Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Dez. 2008 - XII ZB 132/08

bei uns veröffentlicht am10.12.2008
vorgehend
Landgericht Osnabrück, 1 O 1148/07, 04.01.2008
Oberlandesgericht Oldenburg, 4 U 19/08, 14.05.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 132/08
vom
10. Dezember 2008
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Dezember 2008 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr. Klinkhammer

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 14. Mai 2008 wird auf Kosten des Klägers verworfen. Beschwerdewert: 30.000 €

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat die auf Feststellung einer Zahlungsverpflichtung der Beklagten gerichtete Klage durch Urteil vom 4. Januar 2008 abgewiesen. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers am 9. Januar 2008 zugestellt worden. Mit am 8. Februar 2008 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat dieser Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt und für den Fall, dass diese gewährt wird, Berufung eingelegt und diese zugleich begründet. Das Oberlandesgericht hat dem Kläger mit Beschluss vom 19. Februar 2008, der seiner Prozessbevollmächtigten am 10. März 2008 zugestellt wurde, Prozesskostenhilfe bewilligt.
2
Mit Schriftsatz vom 20. März 2008, der bei dem Oberlandesgericht am 26. März 2008 eingegangen ist, beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und legte gleichzeitig Berufung gegen das Urteil des Landgerichts ein.
3
Nachdem der Kläger von dem Oberlandesgericht auf den am 25. März 2008 eingetretenen Ablauf der Frist für den Wiedereinsetzungsantrag und die nachzuholende Prozesshandlung hingewiesen worden war, hat er Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gemäß § 234 Satz 1 ZPO beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, seine Prozessbevollmächtigte habe den Schriftsatz vom 20. März 2008 an diesem Tag diktiert, gefertigt und unterschrieben. Die Fachangestellte S. sei ausdrücklich angewiesen worden, den Schriftsatz noch am selben Tag zur Post zu geben. Der Fristablauf am 25. März 2008 sei im Fristenkalender eingetragen gewesen. Der Schriftsatz sei auch durch Frau S. in das Postausgangsbuch eingetragen worden. Danach sei die Postmappe zusammen mit den sechs weiteren Postmappen einer Auszubildenden im dritten Lehrjahr zum Einkuvertieren übergeben worden. Aus ungeklärten Gründen sei der Schriftsatz jedoch nicht zur Post gegeben worden. Nach den Ostertagen seien die Schreiben der entsprechenden Postmappe mit anderen Schreiben vom 25. März 2008 zur Post gegeben worden. Dabei sei nicht aufgefallen , dass sich darunter auch Schreiben befunden hätten, deren Ausgang bereits für den 20. März 2008 im Ausgangsbuch eingetragen gewesen seien. Deshalb habe kein Anlass bestanden, den Schriftsatz vom 20. März 2008 am 25. März 2008 noch an das Gericht zu faxen.
4
Für die Ausgangspost bestehe die Anweisung, die in den Postmappen befindlichen Schreiben nach Unterschrift der Anwälte in das Postausgangsbuch einzutragen, zu kuvertieren und zu frankieren. Im Fristenbuch setze die Fachangestellte S. einen Erledigungshaken, nachdem die Schreiben und Schriftsätze diktiert, gefertigt und unterschrieben seien. Nach Bearbeiten der Post habe die Angestellte anhand des Postausgangsbuches zu kontrollieren, dass die im Fristenbuch abgehakten Schreiben und Schriftsätze auch zur Post gegeben würden. Die Post werde an einem separaten Tisch bearbeitet. Frau S. sei angewiesen , stichprobenartig zu kontrollieren, dass alle Postmappen bearbeitet worden seien und sämtliche postfertige Sendungen zur Post gebracht würden.
5
Das Oberlandesgericht hat die Anträge des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

6
Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen, nicht erfüllt sind.
7
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts , weil das Berufungsgericht Verfahrensgrundrechte des Klägers verletzt hätte. Denn der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger nicht in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf einer Partei die Wiedereinset- zung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten versagt werden, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts auch nicht rechnen musste (Senatsbeschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - NJW 2008, 2713, 2714 m.w.N.).
8
2. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die anwaltliche Organisation in Bezug auf fristgebundene Schriftsätze nicht überspannt.
9
Es hat die von dem Kläger begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist mit der Begründung abgelehnt , die Organisation der Ausgangskontrolle in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers gewährleiste nicht zuverlässig, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich hinausgingen. Im Kalender vermerkte Fristen dürften erst gestrichen werden, wenn der Schriftsatz zumindest postfertig gemacht worden sei. Dann aber müsse die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt sei, organisatorisch so weit vorbereitet sein, dass sie durch Versehen , welche die eigentliche Beförderung nicht beträfen, nicht mehr verhindert werden könne. Daran gemessen sei die organisatorische Anweisung an die Fachangestellte S., stichprobenartig zu kontrollieren, dass alle Postmappen bearbeitet worden seien und sämtliche postfertige Sendungen zur Post gebracht würden, unzureichend. Jedenfalls bei fristwahrenden Schriftsätzen seien Stichproben dann nicht ausreichend. Vielmehr seien solche Schriftsätze einzeln darauf zu kontrollieren, dass eine rechtzeitige Verbringung zur Post nicht versehentlich unterbleibe.
10
Damit hat das Berufungsgericht die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geltenden Maßstäbe der Ausgangskontrolle eingehalten.
11
Es ist zutreffend davon ausgegangen, dass es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört, dafür Sorge zu tragen, dass ein fristgebundener Schriftsatz fristgerecht bei dem zuständigen Gericht eingeht und eine Ausgangskontrolle besteht, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinaus gehen. Zu diesem Zweck muss er eine zuverlässige Fristenkontrolle organisieren und insbesondere einen Fristenkalender führen. Die Fristenkontrolle muss gewährleisten, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird, nachdem die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist (Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192). Eine solche wirksame Ausgangskontrolle gewährleistet die Organisation in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht. Vielmehr lässt es der Organisationsablauf zu, dass im Kalender vermerkte Fristen bereits dann gestrichen werden, wenn der Schriftsatz noch nicht postfertig gemacht worden ist. Das ist nämlich erst dann der Fall, wenn die Postmappen bearbeitet worden sind und die einzelnen Schriftsätze so zur Versendung fertig gemacht sind, dass damit eine sichere Vorsorge verbunden ist, dass die Beförderung nicht mehr durch ein Versehen verhindert werden kann (BGH Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577, 1578). Das Ablegen der Schriftsätze in Postmappen stellt nicht den letzten Schritt auf dem Weg zum Adressaten dar. Vielmehr bedarf es weiterer Maßnahmen, wie des Kuvertierens und des Ablegens in ein Postausgangsfach, bevor die Sendungen postfertig sind und im nächsten Schritt zur Post gebracht werden können.
12
Die bloße stichprobenartige Kontrolle, ob alle Postmappen bearbeitet worden sind, gewährleistet - wie der vorliegende Fall zeigt - keine zuverlässige Ausgangskontrolle.
13
Das Berufungsgericht ist somit zu Recht davon ausgegangen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers ein Verschulden an dem Fristversäumnis trifft.
14
3. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde war eine Ausgangskontrolle im vorliegenden Fall auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Prozessbevollmächtigte des Klägers ihrer Fachangestellten S. die Weisung erteilt hatte, den Schriftsatz am 20. März 2008 zur Post zu geben.
15
Zwar ist es grundsätzlich richtig, dass es auf die allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen einer Kanzlei für die Ausgangskontrolle dann nicht ankommt , wenn im Einzelfall konkrete Anweisungen erteilt worden sind, die bei Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätten. Das gilt jedoch nicht, wenn die Einzelanweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten. In diesem Fall kann auch eine konkrete Einzelanweisung den Rechtsanwalt von einer unzureichenden Büroorganisation nicht entlasten (BGH Beschlüsse vom 21. Dezember 2006 - IX ZB 309/04 - AnwBl. 2007, 236 und vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - NJW 2004, 367, 369).
16
Das ist hier der Fall. Die Weisung, den Schriftsatz zur Post zu geben, hielt sich im Rahmen der sonst üblichen Behandlung der fertig gestellten Schriftsätze. Die angewiesene Fachkraft hat die Weisung auch dementsprechend verstanden und die gesamte Postmappe mit weiteren Postmappen der für die Postbearbeitung zuständigen Angestellten übergeben. Die insoweit geltenden Organisationsregeln haben somit durch die Einzelanweisung nicht ihre Bedeutung verloren.
Hahne Wagenitz Vézina Dose Klinkhammer

Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 04.01.2008 - 1 O 1148/07 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 14.05.2008 - 4 U 19/08 -

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 2


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 3. Dezember 2009 - 2 Sa 1667/09 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.

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(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 184/07
vom
11. Juni 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 A, 85 Abs. 2
Die Zurechnung eines Anwaltsverschuldens setzt das Bestehen eines wirksamen
Mandats im Innenverhältnis voraus. § 85 Abs. 2 ZPO erfasst deshalb ein
nach der Kündigung des Mandatsverhältnisses liegendes schuldhaftes Verhalten
eines Anwalts nicht mehr.
BGH, Beschluss vom 11. Juni 2008 - XII ZB 184/07 - OLG Hamm
AG Höxter
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juni 2008 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Hahne, die Richterin Weber-Monecke, den Richter
Fuchs, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 9. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 6. Juni 2006 aufgehoben. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Höxter vom 9. September 2005 bewilligt. Beschwerdewert: 4.410 € (laufender Unterhalt: 315 € x 12 = 3.780 €; Unterhaltsrückstand: 2 x 315 €).

Gründe:

1
Die Klägerin hat den Beklagten, ihren getrennt lebenden Ehemann, auf Zahlung von Kindesunterhalt für die gemeinsamen minderjährigen Kinder in Anspruch genommen. Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ist der Beklagte antragsgemäß verurteilt worden. Das Urteil wurde ihm zu Händen seines damaligen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. L., am 10. Oktober 2005 zugestellt. Am 9. November 2005 hat der Beklagte, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. L, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Einlegung der Berufung gegen das vorgenannte Urteil beantragt. Durch Beschluss des Oberlandesgerichts vom 20. Januar 2006 wurde ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. L. bewilligt. Eine Ausfertigung dieses Beschlusses wurde am 27. Januar 2006 an Rechtsanwalt Dr. L. abgesandt. Sie ging dort am 30. Januar 2006 ein.
2
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 2006, bei dem Oberlandesgericht eingegangen am 30. Januar 2006, zeigte die jetzige Prozessbevollmächtigte des Beklagten , Rechtsanwältin P.-J., an, dass sie dessen Vertretung übernommen habe, und teilte mit, dass das Mandat des Rechtsanwalt Dr. L. beendet sei. Auf Anfrage des Oberlandesgerichts bestätigte Rechtsanwalt Dr. L. mit Schriftsatz vom 31. Januar 2006, bei dem Oberlandesgericht eingegangen an demselben Tag, den Beklagten nicht mehr zu vertreten.
3
Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2006, eingegangen am 9. Februar 2006, bat Rechtsanwältin P.-J. darum, ihr die Gerichtsakten zur Einsichtnahme zu überlassen. Diese gingen am 15. Februar 2006 in der Kanzlei ein. Noch an demselben Tag stellte Rechtsanwältin P.-J. bei Durchsicht der Akten fest, dass dem Beklagten bereits Prozesskostenhilfe bewilligt worden war. Daraufhin legte sie mit Schriftsatz vom 15. Februar 2006, per Telefax bei dem Oberlandesgericht eingegangen am 16. Februar 2006, für den Beklagten Berufung ein, begründete diese und beantragte, dem Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen.
4
Mit Schriftsatz vom 1. März 2006, per Telefax an demselben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen, beantragte der Beklagte ferner hilfsweise, ihm auch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren. Zur Begründung trug er vor, Rechtsanwältin P.-J. habe am 20. Februar 2006 durch einen Anruf ihrer Angestellten im Büro von Rechtsanwalt Dr. L. erfahren, dass diesem der Prozesskostenhilfebeschluss am 30. Januar 2006 zugegangen sei. Rechtsanwalt Dr. L. habe dem Beklagten den Prozesskostenhilfebeschluss nicht übermittelt.
5
Das Oberlandesgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

6
Die nach §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) geboten. Der angefochtene Beschluss verletzt den Beklagten in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Danach darf der Zugang zu einer in der Verfahrensordnung vorgesehenen Instanz nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (BVerfG NJW-RR 2002, 1004; BGHZ 151, 221, 227; Senatsbeschluss vom 9. November 2005 - XII ZB 270/04 - FamRZ 2006, 192). Dies bedeutet, dass einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen versagt werden darf, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Spruchskörpers auch nicht rechnen musste.

III.

7
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
8
1. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: Die Berufung sei unzulässig (§ 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO), weil sie nicht innerhalb der Berufungsfrist des § 517 ZPO bzw. der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO eingelegt worden sei. Letztere habe mit dem Zugang des Prozesskostenhilfebeschlusses bei Rechtsanwalt Dr. L. am 30. Januar 2006 begonnen und am 13. Februar 2006 geendet. Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung seien aber erst am 16. Februar 2006, und damit verspätet, beim Oberlandesgericht eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist könne schon deshalb nicht bewilligt werden, weil nicht von einer unverschuldeten Fristversäumung auszugehen sei. Wenn eine Partei mehrere Vertreter für verschiedene Instanzen habe, so hafte sie gemäß § 85 Abs. 2 ZPO für das Verschulden eines jeden von ihnen, solange die Vertretungszeit andauere. In einem solchen Fall könnten sich die Vertreterpflichten unter Umständen überschneiden. Keinesfalls könne es in einem Anwaltsprozess zu einer "haftungsmäßigen Lücke" kommen.
9
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
10
2. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beklagte sowohl die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) als auch die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) und die zweiwöchige Frist für die Anbringung des Wiedereinsetzungsgesuchs (§ 234 Abs. 1 ZPO) versäumt hat. Die letztere Frist begann mit dem Tag, an dem das der Berufungseinlegung entgegenstehende Hindernis behoben war (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das Hindernis dafür lag in der Mittellosigkeit des Beklagten. Es entfiel mit der Bekanntgabe des Beschlusses über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an den Beklagten oder seinen Prozessbevollmächtigten (Senatsbeschluss vom 22. November 2000 - XII ZB 28/00 - FamRZ 2001, 1143, 1144).
11
Der Prozesskostenhilfebeschluss ist am 27. Januar 2006 an Rechtsanwalt Dr. L. abgesandt worden. Zu diesem Zeitpunkt war der Schriftsatz von Rechtsanwältin P.-J. vom 26. Januar 2006, in dem diese die Vertretung des Beklagten anzeigte, bei Gericht noch nicht eingegangen. Deshalb hatte die Übermittlung des Beschlusses noch an Rechtsanwalt Dr. L. zu erfolgen. Denn nachdem dessen Bevollmächtigung dem Gericht und dem Gegner mitgeteilt worden war, bestand im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens die Vollmacht solange fort, bis ihr Widerruf dem Gericht und dem Gegner angezeigt worden war (Zöller/Vollkommer ZPO 26. Aufl. § 87 Rdn. 1). Entsprechendes gilt für die Empfangszuständigkeit (§ 172 Abs. 1 ZPO), so dass Zustellungen - ebenso wie formlose Mitteilungen - an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen hatten (Zöller/Stöber aaO § 172 Rdn. 2). Die Wiedereinsetzungsfrist begann daher am 30. Juni 2006, als der Prozesskostenhilfebeschluss bei Rechtsanwalt Dr. L. einging, und endete am 13. Februar 2006 (§ 234 Abs. 2 ZPO). Sie ist durch den am 16. Februar 2006 eingegangenen Schriftsatz nicht gewahrt worden.
12
3. Dem Beklagten ist allerdings auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu bewilligen, da er vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, dass er ohne eigenes oder ihm zurechenbares Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).
13
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dem Beklagten ein Verschulden von Rechtsanwalt Dr. L. nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Soweit letzterem eine schuldhafte Verletzung seiner anwaltlichen Sorgfaltspflichten zur Last fällt, weil er den Beklagten nicht von dem Zugang des Prozesskostenhilfebeschlusses unterrichtet hat (vgl. hierzu BGH Urteil vom 2. März 1988 - IVa ZR 218/87 - VersR 1988, 835, 836), ist dem Beklagten dies nicht anzulasten. Richtig ist zwar, dass eine Partei, die mehrere Vertreter hat, für das Verschulden eines jeden von ihnen haftet, solange die Vertretungszeit läuft. Fällt ein Verschulden aber nicht mehr in die Vertretungszeit, findet über § 85 Abs. 2 ZPO auch keine Verschuldenszurechnung mehr statt. Die Fortdauer der Außenvollmacht und zugleich gewisser nachwirkender Schutzpflichten zugunsten der Partei genügen für eine Verschuldenszurechnung nicht; die Zurechnung eines Anwaltsverschuldens setzt vielmehr das Bestehen eines wirksamen Mandats im Innenverhältnis voraus (BGH Urteil vom 14. Dezember 1979 - V ZR 146/78 - NJW 1980, 999; Senatsbeschlüsse vom 10. Juli 1985 - IVb ZB 102/84, VersR 1985, 1185, 1186 und vom 12. Dezember 2001 - XII ZB 219/01 - BGH-Report 2002, 435 - Ls.; Vollkommer aaO § 85 Rdn. 21 und 24).
14
§ 85 Abs. 2 ZPO beruht nämlich auf dem Gedanken, dass die Partei für ihren Bevollmächtigten als Person ihres Vertrauens einzustehen hat. Dieses Vertrauensverhältnis besteht aber nicht mehr, wenn der Mandatsvertrag von der einen oder anderen Seite gekündigt ist. Dass - im Parteiprozess - Zustellungen und formlose Mitteilungen bis zur Anzeige des Widerrufs der Bevollmächtigung noch an den bisherigen Prozessbevollmächtigten vorzunehmen sind, steht damit nicht in Widerspruch. Die Zustellung bzw. formlose Mitteilung noch an den bisherigen Prozessbevollmächtigten dient dem Interesse des Gegners und des Gerichts an der ungestörten Abwicklung des Rechtsstreits (§§ 87 Abs. 1, 172 Abs. 1 ZPO). Es käme jedoch zu einer durch diesen Zweck nicht mehr gedeckten unbilligen Benachteiligung der betroffenen Partei, wenn sie trotz Beendigung des Mandatsverhältnisses weiterhin für ein schuldhaftes Verhalten ihres bisherigen Prozessbevollmächtigten einzustehen hätte und bei darauf beruhender Fristversäumnis nicht wenigstens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erlangen könnte. In diesem Sinne wird dadurch, dass zwar noch § 87 Abs. 1 ZPO, aber nicht mehr § 85 Abs. 2 ZPO gilt, ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten hergestellt (Senatsbeschluss vom 10. Juli 1985 - IVb ZB 102/84 - VersR 1985, 1185, 1186).
15
Da der Vollmachtsvertrag mit Rechtsanwalt Dr. L. im Innenverhältnis durch das per Telefax übermittelte Schreiben des Beklagten vom 25. Januar 2006 beendet worden ist, kann ihm ein Verschulden von Rechtsanwalt Dr. L. von diesem Zeitpunkt an nicht mehr zugerechnet werden. Der Beklagte hat deshalb nicht dafür einzustehen, dass Rechtsanwalt Dr. L. ihn über den am 30. Januar 2006 erfolgten Eingang des Prozesskostenhilfebeschlusses nicht benachrichtigt hat.
16
b) Ein für die Fristversäumnis ursächliches, dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden der Rechtsanwältin P.-J. liegt ebenfalls nicht vor. Diese war zwar verpflichtet, sich bei der Übernahme des Mandats bei Rechtsanwalt Dr. L. als dem bisherigen Bevollmächtigten des Beklagten über den Lauf eventueller Fristen zu erkundigen (vgl. BGH Beschluss vom 22. November 1990 - I ZB 313/90 - VersR 1991, 896). Dass sie dieser Verpflichtung nicht sogleich nachkam, ist für die Fristversäumnis aber nicht ursächlich geworden. Hätte Rechtsanwältin P.-J. nämlich am 25. oder 26. Januar 2006, als sie das Mandat übernahm, bei Rechtsanwalt Dr. L. wegen eines möglichen Fristenlaufs nachgefragt, so hätte ihr dieser lediglich mitteilen können, dass er eine Entscheidung über die beantragte Prozesskostenhilfe noch nicht erhalten habe. Rechtsanwältin P.-J. brauchte entsprechende Anfragen aber nicht jeweils kurzfristig zu wiederholen, sondern konnte sich darauf verlassen, dass Rechtsanwalt Dr. L. - seiner Verpflichtung entsprechend - sie oder den Beklagten über den Eingang des Prozesskostenhilfebeschlusses bei ihm un- verzüglich unterrichten würde (vgl. BGH Urteil vom 2. März 1988 - IVa ZR 218/87 - VersR 1988, 835, 836).
17
c) Auch der Beklagte selbst hat die Fristversäumnis nicht verschuldet. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung ist ihm - unabhängig vom Vorliegen eines wichtigen Grundes - nicht vorzuwerfen, das Mandatsverhältnis zu Rechtsanwalt Dr. L. am 25. Januar 2006 beendet zu haben. Eine Partei kann dem Anwalt grundsätzlich jederzeit das Mandat entziehen und die ihm erteilte Vollmacht widerrufen (vgl. für den nach § 78 b ZPO beigeordneten Anwalt: Stein/Jonas/Bork ZPO 22. Aufl. § 78 b Rdn. 31 und für den nach § 121 Abs. 1 ZPO beigeordneten Anwalt: Stein/Jonas/Bork aaO § 121 Rdn. 21; MünchKomm-ZPO/Motzer 3. Aufl. § 121 Rdn. 23; Zöller/Philippi aaO § 121 Rdn. 34). Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ihr ein anderer Anwalt beizuordnen ist, ist eine andere Frage. Die ungestörte Abwicklung des Prozesskostenhilfeverfahrens war durch den Anwaltswechsel nicht gefährdet. Die Möglichkeit der Zustellung bzw. formlosen Mitteilung des Prozesskostenhilfebeschlusses war gewährleistet, weil der bisherige Prozessbevollmächtigte bei Absendung der Ausfertigung des Beschlusses noch empfangszuständig war und der Beklagte von diesem eine Benachrichtigung über den Zugang erwarten durfte. Im Übrigen hat der Beklagte in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Kündigung des Mandats des Rechtsanwalts Dr. L. Rechtsanwältin P.-J. mandatiert.
18
Soweit die Rechtsbeschwerdeerwiderung geltend macht, der Beklagte sei nach der Mandatskündigung verpflichtet gewesen, sich bei Rechtsanwalt Dr. L. über laufende Fristen zu erkundigen, kann auf die Ausführungen unter III 3 b Bezug genommen werden. Bei einer Rückfrage am 25. oder 26. Januar 2006 hätte der Beklagte von Rechtsanwalt Dr. L. über einen Fristenablauf nichts erfahren können.
19
4. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist auch form- und fristgerecht angebracht worden.
20
Die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO begann frühestens am 15. Februar 2006, als Rechtsanwältin P.-J. bei Einsicht der Akten feststellte , dass Prozesskostenhilfe bereits bewilligt worden war. Der am 1. März 2006 per Telefax bei Gericht eingegangene Wiedereinsetzungsantrag wahrt die zweiwöchige Frist. Einer Nachholung der versäumten Prozesshandlungen - Berufung und Berufungsbegründung sowie Wiedereinsetzungsantrag in die versäumte Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist - bedurfte es nicht mehr, da diese bereits vorgenommen worden waren.
21
5. Dem Beklagten ist ferner Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungs - und Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen.
22
a) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist einer Partei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dann zu gewähren, wenn sie innerhalb der Rechtsmittelfrist ein vollständiges Prozesskostenhilfegesuch angebracht hat und vernünftigerweise nicht damit rechnen musste, dass ihr Antrag wegen fehlender Bedürftigkeit abgelehnt werde (Senatsbeschlüsse vom 26. Oktober 2005 - XII ZB 125/05 - FamRZ 2006, 32, 33 und vom 31. August 2005 - XII ZB 116/05 - FamRZ 2005, 1901, 1902). Das war hier der Fall. Demgemäß ist dem Beklagten Prozesskostenhilfe auch bewilligt worden.
23
Das in der Bedürftigkeit des Beklagten liegende Unvermögen, die Berufung vor Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen, war für die Fristversäumung auch ursächlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerdeerwiderung kann nicht davon ausgegangen werden, dass das Hindernis bereits mit der Beauftragung von Rechtsanwältin P.-J. beseitigt war. Für die Annahme, dass sich hierdurch an dem durch Mittellosigkeit begründeten Unvermögen des Beklagten, das Rechtsmittel einzulegen, etwas geändert hatte, bestand kein Anlass. Rechtsanwältin P.-J. hat das Verfahren mit den bis dahin für den Beklagten abgegebenen Erklärungen übernommen, also auch mit derjenigen, vor Bewilligung von Prozesskostenhilfe Berufung nicht einlegen zu können. Solange sich nichts Gegenteiliges ergab, galt dies weiterhin.
24
b) Das Wiedereinsetzungsgesuch ist bezüglich der versäumten Berufungsfrist nach § 234 Abs. 1, 236 ZPO formgerecht angebracht worden; insbesondere ist zugleich Berufung eingelegt worden. Dass der Wiedereinsetzungsantrag sich nicht auch auf die ebenfalls versäumte Berufungsbegründungsfrist erstreckt, ist unschädlich, da dem Beklagten mit Rücksicht auf die zugleich begründete Berufung insoweit Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden kann (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
25
Der Wahrung der Wiedereinsetzungsfrist bedurfte es mit Rücksicht auf die insofern zu gewährende Wiedereinsetzung nicht. Vorsitzende Richterin am Weber-Monecke Fuchs Bundesgerichtshof Dr. Hahne ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben. Weber-Monecke Vézina Dose
Vorinstanzen:
AG Höxter, Entscheidung vom 09.09.2005 - 6 F 143/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 06.06.2006 - 9 UF 152/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 270/04
vom
9. November 2005
in der Familiensache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. November 2005 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Sprick, die Richterinnen
Weber-Monecke und Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Familiensenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 18. November 2004 wird auf Kosten des Beklagten verworfen. Beschwerdewert: 2.740 €.

Gründe:


I.

1
Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ist der Beklagte verurteilt worden, an die Klägerin Trennungsunterhalt zu zahlen. Gegen das ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 30. Juni 2004 zugestellte Urteil hat er mit Schriftsatz vom 12. Juli 2004, beim Oberlandesgericht eingegangen am 14. Juli 2004, Berufung eingelegt. Eine Begründung des Rechtsmittels ist bis zum Ablauf der bis zum 20. September 2004 verlängerten Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen. Am 13. Oktober 2004 hat er - per Telefax - eine Berufungsbegründung eingereicht, in der als Datum der 16. September 2004 angegeben ist. Gleichzeitig hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
2
Zur Begründung dieses Antrags hat er vorgetragen: Die Überwachung von Notfristen sei im Büro seiner Rechtsanwältin so organisiert, dass die zuständige Bürovorsteherin B. mit der Zusendung der eingehenden Post die Rechtsmittelfristen oder andere Fristen vermerke und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte weiterleite. Diese Fristen würden ebenfalls im Fristenkalender und zusätzlich im Computer jeweils mit Vorfrist und Fristablauf notiert. Zusätzlich werde eine Eintragung der Frist im Kalender der jeweiligen Handakte vorgenommen. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Akte dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt mit einem auffälligen Vermerk vorgelegt. Am Morgen des Fristablaufs werde die Sache auf Erledigung überprüft und, wenn sie noch nicht erledigt sei, noch einmal mit einem auffälligen Aufkleber "heute Fristablauf" in der gleichen Weise vorgelegt. Zum Büroschluss werde weiter kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt seien, erst dann werde die Frist gelöscht. Die Eintragung und die Kontrolle der Fristen obliege der Bürovorsteherin B. Im vorliegenden Fall habe sie zwar richtig die Vor- und Hauptfrist notiert, doch versehentlich die Frist vom 20. September 2004 gestrichen, obwohl sie nicht kontrolliert habe, ob die Berufungsbegründungsschrift fristgerecht abgesandt worden sei. Diese sei nach dem Diktat am 16. September 2004 gefertigt und in die normale Post gegeben , jedoch nicht sicherheitshalber per Telefax versandt worden. Die Bürovorsteherin habe nach der Fertigung des Schriftsatzes eine Abschrift in der Akte abgeheftet, das Original zur Post gegeben und den Fristablauf vom 20. September bereits am 16. September gestrichen, obwohl nicht sichergestellt gewesen sei, dass die Berufungsbegründungsschrift auch am 20. September 2004 bei dem Oberlandesgericht eingegangen sei.
3
Zur Glaubhaftmachung des tatsächlichen Ablaufs hat der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin B. vorgelegt, in der es hinsichtlich der Büroorganisation heißt, der Bürovorsteherin seien die Vorschriften der Kanzlei über die Behandlung von Fristen bekannt.
4
Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

5
Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig.
6
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 der Bestimmung nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.
7
a) Die Voraussetzungen der ersten beiden Alternativen liegen hier nicht vor.
8
b) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich, wenn das Berufungsgericht bei der Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip ) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung indessen nicht.
9
2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig zur Bearbeitung vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten , durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (Senatsbeschlüsse vom 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 1 und vom 22. Oktober 1986 - IVb ZB 89/86 - BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelbegründung 1; BGH Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 13). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
10
3. Das Berufungsgericht hat angenommen, es sei nicht auszuschließen, dass die Fristversäumung auf einer fehlenden wirksamen Ausgangskontrolle hinsichtlich fristwahrender Schriftsätze in der vom Beklagten beauftragten Rechtsanwaltskanzlei beruhe. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
11
Der Beklagte hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist weder von ihm selbst noch von seinem Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verschuldet worden ist. Dass die Fristen- und insbesondere die Ausgangskontrolle in dem Büro der erst- und zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten in einer den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung entsprechenden Weise organisiert waren, lässt sich der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin B. nicht entnehmen. Denn in dieser werden die diesbezüglichen Vorschriften der Kanz- lei nicht im Einzelnen dargelegt. Damit kann nach den allein glaubhaft gemachten Tatsachen aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumnis verhindert worden wäre, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle bestanden hätte.
Hahne Sprick Weber-Monecke Vézina Dose
Vorinstanzen:
AG Herne-Wanne, Entscheidung vom 08.06.2004 - 3 F 404/02 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 18.11.2004 - 3 UF 332/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 148/00
Verkündet am:
11. Januar 2001
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
------------------------------------
Dem Erfordernis einer Ausgangskontrolle bei fristwahrenden Schriftsätzen
ist genügt, wenn der Rechtsanwalt den von ihm unterzeichneten und kuvertierten
Schriftsatz in einer "Poststelle" seiner Kanzlei ablegt und aufgrund
allgemeiner organisatorischer Anweisungen gewährleistet ist, daß dort lagernde
Briefe ohne weitere Zwischenschritte noch am selben Tag frankiert
und zur Post gegeben werden.
BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - OLG Köln
LG Köln
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Januar 2001 durch die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick, Dr. Kapsa
und Galke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. Mai 2000 aufgehoben.
Den Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


Die Beklagten haben gegen das der Klage auf Zahlung einer Maklerprovision stattgebende Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Ihre Berufungsbegründungsschrift vom 2. Dezember 1999 ist aber nicht innerhalb der bis zum 6. Dezember 1999 verlängerten Begründungsfrist, sondern erst am 7. Dezember 1999 beim Oberlandesgericht eingegangen. Nach telefonischem Hinweis auf die Verspätung haben die Beklagten fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen:
Der Schriftsatz vom 2. Dezember 1999 sei in den Morgenstunden dieses Tages von der Rechtsanwaltsfachangestellten W. geschrieben, für die Post vorbereitet und dem Anwalt zur Unterschrift übergeben worden. Dieser habe ihn zusammen mit den Kopien für die Mandantschaft unterzeichnet, eigenhändig kuvertiert und zu der "Poststelle" der Kanzlei gegeben. Die Einrichtung dieser Poststelle bestehe aus einer Arbeitsplatte, der Frankiermaschine und einem Behälter mit der Aufschrift "herausgehende Post". Es lägen rote DIN-C4Freistempler -Umschläge bereit, in welche die frankierte Post gesteckt werde. Täglich gingen aus der Kanzlei allein über die Deutsche Post AG ca. 50 bis 100 Briefe an verschiedene Empfänger. Es würden bis zu sechs und acht Freistempler -Umschläge an jedem Arbeitstag in einen nahegelegenen Briefkasten eingeworfen. Sechs Kanzleimitarbeiter frankierten je nach Arbeitslage die hinausgehende Post. Die Poststelle sei so gestaltet, daß keine Briefe liegenbleiben könnten. Die Post werde erstmals in den frühen Nachmittagsstunden und später noch einmal in den Abendstunden in den genannten Briefkasten eingeworfen. Demgemäß hätten auch die Beklagten die Kopien des Schriftsat-
zes am darauf folgenden Tag oder spätestens am Sonnabend erhalten. Zur Glaubhaftmachung haben sich die Beklagten auf eine eigene eidesstattliche Versicherung, auf eidesstattliche Versicherungen der Angestellten W. und ihres Prozeßbevollmächtigten sowie auf einen Ausdruck aus dem Schreibcomputer der Anwaltskanzlei bezogen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und in den Gründen seiner Entscheidung den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren Revision.

Entscheidungsgründe


Die Revision hat Erfolg.

I.


Das Berufungsgericht führt aus: Die Beklagten hätten nicht glaubhaft gemacht, daß sie ohne ein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten gehindert gewesen seien, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Glaubhaft gemacht sei allein, daß die Berufungsbegründung am 2. Dezember 1999 von der Mitarbeiterin W. geschrieben, zusammen mit den für die Beklagten bestimmten Kopien von dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet, von ihm kuvertiert und zu der Poststelle seiner Kanzlei gegeben
wurde, außerdem, daß die Beklagten den Schriftsatz am 3. oder 4. Dezember 1999 erhalten hätten. Nicht glaubhaft gemacht sei indessen, daß das für das Gericht bestimmte Original am 2. Dezember 1999 oder zumindest so rechtzeitig abgesandt worden sei, daß es bei normalem Postlauf innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen wäre. Es sei nicht dargetan, ob und auf welche Weise in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Postausgang überwacht wurde (Postausgangsbuch, Ab-Vermerk in der Handakte oder im Fristenkalender, Überprüfung der Erledigung am Abend anhand des Fristenkalenders), zumal der Fristenkalender nicht vorgelegt worden sei. Zwar müsse kein Mitarbeiter des Rechtsanwalts am Briefkasten stehen und jeden eingeworfenen Brief in einem Postausgangsbuch abhaken. Zu verlangen sei jedoch, daß durch geeignete Maßnahmen später nachvollzogen werden könne, wann ein ganz bestimmter Schriftsatz das Büro tatsächlich verlassen habe.

II.


Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Den Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen (§ 233 ZPO).
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der im Ansatz auch das Berufungsgericht ausgeht, gehört es zu den Aufgaben des Prozeßbevollmächtigten, dafür zu sorgen, daß ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muß er eine zuverlässige Fristenkontrolle organisie-
ren und insbesondere einen Fristenkalender führen (vgl. nur BGH, Beschluß vom 15. Juli 1998 - IV ZB 8/98 - NJW-RR 1998, 1443, 1444 m.w.N.). Die Fristenkontrolle muß jedoch nur gewährleisten, daß der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden (BGH, Beschluß vom 13. Oktober 1995 - VII ZB 48/93 - NJW-RR 1994, 565, 566; Beschluß vom 27. November 1996 - XII ZB 177/96 - NJW 1997, 1312, 1313; Beschluß vom 9. September 1997 - IX ZB 80/97 - NJW 1997, 3446, 3447; Beschluß vom 15. Juli 1998 aaO). Das ist im allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist (s. dazu BGH, Beschluß vom 9. September 1997 aaO). Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (BGH, Beschluß vom 25. Juni 1980 - VIII ZB 20/80 - VersR 1980, 973; Beschluß vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94 - NJW 1994, 2958, 2959; Beschluß vom 27. November 1996 aaO).
2. Nach diesen Maßstäben besteht kein Anhalt dafür, daß ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten an dem Fristversäumnis mitgewirkt haben könnte (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Beklagten haben - auch nach Meinung des Berufungsgerichts - glaubhaft gemacht, daß ihr Prozeßbevollmächtigter das für das Gericht bestimmte Original der Berufungsbegründung am 2. Dezember 1999 unterzeichnet, kuvertiert und selbst zur Poststelle der Kanzlei gebracht hat. Die weitere Postbeförderung war nach ihrem Vortrag so organi-
siert, daß alle dort lagernden Briefe von Mitarbeitern frankiert und zweimal täglich unmittelbar zum Briefkasten gebracht wurden, also - anders als in der Entscheidung vom 9. September 1997 (aaO) - ohne Zwischenschritte. Der Senat versteht das Vorbringen der Beklagten so, daß auch entsprechende allgemeine Anweisungen ihres Prozeßbevollmächtigten erteilt waren, insbesondere, jeden in der Poststelle lagernden Brief noch am selben Tage bei der Post einzuliefern. Damit war im Streitfall bereits mit dem eigenhändigen Ablegen des Briefes in der Poststelle durch den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten das Ziel einer Fristenkontrolle erreicht, selbst wenn der Brief anschließend noch von Kanzleiangestellten frankiert werden mußte und erst dadurch endgültig "postfertig" wurde, ohne daß es darauf ankommt, ob nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten die der Fristenkontrolle im übrigen dienenden Maßnahmen hinreichend durchgeführt wurden, was das Berufungsgericht bezweifelt. Etwaige Versäumnisse des Rechtsanwalts in dieser Hinsicht wären mit anderen Worten für die Fristversäumnis nicht ursächlich geworden. Soweit schließlich das Berufungsgericht verlangt, daß im nachhinein durch geeignete Maßnahmen feststellbar sein müsse, wann ein bestimmter Schriftsatz das Anwaltsbüro tatsächlich verlassen habe, überspannt es, wie der Revision zuzugeben ist, die an die Ausgangskontrolle zu stellenden Anforderungen. Ein Postausgangsbuch muß der Rechtsanwalt offenbar auch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht führen. Welche sonstigen "geeigneten" und zumutbaren Maßnahmen zum Nachweis der Absendung eines einzelnen Schriftstücks in Betracht kommen sollen, legt das Berufungsgericht nicht dar; sie sind auch
nicht ersichtlich. Bei dieser Sachlage kommen als mögliche Ursache der Verzögerung allein Fehler in der Postbeförderung oder ein Versehen des Büropersonals in Betracht. Für beides wären die Beklagten nicht verantwortlich.
Wurm Streck Schlick Kapsa Galke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/03
vom
23. Oktober 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Verletzt die Entscheidung des Berufungsgerichts den Anspruch der beschwerten
Partei auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes, so ist die nach § 574 Abs. 1
Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) unabhängig davon zulässig
, ob sich der Rechtsverstoß auf das Endergebnis auswirkt.
Eine konkrete Anweisung des Anwalts im Einzelfall macht nur dann allgemeine organisatorische
Regelungen obsolet, wenn diese durch die Einzelanweisung ihre Bedeutung
für die Einhaltung der Frist verlieren; das ist nicht der Fall, wenn die Weisung
nur dahin geht, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, die Fristüberschreitung
aber darauf beruht, daß es an ausreichenden organisatorischen Vorkehrungen
dazu fehlt, unter welchen Voraussetzungen eine Frist nach Übermittlung
fristwahrender Schriftsätze per Telefax als erledigt vermerkt werden darf.
BGH, Beschl. v. 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - LG Konstanz
AGÜberlingen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 23. Oktober 2003 durch die
Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterin
Dr. Stresemann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 1. Zivilkammer des Landgerichts Konstanz vom 2. April 2003 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Gründe:


I.


Gegen das ihr am 7. November 2002 zugestellte Urteil des Amtsgerichts hat die Beklagte Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist per Fax am 8. Januar 2003 bei dem Landgericht eingegangen.
Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu folgendes ausgeführt : Ihr Prozeßbevollmächtigter habe den Begründungsschriftsatz am 7. Januar gefertigt und unterzeichnet und die bei ihm beschäftigte Rechtsanwaltsfachangestellte W. gegen 17.15 Uhr angewiesen, ihn per Fax an das Landgericht zu senden. Diese habe zwar mehrfach versucht zu faxen, was aber , weil sie versehentlich eine falsche Nummer gewählt habe, erfolglos geblieben sei. Sie habe angenommen, das Empfängergerät sei belegt, und habe sich zunächst anderen Aufgaben zugewendet, darüber aber die Angelegenheit ver-
gessen. Später habe sie die Frist im Kalender als erledigt eingetragen, so daß dem Prozeßbevollmächtigten bei dessen Kontrolle gegen 20.00 Uhr das Versäumnis nicht aufgefallen sei.
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt. Die Kläger beantragen die Zurückweisung des Rechtsmittels.

II.


1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
aa) Allerdings liegt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kein Fall einer Divergenz zu der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 29. Juni 2000 (VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006) vor. Eine die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde begründende Abweichung ist nämlich nur gegeben, wenn die angefochtene Entscheidung dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Entscheidung eines höherrangigen oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts (Senat, BGHZ 151, 42; BGHZ 89, 149, 151). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Das Berufungsgericht geht - im Einklang mit der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofes - davon aus, daß üblicherweise in Anwaltskanzleien auftretende Schwankungen der Arbeitsbelastung die Sorgfalts-
pflicht des Prozeßbevollmächtigten im Hinblick auf die Organisation eines reibungslos und fehlerfrei funktionierenden Geschäftsbetriebs nicht erhöhen. Es meint lediglich, im konkreten Fall hätten Umstände vorgelegen, die über das Übliche einer Mehrbelastung hinausgingen und daher zu besonderen Maßnahmen Anlaß gegeben hätten. Ist diese Auffassung - wie hier (siehe im folgenden ) - falsch, so liegt darin zwar eine rechtsfehlerhafte Würdigung. Doch wird damit kein allgemeiner Rechtssatz aufgestellt, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofes entgegensteht.
bb) Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht aber auf einer Würdigung , die der Beklagten den Zugang zu dem von der Zivilprozeßordnung eingeräumten Instanzenzug in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, vgl. BVerfGE 77, 275, 284; BVerfG NJW 2003, 281) und eröffnet die Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO (vgl. Senat, BGHZ 151, 221; Beschl. v. 20. Februar 2003, V ZB 60/02, NJW-RR 2003, 861; Beschl. v. 30. April 2003, V ZB 71/02, NJW 2003, 2388). Die Annahme, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe angesichts der "besonderen Situation am Nachmittag" des 7. Januars 2003 eine eigenständige Prüfung der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist vornehmen müssen, entbehrt jeder Grundlage. Unscharf ist schon der Ansatz. Die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist war an sich nicht gefährdet. Der Prozeßbevollmächtigte hatte den Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und dessen Übermittlung per Fax verfügt. Welche zusätzlichen Maßnahmen er hätte ergreifen sollen, worin sich die nach Auffassung des Berufungsgerichts gebotene erhöhte Sorgfaltspflicht hätte äußern sollen, wird in der angefochtenen Entscheidung nicht gesagt. Dafür ist auch nichts erkennbar. Die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxüber-
mittlung kann der Anwalt seinem Personal überlassen (BGH, Beschl. v. 11. Februar 2003, VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, 936 m. zahlr. Nachw.). Er braucht sie nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren. Im übrigen ist hier nach dem Vorbringen der Beklagten sogar eine Kontrolle erfolgt, die aber wegen des falschen Erledigungsvermerks ohne Befund blieb.
Wenn man in dieser konkreten Situation ein Weiteres von dem Anwalt verlangen wollte, so überspannte man die Sorgfaltsanforderungen. Denn solche Maßnahmen könnten nur in einer Beaufsichtigung des Übermittlungsvorgangs selbst oder in einer sofortigen Kontrolle sogleich nach Durchführung bestehen. Dies kann höchstens ganz ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juni 2000, VII ZB 5/00, NJW 2000, 3006), wenn ein geordneter Geschäftsbetrieb infolge besonderer Umstände nicht mehr gewährleistet ist. Solche Umstände hat das Berufungsgericht aber nicht festgestellt. Daß eine Rechtsanwaltsangestellte über ihre normale Dienstzeit hinaus arbeiten muß und daß drei fristgebundene Sachen zusätzlich zu bearbeiten sind, bedingt keine Situation, die ein ausreichend organisiertes Büro nicht bewältigen könnte. Im übrigen sollte die Übermittlung per Telefax zunächst, nur wenige Minuten nach dem üblichen Dienstschluß, erfolgen, und es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Bearbeitung weiterer Fristsachen, die sich bis 19.30 Uhr hinzog, diese einfache Tätigkeit hätte stören oder in einer Weise gefährden können, daß ein Eingreifen des Anwalts erforderlich gewesen wäre.
cc) Dieser Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde , ob er sich auf das Ergebnis auswirkt. Insoweit besteht ein Unterschied zum Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 544 ZPO), in dem eine nicht entscheidungserhebliche Frage auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision gebietet (Senat, Beschl. v. 25. Juli 2002, V ZR 118/02, NJW 2002, 3180, 3181; Urt. v. 18. Juli 2003, V ZR 187/02, Umdruck S. 9, zur Veröffentlichung vorgesehen; BGH, Beschl. v. 19. Dezember 2002, VII ZR 101/02, NJW 2003, 831). Dieser Unterschied beruht auf folgendem: Anders als das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist die Rechtsbeschwerde ein Rechtsmittel, das zur Entscheidung über die Sache führt. Dabei hängt - wie stets - die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht von Fragen der Begründetheit ab. Liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO vor, so ist die Rechtsbeschwerde zulässig. Ob die angefochtene Entscheidung gleichwohl Bestand hat, ist eine Frage der Begründetheit. Beides miteinander zu verquicken, hieße, die Zulässigkeit des Rechtsmittels zu verneinen, weil es an der Begründetheit fehlt. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde geht es demgegenüber nicht um eine Entscheidung in der Sache selbst, sondern nur um die Frage, ob eine Sachüberprüfung im Revisionsverfahren geboten ist. Bei dieser Prüfung kann und muß berücksichtigt werden, ob die unter die Zulassungsgründe des § 543 Abs. 2 ZPO subsumierbaren Rechts- oder Verfahrensfragen im konkreten Fall entscheidungserheblich sind oder nicht. Sind sie es nicht, besteht kein Anlaß für eine Zulassung; denn es kommt auf sie letztlich nicht an.
2. Die Rechtsbeschwerde ist aber nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt (§ 233 ZPO) und die Berufung infolgedessen zutreffend als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte hat nämlich nicht dargelegt , daß sie ohne Verschulden gehindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Es ist nicht ausgeräumt, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ein eigenes (Organisations-) Verschulden vorzuwerfen ist,
das diese sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Das ergibt sich aus zwei Gesichtspunkten:
Zum einen hat der Anwalt organisatorische Vorkehrungen zu treffen, daß Fristen im Fristenkalender erst dann mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt oder jedenfalls soweit gediehen ist, daß von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1993, II ZB 7/93, VersR 1994, 703; Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 60 m.w.N.). Zum anderen muß der Anwalt bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax die Ausgangskontrolle organisatorisch dahin präzisieren , daß er die damit befaßten Mitarbeiter anweist, einen Einzelnachweis über den Sendevorgang ausdrucken zu lassen, der die ordnungsgemäße Übermittlung anzeigt, bevor die entsprechende Frist als erledigt vermerkt wird (Senat, Beschl. v. 9. Februar 1995, V ZB 26/94, VersR 1995, 1073, 1074). Er muß ferner Vorsorge für Störfälle treffen, um sicherzustellen, daß der Übermittlungsvorgang entweder vollständig wiederholt wird oder daß der Anwalt selbst über geeignete andere Maßnahmen entscheidet.
Ob solche allgemeinen organisatorischen Maßnahmen im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten bestanden, ist nicht vorgetragen worden. Die bloße Angabe, vor Büroschluß werde kontrolliert, ob alle Fristen erledigt seien, erst danach werde die Frist gelöscht, genügt nicht den vorstehenden Anforderungen. Soweit die Beklagte in einem nach Erlaß des angefochtenen Beschlusses bei dem Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz nähere Angaben zur Ausgangskontrolle gemacht hat, führt das zu keiner anderen Beurteilung. Derjenige, der Wiedereinsetzung beantragt, muß die Gründe, die die Wiedereinsetzung rechtfertigen, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vor-
bringen (BGH, Beschl. v. 12. Mai 1998, VI ZB 10/98, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 Antragsbegründung 3). Zwar können erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (BGH aaO; Beschl. v. 9. Juli 1985, VI ZB 10/85, VersR 1985, 1184, 1185). Das hilft der Beklagten im konkreten Fall aber schon deswegen nicht, weil die ergänzenden Angaben nach Erlaß der Entscheidung gemacht worden sind und daher für das Rechtsbeschwerdegericht nicht verfügbar sind. Seiner Beurteilung unterliegt - anders als im früheren Verfahren der sofortigen Beschwerde (§ 577 ZPO a.F.) - nur der in den Tatsacheninstanzen festgestellte Sachverhalt sowie der auf Verfahrensrüge zu beachtende dortige Sachvortrag. Soweit die Rechtsbeschwerde den neuen Sachvortrag mit Hilfe einer Aufklärungsrüge einführen möchte, ist ihr nicht zu folgen. Es bestand für das Berufungsgericht keine Pflicht, die anwaltlich vertretene Beklagte auf die nicht ausreichenden Gründe ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hinzuweisen. Die Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine wirksame Ausgangskontrolle und an die organisatorischen Maßnahmen bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze stellt, sind bekannt und müssen einem Anwalt auch ohne richterliche Hinweise geläufig sein. Wenn der Vortrag dem nicht Rechnung trägt, gibt dies keinen Hinweis auf Unklarheiten oder Lücken, die aufzuklären bzw. zu füllen wären, sondern erlaubt den Schluß darauf , daß entsprechende organisatorische Maßnahmen gefehlt haben.
Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist das Fehlen organisatorischer Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze nicht deswegen unerheblich, weil der Prozeßbevollmächtigte eine konkrete Einzelweisung erteilt hat. Allerdings ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes anerkannt, daß es auf allgemeine organisatorische Regelungen nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall
konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (BGH, Urt. v. 6. Oktober 1987, VI ZR 43/87, VersR 1988, 185, 186; Beschl. v. 26. September 1985, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Dabei ist jedoch auf den Inhalt der Einzelweisung und den Zweck der allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen Rücksicht zu nehmen. Weicht ein Anwalt von einer bestehenden Organisation ab und erteilt er stattdessen für einen konkreten Fall genaue Anweisungen, die eine Fristwahrung gewährleisten, so sind allein diese maßgeblich; auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen kommt es dann nicht mehr an (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZB 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45; Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01, NJW-RR 2002, 1289). Anders ist es hingegen, wenn die Einzelweisung nicht die bestehende Organisation außer Kraft setzt, sondern sich darin einfügt und nur einzelne Elemente ersetzt, während andere ihre Bedeutung behalten und geeignet sind, Fristversäumnissen entgegenzuwirken. So ersetzt z.B. die Anweisung, einen Schriftsatz sofort per Telefax zu übermitteln und sich durch einen Telefonanruf über den dortigen Eingang des vollständigen Schriftsatzes zu vergewissern, alle allgemein getroffenen Regelungen einer Ausgangskontrolle und macht etwa hier bestehende Defizite unerheblich (BGH, Beschl. v. 2. Juli 2001, II ZB 28/00, NJW-RR 2002, 60). Ebenso liegt es, wenn der Anwalt von der Eintragung der Sache in den Fristenkalender absieht und die Anweisung erteilt, den fertiggestellten Schriftsatz in die Ausgangsmappe für die Post zum Berufungsgericht zu legen (BGH, Beschl. v. 26. September 1995, XI ZR 13/95, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45). Denn in diesem Fall würde eine Frist als erledigt vermerkt werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 9. September 1997, IX ZB 80/97, NJW 1997, 3446; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rdn. 23 S. 698).
Besteht hingegen - wie hier - die Anweisung nur darin, die Übermittlung eines Schriftsatzes sofort per Fax zu veranlassen, so fehlt es an Regelungen, die eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle überflüssig machen. Inhalt der Anweisung ist nur die Bestimmung des Mediums der Übermittlung und der Zeitpunkt ihrer Vornahme. Damit sind aber sonst etwa bestehende Kontrollmechanismen weder außer Kraft gesetzt noch obsolet. Es bleibt sinnvoll und notwendig , daß Anweisungen darüber bestehen, wie die Mitarbeiter eine vollständige Übermittlung per Telefax sicherzustellen haben und unter welchen Voraussetzungen sie eine Frist als erledigt vermerken dürfen. Bestehen sie nicht, entlastet es den Anwalt nicht, wenn er sich im konkreten Einzelfall darauf beschränkt , eine Übermittlung per Telefax anzuordnen. Dem entspricht es, daß z.B. der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes (Beschl. v. 1. Juli 2002, II ZB 11/01) einen solchen Übermittlungsauftrag nur für ausreichend erachtet hat, wenn jedenfalls die betreffende Angestellte allgemein angewiesen war, die Telefaxübermittlung jeweils anhand des (auszudruckenden) Sendeberichts zu kontrollieren.

III.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Krüger Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann