Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Mai 2019 - 4 StR 135/19

published on 07/05/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Mai 2019 - 4 StR 135/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 135/19
vom
7. Mai 2019
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2019:070519B4STR135.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Mai 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 10. Dezember 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die objektiven Feststellungen zur Anlasstat bleiben bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das sachverständig beratene Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der zuletzt am 1. März 2005 wegen einer am 24. September 2004 begangenen schweren räuberischen Erpressung verurteilte Beschuldigte leidet an einer bereits langjährig bestehenden und chronifizierten paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie sowie einem polyvalenten Suchtmittelmissbrauch. Am 16. Januar 2018 klingelte er an der Wohnungstür seiner Eltern. Als sein Vater öffnete, drückte er die Tür auf. In diesem Moment erlosch das Licht im Treppenhaus. Der Beschuldigte sah sich einer Person gegenüber und fühlte sich durch diese ohne konkreten Anlass bedroht. Er fasste den Entschluss, diese Person zu töten. In der Folge ergriff er mit einer Hand den Hals seines durch eine Krebserkrankung geschwächten Vaters, würgte ihn und drückte ihn gegen eine Wand. Als er von seiner hinzutretenden Mutter angeschrien wurde, löste er seinen Griff und ließ von dem Geschädigten ab. Dieser trug eine sichtbare Rötung am Hals davon, die sich bald zurückbildete. Es ist nicht auszuschließen, dass der Beschuldigte verkannt hat, dass es sich bei dem Geschädigten um seinen Vater handelte.
4
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB lägen vor. Der Beschuldigte sei zwar von dem Versuch des Totschlags zurückgetreten, habe aber eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen. Dabei handele es sich um eine erhebliche rechtswidrige Tat. Bei ihrer Begehung sei er aufgrund einer krankheitsbedingten floriden psychotischen Wahrnehmung nicht in der Lage gewesen, das Unrecht seines Tuns einzusehen. Auch seien von ihm infolge seines Zustands weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwar- ten, weil es vom Zufall abhänge, wen er situativ in sein Wahnsystem einbeziehe , Frustrationstoleranz bei ihm kaum vorhanden und er nicht in der Lage sei, Bedürfnisse zurückzustellen.

II.


5
Die Unterbringungsentscheidung nach § 63 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil die Gefahrenprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
1. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass von dem Täter infolge seines fortdauernden Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Täter infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12, Rn. 27; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 mwN). Der Umstand, dass ein Täter trotz bestehender Grunderkrankung in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann dabei ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten sein und ist deshalb regelmäßig zu erörtern (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2019 – 4 StR 419/18, Rn. 13; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit

27).


7
2. Daran gemessen erweisen sich die Erwägungen, mit denen das Landgericht seine Gefahrenprognose begründet hat, als lückenhaft. Denn die Strafkammer hätte sich dabei auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, welche Bedeutung dem Umstand zukommt, dass der Beschuldigte vor der Anlasstat letztmals am 24. September 2004 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Nach den Urteilsgründen besteht seine Psychose „bereits langjährig“ und ist „chronifiziert“ (UA 17). Dies spricht – obgleichder Beginn der Erkrankung nicht eindeutig festgestellt ist – dafür, dass es in der Vergangenheit bereits eine längere Phase gab, in der der Beschuldigte trotz bestehenden Defekts straffrei blieb. Der Umstand, dass er von der zuständigen Strafvollstreckungskammer bereits im Januar 2006 aus dem Vollzug der wegen der Tat vom 24. September 2004 angeordneten Maßregel nach § 64 StGB in den Vollzug der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus überwiesen wurde (vgl. § 67a Abs. 1 StGB aF), legt nahe, dass er schon zu diesem Zeitpunkt in einem Zustand war, in dem sich der Maßregelvollzug nach § 63 StGB als die besser geeignete Behandlungsart darstellte.

III.


8
Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehen bei der Anlasstat können bestehen bleiben. Der neue Tatrichter wird sich allerdings genauer als bisher zu der Frage zu verhalten haben, ob die Voraussetzungen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB erfüllt sind (vgl. zu Angriffen gegen den Hals BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 – 1 StR 344/16, Rn. 12; Beschluss vom 11. März 2014 – 5 StR 20/14, Rn. 3; Urteil vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ-RR 2013, 519, 520, Rn. 4; Urteil vom 20. März 2012 – 1 StR 648/11, NStZ-RR 2012, 215 f.; weitere Nachweise bei MünchKommStGB/Hardtung, 3. Aufl., § 224 Rn. 46). Dazu kann er ergänzende Feststellungen treffen, sofern diese nicht mit den aufrecht erhaltenen Feststellungen in Widerspruch stehen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet worden, so kann das Gericht die untergebrachte Person nachträglich in den Vollzug der anderen Maßregel überweisen, wenn ihre Resozialisierung dadurch besser gefördert werden kann.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 kann das Gericht nachträglich auch eine Person, gegen die Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, in den Vollzug einer der in Absatz 1 genannten Maßregeln überweisen. Die Möglichkeit einer nachträglichen Überweisung besteht, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen und die Überweisung zur Durchführung einer Heilbehandlung oder Entziehungskur angezeigt ist, auch bei einer Person, die sich noch im Strafvollzug befindet und deren Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten worden ist.

(3) Das Gericht kann eine Entscheidung nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass die Resozialisierung der untergebrachten Person dadurch besser gefördert werden kann. Eine Entscheidung nach Absatz 2 kann das Gericht ferner aufheben, wenn sich nachträglich ergibt, dass mit dem Vollzug der in Absatz 1 genannten Maßregeln kein Erfolg erzielt werden kann.

(4) Die Fristen für die Dauer der Unterbringung und die Überprüfung richten sich nach den Vorschriften, die für die im Urteil angeordnete Unterbringung gelten. Im Falle des Absatzes 2 Satz 2 hat das Gericht bis zum Beginn der Vollstreckung der Unterbringung jeweils spätestens vor Ablauf eines Jahres zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach Absatz 3 Satz 2 vorliegen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.