Landgericht München I Beschluss, 14. Nov. 2017 - 3 KLs 120 Js 203762/12
Tenor
1. Das Hauptverfahren wird nicht eröffnet.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
„1. Patientin K.
Die Patientin K. wurde am 22.12.2009 im Klinikum aufgenommen und am 23.11.2009 bei Eurotransplant gelistet, es wurde ihr die Eurotransplant-Nummer ... zugewiesen. Die Patientin lag auf der Station 2/3 der 2. Medizinischen Klinik und litt unter primärer biliärer Cholangitis (PBC). Noch am 14.01.2010 hatte die Patientin einen MELD-Score von 17.
Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt am 15.01.2010, zwischen 13.30 Uhr und 15.52 Uhr beauftragte der Angeschuldigte im Labor der Klinischen Chemie des Klinikums die Wertbestimmung einer Blutprobe, wobei er das Blutprobenröhrchen einer unbekannten dritten Person, das er zuvor bewusst wahrheitswidrig mit dem Aufkleber der Patientin K. versehen hatte, einreichte. In der Folge wurden die Blutwerte bestimmt und die für die Patientin K. nicht zutreffenden Blutwerte - dem Tatplan des Angeschuldigten entsprechend - in dem SAP-System des Klinikums unter dem Namen der Patientin K. erfasst. Die Laborauswertung ergab einen im Vergleich zum letzten Vorwert von 0,5 deutlich erhöhten Kreatinin-Wert von 3,5. Der Bilirubin-Wert war mit 14,6 (im Vergleich zum letzten Vorwert von 12,7) erhöht, auch der Kaliumwert war mit 6,4 erhöht. Aufgrund des festgestellten erhöhten Kaliumwertes erfolgte durch das Labor ein Anruf in der Station, um - wie in solchen Fällen üblich - auf die erhöhten Werte und die aus diesen zu folgende ggf. lebensbedrohliche Lage der Patientin hinzuweisen. Aufgrund der starken Differenz zu den bekannten Vorwerten der Patientin wurde, ebenso wie bei dem u.g. Patienten H., festgestellt, dass die Blutwerte für die Patientin K. nicht zutreffend sind. Der Anruf wurde auf der Station entgegengenommen, der Zeuge B. informierte daraufhin den Angeschuldigten hierüber. Der Angeschuldigte berief sich wahrheitswidrig auf das Vorliegen einer Verwechslung. Der Zeuge B. forderte den Angeschuldigten auf, die Werte im System löschen zu lassen und das Labor über die Probenverwechslung zu informieren.
Dieser Aufforderung kam der Angeschuldigte nicht nach. Vielmehr meldete der Angeschuldigte am Morgen des 16.01.2010 die, wie er wusste, für die Patientin K. nicht zutreffenden Werte an Eurotransplant. Hierdurch erreichte die Patientin K., wie vom Angeschuldigten beabsichtigt, einen MELD-Score von 33.
Infolge dieses erhöhten MELD-Scores erhielt die Patientin K., wie vom Angeschuldigten durch seine Manipulation beabsichtigt, am 17.10.2010 zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor 20.00 Uhr ein Organangebot von Eurotransplant. Das Spenderorgan wurde durch den Angeschuldigten - in Kenntnis sämtlicher vorgenannter Umstände - angenommen und der Patientin K. am 18.10.2010 transplantiert. Welcher weitere, der Patientin K. auf der Liste vorgehende, Patient hierdurch das Organ nicht erhielt, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
2. Patient H.
Der Patient H. wurde am 01.01.2010 im Klinikum aufgenommen. Er war bereits seit 2005 bei Eurotransplant gelistet und hatte der Eurotransplant-Nummer ... Der Patient lag auf der Station 2/3 der 2. Medizinischen Klinik und litt unter Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis C. Noch kurz zuvor hatte der Patient einen MELD-Score von max. 20.
Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt am 15.01.2010, zwischen 13.30 Uhr und 15.52 Uhr beauftragte der Angeschuldigte im Labor der Klinischen Chemie des Klinikums die Wertbestimmung einer Blutprobe, wobei er das Blutproben Röhrchen einer unbekannten dritten Person, das er zuvor bewusst wahrheitswidrig mit dem Aufkleber des Patienten H. versehen hatte, einreichte. Dabei handelte es sich, wie der Angeschuldigte wusste, um das gleiche Blut der unbekannten dritten Person wie bei der Patientin K. In der Folge wurden die Blutwerte bestimmt und die für den Patienten H. nicht zutreffenden Blutwerte - dem Tatplan des Angeschuldigten entsprechend - im SAP-System des Klinikums unter dem Namen des Patienten H erfasst. Die Laborauswertung ergab einen deutlich erhöhten Kalium-Wert von 6,6. Es erfolgte daraufhin durch das Labor ein Anruf in der Station, um - wie in solchen Fällen üblich - auf die erhöhten Werte und die aus diesen folgende ggf. lebensbedrohliche Lage des Patienten hinzuweisen. Aufgrund der starken Differenz zu den bekannten Vorwerten des Patienten wurde festgestellt, dass die Blutwerte für den Patienten H. nicht zutreffend sind, zudem wurde über eine Nachfrage bei dem Patienten festgestellt, dass diesem aktuell kein Blut abgenommen worden war, die Blutprobe also nicht von dem Patienten H stammen konnte. Der Anruf aus dem Labor wurde auf der Station 2/3 entgegengenommen, der Zeuge B. informierte daraufhin den Angeschuldigten hierüber. Der Angeschuldigte berief sich gegenüber dem Zeugen B. bewusst wahrheitswidrig auf das Vorliegen einer Verwechslung. Der Zeuge B. ließ die Werte des Patienten H. durch einen Anruf im Labor stornieren.
Dennoch meldete der Angeschuldigte am Morgen des 16.01.2010 die, wie er wusste, für den Patienten H. nicht zutreffenden Werte an Eurotransplant. Hierdurch erreichte der Patient H., wie vom Angeschuldigten beabsichtigt, einen MELD-Score von 34. Infolge dieses fälschlich erhöhten MELD-Scores erhielt der Patient am 18.01.2010, zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor ca. 12 Uhr, ein Organangebot von Eurotransplant. Dieses wurde jedoch, entgegen dem Tatplan des Angeschuldigten und erst nachdem durch den Zeugen U. festgestellt wurde, dass das Organangebot auf den falschen Werten basierte und dieser daher die Ablehnung des Organs forderte, vom Angeschuldigten zwangsläufig abgelehnt und der Patient H. daher nicht transplantiert. Das Organ konnte entgegen dem Willen des Angeschuldigten dem nächsten ordnungsgemäß gelisteten Patienten nach den Eurotransplant-Vorgaben zugeteilt werden.
3. Patient R.
Der Patient R. wurde am 22.12.2009 im Klinikum aufgenommen, er war bereits seit 10.11.2009 bei Eurotransplant gemeldet und hatte die Eurotransplant-Nummer ... Der Patient lag auf der Intensivmedizinischen Station IS/2 und litt unter Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis C. Am 23.12.2010 [gemeint: 2009] hatte der Patient einen MELD-Score von 28.
Im Zeitraum zwischen dem 23.12.2009 und dem 05.01.2010 manipulierte der Angeschuldigte die Daten des Patienten R. in folgender Weise, um eine Erhöhung des MELD-Score des Patienten und somit ein zeitnahes Organangebot zu erreichen: Zu nicht genau bestimmbaren Zeitpunkten am 24.12.2009 und am 27.12.2009 beauftragte der Angeschuldigte zwei mal im Labor der Klinischen Chemie des Klinikums die Wertbestimmung von Blutproben, die jeweils zuvor, wie der Angeschuldigte wusste, mittels Beimischung von Urin verfälscht worden waren. In der Folge wurden die Blutwerte bestimmt, aufgrund der Beimischung des Urins ergab sich jeweils ein deutlich erhöhter Wert von Kalium und Kreatinin. Diese Werte meldete der Angeschuldigte in der Folge jeweils an Eurotransplant, wodurch, wie vom Angeschuldigten beabsichtigt, eine fälschliche Erhöhung des MELD-Score auf 38 erfolgte.
Weiter meldete der Angeschuldigte am 29.12.2009 um 03.09 Uhr und zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt am 05.01.2010 unter der Kennung der Zeugin Be. die Durchführung von Dialysen bei dem Patienten R. an Eurotransplant, obwohl - wie der Angeschuldigte wusste - diese Dialysen weder durchgeführt worden waren noch klinisch veranlasst gewesen wären. Durch diese falschen Dialysemeldungen erhöhte sich der MELD-Score des Patienten R. wiederum, so dass der Patient R. - wie vom Angeschuldigten beabsichtigt - am 05.01.2010 bei einem MELD-Score von 40 ein Organangebot erhielt. Das Organangebot wurde angenommen und der Patient R. am 05.10.2010 durch den Angeschuldigten und den Zeugen Prof. F. transplantiert. Welcher weitere, dem Patienten R. auf der Liste vorgehende, Patient hierdruch das Organ nicht erhielt, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.“
„Diese Umstände können bei der Interpretation des § 212 StGB nicht außer Acht bleiben. Zwar trifft es zu, dass das vorsätzliche Tötungsdelikt des § 212 Abs. 1 StGB (ebenso wie das vorsätzliche Körperverletzungsdelikt nach § 223 StGB) keine spezielle Form der Tatbegehung voraussetzt (vgl. Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 239; Bülte, aaO, S. 753). Da die "Alkoholkarenzklausel" keinem medizinisch-naturwissenschaftlichen Erfahrungssatz entspringt, wonach die Lebertransplantation bei alkoholinduzierter Zirrhose vor Ablauf von exakt sechs Monaten Alkoholabstinenz medizinisch nicht sinnvoll ist […], könnte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte vorliegend nur mit der formalen Verletzung der Richtlinien begründet werden. Es kann aber nicht in Betracht kommen, im Wege der Auslegung der §§ 212, 223 StGB eine allein an den Formalverstoß anknüpfende Bewehrung der - nach den vorbezeichneten Grundsätzen nicht strafrechtlich bewehrbaren - Richtlinienbestimmung herbeizuführen und insbesondere den Totschlagstatbestand hierdurch bei sehr hohen Strafdrohungen gleichsam als durch die Richtlinienbestimmung ausgefülltes Blankett auszugestalten (vgl. auch Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539). Eine Auslegung in diesem Sinne würde Art. 103 Abs. 2 GG verletzen.“
– er bei Vornahme der Tathandlungen Kenntnis von den vorerwähnten tatsächlichen Grundlagen des Transplantationsverfahrens (jedenfalls im Wesentlichen) hatte,
– er aufgrund dieser Kenntnisse - schon wegen des Risikos, dass der Organempfänger unmittelbar bei der Transplantation verstirbt - davon ausging, dass eine nicht gänzlich unerhebliche Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass die Manipulationshandlungen ohne tatsächliche Auswirkungen auf die Lebenschancen oder das Fortbestehen von Leiden bei übergangen Patienten bleiben würden,
– und er ernstlich darauf vertraute, dass dies auch tatsächlich der Fall sein werde.
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(1) Die Bundesärztekammer stellt den Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft in Richtlinien fest für
- 1.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der dazu jeweils erforderlichen ärztlichen Qualifikation, - 1a.
die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, - 2.
die Regeln zur Aufnahme in die Warteliste nach § 10 Abs. 2 Nr. 2 einschließlich der Dokumentation der Gründe für die Aufnahme oder die Ablehnung der Aufnahme, - 3.
die ärztliche Beurteilung nach § 9a Absatz 2 Nummer 1, - 4.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme zum Schutz der Organempfänger erforderlichen Maßnahmen einschließlich ihrer Dokumentation ergänzend zu der Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a, insbesondere an - a)
die Untersuchung des Organspenders, der entnommenen Organe und der Organempfänger, um die gesundheitlichen Risiken für die Organempfänger, insbesondere das Risiko der Übertragung von Krankheiten, so gering wie möglich zu halten, - b)
die Konservierung, Aufbereitung, Aufbewahrung und Beförderung der Organe, um diese in einer zur Übertragung oder zur weiteren Aufbereitung und Aufbewahrung vor einer Übertragung geeigneten Beschaffenheit zu erhalten, - c)
die Erkennung und Behandlung von Vorfällen bei einer Lebendorganspende, die mit der Qualität und Sicherheit des gespendeten Organs zusammenhängen können, oder von schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen beim lebenden Spender, die im Rahmen seiner Nachbetreuung festgestellt werden,
- 5.
die Regeln zur Organvermittlung nach § 12 Abs. 3 Satz 1, - 6.
die Anforderungen an die im Zusammenhang mit einer Organentnahme und -übertragung erforderlichen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und - 7.
die Anforderungen an die Aufzeichnung der Lebendorganspenden nach § 10 Absatz 2 Nummer 6.
(2) Die Bundesärztekammer legt das Verfahren für die Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 und für die Beschlussfassung fest. Die Richtlinien nach Absatz 1 sind zu begründen; dabei ist insbesondere die Feststellung des Standes der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft nachvollziehbar darzulegen. Bei der Erarbeitung der Richtlinien ist die angemessene Beteiligung von Sachverständigen der betroffenen Fach- und Verkehrskreise‚ einschließlich des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft, der Deutschen Transplantationsgesellschaft, der Koordinierungsstelle nach § 11, der Vermittlungsstelle nach § 12 und der zuständigen Behörden der Länder vorzusehen. Darüber hinaus sollen bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 1a und 5 Ärzte, die weder an der Entnahme noch an der Übertragung von Organen beteiligt sind, noch Weisungen eines Arztes unterstehen, der an solchen Maßnahmen beteiligt ist, bei der Erarbeitung der Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 und 5 Personen mit der Befähigung zum Richteramt und Personen aus dem Kreis der Patienten, bei der Erarbeitung von Richtlinien nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 ferner Personen aus dem Kreis der Angehörigen von Organspendern nach § 3 oder § 4 angemessen vertreten sein.
(3) Die Richtlinien nach Absatz 1 sowie deren Änderungen sind dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorzulegen. Das Bundesministerium für Gesundheit kann von der Bundesärztekammer im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.
(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Februar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch als beisitzende Richter, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger für die Angeklagte R. , Rechtsanwälte als Verteidiger für den Angeklagten Ra. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten S. , Rechtsanwalt für die Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten des Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag durch Unterlassen schuldig gesprochen und wie folgt verurteilt: die Angeklagte R. zu einer Jugendstrafe von neun Jahren ; den Angeklagten Ra. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren; den Angeklagten C. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren; den Angeklagten S. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten sowie den Angeklagten K. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen der Angeklagten wenden sich mit verfahrensrechtlichen Bean- standungen und der Sachrüge gegen ihre Verurteilungen. Alle Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, die Revision der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO); die von den Angeklagten geltend gemachten Verfahrensbeanstandungen sind deshalb nicht entscheidungserheblich.
- 2
- Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beabsichtigten die Angeklagten, das Opfer, einen zum Tatzeitpunkt 81 Jahre alten alleinstehenden Mann, in dessen Wohnhaus zu überfallen, um insbesondere aus dem in dem Anwesen befindlichen Tresor Wertgegenstände zu entwenden. Sie vereinbarten , dass zunächst die Angeklagten C. und S. das Wohnhaus betreten und das Opfer festhalten bzw. fesseln sowie ihm den Tresorschlüssel abnehmen sollten. C. sollte das Opfer auch "boxen" und ihn bewachen. Die Angeklagten R. , K. und Ra. sollten nachrücken und die erwarteten Wertgegenstände aus dem Tresor holen. Der Erlös sollte unter allen Angeklagten aufgeteilt werden. Die Angeklagten fuhren mit einem PKW in die Nähe des Wohnhauses; Ra. hatte zuvor das erforderliche Benzin bezahlt. R. ermittelte, dass das Opfer anwesend war. Daraufhin näherten sich die Angeklagten dem Wohnhaus. C. und S. drangen durch die geöffnete Eingangstür in den Flur ein. C. brachte das Opfer dort bäuchlings zu Boden und schlug auf dieses ein. S. schloss die Eingangstür und ließ die Rollläden des Küchenfensters herunter. R. , Ra. und K. warteten vor der Eingangstür und konnten dort die Schläge gegen das Opfer und dessen Stöhnen hören. Kurze Zeit später öffnete S. die Haustür und R. trat ein. Zu diesem Zeitpunkt kniete C. auf dem Rücken des Opfers, dem er einen Schal vor den Mund gespannt hatte, zog an den Enden des Schals und überstreckte damit den Kopf des Opfers nach hinten. S. durchsuchte das Obergeschoss des Gebäudes, wohin sich ebenfalls R. mit dem zwischenzeitlich erlangten Tresorschlüssel be- gab. Unmittelbar danach betrat auch K. das Haus. Demgegenüber drehte Ra. vor der Eingangstür um und lief zu dem Fahrzeug zurück, da ihm Bedenken in Bezug auf die Tat gekommen waren und er mit dieser nichts mehr zu tun haben wollte. Als K. das Gebäude betrat, schlug C. auf Kopf und Oberkörper des Opfers ein. Auch K. schlug mit den Fäusten zu und trat dem Opfer in die Seite. Sodann begab er sich in das Obergeschoss und durchsuchte mit S. und R. die dortigen Räume sowie den mittlerweile geöffneten Tresor. Dort befanden sich jedoch wider Erwarten keine Wertgegenstände. K. übergab dem S. eine zufällig aufgefundene Packung Zigaretten, die dieser einsteckte, und kehrte in das Erdgeschoss zurück. Dort hielt C. das Opfer mit einem Arm in einem Würgegriff und schlug mit der freien Faust auf dieses ein. R. gab dem Geschädigten nach ihrer Rückkehr in das Erdgeschoss mittels eines von ihr mitgeführten Elektroschockgerätes mehrere Stromschläge ins Gesicht. S. schlug nach seiner Rückkehr aus dem Obergeschoss ebenfalls mindestens einmal mit der Faust auf das Opfer ein. Dieses stöhnte nunmehr nur noch leise. Entweder C. oder K. nahm die Armbanduhr des Opfers an sich. Durch die Einwirkungen auf das Opfer entstanden im Flur, am Kücheneingang und am Treppenaufgang des Erdgeschosses erhebliche Blutspuren. Sodann verließen R. , S. , K. und C. gemeinsam das Wohnhaus, wobei K. den blutverschmierten Schal mitnahm. Das Opfer lag zu diesem Zeitpunkt regungslos - offensichtlich schwer verletzt, möglicherweise auch bereits tot - auf dem Fußboden des Flurs. Während der Vornahme der Verletzungshandlungen hielten alle Angeklagten es "durchaus für möglich", dass das hochbetagte Opfer durch den Einsatz der erheblichen körperlichen Gewalt zu Tode kommen könnte. Die Strafkammer hat jedoch nicht feststellen können, dass sie den Tod des Opfers billigend in Kauf nahmen.
- 3
- Sodann rannten R. , S. , K. und C. zu dem abgestellten PKW, in dem Ra. auf dem Fahrersitz saß und auf sie wartete. Dieser steuerte sodann das Fahrzeug, mit dem die Angeklagten fluchtartig den Tatort verließen. Sie bewerteten den Raubüberfall als misslungen. Ra. wurde berichtet, dass C. , K. und S. das Opfer geschlagen hatten und R. diesem mehrfach ein Elektroschockgerät an den Hals gehalten hatte. C. war ob einer möglichen Tötung des Opfers schockiert und äußerte: "Was habe ich da getan? Aber diesem Mann ist nix passiert, ne? Ist der Mann noch am Leben, ne?" Zudem berichtete er den anderen Angeklagten , er komme damit nicht klar, wenn das Opfer tot sein sollte. Daraufhin entgegnete R. auf Deutsch: "Ach nein, der war noch am Leben." Zu Ra. sagte sie hingegen auf Romani: "Ich glaub, der war tot." Die Angeklagten warfen bei der Tat getragene, blutverschmierte Kleidung und das Elektroschockgerät aus dem Fenster. Spätestens ab Verlassen des Hauses war C. , R. , K. und S. klar, dass das Opfer aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen ohne unverzügliche medizinische Hilfe versterben würde. Ra. war dies nach den Erzählungen der Mitangeklagten ebenfalls bewusst. Gleichwohl verständigte niemand den Rettungsdienst oder leitete ähnliche Maßnahmen ein, obwohl dies möglich gewesen wäre.
- 4
- Das Opfer wurde unmittelbar nach der Tat durch Zeugen entdeckt und nach Durchführung von Reanimationsmaßnahmen in ein Krankenhaus eingeliefert , wo sein Tod festgestellt wurde. Todesursächlich war eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Hals, entweder in Form des Würgegriffs oder des Überstreckens des Kopfes nach hinten, die u.a. eine Fraktur des 6. Halswirbelkörpers bewirkte und zum Ersticken führte.
- 5
- I. Revision der Staatsanwaltschaft
- 6
- Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
- 7
- 1. Die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite während des Geschehens in dem Wohnhaus sind nicht einheitlich; sie tragen bereits deshalb die Ablehnung des Tötungsvorsatzes nicht.
- 8
- In den Feststellungen hat die Strafkammer ausgeführt, alle Angeklagten hätten es für möglich gehalten, dass das Opfer durch den Einsatz der erheblichen körperlichen Gewalt zu Tode kommen könnte, dies aber nicht billigend in Kauf genommen. Ähnliche Formulierungen hat sie in der rechtlichen Würdigung gebraucht. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sie demgegenüber dargelegt, die Angeklagten hätten erst nach Abschluss der letzten Handlung erkannt, dass diese und gegebenenfalls die davor vorgenommenen zum Tode des Opfers führen könnten. Aufgrund dieser unterschiedlichen Formulierungen ist den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen , für welchen Zeitpunkt das Landgericht angenommen hat, die Angeklagten hätten den Eintritt des Todes des Opfers als möglich angesehen.
- 9
- 2. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz der Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft. Im Einzelnen:
- 10
- a) Die unterschiedlichen Feststellungen zum Tötungsvorsatz der Angeklagten R. , C. , K. und S. für die Zeit bis zum Verlassen des Hauses und für die Zeit danach werden durch die Beweiswürdigung nicht getragen.
- 11
- aa) Die in den Feststellungen gebrauchten Formulierungen weisen die Annahme des Landgerichts aus, die Angeklagten hätten bis zum Verlassen des Hauses nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, da das insoweit notwendige Willenselement nicht habe festgestellt werden können. Die Angeklagten hätten es zwar für möglich gehalten, dass das Opfer aufgrund der Gewalteinwirkungen verstirbt; sie hätten dies jedoch nicht billigend in Kauf genommen. Dies ergebe sich insbesondere aus Art und Intensität der Körperverletzungshandlungen , die keine derart gefährlichen Handlungen darstellten, bei denen regelmäßig mit dem Tod des Opfers gerechnet werden müsse. Daneben sprächen auch die Äußerungen der Angeklagten während der Rückfahrt gegen einen Tötungsvorsatz zum Zeitpunkt der Vornahme der Verletzungshandlungen. Demgegenüber hat die Strafkammer für die Zeit nach dem Verlassen des Hauses festgestellt, dass allen Angeklagten klar war - sie mithin wussten -, dass das Opfer aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen ohne unverzügliche medizinische Hilfe versterben würde und somit einen dolus directus 2. Grades (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 15 Rn. 7) angenommen. Dies folge daraus, dass C. , S. , K. und R. in dem Wohnhaus anwesend gewesen seien und den Zustand des Opfers unmittelbar beobachtet hätten, sowie aus den Gesprächen, welche die Angeklagten nach dem Überfall in dem Kraftfahrzeug führten.
- 12
- bb) Diese Ausführungen tragen die unterschiedlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht.
- 13
- (1) Soweit das Landgericht für den ersten Handlungsabschnitt den bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, gilt:
- 14
- (1.1) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann das Tatgericht auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Gleichermaßen allein Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Diese Grundsätze gelten auch bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes. Dort ist es - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f.; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45 /13, NStZ 2013, 581, 582 f.; vgl. aus neuerer Zeit BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 344/16, juris Rn. 18 jew. mwN), wobei freilich etwa keine Widersprüche zu Tage treten dürfen.
- 15
- (1.2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar - im Ansatz zutreffend - im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau bei der Prüfung des Vorsatzes während des Geschehens in dem Anwesen auch die Äußerungen der Angeklagten während der Flucht in den Blick genommen. Es hat jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, wieso es bei insoweit gleicher Beweisgrundlage zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt ist. Die Tatsachenbasis - das Geschehen in dem Haus - und die Kenntnis der Angeklagten hiervon änderten sich nicht, nachdem diese das Anwesen verlassen hatten; die an dem Opfer verübten Gewalthandlungen dauerten an, bis die Angeklagten aus dem Haus gingen. Der Inhalt der in dem Kraftfahrzeug geführten Gespräche gibt im Wesentlichen ihren Eindruck von dem bisherigen objektiven Tatgeschehen und ihre subjektive Einstellung hierzu wieder. Es ist deshalb durchgreifend widersprüchlich anzunehmen , die Angeklagten hätten während des Geschehens in dem Haus den Tod des Opfers als Folge der Gewalthandlungen lediglich für möglich gehalten, aber nicht billigend in Kauf genommen, während der Fahrt in dem PKW jedoch um den möglichen Todeseintritt gewusst. Dieser in dem Wechsel bei der Bewertung des subjektiven Tatbestands liegende Widerspruch wird in den Urteilsgründen an keiner Stelle, weder in den Feststellungen, noch in den Ausführungen zur Beweiswürdigung oder denjenigen zur rechtlichen Bewertung des Geschehens , aufgelöst. Auf die weiteren Einwendungen der Revision und des Generalbundesanwalts gegen die Bewertung der sonstigen Indizien durch die Strafkammer kommt es somit nicht mehr an.
- 16
- (2) Aus dem dargestellten Rechtsfehler folgt auch, dass das Urteil nicht bestehen bleiben kann, soweit das Landgericht für den zweiten Handlungsabschnitt einen Tötungsvorsatz der Angeklagten in Form des dolus directus 2. Grades angenommen hat. Insoweit weist die Beweiswürdigung denselben, unaufgelösten Widerspruch auf. Es erklärt sich nicht, wieso das Landgericht auf derselben Tatsachengrundlage, die für die Bewertung des Geschehens in dem Anwesen vorliegt, nunmehr für den Zeitraum während der Flucht zu anderen, den Angeklagten nachteiligen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand gelangt ist. Durch diesen Rechtsfehler sind die Angeklagten beschwert; die Revision der Staatsanwaltschaft wirkt insofern zu ihren Gunsten (§ 301 StPO).
- 17
- b) Hinsichtlich des Angeklagten Ra. hat das Landgericht den Tötungsvorsatz für den Zeitraum bis zum Verlassen des Hauses durch die übrigen Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint. Der insoweit bezüglich der anderen Angeklagten aufgezeigte Rechtsfehler betrifft den Angeklagten Ra. nicht. Dieser betrat das Wohnhaus nicht und erlangte von den dortigen Vorgängen erst im Nachhinein Kenntnis. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Angeklagten bei der Planung der Tat vor Betreten des Gebäudes keinen Tötungsvorsatz gefasst hatten, wird ein Rechtsfehler weder von der Revision geltend gemacht, noch ist er sonst ersichtlich.
- 18
- Den Angeklagten Ra. betrifft gleichwohl der sich zu seinen Lasten auswirkende Rechtsfehler in der Beweiswürdigung zu dem Tötungsvorsatz während der Flucht in gleicher Weise wie die anderen Angeklagten (§ 301 StPO). Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte Ra. durch die übrigen Angeklagten über das Geschehen in dem Haus informiert. Aufgrund dessen hat die Strafkammer bei der Bewertung der für die subjektive Tatseite bedeutsamen Indizien zwischen den Angeklagten nicht weiter differenziert und eine gemeinsame Bewertung vorgenommen. Ihre Ausführungen können deshalb nicht aufgespalten werden in einen Teil, der lediglich die Angeklagten R. , C. , K. und S. betrifft und einen weiteren, hiervon unabhängigen Teil, der lediglich den Angeklagten Ra. erfasst; sie sind insoweit vielmehr insgesamt rechtsfehlerhaft.
- 19
- 3. Ein weiterer, sich zu Gunsten aller Angeklagten auswirkender Rechtsfehler liegt darin, dass die Strafkammer hinsichtlich der von ihr angenommenen versuchten Tötung durch Unterlassen das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht erörtert hat. Hierzu wäre sie auf der Grundlage der von ihr getroffenen Feststellungen gehalten gewesen. Danach lag es nahe, dass die Angeklagten ihnen mögliche und zumutbare Rettungsbemühungen, etwa in Form der Benachrichtigung eines Rettungsdienstes, deshalb nicht vornahmen, weil sie das Risiko einer Überführung vermeiden wollten.
- 20
- II. Revisionen der Angeklagten
- 21
- Die Rechtsmittel aller Angeklagten haben mit der Sachrüge aufgrund des dargelegten, sich zu ihren Lasten auswirkenden Beweiswürdigungsfehlers zum Vorliegen des Tötungsvorsatzes während der Flucht vom Tatort Erfolg.
- 22
- III. Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung aller Feststellungen , auch derjenigen, die zum objektiven Tatgeschehen getroffen worden sind. Diese sind in der vorliegenden Fallkonstellation eng mit denjenigen zur subjektiven Tatseite verknüpft. Dem neuen Tatgericht ist es deshalb zu ermöglichen , insgesamt einheitliche, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Die Sache muss somit insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
- 23
- IV. Es besteht entgegen der Auffassung der Verteidigung kein Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen. Allein die Größe des Landgerichts Krefeld und das öffentliche Interesse an dem Verfahren begründen nicht die Besorgnis, eine andere Strafkammer dieses Landgerichts könne das Verfahren nicht in sachgerechter Weise bewältigen.
- 24
- V. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
- 25
- 1. Sollte auch das neue Tatgericht Schlüsse aus dem serologischen und DNA-analytischen Gutachten des Hessischen Landeskriminalamts vom 21. September 2015 ziehen wollen (vgl. UA 78), wird es bei der Darstellung der Ergebnisse die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, juris Rn. 10; Beschluss vom 12. April 2016 - 4 StR 18/16, juris Rn. 4; Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 491 f.; Beschluss vom 19. Januar 2016 - 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212,
217).
- 26
- 2. Zu dem Verhältnis der beiden Sachverhaltsabschnitte zueinander hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: "Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird insoweit allerdings zu bedenken haben, dass die strafrechtliche Würdigung des Unterlassens von Rettungsbemühungen seitens der Angeklagten im Anschluss an den verübten Überfall nicht unabhängig von der neu vorzunehmenden tatrichterlichen Bewertung des Überfalls selbst erfolgen kann. Sollte der neue Tatrichter bei allen oder zumindest bei einzelnen Angeklagten zur Feststellung eines bei der Vornahme der Verletzungshandlungen bestehenden Tötungsvorsatzes gelangen…, wäre insoweit für eine Strafbarkeit wegen versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kein Raum mehr. Dabei kann offenbleiben, ob in dieser Fallkonstellation bereits keine Pflicht zur Erfolgsabwendung besteht oder es sich bei dem Verhältnis von Begehungs- zum nachfolgenden Unterlassungsunrecht um eine Konkurrenzfrage handelt. Jedenfalls würde es dann an der Verdeckung einer anderen Tat fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2016 - 4 StR 563/15 m.w.N.)."
- 27
- 3. Das neue Tatgericht wird bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite gegebenenfalls die unterschiedliche Art und Intensität der Beteiligung der einzelnen Angeklagten an dem objektiven Tatgeschehen in den Blick zu nehmen haben.
- 28
- 4. Die Rüge, die polizeilichen Einlassungen der Angeklagten unterlägen einem Verwertungsverbot nach § 136a StPO, bewertet der Senat vorläufig wie folgt: Eine die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall treffende Verpflichtung , einen richterlichen Haftbefehl zu beantragen, ohne die Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahmen abzuwarten, die am 28. und 29. Januar 2015 durchgeführt wurden, ergibt sich weder aus der Strafprozessordnung, noch aus der Verfassung oder der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es ist nicht als sachwidrig zu beurteilen, dass die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung , einen Haftbefehl zu beantragen, erst trafen, nachdem die Angeklagten Gelegenheit gehabt hatten, sich zur Sache einzulassen; eine bewusste Umgehung des Richtervorbehalts ist deshalb nicht ersichtlich. Im Übrigen bedeutet die aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO folgende Pflicht, den Festgenommenen unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme einem Richter vorzuführen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, juris Rn. 22 mwN). Ein derartiger sachlicher Grund ist jedenfalls in der Regel u.a. dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte sich nach seiner Festnahme durch die Polizei bei dieser nach ordnungsgemäßer Belehrung zu seiner Person und zur Sache einlässt; denn hieraus können sich sowohl für den dringenden Tatverdacht als auch für die Frage, ob ein Haftgrund anzunehmen ist, wesentliche, dem Festgenommenen unter Umständen günstige Gesichtspunkte ergeben, die bei den Entscheidungen über die Beantragung und Anordnung der Untersuchungshaft zu berücksichtigen sind (vgl. im Übrigen schon BGH, Urteil vom 17. November 1989 - 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Es begründet auch regelmäßig keinen Verstoß gegen Art. 104 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn dem einlassungsbereiten Festgenommenen vor der Vorführung beim Richter Angaben von Mitbeschuldigten vorgehalten werden. Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Januar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Dr. Mutzbauer,
Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger, Richter Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung (Fall 1 der Anklage) und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr, mit versuchter Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel und mit Sachbeschädigung (Fall 2 der Anklage) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Des Weiteren hat es (auf Grundlage der Verurteilung im Fall 2 der Anklage) dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen , seinen Führerschein eingezogen, eine Sperre für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass der Angeklagte im Fall 1 der Anklage nur wegen schwerer Brandstiftung verurteilt worden ist. Sie erstrebt mit ihrer insoweit beschränkten, zuungunsten des Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verurteilung wegen besonders schwerer Brandstiftung und wegen tateinheitlich begangenen versuchten Mordes. Das Rechtsmittel bleibt erfolglos.
I.
1. Das Landgericht hat zu Fall 1 der Anklage folgende Feststellungen ge2 troffen:
- 3
- Aufgrund des Verlustes seines Arbeitsplatzes Ende Juli 2015 und vergeblicher Bemühungen um eine neue Arbeitsstelle verlor der Angeklagte allmählich sein Selbstwertgefühl und seine Lebensenergie. Er zog sich zurück und geriet in einen Zustand sich steigernder Depressivität, den er mit Alkoholkonsum zu bewältigen suchte. Bei sich verschlechternder Stimmungslage und „damit verbundener eingeschränkter psychosozialer Funktionsfähigkeit“ wuchs in ihm die Idee, sich zu töten und zuvor seinen persönlichen Lebensraum zu vernichten. Er stellte sich vor, seine Wohnung mit seinen persönlichen Gegenständen „abzufackeln“, wie er bereits im Jahr 2005 nach einer Auseinandersetzung mit seinem damaligen Arbeitgeber einen „Haufen persönlicher Dinge“ in seiner damaligen Betriebsunterkunft in Brand gesetzt hatte; zu einem Strafverfahren war es seinerzeit nicht gekommen.
- 4
- In Umsetzung seines Plans erwarb der Angeklagte 20 Liter Benzin, die er in einem Kanister im Kofferraum seines Pkw‘s lagerte. Im weiteren Tagesverlauf trank er in seiner Wohnung größere Mengen Alkohol und schlief ein. Als er am Abend erwachte, begann er erneut, über eine Sinnlosigkeit des Lebens zu grübeln. Er entschloss sich, seinen Plan zur Inbrandsetzung seiner im Erdgeschoss eines zweigeschossigen Wohnhauses gelegenen Wohnung und zur anschließenden Selbsttötung zu realisieren. Zu diesem Zeitpunkt und auch später bei der Tatbegehung, war er aufgrund seiner psychischen Verfassung und der sie verstärkenden Wirkung des Alkohols (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit 1,07 ‰) in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
- 5
- Er holte den Benzinkanister. Weil er aus der Nachbarwohnung im Erdgeschoss die Geräusche eines laufenden Fernsehgeräts hörte, wartete er das Abschalten des Geräts ab. Er wollte sicher sein, dass sein Nachbar eingeschlafen war, weil er fürchtete, dass es bei einem zu schnellen Herbeirufen der Feuerwehr durch diesen nicht mehr zum vollständigen Ausbrennen seiner Wohnung kommen werde. Dagegen machte er sich keine Gedanken darüber, dass als Folge seiner Brandlegung der Hausnachbar oder Erdgeschossbewohner des unmittelbar („Wand-an-Wand“) angrenzenden Nachbarhauses körperlich zu Schaden oder gar zu Tode kommen könnte.
- 6
- Er stapelte Kleidungsstücke und sonstigen brennbaren Inhalt seiner Schränke auf einer Couch und kippte den Inhalt des Benzinkanisters darüber aus. Gegen 2:30 Uhr zündete er die benzingetränkte Couch an und verließ das Haus. Wie von ihm erwartet brannte seine Wohnung samt Inventar aus. Über das Treppenhaus verbreitete sich das Feuer in das obere Dachgeschoss und setzte den Dachstuhl in Brand. Von dort griff es auf den Dachstuhl des zweigeschossigen Nachbarhauses über, bevor die Feuerwehr den Brand unter Kontrolle bringen und löschen konnte.
- 7
- bewohnt. Aufgrund der mit der Brandausbreitung verbundenen Geräusche wurden sowohl der noch wach im Bett liegende Wohnungsnachbar als auch eine im Erdgeschoss des Nachbarhauses schlafende Anwohnerin aufgeschreckt, die dort mit ihrer betagten und schwerbehinderten Mutter wohnte. Deswegen konnten alle Bewohner der beiden Häuser ihre Wohnungen, teilweise über einen weiteren zur Hofseite gelegenen Ausgang, rechtzeitig verlassen und sich in Sicherheit bringen.
- 8
- Der Angeklagte fuhr nach der Brandlegung in seinem Pkw umher. Nachdem er sich vom Erfolg der Inbrandsetzung seiner Wohnung überzeugt hatte, wollte er nunmehr seinem Leben ein Ende setzen. Hierzu wollte er – was den Gegenstand der in Rechtskraft erwachsenen Verurteilung im Fall 2 der Anklage bildet – einen Frontalzusammenstoß mit einem anderen Fahrzeug herbeiführen. Als er ein ihm mit eingeschaltetem Sondersignal entgegenkommendes Polizeifahrzeug bemerkte, steuerte er seinen Pkw auf die Gegenfahrbahn. Die Kollision konnte jedoch durch eine geistesgegenwärtige Reaktion des Polizeibeamten gerade noch verhindert werden.
- 9
- 2. Die Schwurgerichtskammer hat in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen angenommen, der Angeklagte habe sich zur Tatzeit in einer durch zunehmende Angst, Depression, Anspannung und Gekränktheit gekennzeichneten besonderen psychischen Lage befunden. Diese habe zu einer kognitiv-emotionalen Einengung geführt und in Verbindung mit der enthemmenden Wirkung des Alkohols einen Zustand verminderter Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet.
- 10
- Sie hat das Verhalten des Angeklagten als schwere Brandstiftung (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB) gewertet. Der Tatbestand des § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB sei nicht erfüllt, weil keine konkrete Gefahr für das Leben eines anderen Menschen bestanden habe.
- 11
- hat das Landgericht verneint, weil nicht sicher feststellbar gewesen sei, dass der Angeklagte in dem Bewusstsein gehandelt habe, Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung oder des Todes zu bringen. Zwar müsse ein Täter, der unter Verwendung einer großen Menge Brandbeschleuniger seine in einem Mehrfamilienhaus liegende Wohnung in Brand setze, „unter normalen Umständen“ davon ausgehen, dass das Feuer auf andere Teile des Hauses übergreife und dort wohnende Menschen in Todesgefahr bringe. Dieser „Erfahrungssatz“ sei hier aber ausnahmsweise nicht gültig. Denn der Angeklagte habe nach dem plausiblen Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen angesichts der massiven gedanklichen Einengung, Ich-Bezogenheit und Emotionalität , in die ihn die depressive Grundstimmung verbunden mit dem Selbsttötungsentschluss gebracht habe, das Schicksal seiner Nachbarn aus seinen Überlegungen möglicherweise vollständig ausgeblendet. Dies habe eine Bestätigung im Verhalten bei der ersten polizeilichen Beschuldigtenvernehmung gefunden , als er sich nach einem Hinweis des Vernehmungsbeamten auf mögliche Folgen seiner Brandlegung für Nachbarn völlig überrascht gezeigt habe.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft deckt keinen Rechtsfehler auf.
- 12
- 1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Tötungsvorsatz hält ein13 gedenk des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401; vom 4. April 2013 – 3 StR 37/13, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 64) sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung
- 14
- des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, weiter dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR558/11, BGHSt 57, 183, 186, und vom 19. April 2016 – 5 StR 498/15, NStZ-RR 2016, 204 mwN). Allerdings können im Einzelfall das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes fehlen, wenn etwa dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung etwa bei Affekt oder alkoholischer Beeinflussung nicht bewusst ist. Ein mögliches Fehlen des Wissenselements hat der Bundesgerichtshof gerade auch in Fällen anerkannt, in denen der Täter seine lebensgefährlichen Handlungen, mit denen er Dritte tötete oder in Todesgefahr brachte, in (prä-) suizidaler Situation ohne feindselige Gesinnung gegenüber den Gefährdeten vorgenommen hat (vgl. BGH, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz bedingter 53, und vom 12. Juni 2008 – 4 StR 78/08, NStZ-RR 2008, 309, 310; Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 1).
- 15
- b) Zwar hat die Schwurgerichtskammer die Frage, ob der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, insgesamt nur relativ knapp erörtert. Sie hat in ihre Betrachtung jedoch die wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und insbesondere die Gefährlichkeit der Tathandlung nicht aus den Augen verloren. Auch die Revision zeigt mit ihrer Wiederholung der Feststellungen, die sie lediglich einer eigenen Wertung unterzieht, keinen Aspekt auf, den das Landgericht übersehen haben könnte.
- 16
- Soweit die Beschwerdeführerin einen Widerspruch darin zu erkennen meint, dass das Landgericht hinsichtlich des unmittelbar nachfolgenden Tatgeschehens im Fall 2 der Anklage trotz derselben psychischen Verfassung des Angeklagten einen bedingten Tötungsvorsatz angenommen habe, ist dies in der Beweiswürdigung nachvollziehbar begründet worden. Danach war es zwangsläufige Folge des Suizidplans des Angeklagten, dass wegen der Einheitlichkeit des Kollisionsvorgangs auch die Insassen des entgegenkommenden Fahrzeugs zu Tode kommen konnten (sogenanntes Mitbewusstsein, vgl. etwa LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 137 f. mwN). Entgegen der Auffassung der Revision ging daher nicht „unzweifelhaft“ von beiden Handlungen „gleichermaßen“ massives Gefährdungspotential aus. Zudem hat das Landgericht in seine Beweiswürdigung auch die Äußerungen des Angeklagten unmittelbar nach seiner Festnahme einbezogen. Ihnen ist zu entnehmen, dass er – anders als bezüglich möglicher Folgen der Brandlegung – die vom beabsichtigten Frontalzusammenstoß ausgehende Fremdgefährdung erkannt und hingenommen hatte (UA S. 21). Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen.
- 17
- 2. Die Schwurgerichtskammer hat den Angeklagten zu Recht auch nicht wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB verurteilt.
- 18
- a) § 306b Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt die konkrete Gefahr des Todes eines anderen Menschen voraus. Hierzu muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation für das geschützte Rechtsgut geführt haben. Die Sicherheit einer bestimmten Person muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträg- lichen Prognose zu beurteilen ist – so stark beeinträchtigt worden sein, dass der Eintritt der Rechtsgutsverletzung nur noch vom Zufall abhing. Allein der Umstand , dass sich Menschen in enger räumlicher Nähe zur Gefahrenquelle befinden , genügt dabei noch nicht zur Annahme einer konkreten Gefahr in diesem Sinne (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 4 StR 401/13, BGHR StGB § 306b Abs. 2 Nr. 1 Todesgefahr, konkrete 1, mwN).
- 19
- b) Auf Grundlage der von der Schwurgerichtskammer getroffenen Feststellungen war noch keine konkrete Todesgefahr eingetreten, als die Bewohner der Nachbarwohnung bzw. des Nachbarhauses wegen der Geräuschentwicklung auf den Brand aufmerksam wurden. So verblieb dem unmittelbaren Nachbarn Zeit, seine Wohnung zu verlassen, um die Geräuschquelle herauszufinden und vom Hausflur aus den Brand festzustellen. Anschließend vermochte er die Feuerwehr zu verständigen, bevor er das Haus verließ. Die ebenerdigen Fluchtwege aus seiner Wohnung und der Erdgeschosswohnung des Nachbarhauses , auf denen sich sämtliche gefährdeten Hausbewohner eigenständig in Sicherheit bringen konnten, waren durch den Brand noch nicht beeinträchtigt. Die Revision verkennt mit ihren Ausführungen zu einer „unmittelbaren Notsitua- tion für die im Haus verbliebenen Bewohner“, dass die Feststellungen zum Ausmaß des Feuers und der Brandschäden nicht die Gefahrenlage in dem Zeitpunkt beschreiben, in dem die Nachbarn die Häuser verließen. Vielmehr betreffen sie die spätere Entwicklung des Brandes und dessen Folgen.
- 20
- Soweit die Beschwerdeführerin eine Lückenhaftigkeit der Feststellungen bemängelt im Hinblick auf die Bauweise des Hauses und in Bezug auf die Frage , wie stark sich dort Rauch entwickelt und der Brand in der Wohnung des Angeklagten sich ausgebreitet hatte, als der Nachbar den Hausflur betrat, ist eine Verfahrensrüge nicht erhoben worden.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2016 in der Sitzung am 8. Dezember 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär, Staatsanwältin – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –, Staatsanwalt – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 – als Vertreterin der Nebenklägerin, Justizangestellte – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
3. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Eine Erstattung der dem Angeklagten durch die Revision der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen findet nicht statt.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , Nötigung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt.
- 2
- Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.
I.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war für den Angeklagten die Ehe mit der Nebenklägerin der „zentrale Dreh- und Angelpunkt seines Le- bens und wesentlicher Quell seines Selbstwertgefühls“. Als ihm die Nebenklä- gerin eine außereheliche Beziehung gestand, wollte der Angeklagte das Scheitern der Ehe verhindern und bemühte sich sehr um seine Ehefrau. Am Abend des 5. September 2015 erklärte ihm die Nebenklägerin jedoch, an diesem Tag wieder mit ihrem Liebhaber zusammen gewesen zu sein und legte sich schlafen. Im Schlaf sprach sie beglückt vom Sex mit ihrem Liebhaber. Der Angeklagte erkannte, dass seine Bemühungen, seine Frau zurückzugewinnen und die Ehe fortzuführen, erfolglos gewesen waren. Mit der nun als akut erachteten Gefährdung seiner Ehe war der Angeklagte aufgrund seiner niedrigen Intelligenz und seiner wenig ausgeprägten emotionalen Entwicklung überfordert. Er sah die Ausübung von Gewalt als einzige Möglichkeit an, „dem Reden seiner Ehefrau ein Ende zu setzen, sie ‚festzuhalten‘ und weitere (sexuelle) Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern“. Um diese Ziele zu erreichen, kniete er sich seitlich neben die schlafende Nebenklägerin, packte sie mit beiden Händen „mit festem Griff“ am Hals und drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend, oh- ne seine ganze ihm mögliche Kraft auszuüben und ohne sein ganzes Gewicht von über 140 kg in den Griff hineinzulegen. Gleichzeitig rief er wiederholt laut- stark: „Du gehst mir nicht mehr fremd“. Er erkannte, dass das Würgen die Ne- benklägerin erheblich verletzen könnte und mit der von ihm ausgeübten Intensi- tät „potentiell“ lebensgefährlich war. Dies nahm er billigend in Kauf. In dem kräf- tigen Griff an ihren Hals sah er jetzt die einzige Möglichkeit, das für ihn unerträgliche Schwärmen vom Sex mit dem Liebhaber zu beenden und weitere derartige Kontakte zu verhindern.
- 4
- Die Nebenklägerin wachte unmittelbar nach dem Beginn des Würgevorgangs auf. Ihre Atemwege waren durch das Zudrücken teilweise verlegt und sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Sie röchelte, rang nach Luft und wand sich auf dem Bett hin und her, um dem Griff des Angeklagten zu entkommen.
- 5
- Die drei Kinder des Angeklagten und deren Freunde hörten das laute Rufen des Angeklagten aus dem elterlichen Schlafzimmer und das nach Luft Schnappen der Nebenklägerin. Der Sohn B. betrat bereits fünf Sekunden nach Beginn des Würgevorgangs das Zimmer, schrie seinen Vater an, „lass sie los“ und versuchte, ihn von der Nebenklägerin wegzuziehen. Der An- geklagte lockerte deswegen seinen Griff, so dass die Nebenklägerin atmen konnte. Dann festigte er seinen Griff wieder, da er sich in seinem verzweifelten psychischen Zustand nicht anders als durch das Würgen seiner Frau zu helfen wusste. Sekunden danach betraten auch die beiden anderen Kinder das Schlafzimmer. Zu dritt versuchten sie, den Angeklagten zurückzuziehen. Der Angeklagte lockerte deshalb erneut den Griff um den Hals der Nebenklägerin, den er insgesamt etwa zehn Sekunden aufrechterhalten hatte. Die Nebenklägerin verließ das Schlafzimmer.
- 6
- Als die Kinder den Angeklagten schließlich losließen, nahm er ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm an sich und machte sich auf die Suche nach der Nebenklägerin. Er wollte sie daran hindern, ihn zu verlassen und ihn weiter mit anderen Männern zu betrügen. Dabei nahm er billigend in Kauf, das Messer gegebenenfalls einzusetzen, wobei er sich über die Art des Messereinsatzes noch keine Gedanken machte. Der Angeklagte rannte um den Wohnblock, fand die Nebenklägerin jedoch nicht. Schließlich ließ er sich von seinem Sohn D. das Messer abnehmen.
- 7
- 2. Das Landgericht hat das Würgen als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet.
- 8
- Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem kognitiven und voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Strafkammer insbesondere die „affektiven Elemente der Tataus- übung“, den spontanen Tatentschluss aufgrund der von der Nebenklägerin im Schlaf geäußerten Worte, die fehlende maximale Kraftentfaltung, die niedrige Intelligenz verbunden mit der emotionalen Überforderung, die Ehe mit der Ne- benklägerin als „zentralen Dreh- und Angelpunkt seines Lebens und wesentli- chen Quell seines Selbstwertgefühls“ und die nachfolgende Bewaffnung mit dem Messer berücksichtigt und sich mit der Gefährlichkeit der Tathandlung auseinandergesetzt.
II.
- 9
- Die zunächst mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete und einen umfassenden Aufhebungsantrag enthaltende Revision des Angeklagten beanstandet in ihrer Stellungnahme zu den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage nur den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Eine teilweise Rücknahme der unbeschränkt eingelegten Revision liegt darin nicht, weil die Voraussetzungen des § 302 Abs. 2 StPO nicht dargetan sind.
- 10
- Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
- 11
- 1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in der Tatbestandsvariante der lebensgefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
- 12
- Nicht jeder Angriff auf den Hals des Opfers in der Form des Würgens ist eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung , die zwar nicht dazu führen müssen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 185/05, NStZ-RR 2006, 11, 12 mwN).
- 13
- Der Angeklagte hielt die Nebenklägerin etwa zehn Sekunden mit festem Griff mit beiden Händen am Hals gepackt, drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend , wodurch die Atemwege teilweise verlegt wurden. Angesichts der als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Geschädigten – Todesangst und das Gefühl, ein Schleier bilde sich vor ihr, verspürt und gedacht zu haben, sie stehe kurz vor der Bewusstlosigkeit – ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine abstrakt lebensgefährdende Tathandlung angenommen hat. Der rechtsmedizinische Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, hatte ausgeführt, es hänge bei einem Angriff auf den Hals mit der festgestellten Dauer und Intensität weitgehend vom Zufall ab, nämlich vom Druckpunkt des Würgegriffs und der körperlichen Konstitution des Angegriffenen, ob lebenswichtige Funktionen zerstört werden, insbesondere die für die Sauerstoffversorgung des Gehirns wichtige Blutzufuhr bzw. Blutabfuhr beeinträchtigt oder der Kehlkopf eingedrückt wird. Hätte der Druckpunkt geringfügig anders gelegen, hätte sich das Verletzungsbild ganz anders darstellen können. Für den Täter sei nicht kontrollierbar, ob durch das kräftige Zudrücken des Halses eine kreislaufrelevante Vene, empfindliche Teile des Kehlkopfs oder der Stimmlippen getroffen werden.
- 14
- 2. Im Strafausspruch enthält das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht trotz des Vorliegens des vertypten Milderungsgrunds des § 21 StGB infolge der erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung keinen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB angenommen hat. Die Strafkammer hat in die gebotene Gesamtwürdigung zu Lasten des Angeklagten insbesondere dessen vielfache und einschlägige Vorstrafen, den Angriff auf die arglos eingeschlafene und schlafende Nebenklägerin und die psychologischen Folgen bei ihr eingestellt und deshalb einen minder schweren Fall auch bei Berücksichtigung des § 21 StGB abgelehnt.
III.
- 15
- Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft und die in der Sache ebenfalls darauf beschränkte Revision der Nebenklägerin beanstanden die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit als dieses einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten und damit eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts verneint hat.
- 16
- Die Revisionen bleiben ohne Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält in diesem Punkt revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
- 17
- 1. Die Beweiswürdigung ist dann rechtsfehlerhaft, wenn sie widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 Rn. 20 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18 und vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15, StraFo 2016, 347, 348).
- 18
- 2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt ; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Um- stände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).
- 19
- 3. Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint hat. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist weder widersprüchlich noch in einer Weise lückenhaft, dass dies den Bestand des Urteils gefährden könnte.
- 20
- a) Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen. Im Rahmen dieser Gesamtschau hat sie die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung beleuchtet und deren Bedeutung als gewichtigen Indikator (für beide Vorsatzelemente) eines bedingten Tö- tungsvorsatzes gesehen. Sie hat ihr aber nur eine begrenzte Aussagekraft beigemessen , da durch das Eingreifen Dritter die Tathandlung bereits kurz nach deren Beginn unterbrochen wurde. Hierbei hat die Strafkammer dargelegt, dass ein Würgen mit tödlichem Ausgang regelmäßig einen deutlich längeren Würgevorgang erfordere, um die Blutversorgung des Gehirns nicht nur vorübergehend mit der Folge einer Bewusstlosigkeit zu unterbrechen, sondern dauerhaft. Auch eine vollständige Verlegung der Atemwege sei im Gegensatz zu der hier eingetretenen teilweisen Verlegung kaum denkbar, ohne gleichzeitig die Blutversorgung des Gehirns abzuschneiden.
- 21
- Damit hat die Strafkammer bereits das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten) Tötungsvorsatzes in Frage gestellt und dessen Fehlen nachfolgend mit der subjektiven Befindlichkeit des Angeklagten belegt.
- 22
- Sie hat insoweit ausgeführt, auch die psychische Ausnahmesituation spreche dagegen, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könnte durch seinen Griff an den Hals zu Tode kommen. Es sei durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar die potentielle Lebensgefährlichkeit seines Handelns erkannt hatte, ohne sich aber in der konkreten Situation bewusst gewesen zu sein, dass sein Vorgehen zum Tod des Opfers führen könnte. Diese Überlegung enthält keinen Widerspruch.
- 23
- Auch wenn dem Angeklagten bewusst gewesen ist, dass man durch Würgen einen Menschen töten könne, belegt dies nur das Wissen um die allgemeine Gefährlichkeit eines solchen Angriffs gegen den Hals eines Menschen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 7. September 2015 – 2 StR 194/15, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 13 und vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könne zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 4 StR 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41).
- 24
- Das Landgericht hat sich insoweit auch mit den besonderen Tatumständen auseinandergesetzt, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten:
- 25
- Aufgrund der niedrigen Intelligenz, der emotionalen Überforderung und des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf seine im Schlaf von ihrem Liebhaber schwärmende Ehefrau kann dem Angeklagten das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung ihren Tod zur Folge haben könnte.
- 26
- Die Strafkammer hat hierzu dargelegt, dass es die affektiven Elemente der Tatausübung (der plötzliche aggressive Impulsdurchbruch, der spontane Tatentschluss, seine lauten Rufe „Du gehst mir nicht mehr fremd“ während der Tatausführung trotz der in der gleichen Wohnung anwesenden Kinder) und die „deutliche Erosion seiner psychischen Stabilität“ verbunden mit seiner niedrigen Intelligenz eher wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Angeklagte einen möglichen tödlichen Ausgang seines Handelns nicht in den Blick genommen hat. Er sei bei emotionalen Herausforderungen schnell überfordert, was – wie die Vorverurteilungen zeigten – zu Gewaltdurchbrüchen als Handlungsalternativen führe.
- 27
- Dass sich das Landgericht nicht von dem Vorliegen des Wissenselements des Tötungsvorsatzes hat überzeugen können, ist angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11 mwN).
- 28
- b) Auch das Vorliegen des voluntativen Elements des Tötungsvorsatzes hat die Strafkammer geprüft. Dafür sprach aus Sicht des Landgerichts, dass der Angeklagte trotz des hörbaren Luftschnappens der Nebenklägerin und dem Eintreffen seiner Kinder das Würgen fortsetzte; dagegen sprach, dass er es nicht mit der vollen, ihm möglichen Kraftentfaltung ausgeführt hatte und er sich gegen das Einschreiten der Kinder nicht – z.B. durch Schläge – gewehrt und zuvor auch nicht versucht hatte, die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht zu fixieren oder ihre Gegenwehr mit Schlägen oder auf andere Weise zu unterbinden. Auch Äußerungen des Angeklagten, die auf einen Tötungsvorsatz hindeuten könnten, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Fest standen lediglich die von der Strafkammer nicht näher hinterfragten Worte des Angeklagten „Du gehst mir nicht mehr fremd“, die verschiedene Interpretationen zulassen.
- 29
- Auch bei Prüfung dieses Elements hat die Strafkammer die psychische Befindlichkeit des Angeklagten, seine Persönlichkeit und seine niedrige Intelligenz herangezogen. Sie hat erwogen, dass der Angeklagte für sich keine andere Möglichkeit mehr sah, als die Nebenklägerin mit Gewalt festzuhalten und so weitere sexuelle Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern. Sein Ziel sei es nicht gewesen, die Nebenklägerin zu beseitigen, sondern mit allen Mitteln als seine Partnerin zu behalten. Dies verdeutliche seine spontane Äußerung gegenüber dem Ermittlungsbeamten zwei Stunden nach der Tat. Diesem erklärte er spontan und ungefragt, er habe die Nebenklägerin nicht töten wollen, er liebe sie, er habe sie „nur am Hals packen und ein bisschen halten wollen, so als ob sie zu ihm gehöre und nicht wegsolle“.
- 30
- Dem Nachtatverhalten vermochte die Strafkammer keine objektiven Anhaltspunkte zu entnehmen, dass der Angeklagte das Messer ergriffen hat, um seinen Vorsatz, die Nebenklägerin zu töten, nun umzusetzen. Sie hielt es vielmehr für möglich, dass der Angeklagte das Messer nur dazu einsetzen wollte die Nebenklägerin zu nötigen, bei ihm zu bleiben bzw. mit ihm zu reden. Über die Art des Messereinsatzes hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.
- 31
- Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass bei spontanen, unüberlegten und in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen auch aus dem Wissen um den möglichen Todeseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf das selbstständig neben dem Wissenselement stehende Willenselement des Vorsatzes geschlossen werden kann (siehe nur BGH, Urteile vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 f. und vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.). Die Einordnung und Würdigung eines spontanen oder in affektiver Erregung erfolgenden Handelns obliegt dabei dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.).
- 32
- Das Landgericht hat tragfähige Anhaltspunkte dafür benannt, warum bei dem Angeklagten selbst bei der erkannten Möglichkeit des Todeseintritts die Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gegeben ist.
- 33
- 4. Auch die Milderung des Strafrahmens aus § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung stand. Bei Tatbegehung unterlag er einer erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung.
IV.
- 34
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO. Danach trägt bei erfolglosem Rechtsmittel des Angeklagten und des Nebenklägers jeder seine notwendigen Auslagen selbst, so dass hier eine Erstattung der dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen durch die Nebenklägerin nicht stattfindet, da auch die Revision des Angeklagten verworfen worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf materiell-rechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen. Das zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das sich vor allem gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten bleibt dagegen erfolglos.
I.
- 2
- Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 3
- 1. Der Angeklagte und der später geschädigte Nebenkläger waren am Tattag jeweils als Kraftfahrzeugführer mit ihren Pkws unterwegs. Als der Angeklagte wegen eines vor ihm nach links abbiegenden Fahrzeugs anhalten musste , machte der mit seinem Pkw hinter ihm zum Halten gekommene Nebenkläger mit der Lichthupe auf sich aufmerksam. Dieser glaubte, es sei dem Angeklagten möglich, rechts an dem wegen des geplanten Abbiegevorgangs haltenden Fahrzeug vorbeizufahren. Nach der Betätigung der Lichthupe gestikulierten beide in ihren Fahrzeugen. Aus diesem Grund bemerkte der Angeklagte zunächst nicht, dass das bislang vor ihm stehende Fahrzeug mittlerweile abgebogen und die Fahrbahn damit frei war.
- 4
- Der Nebenkläger fuhr daraufhin an dem noch stehenden Pkw des Angeklagten vorbei und setzte seine Fahrt rasch fort. Es entstand ein erheblicher Abstand zwischen beiden Fahrzeugen. Der Angeklagte war entschlossen, den Nebenkläger zur Rede zu stellen und beschleunigte seinen Wagen, um den Nebenkläger einzuholen. Als ihm dies nach rund einem Kilometer Fahrstrecke gelungen war, veranlasste er den Nebenkläger durch Handzeichen zum Anhalten.
- 5
- Der Angeklagte erwartete im Folgenden eine Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger. Nachdem dieser aus seinem Fahrzeug ausgestiegen war, erkannte der Angeklagte angesichts der Statur des Nebenklägers, dassdieser ihm bei einer körperlichen Auseinandersetzung überlegen sein werde. Daraufhin nahm der Angeklagte ein im Wagen mitgeführtes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von gut 6,3 cm an sich, bevor er aus seinemFahrzeug ausstieg.
- 6
- Der Nebenkläger bemerkte unmittelbar nach dem Stich die stark blutende Verletzung, wich zurück und lief vom Ort des Geschehens weg. Der Angeklagte setzte ihm zunächst nach. Als er erkannte, den Nebenkläger nicht einholen zu können, kehrte er um, begab sich zu seinem Fahrzeug und fuhr davon.
- 7
- 2. Das Landgericht hat einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint und ihn wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) verurteilt. Der Messerstich gegen den Nebenkläger sei unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine Notwehrlage bestanden habe, jedenfalls wegen des aufgrund vorangegangener vorwerfbarer Provokation des Angeklagten eingeschränkten Notwehrrechts nicht geboten gewesen.
II.
Revision der Staatsanwaltschaft- 8
- Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die der Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 9
- 1. Das Landgericht hat die Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten auf mehrere Erwägungen gestützt, denen es indizielle Bedeutung gegen ein billigendes Inkaufnehmen des Todes des Nebenklägers trotz der er- kannten „abstrakten Gefahr“ (UA S. 17) des ausgeführten Messerstichs bei- misst. So handele es sich um eine spontane Tat des sich in einer emotional aufgeladenen Stimmungslage befindlichen Angeklagten. Aufgrund des Vorgeschehens sei er in einem affektiven Erregungszustand gewesen, in dem er das Risiko der Verwirklichung des Totschlags falsch beurteilt habe.
- 10
- 2. Diese Beweiserwägungen erweisen sich – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (etwa BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 25 mwN und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 20 f.) – als rechtsfehlerhaft. Die Begründung, mit der das Landgericht darlegt, sich keine Überzeugung zumindest vom bedingten Tötungsvorsatz verschaffen zu können, legen bereits einen nicht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfreien Maßstab zugrunde. Zudem sind sie teils lückenhaft, teils stehen sie in Widerspruch zu sonstigen getroffenen Feststellungen.
- 11
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 mwN; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 23). Bezogen auf bedingten Tötungsvorsatz liegt bei äußerst gefähr- lichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5 StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588; Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1StR 128/16 Rn. 23). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter , obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 23) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105 und vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 mwN) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. näher BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187 Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 23 jeweils mwN).
- 12
- Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (Nachw. in BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hin- weis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34). Der Bundesgerichtshof hat immer wieder hervorgehoben, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 mwN).
- 13
- b) Das Landgericht ist bereits diesen Maßstäben für die inhaltlichen Anforderungen an den bedingten Tötungsvorsatz und dessen Nachweis im Strafprozess nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden. Zwar hat es im rechtlichen Ausgangspunkt insoweit noch zutreffend zwischen auf das Rechtsgut Leben bezogenem Gefährdungsvorsatz und bedingtem Tötungsvorsatz unterschieden. Soweit es die Unterscheidung ausdrücklich auch mit der „viel höhere(n) Hemmschwelle“ begründet, die vor einem Tötungsvorsatz stehe (UA S. 17),weist es dem Aspekt der Hemmschwelle jedoch eine Bedeutung für die Bewertung des Vorliegens oder Nichtvorliegens bedingten Tötungsvorsatzes zu, die ihr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. Das Tatgericht hat den von dem Angeklagten geführten Messerstich als sehr gefährliche Gewalthandlung bewertet. Angesichts dessen hätte es tragfähiger Anhaltspunkte in der Beweiswürdigung dafür bedurft, auf die entweder die Einschätzung gestützt werden kann, der Angeklagte habe den Grad der Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens nicht erkannt und sei sich deshalb der konkreten Möglichkeit der Tötung des Nebenklägers nicht bewusst gewesen oder er habe trotz Kenntnis von der konkreten Möglichkeit des Todes ernsthaft auf dessen Ausbleiben vertraut. Weder das eine noch das andere wird durch die Beweiswürdigung des Tatgerichts in einer rechtsfehlerfreien Weise belegt.
- 14
- c) Zwar unterliegt die dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung der Beurteilung durch das Revisionsgericht lediglich dahingehend, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 Rn. 20 mwN; vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 21; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Für eine Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz bedarf es bei objektiv hochgradig lebensgefährlichem Vorgehen des Täters zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements jedoch einzelfallbezogener tragfähiger Anhaltspunkte dafür , dass der Täter dennoch ernsthaft auf das Ausbleiben des Todeserfolgs vertraut hat (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 mwN). Anderenfalls erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft.
- 15
- Solche Rechtsfehler enthält die Beweiswürdigung des Tatgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz.
- 16
- aa) Soweit das Landgericht von einer „spontanen Tat“ und einer „emotio- nal aufgeladenen Spannungslage“ ausgeht, lässt sich dem Urteil bereits nicht entnehmen, ob dem indizielle Bedeutung gegen das Wissens- oder das Wollenselement des bedingten Tötungsvorsatzes beigemessen wird. Unabhängig davon finden aber beide herangezogenen Aspekte keine tragfähige Stütze in den übrigen Feststellungen. Der Angeklagte hatte nach dem wechselseitigen Gestikulieren während des verkehrsbedingten Haltens beider Fahrzeuge den Nebenkläger zielgerichtet verfolgt, um ihn zur Rede zu stellen. Nachdem er diesen zum Anhalten veranlasst hatte, begab sich der Angeklagte bewusst in eine Situation, in der er eine Auseinandersetzung erwartete (UA S. 7). Trotz der Sorge um eine körperliche Unterlegenheit suchte er weiterhin die Auseinandersetzung und bewaffnete sich nach den Feststellungen, um die angenommene Unterlegenheit auszugleichen. Das aus seinem Fahrzeug mitgenommene Messer verbarg er in der geschlossenen rechten Hand und klappte dieses vom Nebenkläger unbemerkt auf. Ausweislich der Feststellungen erfolgte dieses Aufklappen bereits bevor der Nebenkläger den Angeklagten im Bereich des Hemdkragens anfasste (UA S. 7). Aus welchen tatsächlichen Umständen das Landgericht die Spontaneität der Tatbegehung ableiten will, lässt sich angesichts dessen nicht erkennen. Erweist sich die Annahme einer Spontantat nicht als tragfähig begründet, kann dem keine indizielle Bedeutung gegen bedingten Tötungsvorsatz zukommen.
- 17
- bb) Entsprechendes gilt für den vom Landgericht angenommenen „affek- tiven Erregungszustand“ des Angeklagten, in dem er das „Risiko der Verwirkli- chung des Tatbestandes des § 212 StGB falsch beurteilt habe“ (UA S. 17). Der vagen Formulierung mag noch entnommen werden können, dass das Tatgericht dem Zustand indizielle Bedeutung gegen das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes zumessen will. Der als Beweisanzeichen herangezogene affektive Erregungszustand findet jedoch selbst wiederum keine ausreichende Grundlage in der Beweiswürdigung und lässt sich zudem aus den im vorstehenden Absatz dargelegten Gründen mit den sonstigen Feststellungen zum Tatvorgeschehen und zur Tatausführung selbst nicht vereinbaren.
- 18
- cc) Das Landgericht hat aus dem Nachtatverhalten des Angeklagten Schlüsse gegen einen bei ihm vorhandenen Tötungsvorsatz gezogen (UA S. 17 f.), was grundsätzlich im Rahmen der gebotenen Gesamtschau möglich ist. Auch diesen Schlüssen mangelt es aber vor dem Hintergrund der sonstigen Feststellungen an einer tragfähigen Grundlage. Soweit das Tatgericht zugrunde legt, der Angeklagte sei von seinem eigenen Tun schockiert und erschrocken gewesen, bedurfte es für eine lückenlose Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz einer Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Angeklagte dem nun zurückweichenden Nebenkläger nach der Ausführung des Stichs folgte und von der Verfolgung des Nebenklägers im Laufschritt erst absah, als er erkannte, diesen nicht einholen zu können (UA S. 7).
- 19
- 3. Auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch hinsichtlich der zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Tat. Nach den vom Tatgericht bisher getroffenen Feststellungen kommt ein strafbefreiender Rücktritt des Angeklagten vom versuchten Tötungsdelikt nicht ernsthaft in Betracht.
- 20
- Die Rechtsfehler in der Beweiswürdigung bedingen auch die Aufhebung der insgesamt getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
III.
Revision des Angeklagten- 21
- Die auf die Revision des Angeklagten veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keine durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
- 22
- 1. Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) wird von den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen.
- 23
- Das Landgericht hat im Ergebnis ebenfalls ohne Rechtsfehler eine Rechtfertigung des Angeklagten aufgrund Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) verneint.
- 24
- Auch sind Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte die Intensität des vom Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes angenommenen gegenwärtigen Angriffs des Nebenklägers aufgrund fehlerhafter Wahrnehmung der tatsächlichen Umstände falsch einschätzte und sich deshalb zum sofortigen , nicht angedrohten Einsatz des Messers berechtigt wähnte, nicht ersichtlich.
- 25
- 2. Der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
- 26
- Wie vom Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt, hat das Landgericht zwar die rechtlich gebotene Vorgehensweise bei der Prüfung eines minder schweren Falls – hier gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbs. StGB – nicht in jeder Hinsicht beachtet. Er wäre zu erörtern gewesen, ob der angenommene vertypte Strafmilderungsgrund aus § 46a Nr. 1 StGB, durch dessen Heranziehung der Angeklagte jedenfalls nicht beschwert ist, im Zusammenwirken mit den berück- sichtigten allgemeinen Strafmilderungsgründen zur Annahme eines minder schweren Falls hätte führen können. Erst wenn das Landgericht auch mit Blick hierauf weiterhin die Bejahung eines minder schweren Falls nicht für angemessen gehalten hätte, hätte es seiner Strafzumessung den gemäß § 46a, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbs. 1 StGB zugrunde legen dürfen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. März 2015 – 3 StR 7/15 Rn. 2 mwN). Angesichts der konkret verhängten Strafe und der bei der Vorgehensweise des Landgerichts niedrigeren Mindeststrafe als bei der des minder schweren Falls des § 224 Abs. 1 StGB kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Graf Cirener Radtke Mosbacher Fischer
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (mittels eines gefährlichen Werkzeugs und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung) in Tateinheit mit Beleidigung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass der Angeklagte dem Grunde nach verpflichtet ist, den materiellen und immateriellen Schaden des Nebenklägers, der diesem aus der vorliegend abgeurteilten Tat erwachsen ist und noch erwächst, zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Versicherer übergegangen sind. Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger beanstanden mit ihrem Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts, der Nebenkläger erhebt zudem eine Formalrüge. Beide erstreben letztlich die Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts. Den Revisionen bleibt der Erfolg versagt.
I.
- 2
- Seiner Entscheidung hat das Landgericht Folgendes zugrunde gelegt:
- 3
- 1. Zur Person des Angeklagten:
- 4
- Der zur Tatzeit 24-jährige Angeklagte gehört der neonationalsozialistisch orientierten rechtsradikalen Szene an. Er bezeichnet sich selbst als Neonazi. Von 2004 bis 2008 war er aktives Mitglied der NPD. Dann schloss er sich dem „Freien Netzwerk Süd“ an.
- 5
- Seit 2004 beobachtete die Polizei den Angeklagten, der „durchaus dem Führungsbereich zuzuordnen sei“, in mindestens 40 Fällen als Aktivisten der rechten Szene. Er wird von der Polizei als sehr gewaltbereit eingestuft.
- 6
- Der Angeklagte ist begeisterter Kampfsportanhänger. Im Alter von 16 oder 17 Jahren hatte er mit dem Boxtraining begonnen. Besonders begeistert ihn das Kickboxen, das er seit 2007 in und außerhalb eines „Fight-Clubs“ be- treibt. Der Angeklagte trainiert nicht nur aus sportlichen Gründen. Als Zuhörer in der Hauptverhandlung in einem Strafverfahren gegen zwei andere Rechtsextremisten im Mai 2009 war er mit einem schwarzen Langarmshirt mit der weißen Aufschrift „Spezialist für Körperverletzungen“ bekleidet aufgefallen.
- 7
- Wegen (gefährlicher) Körperverletzung ist der Angeklagte auch vorbestraft. Im Februar 2008 griffen er und ein Mittäter eine 18-jährige Teilnehmerin und einen 19-jährigen Teilnehmer einer Demonstration gegen eine Mahnwache der NPD zur Erinnerung an die Zerstörung Dresdens auf deren Rückweg zum Bahnhof unvermittelt mit Faustschlägen gegen den Kopf und mit Fußtritten an. Dies führte neben Prellungen zu Kopfschmerzen und Schwindel, die mehrere Tage anhielten, und bei der geschädigten Frau zudem zu einem dreiwöchigen Tinnitus an einem Ohr. Der Angeklagte wurde deshalb zu der Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, deren Vollstreckung bis zum 19. März 2012 zur Bewährung ausgesetzt wurde.
- 8
- 2. Zum Tatgeschehen und dessen Folgen:
- 9
- a) Der Angeklagte, seine Freundin L. und deren Arbeitskollegin bestiegen am 28. April 2010 am Hauptbahnhof in Nürnberg gegen 13.45 Uhr die U-Bahnlinie U2. L. trug eine Bauchtasche der Marke „Thor Steinar“, deren Kleidung von der rechtsextremen Szene getragen wird. Etwa 1 ½ Minuten danach stieg an der nächsten Haltestelle (Opernhaus) der 17-jährige B. zu, der spätere Verletzte. Er war seit ca. zwei Jahren in der „Antifa-Bewegung“ politisch aktiv. Sein Blick fiel auf die Bauchtasche der Freundin des Angeklagten. Er stellte sich breitbeinig vor L. auf, beugte sich mit dem Oberkörper nach vorne und warf dieser abfäl- lig die Worte „Thor Steinar“ entgegen. Dies hörte der Angeklagte und erkannte in B. einen politischen Gegner. Verärgert über dessen abfällige Bemerkung schlug der Angeklagte mit der Faust gegen dessen Kopf. Als sich B. daraufhin dem Angeklagten zuwandte, trat dieser ihm wuchtig mit dem gestreckten Bein gegen den Oberkörper, um ihn zu verletzen. B. stürzte zu Boden und riss den Angeklagten mit sich. Es kam etwa fünf Sekunden lang zu einem Gerangel mit wechselseitigen Schlägen. Dann wurden sie von einer zusteigenden Reinigungskraft der Verkehrsbetriebe getrennt. Der Angeklagte stand auf und trat beim Weggehen einmal wuchtig mit seinem Fuß, an dem er straßentaugliche Turnschuhe trug, von der Seite gegen das Gesicht des noch am Boden liegenden B. . Dieser erlitt dadurch eine blutende Verletzung an der Nase.
- 10
- Der Angeklagte verließ die U-Bahn. Beim Aussteigen beschimpfte er B. , der ebenfalls aufgestanden und im Aussteigen begriffen war, noch mit dem Wort Fotze. Der Angeklagte fuhr die Rolltreppe nach oben. Dort traf er seine Begleiterinnen, die auf seine Aufforderung „Los raus hier“ ebenfalls den Zug verlassen hatten.
- 11
- Wenige Sekunden nach dem Aussteigen erlitt B. einen Herzstillstand und brach auf dem Bahnsteig zusammen. Die Ursache dafür war entweder der Tritt des Angeklagten gegen den Oberkörper, bei dem der So- larplexus getroffen wurde, oder eine durch die Angriffe des Angeklagten hervorgerufene affektive Erregung.
- 12
- Ein zufällig anwesender Krankenpfleger leitete sofort Wiederbelebungsversuche ein. Nach wenigen Minuten übernahmen dies über die Dauer von 45 Minuten der Notarzt und mit ihm eingetroffene Sanitäter. Der Notarzt defibrillierte währenddessen neunmal und setzte die maximale Dosis an herzanregenden Mitteln ein. Als die Sanitäter B. bereits aufgegeben hatten, führte der Notarzt die Herzdruckmassage noch zehn Minuten lang durch. Unmittelbar bevor auch er abbrechen wollte, begann das Herz von B. wieder zu schlagen. B. wurde bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert und für fünf Tage in ein künstliches Koma versetzt. Er musste sich zweier Herzkatheteruntersuchungen unterziehen. Er erlitt zudem ein Kompartmentsyndrom im Bereich des rechten Unterschenkels. Deshalb musste er achtmal operiert werden. Die Strafkammer konnte nicht feststellen, ob das Kompartmentsyndrom unmittelbare Folge eines Angriffs des Angeklagten gegen das rechte Bein des Opfers oder die Folge eines Anstoßes bei der Pflege des Komapatienten war. B. leidet noch immer unter Schmerzen und an den psychischen Folgen der Tat. Er ist zu 40 % schwerbehindert.
- 13
- Der Angeklagte hatte den Zusammenbruch seines Opfers nicht mehr gesehen. Als er von dem Fahndungsaufruf erfuhr, stellte er sich am 29. April 2011 (ein Tag nach dem Geschehen) der Polizei. Von den gravierenden Folgen seiner Tat war er sichtlich überrascht.
- 14
- In der Hauptverhandlung entschuldigte sich der Angeklagte bei B. . Allerdings hatte er in den Tagen nach seiner Verhaftung noch versucht, seine Freundin und deren Arbeitskollegin dazu zu bewegen, bei der Polizei an- zugeben, B. habe sie angegriffen und beleidigt. Am 27. Juli 2010 schrieb er aus der Untersuchungshaft an einen Bekannten: „……. Frau futsch, Wohnung futsch, alles futsch. Warum? Weil ich getan habe, was Mann tun muss. Weil ich mich gerade gemacht habe …..“.
- 15
- b) Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte mit Verletzungsvorsatz , aber nicht mit - auch nicht mit bedingtem - Tötungsvorsatz gehandelt hat.
- 16
- Der Angeklagte hat es weit von sich gewiesen, dass er B. habe töten wollen. Er wisse zwar aufgrund seiner Kickboxerfahrung, dass bei einem Tritt gegen den Oberkörper immer was passieren könne, aber er habe nie damit gerechnet, dass sein Angriff tödliche Folgen haben könnte. Motiv seiner Tat sei gewesen, dass das spätere Opfer seine Freundin „dumm angeredet“ habe. Er habe sich über dessen politische Einstellung keine Gedanken gemacht; er habe nicht erkannt, dass B. links orientiert sei.
- 17
- Letzteres ist nach den Feststellungen der Strafkammer widerlegt, zumal der Angeklagte sein Opfer unmittelbar nach der Tat als „Zecke“ bezeichnete. Die Strafkammer hat dazu ausgeführt: „Allein die Tatsache, dass der Angeklagte die politische Motivation seines Handelns bestreitet und er in der Vergangenheit bereit war, politischen Gegnern gewaltbereit entgegenzutreten, rechtfertigt es jedoch nicht, bei jeglichem körperlichem Angriff gegen einen Linken davon auszugehen, dass der Angeklagte einen möglichen Todeseintritt billigend in Kauf genommen hat. Hier müssen sämtliche tatrelevanten Gesichtspunkte in eine Gesamtwürdigung einbezogen werden.“
- 18
- Die medizinisch-sachverständig beratene Strafkammer hat bei ihrer umfassenden Würdigung insbesondere auf folgende Punkte abgestellt: - Der Tritt gegen den Oberkörper, bei dem der Solarplexus getroffen wurde, war objektiv geeignet, den Tod von B. herbeizuführen. Allerdings tritt diese Folge bei einem einmaligen Tritt extrem selten ein.
- 19
- „Die Kammer ist daher überzeugt, dass der Angeklagte zwar um die be- sondere Gefährlichkeit eines Trittes gegen den Oberkörper und den Kopf wuss- te, den Tod des B. jedoch für völlig fernliegend erachtet und darauf vertraut hat, dass ein solcher auch nicht eintritt.“
II.
- 20
- 1. Die vom Nebenkläger erhobene Formalrüge - fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags als bedeutungslos aus tatsächlichen Gründen - ist, wie vom Generalbundesanwalt schon in seiner Antragsschrift vom 10. August 2011 zutreffend dargelegt, unbegründet.
- 21
- 2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung aufgrund der von beiden Revisionsführern erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts gefährdet den Bestand des Urteils im Ergebnis nicht.
- 22
- a) Ob das Landgericht den Tötungsvorsatz rechtsfehlerfrei verneint hat (dazu unten aa), kann letztlich dahinstehen, da der Angeklagte von einem Tötungsversuch jedenfalls freiwillig zurückgetreten ist (unten bb).
- 23
- aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 14. Dezember 2011 - 1 StR 501/11 mwN).
- 24
- Die Strafkammer kam nach Würdigung der von ihr getroffenen Feststellungen zu dem Ergebnis, der Angeklagte habe B. verletzen, aber nicht - auch nicht bedingt vorsätzlich - töten wollen.
- 25
- Das Willenselement des bedingten Vorsatzes ist bei Tötungsdelikten dann gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet. Dabei genügt für eine vorsätzliche Tatbegehung, dass der Täter den konkreten Erfolgseintritt akzeptiert und er sich innerlich mit ihm abgefunden hat, mag er auch seinen Wünschen nicht entsprochen haben. Hatte der Täter dagegen begründeten Anlass darauf zu vertrauen und vertraute er darauf, es werde nicht zum Erfolgseintritt kommen, kann bedingter Vorsatz nicht angenommen werden (BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 - 4 StR 502/10 Rn. 34 mwN).
- 26
- Bei der Prüfung, ob der Täter vorsätzlich gehandelt hat, muss sowohl das Wissens- als auch das Willenselement im Rahmen einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Dabei liegt zwar die Annahme einer Billigung des Todes des Opfers nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt. Allein aus dem Wissen um den möglichen Erfolgseintritt oder die Gefährlichkeit des Verhaltens kann aber nicht ohne Berücksichtigung etwaiger sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebender Besonderheiten geschlossen werden, dass auch das Willenselement des Vorsatzes gegeben ist (vgl. BGH aaO Rn. 35).
- 27
- Den sich hieraus ergebenden Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil zwar weitgehend gerecht. Die Strafkammer hat bei ihrer Gesamtbetrachtung insbesondere erwogen, dass dem Angeklagten - einem Kampfsportler (Kickboxer) - die Gefährlichkeit seiner Tritte gegen die Brust (Solarplexus) und gegen den Kopf des Geschädigten bewusst war. Das Landgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass allein aus der objektiven Gefährlichkeit nicht zwingend auf den - bedingten - Tötungsvorsatz geschlossen werden kann. Die Strafkammer gelangte dann - auch aufgrund des Nachtatverhaltens - zu der Überzeugung, dass der Angeklagte bei seiner Spontantat den Tod des B. für völlig fernliegend erachtet und darauf vertraut hat, dass ein solcher auch nicht eintritt.
- 28
- Die Strafkammer hat allerdings bei der Bewertung der Tathandlungen im Hinblick auf das Willenselement eine etwas verkürzte Betrachtung angestellt. Sie bewertet die beiden Tritte insoweit jeweils für sich: „Auch der wuchtig geführte einmalige Tritt in das Gesicht des am Boden liegenden Opfers reicht für sich allein nicht aus von einem bedingten Tötungsvorsatz auszugehen.“ Das Landgericht hebt dann im Weiteren vor allem darauf ab, dass dieser Tritt - ex post betrachtet - zu keinen gravierenden Verletzungen führte und nicht die Ursache für den späteren Zusammenbruch B. s war. Damitkommt der maßgebliche Umstand etwas kurz, dass der Angeklagte in einer Angriffsfolge zwei - vom ersten Faustschlag ganz abgesehen - höchstlebensgefährliche Angriffe gegen sein Opfer führte. Deshalb spricht auch die Tatsache, dass die Auseinandersetzung insgesamt nur 14 Sekunden dauerte, nicht gegen einen - bedingten - Tötungsvorsatz.
- 29
- Die fehlende - jedenfalls fehlende ausdrückliche - Bewertung der rasch aufeinanderfolgenden Verletzungshandlungen im Zusammenhang könnte eine Lücke und damit einen Rechtsfehler in der Beweiswürdigung darstellen. Ob dieser durchgreifend wäre, ob also auszuschließen ist, dass die Strafkammer bei deutlicher Gewichtung auch dieses Aspekts in der Beweiswürdigung zur Feststellung eines bedingten Tötungsvorsatzes gekommen wäre, kann jedoch dahinstehen.
- 30
- bb) Denn hätte der Angeklagte bedingt vorsätzlich versucht, B. zu töten, so wäre er nach den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen der Strafkammer von diesem Tötungsversuch - freiwillig - strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 StGB).
- 31
- Von einem unbeendeten Versuch kann der Täter durch bloßes Nichtweiterhandeln zurücktreten (BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 228). Unbeendet ist der Versuch, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung nach seinem Kenntnisstand nicht mit dem Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs rechnet, und sei es auch nur in Verkennung der durch seine Handlung verursachten Gefährdung des Opfers, und die Vollendung aus seiner Sicht noch möglich ist (BGH aaO, 227).
- 32
- Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Zwar wurden die am Boden liegenden Kämpfenden, der Angeklagte und B. , von einer Reinigungskraft der Verkehrsbetriebe zunächst getrennt. Nach dem Aufstehen war der Angeklagte jedoch in der Lage, seinen Angriff sofort fortzusetzen und er tat dies auch mit einem wuchtigen Tritt in das Gesicht seines noch am Boden liegenden Opfers. An weiteren Fußtritten - in schneller Folge - war er nicht gehindert. Er entfernte sich jedoch. Davon, dass er B. bereits in extreme Lebensgefahr gebracht und damit im Grunde schon alles getan hatte, um ihn zu töten, wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nichts.
- 33
- b) Die Strafzumessungserwägungen enthalten keine durchgreifenden Rechtsfehler zum Vorteil oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten.
- 34
- Zwar darf der Vollzug der Untersuchungshaft an sich nicht mildernd berücksichtigt werden (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 1 StR 407/11 Rn. 9). Die Strafkammer erwähnt dies aber allein in dem Zusammenhang, dass der Angeklagte „sich am Tag nach der Tat selbst bei der Polizei gestellt hat und sich seit diesem Tag in Untersuchungshaft befindet“. Das Landgericht hält ihm somit nur zugute, dass er sich freiwillig der Strafverfolgung stellte, mit vorhersehbar für ihn sofort einschneidenden Folgen (Untersuchungshaft). Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht Bautzen zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen 13 von ihm im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer Werklohnforderung begangener Straftaten, unter anderem wegen Anstiftung zum versuchten Mord und wegen versuchter räuberischer Erpressung, zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Daneben hat es die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Revision des Angeklagten hat nur zum Strafausspruch Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es zwischen dem Angeklagten und dem Geschäftsführer B der A GmbH (im folgenden A ) zu Meinungsverschiedenheiten über Restforderungen, die der Angeklagte aus einem Generalunternehmervertrag für die Sanierung eines Mehrfamilienhauses geltend gemacht hatte. Um B einzuschüchtern, beauftragte der Angeklagte 1996 M , von dem ihm bekannt war, daß dieser Anführer einer polnischen Bande war, die sich mit Schmuggel, Schutzgelderpressung und ähnlich schwerwiegenden Delikten befaßte, mit der Eintreibung seiner angeblichen Forderung; in Wirklichkeit standen ihm, wie er nach der Überzeugung des Landgerichts wußte, keinerlei Zahlungsansprüche zu. Im jeweiligen Einverständnis mit dem Angeklagten veranlaßte M in der Folgezeit zahlreiche Drohungen, die B entweder persönlich durch einen Mittelsmann überbracht wurden oder ihn telefonisch erreichten und die direkt oder indirekt auf die Forderungen des Angeklagten Bezug nahmen. Daneben ließ M – ebenfalls im Auftrag des Angeklagten – drei Bombenanschläge auf Gebäude ausführen, die einen Bezug zur A hatten. Obwohl die Bomben explodierten – in einem Fall beim Versuch ihrer Entschärfung – kam nur in einem Fall ein Passant leicht zu Schaden, indem die Detonation bei ihm zu vorübergehenden Hörstörungen führte. Daneben bedrohte der Angeklagte B auch selbst und er veranlaßte über Dritte die Veröffentlichung eines von ihm verfaßten Schreibens in einer Tageszeitung, in dem Angehörigen und Geschäftspartnern der Firma A mit weiteren Anschlägen gedroht wurde, falls sie ihre Kontakte zu dieser Firma fortsetzen sollten.
II.
1. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen sind teils unzulässig, teils unbegründet; insoweit wird auf die zutreffenden Ausführun-
gen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. November 2000 verwiesen.
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt; sie führt jedoch zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
a) Entgegen der Auffassung der Revision ist für sämtliche Bombenanschläge ein bedingter Tötungsvorsatz sowohl bei den unmittelbar handelnden unbekannten Haupttätern als auch beim Angeklagten hinreichend belegt. Nach den – auch von der Revision nicht in Zweifel gezogenen – Feststellungen des Landgerichts hätte die Sprengkraft einer jeden Bombe ausgereicht, einen in unmittelbarer Nähe des Sprengsatzes befindlichen Menschen zu töten. Um gleichwohl ernsthaft und nicht nur vage darauf vertrauen zu können , daß kein Mensch getötet würde (vgl. insoweit BGHSt 7, 363 ff.; BGHR StGB § 15 – Vorsatz, bedingter 1, 2, 7), hätten die Täter besondere Vorkehrungen treffen müssen, die eine Anwesenheit von Menschen am Tatort zum Explosionszeitpunkt verhinderten. Nach den getroffenen Feststellungen liegt ein solches Verhalten der Täter jedoch derart fern, daß es keiner gesonderten Erörterung bedurfte: In Fall 4 der Urteilsgründe stolperte der Zeuge B um 18.40 Uhr über eine Bombe, nachdem diese zehn bis zwanzig Minuten zuvor unmittelbar vor seinen Büroräumen unter der Fußmatte abgelegt worden war. Da die Täter bei dieser auffälligen Art der Plazierung mit der baldigen Entdeckung des Sprengsatzes rechnen mußten, liegt es gänzlich fern, daß sie den in Form eines Quarzweckers eingebauten Zeitzünder auf eine nächtliche Uhrzeit eingestellt hätten, um sicher zu gehen, daß bei der beabsichtigten Explosion zwar Sach-, aber keine Personenschäden angerichtet würden. In den Fällen 3 und 9 wurden die Sprengsätze im Eingangsbereich von Häusern abgelegt. Dort explodierten sie in Fall 3 um 22.45 Uhr, in Fall 9 zu einem vom Landgericht nicht näher bezeichneten Zeitpunkt, als sich zumindest eine Person in der näheren Umgebung des Hauses aufhielt. Da beide Sprengsätze mit Ausnahme der verwendeten Batterien “baugleich”
mit der in Fall 4 verwendeten Bombe waren (UA 39, 43) und jene mit einem Zeitzünder versehen war, ist ausgeschlossen, daß die Täter in den Fällen 3 und 9 die Bomben jeweils mittels Funkzünder gezielt zu einem Zeitpunkt gezündet haben, als sich nach ihrer Beobachtung keine Menschen in unmittelbarer Umgebung der Sprengkörper aufhielten.
Für seine Überzeugung, daß auch der Angeklagte mit der Möglichkeit, daß durch die Bombenlegungen Menschen getötet würden, einverstanden war, hat das Landgericht – unter anderem – zutreffend auf Gespräche des Angeklagten mit dem Zeugen Y (UA 89, 100) abgestellt.
b) Die Beweiswürdigung ist auch insoweit nicht zu beanstanden, als das Landgericht einen auf unrechtmäßige Bereicherung gerichteten Erpressungsvorsatz des Angeklagten grundsätzlich bejaht hat. Nachdem der Angeklagte das Sanierungsobjekt im “Rohbauzustand” zurückgelassen hatte, stellt es keinen Rechtsfehler dar, wenn sich das Landgericht die Überzeugung gebildet hat, daß dem Angeklagten für seine Teilleistungen kein Betrag zustand , der den für eine schlüsselfertige Gesamtsanierung nach Reduzierung (UA 30) vereinbarten Pauschalpreis nur geringfügig unterschritt, und daß der Angeklagte dies wußte oder doch zumindest für möglich hielt. Die jeweiligen Schuldsprüche sind damit rechtsfehlerfrei.
Die Ausführungen, mit denen das Landgericht begründet, der Angeklagte habe in Kenntnis des Fehlens jeglicher Ansprüche versucht, 800.000 DM von dem Zeugen B z u erpressen, halten dagegen rechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch wenn die vom Angeklagten bis zur Kündigung des Vertrages durch die A erbrachten Leistungen offensichtlich nicht der vom Angeklagten erhobenen Restforderung von knapp 600.000 DM entsprachen, steht doch andererseits nicht fest, daß bereits sämtliche Leistungen des Angeklagten durch Abschlagszahlungen abgegolten waren. Waren noch Forderungen des Angeklagte offen, so mögen diesen aufrechenbare Schadensersatzforderungen der A in mindestens gleicher Höhe ge-
genübergestanden haben, so daß der Angeklagte im Ergebnis keine Ansprüche mehr gegen die A hatte. Da er jedoch “in völliger Fehleinschätzung seiner eigenen Leistungsfähigkeit” im Geschäftsgebaren des Zeugen B , insbesondere in dessen schlechter Zahlungsmoral die Hauptursache für das Scheitern der beiderseitigen Zusammenarbeit sah, versteht sich nicht von selbst, daß dem Angeklagten das Fehlen jeglicher Zahlungsansprüche auch bewußt war. Hätte er – wenn auch irrig – geglaubt, jedenfalls einen Teilbetrag der in der “Schlußrechnung” erhobenen Gesamtforderung zurecht zu beanspruchen, wäre dies bei der Strafzumessung zu seinen Gunsten zu berücksichtigen gewesen.
Ferner ist das Landgericht insoweit von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen, als es dem Angeklagten die Geltendmachung von 800.000 DM angelastet hat. Zwar war nach den Urteilsfeststellungen im Gespräch zwischen dem Angeklagten und M von diesem Betrag die Rede; er ist jedoch, wie die Revision mit Recht hervorhebt, von dem Zeugen B bei keinem Erpressungsversuch verlangt worden. Vielmehr ist bei sämtlichen Drohungen, mit denen der Zeuge B zur Zahlung veranlaßt werden sollte, jeweils direkt oder indirekt auf den vom Angeklagten in seiner “Schlußrechnung” geltend gemachten Betrag Bezug genommen worden.
c) Bedenken begegnet die Strafzumessung des Landgerichts auch in Bezug auf die bei den versuchten Tötungsdelikten versagte Strafrahmenverschiebung , die zur Verhängung von drei lebenslangen Einzelfreiheitsstrafen geführt hat.
Die rechtsfehlerfreie Anwendung des § 23 Abs. 2 StGB verlangt eine Gesamtschau, die neben der Persönlichkeit des Täters die Tatumstände im weitesten Sinne und dabei insbesondere die versuchsbezogenen Gesichtspunkte einbezieht, wie Nähe zur Tatvollendung, Gefährlichkeit des Versuchs und eingesetzte kriminelle Energie (vgl. BGHSt 16, 351, 353; 35, 347, 355 f.; BGHR StGB § 23 Abs. 2 – Strafrahmenverschiebung 1, 2, 4, 8, 9 und 11).
Eine sorgfältige Abwägung dieser Umstände, auch soweit sie für den Täter sprechen, ist namentlich dann geboten, wenn von der Entschließung über die versuchsbedingte Milderung die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe abhängt (BGHR StGB § 23 Abs. 2 – Strafrahmenverschiebung 8 und 12 m.w.N.).
Das Landgericht war sich dieser Erfordernisse im Grundsatz bewußt, hat sie aber nicht in allen Belangen hinreichend berücksichtigt. So hat es auf die – abstrakt zweifellos vorhandene – Gefährlichkeit der drei Sprengstoffanschläge hingewiesen, dabei aber nicht gewertet, daß eine konkrete Lebensgefahr in keinem Fall bestanden hat. Da Personen bei den vom Angeklagten veranlaßten Anschlägen entweder überhaupt nicht oder nur verhältnismäßig geringfügig zu Schaden gekommen sind, lag die Vollendung der Taten – anders als in Fällen, in denen Menschen schwerwiegende Gesundheitsschäden erlitten haben oder ihr Leben nur durch Notoperationen gerettet werden konnte (vgl. BGHR StGB § 23 Abs. 2 – Strafrahmenverschiebung 8) – nicht ganz nah. Zudem sind die ausgebliebenen Personenschäden zwar letztlich dem Zufall zu verdanken, jedoch war die von den Sprengsätzen ausgehende Gefahr durch deren jeweilige Konstruktion zumindest eingeschränkt. Bei sämtlichen Taten war der Sprengstoff so dosiert, daß die Explosion nur für einen in unmittelbarer Nähe befindlichen Menschen lebensbedrohlich war. Dieser Umstand läßt Schlüsse auf eine geringere kriminelle Intensität des dem Angeklagten als Anstifter zuzurechnenden Verhaltens der Haupttäter zu, die das Landgericht unbeachtet gelassen hat.
d) Angesichts dieser Wertungsfehler kann die Verhängung lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe, zumal unter Bejahung der besonderen Schwere der Schuld, auch unter Berücksichtigung der gesamten Vorgehensweise des Angeklagten, die zum einen geprägt war durch seine Verbitterung über den gescheiterten beruflichen Neubeginn, zum anderen durch erheblich straferschwerende Umstände, wie die Einbindung einer kriminellen Organisation in seine Straftaten und die Gefährdung und Verunsicherung einer Vielzahl an
seinem persönlichen Schicksal völlig unbeteiligter Personen, nicht bestehen bleiben.
Der Senat hebt den gesamten Strafausspruch auf, um den neuen Tatrichter die Möglichkeit einer umfassenden Neufestsetzung der Strafen zu geben.
Angesichts der stets ergebnislos auf dieselbe Forderung gerichteten Nötigungs- und Erpressungsversuche wird sich anbieten, das Verfahren in Anwendung von §§ 154, 154a StPO auf die Aburteilung der drei Sprengstoffanschläge zu beschränken. Soweit es dabei auf den vom Angeklagten zu Unrecht angestrebten Vermögensvorteil ankommt, wird dieser unter Bedacht auf den Zweifelsgrundsatz im Wege der Schätzung zu ermitteln sein.
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BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
a) soweit der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist,
b) in den Aussprüchen über die Gesamtfreiheitsstrafe, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe vor der Unterbringung.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im gesamten Ausspruch über die verhängten Maßnahmen.
3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und einem Monat verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtstrafe angeordnet sowie Maßnahmen nach §§ 69, 69a StGB verhängt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist mit Einzelausführungen zur Verneinung des Tötungsvorsatzes und zur Anordnung der Unterbringung in dem angefochtenen Urteil näher begründet; im danach verbleibenden Umfang hat ihre Revision Erfolg. Der Angeklagte erzielt mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg.
A.
- 2
- Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
- 3
- I. Nach den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen war der Angeklagte vor den hier abgeurteilten Taten u.a. bereits wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten: Am 8. Juni 2009 ordnete das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung eine Erziehungsmaßregel und ein Zuchtmittel an. Der Angeklagte hatte im Rahmen einer tätlichen Auseinandersetzung zweimal mit einem Schraubenzieher in den linken Mittelbauch des Geschädigten gestochen. Wegen einer etwa sechs Wochen nach dieser Ahndung begangenen (ersichtlich: vorsätzlichen) Körperverletzung verhängte das Amtsgericht Saarbrücken gegen ihn mit Strafbefehl vom 2. Oktober 2009 eine Geldstrafe in Höhe von 80 Tagessätzen. Er hatte seine damalige Lebensgefährtin so lange gewürgt, bis diese Angst hatte zu ersticken; von ihr hatte er erst abgelassen, als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Sechs Tage vor dem hier abgeurteilten Angriff auf den Nebenkläger (nachfolgend zu Ziff. III.) stellte die Staatsanwaltschaft Saarbrücken ein gegen den Angeklagten geführtes Ermittlungsverfahren mangels öffentlichen Interesses ein; der Angeklagte hatte einem Besucher der Saarbrücker Diskothek „ “ angedroht, er werde ihn „abstechen, wenn er herauskomme“.
- 4
- Bei der konkreten Strafzumessung teilt das Landgericht mit, dass der Angeklagte sich darauf berufen habe, in sämtlichen Fällen von den Zeugen bewusst der Wahrheit zuwider belastet worden zu sein.
- 5
- II. Am 12. Oktober 2010 befuhr der Angeklagte mit einem entliehenen und abredewidrig weiter genutzten Pkw Smart gegen 5.45 Uhr öffentliche Straßen in Saarbrücken, u.a. die Straße in Saarbrücken-St. Johann. Infolge seiner alkoholischen Beeinflussung – er wies bei der Tat einen Blutalko- holgehalt von mindestens 1,35 ‰ auf – verkannteer den Straßenverlauf und überfuhr ein Stopp-Schild. Es kam beinahe zu einem Zusammenstoß mit dem Kleinbus des V. , der die vorfahrtberechtigte straße befuhr. An der Kreuzung Straße/ straße stieß der Angeklagte an ei- nen eisernen Begrenzungspfosten und riss diesen um; er kam mit dem von ihm gefahrenen, schwer beschädigten Fahrzeug erst auf einem angrenzenden Schulhof zum Stehen. Seine Fahrunsicherheit hätte er bei gewissenhafter Prüfung vor Antritt der Fahrt erkennen können.
- 6
- III. In der Nacht zum 18. November 2010 beobachtete der Angeklagte in der Saarbrücker Diskothek „ “ einen Streit zwischen zwei ihm nicht näher bekannten Personen. Als der Nebenkläger diesen Streit schlichten wollte, mischte sich auch der Angeklagte in die Auseinandersetzung ein und geriet mit dem Nebenkläger in Streit. Es kam zu wechselseitigen Beleidigungen; der Angeklagte schlug dem Nebenkläger ins Gesicht. Anschließend trennten die Türsteher die Streitenden. Etwa 20 Minuten später lebte die Auseinandersetzung vor der Diskothek erneut auf; nach weiteren wechselseitigen Beleidigungen schlug nunmehr der Nebenkläger dem Angeklagten ins Gesicht. Auch dieses Mal trennten die Türsteher die Streitenden. Nachdem man sich kurzzeitig in unterschiedliche Richtungen entfernt hatte, setzte der Nebenkläger dem Angeklagten nach und schlug ihm ein weiteres Mal ins Gesicht; im Rahmen der sich anschließenden Rangelei blieb der Angeklagte der körperlich Unterlegene. Ein drittes Mal trennten die herbeigeeilten Türsteher die Streitenden. Der Angeklagte entfernte sich. Der Nebenkläger begab sich in Begleitung eines Freundes zu einem Taxistand, an dem sich eine Gruppe von „Nachtschwärmern“ ver- sammelt hatte.
- 7
- Nach etwa 15 Minuten kam der Angeklagte plötzlich hinter einer Ecke hervor. Er lief unmittelbar auf den Nebenkläger zu und stach seinem nichts ahnenden Opfer sofort von seitlich hinten kommend in den Rücken. Mit den Wor- ten „Verreck‘, du Hurensohn“ rammte er ihm ein 22 cm langesdoppelklingiges Messer mit einer Klingenlänge von 11 cm derart heftig in den Rücken, dass die achte Rippe des Opfers durchtrennt wurde und die Klinge anschließend noch in die Lunge eindrang. Der Nebenkläger sackte auf dem Boden zusammen. Es entwickelten sich tumultartige Zustände; der Begleiter des Nebenklägers brachte den Angeklagten zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest. Die Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit betrug beim Angeklagten maximal 1,58 ‰.
- 8
- Der Nebenkläger erlitt einen Hämatopneumothorax; es bestand akute Lebensgefahr. Ohne eine sofort durchgeführte Notoperation wäre er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verstorben. Er leidet nach wie vor unter erheblichen physischen und psychischen Beeinträchtigungen.
B.
- 9
- Die Revision des Angeklagten
- 10
- I. Der Angeklagte hat mit seinem Revisionsangriff Erfolg, soweit er sich gegen seine Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wendet.
- 11
- 1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen die für die Annahme einer Tat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der - was nach all- gemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist - die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB, und vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB; vgl. weiter SSW-Ernemann, StGB, § 315 c Rn. 22 ff.).
- 12
- Da für den Eintritt des danach erforderlichen konkreten Gefahrerfolgs das vom Angeklagten geführte fremde Fahrzeug nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1976 – 4 StR 465/76, BGHSt 27, 40; Beschluss vom 19. Januar 1999 – 4 StR 663/98, NStZ 1999, 350, 351), auch der Verkehrswert und die Höhe des Schadens an dem Begrenzungspfosten nicht festgestellt sind (vgl. OLG Stuttgart DAR 1974, 106, 107; OLG Jena OLGSt § 315 c StGB Nr. 16; zur maßgeblichen Wertgrenze s. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215), kommt es auf die Begegnung mit dem Kleinbus des V. an. Nach den in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäben genügen die hierauf bezogenen Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Einen Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem "Beinahe-Unfall" gekommen wäre - also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, "das sei noch einmal gut gegangen" (Senat, Urteile vom 30. März 1995 und vom 4. September 1995, jew. aaO) -, hat das Schwurgericht nicht mit Tatsachen belegt. Dass sich beide Fahrzeuge beim Querverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere ergeben die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und V. etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Re- aktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen.
- 13
- 2. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht der hierwegen verhängten Einzelstrafe, der Gesamtstrafe und den Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB die Grundlage.
- 14
- 3. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht ist „vollumfänglich“ der psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, welche die negative Gefahrenprognose mit „seiner (des Angeklagten) offenkundigen sich steigernden Neigung zu körperlichen Übergriffen“ begründet hat.Im Rahmen der konkreten Strafzumessung teilt das Schwurgericht mit, dass es, nachdem der Angeklagte behauptet hatte, früherer Aggressionsdelikte bewusst wahrheitswidrig beschuldigt worden zu sein, „die Anträge der Verteidigung auf Sachverhaltsaufklärung aller vorheriger Verfahren zurückgewiesen“ und „lediglich die Warn- funktion der beiden Vorstrafen“ berücksichtigt hat. Danach findet die die Prog- nose tragende Erwägung in den getroffenen Feststellungen keine ausreichende Grundlage.
- 15
- II. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
- 16
- III. 1. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 1995, aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander, zur Beschaffenheit des Straßenverlaufs und der Kreuzung sowie der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine - wie beschrieben - konkrete Gefahr im Sinne eines "Beinahe -Unfalls" bereits vorlag.
- 17
- 2. Der neue Tatrichter wird auch die Einwendungen der revisionsführenden Staatsanwaltschaft und des Generalbundesanwalts gegen die Unterbringungsanordnung zu berücksichtigen haben.
C.
- 18
- Die Revision der Staatsanwaltschaft
- 19
- Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.
- 20
- I. Das Rechtsmittel ist zulässig.
- 21
- 1. Zwar hat die Staatsanwaltschaft entgegen § 344 Abs. 1 StPO innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 2 StPO) keinen Revisionsantrag gestellt. Sie hat bis zu diesem Zeitpunkt lediglich die bereits in ihrer Einlegungsschrift vorgebrachte allgemeine Sachrüge erhoben. Diese – auch Nr. 156 Abs. 2 RiStBV widersprechende – Verfahrensweise ist in dem hier gegebenen Einzelfall aber unschädlich. Freilich hat der Bundesgerichtshof wie- derholt Revisionen der Staatsanwaltschaft, die ohne Antragstellung lediglich mit der allgemeinen Sachrüge begründet waren, für unzulässig gehalten. Dies betraf jedoch Strafverfahren, in denen einem (BGH, Beschluss vom 21. Mai 2003 – 5 StR 69/03, bei Becker NStZ-RR 2004, 228) oder mehreren Angeklagten (BGH, Beschluss vom 7. November 2002 – 5 StR 336/02, NJW 2003, 839) eine Vielzahl von Straftaten zur Last gelegt oder in denen der Angeklagte teilweise freigesprochen worden war und die Angriffsrichtung des Rechtsmittels bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist unklar blieb (BGH, Beschluss vom 5. November 2009 – 2 StR 324/09, NStZ-RR 2010, 288). So verhält es sich hier nicht: Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft angefochtenen Urteils sind lediglich zwei Taten; in der Erhebung der uneingeschränkten allgemeinen Sachrüge ist daher die Erklärung der revisionsführenden Staatsanwaltschaft zu sehen, dass das Urteil insgesamt angefochten werde (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 344 Rn. 3 m.w.N.).
- 22
- 2. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 12. September 2011 einen umfassenden Aufhebungsantrag gestellt. Mit ihren Einzelausführungen hat sie sodann jedoch lediglich gerügt, dass das Landgericht in dem oben unter A. III. geschilderten Fall zu Unrecht den Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint hat; außerdem hat sie die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt beanstandet. Dies ist als Teilrücknahme gemäß § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO zu werten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 2005 – 5 StR 86/05 und vom 6. Juli 2005 – 2 StR 131/05) und führt dazu, dass der Schuldspruch wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, die dieserhalb verhängte Einzelstrafe und die Maßnahmen nach §§ 69, 69 a StGB nicht (mehr) auf Revision der Staatsanwaltschaft zu überprüfen sind.
- 23
- II. In dem vorgenannten Umfang erweist sich das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft als begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 24
- 1. Nach Auffassung des Schwurgerichts sprechen zwar nicht unerhebliche Gesichtspunkte für einen zumindest bedingten Tötungsvorsatz, nämlich insbesondere die erhebliche Wucht des von dem Ausspruch „Verreck‘, du Hurensohn“ begleiteten Messerstichs. Dagegenstehe indes die Tatsache, dass der Angeklagte lediglich einen Stich ausgeführt habe und darüber hinaus auch nicht unerheblich alkoholisiert gewesen sei. „Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der Hemmschwellentheorie sieht die Kammer im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an.“
- 25
- 2. Diese Beweiserwägungen halten – auch eingedenk des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11, m.w.N.) – rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Begründung, mit der das Landgericht meinte, dem Angeklagten nicht wenigstens bedingten Tötungsvorsatz nachweisen zu können, ist lückenhaft und teilweise widersprüchlich.
- 26
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Urteil vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 m.w.N.). Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen liegt es nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter, obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Schroth NStZ 1990, 324, 325) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f., vom 20. Dezember 2011 – VI ZR 309/10, WM 2012, 260, 262, und vom 21. Dezember 2011 – 1StR 400/11) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. zusammenfassend zuletzt BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11 m.w.N.).
- 27
- b) Diese Prüfung lässt das Landgericht vermissen. Seinen knappen Ausführungen kann der Senat schon nicht die erforderliche Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände entnehmen. Es wird darüber hinaus nicht erkennbar, ob das Schwurgericht bereits Zweifel daran hatte, dass der Angeklagte den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannte, oder nur daran, dass er ihn billigte oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfand.
- 28
- aa) Soweit die Alkoholisierung des Angeklagten angesprochen wird, könnte dies für Zweifel des Landgerichts auch am Wissenselement sprechen. Abgesehen davon jedoch, dass eine maximale Alkoholkonzentration von 1,58 ‰ bei dem zur Tatzeit trinkgewohnten Angeklagten keinen Anhalt für solche Zweifel begründet, leidet das angefochtene Urteil an dieser Stelle – wie der Generalstaatsanwalt in Saarbrücken zu Recht geltend macht – an einem inneren Widerspruch: Während die Alkoholisierung bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes als „nicht unerheblich“ bezeichnet wird, geht das Schwurgericht im Zusammenhang mit § 64 StGB – in Übereinstimmung mit der gehörten Sachverständigen – von einer „lediglich geringe(n) Beeinträchtigung durch Alkohol“ aus. Auch bei der Prüfung verminderter Schuldfähigkeit gelangt das sachverständig beratene Landgericht „nicht zu der Annahme einer erheblichen Beeinflussung“ des Angeklagten. Es legt auch nicht dar, wieso die den Stich begleitende Bemerkung überhaupt Raum für Zweifel daran lässt, dass der Angeklagte, dem die Lebensgefährlichkeit des Messerstichs bewusst war (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB), die Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs erkannt hat. Insgesamt ergeben sich aus den bisherigen Feststellungen keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, eine psychische Beeinträchtigung habe dem Angeklagten die Erkenntnis einer möglichen tödlichen Wirkung seines in den oberen Rückenbereich zielenden, in hohem Maße lebensgefährlichen Angriffs verstellt (vgl. zur Allgemeinkundigkeit dieses Umstands BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08 und zur Entbehrlichkeit medizinischen Detailwissens BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NStZ 2006, 444, 445).
- 29
- bb) Die Annahme einer Billigung liegt nahe, wenn der Täter sein Vorhaben trotz erkannter Lebensgefährlichkeit durchführt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2005 – 4 StR 109/05, NStZ-RR 2005, 372; Urteil vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.). Hierbei sind die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise –, die psychische Verfassung des Täters bei der Tatbegehung sowie seine Mo- tivation in die Beweiswürdigung mit einzubeziehen (vgl. BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372, und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolgs regelmäßig dann zu verneinen, wenn der vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe kommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (BGH, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, NStZ 2005, 92, vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630, und vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11).
- 30
- Rechtlich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte trotz der Lebensgefährlichkeit des Messerstichs ernsthaft und nicht nur vage (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1990 – 3 StR 332/90, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 24) darauf vertraut haben könnte, der Nebenkläger würde nicht zu Tode kommen, hat das Landgericht nicht festgestellt und liegen bei dem Tatgeschehen auch fern (vgl. BGH, Urteile vom 6. März 1991 – 2 StR 333/90, NStE Nr. 27 zu § 212 StGB, und vom 18. Oktober 2006 – 2 StR 340/06, NStZ 2007, 150, 151). Entgegen der Meinung des Landgerichts spricht insbesondere das Unterlassen weiterer Angriffe nicht gegen die Billigung des Todes. Nach dem Messerstich sackte der – nach dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen konkret lebensbedrohlich verletzte – Nebenkläger zu Boden; es ist schon nicht festgestellt, ob der Angeklagte davon ausging, ihn bereits tödlich verletzt zu haben, so dass es aus seiner Sicht weiterer Stiche nicht bedurfte (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Außerdem brachte der Begleiter des Nebenklägers den Angeklagten mit Gewalt zu Boden und hielt ihn bis zum Eintreffen der Polizei fest; auch brach infolge der Tat ein Tumult aus. Danach liegt es nicht nahe, dass der Angeklagte überhaupt noch die Gelegenheit zu einem weiteren Messerstich auf sein am Boden liegendes Opfer hatte.
- 31
- cc) Soweit das Landgericht sich ergänzend auf eine „Hemmschwellentheorie“ berufen hat, hat es deren Bedeutung für die Beweiswürdigung verkannt.
- 32
- Es hat schon nicht mitgeteilt, was es darunter im Einzelnen versteht und in welchem Bezug eine solche „Theorie“ zu dem von ihm zu beurteilenden Fall stehen soll. Die bloße Erwähnung dieses Schlagworts wird vom Generalstaatsanwalt in Saarbrücken und vom Generalbundesanwalt daher mit Recht als „pauschal“ bzw. „formelhaft“ bezeichnet. Zwarhat auch der Bundesgerichtshof immer wieder auf die „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ hin- gewiesen (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; abl. z.B. Brammsen JZ 1989, 71, 78; Fahl NStZ 1997, 392; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 212 Rn. 15 f.; Geppert Jura 2001, 55, 59; SSW-StGB/Momsen § 212 Rn. 12; Paeffgen, FS für Puppe, 791, 797 Fn. 25, 798 Fn. 30; NKStGB /Puppe, 3. Aufl., § 212 Rn. 97 ff.; Rissing-van Saan, FS für Geppert, 497, 505 f., 510; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., § 12 Rn. 79 ff.; MünchKommStGB /Schneider § 212 Rn. 48 f.; SK-StGB/Sinn § 212 Rn. 35; Trück NStZ 2005, 233, 234 f.; Verrel NStZ 2004, 233 ff.; vgl. auch Altvater NStZ 2005, 22, 23), allerdings auch gemeint, in Fällen des Unterlassens bestünden „generell keine psychologisch vergleichbaren Hemmschwellen vor einem Tötungs- vorsatz“ (BGH,Urteil vom 7. November 1991 – 4 StR 451/91, NJW 1992, 583, 584; dazu Puppe NStZ 1992, 576, 577: „Anfang vom Ende der Hemm- schwellentheorie“).Für Fälle des positiven Tuns hat er an das Postulat einer Hemmschwelle anknüpfend weiter ausgeführt, dass selbst die offen zutage tretende Lebensgefährlichkeit zugefügter Verletzungen ein zwar gewichtiges Indiz, nicht aber einen zwingenden Beweisgrund für einen (bedingten) Tötungsvorsatz des Täters bedeute, der Tatrichter vielmehr gehalten sei, in seine Beweiserwägungen alle Umstände einzubeziehen, welche die Überzeugung von einem Handeln mit (bedingtem) Tötungsvorsatz in Frage stellen könnten (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1997 – 3 StR 569/97, NStZ-RR 1998, 101, vom 8. Mai 2001 – 1 StR 137/01, NStZ 2001, 475, 476, und vom 2. Februar 2010 – 3 StR 558/09, NStZ 2010, 511, 512);sachlich vergleichbar fordern andere Entscheidungen vom Tatrichter, immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen , dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut habe, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 – 3 StR 142/08, NStZ 2009, 91, und vom 22. April 2009 – 5 StR 88/09, NStZ 2009, 503; Urteil vom 25. März 2010 – 4 StR 594/09 m.w.N.). Wieder andere Entscheidungen verlangen „eine eingehende Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalles“ (BGH, Urteil vom 8. März 2001 – 4 StR 477/00, StV 2001, 572; ähnlich bereits BGH, Beschluss vom 27. November 1975 – 4 StR 637/75, VRS 50, 94, 95).
- 33
- An den rechtlichen Anforderungen ändert sich indessen nichts, wenn die zur Annahme oder Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes führende Beweiswürdigung ohne Rückgriff auf das Postulat einer Hemmschwelle überprüft wird (BGH, Urteile vom 3. Juli 1986 – 4 StR 258/86, NStZ 1986, 549, 550, und vom 7. August 1986 – 4 StR 308/86, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3 [jeweils: sorgfältige Prüfung], sowie vom 11. Dezember 2001 – 1 StR 408/01, NStZ 2002, 541, 542 [Ausführungen zu einer Hemmschwelle bei stark alkoholisiertem Täter ohne Motiv nicht geboten]; ebenso für Fälle affektiv erregter, alkoholisierter , ohne Motiv, spontan oder unüberlegt handelnder Täter BGH, Beschlüsse vom 21. Oktober 1986 – 4 StR 563/86, StV 1987, 92, vom 7. Juli 1999 – 2 StR 177/99, NStZ 1999, 507, 508,und vom 7. November 2002 – 3 StR 216/02, NStZ 2004, 51; Urteil vom 14. November 2001 – 3 StR 276/01; Beschluss vom 2. Dezember 2003 – 4 StR 385/03, NStZ 2004, 329, 330; Urteil vom 14. Dezember 2004 - 4 StR 465/04; Beschluss vom 20. September2005 – 3StR 324/05, NStZ 2006, 169, 170; Urteile vom 30. August 2006 – 2 StR 198/06, NStZ-RR 2007, 43, 44 [zusätzlich gruppendynamischer Prozess], vom 18. Januar 2007 – 4 StR 489/06, NStZ-RR 2007, 141, 142, und vom 23. Juni 2009 – 1 StR 191/09, NStZ 2009, 629, 630; Beschluss vom 6. Dezember 2011 – 3 StR 398/11; vgl. auch BGH, Beschluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 526/02, NStZ 2003, 369).
- 34
- Im Verständnis des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die „Hemmschwellentheorie“ somit in einem Hinweis auf § 261 StPO (BGH, Urteil vom 11. Januar 1984 – 2 StR 615/83, StV 1984, 187, Beschluss vom 27. Juni 1986 – 2 StR 312/86, StV 1986, 421, Urteile vom 22. November 2001 – 1 StR 369/01, NStZ 2002, 314, 315, vom 23. April 2003 – 2 StR 52/03, NStZ 2003, 603, 604, und vom 16. Oktober 2008 – 4 StR 369/08, NStZ 2009, 210, 211: jeweils sorgfältige Prüfung; vgl. weiter BGH, Urteil vom 25. November 1987 – 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175; Beschlüsse vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, NStZ 1994, 585, und vom 25. November 2010 – 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338, 339; Urteil vom 15. Dezember 2010 – 2 StR 531/10, NStZ 2011, 210, 211; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 48: „prozessuale Selbstver- ständlichkeit“).Der Bundesgerichtshof hat demgemäß immer wieder hervorgehoben , dass durch sie die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensge- fährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen (BGH, Urteil vom 24. April 1991 – 3 StR 493/90) in der praktischen Rechtsanwendung nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH, Urteile vom 24. März 1993 – 3 StR 485/92, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 35, vom 12. Januar 1994 – 3 StR 636/93, NStE Nr. 33 zu § 212 StGB, vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51, und vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372), auch nicht bei Taten zum Nachteil des eigenen Kindes (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 305). Zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements bedarf es vielmehr in jedem Einzelfall tragfähiger Anhaltspunkte dafür, dass der Täter ernsthaft darauf vertraut haben könnte, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (BGH, Urteile vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04, vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 99, vom 25. Mai 2007 – 1 StR 126/07, NStZ 2007, 639, 640, und vom 16. Oktober 2008 aaO; Trück aaO S. 239 f.). Daran fehlt es hier (vgl. vorstehend unter bb).
- 35
- Der Hinweis des Landgerichts auf eine „Hemmschwellentheorie“ entbehrt somit jedes argumentativen Gewichts. Im Übrigen hätte das Schwurgericht sich – von seinem Standpunkt aus – damit auseinander setzen müssen, dass schon der festgestellte Handlungsablauf, nämlich das wuchtige und zielgerichtete Stechen eines Messers aus schnellem Lauf in den Rücken eines ahnungslosen Opfers, das Überwinden einer etwa vorhandenen Hemmschwelle voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 16. April 2008 – 2 StR 95/08). Auch ist eine erhebliche Alkoholisierung (oder ein Handeln in affektiver Erregung und aufgrund spontanen Entschlusses) nach sicherer Erfahrung gerade besonders geeignet, eine etwa vorhandene Hemmschwelle auch für äußerst gefährliche Gewalthandlungen herabzusetzen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2010 – 2 StR 577/09, NStZ- RR 2010, 214, 215; NK-StGB/Puppe, 3. Aufl., § 15 Rn. 93; Rissing-van Saan, aaO, S. 515; Roxin, aaO, Rn. 81; MünchKommStGB/Schneider § 212 Rn. 50; Trück aaO S. 238; Verrel aaO S. 311).
- 36
- dd) Nach alledem kann der Senat offen lassen, ob die zusammenfassende Bemerkung des Landgerichts, es sehe „einen Tötungsvorsatz als nicht mit letzter Sicherheit erwiesen an“, nicht auf eine Überspannung der Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung hindeutet. Auch bedarf es keiner Entscheidung, ob hier nicht – etwa im Blick auf die den Messerstich begleitende Äußerung des Angeklagten – die Annahme direkten Tötungsvorsatzes näher liegt.
- 37
- 3. Auf der fehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch wegen der Tat zum Nachteil des Nebenklägers. Nach den bisherigen Feststellungen liegt die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch nicht nahe (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2010 – 2 StR 536/10, NStZ 2011, 209).
- 38
- III. Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung , weil ein versuchtes Tötungsdelikt hierzu in Tateinheit stünde (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 – 4 StR 642/96, NStZ 1997, 276; Beschluss vom 27. Juni 2000 – 4 StR 211/00). Dies entzieht der hierwegen verhängten Einzelfreiheitsstrafe , der Gesamtfreiheitsstrafe und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nebst teilweisem Vorwegvollzug der Gesamtstrafe die Grundlage.
- 39
- IV. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs zum Tötungsvorsatz ab. Er legt ihr vielmehr die sog. Hemmschwellentheorie in dem in der bisherigen Rechtsprechung entwickelten Verständnis zu Grunde (vgl. oben C. II. 2. b) cc).
Mutzbauer Quentin
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Februar 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Becker,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Spaniol, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berg, Hoch als beisitzende Richter, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger für die Angeklagte R. , Rechtsanwälte als Verteidiger für den Angeklagten Ra. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten S. , Rechtsanwalt für die Nebenklägerin,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Angeklagten des Raubes mit Todesfolge in Tateinheit mit versuchtem Totschlag durch Unterlassen schuldig gesprochen und wie folgt verurteilt: die Angeklagte R. zu einer Jugendstrafe von neun Jahren ; den Angeklagten Ra. zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren; den Angeklagten C. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren; den Angeklagten S. zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten sowie den Angeklagten K. zu einer Jugendstrafe von acht Jahren. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Revisionen der Angeklagten wenden sich mit verfahrensrechtlichen Bean- standungen und der Sachrüge gegen ihre Verurteilungen. Alle Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg, die Revision der Staatsanwaltschaft auch zu Gunsten der Angeklagten (§ 301 StPO); die von den Angeklagten geltend gemachten Verfahrensbeanstandungen sind deshalb nicht entscheidungserheblich.
- 2
- Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen beabsichtigten die Angeklagten, das Opfer, einen zum Tatzeitpunkt 81 Jahre alten alleinstehenden Mann, in dessen Wohnhaus zu überfallen, um insbesondere aus dem in dem Anwesen befindlichen Tresor Wertgegenstände zu entwenden. Sie vereinbarten , dass zunächst die Angeklagten C. und S. das Wohnhaus betreten und das Opfer festhalten bzw. fesseln sowie ihm den Tresorschlüssel abnehmen sollten. C. sollte das Opfer auch "boxen" und ihn bewachen. Die Angeklagten R. , K. und Ra. sollten nachrücken und die erwarteten Wertgegenstände aus dem Tresor holen. Der Erlös sollte unter allen Angeklagten aufgeteilt werden. Die Angeklagten fuhren mit einem PKW in die Nähe des Wohnhauses; Ra. hatte zuvor das erforderliche Benzin bezahlt. R. ermittelte, dass das Opfer anwesend war. Daraufhin näherten sich die Angeklagten dem Wohnhaus. C. und S. drangen durch die geöffnete Eingangstür in den Flur ein. C. brachte das Opfer dort bäuchlings zu Boden und schlug auf dieses ein. S. schloss die Eingangstür und ließ die Rollläden des Küchenfensters herunter. R. , Ra. und K. warteten vor der Eingangstür und konnten dort die Schläge gegen das Opfer und dessen Stöhnen hören. Kurze Zeit später öffnete S. die Haustür und R. trat ein. Zu diesem Zeitpunkt kniete C. auf dem Rücken des Opfers, dem er einen Schal vor den Mund gespannt hatte, zog an den Enden des Schals und überstreckte damit den Kopf des Opfers nach hinten. S. durchsuchte das Obergeschoss des Gebäudes, wohin sich ebenfalls R. mit dem zwischenzeitlich erlangten Tresorschlüssel be- gab. Unmittelbar danach betrat auch K. das Haus. Demgegenüber drehte Ra. vor der Eingangstür um und lief zu dem Fahrzeug zurück, da ihm Bedenken in Bezug auf die Tat gekommen waren und er mit dieser nichts mehr zu tun haben wollte. Als K. das Gebäude betrat, schlug C. auf Kopf und Oberkörper des Opfers ein. Auch K. schlug mit den Fäusten zu und trat dem Opfer in die Seite. Sodann begab er sich in das Obergeschoss und durchsuchte mit S. und R. die dortigen Räume sowie den mittlerweile geöffneten Tresor. Dort befanden sich jedoch wider Erwarten keine Wertgegenstände. K. übergab dem S. eine zufällig aufgefundene Packung Zigaretten, die dieser einsteckte, und kehrte in das Erdgeschoss zurück. Dort hielt C. das Opfer mit einem Arm in einem Würgegriff und schlug mit der freien Faust auf dieses ein. R. gab dem Geschädigten nach ihrer Rückkehr in das Erdgeschoss mittels eines von ihr mitgeführten Elektroschockgerätes mehrere Stromschläge ins Gesicht. S. schlug nach seiner Rückkehr aus dem Obergeschoss ebenfalls mindestens einmal mit der Faust auf das Opfer ein. Dieses stöhnte nunmehr nur noch leise. Entweder C. oder K. nahm die Armbanduhr des Opfers an sich. Durch die Einwirkungen auf das Opfer entstanden im Flur, am Kücheneingang und am Treppenaufgang des Erdgeschosses erhebliche Blutspuren. Sodann verließen R. , S. , K. und C. gemeinsam das Wohnhaus, wobei K. den blutverschmierten Schal mitnahm. Das Opfer lag zu diesem Zeitpunkt regungslos - offensichtlich schwer verletzt, möglicherweise auch bereits tot - auf dem Fußboden des Flurs. Während der Vornahme der Verletzungshandlungen hielten alle Angeklagten es "durchaus für möglich", dass das hochbetagte Opfer durch den Einsatz der erheblichen körperlichen Gewalt zu Tode kommen könnte. Die Strafkammer hat jedoch nicht feststellen können, dass sie den Tod des Opfers billigend in Kauf nahmen.
- 3
- Sodann rannten R. , S. , K. und C. zu dem abgestellten PKW, in dem Ra. auf dem Fahrersitz saß und auf sie wartete. Dieser steuerte sodann das Fahrzeug, mit dem die Angeklagten fluchtartig den Tatort verließen. Sie bewerteten den Raubüberfall als misslungen. Ra. wurde berichtet, dass C. , K. und S. das Opfer geschlagen hatten und R. diesem mehrfach ein Elektroschockgerät an den Hals gehalten hatte. C. war ob einer möglichen Tötung des Opfers schockiert und äußerte: "Was habe ich da getan? Aber diesem Mann ist nix passiert, ne? Ist der Mann noch am Leben, ne?" Zudem berichtete er den anderen Angeklagten , er komme damit nicht klar, wenn das Opfer tot sein sollte. Daraufhin entgegnete R. auf Deutsch: "Ach nein, der war noch am Leben." Zu Ra. sagte sie hingegen auf Romani: "Ich glaub, der war tot." Die Angeklagten warfen bei der Tat getragene, blutverschmierte Kleidung und das Elektroschockgerät aus dem Fenster. Spätestens ab Verlassen des Hauses war C. , R. , K. und S. klar, dass das Opfer aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen ohne unverzügliche medizinische Hilfe versterben würde. Ra. war dies nach den Erzählungen der Mitangeklagten ebenfalls bewusst. Gleichwohl verständigte niemand den Rettungsdienst oder leitete ähnliche Maßnahmen ein, obwohl dies möglich gewesen wäre.
- 4
- Das Opfer wurde unmittelbar nach der Tat durch Zeugen entdeckt und nach Durchführung von Reanimationsmaßnahmen in ein Krankenhaus eingeliefert , wo sein Tod festgestellt wurde. Todesursächlich war eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen den Hals, entweder in Form des Würgegriffs oder des Überstreckens des Kopfes nach hinten, die u.a. eine Fraktur des 6. Halswirbelkörpers bewirkte und zum Ersticken führte.
- 5
- I. Revision der Staatsanwaltschaft
- 6
- Das Urteil hält sachlichrechtlicher Prüfung in mehrfacher Hinsicht nicht stand.
- 7
- 1. Die Ausführungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite während des Geschehens in dem Wohnhaus sind nicht einheitlich; sie tragen bereits deshalb die Ablehnung des Tötungsvorsatzes nicht.
- 8
- In den Feststellungen hat die Strafkammer ausgeführt, alle Angeklagten hätten es für möglich gehalten, dass das Opfer durch den Einsatz der erheblichen körperlichen Gewalt zu Tode kommen könnte, dies aber nicht billigend in Kauf genommen. Ähnliche Formulierungen hat sie in der rechtlichen Würdigung gebraucht. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sie demgegenüber dargelegt, die Angeklagten hätten erst nach Abschluss der letzten Handlung erkannt, dass diese und gegebenenfalls die davor vorgenommenen zum Tode des Opfers führen könnten. Aufgrund dieser unterschiedlichen Formulierungen ist den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen , für welchen Zeitpunkt das Landgericht angenommen hat, die Angeklagten hätten den Eintritt des Todes des Opfers als möglich angesehen.
- 9
- 2. Ausgehend von den getroffenen Feststellungen ist die Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz der Angeklagten durchgreifend rechtsfehlerhaft. Im Einzelnen:
- 10
- a) Die unterschiedlichen Feststellungen zum Tötungsvorsatz der Angeklagten R. , C. , K. und S. für die Zeit bis zum Verlassen des Hauses und für die Zeit danach werden durch die Beweiswürdigung nicht getragen.
- 11
- aa) Die in den Feststellungen gebrauchten Formulierungen weisen die Annahme des Landgerichts aus, die Angeklagten hätten bis zum Verlassen des Hauses nicht zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt, da das insoweit notwendige Willenselement nicht habe festgestellt werden können. Die Angeklagten hätten es zwar für möglich gehalten, dass das Opfer aufgrund der Gewalteinwirkungen verstirbt; sie hätten dies jedoch nicht billigend in Kauf genommen. Dies ergebe sich insbesondere aus Art und Intensität der Körperverletzungshandlungen , die keine derart gefährlichen Handlungen darstellten, bei denen regelmäßig mit dem Tod des Opfers gerechnet werden müsse. Daneben sprächen auch die Äußerungen der Angeklagten während der Rückfahrt gegen einen Tötungsvorsatz zum Zeitpunkt der Vornahme der Verletzungshandlungen. Demgegenüber hat die Strafkammer für die Zeit nach dem Verlassen des Hauses festgestellt, dass allen Angeklagten klar war - sie mithin wussten -, dass das Opfer aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen ohne unverzügliche medizinische Hilfe versterben würde und somit einen dolus directus 2. Grades (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 15 Rn. 7) angenommen. Dies folge daraus, dass C. , S. , K. und R. in dem Wohnhaus anwesend gewesen seien und den Zustand des Opfers unmittelbar beobachtet hätten, sowie aus den Gesprächen, welche die Angeklagten nach dem Überfall in dem Kraftfahrzeug führten.
- 12
- bb) Diese Ausführungen tragen die unterschiedlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht.
- 13
- (1) Soweit das Landgericht für den ersten Handlungsabschnitt den bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, gilt:
- 14
- (1.1) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens- als auch das Willenselement, umfassend geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann das Tatgericht auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatgericht übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322, 2326). Gleichermaßen allein Sache des Tatgerichts ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Diese Grundsätze gelten auch bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes. Dort ist es - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten (vgl. BGH, Urteile vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f.; vom 16. Mai 2013 - 3 StR 45 /13, NStZ 2013, 581, 582 f.; vgl. aus neuerer Zeit BGH, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 1 StR 344/16, juris Rn. 18 jew. mwN), wobei freilich etwa keine Widersprüche zu Tage treten dürfen.
- 15
- (1.2) Bei Anwendung dieser Maßstäbe hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Landgericht hat zwar - im Ansatz zutreffend - im Rahmen der erforderlichen Gesamtschau bei der Prüfung des Vorsatzes während des Geschehens in dem Anwesen auch die Äußerungen der Angeklagten während der Flucht in den Blick genommen. Es hat jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt, wieso es bei insoweit gleicher Beweisgrundlage zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangt ist. Die Tatsachenbasis - das Geschehen in dem Haus - und die Kenntnis der Angeklagten hiervon änderten sich nicht, nachdem diese das Anwesen verlassen hatten; die an dem Opfer verübten Gewalthandlungen dauerten an, bis die Angeklagten aus dem Haus gingen. Der Inhalt der in dem Kraftfahrzeug geführten Gespräche gibt im Wesentlichen ihren Eindruck von dem bisherigen objektiven Tatgeschehen und ihre subjektive Einstellung hierzu wieder. Es ist deshalb durchgreifend widersprüchlich anzunehmen , die Angeklagten hätten während des Geschehens in dem Haus den Tod des Opfers als Folge der Gewalthandlungen lediglich für möglich gehalten, aber nicht billigend in Kauf genommen, während der Fahrt in dem PKW jedoch um den möglichen Todeseintritt gewusst. Dieser in dem Wechsel bei der Bewertung des subjektiven Tatbestands liegende Widerspruch wird in den Urteilsgründen an keiner Stelle, weder in den Feststellungen, noch in den Ausführungen zur Beweiswürdigung oder denjenigen zur rechtlichen Bewertung des Geschehens , aufgelöst. Auf die weiteren Einwendungen der Revision und des Generalbundesanwalts gegen die Bewertung der sonstigen Indizien durch die Strafkammer kommt es somit nicht mehr an.
- 16
- (2) Aus dem dargestellten Rechtsfehler folgt auch, dass das Urteil nicht bestehen bleiben kann, soweit das Landgericht für den zweiten Handlungsabschnitt einen Tötungsvorsatz der Angeklagten in Form des dolus directus 2. Grades angenommen hat. Insoweit weist die Beweiswürdigung denselben, unaufgelösten Widerspruch auf. Es erklärt sich nicht, wieso das Landgericht auf derselben Tatsachengrundlage, die für die Bewertung des Geschehens in dem Anwesen vorliegt, nunmehr für den Zeitraum während der Flucht zu anderen, den Angeklagten nachteiligen Feststellungen zum subjektiven Tatbestand gelangt ist. Durch diesen Rechtsfehler sind die Angeklagten beschwert; die Revision der Staatsanwaltschaft wirkt insofern zu ihren Gunsten (§ 301 StPO).
- 17
- b) Hinsichtlich des Angeklagten Ra. hat das Landgericht den Tötungsvorsatz für den Zeitraum bis zum Verlassen des Hauses durch die übrigen Angeklagten ohne Rechtsfehler verneint. Der insoweit bezüglich der anderen Angeklagten aufgezeigte Rechtsfehler betrifft den Angeklagten Ra. nicht. Dieser betrat das Wohnhaus nicht und erlangte von den dortigen Vorgängen erst im Nachhinein Kenntnis. Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Angeklagten bei der Planung der Tat vor Betreten des Gebäudes keinen Tötungsvorsatz gefasst hatten, wird ein Rechtsfehler weder von der Revision geltend gemacht, noch ist er sonst ersichtlich.
- 18
- Den Angeklagten Ra. betrifft gleichwohl der sich zu seinen Lasten auswirkende Rechtsfehler in der Beweiswürdigung zu dem Tötungsvorsatz während der Flucht in gleicher Weise wie die anderen Angeklagten (§ 301 StPO). Nach den Feststellungen wurde der Angeklagte Ra. durch die übrigen Angeklagten über das Geschehen in dem Haus informiert. Aufgrund dessen hat die Strafkammer bei der Bewertung der für die subjektive Tatseite bedeutsamen Indizien zwischen den Angeklagten nicht weiter differenziert und eine gemeinsame Bewertung vorgenommen. Ihre Ausführungen können deshalb nicht aufgespalten werden in einen Teil, der lediglich die Angeklagten R. , C. , K. und S. betrifft und einen weiteren, hiervon unabhängigen Teil, der lediglich den Angeklagten Ra. erfasst; sie sind insoweit vielmehr insgesamt rechtsfehlerhaft.
- 19
- 3. Ein weiterer, sich zu Gunsten aller Angeklagten auswirkender Rechtsfehler liegt darin, dass die Strafkammer hinsichtlich der von ihr angenommenen versuchten Tötung durch Unterlassen das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht nicht erörtert hat. Hierzu wäre sie auf der Grundlage der von ihr getroffenen Feststellungen gehalten gewesen. Danach lag es nahe, dass die Angeklagten ihnen mögliche und zumutbare Rettungsbemühungen, etwa in Form der Benachrichtigung eines Rettungsdienstes, deshalb nicht vornahmen, weil sie das Risiko einer Überführung vermeiden wollten.
- 20
- II. Revisionen der Angeklagten
- 21
- Die Rechtsmittel aller Angeklagten haben mit der Sachrüge aufgrund des dargelegten, sich zu ihren Lasten auswirkenden Beweiswürdigungsfehlers zum Vorliegen des Tötungsvorsatzes während der Flucht vom Tatort Erfolg.
- 22
- III. Die aufgezeigten Rechtsfehler bedingen die Aufhebung aller Feststellungen , auch derjenigen, die zum objektiven Tatgeschehen getroffen worden sind. Diese sind in der vorliegenden Fallkonstellation eng mit denjenigen zur subjektiven Tatseite verknüpft. Dem neuen Tatgericht ist es deshalb zu ermöglichen , insgesamt einheitliche, widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Die Sache muss somit insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
- 23
- IV. Es besteht entgegen der Auffassung der Verteidigung kein Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen. Allein die Größe des Landgerichts Krefeld und das öffentliche Interesse an dem Verfahren begründen nicht die Besorgnis, eine andere Strafkammer dieses Landgerichts könne das Verfahren nicht in sachgerechter Weise bewältigen.
- 24
- V. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
- 25
- 1. Sollte auch das neue Tatgericht Schlüsse aus dem serologischen und DNA-analytischen Gutachten des Hessischen Landeskriminalamts vom 21. September 2015 ziehen wollen (vgl. UA 78), wird es bei der Darstellung der Ergebnisse die einschlägigen Anforderungen der Rechtsprechung zu beachten haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juli 2016 - 4 StR 558/15, juris Rn. 10; Beschluss vom 12. April 2016 - 4 StR 18/16, juris Rn. 4; Urteil vom 24. März 2016 - 2 StR 112/14, NStZ 2016, 490, 491 f.; Beschluss vom 19. Januar 2016 - 4 StR 484/15, NStZ-RR 2016, 118 f.; Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477 ff.; Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212,
217).
- 26
- 2. Zu dem Verhältnis der beiden Sachverhaltsabschnitte zueinander hat der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt: "Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird insoweit allerdings zu bedenken haben, dass die strafrechtliche Würdigung des Unterlassens von Rettungsbemühungen seitens der Angeklagten im Anschluss an den verübten Überfall nicht unabhängig von der neu vorzunehmenden tatrichterlichen Bewertung des Überfalls selbst erfolgen kann. Sollte der neue Tatrichter bei allen oder zumindest bei einzelnen Angeklagten zur Feststellung eines bei der Vornahme der Verletzungshandlungen bestehenden Tötungsvorsatzes gelangen…, wäre insoweit für eine Strafbarkeit wegen versuchten Verdeckungsmordes durch Unterlassen kein Raum mehr. Dabei kann offenbleiben, ob in dieser Fallkonstellation bereits keine Pflicht zur Erfolgsabwendung besteht oder es sich bei dem Verhältnis von Begehungs- zum nachfolgenden Unterlassungsunrecht um eine Konkurrenzfrage handelt. Jedenfalls würde es dann an der Verdeckung einer anderen Tat fehlen (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 2016 - 4 StR 563/15 m.w.N.)."
- 27
- 3. Das neue Tatgericht wird bei der Beurteilung der subjektiven Tatseite gegebenenfalls die unterschiedliche Art und Intensität der Beteiligung der einzelnen Angeklagten an dem objektiven Tatgeschehen in den Blick zu nehmen haben.
- 28
- 4. Die Rüge, die polizeilichen Einlassungen der Angeklagten unterlägen einem Verwertungsverbot nach § 136a StPO, bewertet der Senat vorläufig wie folgt: Eine die Strafverfolgungsbehörden im vorliegenden Fall treffende Verpflichtung , einen richterlichen Haftbefehl zu beantragen, ohne die Ergebnisse der Ermittlungsmaßnahmen abzuwarten, die am 28. und 29. Januar 2015 durchgeführt wurden, ergibt sich weder aus der Strafprozessordnung, noch aus der Verfassung oder der Europäischen Menschenrechtskonvention. Es ist nicht als sachwidrig zu beurteilen, dass die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidung , einen Haftbefehl zu beantragen, erst trafen, nachdem die Angeklagten Gelegenheit gehabt hatten, sich zur Sache einzulassen; eine bewusste Umgehung des Richtervorbehalts ist deshalb nicht ersichtlich. Im Übrigen bedeutet die aus Art. 104 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO folgende Pflicht, den Festgenommenen unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme einem Richter vorzuführen, dass die richterliche Entscheidung ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen Gründen rechtfertigen lässt, nachgeholt werden muss (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. September 2009 - 2 BvR 2520/07, juris Rn. 22 mwN). Ein derartiger sachlicher Grund ist jedenfalls in der Regel u.a. dann anzunehmen, wenn der Beschuldigte sich nach seiner Festnahme durch die Polizei bei dieser nach ordnungsgemäßer Belehrung zu seiner Person und zur Sache einlässt; denn hieraus können sich sowohl für den dringenden Tatverdacht als auch für die Frage, ob ein Haftgrund anzunehmen ist, wesentliche, dem Festgenommenen unter Umständen günstige Gesichtspunkte ergeben, die bei den Entscheidungen über die Beantragung und Anordnung der Untersuchungshaft zu berücksichtigen sind (vgl. im Übrigen schon BGH, Urteil vom 17. November 1989 - 2 StR 418/89, NJW 1990, 1188). Es begründet auch regelmäßig keinen Verstoß gegen Art. 104 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, § 128 Abs. 1 Satz 1 StPO, wenn dem einlassungsbereiten Festgenommenen vor der Vorführung beim Richter Angaben von Mitbeschuldigten vorgehalten werden. Becker Schäfer Spaniol Berg Hoch
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 6. Dezember 2016 in der Sitzung am 8. Dezember 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär, Staatsanwältin – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –, Staatsanwalt – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 – als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 – als Verteidiger, Rechtsanwältin – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 – als Vertreterin der Nebenklägerin, Justizangestellte – in der Verhandlung vom 6. Dezember 2016 –, Justizobersekretärin – bei der Verkündung am 8. Dezember 2016 – als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
2. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
3. Die Nebenklägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen. Eine Erstattung der dem Angeklagten durch die Revision der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen findet nicht statt.
4. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung , Nötigung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten verurteilt.
- 2
- Die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin sowie das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft haben keinen Erfolg.
I.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war für den Angeklagten die Ehe mit der Nebenklägerin der „zentrale Dreh- und Angelpunkt seines Le- bens und wesentlicher Quell seines Selbstwertgefühls“. Als ihm die Nebenklä- gerin eine außereheliche Beziehung gestand, wollte der Angeklagte das Scheitern der Ehe verhindern und bemühte sich sehr um seine Ehefrau. Am Abend des 5. September 2015 erklärte ihm die Nebenklägerin jedoch, an diesem Tag wieder mit ihrem Liebhaber zusammen gewesen zu sein und legte sich schlafen. Im Schlaf sprach sie beglückt vom Sex mit ihrem Liebhaber. Der Angeklagte erkannte, dass seine Bemühungen, seine Frau zurückzugewinnen und die Ehe fortzuführen, erfolglos gewesen waren. Mit der nun als akut erachteten Gefährdung seiner Ehe war der Angeklagte aufgrund seiner niedrigen Intelligenz und seiner wenig ausgeprägten emotionalen Entwicklung überfordert. Er sah die Ausübung von Gewalt als einzige Möglichkeit an, „dem Reden seiner Ehefrau ein Ende zu setzen, sie ‚festzuhalten‘ und weitere (sexuelle) Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern“. Um diese Ziele zu erreichen, kniete er sich seitlich neben die schlafende Nebenklägerin, packte sie mit beiden Händen „mit festem Griff“ am Hals und drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend, oh- ne seine ganze ihm mögliche Kraft auszuüben und ohne sein ganzes Gewicht von über 140 kg in den Griff hineinzulegen. Gleichzeitig rief er wiederholt laut- stark: „Du gehst mir nicht mehr fremd“. Er erkannte, dass das Würgen die Ne- benklägerin erheblich verletzen könnte und mit der von ihm ausgeübten Intensi- tät „potentiell“ lebensgefährlich war. Dies nahm er billigend in Kauf. In dem kräf- tigen Griff an ihren Hals sah er jetzt die einzige Möglichkeit, das für ihn unerträgliche Schwärmen vom Sex mit dem Liebhaber zu beenden und weitere derartige Kontakte zu verhindern.
- 4
- Die Nebenklägerin wachte unmittelbar nach dem Beginn des Würgevorgangs auf. Ihre Atemwege waren durch das Zudrücken teilweise verlegt und sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Sie röchelte, rang nach Luft und wand sich auf dem Bett hin und her, um dem Griff des Angeklagten zu entkommen.
- 5
- Die drei Kinder des Angeklagten und deren Freunde hörten das laute Rufen des Angeklagten aus dem elterlichen Schlafzimmer und das nach Luft Schnappen der Nebenklägerin. Der Sohn B. betrat bereits fünf Sekunden nach Beginn des Würgevorgangs das Zimmer, schrie seinen Vater an, „lass sie los“ und versuchte, ihn von der Nebenklägerin wegzuziehen. Der An- geklagte lockerte deswegen seinen Griff, so dass die Nebenklägerin atmen konnte. Dann festigte er seinen Griff wieder, da er sich in seinem verzweifelten psychischen Zustand nicht anders als durch das Würgen seiner Frau zu helfen wusste. Sekunden danach betraten auch die beiden anderen Kinder das Schlafzimmer. Zu dritt versuchten sie, den Angeklagten zurückzuziehen. Der Angeklagte lockerte deshalb erneut den Griff um den Hals der Nebenklägerin, den er insgesamt etwa zehn Sekunden aufrechterhalten hatte. Die Nebenklägerin verließ das Schlafzimmer.
- 6
- Als die Kinder den Angeklagten schließlich losließen, nahm er ein Küchenmesser mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm an sich und machte sich auf die Suche nach der Nebenklägerin. Er wollte sie daran hindern, ihn zu verlassen und ihn weiter mit anderen Männern zu betrügen. Dabei nahm er billigend in Kauf, das Messer gegebenenfalls einzusetzen, wobei er sich über die Art des Messereinsatzes noch keine Gedanken machte. Der Angeklagte rannte um den Wohnblock, fand die Nebenklägerin jedoch nicht. Schließlich ließ er sich von seinem Sohn D. das Messer abnehmen.
- 7
- 2. Das Landgericht hat das Würgen als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB gewertet.
- 8
- Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nicht angenommen. Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat es sich nicht mit hinreichender Sicherheit von dem kognitiven und voluntativen Element dieser Vorsatzform überzeugen können. Dabei hat die Strafkammer insbesondere die „affektiven Elemente der Tataus- übung“, den spontanen Tatentschluss aufgrund der von der Nebenklägerin im Schlaf geäußerten Worte, die fehlende maximale Kraftentfaltung, die niedrige Intelligenz verbunden mit der emotionalen Überforderung, die Ehe mit der Ne- benklägerin als „zentralen Dreh- und Angelpunkt seines Lebens und wesentli- chen Quell seines Selbstwertgefühls“ und die nachfolgende Bewaffnung mit dem Messer berücksichtigt und sich mit der Gefährlichkeit der Tathandlung auseinandergesetzt.
II.
- 9
- Die zunächst mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete und einen umfassenden Aufhebungsantrag enthaltende Revision des Angeklagten beanstandet in ihrer Stellungnahme zu den Revisionsbegründungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage nur den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Eine teilweise Rücknahme der unbeschränkt eingelegten Revision liegt darin nicht, weil die Voraussetzungen des § 302 Abs. 2 StPO nicht dargetan sind.
- 10
- Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
- 11
- 1. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung in der Tatbestandsvariante der lebensgefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB.
- 12
- Nicht jeder Angriff auf den Hals des Opfers in der Form des Würgens ist eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Von maßgeblicher Bedeutung sind vielmehr Dauer und Stärke der Einwirkung , die zwar nicht dazu führen müssen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät, aber abstrakt geeignet sein muss, das Leben des Opfers zu gefährden (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2005 – 4 StR 185/05, NStZ-RR 2006, 11, 12 mwN).
- 13
- Der Angeklagte hielt die Nebenklägerin etwa zehn Sekunden mit festem Griff mit beiden Händen am Hals gepackt, drückte mit den Daumen in die Kehlkopfgegend , wodurch die Atemwege teilweise verlegt wurden. Angesichts der als glaubhaft angesehenen Bekundungen der Geschädigten – Todesangst und das Gefühl, ein Schleier bilde sich vor ihr, verspürt und gedacht zu haben, sie stehe kurz vor der Bewusstlosigkeit – ist es rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht eine abstrakt lebensgefährdende Tathandlung angenommen hat. Der rechtsmedizinische Sachverständige, dem sich die Strafkammer angeschlossen hat, hatte ausgeführt, es hänge bei einem Angriff auf den Hals mit der festgestellten Dauer und Intensität weitgehend vom Zufall ab, nämlich vom Druckpunkt des Würgegriffs und der körperlichen Konstitution des Angegriffenen, ob lebenswichtige Funktionen zerstört werden, insbesondere die für die Sauerstoffversorgung des Gehirns wichtige Blutzufuhr bzw. Blutabfuhr beeinträchtigt oder der Kehlkopf eingedrückt wird. Hätte der Druckpunkt geringfügig anders gelegen, hätte sich das Verletzungsbild ganz anders darstellen können. Für den Täter sei nicht kontrollierbar, ob durch das kräftige Zudrücken des Halses eine kreislaufrelevante Vene, empfindliche Teile des Kehlkopfs oder der Stimmlippen getroffen werden.
- 14
- 2. Im Strafausspruch enthält das Urteil keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht trotz des Vorliegens des vertypten Milderungsgrunds des § 21 StGB infolge der erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung keinen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB angenommen hat. Die Strafkammer hat in die gebotene Gesamtwürdigung zu Lasten des Angeklagten insbesondere dessen vielfache und einschlägige Vorstrafen, den Angriff auf die arglos eingeschlafene und schlafende Nebenklägerin und die psychologischen Folgen bei ihr eingestellt und deshalb einen minder schweren Fall auch bei Berücksichtigung des § 21 StGB abgelehnt.
III.
- 15
- Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und auf den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft und die in der Sache ebenfalls darauf beschränkte Revision der Nebenklägerin beanstanden die Beweiswürdigung des Landgerichts insoweit als dieses einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten und damit eine Verurteilung wegen eines versuchten Tötungsdelikts verneint hat.
- 16
- Die Revisionen bleiben ohne Erfolg. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält in diesem Punkt revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis stand.
- 17
- 1. Die Beweiswürdigung ist dann rechtsfehlerhaft, wenn sie widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 Rn. 20 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung nähergelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18 und vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15, StraFo 2016, 347, 348).
- 18
- 2. Bedingter Tötungsvorsatz setzt voraus, dass der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement ) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement). Beide Elemente des bedingten Vorsatzes müssen in jedem Einzelfall umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 Rn. 7, insoweit in NStZ 2014, 477 nicht abgedruckt ; vom 17. Juli 2013 – 2 StR 139/13, StraFo 2013, 467 und vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13, StV 2014, 345, 346; Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187), in welche insbesondere die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ 2013, 581, 582). Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtschau stellt die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung einen wesentlichen Indikator sowohl für das kognitive als auch für das voluntative Vorsatzelement dar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 – 4 StR 439/13 aaO; Beschluss vom 9. Oktober 2013 – 4 StR 364/13 aaO; Urteile vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13 aaO und vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443, 444 mwN). Hat der Täter eine offensichtlich äußerst gefährliche Gewalthandlung begangen, liegt es – vorbehaltlich in die Gesamtbetrachtung einzustellender gegenläufiger Um- stände des Einzelfalls – nahe, dass er den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Tuns erkannt und, indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln begonnen oder fortgesetzt hat, den Todeserfolg auch billigend in Kauf genommen hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Dezember 2011 – 5 StR 360/11, NStZ 2012, 207, 208 mwN).
- 19
- 3. Diesen Anforderungen genügen die Erwägungen, mit denen das Landgericht das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes verneint hat. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist weder widersprüchlich noch in einer Weise lückenhaft, dass dies den Bestand des Urteils gefährden könnte.
- 20
- a) Die Strafkammer ist für die Beurteilung des bedingten Tötungsvorsatzes von der gebotenen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Umstände der Tat und des Täters ausgegangen. Im Rahmen dieser Gesamtschau hat sie die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung beleuchtet und deren Bedeutung als gewichtigen Indikator (für beide Vorsatzelemente) eines bedingten Tö- tungsvorsatzes gesehen. Sie hat ihr aber nur eine begrenzte Aussagekraft beigemessen , da durch das Eingreifen Dritter die Tathandlung bereits kurz nach deren Beginn unterbrochen wurde. Hierbei hat die Strafkammer dargelegt, dass ein Würgen mit tödlichem Ausgang regelmäßig einen deutlich längeren Würgevorgang erfordere, um die Blutversorgung des Gehirns nicht nur vorübergehend mit der Folge einer Bewusstlosigkeit zu unterbrechen, sondern dauerhaft. Auch eine vollständige Verlegung der Atemwege sei im Gegensatz zu der hier eingetretenen teilweisen Verlegung kaum denkbar, ohne gleichzeitig die Blutversorgung des Gehirns abzuschneiden.
- 21
- Damit hat die Strafkammer bereits das Vorliegen des Wissenselements des (bedingten) Tötungsvorsatzes in Frage gestellt und dessen Fehlen nachfolgend mit der subjektiven Befindlichkeit des Angeklagten belegt.
- 22
- Sie hat insoweit ausgeführt, auch die psychische Ausnahmesituation spreche dagegen, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könnte durch seinen Griff an den Hals zu Tode kommen. Es sei durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar die potentielle Lebensgefährlichkeit seines Handelns erkannt hatte, ohne sich aber in der konkreten Situation bewusst gewesen zu sein, dass sein Vorgehen zum Tod des Opfers führen könnte. Diese Überlegung enthält keinen Widerspruch.
- 23
- Auch wenn dem Angeklagten bewusst gewesen ist, dass man durch Würgen einen Menschen töten könne, belegt dies nur das Wissen um die allgemeine Gefährlichkeit eines solchen Angriffs gegen den Hals eines Menschen (vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 7. September 2015 – 2 StR 194/15, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 13 und vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41 mwN). Daraus lässt sich indes nicht ohne weiteres herleiten, dass der Angeklagte in der konkreten Tatsituation auch tatsächlich mit der Möglichkeit rechnete, die Nebenklägerin könne zu Tode kommen, und er dies in seine Überlegungen mit einbezog. Es ist durchaus möglich, dass der Angeklagte zwar alle Umstände kannte, ohne sich indes in der konkreten Situation bewusst zu sein, dass sein Vorgehen zum Tode des Opfers führen könne (vgl. auch BGH, Urteil vom 10. Dezember 1987 – 4 StR 539/87, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 10; Beschluss vom 19. Juli 1994 – 4 StR 348/94, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 41).
- 24
- Das Landgericht hat sich insoweit auch mit den besonderen Tatumständen auseinandergesetzt, die zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit führten:
- 25
- Aufgrund der niedrigen Intelligenz, der emotionalen Überforderung und des aggressiven Impulsdurchbruchs als Reaktion auf seine im Schlaf von ihrem Liebhaber schwärmende Ehefrau kann dem Angeklagten das Bewusstsein gefehlt haben, dass seine spontane Tathandlung ihren Tod zur Folge haben könnte.
- 26
- Die Strafkammer hat hierzu dargelegt, dass es die affektiven Elemente der Tatausübung (der plötzliche aggressive Impulsdurchbruch, der spontane Tatentschluss, seine lauten Rufe „Du gehst mir nicht mehr fremd“ während der Tatausführung trotz der in der gleichen Wohnung anwesenden Kinder) und die „deutliche Erosion seiner psychischen Stabilität“ verbunden mit seiner niedrigen Intelligenz eher wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Angeklagte einen möglichen tödlichen Ausgang seines Handelns nicht in den Blick genommen hat. Er sei bei emotionalen Herausforderungen schnell überfordert, was – wie die Vorverurteilungen zeigten – zu Gewaltdurchbrüchen als Handlungsalternativen führe.
- 27
- Dass sich das Landgericht nicht von dem Vorliegen des Wissenselements des Tötungsvorsatzes hat überzeugen können, ist angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH, Urteil vom 12. Januar 2012 – 4 StR 499/11 mwN).
- 28
- b) Auch das Vorliegen des voluntativen Elements des Tötungsvorsatzes hat die Strafkammer geprüft. Dafür sprach aus Sicht des Landgerichts, dass der Angeklagte trotz des hörbaren Luftschnappens der Nebenklägerin und dem Eintreffen seiner Kinder das Würgen fortsetzte; dagegen sprach, dass er es nicht mit der vollen, ihm möglichen Kraftentfaltung ausgeführt hatte und er sich gegen das Einschreiten der Kinder nicht – z.B. durch Schläge – gewehrt und zuvor auch nicht versucht hatte, die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht zu fixieren oder ihre Gegenwehr mit Schlägen oder auf andere Weise zu unterbinden. Auch Äußerungen des Angeklagten, die auf einen Tötungsvorsatz hindeuten könnten, konnte die Strafkammer nicht feststellen. Fest standen lediglich die von der Strafkammer nicht näher hinterfragten Worte des Angeklagten „Du gehst mir nicht mehr fremd“, die verschiedene Interpretationen zulassen.
- 29
- Auch bei Prüfung dieses Elements hat die Strafkammer die psychische Befindlichkeit des Angeklagten, seine Persönlichkeit und seine niedrige Intelligenz herangezogen. Sie hat erwogen, dass der Angeklagte für sich keine andere Möglichkeit mehr sah, als die Nebenklägerin mit Gewalt festzuhalten und so weitere sexuelle Kontakte mit ihrem Liebhaber zu verhindern. Sein Ziel sei es nicht gewesen, die Nebenklägerin zu beseitigen, sondern mit allen Mitteln als seine Partnerin zu behalten. Dies verdeutliche seine spontane Äußerung gegenüber dem Ermittlungsbeamten zwei Stunden nach der Tat. Diesem erklärte er spontan und ungefragt, er habe die Nebenklägerin nicht töten wollen, er liebe sie, er habe sie „nur am Hals packen und ein bisschen halten wollen, so als ob sie zu ihm gehöre und nicht wegsolle“.
- 30
- Dem Nachtatverhalten vermochte die Strafkammer keine objektiven Anhaltspunkte zu entnehmen, dass der Angeklagte das Messer ergriffen hat, um seinen Vorsatz, die Nebenklägerin zu töten, nun umzusetzen. Sie hielt es vielmehr für möglich, dass der Angeklagte das Messer nur dazu einsetzen wollte die Nebenklägerin zu nötigen, bei ihm zu bleiben bzw. mit ihm zu reden. Über die Art des Messereinsatzes hatte er sich noch keine Gedanken gemacht.
- 31
- Es ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass bei spontanen, unüberlegten und in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen auch aus dem Wissen um den möglichen Todeseintritt nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten auf das selbstständig neben dem Wissenselement stehende Willenselement des Vorsatzes geschlossen werden kann (siehe nur BGH, Urteile vom 14. August 2014 – 4 StR 163/14, NStZ 2015, 266, 267 f. und vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.). Die Einordnung und Würdigung eines spontanen oder in affektiver Erregung erfolgenden Handelns obliegt dabei dem Tatrichter (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 – 4 StR 387/15, StraFo 2016, 110 f.).
- 32
- Das Landgericht hat tragfähige Anhaltspunkte dafür benannt, warum bei dem Angeklagten selbst bei der erkannten Möglichkeit des Todeseintritts die Willenskomponente des bedingten Tötungsvorsatzes nicht gegeben ist.
- 33
- 4. Auch die Milderung des Strafrahmens aus § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB über §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung stand. Bei Tatbegehung unterlag er einer erheblich verminderten Affektkontrolle als Folge einer Anpassungsstörung.
IV.
- 34
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO. Danach trägt bei erfolglosem Rechtsmittel des Angeklagten und des Nebenklägers jeder seine notwendigen Auslagen selbst, so dass hier eine Erstattung der dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen durch die Nebenklägerin nicht stattfindet, da auch die Revision des Angeklagten verworfen worden ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 473 Rn. 10a).
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. November 2016, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf als Vorsitzender,
die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Prof. Dr. Mosbacher und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer,
Staatsanwältin – in der Verhandlung –, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren jeweils auf materiell-rechtliche Beanstandungen gestützten Revisionen. Das zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, das sich vor allem gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet, hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten bleibt dagegen erfolglos.
I.
- 2
- Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
- 3
- 1. Der Angeklagte und der später geschädigte Nebenkläger waren am Tattag jeweils als Kraftfahrzeugführer mit ihren Pkws unterwegs. Als der Angeklagte wegen eines vor ihm nach links abbiegenden Fahrzeugs anhalten musste , machte der mit seinem Pkw hinter ihm zum Halten gekommene Nebenkläger mit der Lichthupe auf sich aufmerksam. Dieser glaubte, es sei dem Angeklagten möglich, rechts an dem wegen des geplanten Abbiegevorgangs haltenden Fahrzeug vorbeizufahren. Nach der Betätigung der Lichthupe gestikulierten beide in ihren Fahrzeugen. Aus diesem Grund bemerkte der Angeklagte zunächst nicht, dass das bislang vor ihm stehende Fahrzeug mittlerweile abgebogen und die Fahrbahn damit frei war.
- 4
- Der Nebenkläger fuhr daraufhin an dem noch stehenden Pkw des Angeklagten vorbei und setzte seine Fahrt rasch fort. Es entstand ein erheblicher Abstand zwischen beiden Fahrzeugen. Der Angeklagte war entschlossen, den Nebenkläger zur Rede zu stellen und beschleunigte seinen Wagen, um den Nebenkläger einzuholen. Als ihm dies nach rund einem Kilometer Fahrstrecke gelungen war, veranlasste er den Nebenkläger durch Handzeichen zum Anhalten.
- 5
- Der Angeklagte erwartete im Folgenden eine Auseinandersetzung mit dem Nebenkläger. Nachdem dieser aus seinem Fahrzeug ausgestiegen war, erkannte der Angeklagte angesichts der Statur des Nebenklägers, dassdieser ihm bei einer körperlichen Auseinandersetzung überlegen sein werde. Daraufhin nahm der Angeklagte ein im Wagen mitgeführtes Taschenmesser mit einer Klingenlänge von gut 6,3 cm an sich, bevor er aus seinemFahrzeug ausstieg.
- 6
- Der Nebenkläger bemerkte unmittelbar nach dem Stich die stark blutende Verletzung, wich zurück und lief vom Ort des Geschehens weg. Der Angeklagte setzte ihm zunächst nach. Als er erkannte, den Nebenkläger nicht einholen zu können, kehrte er um, begab sich zu seinem Fahrzeug und fuhr davon.
- 7
- 2. Das Landgericht hat einen (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten verneint und ihn wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) verurteilt. Der Messerstich gegen den Nebenkläger sei unabhängig von der Frage, ob überhaupt eine Notwehrlage bestanden habe, jedenfalls wegen des aufgrund vorangegangener vorwerfbarer Provokation des Angeklagten eingeschränkten Notwehrrechts nicht geboten gewesen.
II.
Revision der Staatsanwaltschaft- 8
- Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die der Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes zugrunde liegende Beweiswürdigung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 9
- 1. Das Landgericht hat die Ablehnung bedingten Tötungsvorsatzes beim Angeklagten auf mehrere Erwägungen gestützt, denen es indizielle Bedeutung gegen ein billigendes Inkaufnehmen des Todes des Nebenklägers trotz der er- kannten „abstrakten Gefahr“ (UA S. 17) des ausgeführten Messerstichs bei- misst. So handele es sich um eine spontane Tat des sich in einer emotional aufgeladenen Stimmungslage befindlichen Angeklagten. Aufgrund des Vorgeschehens sei er in einem affektiven Erregungszustand gewesen, in dem er das Risiko der Verwirklichung des Totschlags falsch beurteilt habe.
- 10
- 2. Diese Beweiserwägungen erweisen sich – auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (etwa BGH, Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 25 mwN und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 20 f.) – als rechtsfehlerhaft. Die Begründung, mit der das Landgericht darlegt, sich keine Überzeugung zumindest vom bedingten Tötungsvorsatz verschaffen zu können, legen bereits einen nicht in jeder Hinsicht rechtsfehlerfreien Maßstab zugrunde. Zudem sind sie teils lückenhaft, teils stehen sie in Widerspruch zu sonstigen getroffenen Feststellungen.
- 11
- a) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt, ferner dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; BGH, Urteile vom 9. Mai 1990 – 3 StR 112/90, BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 7 mwN; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 23). Bezogen auf bedingten Tötungsvorsatz liegt bei äußerst gefähr- lichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen und – weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt – einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 5 StR 300/92, NStZ 1992, 587, 588; Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1StR 128/16 Rn. 23). Zwar können das Wissens- oder das Willenselement des Eventualvorsatzes gleichwohl im Einzelfall fehlen, so etwa, wenn dem Täter , obwohl er alle Umstände kennt, die sein Vorgehen zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, das Risiko der Tötung infolge einer psychischen Beeinträchtigung – z.B. Affekt, alkoholische Beeinflussung oder hirnorganische Schädigung (BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 4 StR 326/96, StV 1997, 7; Urteile vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 23) – zur Tatzeit nicht bewusst ist (Fehlen des Wissenselements) oder wenn er trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft und nicht nur vage auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges vertraut (Fehlen des Willenselements). Bei der erforderlichen Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände (vgl. BGH, Urteile vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.; vom 21. Dezember 2011 – 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105 und vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f. Rn. 26 mwN) darf der Tatrichter den Beweiswert offensichtlicher Lebensgefährlichkeit einer Handlungsweise für den Nachweis eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht so gering veranschlagen, dass auf eine eingehende Auseinandersetzung mit diesen Beweisanzeichen verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 7. Juni 1994 – 4 StR 105/94, StV 1994, 654; vgl. näher BGH, Urteile vom 23. Februar 2012 – 4 StR 608/11, NStZ 2012, 443; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 187 Rn. 26 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 23 jeweils mwN).
- 12
- Soweit in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen der gebotenen Gesamtschau auf eine „für Tötungsdelikte deutlich höhere Hemmschwelle“ abgestellt worden ist (Nachw. in BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 189 Rn. 32), erschöpft sich dies in einem Hin- weis auf die Bedeutung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 261 StPO) bezüglich der Überzeugungsbildung vom Vorliegen eines (wenigstens) bedingten Tötungsvorsatzes (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34). Der Bundesgerichtshof hat immer wieder hervorgehoben, dass durch den Aspekt der „Hemmschwelle“ die Wertung der hohen und offensichtlichen Lebensgefährlichkeit von Gewalthandlungen als ein gewichtiges, auf Tötungsvorsatz hinweisendes Beweisanzeichen nicht in Frage gestellt oder auch nur relativiert werden solle (BGH aaO BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 mwN).
- 13
- b) Das Landgericht ist bereits diesen Maßstäben für die inhaltlichen Anforderungen an den bedingten Tötungsvorsatz und dessen Nachweis im Strafprozess nicht in jeder Hinsicht gerecht geworden. Zwar hat es im rechtlichen Ausgangspunkt insoweit noch zutreffend zwischen auf das Rechtsgut Leben bezogenem Gefährdungsvorsatz und bedingtem Tötungsvorsatz unterschieden. Soweit es die Unterscheidung ausdrücklich auch mit der „viel höhere(n) Hemmschwelle“ begründet, die vor einem Tötungsvorsatz stehe (UA S. 17),weist es dem Aspekt der Hemmschwelle jedoch eine Bedeutung für die Bewertung des Vorliegens oder Nichtvorliegens bedingten Tötungsvorsatzes zu, die ihr nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zukommt. Das Tatgericht hat den von dem Angeklagten geführten Messerstich als sehr gefährliche Gewalthandlung bewertet. Angesichts dessen hätte es tragfähiger Anhaltspunkte in der Beweiswürdigung dafür bedurft, auf die entweder die Einschätzung gestützt werden kann, der Angeklagte habe den Grad der Lebensgefährlichkeit seines Vorgehens nicht erkannt und sei sich deshalb der konkreten Möglichkeit der Tötung des Nebenklägers nicht bewusst gewesen oder er habe trotz Kenntnis von der konkreten Möglichkeit des Todes ernsthaft auf dessen Ausbleiben vertraut. Weder das eine noch das andere wird durch die Beweiswürdigung des Tatgerichts in einer rechtsfehlerfreien Weise belegt.
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- c) Zwar unterliegt die dem Tatrichter vorbehaltene Beweiswürdigung der Beurteilung durch das Revisionsgericht lediglich dahingehend, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 Rn. 20 mwN; vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 128/16 Rn. 21; Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Für eine Beweiswürdigung zum bedingten Tötungsvorsatz bedarf es bei objektiv hochgradig lebensgefährlichem Vorgehen des Täters zur Verneinung des voluntativen Vorsatzelements jedoch einzelfallbezogener tragfähiger Anhaltspunkte dafür , dass der Täter dennoch ernsthaft auf das Ausbleiben des Todeserfolgs vertraut hat (BGH, Urteil vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 191 Rn. 34 mwN). Anderenfalls erweist sich die Beweiswürdigung als rechtsfehlerhaft.
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- Solche Rechtsfehler enthält die Beweiswürdigung des Tatgerichts zum bedingten Tötungsvorsatz.
- 16
- aa) Soweit das Landgericht von einer „spontanen Tat“ und einer „emotio- nal aufgeladenen Spannungslage“ ausgeht, lässt sich dem Urteil bereits nicht entnehmen, ob dem indizielle Bedeutung gegen das Wissens- oder das Wollenselement des bedingten Tötungsvorsatzes beigemessen wird. Unabhängig davon finden aber beide herangezogenen Aspekte keine tragfähige Stütze in den übrigen Feststellungen. Der Angeklagte hatte nach dem wechselseitigen Gestikulieren während des verkehrsbedingten Haltens beider Fahrzeuge den Nebenkläger zielgerichtet verfolgt, um ihn zur Rede zu stellen. Nachdem er diesen zum Anhalten veranlasst hatte, begab sich der Angeklagte bewusst in eine Situation, in der er eine Auseinandersetzung erwartete (UA S. 7). Trotz der Sorge um eine körperliche Unterlegenheit suchte er weiterhin die Auseinandersetzung und bewaffnete sich nach den Feststellungen, um die angenommene Unterlegenheit auszugleichen. Das aus seinem Fahrzeug mitgenommene Messer verbarg er in der geschlossenen rechten Hand und klappte dieses vom Nebenkläger unbemerkt auf. Ausweislich der Feststellungen erfolgte dieses Aufklappen bereits bevor der Nebenkläger den Angeklagten im Bereich des Hemdkragens anfasste (UA S. 7). Aus welchen tatsächlichen Umständen das Landgericht die Spontaneität der Tatbegehung ableiten will, lässt sich angesichts dessen nicht erkennen. Erweist sich die Annahme einer Spontantat nicht als tragfähig begründet, kann dem keine indizielle Bedeutung gegen bedingten Tötungsvorsatz zukommen.
- 17
- bb) Entsprechendes gilt für den vom Landgericht angenommenen „affek- tiven Erregungszustand“ des Angeklagten, in dem er das „Risiko der Verwirkli- chung des Tatbestandes des § 212 StGB falsch beurteilt habe“ (UA S. 17). Der vagen Formulierung mag noch entnommen werden können, dass das Tatgericht dem Zustand indizielle Bedeutung gegen das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes zumessen will. Der als Beweisanzeichen herangezogene affektive Erregungszustand findet jedoch selbst wiederum keine ausreichende Grundlage in der Beweiswürdigung und lässt sich zudem aus den im vorstehenden Absatz dargelegten Gründen mit den sonstigen Feststellungen zum Tatvorgeschehen und zur Tatausführung selbst nicht vereinbaren.
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- cc) Das Landgericht hat aus dem Nachtatverhalten des Angeklagten Schlüsse gegen einen bei ihm vorhandenen Tötungsvorsatz gezogen (UA S. 17 f.), was grundsätzlich im Rahmen der gebotenen Gesamtschau möglich ist. Auch diesen Schlüssen mangelt es aber vor dem Hintergrund der sonstigen Feststellungen an einer tragfähigen Grundlage. Soweit das Tatgericht zugrunde legt, der Angeklagte sei von seinem eigenen Tun schockiert und erschrocken gewesen, bedurfte es für eine lückenlose Beweiswürdigung zum Tötungsvorsatz einer Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Angeklagte dem nun zurückweichenden Nebenkläger nach der Ausführung des Stichs folgte und von der Verfolgung des Nebenklägers im Laufschritt erst absah, als er erkannte, diesen nicht einholen zu können (UA S. 7).
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- 3. Auf der rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht der Schuldspruch hinsichtlich der zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Tat. Nach den vom Tatgericht bisher getroffenen Feststellungen kommt ein strafbefreiender Rücktritt des Angeklagten vom versuchten Tötungsdelikt nicht ernsthaft in Betracht.
- 20
- Die Rechtsfehler in der Beweiswürdigung bedingen auch die Aufhebung der insgesamt getroffenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO).
III.
Revision des Angeklagten- 21
- Die auf die Revision des Angeklagten veranlasste Überprüfung des angefochtenen Urteils hat keine durchgreifenden Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben.
- 22
- 1. Der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB) wird von den insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen getragen.
- 23
- Das Landgericht hat im Ergebnis ebenfalls ohne Rechtsfehler eine Rechtfertigung des Angeklagten aufgrund Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) verneint.
- 24
- Auch sind Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte die Intensität des vom Landgericht unter Anwendung des Zweifelssatzes angenommenen gegenwärtigen Angriffs des Nebenklägers aufgrund fehlerhafter Wahrnehmung der tatsächlichen Umstände falsch einschätzte und sich deshalb zum sofortigen , nicht angedrohten Einsatz des Messers berechtigt wähnte, nicht ersichtlich.
- 25
- 2. Der Strafausspruch enthält keinen durchgreifenden Rechtsfehler.
- 26
- Wie vom Generalbundesanwalt zutreffend aufgezeigt, hat das Landgericht zwar die rechtlich gebotene Vorgehensweise bei der Prüfung eines minder schweren Falls – hier gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbs. StGB – nicht in jeder Hinsicht beachtet. Er wäre zu erörtern gewesen, ob der angenommene vertypte Strafmilderungsgrund aus § 46a Nr. 1 StGB, durch dessen Heranziehung der Angeklagte jedenfalls nicht beschwert ist, im Zusammenwirken mit den berück- sichtigten allgemeinen Strafmilderungsgründen zur Annahme eines minder schweren Falls hätte führen können. Erst wenn das Landgericht auch mit Blick hierauf weiterhin die Bejahung eines minder schweren Falls nicht für angemessen gehalten hätte, hätte es seiner Strafzumessung den gemäß § 46a, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbs. 1 StGB zugrunde legen dürfen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 18. März 2015 – 3 StR 7/15 Rn. 2 mwN). Angesichts der konkret verhängten Strafe und der bei der Vorgehensweise des Landgerichts niedrigeren Mindeststrafe als bei der des minder schweren Falls des § 224 Abs. 1 StGB kann der Senat aber ausschließen, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht. Graf Cirener Radtke Mosbacher Fischer
(1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig
- 1.
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 3 Satz 3 eine Aufzeichnung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht, - 2.
entgegen § 8d Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 3 nicht sicherstellt, dass eine Laboruntersuchung durchgeführt wird, - 3.
entgegen § 8d Abs. 2 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 eine Gewebeentnahme, eine Gewebeabgabe, eine damit verbundene Maßnahme oder eine dort genannte Angabe nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert, - 3a.
entgegen § 8d Absatz 3 Satz 2 einen Bericht nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig übermittelt, - 4.
entgegen § 9 Absatz 1 oder Absatz 2 Satz 1 oder Satz 3 ein Organ entnimmt oder überträgt, - 5.
entgegen § 9 Absatz 2 Satz 2 ein Organ überträgt, ohne dass die Entnahme des Organs durch die Koordinierungsstelle organisiert wurde, - 6.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 4 nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig feststellt, dass die Organ- und Spendercharakterisierung nach § 10a Absatz 1 abgeschlossen ist oder die Bedingungen für den Transport nach § 10a Absatz 3 Satz 1 eingehalten sind, - 7.
entgegen § 10 Absatz 2 Nummer 5 die Organübertragung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig dokumentiert, - 8.
entgegen § 10a Absatz 1 Satz 1 nicht sicherstellt, dass ein Organ nur unter den dort genannten Voraussetzungen für eine Übertragung freigegeben wird, - 9.
entgegen § 13a in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 1 nicht dafür sorgt, dass ein übertragenes Gewebe dokumentiert wird, - 10.
entgegen § 13b Satz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 16a Satz 2 Nr. 4 einen Qualitäts- oder Sicherheitsmangel oder eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig dokumentiert oder eine Meldung nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig macht oder - 11.
einer Rechtsverordnung nach § 10a Absatz 4 Satz 1, § 13 Absatz 4 oder § 16a Satz 1 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.
(2) Die Ordnungswidrigkeit kann in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 bis 3 und 4 bis 11 mit einer Geldbuße bis zu dreißigtausend Euro, in den übrigen Fällen mit einer Geldbuße bis zu fünftausend Euro geahndet werden.
(3) Verwaltungsbehörde im Sinne des § 36 Absatz 1 Nummer 1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 3a das Paul-Ehrlich-Institut.
(1) Jedes Urteil, jeder Strafbefehl und jede eine Untersuchung einstellende Entscheidung muß darüber Bestimmung treffen, von wem die Kosten des Verfahrens zu tragen sind.
(2) Die Entscheidung darüber, wer die notwendigen Auslagen trägt, trifft das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt.
(3) Gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist sofortige Beschwerde zulässig; sie ist unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das Beschwerdegericht ist an die tatsächlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden. Wird gegen das Urteil, soweit es die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen betrifft, sofortige Beschwerde und im übrigen Berufung oder Revision eingelegt, so ist das Berufungs- oder Revisionsgericht, solange es mit der Berufung oder Revision befaßt ist, auch für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde zuständig.