Bundesgerichtshof Urteil, 11. Jan. 2001 - III ZR 148/00

published on 11/01/2001 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Jan. 2001 - III ZR 148/00
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 148/00
Verkündet am:
11. Januar 2001
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
------------------------------------
Dem Erfordernis einer Ausgangskontrolle bei fristwahrenden Schriftsätzen
ist genügt, wenn der Rechtsanwalt den von ihm unterzeichneten und kuvertierten
Schriftsatz in einer "Poststelle" seiner Kanzlei ablegt und aufgrund
allgemeiner organisatorischer Anweisungen gewährleistet ist, daß dort lagernde
Briefe ohne weitere Zwischenschritte noch am selben Tag frankiert
und zur Post gegeben werden.
BGH, Urteil vom 11. Januar 2001 - III ZR 148/00 - OLG Köln
LG Köln
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Januar 2001 durch die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick, Dr. Kapsa
und Galke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 9. Mai 2000 aufgehoben.
Den Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewährt.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


Die Beklagten haben gegen das der Klage auf Zahlung einer Maklerprovision stattgebende Urteil des Landgerichts rechtzeitig Berufung eingelegt. Ihre Berufungsbegründungsschrift vom 2. Dezember 1999 ist aber nicht innerhalb der bis zum 6. Dezember 1999 verlängerten Begründungsfrist, sondern erst am 7. Dezember 1999 beim Oberlandesgericht eingegangen. Nach telefonischem Hinweis auf die Verspätung haben die Beklagten fristgerecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zur Begründung vorgetragen:
Der Schriftsatz vom 2. Dezember 1999 sei in den Morgenstunden dieses Tages von der Rechtsanwaltsfachangestellten W. geschrieben, für die Post vorbereitet und dem Anwalt zur Unterschrift übergeben worden. Dieser habe ihn zusammen mit den Kopien für die Mandantschaft unterzeichnet, eigenhändig kuvertiert und zu der "Poststelle" der Kanzlei gegeben. Die Einrichtung dieser Poststelle bestehe aus einer Arbeitsplatte, der Frankiermaschine und einem Behälter mit der Aufschrift "herausgehende Post". Es lägen rote DIN-C4Freistempler -Umschläge bereit, in welche die frankierte Post gesteckt werde. Täglich gingen aus der Kanzlei allein über die Deutsche Post AG ca. 50 bis 100 Briefe an verschiedene Empfänger. Es würden bis zu sechs und acht Freistempler -Umschläge an jedem Arbeitstag in einen nahegelegenen Briefkasten eingeworfen. Sechs Kanzleimitarbeiter frankierten je nach Arbeitslage die hinausgehende Post. Die Poststelle sei so gestaltet, daß keine Briefe liegenbleiben könnten. Die Post werde erstmals in den frühen Nachmittagsstunden und später noch einmal in den Abendstunden in den genannten Briefkasten eingeworfen. Demgemäß hätten auch die Beklagten die Kopien des Schriftsat-
zes am darauf folgenden Tag oder spätestens am Sonnabend erhalten. Zur Glaubhaftmachung haben sich die Beklagten auf eine eigene eidesstattliche Versicherung, auf eidesstattliche Versicherungen der Angestellten W. und ihres Prozeßbevollmächtigten sowie auf einen Ausdruck aus dem Schreibcomputer der Anwaltskanzlei bezogen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und in den Gründen seiner Entscheidung den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich deren Revision.

Entscheidungsgründe


Die Revision hat Erfolg.

I.


Das Berufungsgericht führt aus: Die Beklagten hätten nicht glaubhaft gemacht, daß sie ohne ein ihnen zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten gehindert gewesen seien, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Glaubhaft gemacht sei allein, daß die Berufungsbegründung am 2. Dezember 1999 von der Mitarbeiterin W. geschrieben, zusammen mit den für die Beklagten bestimmten Kopien von dem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet, von ihm kuvertiert und zu der Poststelle seiner Kanzlei gegeben
wurde, außerdem, daß die Beklagten den Schriftsatz am 3. oder 4. Dezember 1999 erhalten hätten. Nicht glaubhaft gemacht sei indessen, daß das für das Gericht bestimmte Original am 2. Dezember 1999 oder zumindest so rechtzeitig abgesandt worden sei, daß es bei normalem Postlauf innerhalb der Berufungsbegründungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen wäre. Es sei nicht dargetan, ob und auf welche Weise in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Postausgang überwacht wurde (Postausgangsbuch, Ab-Vermerk in der Handakte oder im Fristenkalender, Überprüfung der Erledigung am Abend anhand des Fristenkalenders), zumal der Fristenkalender nicht vorgelegt worden sei. Zwar müsse kein Mitarbeiter des Rechtsanwalts am Briefkasten stehen und jeden eingeworfenen Brief in einem Postausgangsbuch abhaken. Zu verlangen sei jedoch, daß durch geeignete Maßnahmen später nachvollzogen werden könne, wann ein ganz bestimmter Schriftsatz das Büro tatsächlich verlassen habe.

II.


Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand. Den Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu bewilligen (§ 233 ZPO).
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der im Ansatz auch das Berufungsgericht ausgeht, gehört es zu den Aufgaben des Prozeßbevollmächtigten, dafür zu sorgen, daß ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Zu diesem Zweck muß er eine zuverlässige Fristenkontrolle organisie-
ren und insbesondere einen Fristenkalender führen (vgl. nur BGH, Beschluß vom 15. Juli 1998 - IV ZB 8/98 - NJW-RR 1998, 1443, 1444 m.w.N.). Die Fristenkontrolle muß jedoch nur gewährleisten, daß der fristwahrende Schriftsatz rechtzeitig hergestellt und postfertig gemacht wird. Ist dies geschehen und ist die weitere Beförderung der ausgehenden Post organisatorisch zuverlässig vorbereitet, so darf die fristwahrende Maßnahme im Kalender als erledigt gekennzeichnet werden (BGH, Beschluß vom 13. Oktober 1995 - VII ZB 48/93 - NJW-RR 1994, 565, 566; Beschluß vom 27. November 1996 - XII ZB 177/96 - NJW 1997, 1312, 1313; Beschluß vom 9. September 1997 - IX ZB 80/97 - NJW 1997, 3446, 3447; Beschluß vom 15. Juli 1998 aaO). Das ist im allgemeinen anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts eingelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist (s. dazu BGH, Beschluß vom 9. September 1997 aaO). Eine zusätzliche Überwachung der abgehenden Post, etwa durch Führung eines Postausgangsbuchs, ist unter diesen Umständen nicht erforderlich (BGH, Beschluß vom 25. Juni 1980 - VIII ZB 20/80 - VersR 1980, 973; Beschluß vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94 - NJW 1994, 2958, 2959; Beschluß vom 27. November 1996 aaO).
2. Nach diesen Maßstäben besteht kein Anhalt dafür, daß ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten an dem Fristversäumnis mitgewirkt haben könnte (§ 85 Abs. 2 ZPO). Die Beklagten haben - auch nach Meinung des Berufungsgerichts - glaubhaft gemacht, daß ihr Prozeßbevollmächtigter das für das Gericht bestimmte Original der Berufungsbegründung am 2. Dezember 1999 unterzeichnet, kuvertiert und selbst zur Poststelle der Kanzlei gebracht hat. Die weitere Postbeförderung war nach ihrem Vortrag so organi-
siert, daß alle dort lagernden Briefe von Mitarbeitern frankiert und zweimal täglich unmittelbar zum Briefkasten gebracht wurden, also - anders als in der Entscheidung vom 9. September 1997 (aaO) - ohne Zwischenschritte. Der Senat versteht das Vorbringen der Beklagten so, daß auch entsprechende allgemeine Anweisungen ihres Prozeßbevollmächtigten erteilt waren, insbesondere, jeden in der Poststelle lagernden Brief noch am selben Tage bei der Post einzuliefern. Damit war im Streitfall bereits mit dem eigenhändigen Ablegen des Briefes in der Poststelle durch den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten das Ziel einer Fristenkontrolle erreicht, selbst wenn der Brief anschließend noch von Kanzleiangestellten frankiert werden mußte und erst dadurch endgültig "postfertig" wurde, ohne daß es darauf ankommt, ob nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Beklagten die der Fristenkontrolle im übrigen dienenden Maßnahmen hinreichend durchgeführt wurden, was das Berufungsgericht bezweifelt. Etwaige Versäumnisse des Rechtsanwalts in dieser Hinsicht wären mit anderen Worten für die Fristversäumnis nicht ursächlich geworden. Soweit schließlich das Berufungsgericht verlangt, daß im nachhinein durch geeignete Maßnahmen feststellbar sein müsse, wann ein bestimmter Schriftsatz das Anwaltsbüro tatsächlich verlassen habe, überspannt es, wie der Revision zuzugeben ist, die an die Ausgangskontrolle zu stellenden Anforderungen. Ein Postausgangsbuch muß der Rechtsanwalt offenbar auch nach Auffassung des Berufungsgerichts nicht führen. Welche sonstigen "geeigneten" und zumutbaren Maßnahmen zum Nachweis der Absendung eines einzelnen Schriftstücks in Betracht kommen sollen, legt das Berufungsgericht nicht dar; sie sind auch
nicht ersichtlich. Bei dieser Sachlage kommen als mögliche Ursache der Verzögerung allein Fehler in der Postbeförderung oder ein Versehen des Büropersonals in Betracht. Für beides wären die Beklagten nicht verantwortlich.
Wurm Streck Schlick Kapsa Galke
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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.