Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Nov. 2005 - XII ZB 270/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - ist der Beklagte verurteilt worden, an die Klägerin Trennungsunterhalt zu zahlen. Gegen das ihm zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten am 30. Juni 2004 zugestellte Urteil hat er mit Schriftsatz vom 12. Juli 2004, beim Oberlandesgericht eingegangen am 14. Juli 2004, Berufung eingelegt. Eine Begründung des Rechtsmittels ist bis zum Ablauf der bis zum 20. September 2004 verlängerten Berufungsbegründungsfrist nicht eingegangen. Am 13. Oktober 2004 hat er - per Telefax - eine Berufungsbegründung eingereicht, in der als Datum der 16. September 2004 angegeben ist. Gleichzeitig hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
- 2
- Zur Begründung dieses Antrags hat er vorgetragen: Die Überwachung von Notfristen sei im Büro seiner Rechtsanwältin so organisiert, dass die zuständige Bürovorsteherin B. mit der Zusendung der eingehenden Post die Rechtsmittelfristen oder andere Fristen vermerke und den Vorgang an die zuständige Büroangestellte weiterleite. Diese Fristen würden ebenfalls im Fristenkalender und zusätzlich im Computer jeweils mit Vorfrist und Fristablauf notiert. Zusätzlich werde eine Eintragung der Frist im Kalender der jeweiligen Handakte vorgenommen. Bei Ablauf der Vorfrist werde die Akte dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt mit einem auffälligen Vermerk vorgelegt. Am Morgen des Fristablaufs werde die Sache auf Erledigung überprüft und, wenn sie noch nicht erledigt sei, noch einmal mit einem auffälligen Aufkleber "heute Fristablauf" in der gleichen Weise vorgelegt. Zum Büroschluss werde weiter kontrolliert, ob alle Fristsachen erledigt seien, erst dann werde die Frist gelöscht. Die Eintragung und die Kontrolle der Fristen obliege der Bürovorsteherin B. Im vorliegenden Fall habe sie zwar richtig die Vor- und Hauptfrist notiert, doch versehentlich die Frist vom 20. September 2004 gestrichen, obwohl sie nicht kontrolliert habe, ob die Berufungsbegründungsschrift fristgerecht abgesandt worden sei. Diese sei nach dem Diktat am 16. September 2004 gefertigt und in die normale Post gegeben , jedoch nicht sicherheitshalber per Telefax versandt worden. Die Bürovorsteherin habe nach der Fertigung des Schriftsatzes eine Abschrift in der Akte abgeheftet, das Original zur Post gegeben und den Fristablauf vom 20. September bereits am 16. September gestrichen, obwohl nicht sichergestellt gewesen sei, dass die Berufungsbegründungsschrift auch am 20. September 2004 bei dem Oberlandesgericht eingegangen sei.
- 3
- Zur Glaubhaftmachung des tatsächlichen Ablaufs hat der Beklagte eine eidesstattliche Versicherung der Bürovorsteherin B. vorgelegt, in der es hinsichtlich der Büroorganisation heißt, der Bürovorsteherin seien die Vorschriften der Kanzlei über die Behandlung von Fristen bekannt.
- 4
- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
- 5
- Die gemäß §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig.
- 6
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 2 ZPO in den Fällen des Abs. 1 Nr. 1 der Bestimmung nur zulässig, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.
- 7
- a) Die Voraussetzungen der ersten beiden Alternativen liegen hier nicht vor.
- 8
- b) Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich, wenn das Berufungsgericht bei der Versagung der begehrten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen ist. Nach gefestigter Rechtsprechung dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip ) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung indessen nicht.
- 9
- 2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es zu den Aufgaben des Prozessbevollmächtigten gehört, dafür zu sorgen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte nicht nur sicherstellen, dass ihm die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittel- oder Rechtsmittelbegründungsfristen laufen, rechtzeitig zur Bearbeitung vorgelegt werden. Er muss vielmehr zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich rechtzeitig hinausgehen. Da für die Ausgangskontrolle in jedem Anwaltsbüro ein Fristenkalender unabdingbar ist, muss der Rechtsanwalt sicherstellen, dass die im Kalender vermerkten Fristen erst gestrichen werden (oder ihre Erledigung sonst kenntlich gemacht wird), wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Ausgangskontrolle auch eine Anordnung des Prozessbevollmächtigten , durch die gewährleistet wird, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft überprüft wird (Senatsbeschlüsse vom 17. Oktober 1990 - XII ZB 84/90 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 1 und vom 22. Oktober 1986 - IVb ZB 89/86 - BGHR ZPO § 233 Rechtsmittelbegründung 1; BGH Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 13). Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
- 10
- 3. Das Berufungsgericht hat angenommen, es sei nicht auszuschließen, dass die Fristversäumung auf einer fehlenden wirksamen Ausgangskontrolle hinsichtlich fristwahrender Schriftsätze in der vom Beklagten beauftragten Rechtsanwaltskanzlei beruhe. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
- 11
- Der Beklagte hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist weder von ihm selbst noch von seinem Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verschuldet worden ist. Dass die Fristen- und insbesondere die Ausgangskontrolle in dem Büro der erst- und zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten in einer den Anforderungen der ständigen Rechtsprechung entsprechenden Weise organisiert waren, lässt sich der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin B. nicht entnehmen. Denn in dieser werden die diesbezüglichen Vorschriften der Kanz- lei nicht im Einzelnen dargelegt. Damit kann nach den allein glaubhaft gemachten Tatsachen aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Fristversäumnis verhindert worden wäre, wenn eine wirksame Ausgangskontrolle bestanden hätte.
Vorinstanzen:
AG Herne-Wanne, Entscheidung vom 08.06.2004 - 3 F 404/02 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 18.11.2004 - 3 UF 332/04 -
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Annotations
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.