, sind unzulässig. Denn die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger teilen nicht in einer § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise mit, warum sich eine solche Beweiserhebung entgegen und trotz der Ausführungen des Schwurgerichts zu einem nicht zu erwartenden weiteren Erkenntnisgewinn durch eine solche Beweisaufnahme (UA 80) aufgedrängt haben soll, nachdem das Gericht - neben einer Vielzahl weiterer Polizeibeamter sowie mehrerer Zeugen aus "Rockerkreisen" - auch die dem Polizeipräsidium Mainz angehörende Sachbearbeiterin vernommen und diese über die Informationen berichtet hat, die ihr "im Bereich der organisierten Kriminalität erfahrene Kollegen" unter anderem zum "Trophäenkult mit Kutten" gegeben hatten. So wird insbesondere die in den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger angesprochene polizeiliche Vernehmung des Angeklagten S. nicht vollständig mitgeteilt; die Staatsanwaltschaft hat es zudem unterlassen , den von ihr zitierten polizeilichen Abschlussbericht vollständig vorzutragen.
15
Soweit die Staatsanwaltschaft ferner einen Verstoß gegen § 261 StPO beanstandet und geltend macht, das Gericht habe in Zusammenhang mit dem Fluchtversuch des Dirk O. Feststellungen zu "inneren Vorgängen (Überlegungen )" beim Tatopfer getroffen, ohne hierfür über eine "äußere Grundlage" zu verfügen, fehlt es jedenfalls am Beruhen des Urteils auf einer etwaigen Gesetzesverletzung.
16
Erfolglos ist auch die von zwei Nebenklägern in Zusammenhang mit der Zurückweisung einer Frage an den Zeugen G. erhobene Aufklärungsrüge. Insofern verweist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf, dass dem Zeugen G. das von ihm geltend gemachte Auskunftsverweigerungsrecht zustand.
17
2. Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat - abgesehen von der Entscheidung bezüglich des Angeklagten A. nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB aufgrund des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft - keinen Rechtsfehler zum Vorteil der Angeklagten ergeben.
18
a) Das Schwurgericht hat die Angeklagten auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht nicht wegen besonders schweren Raubes (mit Todesfolge) oder besonders schwerer räuberischer Erpressung (mit Todesfolge) verurteilt.
19
aa) Ein besonders schwerer Raub (mit Todesfolge) liegt - wie ersichtlich auch der Generalbundesanwalt meint - nicht vor.
20
(1) Täter - auch Mittäter - kann beim Raub nur sein, wer bei der Wegnahme die Absicht hat, sich oder einem Dritten die fremde Sache rechtswidrig zuzueignen. Hierfür genügt, dass der Täter die fremde Sache unter Ausschließung des Eigentümers oder bisherigen Gewahrsamsinhabers körperlich oder wirtschaftlich für sich oder den Dritten haben und sie der Substanz oder dem Sachwert nach seinem Vermögen oder dem des Dritten “einverleiben” oder zuführen will. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter oder der Dritte die Sache auf Dauer behalten soll oder will (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 mwN).
21
An der Voraussetzung, dass der Wille des Täters auf eine Änderung des Bestandes seines Vermögens oder das des Dritten gerichtet sein muss, fehlt es in Fällen, in denen er die fremde Sache nur wegnimmt, um sie „zu zerstören”, „zu vernichten”, „preiszugeben”, „wegzuwerfen”, „beiseitezuschaffen” oder „zu beschädigen” (BGH, Urteile vom 10. Mai 1977 - 1 StR 167/77, NJW 1977, 1460; vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812 jeweils mwN). Der etwa auf Hass- und Rachegefühlen beruhende Schädigungswille ist zur Begründung der Zueignungsabsicht ebenso wenig geeignet wie der Wille, den Eigentümer durch bloßen Sachentzug zu ärgern (BGH, Urteil vom 26. September 1984 - 3 StR 367/84, NJW 1985, 812, 813 mwN; Beschluss vom 15. Juli 2010 - 4 StR 164/10). In solchen Fällen genügt es auch nicht, dass der Täter - was grundsätzlich ausreichen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1980 - 2 StR 224/80, NStZ 1981, 63) - für eine kurze Zeit den Besitz an der Sache erlangt.
22
(2) Hiervon ausgehend handelten die Angeklagten und Björn Sch. nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen in Bezug sowohl auf die Kutte von Dirk O. als auch dessen Messer ohne die für eine Verurteilung wegen Raubes erforderliche Zueignungsabsicht.
23
Zwar diente die Wegnahme der Kutte nach dem Tatplan "dem Ziel, diesem Outlaw im speziellen und den sich neuangesiedelten Outlaws im Allgemeinen gegenüber 'Präsenz zu zeigen' und ihnen klarzumachen, dass mit den in der Nähe angesiedelten Hells Angels stets zu rechnen ist". Eine über die Enteignung hinausgehende Zueignungsabsicht konnte die Strafkammer jedoch nicht feststellen (UA 17: "Ein weiteres Interesse an der zu erlangenden Kutte, etwa als Tauschobjekt, Arbeitsnachweis oder zum 'Angeben', war nicht feststellbar" ). Vielmehr vermochte sie nicht auszuschließen, "dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten." (UA 79). Entsprechendes gilt für das Dirk O. abgenommene Messer, das der Angeklagte A. und Björn Sch. sofort nach der Entwaffnung ihres Opfers wegwarfen (UA 20, 55).
24
Die diesen Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung ist - wie auch im Übrigen - aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, obliegt grundsätzlich allein dem Tatrichter. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. Juni 2007 - 2 StR 161/07). Nach der durch § 261 und § 337 StPO vorgegebenen Aufgabenverteilung zwischen Tat- und Revisionsgericht kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Daran ändert sich nicht einmal dann etwas, wenn vom Tatrichter getroffene Feststellungen „lebensfremd“ erscheinen mögen (BGH, Urteile vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10; vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10 mwN). Denn der vom Gesetz verwendete "Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sachverhalts nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, dass sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müssten, verschlossen. Es ist also die für die Schuldfrage entscheidende , ihm allein übertragene Aufgabe des Tatrichters, ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht“ (so bereits BGH, Urteil vom 9. Februar 1957 - 2 StR 508/56, BGHSt 10, 208, 209; zuletzt BGH, Urteil vom 9. November 2010 - 5 StR 297/10). Ist das Tatgericht – wie vorliegend – ausgehend von einer lückenlosen Tatsachengrundlage im Rahmen einer Bewertung der erhobenen Beweise im Einzelnen (UA 79 ff.) sowie in einer Gesamtschau (UA 82) zu der möglichen - hier sogar plausiblen - Schlussfolgerung gelangt, die erhobenen Beweise seien mangels nachgewiesener Zueignungsabsicht nicht geeignet, eine Verurteilung der Angeklagten wegen (schweren) Raubes mit Todesfolge zu tragen, hat dies – nicht anders als in gegenteiligen Verurteilungsfällen – als möglicher Schluss des Tatgerichts in der Revisionsinstanz Bestand. Die vom Revisionsgericht nicht mehr hinzunehmende, einen Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten begründende Grenze der Denkfehlerhaftigkeit wird vom Schwurgericht nirgendwo überschritten (zu diesen Maßstäben: BGH, Urteil vom 27. Oktober 2010 - 5 StR 319/10).
25
bb) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts liegt nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen aber auch eine besonders schwere räuberische Erpressung (mit Todesfolge) nicht vor.
26
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine (besonders schwere) räuberische Erpressung zwar auch derjenige begehen, der das Opfer mit Gewalt dazu zwingt, die Wegnahme einer Sache zu dulden (BGH, Urteil vom 30. August 1973 - 4 StR 410/73, BGHSt 25, 224, 228 mwN), eine Verurteilung wegen Raubes aber daran scheitert, dass die dafür erforderliche Zueignungsabsicht nicht vorliegt bzw. nicht nachweisbar ist (BGH, Urteile vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388, 390 f.; vom 6. August 1991 - 1 StR 430/91, BGHR StGB § 255 Konkurrenzen 2; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103).
27
Eine Verurteilung wegen räuberischer Erpressung erfordert jedoch die Absicht, sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern. Diese Tatbestandsvoraussetzung des § 253 StGB deckt sich inhaltlich mit der beim Betrug vorausgesetzten Bereicherungsabsicht (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9). Sie setzt nach dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertretenen wirtschaftlichen Vermögensbegriff deshalb voraus, dass der erstrebte Vorteil zu einer objektiv günstigeren Gestaltung der Vermögenslage für den Täter oder den Dritten führen soll (BGH, Urteil vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN; ähnlich: BGH, Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 2. Mai 2001 - 2 StR 128/01, NStZ 2001, 534), also eine Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens angestrebt wird (BGH, Urteile vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; vom 3. März 1999 - 2 StR 598/99, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 9 mwN).
28
Als ein solcher Vermögenszuwachs kann auch die Erlangung des Besitzes an einer Sache bewertet werden und zwar selbst bei einem nur vorübergehenden Besitzwechsel (BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.). Jedoch ist der bloße Besitz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in den Fällen als Vermögensvorteil anerkannt, in denen ihm ein eigenständiger wirtschaftlicher Wert zukommt (BGH, Urteil vom 17. August 2001 - 2 StR 159/01, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 2), was regelmäßig lediglich dann zu bejahen ist, wenn mit dem Besitz wirtschaftlich messbare Gebrauchsvorteile verbunden sind, die der Täter oder der Dritte nutzen will (vgl. BGH, Urteil vom 16. August 1995 - 2 StR 303/95, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögenswert 1 mwN; SSW-StGB/Satzger, § 263 Rdn. 98; zum Besitz an einem Kraftfahrzeug: BGH, Urteil vom 5. Juli 1960 - 5 StR 80/60, BGHSt 14, 386, 388 f.; Beschluss vom 24. April 1990 - 5 StR 111/90, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Vermögensschaden 7; Urteil vom 4. April 1995 - 1 StR 772/94, NStZ 1996, 39; Beschluss vom 12. Januar 1999 - 4 StR 685/98, NStZ-RR 1999, 103; ähnlich für den Betrug: BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 - 4 StR 58/08, NStZ 2008, 627).
29
Dagegen genügt - wie beim Raub - nicht, wenn der Täter zwar kurzzeitigen Besitz begründen will, die Sache aber unmittelbar nach der Erlangung vernichtet werden soll (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2004 - 3 StR 71/04, NStZ 2005, 155 mwN; Vogel in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 253 Rn. 29; Eser/Bosch in Schönke/Schröder, 28. Aufl., § 253 Rn. 17). Ebenso wenig reicht es aus, wenn der Täter den mit seiner Tat verbundenen Vermögensvorteil nur als notwendige oder mögliche Folge seines ausschließlich auf einen anderen Zweck gerichteten Verhaltens hinnimmt (BGH, Urteil vom 3. Mai 1988 - 1 StR 148/88, NJW 1988, 2623; ähnlich BGH, Beschluss vom 19. August 1987 - 2 StR 394/87, BGHR StGB § 253 Abs. 1 Bereicherungsabsicht 1) und allein einen anderen als einen wirtschaftlichen Vorteil erstrebt (BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1971 - 4 StR 397/71).
30
Auf dieser Grundlage fehlt es an einer Bereicherungsabsicht der Angeklagten bzw. des Björn Sch. in Bezug auf die Kutte des Dirk O. und dessen Messer. Denn das Landgericht vermochte - wie oben ausgeführt - nicht auszuschließen, dass der Tatplan von vornherein vorsah, die Kutte zu vernichten und das Messer sofort wegzuwerfen.
31
b) Da die Angeklagten sowie Björn Sch. weder einen Raub noch eine räuberische Erpressung beabsichtigt haben, kommt auch eine Verurteilung wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a StGB nicht in Betracht.
32
c) Das Schwurgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Angeklagten zu Recht nicht wegen Täterschaft oder Teilnahme an der vorsätzlichen Tötung des Dirk O. verurteilt.
33
aa) Einen Tötungsvorsatz der Angeklagten hat es rechtsfehlerfrei als nicht erwiesen erachtet.
34
(1) Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten nur gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn er mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der Tod werde nicht eintreten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN). Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN), mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, 373; ähnlich zum unerwünschten Erfolg bereits BGH, Urteil vom 22. April 1955 - 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363, 369). Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 - 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451).
35
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, ist bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände geboten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 mwN); sowohl das Wissens - als auch das Willenselement muss grundsätzlich in jedem Einzelfall geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 jeweils mwN). Insbesondere bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements ist es regelmäßig erforderlich, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände - insbesondere die konkrete Angriffsweise - mit in Betracht zieht (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2007 - 2 StR 133/07, NStZ-RR 2007, 267; Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZRR 2009, 372 jeweils mwN). Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Oktober 2006 - 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151; vom 18. Oktober 2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. August 2009 - 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 jeweils mwN). Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2008 - 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91 mwN).
36
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil gerecht. Die Strafkammer hat die rechtlichen Grundlagen für die Ab- grenzung des bedingten Tötungsvorsatzes von bewusster Fahrlässigkeit zutreffend gesehen und beachtet. Ihre Bewertung, Tötungsvorsatz bei den Angeklagten sei nicht erwiesen, weist keinen Rechtsfehler auf.
37
Nach den Feststellungen des Schwurgerichts wussten die Angeklagten, "dass es zur Erlangung der symbolträchtigen Kutte zu einer möglicherweise auch harten körperlichen Auseinandersetzung mit dem gegnerischen Rocker" und "auch zum Einsatz von Waffen und Werkzeugen - wie etwa Schlaghölzern, Reizgas, Schlagstöcken, Motocrosshandschuhen und evtl. auch Messern - kommen könnte". Ihnen war "bewusst …, dass derartige Aktionen … ein hohes, unter Umständen auch tödliches, Gewaltpotential in sich tragen" und ihr Handeln "aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Gleichwohl vermochte sich das Landgericht - rechtsfehlerfrei - nicht davon zu überzeugen, dass das Willenselement des bedingten Tötungsvorsatzes gegeben ist. Denn die Angeklagten vertrauten - wie das Schwurgericht ausführlich belegt - "im Hinblick auf ihre körperliche und auch zahlenmäßige Überlegenheit … darauf, dass ein lebensgefährliches Ausmaß der Gewaltanwendung nicht notwendig sein werde"; auch war ihnen aus unterschiedlichen Gründen ein tödlicher Ausgang unerwünscht.
38
bb) Der Generalbundesanwalt meint auf der Grundlage seiner rechtlichen Bewertung des Tatgeschehens als besonders schwere räuberische Erpressung mit Todesfolge unter Hinweis auf das Urteil des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. Dezember 2007 (1 StR 301/07, NStZ 2008, 280, 281 und Walter, NStZ 2008, 548), der Angeklagte A. sei Gehilfe des vorsätzlichen Tötungsdelikts, weil sich "durch das gemeinsame Ausziehen und Ansichnehmen der Kutte des dann zurückgelassenen tödlich Verletzten … sein Vorsatz sukzessive auf die zum Tod führende Gewalthandlung des Mittäters Sch. erstreckt" habe. Der Senat lässt offen, ob dem bei Vorliegen einer räuberischen Erpressung zu folgen wäre. Ein solcher Fall ist vorliegend nicht gegeben, da weder der Angeklagte A. noch Björn Sch. den Tatbestand des Raubes bzw. der räuberischen Erpressung (mit Todesfolge) verwirklicht haben. Kann bei mehreren nacheinander aktiv werdenden Tätern der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Allein eine nachträgliche Billigung der tödlichen Gewalt kann deshalb jedenfalls im vorliegenden Fall eine strafbare Verantwortlichkeit des Angeklagten A. für die bereits abgeschlossene Tötungshandlung nicht begründen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 1984 - 4 StR 526/84 mwN). Dies gilt auch für die vom Generalbundesanwalt bejahte Beihilfe zum Mord und bezieht sich in gleicher Weise auf den Angeklagten S. .
39
d) Nach den vom Landgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist den Angeklagten auch der zur Querschnittlähmung des Opfers führende (letzte) Messerstich des Björn Sch. nicht zuzurechnen.
40
Eine solche Zurechnung scheidet aus, wenn der unmittelbare Täter dem Opfer den weiteren Stich nicht mehr im Rahmen verabredeter Gewaltanwendung beibrachte, der Dritte die (weitere) Gewaltanwendung weder gebilligt noch zu ihr gefahrerhöhend beigetragen hat und er deren Folgen auch nicht dazu ausnutzen wollte, den Besitz von durch die Tat erlangten Vermögenswerten zu erhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 16. September 2009 - 2 StR 259/09, NStZ 2010, 33, 34). So verhält es sich hier. Der Messerstich erfolgte nach der Wegnahme der Kutte, er entsprach nicht dem Tatplan, sondern wurde "ohne weitere Absprache" mit dem Angeklagten A. von Björn Sch. ausgeführt, um (nicht ausschließbar) "ganz sicher zu gehen, dass dieser [also Dirk O. ] versterbe" (UA 63).
41
e) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts haben sich die Angeklagten auch nicht der Täterschaft oder Teilnahme an einem versuchten vorsätzlichen Tötungsverbrechen durch Unterlassen schuldig gemacht.
42
Denn eine Handlungspflicht des Garanten für das Leben eines anderen entfällt, wenn die gebotenen Rettungsbemühungen sicher erfolglos geblieben wären (BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Weigend in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 13 Rdn. 63). Das ist nach den von der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffenen und tragfähig begründeten Feststellungen der Fall. Danach ging der Angeklagte A. - der objektiven Lage entsprechend (UA 78 f.) - nach der ersten Messerattacke des Björn Sch. davon aus, "dass der Outlaw durch die Messerstiche bereits tödlich verletzt sei" und selbst "bei sofort herbeigerufener Hilfe sterben" werde. Dasselbe hat das Landgericht bezüglich des Angeklagten S. festgestellt.
43
Da es durch das Sichentfernen der Angeklagten nicht zu einer Steigerung der für Dirk O. bestehenden Gefahr kam, haben sich die Angeklagten auch nicht nach § 221 StGB strafbar gemacht (vgl. SSW-StGB/Momsen, § 221 Rn. 10, 11).
44
f) Nach den getroffenen Feststellungen hat das Schwurgericht die Angeklagten zu Recht auch nicht des (versuchten) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b StGB schuldig gesprochen.
45
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats erfasst § 315b StGB ein vorschriftswidriges Verkehrsverhalten eines Fahrzeugführers nur dann, wenn dieser das von ihm gesteuerte Kraftfahrzeug in verkehrsfeindlicher Einstellung bewusst zweckwidrig einsetzt, er mithin in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff in den Straßenverkehr zu "pervertieren" und er dabei mit zumindest bedingtem Schädigungsvorsatz handelt (Beschluss vom 16. März 2010 - 4 StR 82/10 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Ernemann, § 315b StGB Rn. 18). Einen solchen, mit dem Eingriff in den Straßenverkehr verbundenen Schädigungsvorsatz vermochte das Landgericht jedoch nicht festzustellen. Es kam vielmehr - rechtsfehlerfrei - zu der Erkenntnis, dass der Angeklagte S. darauf vertraute, dass Dirk O. weder zu Fall kommt, noch auf den Pkw auffährt und dass eine solche Gefahr auch objektiv nicht bestand. Eine versuchte Anstiftung durch den Angeklagten A. (§ 30 Abs. 1, § 315b Abs. 1, 3, § 315 Abs. 3 StGB) liegt nach den getroffenen Feststellungen nicht vor.
46
g) Soweit eine Verurteilung der Angeklagten nach § 323c StGB in Betracht kam (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - 2 StR 582/99, NStZ 2000, 414, 415; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 323c Rn. 18), hat der Senat das Verfahren in der Hauptverhandlung gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.
47
h) Auch die Rechtsfolgenaussprüche weisen - abgesehen von der den Angeklagten A. betreffenden Entscheidung nach § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 Satz 2 StGB - keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
48
aa) Dies gilt auch, soweit der Generalbundesanwalt und die revisionsführende Staatsanwaltschaft beim Angeklagten A. die Prüfung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vermissen.
49
Denn es fehlt nach der vom Senat gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB, § 354a StPO zu beachtenden, am 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Neufassung des § 66 StGB an Vorstrafen, die die dort geforderten Voraussetzungen erfüllen (vgl. BT-Drucks. 17/3403 S. 50). Insbesondere die im Jahr 2005 erfolgte Verurteilung wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und anderem ist nicht mehr geeignet, die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu begründen.
50
bb) Die Revision der Staatsanwaltschaft führt jedoch zur Abänderung des Maßstabs für die Anrechung der in Portugal beim Angeklagten A. vollzogenen Auslieferungshaft, den das Landgericht mit 2:1 bestimmt hat.
51
Besondere Erschwernisse, die diesen Anrechnungsmaßstab rechtfertigen könnten, hat die Strafkammer - ersichtlich aufgrund des Schweigens des Angeklagten A. zur Person und zur Sache (UA 25) - nicht festgestellt. Im Hinblick darauf, dass in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union - auch in Portugal (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 251/10) - grundsätzlich Anhaltspunkte für eine andere Anrechnung als im Verhältnis 1:1 nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen sind, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO den Anrechnungsmaßstab selbst entsprechend bestimmt (BGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2003 - 5 StR 124/03, BGHR StGB § 51 Abs. 4 Anrechnung 3; vom 4. Juli 2007 - 1 StR 298/07; vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2005 - 2 BvR 1593/03).

III.


52
Die Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
53
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten A. ist unbegründet.
54
a) Seine Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
55
Zwar kann einem Mittäter das Handeln eines anderen Mittäters, das über das gemeinsam Gewollte hinausgeht, grundsätzlich nicht zugerechnet werden (BGH, Urteil vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 Rn. 15 mwN). Handelt ein Mittäter aber mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz, ein anderer dagegen nur mit Verletzungsvorsatz, so ist letzterer - wenn er den tödlichen Ausgang für das Opfer vorhersehen konnte - zwar nicht wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts , aber wegen Körperverletzung mit Todesfolge strafbar (BGH, Urteil vom 19. August 2004 - 5 StR 218/04, NStZ 2005, 93 m. Anm. Heinrich). Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, mithin auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausgeführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beigetragen hat, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 164/09, NStZ 2009, 631, 632). Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei dem Mittäter das Wissenselement des Tötungsvorsatzes vorlag und dieser allein deshalb fehlte, weil es am Willenselement mangelte (vgl. auch BGH, Urteile vom 15. September 2004 - 2 StR 242/04, NStZ 2005, 261, 262; vom 5. August 2010 - 3 StR 210/10 mwN).
56
So verhält es sich hier. Beide Angeklagten rechneten - wie ausgeführt - mit Körperverletzungen unter Einsatz von Waffen und Werkzeugen, auch eines Messers, und billigten diese. Ihnen war ferner bewusst, dass "die Aktion aufgrund der Art der ggf. einzusetzenden Tatmittel auch den Tod des anzugreifenden Rockers nach sich ziehen könnte". Die damit gegebene Vorhersehbarkeit des Todes von Dirk O. reicht für die Erfüllung der subjektiven Fahrlässigkeitskomponente des § 227 StGB aus; einer Voraussehbarkeit aller Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs bedarf es nicht (BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN).
57
b) Auch die Verurteilung des Angeklagten A. wegen mit der Körperverletzung mit Todesfolge und der Nötigung in Tateinheit stehenden Beteiligung an einer Schlägerei begegnet keinen Bedenken. Sie entspricht sowohl hinsichtlich der Bejahung des Tatbestandes des § 231 StGB als auch bezüglich der Konkurrenzen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2008 - 3 StR 236/08; Urteil vom 10. Juni 2009 - 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310 mwN)
58
c) Entsprechendes gilt für den Schuldspruch wegen Nötigung. Diese wird hinsichtlich des Ausbremsens vom Verteidiger des Angeklagten A. nicht in Frage gestellt. Sie liegt aber auch hinsichtlich der Wegnahme der Kutte vor, bezüglich derer der Einsatz des Messers von Anfang an vom Vorsatz des Angeklagten A. umfasst war (vgl. auch UA 79).
59
d) Die Strafzumessung weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Schwurgerichts, bei der vom Angeklagten A. begangenen Nötigung handle es sich um einen (unbenannten) besonders schweren Fall im Sinne des § 240 Abs. 4 Satz 1 StGB. Sie wird vom Tatgericht zutreffend auf das "besonders grobe" Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck gestützt.
60
e) Auch der Maßregelausspruch hält der Überprüfung stand. Zwar war der Angeklagte A. "nur" Beifahrer in dem vom Angeklagten S. gesteuerten Pkw. Indes hat der Angeklagte A. an der ihm zu Recht angelasteten Nötigung des Dirk O. durch das Ausbremsen nicht nur dadurch mitgewirkt, dass er den Angeklagten S. hierzu "verbal gedrängt" hat, sondern auch dadurch, dass er die "Weisung" für den Beginn des Überholmanövers gab. Dies rechtfertigt die Maßregel nach §§ 69, 69a StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2004 - 4 StR 585/03, NStZ 2004, 617; Tepperwien in Festschrift Nehm, 2006, S. 427, 430).
61
2. Die Revision des Angeklagten S. ist ebenfalls unbegründet.
62
a) Die Verurteilung wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge und zur Beteiligung an einer Schlägerei sowie wegen Nötigung ist nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerfrei ist - wie ausgeführt - auch die Annahme von Tateinheit zwischen diesen Straftatbeständen.
63
b) Der Strafausspruch hält im Ergebnis ebenfalls der Überprüfung stand.
64
Zwar hat es das Schwurgericht unterlassen, beim Angeklagten S. trotz Vorliegens zweier vertypter Milderungsgründe (§ 27 Abs. 2, § 46b StGB) zu prüfen, ob ein minder schwerer Fall der Körperverletzung mit Todesfolge vorliegt. Der Senat schließt aufgrund der Besonderheiten des Falles jedoch aus, dass der Strafausspruch hierauf beruht. Denn es lag im Hinblick auf die vom Landgericht zutreffend dargelegten Strafschärfungsgründe (u.a. Bewährungsversagen ) fern, einen minder schweren Fall gemäß § 227 Abs. 2 StGB ohne "Verbrauch" mindestens eines der vertypten Milderungsgründe anzunehmen. Wäre aber der Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB einmal nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert worden, so wäre - bei nur geringfügig niedrigerer Strafrahmenobergrenze - die Strafrahmenuntergrenze höher gewesen als nach der vom Schwurgericht vorgenommenen doppelten Minderung des Strafrahmens des § 227 Abs. 1 StGB.
65
Die Annahme eines besonders schweren Falls der Nötigung begegnet beim Angeklagten S. auch angesichts der nur eingeschränkten Überprüfbarkeit dieser Bewertung in der Revision (vgl. Fischer aaO § 46 Rn. 85 mwN) keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

IV.


66
Das nur geringfügige Obsiegen der Staatsanwaltschaft rechtfertigt keine Kostenteilung. Da mithin sowohl die Revisionen der Staatsanwaltschaft als auch die der Nebenkläger erfolglos geblieben bzw. entsprechend zu behandeln sind, haben die Nebenkläger außer der Revisionsgebühr auch die Hälfte der gerichtlichen Auslagen zu tragen. Die durch diese Revisionen verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten hat allein die Staatskasse zu tragen (§ 473 Abs. 2 Satz 1 StPO); eine Auferlegung der notwendigen Auslagen des Angeklagten auf den Nebenkläger erfolgt nur dann, wenn dieser allein erfolglos Revision eingelegt hat, nicht dagegen, wenn auch die Staatsanwaltschaft Rechtsmittelführe- rin ist (§ 473 Abs. 1 Satz 3 StPO; vgl. aber BGH, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 5 StR 405/10). Die Kosten- und Auslagenentscheidung hinsichtlich der Revisionen der Angeklagten beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO. Zwar sind auch die Revision der Nebenkläger erfolglos geblieben, dies rechtfertigt es jedoch nicht, von einer Auslagenerstattung zu ihren Gunsten abzusehen (§ 473 Abs. 1 Satz 2 StPO; zum Ganzen: BGH, Urteil vom 30. November 2005 - 2 StR 402/05).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR435/14
vom
13. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen versuchten Mordes
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin F.
als Verteidigerin des Angeklagten K. ,
Rechtsanwalt R.
als Verteidiger des Angeklagten L. ,
Rechtsanwältin G.
als Vertreterin des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 18. März 2014 mit den Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seinen auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen beanstandet der Nebenkläger, dass das Landgericht bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten nicht festgestellt hat. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die aus Polen stammenden, alkoholisierten und unter dem Einfluss von Cannabis stehenden, zur Tatzeit 23 Jahre (K. ) und 33 Jahre (L. ) alten Angeklagten am Nachmittag des 9. Juli 2013 auf dem Platz am Neptunbrunnen nahe dem Berliner Alexanderplatz auf und baten andere Personen um Zigaretten. Dabei trat der Angeklagte L. bedrohlich dicht an einen Zeugen heran. Der Angeklagte K. zog L. beiseite.
3
Wenig später ging der muskulöse K. – bewusst in einem bedrohlich geringen Abstand – an dem auf einer Parkbank sitzenden schmächtigen , dunkelhäutigen Nebenkläger vorbei, dem er körperlich deutlich überlegen war. Dabei strahlte K. eine solche Aggressivität aus, dass er einem Zeugen auffiel, der eine Bank vom Nebenkläger entfernt saß und den Angeklagten als „potentielle Gefahr“ im Auge behielt. K. , der nach eigener Aussage „keine Neger mag“, störte sich an der dunklen Hautfarbe des Neben- klägers. Im Vorbeigehen beleidigte er ihn mit einem dem deutschen Wort „Ne- ger“ vergleichbaren Wort in polnischer Sprache. Der Nebenkläger, der der russischen Sprache mächtig ist, verstand dieses Wort. Er reagierte, indem er K. auf Russisch fragte, was er getan habe. K. blieb ruckartig stehen und wandte sich dem Nebenkläger zu; er ergriff ihn, zog ihn von der Parkbank hoch und begann, ihn zu schubsen. Auf erfolglose Versuche des Nebenklägers , den Angeklagten K. abzuwehren, schlug dieser den Nebenkläger mit drei wuchtigen Faustschlägen ins Gesicht zu Boden. K. versuchte, den benommen am Boden liegenden – sehr leichten – Nebenkläger an dessen Gürtel in die Luft zu heben und zu Boden fallen zu lassen. Dies verhinderte der Nebenkläger zunächst, indem er sich an der Hose des Angeklagten festkrallte. Als er jedoch das Bewusstsein verlor, nutzte K. dies aus, um den Nebenkläger an seinem Gürtel aufzuheben, sein Knie in das Gesicht des Nebenklägers zu stoßen und ihn schließlich mit dem Gesicht voran auf den Steinboden des Platzes fallen zu lassen. K. versetzte dem bewusstlos auf dem Boden liegenden Nebenkläger noch mindestens einen Faustschlag ins Gesicht, ließ dann aber von ihm ab, als L. eingriff und gegen den Kopf des Nebenklägers trat. L. erkannte, dass der Nebenklä- ger nicht unerheblich verletzt, ohne Bewusstsein und deshalb wehrlos war, trat aber aus fremdenfeindlicher Verachtung ein zweites Mal gegen dessen Kopf. Bevor er dem Nebenkläger einen weiteren Tritt versetzen konnte, näherten sich von verschiedenen Seiten Passanten und forderten die Angeklagten lautstark auf, vom Nebenkläger abzulassen. Daraufhin entfernten sich die Angeklagten vom Tatort.
4
Passanten kümmerten sich um den verletzten Nebenkläger und sorgten dafür, dass er in eine Klinik gebracht wurde, in der er bis zum 23. Juli 2013 stationär behandelt wurde. Er hatte unter anderem einen Bruch der rechten Augenhöhlenwand und des Nasenbeins, ein Schädelhirntrauma sowie eine dünne Blutung unter die weiche Hirnhaut (Subarachnoidalblutung) und eine minimale Einblutung ins Hirngewebe (Kontusionsblutung) erlitten. Seine Verletzungen waren potentiell, nicht aber konkret lebensgefährlich.
5
2. Das Landgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung – mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung sowie gemeinschaftlich begangen – gewürdigt und ausgeführt, es habe sich nicht die Überzeugung verschaffen können, dass die Angeklagten den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf nahmen. Dagegen spreche, dass es sich um eine „spontane, unüberlegte und sehr kurz andauernde Tat“ gehandelt habe. Die Angeklagten hätten aufgrund einer mehrjährigen Erfahrung als Kickboxer (K. ) beziehungsweise aufgrund verschiedener Schlägereien als Fußballfan (L. ) möglicherweise ihre Kräfte besser als andere Täter einschätzen können, so dass der Nebenkläger nicht noch schwerer verletzt worden sei. Zudem hätten die Angeklagten in einer „(gruppen-)dynamischen Situation“ gestanden sowie unter erheblichem Einfluss von Alkohol und Cannabis, deren Wirkung sie möglicherweise leichtfertig darauf vertrauen ließ, ein tödlicher Erfolg werde nicht eintreten. Die Gewalthandlungen der Angeklagten hätten „keine schwersten Kopfverletzungen, insbesondere keinen Bruch des Schädels,“ herbeigeführt. Der Umstand, dass die Tat auf öffent- lichem Straßenland vor zahlreichen Zeugen stattgefunden habe, weise darauf hin, „dass eine Schlägerei – auffür den Geschädigten schreckliche Art – ‚aus dem Ruder lief', die Angeklagten aber den Tod des Nebenklägers jedenfalls nicht billigend in Kauf nahmen“ (UA S. 25). Dass ihre tatmotivierende Fremden- feindlichkeit so weit gegangen sei, auch den Tod eines Menschen billigend in Kauf zu nehmen, lasse sich nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen. Die Strafkammer hat nicht ausschließen können, dass sich die Angeklagten bei Tatbegehung in einem Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) befanden.
6
3. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tötungsvorsatz hält – auch eingedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, da sie lückenhaft ist.
7
a) Das Landgericht hat im Ausgangspunkt nicht verkannt, dass die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes ist (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443). Bei dessen Prüfung ist es aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten. Dem genügt die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht, da mehrere wesentlich für einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten sprechende tatsächliche Umstände nicht bedacht werden.
8
b) Soweit die Strafkammer gegen das Vorliegen des voluntativen Ele- ments eines Tötungsvorsatzes ausführt, es habe sich um eine „spontane, unüberlegte und sehr kurz andauernde“ Tat gehandelt, berücksichtigt sie nicht, dass beide Angeklagte gegen den bereits bewusstlosen Nebenkläger mehrere gefährliche Gewalthandlungen ausführten und mit diesen erst aufhörten, als sich Passanten näherten und sie lautstark aufforderten, vom Nebenkläger abzulassen. Der Tatsache, dass die Angeklagten nicht freiwillig mit der Misshandlung des Nebenklägers aufhörten, kann ein hoher Indizwert für ihre innere Einstellung gegenüber einer möglichen Tötung des Nebenklägers zukommen (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640). Das gewollte weitere Tun kann den Schluss nahelegen, dass ihnen die Folgen ihrer Tat bis hin zum möglichen Tod des Nebenklägers gleichgültig waren. Dies würde für die Annahme von bedingtem Tötungsvorsatz genügen und war mithin erörterungsbedürftig.
9
Zudem sprechen die Urteilsfeststellungen zum Verhalten der – berauschten – Angeklagten vor der Tat gegen ein spontanes und unüberlegtes Handeln, sondern eher dafür, dass sie bewusst Streit suchten. Dass es sich bei der Misshandlung des Nebenklägers um eine aus dem Ruder gelaufene „Schlägerei“ (UA S. 25)gehandelt haben könnte, wird durch die Feststellungen widerlegt. Danach beschränkte sich der zunächst vom Angeklagten K. – grundlos – körperlich angegriffene Nebenkläger auf Schutzwehr, zu der er wegen eintretender Bewusstlosigkeit alsbald schon nicht mehr in der Lage war. Er hatte in keiner Weise zu einer Eskalation des Geschehens über ein von den Angeklagten möglicherweise ursprünglich gewolltes begrenztes Maß hinaus beigetragen. Es ist auch nicht belegt oder sonst ersichtlich, dass eine von der Schwurgerichtskammer angenommene „gruppendynamische Situation“ vorlag, bei der sich die Entstehung oder zumindest das Ausmaß der Gewalttätigkeit der Angeklagten ausschließlich aus ihrer Interaktion untereinander oder mit dem Nebenkläger oder den Umstehenden ergab. Abgesehen davon stünden stattgehabte gruppendynamische Prozesse der Entwicklung eines – anfangs nicht vorhandenen – bedingten Tötungsvorsatzes in ihrem Verlauf auch keineswegs entgegen, sondern könnten sie im Gegenteil gerade gefördert haben.
10
c) Soweit die Strafkammer meint, aus der – rechtsfehlerfrei festgestellten – fremdenfeindlichen Motivation der Angeklagten keinen Tötungsvorsatz schlussfolgern zu können, berücksichtigt sie nicht, dass die Angeklagten noch in der Hauptverhandlung ihre anhaltende Missachtung für den anwesenden Nebenkläger durch höhnisches Lachen über ein Foto des schwer im Gesicht Verletzten sowie „demonstratives Gähnen, Lümmeln und Lachen“ während der Beweisaufnahme (UA S. 14) zum Ausdruck gebracht haben. Dieses Verhalten kann darauf schließen lassen, dass sie das Leiden des – in ihren Augen „min- derwertigen“ (UA S. 11) – Nebenklägers und die ihm zugefügtenerheblichen Verletzungen bagatellisierten. Dieses auf einer „tief dissozialen Prägung“ beru- hende Verhalten (UA S. 14) der Angeklagten kann ein Indiz dafür sein, dass sie auch weitergehende Verletzungen des Nebenklägers bis hin zu seinem Tod billigend in Kauf genommen hätten, und wäre mithin zu erörtern gewesen.
11
d) Wenn die Strafkammer eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung bejaht, so geht sie davon aus, dass die Tat in der Vorstellung der Angeklagten auf eine Lebensgefährdung „angelegt” war (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1989 – 4 StR 318/89, BGHSt 36, 262, 265). Demnach erkannten die Angeklagten trotz ihrer Beeinflussung durch Alkohol und Cannabis die Lebensgefährlichkeit ihrer Gewalthandlungen. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass sie dennoch darauf vertraut haben könnten, der Nebenkläger werde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festge- stellt. Soweit es zugunsten der Angeklagten davon ausgeht, dass sie aufgrund ihrer Gewalterfahrenheit die Wirkung ihrer Verletzungshandlungen möglicherweise besser als andere Täter einschätzen konnten, weist die Revision zu Recht darauf hin, dass es nach Vornahme einer potentiell lebensgefährlichen Handlung grundsätzlich dem Zufall anheim gegeben bleibt, ob die Lebensgefahr sich konkretisiert und letztlich zum Tod führt.
12
4. Der aufgezeigte Rechtsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen; jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben. Ergänzende, ihnen nicht widersprechende Feststellungen durch das neue Tatgericht sind zulässig.
Sander Schneider Dölp
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 364/13
vom
9. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 9. Oktober 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Coburg vom 25. April 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung (Fall B. I. 2 der Urteilsgründe ) verurteilt worden ist, jedoch können die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bestehen bleiben;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe und im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine als Schwurgericht zuständige andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in zwei tateinheitlichen Fällen, vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis und Sachbeschädigung in Tatmehrheit mit falscher uneidlicher Aussage in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von drei Jahren keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung wegen versuchten Mordes u.a. im Fall B. I. 2 der Urteilsgründe war aufzuheben, weil das Landgericht die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht tragfähig begründet hat.
3
1. Zum Tatgeschehen in der Nacht vom 27. auf den 28. April 2012, das allein der Erörterung bedarf, hat das Landgericht folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
a) Der Angeklagte befuhr mit seinem Pkw Mercedes Kombi öffentliche Straßen in und um K. , obwohl er keine Fahrerlaubnis besaß. Außerdem war er alkoholbedingt fahruntüchtig, was er zumindest hätte erkennen können und müssen. Als er einer Polizeikontrolle unterzogen werden sollte, missachtete er das ihm gegebene Haltesignal („Stopp Polizei“) und floh mit seinem Pkw. Bei der anschließenden Fahrt durch das Stadtgebiet von K. beging er mehrere Verkehrsverstöße und überfuhr alkoholbedingt mehrmals die Fahrbahnmarkierung. Als er an einer Einmündung anhalten musste, weil sich ihm der Zeuge S. mit seinem Pkw quer in den Weg gestellt hatte, stoppten die verfolgenden Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug hinter dem Wagen des Angeklagten. Die Polizeibeamtin W. stieg aus, klopfte auf der Beifahrerseite an die Fahrzeugtür des Angeklagten und forderte ihn zum Öffnen der verschlossenen Beifahrertür auf, um seine Personalien festzustellen und eine Alkoholisierung zu überprüfen. Der Angeklagte leistete den Aufforderungen keine Folge, sondern rangierte mehrmals hin und her. Die Zeugin W. musste mehrere Schritte zurückgehen, um nicht zwischen dem Pkw des Angeklagten und einem am Fahrbahnrand geparkten Pkw eingeklemmt zu werden. Der Angeklagte setzte noch weitere Male vor und zurück, wobei er der Zeugin W. über den rechten Fuß fuhr und gegen das Dienstfahrzeug der Polizei stieß, an dem dadurch ein von ihm billigend in Kauf genommener Sachschaden in Höhe von 1.136,01 Euro entstand. Die Zeugin W. begab sich schließlich vor den Pkw des Angeklagten und forderte ihn aus einem Abstand von zwei bis vier Metern zum Anhalten auf. Der Angeklagte fuhr nun, auch diese Aufforderung missachtend, mit Vollgas an und flüchtete, indem er durch eine zwischen dem Bordstein und dem Pkw des Zeugen S. bestehende etwa 1,6 Meter breite Lücke hindurchfuhr. Die Zeugin W. konnte sich durch einen Sprung zur Seite und ein seitliches Wegdrehen in Sicherheit bringen, wurde jedoch von der vorderen rechten Stoßstange des Pkw des Angeklagten im Bereich des linken Knies erfasst. Dadurch erlitt sie Abschürfungen sowie Schmerzen am linken Knie.
5
Dem Angeklagten kam es bei diesem Vorgehen allein darauf an, sich der Polizeikontrolle zu entziehen, um seine Identifizierung und die Feststellung seiner Alkoholisierung zu verhindern. Er nahm dabei in Kauf, dass er die Zeugin W. mit dem Pkw anfuhr, dass sie unter den Pkw geriet oder unglücklich zu Boden stürzte, wodurch sie schwere, möglicherweise sogar tödliche Verletzungen erleiden könnte. Hierzu kam es nur deshalb nicht, weil die Zeugin W. sehr schnell reagierte und es ihr gelang auszuweichen.
6
Auf seiner anschließenden Fluchtfahrt missachtete der Angeklagte erneut die Vorfahrt und stieß mit seinem Pkw gegen einen Omnibus, an dem ein Sachschaden in Höhe von 2.613,01 Euro entstand. Obwohl er den Anstoß bemerkt hatte, setzte er seine Fahrt ohne anzuhalten fort. Nach einem weiteren erfolglosen polizeilichen Anhalteversuch und einem erneuten Unfall konnte der Angeklagte schließlich festgenommen werden.
7
b) Der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes liegen die folgenden Erwägungen zugrunde: Das gesamte Verhalten des Angeklagten sei dadurch motiviert gewesen, der Polizei zu entkommen und einer Kontrolle zu entgehen. Dabei habe er auch vor und nach dem Vorfall äußerst rücksichtslos gehandelt. Daraus werde deutlich, dass ihm andere Personen völlig gleichgültig gewesen seien. Auch das Zufahren mit Vollgas auf die wenige Meter vor ihm stehende Polizeibeamtin stelle ein erheblich rücksichtsloses Verhalten dar. Aufgrund der Gesamtsituation – der Entfernung zwischen der Polizeibeamtin W. und seinem Pkw und der relativ engen Lücke – habe er nicht darauf vertrauen können , dass sie es rechtzeitig schaffen würde, sich durch einen Schritt oder Sprung in Sicherheit zu bringen. Auch gelte es zu berücksichtigen, dass dem Angeklagten bewusst gewesen sei, dass ihn die Polizeibeamtin an einer Weiterfahrt habe hindern wollen und er deshalb nicht davon habe ausgehen können, dass sie ihn anstandslos vorbeifahren lassen würde. Aufgrund dieser Situation habe auch der Angeklagte damit rechnen müssen, „dass PHMin W. nicht mehr rechtzeitig ausweichen könnte oder beim Ausweichen stolpern würde und entweder durch sein Fahrzeug umgestoßen und überfahren oder nach einem Sturz auf die Motorhaube zu Boden fallen könnte, wobei es zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen hätte kommen können“.
8
2. Die Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
a) Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444; Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 f. mwN). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens-, als auch für das Willenselement (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich besonders gefährliche Gewalthandlung begangen, kann im Einzelfall allein daraus der Schluss auf ein Wissen um die vorhandene Lebensgefahr und deren Inkaufnahme gezogen werden (vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2012 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN). Der Tatrichter ist jedoch nicht gehalten , seinen Feststellungen zur objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen (BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; vgl. Urteil vom 9. Januar 2013 – 5 StR 395/12, NStZ-RR 2013, 169).
10
b) Den Anforderungen an die gebotene Gesamtbetrachtung wird die Beweiswürdigung zur inneren Tatseite nicht gerecht.
11
Die Erwägung, der Angeklagte habe aufgrund der Gesamtsituation nicht darauf vertrauen können, dass sich die Zeugin W. rechtzeitig in Sicherheit bringen würde, und deshalb damit rechnen müssen, dass es bei ihr zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen kommen konnte, findet in dem mitgeteilten Beweisergebnis keine ausreichende Stütze. Nach den vom Landgericht für schlüssig und nachvollziehbar erachteten Ausführungen des KfzSachverständigen We. vermochte der Angeklagte seinen Pkw bis zum Standort der Zeugin W. maximal auf 16 km/h zu beschleunigen. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Gefahrerkennungs- und Reaktionszeit verblieb der Zeugin eine Zeitspanne von wenigstens einer Sekunde, um sich in Sicherheit zu bringen. In dieser Zeit konnte sie mindestens einen Meter zurücklegen. Da tödliche Aufprallverletzungen erst ab einer Geschwindigkeit von 40 km/h zu erwarten seien, wurden tödliche Folgen von dem Sachverständigen We. nur für den Fall in Betracht gezogen, dass es zu einem Sturz der Zeugin W. nach hinten (etwa in Folge eines Stolperns oder Abstoßens von der Motorhaube ) und danach zu einem Überrollen durch den Pkw des Angeklagten gekommen wäre. Der medizinische Sachverständige Prof. Dr. B. hat tödliche Verlet- zungen daneben auch für den Fall für „denkbar“ gehalten, dass die Zeugin auf die Motorhaube aufgeladen worden wäre und sich daran ein Sturz von der Motorhaube mit unglücklichem Aufprall angeschlossen hätte. Auch diesen Ausführungen ist das Landgericht gefolgt. Weder die Angaben des Sachverständigen We. , noch diejenigen des Sachverständigen Prof. Dr. B. belegen, dass das Leben der Zeugin W. so konkret und erheblich in Gefahr gebracht worden ist, dass daraus ohne ergänzende Erwägungen der Schluss gezogen werden könnte, der Angeklagte habe – entgegen seiner anderslautenden Erklärung in der Hauptverhandlung – ein ernst zu nehmendes Todesrisiko für gegeben erachtet und in Kauf genommen.
12
Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang auf die zu Tage getretene Rücksichtslosigkeit des Angeklagten und seinen unbedingten Fluchtwillen hinweist, werden keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die auf eine weiter gehende Risikoeinschätzung hindeuten. Zwar können sich aus einem risikogeneigten Gesamtverhalten und der sich aus der Art des Handlungsantriebes ergebenden Stärke des Tatanreizes (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 3 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318; Beschluss vom 24. August 1990 – 3 StR 311/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22) Rückschlüsse auf eine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen ergeben, doch ist dies vornehmlich für das Willenselement von Bedeutung. Welche konkrete Folgenerwartung (Wissenselement) der Täter mit seiner Tat verknüpft hat, kann dagegen nur sehr begrenzt aus seiner Risikobereitschaft und seinem Tatmotiv erschlossen werden.
13
Der Umstand, dass der Angeklagte die Flucht erzwang, obwohl ihn die Zeugin W. an einer Weiterfahrt hindern wollte, vermag eine erhöhte Risikoeinschätzung für sich genommen ebenfalls nicht zu begründen. Erfahrungsgemäß weichen Polizeibeamte Kraftfahrern aus, die eine Polizeisperre durchbrechen wollen, obgleich es ihnen gerade auf deren Anhaltung ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. November 1995 – 4 StR 628/95, NStZ-RR 1996, 97; Beschluss vom 12. Mai 1992 – 4 StR 181/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vor- satz, bedingter 28; Urteil vom 21. Oktober 1982 – 4 StR 511/82, VRS 64, 191, 192). Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte im konkreten Fall Grund für die Annahme hatte, die Zeugin W. werde zur Durchsetzung ihrerberechtigten Anhalteaufforderung ein erhöhtes Eigenrisiko eingehen, können dem festgestellten Sachverhalt nicht entnommen werden.
14
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

II.


15
Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes erfasst auch die Verurteilung wegen der hierzu in Tateinheit stehenden Delikte (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2011 – 4 StR 465/11; Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Neue Feststellungen sind zulässig, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
16
Die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchten Mordes u.a. hat die Aufhebung der dafür verhängten Einzelstrafe zur Folge. Dies entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Maßregelanordnung war aufzuheben, weil sie nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StGB an die aufgehobenen Verurteilungen wegen Trunkenheit im Verkehr und unerlaubten Entfernens vom Unfallort geknüpft ist. Der Adhäsionsausspruch bleibt bestehen, weil der Angeklagte in der Hauptverhandlung den geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch anerkannt hat (§ 406 Abs. 2 StPO) und die Wirksamkeit des Anerkenntnisses von ihm nicht in Frage gestellt worden ist (BGH, Beschluss vom 2. Februar 2006 – 4 StR 570/05, NJW 2006, 1890, 1891, insoweit in BGHSt 50, 370 nicht abge- druckt).
17
Ergänzend bemerkt der Senat: Die Ausführungen der Revision zu § 113 Abs. 1 StGB im Schriftsatz vom 27. September 2013 (Rechtsanwalt Wei. ) liegen neben der Sache. Allerdings wird der neue Tatrichter zu beachten haben, dass die Annahme eines besonders schweren Falls des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte nach § 113 Abs. 2 Nr. 2 StGB die Feststellung voraussetzt, dass der Täter den angegriffenen Amtsträger durch eine Gewalttätigkeit in die konkrete Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsbeschädigung (§ 225 Abs. 3 Nr. 1 StGB) gebracht hat (vgl. Rosenau in LK-StGB, 12. Aufl., § 113 Rn. 86). Dabei muss die Gefahr zumindest bedingt vorsätzlich herbeigeführt worden sein (BGH, Urteil vom 24. Juli 1975 – 4 StR 165/75, BGHSt 26, 176, 180 ff.).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 558/11
vom
22. März 2012
in der Strafsache
gegen
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
Zur "Hemmschwellentheorie" bei Tötungsdelikten.
BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11 - LG Saarbrücken
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. März
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 17. Juni 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.

A.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
4
Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
5
II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
6
III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
7
Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
8
Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.

B.


9
Die Revision des Angeklagten
10
I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
11
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
12
Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
13
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
14
3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
15
II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
16
III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
17
2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.

C.


18
Die Revision der Staatsanwaltschaft
19
Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
20
I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
21
1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
22
2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
23
II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
24
1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
25
2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
26
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
27
b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
28
aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
29
bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
30
Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
31
cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
32
Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
33
An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
34
Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
35
Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
36
dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
37
3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
38
III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
39
IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Ernemann Cierniak Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 45/13
vom
16. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten D. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2012 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt, rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Ablehnung des (bedingten) Tötungsvorsatzes der Angeklagten durch das Landgericht. Das Rechtsmittel ist unbegründet; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachbeschwerde ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) der Angeklagten.

I.

2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Morgen des 17. September 2011 kam es in der Nähe einer Diskothek in A. zunächst zu einem verbalen Konflikt zwischen einer Gruppe um die - erheblich alkoholisierten und in ihrer Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich verminderten - Angeklagten und dem Geschädigten S.. Dieser begab sich danach zum Eingangsbereich der Diskothek und setzte sich auf die dortigen Stufen. Nachdem die Angeklagten und zwei ihrer Begleiter ein Taxi bestiegen hatten und aus diesem Fahrzeug heraus beim Vorbeifahren an dem Geschädigten und dessen Bekannten K. ein sogenannter "Stinkefinger" gezeigt worden war, stand K. auf, folgte dem Taxi und schlug gegen die Scheibe, um die Insassen zu einer Klärung aufzufordern. Die Insassen des Taxis stiegen aus. Einer von ihnen, der Zeuge Sch. , begab sich sogleich zum Zeugen K. , worauf sich zwischen diesen beiden eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen ergab. Der Geschädigte ging in die Richtung der Streitenden, um K. aus der Auseinandersetzung herauszuholen. Daraufhin kam es zwischen dem Angeklagten D. und dem Geschädigten ebenfalls zu Beleidigungen und zu einem Gerangel. Schließlich versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten zwei bis drei gezielte heftige Faustschläge in das Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Der Angeklagte D. beugte sich sodann herunter und schlug jedenfalls ein weiteres Mal mit der Faust auf den Oberkörper oder in das Gesicht des Geschädigten, wobei dieser versuchte, sich durch seine Hände und Arme vor der Wucht der Schläge zu schützen. Der Angeklagte G. , der sich bis dahin irgendwo im Umfeld des Geschehens aufgehalten hatte, ohne selbst einzugreifen, kam hinzu, als der Geschädigte bereits am Boden lag, um mit seinem Freund D. gemeinsam auf den Geschädigten einzuwirken. Der Angeklagte G. trat aus dem Lauf heraus mit der Innenseite seines mit Straßenturnschuhen beschuhten linken Fußes wuchtig gegen den Kopf des Geschädigten. In schneller Abfolge folgten von diesem Angeklagten ausgeführte vier bis fünf weitere Tritte in das Gesicht des am Boden Liegenden. Der Angeklagte D. , der leichte Straßenturnschuhe trug, nahm dies wahr, billigte das Vorgehen seines Freundes G. und trat nunmehr ebenfalls zwei- bis dreimal heftig auf das sich nicht mehr wehrende Opfer ein. Die Tritte gingen jedenfalls auch gezielt auf den Kopf des Opfers. Sie waren wuchtig und potentiell lebensbedrohlich, ohne dass es allerdings zu einer konkreten Lebensgefahr kam. Schließlich ließ der Angeklagte D. von dem Geschädigten ab und lief, sich die Jacke über den Kopf ziehend, in Richtung einer nahegelegenen Tankstelle davon. Der Angeklagte G. führte noch einen Tritt aus und flüchtete dann, sich seine Jacke ebenfalls über den Kopf ziehend, unmittelbar hinter dem Angeklagten D. her. Bei der Tankstelle blieben sie gut sichtbar stehen.
4
Infolge der Gewalteinwirkung durch die Angeklagten erlitt der Geschädigte im Wesentlichen eine Fraktur des Orbitabogens links, eine Kieferhöhlenfraktur links sowie eine Nasenbeinfraktur. Er verlor insgesamt drei Zähne. Im Bereich des linken Auges bis hinunter zum Jochbogen hatte er ein sogenanntes Monokelhämatom. Der Geschädigte verbrachte einen Tag im Krankenhaus; er litt auch danach noch in erheblichen Umfang und längere Zeit an den psychischen Folgen der Tat, die auch zum Verlust seines Arbeitsplatzes führten.
5
2. Den Schuldspruch hat das Landgericht auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB gestützt. Die Angeklagten hätten jedenfalls billigend in Kauf genommen, mit ihren wuchtigen Tritten gegen den Kopf des Geschädigten er- hebliche Körperverletzungen hervorzurufen. Demgegenüber hat das Landgericht nicht sicher feststellen können, "dass der vor Beginn der Tathandlung gefasste Entschluss einen Tötungsvorsatz enthielt" oder die Angeklagten "im Verlauf der Geschehnisse einen Tötungsvorsatz fassten". Die Jugendkammer hat daher den Tatbestand des versuchten Totschlags nicht festzustellen vermocht. Dies hat das Landgericht ausführlich und im Einzelnen begründet. Dabei hat es sich davon überzeugt, dass das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei den Angeklagten gegeben war, aber unter Abwägung der festgestellten Gesamtumstände das Vorliegen des Willenselementes des bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten nicht ohne vernünftige Zweifel festzustellen vermocht.

II.

6
Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung , auf welcher die Überzeugung der Jugendkammer beruht, ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz sei nicht zweifelsfrei festzustellen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens - als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen , wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre.
8
Gleichermaßen allein Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich gewesen sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Umstandes, die einer Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widerspräche.
9
Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN).
10
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten.
11
2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Beweiswürdigung weitgehend mit eigenen Wertungen; damit kann die Revision regelmäßig nicht erfolgreich begründet werden. Im Einzelnen:
12
Das Landgericht ist bei seiner Würdigung der Feststellungen und Beweisanzeichen von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Jugendkammer habe den Indizwert der Tritte gegen den Kopf des Geschädigten und das äußere Tatgeschehen für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu gering bewertet, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Gewichtung der objektiven Tatumstände und die Bewertung ihrer Bedeutung für den subjektiven Tatbestand sind allein dem Tatrichter vorbehalten. Dies gilt auch bei Tritten des Täters gegen den Kopf des Opfers, die nicht stets und gleichsam automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründen. Auch die Einordnung und Würdigung der - ambivalenten - Beweisanzeichen einer erheblichen Alkoholisierung und eines spontanen Handelns in affektiver Erregung obliegen dem Tatrichter (BGH, aaO, juris Rn. 16). Zudem ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen , unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 mwN). Ebenso dem Tatrichter vorbehalten ist die Entscheidung, welcher Stellenwert dem Nachtatverhalten des Täters im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung beizumessen ist. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten nach der Tat, das nach den Feststellungen nicht nur von einer Flucht unter Verbergen des Gesichts, sondern auch durch ein sichtbares Verbleiben in der Nähe des Tatortes gekennzeichnet war, unter Heranziehung aller insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt. Der Senat kann mit Blick auf die Urteilsgründe ausschließen, dass die Jugendkammer bei der Bewertung der Verletzungen des Geschädigten die von ihr festgestellten Gesichtsschädelfrakturen außer Acht gelassen hat. Die Würdigung des Landgerichts, es könne trotz der Heftigkeit der Tritte nicht ausgeschlossen werden, dass die - fußballerisch erfahrenen - Angeklagten nicht mit der ihnen möglichen vollen Wucht auf den Kopf des Opfers eintraten, stellt angesichts der hierfür herangezogenen Umstände eine mögliche Schlussfolgerung dar; diese ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
13
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke
18
2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt ; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Um- stände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 473/13
vom
4. September 2014
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
1. Hat es der hierfür verantwortliche Polizeibeamte unterlassen, nach einer ohne
richterliche Entscheidung erfolgten Ingewahrsamnahme oder Festnahme, an der
er selbst nicht beteiligt war, die für die Fortdauer der Freiheitsentziehung erforderliche
unverzügliche Vorführung beim Richter vorzunehmen bzw. die für sie
gebotene richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen, ist dies geeignet
, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
2. Jedoch entfällt die Kausalität eines solchen Unterlassens jedenfalls dann, wenn
mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der
zuständige Richter bei unverzüglicher Vorführung und rechtmäßiger Entscheidung
- unter Ausschöpfung ihm zustehender Beurteilungsspielräume zugunsten
des Angeklagten - die Fortdauer der Freiheitsentziehung angeordnet hätte.
BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13 - LG Magdeburg
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Verhandlung vom
28. August 2014 und in der Sitzung am 4. September 2014, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof - in der Verhandlung
-,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof - bei der Verkündung
-
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
der Nebenkläger M. D. in Person - bei der Verkündung
-,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger B. D. und A.
D. ,
Rechtsanwältin
als Vertreterin des Nebenklägers M. D. ,
Herr S. aus Frankfurt am Main
als allgemein vereidigter Dolmetscher für die Sprache Fulla,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 13. Dezember 2012 werden verworfen.
2. Die Rechtsmittelführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ferner werden der Staatskasse die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Nachdem der Bundesgerichtshof das den Angeklagten nach 58-tägiger Hauptverhandlung vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freisprechende Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 8. Dezember 2008 mit Urteil vom 7. Januar 2010 mit den Feststellungen wegen Rechtsfehlern in der Beweiswürdigung aufgehoben hatte, verurteilte das Landgericht Magdeburg nach 67-tägiger Hauptverhandlung den Angeklagten nunmehr wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 90 €. Ferner hat es bestimmt, dass davon infolge einer dem Angeklagten nicht anzulastenden Verfahrensverzögerung 20 Tagessätze als vollstreckt gelten. Gegen das Urteil richten sich die Revisionen des Angeklagten, der Staatsanwaltschaft und dreier Nebenkläger jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte sowie die Nebenkläger beanstanden zudem das Verfahren. Keines der Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
Das Verfahren betrifft den Tod des damals knapp 22 Jahre alten, in Sierra-Leone geborenen J. in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers De. am 7. Januar 2005, in dem der damals 44jährige Angeklagte als Dienstgruppenleiter tätig war.
3
1. Hierzu hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am 7. Januar 2005 ab 8.03 Uhr teilte die Zeugin Be. , die mit weiteren Frauen im Rahmen eines sogenannten 1-Euro-Jobs Pflegearbeiten in den Verkehrs- und Grünflächen im Bereich der T. straße in De. verrichtete, der Polizeibeamtin H. telefonisch mehrfach mit, dass sie von einem "Ausländer belästigt" werden. Frau H. war damals beim Polizeirevier De. als stellvertretende Dienstgruppenleiterin und "Streifeneinsatzführerin" tätig. Die daraufhin von ihr verständigten Polizeibeamten Mä. und Sc. trafen um 8.20 Uhr vor Ort ein. Ihnen war zum Grund des Einsatzes mitgeteilt worden, dass vier weibliche Personen durch einen Ausländer massiv belästigt werden, der hinter ihnen herrenne und versuche, sie "anzutatschen". Während der Zeuge Mä. sich zunächst den anwesenden Frauen zuwandte, fragte der Zeuge Sc. den ihm nicht bekannten, in der Nähe stehenden und sich unauffällig verhaltenden J. nach seinem "Passport". Nachdem J. dessen Herausgabe verweigert hatte, forderte der Zeuge Sc. ihn auf, in das Polizeifahrzeug zu steigen; er wollte " J. erst einmal vor Ort weg und ins Revier bringen". Auch dies lehnte J. ab. Als der Polizeibeamte Sc. ihn daraufhin zu dem Polizeifahrzeug verbringen wollte, setzte sich J. dagegen durch Hin- und Herdrehen zu Wehr. Ihm wurden sodann bei fortdauernder Gegenwehr Handfesseln angelegt und er wurde vom Zeugen Mä. und dessen Kollegen in das Polizeifahrzeug und zum Polizeirevier De. verbracht. Der Grund hierfür wurde J. weder zu diesem Zeitpunkt noch später mitgeteilt; auch wurde er zu keinem Zeitpunkt belehrt oder befragt, ob jemand von seiner Ingewahrsamnahme unterrichtet werden soll. Noch im Polizeifahrzeug versuchte J. nach dem Polizeibeamten Sc. zu treten, wobei entweder durch diesen oder durch einen weiteren Tritt die Plastikverkleidung an der Kurbel der hinteren Seitenscheibe des Polizeifahrzeugs beschädigt wurde. Auch während der Fahrt zum Polizeirevier machte J. "weiterhin sich wehrende Körperbewegungen", wobei er möglicherweise mit der Nase gegen die Fahrzeugscheibe stieß und sich hierbei leicht verletzte.
5
Auf dem Polizeirevier wurde J. von den Polizeibeamten Mä. und Sc. zunächst in das im Untergeschoss im Gewahrsamsbereich gelegene sogenannte "Arztzimmer" verbracht, wo er sich "erneut renitent" verhielt und unter anderem mit seinem Kopf in Richtung Wand und Tisch schlug, woraufhin er vom Zeugen Mä. durch Wegrücken des Stuhles, auf dem er saß, und Festhalten "von erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten wurde. Bei seiner Durchsuchung wurde eine seine Personalien ausweisende, hinsichtlich einzelner Buchstaben oder Ziffern (des Geburtsjahres und der Straße seines Wohnsitzes) allerdings nicht oder nur schlecht lesbare, mit einem Lichtbild versehene "Duldung" (Aussetzung der Abschiebung) des Landkreises An. aufgefunden. Hiervon wurde der Angeklagte unterrichtet, der von der Polizeibeamtin H. auch über den Grund der Verbringung des J. in den Gewahrsam, nämlich dessen Belästigung von Passanten, seine Widerstandhandlung bei dem Versuch der Personalienfeststellung, seine unklaren Personalien und seinen alkoholisierten Zustand unterrichtet worden war. Der Angeklagte versuchte daraufhin um 8.44 Uhr vergeblich, Auskunft über J. beim Einwohnermeldeamt zu erhalten. Nachdem er auch vom Ausländeramt keine vollständigen Daten erhalten hatte, führte der Angeklagte eine INPOL-Abfrage durch, die die Personalien aus der "Duldung" im Wesentlichen bestätigte und ergab, dass J. bereits in den Jahren 2000, 2001 und 2002 unter anderem in De. und in R. jeweils durch Fertigung eines Lichtbildes sowie von Finger- und Handflächenabdrücken erkennungsdienstlich behandelt worden war. Eine erkennungsdienstliche Behandlung von J. hatte zwischenzeitlich auch der Zeuge Mä. angeordnet. Ferner verständigte der Angeklagte um 8.47 Uhr den Arzt Dr. Bl. , der J. eine Blutprobe entnehmen sollte und - trotz weiterer Gegenwehr - um 9.15 Uhr entnahm. Deren spätere Untersuchung ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille ; ferner wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Dr. Bl. bejahte auch die Gewahrsamsfähigkeit von J. .
6
Im Anschluss an die Blutentnahme wurde der etwa 170 cm große und 60 kg schwere J. von mehreren Polizeibeamten - da er auch hierzu nicht freiwillig bereit war - in die Gewahrsamszelle Nr. 5 gebracht und - nach Rücksprache mit Dr. Bl. - auf dem Rücken liegend mit vier Hand- bzw.Fußfesseln auf einer Matratze fixiert, indem an jedem Hand- bzw. Fußgelenk eine entsprechende Fessel angebracht und mit jeweils einem in den Podest, auf dem die Matratze lag, bzw. in der Wand eingelassenen Metallbügel verbunden wurde. Trotz dieser Fixierung war es J. möglich, seinen Oberkörper in eine sitzende Position aufzurichten und seine Hosentaschen mit den Händen zu erreichen.
7
In der Zelle befand sich - an der Decke - ein Rauchmelder, der bei einem Auslösen in dem im ersten Stock des Dienstgebäudes befindlichen Zimmer des Dienstgruppenleiters einen Piepton und eine blinkende Diode am Bedienele- ment der Alarmanlage einschaltete. Ferner war in der in der Wand der Zelle befindlichen Belüftungsanlage ein ebenfalls auf Rauch reagierender Alarmmelder angebracht. Auch dieser löste - allerdings später als der an der Decke angebrachte Rauchmelder - im Zimmer des Dienstgruppenleiters ein akustisches Signal aus. In der Zelle befand sich zudem eine mit dem Zimmer des Dienstgruppenleiters verbundene Wechselsprechanlage. Vor der Zelle war am Anfang und am Ende des Flures jeweils eine Kamera angebracht, deren Bilder - ohne Aufzeichnung - auf einen Monitor im Zimmer des Dienstgruppenleiters übertragen wurden. In der Zelle selbst war keine Kamera angebracht. Eine Überwachung durch einen im Zellentrakt ununterbrochen anwesenden Polizeibeamten fand nicht statt.
8
Nachdem die Zellentür und die Tür zum Flur der Zellenräume abgeschlossen worden waren, brachte der Polizeibeamte Mä. die hierfür benötigten Schlüssel sowie die Schlüssel der Fußfesseln in das Zimmer des Dienstgruppenleiters. Er informierte den Angeklagten darüber, dass J. fortdauernd renitent geblieben sei, sich selbst zu verletzen versucht habe und er deshalb in der Zelle Nr. 5 vierfach fixiert worden sei, nunmehr sei aber alles in Ordnung. Der Angeklagte trug daraufhin die Ingewahrsamnahme mit den entsprechenden Uhrzeiten sowie den Personalien von J. in das Buch über Freiheitsentziehungen ein und gab als Grund "Identitätsfeststellung § 163 StPO" an; auch die "Fixierung zur Eigensicherung" vermerkte er und versah die Eintragung mit dem Zusatz "i.O.". Er ging davon aus, dass J. zum eigenen Schutz aufgrund seines alkoholisierten Zustands sowie zur genaueren Identitätsfeststellung wegen des Vorwurfs der Sachbeschädigung (an dem Polizeifahrzeug ) und des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte ordnungsgemäß festgenommen worden war und bis etwa 14.00 Uhr in der Zelle bleiben muss. Davon, ob durch die Fixierung weitere selbstgefährdende Handlungen von J. - etwa ein Schlagen des Kopfes gegen die Zellenwand - ausgeschlossen waren, überzeugte er sich nicht. Auch einen Richter verständigte der Angeklagte von der Ingewahrsamnahme des J. nicht, da ihm die entsprechenden Vorschriften unbekannt waren und während seiner Zeit als Dienstgruppenleiter seit 1993 noch nie ein Richter über eine freiheitsentziehende Maßnahme zur Identitätsfeststellung oder nach dem damals in SachsenAnhalt geltenden Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (SOG LSA) informiert worden war. Vielmehr ging er davon aus, dass solche Ingewahrsamnahmen (ohne richterliche Anordnung) bis zu 12 Stunden andauern dürfen. Auch nach dem Tod von Ma. Bi. im Oktober 2002, der "zum Ausnüchtern" in die Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers De. verbracht und dort während der Dienstschicht des Angeklagten 16 Stunden später an den Folgen eines Schädelbruchs verstorben war, und dem hierzu gegen den Angeklagten eingeleiteten - schließlich gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellten - staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wurde der Angeklagte auf einen - im damaligen Verfahren "nicht thematisierten" - Richtervorbehalt bei Ingewahrsamnahmen nicht hingewiesen, obwohl seinen Vorgesetzten die Praxis der Beamten des Polizeireviers De. , keine richterlichen Entscheidungen zu erholen, bekannt war. Auch der vom Angeklagten gegen 11.30 Uhr von der Ingewahrsamnahme des J. unterrichtete Einsatzleiter K. wies ihn nicht darauf hin, dass er hiervon einen Richter informieren müsse. Dem Angeklagten hätte jedoch bewusst sein müssen, dass es einer ständigen optischen Überwachung des stark alkoholisierten J. , der zuvor schon versucht hatte, sich selbst zu verletzen, bedurft hätte, um diesen von weiteren Selbstgefährdungen abzuhalten, und allein die akustische Überwachung und die Überwachung zu bestimmten Kontrollzeiten nicht geeignet waren, eine Gesundheitsbeeinträchtigung oder -verschlechterung bei ihm zu verhindern. Einer Überwachung der Zelle durch einen im Zellentrakt ständig anwesenden Beam- ten stand indes zumindest aus Sicht des Angeklagten die geringe Personalstärke an jenem Tag entgegen; seinen Vorgesetzten teilte er das Problem oder entsprechende Bedenken aber nicht mit. Vielmehr sollten - wie bei Ma. Bi. - neben den in Betrieb befindlichen Alarmmeldern lediglich regelmäßige , bei J. in halbstündlichem Abstand erfolgende Zellenkontrollen sowie die akustische Überwachung über die Wechselsprechanlage stattfinden.
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Um 10.03, 10.37 und 11.05 Uhr wurde J. in seiner Zelle von einem bzw. mehreren Polizeibeamten auch kontrolliert; eine weitere, vom Angeklagten für 9.30 Uhr eingetragene Kontrolle war - wie er wusste - nicht erfolgt. Ferner betrat möglicherweise gegen 11.30 Uhr der Polizeibeamte Mä. die Gewahrsamszelle , um nach seinem Feuerzeug zu suchen, das er dort jedoch nicht auffand. Um 11.45 Uhr begab sich die Polizeibeamtin H. mit einem Kollegen zur Zelle des J. , da dieser schon einige Zeit lang durch lautes Schimpfen und Rufen über die Wechselsprechanlage zu hören war und verlangt hatte, dass ihm die Fesseln gelöst werden. J. bat auch die Beamtin , seine Fesseln zu lösen, und fragte, warum er sich in der Zelle befinde, was die Zeugin damit beantwortete, er wisse schon, warum er dort sei.
10
Nachdem J. auch bei dieser Kontrolle der Grund seines Gewahrsams nicht genannt worden war und er den Eindruck hatte, dass er mit einer alsbaldigen Lösung der Fixierung nicht rechnen konnte, kam er auf die Idee, in der Zelle ein Feuer anzuzünden, wobei er davon ausging, dass Polizeibeamte alsbald auf das Feuer aufmerksam und ihn aus der Zelle herausholen werden. Mit einem Feuerzeug, das er entweder bei sich hatte, weil es bei seiner Durchsuchung übersehen worden war, oder das der Polizeibeamte Mä. in der Zelle verloren hatte, gelang es J. , die schwer entflammbare Polyesterummantelung der etwa neun Zentimeter dicken Matratze durch Erhitzen mit dem in der rechten Hand gehaltenen Feuerzeug aufzuweichen und aufzureißen und die aus Polyurethan bestehende Füllung der Matratze auf einer Länge von bis zu 50 cm und einer Breite von maximal 30 cm freizulegen. Anschließend setzte er kurz vor 12.05 Uhr das Füllmaterial der Matratze in Brand, wobei bis zu dessen selbständigem Brennen weder Rauch noch Ruß entstand, der ausreichte , um einen der Rauchmelder auszulösen. Entweder um dem sich ausbreitenden Feuer auszuweichen oder bei dem Versuch, das Feuer auszublasen , geriet J. bei leicht erhobenem Oberkörper mit der Nase über oder in die heißen Gase der Flamme oder in die Flamme selbst und atmete Luft mit einer Temperatur von 180ºC oder mehr ein. Hierbei erlitt er einen inhalativen Hitzeschock, der zu seinem sofortigen Tod führte. Ob J. zuvor Hilfeoder Schmerzensschreie ausgestoßen hatte, vermochte das Schwurgericht nicht festzustellen.
11
Am Arbeitsplatz des Angeklagten waren über die Wechselsprechanlage zu Beginn des Brandgeschehens von dem Feuer verursachte Geräusche zu hören, die dort wie Plätschern zu vernehmen waren. Auf diese Geräusche machte die Zeugin H. den Angeklagten aufmerksam, der sie aber ebenfalls nicht einordnen konnte. Kurz darauf wurde von dem in der Decke der Zelle angebrachten Rauchmelder Alarm ausgelöst und im Zimmer des Dienstgruppenleiters mit einem lauten Piepen und einer blinkenden Diode angezeigt. Daraufhin schaltete der Angeklagte den Alarm ab, da er ihn für einen im Jahr 2004 schon mehrmals ausgelösten Fehlalarm hielt. Auch das etwa zehn Sekunden später erneut einsetzende Alarmsignal wurde entweder vom Angeklagten oder von der Zeugin H. abgeschaltet. Der Angeklagte - der bis dahin J. nicht zu Gesicht bekommen hatte - verließ sodann das Zimmer in Richtung Gewahrsamsbereich. Da er nicht alle Schlüssel mitgenommen hatte, musste er jedoch umkehren und diese holen, wobei er entweder zuvor oder auf dem Weg zum Zellentrakt den Einsatzleiter K. von dem Alarm verständigte. Nachdem der Angeklagte sodann mit einem auf dem Weg in den Gewahrsamsbereich hinzugebetenen Kollegen die Türen zum Zellentrakt und zur Zelle Nr. 5 geöffnet hatte und ihm dort "eine große Menge verrußter Luft" entgegengekommen war, lief der Angeklagte auf den Parkplatz des Polizeireviers, während sein Kollege vergeblich versuchte, das Feuer in der Zelle zu löschen. Dies gelang letztlich erst der um 12.20 Uhr eingetroffenen Feuerwehr.
12
2. Das Landgericht ist nach umfangreicher Beweisaufnahme von einer Brandlegung durch J. selbst überzeugt. Misshandlungen von J. durch den Angeklagten oder andere Polizeibeamte vermochte die Kammer auch hinsichtlich eines bei der zweiten Obduktion entdeckten Nasenbeinbruchs des J. nicht festzustellen. Andere Brandursachen - insbesondere einen technischen Defekt oder eine Brandlegung durch Polizeibeamte oder Dritte - schloss das Schwurgericht aus. Zugunsten des Angeklagten ging es davon aus, dass J. schon im Zeitpunkt des im Zimmer des Dienstgruppenleiters über die Wechselsprechanlage zu hörenden Plätscherns verstorben war und er deshalb auch bei einem sofortigen Hinuntereilen des Angeklagten nach dem Wahrnehmen dieses Plätscherns oder des ersten Alarmsignals nicht mehr hätte gerettet werden können.
13
Die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung stützt das Schwurgericht auf der Grundlage der diesem bekannten, damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung darauf, dass er trotz des Wissens um die Selbstverletzungsversuche des J. und um die Einschränkung seiner Willensbestimmung dessen Gewahrsam ohne ständige optische Überwachung und - falls ihm dies wegen der knappen Personallage nicht möglich gewesen sei - ohne Remonstration bei seinen Vorgesetzten zugelassen habe. Zwar habe der An- geklagte - insbesondere aufgrund der Mitteilungen des Zeugen Mä. - davon ausgehen dürfen, dass die Ingewahrsamnahme des J. rechtmäßig gewesen sei, da gegen diesen der Verdacht einer Straftat bestanden habe, seine Personalien noch nicht abschließend geklärt gewesen seien und die Gefahr einer Selbstschädigung bestanden habe. Auch sei die Fixierung des J. rechtmäßig gewesen. Nach der Überzeugung des Schwurgerichts hätte dem Angeklagten aber zumindest aufgrund seiner Erfahrungen in Zusammenhang mit dem Tod von Ma. Bi. sowie der erkennbar starken Alkoholisierung des J. und seiner Versuche, sich zu verletzen, bewusst sein können und müssen, dass eine Zellenkontrolle im halbstündlichen Abstand nicht ausreichend gewesen sei, um bei Fortsetzung des selbstschädigenden Verhaltens oder einer Gesundheitsgefahr aus anderen Gründen rechtzeitig eingreifen zu können. Der Tod von J. sei für den Angeklagten vorhersehbar gewesen. Der Angeklagte hätte ihn auch vermeiden können, zumal Ziffer 5.2 der damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung geregelt habe, dass - sollte während der Unterbringungszeit ausreichend Personal für den Gewahrsamsdienst nicht zur Verfügung stehen - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen habe. Für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts fehle es dagegen am Vorsatz. Eine Verurteilung wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge, die nach Ansicht des Schwurgerichts wegen der Missachtung des Richtervorbehalts nach der Ingewahrsamnahme des J. in Betracht gekommen wäre, scheide aus, weil der Angeklagte insofern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.

II.


14
Die vom Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
15
1. Die Rüge, das Schwurgericht habe den Sachverhalt "nicht umfassend genug aufgeklärt", weil es den Angeklagten hinsichtlich der - im Urteil bejahten - Pflicht zur Remonstration nicht zum Inhalt seines Gesprächs mit dem Zeugen K. befragt habe, ist bereits unzulässig. Denn die Revision teilt das Beweisergebnis , also die zu erwartenden Angaben des Angeklagten hierzu, nicht mit (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 81 mwN).
16
Eine Rüge, das Gericht hätte den Angeklagten darauf hinweisen müssen , dass es die Verletzung der Pflicht zur Remonstration zur Begründung des Fahrlässigkeitsvorwurfs heranziehen könnte, ist nicht erhoben. Die Beanstandung wurde vom Verteidiger des Angeklagten in der Revisionsbegründungsschrift vielmehr (mehrfach) ausdrücklich als Aufklärungsrüge bezeichnet. Der dortige Vortrag zu dem gerichtlichen Hinweis diente ersichtlich allein dazu, deutlich zu machen, dass für den Angeklagten und seine Verteidiger in der Hauptverhandlung kein Anlass bestand, sich zu diesem Punkt zu äußern bzw. hierauf die Befragung des Angeklagten auszuweiten. Dem Senat ist es daher verwehrt, sich in diesem Zusammenhang mit einer Verletzung des § 265 StPO zu befassen. Denn Voraussetzung und Grundlage einer zulässigen Verfahrensrüge ist die präzise Bezeichnung der Handlung oder Unterlassung des Gerichts, gegen die der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR 449/05, StV 2006, 57, 58 mwN). Allein die sich hieraus ergebende Angriffsrichtung bestimmt den Prüfungsumfang seitens des Revisionsgerichts, da es einem Revisionsführer wegen seiner Dispositionsbefugnis freisteht, ein Prozessgeschehen nur unter einem bestimmten Gesichtspunkt zu rügen, einen etwa zusätzlich begangenen Verfahrensverstoß aber hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2013 - 5 StR 318/13, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Zulässigkeit 1 mwN).
17
2. Soweit der Angeklagte geltend macht, das Schwurgericht "hätte den Fall Bi. weiter ausermitteln müssen", ist die Verfahrensrüge unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da schon nicht mitgeteilt wird, welcher Beweismittel es sich hierbei hätte bedienen sollen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO).
18
3. Auch die zur Vorhersehbarkeit des Taterfolgs für den Angeklagten erhobene Aufklärungsrüge hat keinen Erfolg. Soweit die Revisionsbegründung insofern konkrete Beweismittel benennt, wurden die Beweise vom Schwurgericht erhoben.
19
4. Die Rüge, das Schwurgericht habe gegen § 265 Abs. 1 StPO verstoßen , weil es den Angeklagten nicht darauf hingewiesen habe, "dass er wegen seiner Erfahrungen aus dem Fall Bi. und aus einer vermeintlichen allgemeinen Lebenserfahrung hätte erkennen müssen, dass eine stetige visuelle Beobachtung geboten war und deshalb eine Verurteilung wegen Fahrlässigkeit in Betracht gezogen werde", ist aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 12. Dezember 2013 aufgeführten Erwägungen jedenfalls unbegründet.

III.


20
Die Verfahrensrüge des Nebenklägers M. D. , mit der er geltend macht, dass an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 für ihn kein Dolmetscher zugezogen worden sei, greift nicht durch. Auch die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben keinen Erfolg.
21
1. a) Der Rüge des Nebenklägers M. D. liegt im Wesentlichen folgender Verfahrensgang zugrunde:
22
Am 14. Januar 2011 war für den Nebenkläger M. D. bei Sitzungsbeginn zwar eine Dolmetscherin für die französische Sprache anwesend ; diese wurde aber nach kurzer Zeit entlassen, weil der Nebenkläger M. D. nicht französisch, sondern nur Fulla spricht. Lediglich am Nachmittag wurde für die Abgabe einer Erklärung des Nebenklägers ein Dolmetscher für Fulla zugezogen. Die Hauptverhandlung im Übrigen, unter anderem die Vernehmung zweier Zeugen, wurde an diesem Tag ohne Dolmetscher für den Nebenkläger durchgeführt. Auch am 6. Dezember 2011 wurden mehrere Zeugen vernommen, Urkunden verlesen und ein Augenschein eingenommen , ohne dass für den Nebenkläger ein Dolmetscher tätig war.
23
b) Die Rüge hat keinen Erfolg.
24
aa) Der Nebenkläger gehört nicht zu den Personen, deren Anwesenheit in der Hauptverhandlung das Gesetz vorschreibt (BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO, § 338 Rn. 42). Seine Abwesenheit in der Hauptverhandlung führt daher nicht zum Vorliegen des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO, vielmehr kann er sie lediglich nach § 337 StPO rügen (BGH aaO; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259; Meyer-Goßner/ Schmitt, aaO). Nichts anderes gilt in Fällen, in denen der Nebenkläger zwar anwesend ist, ihm aber kein Dolmetscher zur Seite steht. Zwar ist nach § 185 GVG von Amts wegen ein Dolmetscher zuzuziehen, wenn in der Hauptverhandlung ein Beteiligter - ein solcher ist auch der Nebenkläger - der deutschen Sprache nicht mächtig ist (BGH, Beschluss vom 22. November 2002 - 1 StR 298/02, BGHR GVG § 185 Zuziehung 3). Da die Abwesenheit eines notwendigen Dolmetschers aber für den Nebenkläger zur Folge hat, dass er der Hauptverhandlung nicht folgen und er dort seine Rechte nicht wahrnehmen, sie also nicht beeinflussen kann, kann er bei Vorliegen einer solchen Gesetzesverletzung - revisionsrechtlich - nicht besser gestellt sein, als wenn er gar nicht anwesend war. Wie seine eigene Abwesenheit kann er deshalb auch die Abwesenheit des für ihn notwendigen Dolmetschers lediglich als relativen Revisionsgrund geltend machen.
25
bb) Die hierfür erforderliche Verfahrensrüge ist jedoch nicht zulässig erhoben.
26
(1) Zwar braucht sich die Revisionsbegründung mit der Frage des Beruhens grundsätzlich nicht zu befassen (vgl. dazu indes BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 StR 48/81, BGHSt 30, 131, 135). Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es aber erforderlich, dass die Revisionsbegründung den zur Beurteilung der Zulässigkeit erforderlichen Sachverhalt eigenständig und vollständig vorträgt. Hierfür muss sie im Fall einer Nebenklägerrevision auch - soweit sich dies nicht schon aus dem Antrag ergibt oder von selbst versteht - darlegen, dass sie mit der Verfahrensrüge ein nach § 400 StPO zulässiges Ziel verfolgt. Beanstandet der Nebenkläger daher, dass er an der Hauptverhandlung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht oder nur eingeschränkt teilnehmen konnte, muss er vortragen, dass er - läge die Gesetzesverletzung nicht vor - Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können, die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1996 - 5 StR 199/96, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Prüfungsumfang 2; Beschluss vom 13. Januar 1999 - 2 StR 586/98, NStZ 1999, 259).
27
(2) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen genügt der Vortrag der Revision, die ohne weitere Konkretisierung lediglich behauptet, dass der Nebenkläger "Anträge oder Erklärungen abgegeben hätte, die das Urteil hätten beeinflussen können", jedenfalls angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht. Denn es ist nichts dafür ersichtlich, dass der bei dem Tatgeschehen nicht anwesende Nebenkläger, dessen anwaltlicher Beistand auch an den in Frage stehenden Hauptverhandlungstagen ununterbrochen anwesend war, ohne die Abwesenheit des Dolmetschers zu beanstanden, an diesen beiden Tagen Tatsachen hätte vorbringen oder Beweismittel hätte benennen können , die für den Schuldspruch wegen eines Nebenklagedelikts wesentliche Bedeutung haben konnten, zumal an mehreren weiteren Hauptverhandlungstagen für ihn Dolmetscher tätig waren und ihm auf Anregung seiner Rechtsanwältin auch am Nachmittag des 14. Januar 2011 für die Abgabe einer Erklärung ein Dolmetscher zur Seite gestellt wurde. Dass der Nebenkläger M. D. in seinen Rechten dadurch betroffen wurde, dass er bei anderer Gelegenheit keine (sachdienlichen) Erklärungen abgeben, Tatsachen vorbringen oder Beweisanträge stellen konnte, weil er der an den beiden Verhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme bzw. Hauptverhandlung im Übrigen ohne einen Dolmetscher nicht folgen konnte, hat die Revision nicht behauptet und nicht geltend gemacht.
28
(3) Im Übrigen versäumt es die Revision vorzutragen, dass die Vertreterin des Nebenklägers M. D. selbst mit Schriftsatz vom 15. November 2011 mitgeteilt hat, dass ihr Mandant in der Hauptverhandlung einen Dolmetscher für die französische Sprache benötige. Auch dies hat die Unzulässigkeit der Verfahrensrüge zur Folge (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 mwN).
29
2. Die Verfahrensrügen der Nebenkläger B. und A. D. haben bereits aus diesen Gründen keinen Erfolg, soweit sie ebenfalls beanstanden , dass für den Nebenkläger M. D. an den Hauptverhandlungstagen vom 14. Januar und 6. Dezember 2011 kein Dolmetscher für Fulla zugezogen worden war; denn auch ihr Revisionsvortrag geht nicht weiter als der des Nebenklägers M. D. . Soweit sie ferner geltend machen, auch sie seien der deutschen Sprache nicht mächtig, trägt die Revision selbst vor, dass diese Nebenkläger an keinem der Hauptverhandlungstage zugegen waren. Auf einer Gesetzesverletzung zu ihrem Nachteil durch die Abwesenheit eines Dolmetschers kann das Urteil daher nicht beruhen.

IV.


30
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen Sachrüge hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
31
1. Der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung hält der Überprüfung stand. Insbesondere ist das Schwurgericht rechtsfehlerfrei von einer Pflichtverletzung des Angeklagten ausgegangen, dem es aufgrund des Zustandes und des Verhaltens von J. oblag, dessen ständige (auch) optische Überwachung in der Zelle zu veranlassen, um hierdurch der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. zu begegnen.
32
a) Fahrlässig handelt, wer eine objektive Pflichtwidrigkeit begeht, sofern er diese nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte , und die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteile vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 58).
33
b) Diese Voraussetzungen hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht.
34
aa) Insbesondere ist das Landgericht aufgrund einer aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Würdigung von einem pflichtwidrigen Verhalten des Angeklagten ausgegangen.
35
Pflichtwidrig handelt, wer objektiv gegen eine Sorgfaltspflicht verstößt, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts dient. Dabei bestimmen sich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urteil vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6 mwN). Nicht entscheidend ist dagegen, ob die Pflichtwidrigkeit durch ein aktives Tun begangen wurde oder in einem Unterlassen begründet ist (BGH, Urteile vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, aaO; vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, jeweils mwN).
36
Die Pflichten eines im Jahr 2005 in De. für denGewahrsamsvollzug verantwortlichen Polizeibeamten ergeben sich insbesondere aus der Polizeigewahrsamsordnung (in der damals geltenden Fassung vom 27. März 1995, MBl. LSA Nr. 34/1995 S. 1211 ff.; im Folgenden abgekürzt als PGO). Diese forderte schon in Nummer 3.1. Satz 2, dass der Gewahrsamsvollzug so auszugestalten ist, dass "die Gefahr gesundheitlicher Schäden" für die verwahrte Person vermieden wird. Hierzu regelte Nummer 5.2. Sätze 5 und 6 PGO, dass für die Unterbringungszeit ausreichend Personal - insbesondere für den Gewahr- samsdienst (dazu Nummer 7. PGO) - zur Verfügung stehen muss oder - soweit diese Voraussetzung nicht erfüllt ist - die Unterbringung im Wege der Amtshilfe in einer Justizvollzugsanstalt zu erfolgen hat. Zudem bestimmte Nummer 31.3. PGO, dass betrunkene Personen im Abstand von "höchstens" 30 Minuten zu kontrollieren sind, soweit seitens des untersuchenden Arztes keine besonderen Hinweise ergangen sind.
37
Daran gemessen begegnet es keinen Bedenken, dass das Schwurgericht bei der gebotenen objektiven Betrachtung ex ante einen Sorgfaltsverstoß des Angeklagten bejaht hat, weil er nicht für eine ständige auch optische Überwachung des J. gesorgt hat. Denn der Angeklagte war - wie erwusste - trotz der Einschaltung eines Arztes zur Prüfung der Gewahrsamsfähigkeit des J. gemäß Nummer 2.1. Satz 4 PGO selbst für den ordnungsgemäßen Vollzug der Polizeigewahrsamsordnung verantwortlich. Ihm oblag es daher auch, durch geeignete Maßnahmen der Gefahr eines gesundheitlichen Schadens für J. entgegenzuwirken. Eine solche - erforderliche und geeignete - Maßnahme hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei in der ständigen optischen Überwachung des J. gesehen. Denn dieser war nicht nur stark alkoholisiert, so dass schon nach Nummer 31.3. PGO eine Kontrolle in "höchstens" halbstündlichem Abstand zu erfolgen hatte. Vielmehr war er - wie der Angeklagte wusste - an allen Gliedmaßen fixiert und daher allenfalls eingeschränkt in der Lage, den aufgrund seines (alkoholisierten) Zustandes bestehenden Gesundheitsgefahren zu begegnen. Hinzu kam, dass dem Angeklagten auch das zuvor von J. gezeigte aggressive, insbesondere sein selbstverletzendes Verhalten bekannt war (unter anderem mit Stößen des Kopfes in Richtung Wand und Tisch, wobei er erst durch das Eingreifen eines Polizeibeamten von "erheblichen Selbstverletzungen" abgehalten werden konnte). Vor diesem Hintergrund ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht - auch angesichts der Erfahrungen des Angeklagten im "Fall Bi. " - das Unterlassen der Anordnung einer ständigen optischen Überwachung des J. durch den Angeklagten als eine den Fahrlässigkeitsvorwurf gegen diesen begründende Pflichtverletzung gewertet hat.
38
bb) Da die genannten Regelungen in den Nummern 3.1., 5.2. und 31.3. der Polizeigewahrsamsordnung zumindest auch zum Schutz von Leben und Gesundheit der verwahrten Person bestimmt waren, hat der Angeklagte mit deren Missachtung gegen eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verstoßen, die gerade dem Schutz des beeinträchtigten Rechtsguts gedient hat.
39
cc) Auch konnte der Angeklagte, der eingeräumt hat, die Polizeigewahrsamsordnung und deren hier einschlägige Regelungen gekannt zu haben, nach den Feststellungen des Landgerichts die Pflichtverletzung nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten insbesondere dadurch vermeiden, dass er die dauerhafte optische Überwachung von J. von einem der im "üblichen Streifeneinsatzdienst" befindlichen Polizeibeamten als einem im Zellenbereich ununterbrochen anwesenden Gewahrsamsbeamten vornehmen lässt oder er die Verbringung des J. in eine Justizvollzugsanstalt veranlasst.
40
dd) Das Schwurgericht ist ferner ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg herbeigeführt hat.
41
Die Vorhersehbarkeit erfordert nicht, dass der Angeklagte die Folgen seines Nicht-Handelns in allen Einzelheiten voraussehen konnte; vielmehr genügt , dass sie in ihrem Gewicht im Wesentlichen voraussehbar waren (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 174; Beschluss vom 10. Mai 2001 - 3 StR 45/01; Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 59). Tritt der Erfolg durch das Zusammenwirken mehrerer Umstände ein, müssen dem Täter alle - jedoch ebenfalls nicht in allen Einzelheiten - erkennbar sein (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, BGHR StGB § 222 Vorhersehbarkeit 1 mwN).
42
Dies war hier nach den Feststellungen und rechtsfehlerfreien Wertungen des Schwurgerichts der Fall. Dass der betrunkene J. , der bereitszuvor versucht hatte, sich selbst zu verletzten, dieses Verhalten fortsetzen und für sich gefährliche Handlungen vornehmen wird, lag unter den gegebenen Umständen - auch angesichts seiner fortwährenden Beschwerden über die Fortdauer des Gewahrsams und der Fesselung - nach dem Maßstab des gewöhnlichen Erfahrungsbereiches eines Polizeibeamten nicht fern und war daher objektiv und subjektiv für den Angeklagten als erfahrenem Polizeibeamten vorhersehbar (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Zwar kann insbesondere eine gänzlich vernunftswidrige Handlungsweise eines Getöteten die Vorhersehbarkeit des Erfolgs entfallen lassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. Oktober 1952 - 3 StR 389/52, BGHSt 3, 218, 220; vom 23. April 1953 - 3 StR 894/52, BGHSt 4, 182, 187; vom 10. Juli 1958 - 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 78). Jedoch musste der Angeklagte zum einen, wie die Selbstverletzungsversuche belegen, mit irrationalen Handlungen des J. gerade rechnen. Zum anderen entfällt in solchen Fällen die Vorhersehbarkeit nur, wenn der Getötete zu einer freien Entscheidung fähig war, er mithin insbesondere - anders als hier - nicht stark betrunken war (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Eine die Vorhersehbarkeit möglicherweise beseitigende eigenverantwortliche Selbsttötung liegt nicht vor, weil es nach den Feststellungen des Landgerichts an einer ernst gemeinten und freiverantwortlichen Entscheidung des Opfers, sich zu töten, gefehlt hat (vgl. dazu auch nachfolgend ee) (2) sowie BGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - 2 StR 295/11, NStZ 2012, 319, 320).
43
ee) Die Kausalität des Nicht-Handelns des Angeklagten für den Eintritt des Erfolges hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei ebenfalls nicht in Frage gestellt. Auch die insbesondere von Teilen des Schrifttums geforderte Zurechenbarkeit des Todes ist zu bejahen.
44
(1) Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB erfordert , dass das tatbestandsrelevante Verhalten des Angeklagten den Erfolg verursacht hat, also der Erfolg auf der Fahrlässigkeit beruht (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN).
45
Die danach gebotene Prüfung, ob eine ständige auch optische Überwachung von J. dessen Tod verhindert hätte, hat das Schwurgerichtvorgenommen und rechtsfehlerfrei bejaht. Dies begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Denn schon der zwischen dem Ansengen des Matratzenbezugs und dem Inbrandsetzen der Füllung vergangene Zeitraum sowie die festgestellten Tätigkeiten des J. , die er bis zum Inbrandsetzen vorgenommen hat, belegen hinreichend den Schluss des Landgerichts, dass bei einer ständigen optischen Überwachung der Tod von J. verhindert worden wäre.
46
(2) In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO, mwN). Ein Ursachenzusammenhang ist jedoch dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGH, Urteil vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, aaO). Dies kann der Fall sein, wenn eine Selbstgefährdung oder ein selbstschädigendes Verhalten vorliegt (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60). Auch macht sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, sofern er nicht kraft überlegenen Sachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Tötende oder Verletzende, grundsätzlich nicht strafbar, wer das zu einer Selbsttötung oder Selbstverletzung führende eigenverantwortliche Handeln des Selbstschädigers vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst, ermöglicht oder fördert (BGH, Urteil vom 20. November 2008 - 4 StR 328/08, BGHSt 53, 55, 60 mwN). Straffrei ist ein solches Handeln regelmäßig auch dann, wenn es nicht auf die Selbsttötung oder -verletzung gerichtet war, sich aber ein entsprechendes, vom Opfer bewusst eingegangenes Risiko realisiert hat (BGH aaO).
47
Es kann dahinstehen, ob und inwiefern diese Grundsätze eine Ausnahme erfahren, wenn der sich selbst Gefährdende oder Tötende hoheitlich verwahrt wird. Denn nach den Feststellungen des Schwurgerichts wollte J. sich gerade nicht selbst verletzen oder töten, sondern wollte mittels der Brandlegung das Lösen der Fixierung und seine Freilassung ohne eigene Schädigung erreichen (vgl. auch BGH, Urteile vom 4. Dezember 2007 - 5 StR 324/07, StV 2008, 182, 184; vom 29. April 2010 - 5 StR 18/10, BGHSt 55, 121, 137 mwN). Auch dass J. bei der Brandlegung bewusst das Risiko einer Selbstverletzung oder -tötung eingegangen ist, hat das Landgericht nicht festgestellt; es ist vielmehr davon ausgegangen, dass dieser darauf vertraut hat, dass die Polizeibeamten "alsbald" auf das Feuer aufmerksam werden und ihn (rechtzeitig) aus der Zelle holen.
48
2. Der Strafausspruch weist ebenfalls keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
49
Insbesondere ist bei Verhängung einer Geldstrafe diese bei einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht um einen bezifferten Abschlag zu ermäßigen, sondern - wie dies das Schwurgericht getan hat - die schuldangemessene Geldstrafe in der Urteilsformel auszusprechen und zugleich festzusetzen , dass ein bezifferter Teil der zugemessenen Tagessätze als bereits vollstreckt gilt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124).
50
Auch dass das Landgericht die Anwendung von § 13 Abs. 2 StGB nicht erörtert hat, stellt angesichts der Tatumstände und des Fahrlässigkeitsdelikten ohnehin immanenten Unterlassens der gebotenen Sorgfalt keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar.

V.


51
Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben mit der Sachrüge ebenfalls keinen Erfolg. Die Verurteilung des Angeklagten lediglich wegen fahrlässiger Tötung weist keinen ihn begünstigenden Rechtsfehler auf.
52
1. Insbesondere begegnet es im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
53
a) Der Senat folgt allerdings nicht der Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte könne bereits deshalb nicht wegen Freiheitsberaubung mit Todesfolge bestraft werden, weil er hinsichtlich des Richtervorbehalts bei der Gewahrsamsanordnung bzw. deren Aufrechterhaltung einem unvermeidbaren Verbotsirrtum erlegen sei.
54
Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebensund Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 18. März 1952 - GSSt 2/51, BGHSt 2, 194; Urteil vom 7. März 1996 - 4 StR 742/95, NJW 1996, 1604, 1606; vgl. auch Fischer, StGB, 61. Aufl., § 17 Rn. 7 ff. mwN). Bei einem erfahrenen Polizeibeamten wie dem Angeklagten, der mit dem Vollzug von grundrechtsbeschränkenden Gesetzen betraut ist, liegt dies hinsichtlich der sich bereits aus dem Gesetz unzweifelhaft ergebenden Voraussetzungen gängiger Befugnisse zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie einer Freiheitsentziehung derart fern, dass schon die - allenfalls bei einem hier ersichtlich nicht gegebenen Vorliegen gänzlich außergewöhnlicher Umstände in Betracht kommende - Prüfung der Unvermeidbarkeit eines Verbotsirrtums nicht geboten war.
55
b) Jedoch begegnet es aus einem anderen Grund keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Schwurgericht den Angeklagten nicht der Freiheitsberaubung mit Todesfolge schuldig gesprochen hat.
56
aa) Das Landgericht ist im Ergebnis rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Vorwurf der Freiheitsberaubung nicht allein darauf gestützt werden kann, dass J. nach seiner Verbringung in die Gewahrsamszelle fixiert worden war. Denn diese Fesselung war zulässig. Rechtsgrundlage für sie war § 64 Nr. 3 SOG LSA (Schutz vor Selbstschädigung), dessen Voraussetzungen auf der Grundlage des vorangegangenen Verhaltens von J. und der entsprechenden - indes den Angeklagten nicht bindenden (vgl. Nummer 11.1. Satz 2 PGO) - Empfehlung des seine Gewahrsamsfähigkeit bestätigenden Arztes gegeben waren (zur Fortdauer der Fixierung: unten dd) (3) (c) (aa)).
57
Ebenso wenig kann die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung dem Angeklagten allein deshalb angelastet werden, weil J. der Grund seiner Ingewahrsamnahme nicht mitgeteilt und er nicht belehrt wurde (vgl. dazu u.a. §§ 136, 137, 163c Abs. 1 Satz 3 StPO; § 39 SOG LSA; Nummer 15. PGO; Art. 36 Abs. 1 WÜK). Zwar erfolgte die Ingewahrsamnahme nicht mit dem Einverständnis von J. , jedoch hatte der Angeklagte, der weder die Festnahme vorgenommen hat, noch unmittelbar mit der Vernehmung von J. befasst war, nach den Feststellungen der Strafkammer keine Kenntnis davon, dass dieser weder vom Grund seiner Festnahme informiert, noch über seine Rechte belehrt worden war. Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit des entsprechenden Ablaufs der Ingewahrsamnahme hätte haben müssen oder er sich aus sonstigen Gründen hiervon hätte überzeugen müssen, liegen nicht vor, zumal es sich um eine gängige polizeiliche Maßnahme ohne besondere rechtliche oder tatsächliche Problematik handelte.
58
bb) Ferner nimmt das Schwurgericht rechtsfehlerfrei an, dass dem Angeklagten hinsichtlich der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Fortdauer der Freiheitsentziehung des J. kein aktives Tun, sondern ein Unterlassen zur Last zu legen wäre.
59
Die Rechtsprechung fasst die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen als Wertungsfrage auf, die nicht nach rein äußeren oder formalen Kriterien zu entscheiden ist, sondern eine wertende (normative) Betrachtung unter Berücksichtigung des sozialen Handlungssinns verlangt. Maßgeblich ist insofern, wo der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt (vgl. BGH, Urteil vom 14. März 2003 - 2 StR 239/02, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Tun 3; Beschluss vom 1. Februar 2005 - 1 StR 422/04, BGHR StGB § 222 Pflichtverletzung 6; Urteile vom 7. September 2011 - 2 StR 600/10, NJW 2011, 3528, 3529; vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277, 286 mwN).
60
Daran gemessen ist nicht zu beanstanden, dass das Schwurgericht hinsichtlich des hier maßgeblichen Zeitraums ab etwa 9.30 Uhr von einem Unterlassen ausgegangen ist. Denn der Schwerpunkt des insofern strafrechtlich möglicherweise relevanten Verhaltens des Angeklagten lag ab diesem Zeitpunkt im Aufrechterhalten des Gewahrsams von J. ohne Einschalten eines Richters, also in einem passiven Verhalten, nicht aber in einem aktiven Tun (vgl. RG, Urteil vom 20. Oktober 1893 - Rep. 2727/93, RGSt 24, 339, 340). Hinsichtlich des davor liegenden Zeitraums kann dahinstehen, ob insofern ein aktives Tun des Angeklagten (insbesondere mit der in dem Eintrag in das Buch über Freiheitsentziehungen liegenden Entscheidung ["i.O."]) oder ein Unterlassen vorliegt. Denn ein aktives Tun hätte ebenso wie ein Unterlassen nicht zu einer rechtswidrigen Freiheitsberaubung geführt, da auch in diesem Zeitraum, in dem die Einholung einer richterlichen Entscheidung noch nicht unerlässlich war, ein Gewahrsamsgrund vorlag (vgl. dazu im Einzelnen die nachfolgenden Ausführungen).
61
cc) Der Angeklagte war jedenfalls insofern auch Garant für den Schutz des J. vor rechtswidriger Freiheitsentziehung, als deren Rechtmäßig- keit von Handlungen oder Unterlassungen abhing, die ihm oblagen oder für die er die Verantwortung trug.
62
Denn als Dienstgruppenleiter trug er an diesem Tag die Verantwortung dafür, dass die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung nicht überschritten wird (Nummer 33.2. PGO) und der Gewahrsam "ordnungsgemäß" vollzogen wird (Nummer 2.1. Satz 4 PGO). Dementsprechend oblag es dem Angeklagten auch, dafür Sorge zu tragen, dass in den ihm bekannten Gewahrsamsfällen die der Polizei zugeordneten Voraussetzungen der gesetzesgemäßen Fortdauer einer Ingewahrsamnahme gewahrt und erfüllt werden bzw. bleiben. Deshalb hat er es zu Recht als seine Aufgabe angesehen, "das Dienstgeschehen zu überwachen" und dies auch auf den Gewahrsam von J. bezogen, für den er als Dienstgruppenleiter verantwortlich gewesen ist.
63
dd) Als sogenanntem "Beschützergaranten" (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 82 ff., 91 f. mwN) oblag dem Angeklagten eine Erfolgsabwendungspflicht, hier mithin die Pflicht, die unverzügliche Vorführung von J. beim zuständigen Richter zu veranlassen bzw. unverzüglich dessen Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams herbeizuführen.
64
(1) Der Inhalt und der Umfang der Garantenpflicht bestimmen sich aus dem konkreten Pflichtenkreis, den der Verantwortliche übernommen hat (BGH, Urteil vom 17. Juli 2009 - 5 StR 394/08, BGHSt 54, 44, 49).
65
(2) Dieser Pflichtenkreis umfasste beim Angeklagten - wie sich aus obigen Ausführungen zu seiner Garantenstellung ergibt - die Wahrung der der Polizei zugeordneten Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung von J. .
66
Dabei bedarf es - wie ausgeführt - schon wegen der fehlenden Kenntnis und des damit fehlenden Vorsatzes hinsichtlich eines entsprechenden Pflichtenverstoßes auch an dieser Stelle keiner Entscheidung darüber, ob die Ingewahrsamnahme von J. als solche rechtmäßig war. Maßgeblichist vielmehr, ob die Freiheitsentziehung zur Wahrung ihrer Rechtmäßigkeit ab dem Zeitpunkt, in dem der Angeklagte mit ihr befasst war, weiteren polizeilichen Handelns bedurfte und ob bejahendenfalls der Angeklagte vorsätzlich ihm obliegende und mögliche Handlungen unterlassen hat, um einen drohenden oder bestehenden rechtswidrigen Zustand zu verhindern oder zu beseitigen.
67
Dies hat das Schwurgericht rechtsfehlerfrei bejaht, da dem Angeklagten bekannt war, dass die Freiheitsentziehung weder mit dem Einverständnis von J. erfolgt war noch von einem Richter angeordnet oder bestätigt worden war. Dass er hierauf gerichtete Handlungen gleichwohl unterließ, ist angesichts des Gewichts eines solchen Eingriffs in das Freiheitsrecht des Betroffenen und der Bedeutung der für eine solche Maßnahme erforderlichen richterlichen Entscheidung grundsätzlich geeignet, den Vorwurf der Freiheitsberaubung durch Unterlassen zu begründen.
68
(a) Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit, die Freiheitsentziehung , fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des Gesetzes den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu. Der Richtervorbehalt dient der verstärkten Sicherung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen , dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Diese praktische Wirksamkeit wird nur erreicht, wenn in jedem Fall, in dem die Freiheitsentziehung ohne vorherige richterliche Entscheidung ausnahmsweise zulässig ist, diese Entscheidung unverzüglich nachgeholt wird (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, BVerfGE 105, 239; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Dabei gilt diese verfahrensmäßige Seite der grundrechtlichen Freiheitsverbürgung nicht nur für die Strafverfolgung, sondern auch bei Freiheitsentziehungen fürsorgerischer Art und bei sonstigen Freiheitsentziehungen (BGH, Urteil vom 30. April 1987 - 4 StR 30/87, BGHSt 34, 365, 368 mwN; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 10. Januar 2012 - 1 S 2963/11, NVwZ-RR 2012, 346; Nr. 37 der Ausführungsbestimmungen zum Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt).
69
(b) Dementsprechend setzten alle im vorliegenden Fall als Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Freiheitsrecht des J. in Betracht kommenden Normen grundsätzlich eine unverzüglich zu erholende richterliche Entscheidung voraus (vgl. zur vorläufigen Festnahme wegen des Verdachts einer Straftat: § 128 Abs. 1 StPO; zur Festnahme zur Identitätsfeststellung: § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA; zum "Schutzgewahrsam" und zum Gewahrsam zur Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit: § 38 Abs. 1 SOG LSA).
70
(c) Ausnahmen von diesem Grundsatz waren im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
71
Soweit § 128 Abs. 1, § 163c Abs. 1 StPO und § 38 Abs. 1 SOG LSA die "unverzügliche" Vorführung bzw. das "unverzügliche" Herbeiführen einer richterlichen Entscheidung fordern, ist dem schon im Hinblick auf den seit der Ingewahrsamnahme des J. (ca. 8.30 Uhr) und Befassung des Angeklagten (spätestens ab 8.44 Uhr) bis zum Tod des J. (nach 12.00 Uhr) vergangenen Zeitraum nicht genügt. Denn "unverzüglich" ist - wie bei Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG - dahin auszulegen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00, aaO; vom 19. Januar 2007 - 2 BvR 1206/04, NVwZ 2007, 1044, 1045; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, jeweils mwN). Zwar sind nicht vermeidbar z.B. die Verzögerungen, die durch die Länge des Weges, Schwierigkeiten beim Transport, die notwendige Registrierung und Protokollierung , ein renitentes Verhalten des Festgenommenen oder vergleichbare Umstände bedingt sind (BVerfG aaO). Solche Umstände waren vorliegend aber nicht gegeben bzw. ihnen konnte - etwa hinsichtlich des renitenten Verhaltens des J. - durch geeignete Maßnahmen, wie sie etwa mit seiner Fesselung und der Überwachung durch Polizeibeamte schon nach der Festnahme ergriffen worden waren, zumindest so weit entgegengewirkt werden, dass eine Vorführung möglich gewesen wäre. Dass sich J. in einem Zustand befunden hat, der seine unverzügliche Vorführung schlechterdings unmöglich machte, ergeben die vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht. Auch lagen die Voraussetzungen des § 420 Abs. 2 FamFG, die ohnehin lediglich ein Absehen von der Anhörung, nicht aber der richterlichen Befassung ermöglichen , ersichtlich nicht vor (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, NVwZ-RR 2012, 346). Unabhängig davon, ob der Zustand von J. dazu ausgereicht hätte, zumindest eine lediglich "symbolische" Vorführung - wie sie Nr. 51 RiStBV für Fälle des § 128 StPO vorsieht (siehe dazu auch Träger/ Schluckebier in LK-StGB, 11. Aufl., § 239 Rn. 23) - vorzunehmen, zielt der Richtervorbehalt auf eine Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 - 2 BvR 273/06, NJW 2007, 1345, 1346 [zu § 81a StPO]), erschöpft sich mithin nicht in der bloßen Gewährung rechtlichen Gehörs, sondern dient auch dazu, dem Richter insbesondere in den Fällen des "Schutzgewahrsams" die Möglichkeit eines persönlichen Eindrucks von dem Betroffenen zu verschaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007 - 1 BvR 338/07, NJW 2007, 3560 mwN).
72
Die in § 163c Abs. 2 StPO und § 40 Abs. 2 SOG LSA geregelte 12-Stunden -Frist, auf die sich der Angeklagte beruft, setzt dem Festhalten einer Person zur Identitätsfeststellung lediglich eine äußerste Grenze, befreit aber nicht von der Verpflichtung, eine richterliche Entscheidung unverzüglich herbeizuführen (vgl. - zu Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG - auch BVerfG, Beschlüsse vom 15. Mai 2002 - 2 BvR 2292/00; vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, aaO).
73
Es bestehen auch keine tragfähigen Anhaltspunkte dafür, dass die richterliche Entscheidung über die Freiheitsentziehung längere Zeit in Anspruch genommen hätte als die Identitätsfeststellung (vgl. § 163c Abs. 1 Satz 2 StPO; § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA) bzw. erst nach dem Wegfall des Grundes für den "Schutzgewahrsam" ergangen wäre (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 SOG LSA sowie VGH Baden-Württemberg aaO). Denn der 7. Januar 2005 war ein Werktag und die Vorführung wäre zu einer üblichen Arbeitszeit erfolgt, so dass - entsprechend den Feststellungen des Schwurgerichts - davon auszugehen ist, dass die richterliche Entscheidung alsbald ergangen wäre. Zudem sollte mit der erkennungsdienstlichen Behandlung von J. erst um 14.00 Uhr begonnen werden; dies war auch der vom Angeklagten prognostizierte Zeitpunkt, bis zu dem J. in der Zelle verbleiben sollte.
74
(3) Jedoch fehlt es nach den vom Schwurgericht getroffenen Feststellungen an der Kausalität des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsberaubung.
75
(a) Ein Unterlassen, also ein Nichtgeschehen kann - ontologisch - nicht Ursache eines Erfolges sein. Deshalb stellen die ständige Rechtsprechung und die allgemeine Lehre zur - notwendigerweise normativen - Beurteilung der Kausalität bei den unechten Unterlassungsdelikten auf die "hypothetische Kausalität" , die so genannte "Quasi-Kausalität", ab. Diese birgt für die Fälle des Unterlassens die Entsprechung zu der nach der Äquivalenztheorie in den Fällen aktiven Tuns anzuwendenden conditio sine qua non-Formel. Nach ihr ist ein Unterlassen mit dem tatbestandsmäßigen Erfolg als "quasi-ursächlich" in Zurechnungsverbindung zu setzen und zu prüfen, ob dieser beim Hinzudenken der gebotenen Handlung entfiele, ob also die gebotene Handlung den Erfolg verhindert hätte (st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 4. März 1954 - 3 StR 281/53, BGHSt 6, 1, 2; vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126; vom 19. Dezember 1997 - 5 StR 569/96, BGHSt 43, 381, 397; vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 93). Hierfür muss - da es sich nicht um die Feststellung realer Kausalzusammenhänge handelt - das Gericht eine hypothetische Erwägung anstellen und sich auf deren Grundlage eine Überzeugung bilden (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 3 mwN; vgl. auch SSW-StGB/Schluckebier, aaO, § 239 Rn. 8 a.E. mwN).
76
Dabei streitet für einen Angeklagten der Grundsatz in dubio pro reo. Allerdings steht der Bejahung der Ursächlichkeit die bloße gedankliche Möglichkeit eines gleichen Erfolgs auch bei Vornahme der gebotenen Handlung nicht entgegen. Ebenso wenig genügt es, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung lediglich das Risiko des Erfolgseintritts erhöht hat (BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN). Vielmehr muss sich die alternative Bewertung, der gleiche Erfolg wäre auch bei Vornahme der gebotenen Handlung eingetreten, aufgrund bestimmter Tatsachen so verdichtet haben, dass die Überzeugung vom Gegenteil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vernünftigerweise ausgeschlossen ist (BGH, Beschlüsse vom 25. September 1957 - 4 StR 354/57, BGHSt 11, 1; vom 29. November 1985 - 2 StR 596/85, NStZ 1986, 217; vom 25. April 2001 - 1 StR 130/01; vom 6. März 2008- 4 StR 669/07, BGHSt 52, 159, 164; Urteile vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 126 f.; vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, BGHR StGB § 13 Abs. 1 Ursächlichkeit 1; vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
77
Die Formulierung, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ müsse die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Taterfolg in diesem Sinn feststehen, bedeutet jedoch nicht, dass höhere Anforderungen an das erforderliche Maß an Gewissheit von der Kausalität als sonst gestellt werden müssen. „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ ist nichts anderes als die überkommene Beschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 1990 - 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, 127).
78
(b) Für den vorliegenden Fall ergibt sich hieraus das Folgende:
79
Welche Handlung eines Unterlassungstäters im Rahmen der Kausalitätsprüfung hinzuzudenken ist, bestimmt sich bei bestehenden Handlungsalternativen vorrangig danach, ob und gegebenenfalls welche von ihnen geeignet ist, den Erfolgseintritt zu verhindern. Bei erfolgsqualifizierten Delikten wie § 239 Abs. 4 StGB ist dabei der für diese Prüfung maßgebliche "Erfolg" - jedenfalls zunächst - nicht die Todesfolge, sondern der des Grunddelikts, mithin eine rechtswidrige Freiheitsentziehung, da deren Verhinderung bei Vornahme einer der gebotenen Handlungen zur Straflosigkeit führen würde. Kommen dabei - wie vorliegend - alternative Handlungen in Betracht, die den Erfolgseintritt entweder durch die Beendigung der Freiheitsentziehung als solcher (z.B. durch Entlassen des J. aus dem Gewahrsam) oder aber durch das Herbeiführen ihrer Rechtmäßigkeit verhindert hätten, besteht bei der Prüfung der hypothetischen Kausalität kein "Vorrang" von sich auf die Freiheitsentziehung als solche beziehenden Handlungen gegenüber denjenigen, die (erst) deren Rechtswidrigkeit beseitigen. Dies gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem der Wille des Angeklagten als dem Unterlassenden auf die Fortsetzung des Gewahrsams gerichtet war (im Ergebnis ebenso: BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624; Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17).
80
Da die gebotene Handlung des Angeklagten bei Fortführung des Gewahrsams das Veranlassen der unverzüglichen (zumindest "symbolischen") Vorführung des J. beim zuständigen Richter bzw. das unverzügliche Herbeiführen von dessen Entscheidung war, entfällt die Kausalität, wenn diese Handlung vorgenommen worden wäre und der Richter den Gewahrsam jedenfalls bis einschließlich zum Zeitpunkt des Todes von J. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit angeordnet hätte (ähnlich für den Fall der Fixierung eines Heiminsassen ohne vormundschaftgerichtliche Anordnung: Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 17; vgl. auch BGH, Urteil vom 4. April 1978 - 1 StR 628/77, bei Holtz MDR 1978, 624). Hierbei ist eine Recht und Gesetz entsprechende Entscheidung des Richters zugrunde zu legen. Soweit dem Richter dabei jedoch Beurteilungsspielräume eingeräumt sind, gebietet es der Grundsatz in dubio pro reo, diese zugunsten des Angeklagten auszu- schöpfen (vgl. dazu auch Träger/Schluckebier in LK-StGB, aaO, § 239 Rn. 20 a.E.).
81
(c) Auf dieser Grundlage ist für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten davon auszugehen, dass der zuständige Richter den Gewahrsam des J. angeordnet hätte. Damit entfällt die Ursächlichkeit des Unterlassens des Angeklagten für eine rechtswidrige Freiheitsentziehung des J. .
82
(aa) Die Annahme, der zuständige Richter hätte den diesen Zeitraum umfassenden Gewahrsam des J. angeordnet, kann sich zwar nichtauf § 127 StPO (vorläufige Festnahme nach einer Straftat) bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 SOG LSA (Gewahrsam zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit bzw. zur Verhinderung deren Fortsetzung) stützen. Denn es war schon bei der Festnahme weder Fluchtgefahr gegeben, noch lagen die weiteren Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls vor oder bestanden tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass im Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung Straftaten oder erhebliche Ordnungswidrigkeiten unmittelbar bevorstehen bzw. deren Fortsetzung droht, zu deren Verhinderung die Ingewahrsamnahme von J. unerlässlich war.
83
Auch die Voraussetzungen des als Rechtsgrundlage für das Festhalten des J. in Betracht kommenden § 163b Abs. 1 Satz 2 StPO (Identitätsfeststellung für Zwecke der Strafverfolgung), des § 127 Abs. 1 StPO (in der die Identitätsfestellung betreffenden Alternative) oder von § 20 Abs. 4 SOG LSA (Identitätsfeststellung zur Gefahrenabwehr) lagen jedenfalls schon geraume Zeit vor dem unmittelbar zum Tod von J. führenden Geschehen nicht mehr vor. Denn ein hierauf gegründeter Eingriff in das Freiheitsgrundrechtdes J. kam erst dann in Betracht bzw. durfte - wenn er rechtmäßig begonnen worden war - nur fortgesetzt werden, wenn die der Polizei bereits bekannten Daten des J. noch nicht ausreichten, um dessen Identität eindeutig zu bestimmen. Dies wäre etwa der Fall gewesen, wenn konkreter Anlass bestanden hätte, an der Echtheit der bei seiner Durchsuchung aufgefundenen, mit seinem Lichtbild und seinen Personalien versehenen "Duldung" zu zweifeln. Für eine solche Annahme bestand indes ab dem Zeitpunkt, in dem die vom Angeklagten vorgenommene INPOL-Abfrage diese Personalien zumindest im Wesentlichen bestätigt hatte, kein Anhalt mehr. Jedenfalls mit dem ersichtlich zeitnah möglichen Abgleich mit dem Ergebnis bereits früher - auch in De. - durchgeführter erkennungsdienstlicher Behandlungen war die Rechtsgrundlage für ein weiteres Festhalten des J. zur Identitätsfeststellung entfallen (vgl. auch BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 1992 - 2 BvR 658/90, NVwZ 1992, 767; vom 11. Juli 2006 - 2 BvR 1255/04, NStZ-RR 2006, 381 mwN). Selbst wenn der zuständige Richter zunächst noch die Fortdauer der Freiheitsentziehung zur Identitätsfeststellung angeordnet hätte, wäre diese von ihm derart befristet worden, dass J. lange vor dem tödlichen Geschehen entlassen worden wäre.
84
Jedoch ist davon auszugehen, dass der zuständige Richter den "Schutzgewahrsam" des J. gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte. Nach dieser Vorschrift waren die Ingewahrsamnahme und deren weiterer Vollzug zulässig, "wenn dies zum Schutz der Person gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich ist, insbesondere weil die Person sich erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder in sonst hilfloser Lage befindet". Diese Voraussetzungen waren - am oben dargelegten Maßstab gemessen - gegeben. Denn J. war stark alkoholisiert. Die bei ihm um 9.15 Uhr entnommene Blut- probe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,98 Promille, die Blutalkoholkonzentration im Leichenblut betrug noch 2,68 Promille; zudem wurden im untersuchten Blut Cocain-Metaboliten nachgewiesen. Hinzu kam sein - bis hin zum Anzünden der Matratze - gezeigtes selbstgefährdendes Verhalten, das schon kurz nach dem Eintreffen auf dem Polizeirevier und den Kopfstößen in Richtung Tisch und Wand einen Polizeibeamten zum Eingreifen zugunsten von J. gezwungen und den Arzt, der ihn auf seine Gewahrsamstauglichkeit untersucht hat, dazu veranlasst hat, die Fixierung von J. zu empfehlen. Auch war sein zunächst noch anlasslos belästigendes, später aber aggressives und - bei den Widerstandshandlungen - mit körperlicher Gewalt verbundenes Verhalten mit der Gefahr verbunden, dass sich die Betroffenen dagegen zur Wehr setzen und hierdurch (berechtigt) die Gesundheit von J. beeinträchtigen. Dabei belegen insbesondere die hohe Alkoholisierung und das schon vor dem Eingreifen der Polizeibeamten von J. gezeigte Verhalten hinreichend, dass die Gefahr für dessen Gesundheit nicht lediglich durch die seiner (möglichen) Einschätzung nach unberechtigte Ingewahrsamnahme, sondern zumindest wesentlich durch seine Alkoholisierung und den Drogenkonsum bedingt waren.
85
Aufgrund dieser Tatsachen ist "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" davon auszugehen, dass der zuständige Richter - bei Ausschöpfen ihm eröffneter Beurteilungsspielräume zugunsten des Angeklagten - die Fortdauer des Gewahrsams des J. auch über 12.00 Uhr hinaus angeordnet hätte.
86
Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass nach einer solchen richterlichen Entscheidung (zumindest) die Fixierung hätte beendet werden müssen oder beendet worden wäre, bestehen nicht. Dies liegt aufgrund des von J.
gezeigten Verhaltens auch nicht nahe. Zwar darf nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch eine solche Sicherungsmaßnahme nicht länger aufrechterhalten werden als es notwendig und angemessen ist; sie ist ferner zu beenden , wenn mildere Mittel den Zweck ebenfalls erreichen würden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. April 1999 - 2 BvR 827/98, NStZ 1999, 428, 429). Im Hinblick auf die bestehende Gefahr selbstgefährdenden Verhaltens des J. , das sich bis hin zum Anzünden der Matratze fortsetzte, überschritt der Zeitraum der Fixierung aber trotz der zunehmenden Dauer und der mit ihr verbundenen Belastungen aus den oben dargelegten Gründen (noch) nicht den Beurteilungsspielraum, der (auch) den Polizeibeamten bei ihrer Anordnung und dem Vollzug einer solchen Sicherungsmaßnahme zukommt. Einer besonderen richterlichen Gestattung oder Anordnung der Fixierung bedurfte es jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht (vgl. § 64 Nr. 3 SOG LSA; ferner BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1993 - 2 BvR 213/93, NJW 1994, 1339; Dürig in Maunz/Dürig, GG, Art. 104 Rn. 28 [Stand: 2014]).
87
(bb) Für die Beurteilung der "Quasi-Kausalität" des Unterlassens des Angeklagten kommt es in Fällen parallelen Unterlassens gleichrangiger Garanten zwar nicht auf das alleinige Verhalten des einzelnen Garanten, sondern auf das Verhalten der Garantengemeinschaft an (vgl. BGH, Urteil vom 6. November 2002 - 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77, 87 mwN). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben.
88
Sollte nämlich das Verhalten anderer, für den Gewahrsam des J. verantwortlicher Polizeibeamter ebenfalls als pflichtwidrig zu bewerten sein, würde nicht eine Garantengemeinschaft im obigen Sinn vorliegen, sondern Nebentäterschaft. Denn der Angeklagte hätte allein durch eigenes Handeln , mithin unabhängig vom (Nicht-)Handeln der anderen, die ihm obliegenden Voraussetzungen für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung herbeiführen können. Ein Fall des objektiven Ineinandergreifens jeweils individuell rechtswidrigen Verhaltens im Sinn einer Garantengemeinschaft liegt daher nicht vor (vgl. auch BGH, Urteil vom 12. Januar 2010 - 1 StR 272/09, aaO, mwN).
89
(cc) Der Senat ist - jedenfalls aufgrund der Besonderheiten des Falles - befugt, die Prüfung der "Quasi-Kausalität" selbst vorzunehmen.
90
Dabei steht der Entscheidung durch den Senat nicht entgegen, dass die Staatsanwaltschaft die Ausführungen des Schwurgerichts dahin versteht, dieses habe nicht feststellen können, ob die Ingewahrsamnahme von J. zu dessen Schutz unerlässlich gewesen sei. Denn die - wie ausgeführt - normative Beurteilung der Kausalität des Unterlassens bezieht sich nicht darauf, ob die Gefahr tatsächlich vorlag und der Gewahrsam zu ihrer Abwendung unerlässlich war, sondern beschränkt sich im Wesentlichen auf die Prüfung, welche Entscheidung ein rechtmäßig handelnder Richter hierzu getroffen hätte. Dafür stand dem Schwurgericht und steht dem Senat angesichts der von jenem rechtsfehlerfrei und vollständig getroffenen, im - wie die (erfolglosen) Verfahrensrügen belegen - angefochtenen Urteil auch umfassend mitgeteilten Feststellungen eine ausreichende und tragfähige Grundlage zur Verfügung.
91
2. Soweit das Schwurgericht die Verwirklichung anderer Straftatbestände durch den Angeklagten ausgeschlossen hat, begegnet dies ebenfalls keinen Bedenken.
92
Wegen Totschlags durch Unterlassen hätte sich der Angeklagte nur strafbar gemacht, wenn das gebotene Handeln den als möglich erkannten Tod noch hätte verhindern können und er sich dessen bewusst war (vgl. BGH, Be- schluss vom 14. Februar 2012 - 3 StR 446/11, NStZ 2012, 379, 380 mwN). Letzteres hat das Landgericht indes ebenso rechtsfehlerfrei verneint wie hinsichtlich weiterer in Betracht kommender Strafvorschriften den Vorsatz.
93
Ein strafbarer Versuch der Freiheitsberaubung (mit Todesfolge) liegt nicht vor, da bei diesem der Tatplan - von hier nicht gegebenen Ausnahmefällen abgesehen - auf einen nach der Vorstellung des Täters kausal durch sein Verhalten herbeigeführten Erfolg gerichtet sein muss (vgl. SSW-StGB/Kudlich/ Schuhr, 2. Aufl., § 22 Rn. 16, 24). An einem entsprechenden Vorsatz (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 577/13 [Rn. 36]) fehlt es - wie oben ausgeführt - jedoch.
94
3. Auch der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.

VI.


95
Ein Teilfreispruch vom Vorwurf der Körperverletzung bzw. Freiheitsberaubung mit Todesfolge war und ist - entgegen der Ansicht der Verteidiger des Angeklagten - nicht geboten (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 260 Rn. 10).
96
Im Revisionsverfahren ist eine Entscheidung über die notwendigen Auslagen der dort Beteiligten nur insofern veranlasst, als diese das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch verursachten notwendigen Auslagen des Angeklagten betrifft (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 473 Rn. 10a, 15, 18 mwN).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin
18
2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt ; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Um- stände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR494/14
vom
14. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 16. Juni 2014 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen, von der Verhängung einer Strafe indes nach § 60 StGB abgesehen. Die hiergegen gerichtete, mit der Verletzung sachlichen Rechts begründete Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der zu 60 % behinderte Angeklagte in seiner sozialen und psychischen Entwicklung derart gestört, dass er – unter Betreuung gestellt – schon frühzeitig in Einrichtungen des diakonischen Werks und später auch zeitweilig in einer Fachklinik für Psychiatrie aufgenommen werden musste. Er verfügt über eine stark verlangsamte und in ihrer Qualität geringe kognitive Leistungsfähigkeit im unteren Bereich menschlicher Durchschnittsintelligenz. Der Angeklagte kann lediglich einfachsten Sätzen und ihnen zum Teil auch nur in bildlicher Sprache folgen (UA S. 25). Gleichwohl ist es ihm gelungen, mit Hilfe von Integrationsmaßnahmen für Behinderte eine berufliche Anstellung zu erreichen.
3
Nach der Geburt seines Sohnes am 10. Dezember 2011 war der Angeklagte zunehmend überfordert, weil er neben seiner beruflichen Tätigkeit, die ihn von 4.30 Uhr morgens bis 19.00 Uhr einband, auch die von seiner Lebensgefährtin unter anderem infolge häufiger Diskothekenbesuche vernachlässigte Haushaltsführung übernehmen musste. Der Angeklagte liebte seinen Sohn sehr und war stets um eine ordnungsgemäße und fürsorgliche Versorgung des Kindes bemüht, das sich deshalb in einem äußerlich einwandfreien Pflegezustand befand. Am Abend vor der Tat befand sich der Angeklagte in einer Überforderungssituation , weil er am Folgetag wieder um 4.30 Uhr aufstehen musste. Bald nach Mitternacht wurde er vom Schreien seines bei ihm im Zimmer schlafenden zwei Monate alten Sohnes geweckt. Er versuchte, den Säugling zu beruhigen. Da ihm dies nicht gelang, schüttelte der Angeklagte ihn kräftig mehr als einmal. Dabei umfasste er den Rumpf des Säuglings mit beiden Händen, ohne den Kopf zu stützen. Anschließend hielt er ihn noch kurz im Arm und legte seinen ruhig gewordenen Sohn in dessen Bett zurück. Das Kind erlitt durch das Schütteln eine Ateminsuffizienz, die nach rasch einsetzender Bewusstlosigkeit unmittelbar zum Tod führte. Der Angeklagte war sich nicht bewusst, dass er mit dem Schütteln das körperliche Wohlbefinden des Säuglings nicht nur unerheblich beeinträchtigte; er wollte ihm keinesfalls Schmerzen oder Verletzungen zufügen (UA S. 12).
4
Um Gewissheit über den Grund des Todes ihres Kindes zu erlangen, insbesondere um in Bezug auf künftige Kinder das Vorliegen von Erbkrankhei- ten oder auch einen möglichen Einfluss der am Vortag vorgenommenen Impfung ausschließen zu können, beschlossen der Angeklagte und seine Lebensgefährtin , eine Obduktion ihres Sohns durchführen zu lassen (UA S. 13). Der Angeklagte selbst wurde zur Bewältigung des Vorfalls rund ein Jahr psychologisch betreut.
5
2. Die Begründung, mit der das Landgericht einen bedingten Körperverletzungsvorsatz verneint hat, ist revisionsrechtlich vorliegend hinzunehmen. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs selbst dann, wenn eine nach Ansicht des Revisionsgerichts mögliche andere Beurteilung sogar näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
6
In subjektiver Hinsicht setzt § 227 StGB zunächst den Vorsatz einer Körperverletzung voraus. Dieser ist schon gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch unerwünscht sein; das für den Vorsatz erforderliche Wissen muss im Zeitpunkt der Tathandlung in aktuell wirksamer Weise vorhanden sein; bloßes nicht in das Bewusstsein gelangtes Wissen oder ein nur potentielles Bewusstsein reicht nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2003 – 3 StR 159/03, NStZ 2004, 201, 202).
7
Das Landgericht hat sich auf der Grundlage einer eingehenden Beweiswürdigung die Überzeugung verschafft, dass sich der Angeklagte – obwohl allgemein bekannt ist, dass starkes Schütteln eines zwei Monate alten Säuglings zu einer erheblichen Beeinträchtigung seiner Gesundheit und sogar lebensgefährdender Gesundheitsbeschädigung führen kann – in der konkreten Tatsitua- tion aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen dieser Gefahr nicht bewusst war und diese sich für ihn aufgrund der ersten unkontrollierten Bewegungen des kindlichen Kopfes auch nicht erschloss (UA S. 20 f.). Diese Würdigung zeigt keinen Rechtsfehler auf.
8
Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt von Dritten darauf hingewiesen worden ist, zu welchen Folgen ein Schütteln des Kindes führen kann. Dem Angeklagten ist zwar beigebracht worden, wie er den Säugling zu halten hat; nicht jedoch der Grund dafür. Hierfür hätte es Erklärungen auf dem „Kommunikationsniveau“ des Angeklagten geben müssen, die nicht erfolgt sind (vgl. UA S. 27). Dass dem Angeklagten auch nicht aus den ersten unkontrollierten Kopfbewegungen des Kindes die Gefahr eines Körperverletzungserfolges bewusst wurde (vgl. UA S. 20 f., 33), hat das Landgericht mit der besonderen Tatsituation („erhebliche Stresssituation“ und „frisch aus dem Schlaf gerissen“) vertretbar begründet (vgl. UA S. 20 f.). Diese Umstände sind zwar im Allgemeinen nicht geeignet, das kognitive Vorsatzelement beim Schütteln eines Säuglings in Frage zu stellen. In diesem Fall besteht jedoch die Besonderheit, dass der Angeklagte nur über eine stark verlangsamte und in ihrer Qualität geringe kognitive Leistungsfähigkeit verfügt. Die Wertung, dass die Gefahr dem im Denktempo verlangsamten Angeklagten in der konkreten Situation nicht ins Bewusstsein gedrungen ist, ist angesichts der vorgenommenen Würdigung der Gesamtumstände (u.a. Person des Angeklagten, Wunsch nach Obduktion des Kindes) möglich und deshalb hinzunehmen. Insofern stellt es keinen unauflöslichen Widerspruch dar, dass beim Angeklagten noch keine pathologische Intelligenzminderung bestand und das Landgericht ihm grundsätzlich die Fähigkeit zur Reflektion und auch die Vorhersehbarkeit der schweren Folgen attestiert hat (vgl. UA S. 27, 30). Denn hieraus ist nicht zwingend auf ein sofortiges Reflektieren in der aktuellen Überforderungssituation zu schlie- ßen. Die von der Revision beanstandeten Formulierungen zur niedrigeren Hemmschwelle von im Umgang mit Säuglingen unbedarften Personen und zum Kraftaufwand beim Schütteln sowie zum Handlungsfluss aus dem Halten des Kindes heraus (UA S. 27 und S. 34) lassen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe (insbesondere UA S. 20, 30) nicht besorgen, dass das Landgericht zu hohe Anforderungen an die Erkennbarkeit eines Körperverletzungserfolges gestellt hat. Dies gilt in besonderer Weise eingedenk des Umstandes, dass das Landgericht von nicht mehr als zweimaligem Schütteln ausgegangen ist. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht in einer Gesamtwürdigung (UA S. 28, 33) das voluntative Vorsatzelement verneint und dabei neben den bereits angeführten Umständen auch berücksichtigt, dass der Angeklagte als verantwortungsbewusster , zuverlässiger und seinen Sohn liebender Vater weit mehr Interesse an der Säuglingspflege als die Kindsmutter gezeigt hat.
9
3. Auch die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand (§ 301 StPO). Der dem Angeklagten insoweit zu machende Vorwurf ist dem Zusammenhang der Urteilsgründe hinreichend zu entnehmen (UA S. 12, 20, 30).
10
4. Dass das Landgericht von der Strafe nach § 60 StGB abgesehen hat, hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
11
Die Deliktsart hindert die Anwendung des § 60 StGB nicht; maßgeblich sind vielmehr die schweren Folgen für den Täter (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1977 – 3 StR 397/77, BGHSt 27, 298, 300 f.; OLG Karlsruhe, NJW 1974, 1006, 1007; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 60 Rn. 9; Hubrach in LK-StGB, 12. Aufl., § 60 Rn. 4). Das Landgericht hat den Ausnahmecharakter der Vorschrift erkannt (vgl. UA S. 35) und die Feststellung, dass im vorliegenden Fall eine Strafe offensichtlich verfehlt wäre, nach der er- forderlichen Gesamtabwägung (vgl. BGH, Urteil vom 23. November 1977, aaO, S. 301 f.; BGH, Beschluss vom 3. September 1996 – 1 StR 475/96, NJW 1996, 3350 f.; OLG Karlsruhe aaO; Mosbacher in SSW StGB, 2. Aufl., § 60 Rn. 7; Hubrach, aaO Rn. 27, 38; Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, aaO Rn. 8) vorgenommen und im Urteil eingehend begründet. Dabei hält sich die Einschätzung der Folgen als gravierend und der Situation als außergewöhnlich im tatrichterlichen Beurteilungsspielraum und lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das Landgericht auch die Interessen der Kindsmutter ausdrücklich erwogen und zudem das Zerbrechen ihrer Beziehung be- rücksichtigt, indem es gewürdigt hat, dass sie „als ehemalige Lebensgefährtin auch nach der Tat zum Angeklagten“ hält (vgl. UA S. 36).
Sander Dölp König
Berger Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 371/13
vom
5. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Dezember
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als Vorsitzende,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 24. April 2013 wird verworfen.
2. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklageschrift legt dem Angeklagten fünf tateinheitlich zusammentreffende Fälle des versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zur Last, wobei es in einem Fall der gefährlichen Körperverletzung beim Versuch geblieben sei. Von diesem Vorwurf hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge, die sich ausschließlich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet und insbesondere deren Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit geltend macht. Das Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg.

I.


2
Der nicht vorbestrafte Angeklagte war als ausgebildeter Chemiker bei der Fa. F. GmbH in L. in der Qualitätssicherung angestellt. Am Morgen des 29. März 2010, einem Montag, tranken vier Mitarbeiter des Un- ternehmens Kaffee, den einer von ihnen nach 6.40 Uhr in einem Büro in einer von mehreren Angestellten genutzten Kaffeemaschine zubereitet hatte. Eine fünfte Mitarbeiterin hatte sich zwar von dem Kaffee eine Tasse eingeschenkt, kam aber nicht mehr dazu, davon zu trinken. Kurze Zeit nach dem Konsum des Kaffees litten die vier Mitarbeiter, die von dem Kaffee getrunken hatten, unter anderem an Schwindelanfällen, wurden bewusstlos und mussten notärztlich und anschließend in einem Krankenhaus versorgt werden.
3
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen wurde in dem in den Tassen der fünf Mitarbeiter verbliebenen Kaffee sowie im Filterrückstand der Giftstoff Scopolamin festgestellt; auch im Blut und Urin der vier Geschädigten wurde Scopolamin gefunden.
4
Die zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legt dem Angeklagten zur Last, am Morgen des 29. März 2010 in den Wasserbehälter der Kaffeemaschine mindestens 193 mg Scopolamin geschüttet zu haben.
5
Zur Täterschaft hat das Schwurgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen: - es ist "sehr wahrscheinlich", dass sich der Täter mit den Gegebenheiten in dem Unternehmen gut auskannte und deshalb aus dem Kreis dessen Mitarbeiter oder der dem Unternehmen nahe stehenden Personen kam; - der seit dem Jahr 2005 bei dem Unternehmen beschäftigte Angeklagte hatte ein Motiv dafür, den Mitarbeitern Schaden zuzufügen, denn er wurde unter anderem mit zwei Abmahnungen im Jahr 2009 massiv kritisiert und hegte einen "tiefen Groll" gegen den 2006 eingesetzten Geschäftsführer des Unternehmens; - der die Tatbegehung bestreitende Angeklagte hielt sich - was nicht ungewöhnlich war - am Tattag ab etwa 4.00 Uhr vorübergehend auf dem Betriebsgelände auf; zwei auf 5.50 und 5.53 Uhr dieses Tages datierte Messprotokolle aus dem Bereich der Qualitätssicherung, für die der Angeklagte zuständig ist, sind von ihm unterzeichnet; etwa ab 6.00 Uhr war er - anders als sonst - über mehrere Stunden hin telefonisch nicht mehr erreichbar; als sich eine Mitarbeiterin am späten Vormittag nach seinem Befinden erkundigte, benahm sich der Angeklagte aus deren Sicht ungewöhnlich (er habe "ironisch gelacht"); - in dem Büro, in dem die Kaffeemaschine stand, brannte etwa um 5.45 bzw. 5.50 Uhr Licht; kurze Zeit später war die Hoftür zu dem Büro abgeschlossen und es brannte in dem Büro kein Licht mehr; - der Angeklagte hatte Zugang zu dem Büro, in dem die Kaffeemaschine stand; - auf dem Wassertank an der Rückseite der Kaffeemaschine wurde ein Fingerabdruck des Angeklagten sichergestellt; - die Kaffeemaschine war von einer Reinigungskraft am Samstag, dem 27. März 2010, gereinigt worden, unter anderem hatte sie den Was- sertank feucht abgewischt; anschließend bereitete sich die Zeugin selbst Kaffee zu, ohne nach dessen Konsum zu erkranken; - auf der Festplatte des Computers eines in dem Unternehmen beschäftigten Praktikanten, den auch der Angeklagte benutzte, wurde ein am 18. September 2007 erstelltes "Browsercookie" aufgefunden, nach dem im Jahr 2007 unter dem Namen "k. " das Forum der Internetseite "www. .de" besucht wurde; in diesem Forum hatte ein (nicht ermittelter) Nutzer am 9. März 2007 nach der "Totalsynthese" , also der chemischen Zusammensetzung von Scopolamin gefragt; - an der Kaffeemaschine und der Kaffeekanne wurde DNA gesichert, die allerdings nicht für eine Typisierung ausreichte bzw. für die lediglich festgestellt werden konnte, dass sie von drei bzw. zwei Personen herrührt; - ein an einer anderen Stelle des Gehäuses der Kaffeemaschine gesicherter weiterer Fingerabdruck konnte keinem konkreten Verursacher zugeordnet werden; - in dem vom Angeklagten und seiner Ehefrau bewohnten Haus wurde eine Vielzahl chemischer Substanzen - aber kein Scopolamin - aufgefunden.
6
Aufgrund dieser Feststellungen vermochte sich das Landgericht nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen.

II.


7
Dies begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Zudem muss das Urteil erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Dabei dürfen die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet werden, sondern müssen in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt worden sein (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Brause, NStZ-RR 2010, 329, 330 f.; MeyerGoßner , StPO, 56. Aufl., § 337 Rn. 26 ff.).
9
Schließlich unterliegt der revisionsgerichtlichen Überprüfung auch, ob der Tatrichter überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 - 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180 mwN). Jedoch ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof als Maßstab seiner revisionsrechtlichen Kontrolle darauf abstellt, ob die vom Tatgericht gezogenen Schlussfolgerungen möglich sind (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2008 - 2 BvR 2067/07, Rn. 43). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Überzeugungsbildung sogar dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise näher liegend gewesen wäre (BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89). Dies gilt unabhängig von der Bedeutung und dem Gewicht des strafrechtlichen Vorwurfs des jeweiligen Verfahrens; denn diese vermögen eine unterschiedliche Handhabung der Grundsätze revisionsgerichtlicher Rechtsprüfung nicht zu rechtfertigen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 - 3 StR 342/07, NStZ-RR 2008, 146).
10
2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer ausreichenden Gesamtschau der maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände.
11
a) Die Beweiswürdigung ist insbesondere nicht lückenhaft.
12
aa) Auch im Fall eines Freispruchs muss der Tatrichter die wesentlichen Gründe seiner Entscheidung in den schriftlichen Urteilsgründen darlegen (BGH, Urteile vom 2. April 2008 - 2 StR 19/08; vom 24. Januar 2006 - 5 StR 410/05). Indes kann eine Beweiswürdigung ihrer Natur nach nicht erschöpfend in dem Sinne sein, dass alle irgendwie denkbaren Gesichtspunkte und Würdigungsvarianten in den Urteilsgründen ausdrücklich abgehandelt werden. Dies ist von Rechts wegen auch nicht zu verlangen. Aus einzelnen Lücken kann daher nicht ohne Weiteres abgeleitet werden, der Tatrichter habe nach den sonstigen Urteilsfeststellungen auf der Hand liegende Wertungsgesichtspunkte nicht bedacht (BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 285/10, NStZ-RR 2011, 50; ähnlich Urteil vom 14. Dezember 2005 - 2 StR 375/05, NStZ-RR 2006, 82, 83).
13
Lückenhaft ist eine Beweiswürdigung vielmehr namentlich dann, wenn sie wesentliche Feststellungen nicht erörtert (BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 - 1 StR 582/06). Bei der Prüfung, ob dies der Fall ist, ist es jedoch nicht Sache des Revisionsgerichts, Mutmaßungen darüber anzustellen, ob nicht naheliegend weitere Beweismittel zur Aufklärung der Tatvorwürfe zur Verfügung gestanden hätten oder weitere Beweise erhoben und im Urteil lediglich nicht gewürdigt worden sind. Schon gar nicht kann das Revisionsgericht aufgrund derartiger Mutmaßungen das Urteil auf die Sachrüge hin aufheben. Vielmehr ist es in solchen Fällen Sache der Staatsanwaltschaft, entweder durch Erhebung einer Aufklärungsrüge geltend zu machen, dass das Landgericht weitere mögliche Beweise zur Erforschung des Sachverhalts unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nicht erhoben hat, oder zu beanstanden, dass es hierzu erhobene Beweise nicht in seine Würdigung einbezogen und daher zu seiner Überzeugungsbildung den Inbegriff der Hauptverhandlung nicht ausgeschöpft hat (§ 261 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 3 StR 317/10, NStZ-RR 2011, 88 f.).
14
bb) Auf dieser Grundlage haben die Beanstandungen der Revisionsführerin und des Generalbundesanwalts zur Lückenhaftigkeit der tatrichterlichen Beweiswürdigung keinen Erfolg.
15
Sie erschöpfen sich zum einen in einer anderen Bewertung von Tatsachen , die das Landgericht in seine Würdigung einbezogen und ersichtlich bedacht hat, etwa dass der Angeklagte - insbesondere zeitlich und räumlich - Gelegenheit zur Tatbegehung hatte, er sich nach der Tat auffällig verhielt und keine konkreten Hinweise dafür vorliegen, welche andere Person Täter sein könnte. Es ist jedoch allein Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien zu bewerten; das Revisionsgericht kann nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen (BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89; vom 4. April 2013 - 3 StR 37/13; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, StraFo 2013, 339).
16
Zum anderen sehen Revisionsführerin und Generalbundesanwalt Lücken in einer nicht hinreichenden Aufklärung etwa zu den finanziellen Verhältnissen des Angeklagten oder zu der Frage, ob andere Firmenangehörige mit chemischen Kenntnissen Zugang zu dem Büro und ein ebenso starkes Motiv für die Vergiftung hatten. Da Grundlage der materiell-rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht allein das tatrichterliche Urteil ist, liegt hierin angesichts der im Übrigen getroffenen Feststellungen kein auf die Sachrüge hin zu beachtender Rechtsfehler, sondern ein Mangel, der mit einer Aufklärungsrüge gerügt werden musste (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 403; vom 8. August 2001 - 5 StR 252/01; zur Erforderlichkeit von Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen in einer anders gearteten Konstellation auch BGH, Urteil vom 21. November 2013 - 4 StR 242/13).
17
b) Die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil enthält auch keine einen Rechtsfehler darstellende Widersprüche.
18
Ein solcher die Sachrüge begründender Widerspruch kann nicht allein darin liegen, dass einzelne Beweismittel miteinander Unvereinbares ergeben haben. Ebenso wenig kann ein Widerspruch darin gesehen werden, dass das Gericht einer Zeugenaussage folgt (hier z.B. zur - gründlichen - Reinigung der Kaffeemaschine am 27. März), aber hieraus nicht die von der Staatsanwaltschaft gezogene Schlussfolgerung ziehen will (dass dann der Fingerabdruck des Angeklagten nicht am Tag zuvor an die Kaffeemaschine gelangt sein kann).
Vielmehr ist bei ambivalenten Beweisanzeichen, die dem Tatrichter im Einzelfall rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen, eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber , welche indizielle Bedeutung ein solcher Umstand im konkreten Fall entfaltet , vom Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH, Urteile vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45/13, StraFo 2013, 339; vom 4. April 2013 - 3 StR 37/13; vom 20. September 2012 - 3 StR 158/12, NStZ-RR 2013, 89).
19
c) Auch die Würdigung der Einlassung des Angeklagten lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen.
20
Zwar ist der Tatrichter nicht verpflichtet, einer Einlassung zu folgen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt, mittels derer die Behauptung sicher widerlegt werden kann. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten eines Angeklagten Sachverhalte zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte vorhanden sind (vgl. BGH, Urteile vom 2. September 2009 - 2 StR 229/09, NStZ 2010, 102; vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402; ferner BVerfG, NStZ-RR 2007, 381, 382).
21
Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Dass - wie der Generalbundesanwalt anführt - das Schwurgericht nach der im letzten Wort erfolgten Einlassung des bis dahin schweigenden Angeklagten weder Vorhalte gemacht noch Nachfragen gestellt oder erneut in die Beweisaufnahme eingetreten ist, ist auf die allein erhobene Sachrüge hin unbeachtlich.
22
d) Schließlich hat das Landgericht weder die gebotene Gesamtwürdigung der für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstän- de unterlassen oder rechtsfehlerhaft vorgenommen, noch hat es überspannte Anforderungen an die entsprechende Überzeugungsbildung gestellt.
23
Eine Gesamtwürdigung hat das Schwurgericht vielmehr ausdrücklich vorgenommen. Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugeben, dass die Strafkammer dabei die für ihre Überzeugungsbildung maßgeblichen Beweisanzeichen weiter gehend oder noch detaillierter hätte erörtern können. Sie hat aber auch angesichts der von ihr nicht verkannten, den Angeklagten belastenden Umstände weder nahe liegende andere Deutungsmöglichkeiten außer Acht gelassen , noch bloße Schlussfolgerungen zur Begründung von Zweifeln an der Täterschaft des Angeklagten angeführt, für die es nach der Beweisaufnahme entweder keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt oder die als eher fernliegend zu betrachten sind. Auch die Gesamtwürdigung weist daher keinen Rechtsfehler auf.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1.
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,
2.
entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 3 nicht sicherstellt, dass eine Laboruntersuchung durchgeführt wird,
3.
entgegen § 8d Abs. 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 eine Gewebeentnahme, eine Gewebeabgabe, eine damit verbundene Maßnahme oder eine dort genannte Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
3a.
entgegen § 8d Absatz 3 Satz 2 einen Bericht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übermittelt,
4.
entgegen § 9 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder Satz 3 ein Organ entnimmt oder überträgt,
5.
entgegen § 9 Absatz 2 Satz 2 ein Organ überträgt, ohne dass die Entnahme des Organs durch die Koordinierungsstelle organisiert wurde,
6.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 4 nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig feststellt, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a Absatz 1 abgeschlossen ist oder die Bedingungen für den Transport nach § 10a Absatz 3 Satz 1 eingehalten sind,
7.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 5 die Organübertragung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
8.
entgegen § 10a Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Organ nur unter den dort genannten Voraussetzungen für eine Übertragung freigegeben wird,
9.
entgegen § 13a in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 nicht dafür sorgt, dass ein übertragenes Gewebe dokumentiert wird,
10.
entgegen § 13b Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 4 einen Qualitäts- oder Sicherheitsmangel oder eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig dokumentiert oder eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder
11.
einer Rechtsverordnung nach § 10a Absatz 4 Satz 1, § 13 Absatz 4 oder § 16a Satz 1 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 und 4 bis 11 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3a das Paul-Ehrlich-Institut.

(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für

1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation,
1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme,
3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1,
4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an
a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten,
b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten,
c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1,
6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und
7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
Die Einhaltung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft wird vermutet, wenn die Richtlinien der Bundesärztekammer beachtet worden sind.

(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.

(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Eine Handlung kann als Ordnungswidrigkeit nur geahndet werden, wenn die Möglichkeit der Ahndung gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1.
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,
2.
entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 3 nicht sicherstellt, dass eine Laboruntersuchung durchgeführt wird,
3.
entgegen § 8d Abs. 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 eine Gewebeentnahme, eine Gewebeabgabe, eine damit verbundene Maßnahme oder eine dort genannte Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
3a.
entgegen § 8d Absatz 3 Satz 2 einen Bericht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übermittelt,
4.
entgegen § 9 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder Satz 3 ein Organ entnimmt oder überträgt,
5.
entgegen § 9 Absatz 2 Satz 2 ein Organ überträgt, ohne dass die Entnahme des Organs durch die Koordinierungsstelle organisiert wurde,
6.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 4 nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig feststellt, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a Absatz 1 abgeschlossen ist oder die Bedingungen für den Transport nach § 10a Absatz 3 Satz 1 eingehalten sind,
7.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 5 die Organübertragung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
8.
entgegen § 10a Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Organ nur unter den dort genannten Voraussetzungen für eine Übertragung freigegeben wird,
9.
entgegen § 13a in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 nicht dafür sorgt, dass ein übertragenes Gewebe dokumentiert wird,
10.
entgegen § 13b Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 4 einen Qualitäts- oder Sicherheitsmangel oder eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig dokumentiert oder eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder
11.
einer Rechtsverordnung nach § 10a Absatz 4 Satz 1, § 13 Absatz 4 oder § 16a Satz 1 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 und 4 bis 11 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3a das Paul-Ehrlich-Institut.

(1) Die Entnahme von Organen bei verstorbenen Spendern darf nur in Entnahmekrankenhäusern nach § 9a durchgeführt werden.

(2) Die Übertragung von Organen verstorbener Spender sowie die Entnahme und Übertragung von Organen lebender Spender darf nur in Transplantationszentren nach § 10 vorgenommen werden. Sind Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen worden, ist ihre Übertragung nur zulässig, wenn die Organentnahme nach § 11 Absatz 4 Satz 5 durch die Koordinierungsstelle organisiert und unter Beachtung der weiteren Regelungen nach § 11 durchgeführt worden ist. Die Übertragung vermittlungspflichtiger Organe ist darüber hinaus nur zulässig, wenn die Organe durch die Vermittlungsstelle unter Beachtung der Regelungen nach § 12 Absatz 3 Satz 1 vermittelt worden sind.

(3) Die mögliche Entnahme und Übertragung eines Organs hat Vorrang vor der Entnahme von Geweben; sie darf nicht durch eine Gewebeentnahme beeinträchtigt werden. Die Entnahme von Geweben bei einem möglichen Spender von Organen nach § 9a Absatz 2 Nummer 1 ist erst dann zulässig, wenn eine von der Koordinierungsstelle beauftragte Person dokumentiert hat, dass die Entnahme oder Übertragung von Organen nicht möglich ist oder durch die Gewebeentnahme nicht beeinträchtigt wird.

(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig

1.
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht,
2.
entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 3 nicht sicherstellt, dass eine Laboruntersuchung durchgeführt wird,
3.
entgegen § 8d Abs. 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 eine Gewebeentnahme, eine Gewebeabgabe, eine damit verbundene Maßnahme oder eine dort genannte Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
3a.
entgegen § 8d Absatz 3 Satz 2 einen Bericht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übermittelt,
4.
entgegen § 9 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder Satz 3 ein Organ entnimmt oder überträgt,
5.
entgegen § 9 Absatz 2 Satz 2 ein Organ überträgt, ohne dass die Entnahme des Organs durch die Koordinierungsstelle organisiert wurde,
6.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 4 nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig feststellt, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a Absatz 1 abgeschlossen ist oder die Bedingungen für den Transport nach § 10a Absatz 3 Satz 1 eingehalten sind,
7.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 5 die Organübertragung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert,
8.
entgegen § 10a Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Organ nur unter den dort genannten Voraussetzungen für eine Übertragung freigegeben wird,
9.
entgegen § 13a in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 nicht dafür sorgt, dass ein übertragenes Gewebe dokumentiert wird,
10.
entgegen § 13b Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 4 einen Qualitäts- oder Sicherheitsmangel oder eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig dokumentiert oder eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder
11.
einer Rechtsverordnung nach § 10a Absatz 4 Satz 1, § 13 Absatz 4 oder § 16a Satz 1 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 und 4 bis 11 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.

(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3a das Paul-Ehrlich-Institut.

(1) Zur Vermittlung der vermittlungspflichtigen Organe errichten oder beauftragen der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft eine geeignete Einrichtung (Vermittlungsstelle). Sie muß auf Grund einer finanziell und organisatorisch eigenständigen Trägerschaft, der Zahl und Qualifikation ihrer Mitarbeiter, ihrer betrieblichen Organisation sowie ihrer sachlichen Ausstattung die Gewähr dafür bieten, daß die Organvermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes erfolgt. Soweit sie Organe vermittelt, die in Ländern entnommen werden, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, um die Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu übertragen, oder die im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen werden, um die Organe in Ländern zu übertragen, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, muss sie auch gewährleisten, dass die zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft durchgeführt und die Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen erfüllt werden, die den in diesem Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassener Rechtsverordnungen festgelegten Anforderungen gleichwertig sind, und dass eine lückenlose Rückverfolgung der Organe sichergestellt ist. Es dürfen nur Organe vermittelt werden, die im Einklang mit den am Ort der Entnahme geltenden Rechtsvorschriften entnommen worden sind, soweit deren Anwendung nicht zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, offensichtlich unvereinbar ist.

(2) Als Vermittlungsstelle kann auch eine geeignete Einrichtung beauftragt werden, die ihren Sitz außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat und die Organe im Rahmen eines internationalen Organaustausches unter Anwendung der Vorschriften dieses Gesetzes für die Organvermittlung vermittelt. Dabei ist sicherzustellen, daß die Vorschriften der §§ 14 und 15 sinngemäß Anwendung finden; eine angemessene Datenschutzaufsicht muß gewährleistet sein.

(3) Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln. Die Wartelisten der Transplantationszentren sind dabei als eine einheitliche Warteliste zu behandeln. Die Vermittlungsentscheidung ist für jedes Organ unter Angabe der Gründe zu dokumentieren und unter Verwendung der Kenn-Nummer dem Transplantationszentrum und der Koordinierungsstelle zu übermitteln, um eine lückenlose Rückverfolgung der Organe zu ermöglichen.

(4) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Vermittlungsstelle regeln durch Vertrag die Aufgaben der Vermittlungsstelle mit Wirkung für die Transplantationszentren. Der Vertrag regelt insbesondere

1.
die Art der von den Transplantationszentren nach § 13 Abs. 3 Satz 3 zu meldenden Angaben über die Patienten sowie die Verwendung dieser Angaben durch die Vermittlungsstelle in einheitlichen Wartelisten für die jeweiligen Arten der durchzuführenden Organübertragungen,
2.
die Erfassung der von der Koordinierungsstelle nach § 13 Abs. 1 Satz 4 gemeldeten Organe,
3.
die Vermittlung der Organe nach den Vorschriften des Absatzes 3 sowie Verfahren zur Einhaltung der Vorschriften des Absatzes 1 Satz 3 und 4,
3a.
für Organe, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum entnommen werden, um die Organe im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu übertragen, oder die im Geltungsbereich dieses Gesetzes entnommen werden, um diese Organe in diesen Staaten zu übertragen, die Anforderungen an die Vermittlung dieser Organe unter Einhaltung der Regelungen dieses Gesetzes und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen,
3b.
die Übermittlung von Daten an die Transplantationsregisterstelle nach § 15e bei Organen, die im Rahmen eines internationalen Austausches in den Geltungsbereich oder aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes vermittelt worden sind,
4.
die Überprüfung von Vermittlungsentscheidungen in regelmäßigen Abständen,
5.
die Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit der Koordinierungsstelle und den Transplantationszentren,
6.
eine regelmäßige Berichterstattung der Vermittlungsstelle an die anderen Vertragspartner,
7.
den Ersatz angemessener Aufwendungen der Vermittlungsstelle für die Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz,
8.
eine vertragliche Kündigungsmöglichkeit bei Vertragsverletzungen der Vermittlungsstelle.
Der Vertrag nach Satz 1 bedarf des Einvernehmens mit dem Verband der Privaten Krankenversicherung.

(5) Der Vertrag nach den Absätzen 1 und 4 sowie seine Änderung bedarf der Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit und ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Die Genehmigung ist zu erteilen, wenn der Vertrag oder seine Änderung den Vorschriften dieses Gesetzes und sonstigem Recht entspricht. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft überwachen die Einhaltung der Vertragsbestimmungen. Zur Erfüllung ihrer Verpflichtung nach Satz 3 setzen sie eine Kommission ein, die jeweils aus mindestens einem Vertreter des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Bundesärztekammer und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und zwei Vertretern der Länder zusammengesetzt ist. Die Vermittlungsstelle und die Transplantationszentren sind verpflichtet, der Kommission die erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Kommission ist verpflichtet, Erkenntnisse über Verstöße gegen dieses Gesetz und auf Grund dieses Gesetzes erlassene Rechtsverordnungen an die zuständigen Behörden der Länder weiterzuleiten. Das Nähere zur Zusammensetzung der Kommission, zur Arbeitsweise und zum Verfahren regelt der Vertrag nach Absatz 4.

(6) (weggefallen)