vorgehend
Amtsgericht Ingolstadt, 17 XVII 78/11, 02.01.2012
Landgericht Ingolstadt, 13 T 220/12, 27.02.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 130/12
vom
20. Juni 2012
in der Betreuungssache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2012 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Klinkhammer, Schilling,
Dr. Günter und Dr. Botur

beschlossen:
Der Beteiligten zu 2 wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung und zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Ingolstadt vom 27. Februar 2012 wird zurückgewiesen. Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (§ 131 Abs. 5 KostO). Beschwerdewert: 3.000 €

Gründe:

A.

1
Die Beteiligte zu 2 begehrt als Betreuerin die Genehmigung einer Zwangsbehandlung der Betroffenen.
2
Das Amtsgericht hat für die Betroffene, bei der im Jahr 2011 eine paranoide Schizophrenie festgestellt wurde, die Betreuung unter anderem mit dem Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung angeordnet. Zudem hat es die Unterbringung der Betroffenen durch die Betreuerin gemäß § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB bis Januar 2014 unter Hinweis darauf genehmigt, dass wegen der drohenden Obdachlosigkeit eine Eigengefährdung drohe.
3
Den Antrag der Betreuerin, die Betroffene auch gegen ihren Willen medikamentös behandeln und dazu notfalls fixieren lassen zu dürfen, hat das Amtsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug und das Fehlen einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage abgelehnt. Die gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde der Betreuerin hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betreuerin mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.

B.

4
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat die Genehmigung der Zwangsbehandlung der Betroffenen zu Recht abgelehnt.

I.

5
Das Landgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
6
Während die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB unter bestimmten Voraussetzungen eine Zwangsbehandlung zugelassen habe, müssten die Voraussetzungen für eine Zwangsmedikation nunmehr an den verfassungsrechtlichen Maßstäben der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gemessen werden. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB enthalte keine hinreichende Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung einer Behandlung gegenüber der Betroffenen. Die Norm ermächtige das Betreuungsgericht nach seinem Wortlaut nur dazu, die Unterbringung der Betroffenen zur Heilbehandlung zu genehmigen, also freiheitsentziehende Maßnahmen anzuordnen, in deren Rahmen dann eine Heilbehandlung durchgeführt werden könne. Der Wortlaut enthalte keinerlei Hinweis auf eine Zwangsbehandlung.
7
Zudem habe der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, im Betreuungsrecht eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung wie auch ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung zu regeln. Ein formelles Gesetz habe er also gerade nicht geschaffen.
8
Eine ausreichende gesetzliche Grundlage ergebe sich ebenso wenig aus § 1906 Abs. 4 BGB. Auch insoweit fehlten jegliche Kriterien dafür, wann und unter welchen Voraussetzungen eine Fixierung zum Zwecke der Zwangsbehandlung genehmigungsfähig sei. Entscheidend sei, dass der Zweck dieser Vorschrift die Regelung der gerichtlichen Genehmigungsbedürftigkeit bei Einschränkungen der Bewegungsfreiheit sei.
9
Dass § 1906 BGB nach diesem Verständnis nur einen beschränkten Anwendungsbereich habe, müsse angesichts der unmissverständlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hingenommen werden. Dabei sei nicht zu verkennen , dass es zumeist dem objektiven Wohl des Betroffenen entsprechen möge, eine Behandlung durchzuführen. Es bestehe die Gefahr, dass sich die derzeitige Situation, die eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen trotz Behandlungsbedürftigkeit nicht zulasse, für alle Beteiligten unbefriedigend sei. Dieser Nachteil müsse angesichts der Schwere der Grundrechtseingriffe und des Fehlens einer klaren und bestimmten Eingriffsnorm hingenommen werden.
10
Die Ansicht, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts würden für den Bereich des Betreuungsrechts nicht gelten, weil die §§ 1896 ff. BGB ein geschlossenes Regelungssystem enthielten, dessen Schutzniveau den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gerecht würden, könne nicht überzeugen.
11
Die Betreuerin begehre auch nicht nur die Anordnung einer Unterbringung an sich. Eine freiheitsentziehende Maßnahme sei zwischenzeitlich bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts aufgrund des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgt und habe zum Zeitpunkt der Beschwerde bereits vorgelegen. Der Antrag der Betreuerin auf Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verfolge vielmehr den Zweck, die von der Betroffenen verweigerte medikamentöse Behandlung zwangsweise gegen ihren Willen durchzusetzen. Eine solche Zwangsbehandlung sei aber - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich. Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei der die Heilbehandlung nicht durchgeführt werde oder werden könne, dürfe nicht genehmigt werden.

II.

12
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.
13
1. Der Rechtsbeschwerde bleibt nicht bereits deshalb der Erfolg versagt, weil die Betroffene wegen Selbstgefährdung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB untergebracht ist.
14
Zwar kommt nach der bisherigen Senatsrechtsprechung die betreuungsgerichtliche Genehmigung einer vom Betreuer veranlassten Zwangsbehandlung gegen den natürlichen Willen des im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Be- troffenen nur im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Betracht (BGHZ 166, 141, 149 ff. = FamRZ 2006, 615, 617 f.).
15
Die Rechtsbeschwerde kann aber nicht allein deshalb zurückgewiesen werden, weil die Betroffene - nur - nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB untergebracht ist. Das Beschwerdegericht hat den Antrag der Betreuerin, die Betroffene auch gegen ihren Willen medikamentös behandeln und dazu notfalls auch fixieren lassen zu dürfen bzw. ihren Antrag auf Genehmigung der Unterbringung ersichtlich auch als einen Antrag auf Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ausgelegt.
16
Ausgehend von der Prämisse, dass nach der jüngsten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht mehr genehmigungsfähig ist, sind die weiteren Ausführungen des Beschwerdegerichts allerdings konsequent , wonach eine Unterbringung nicht in Betracht kommt, weil die Heilbehandlung nicht durchgeführt werden kann. Deshalb kommt es für die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde maßgeblich darauf an, ob § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch unter Berücksichtigung der jüngsten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Genehmigung in die Einwilligung einer mit Zwangsbehandlung verbundenen Unterbringung noch zu rechtfertigen vermag.
17
2. Diese Frage ist zu verneinen; der Senat hält an seiner Rechtsprechung insoweit nicht mehr fest.
18
a) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats umfasst die Befugnis des Betreuers, in ärztliche Maßnahmen auch gegen den natürlichen Willen eines im Rechtssinne einwilligungsunfähigen Betroffenen einzuwilligen, im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zur Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch das Recht, erforderlichenfalls einen der ärztlichen Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 149 ff. = FamRZ 2006, 615, 617 f.). Da eine medizinische Maßnahme nur dann als notwendig im Sinne von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB angesehen werden könne, wenn sie rechtlich zulässig sei, könne der Betroffene auf dieser Rechtsgrundlage nur untergebracht werden, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden dürfe. Sähe man die zwangsweise Überwindung eines der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betroffenen auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig an, würde der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB von vornherein auf die - eher seltenen - Fälle beschränkt, in denen der Betroffene zwar die Notwendigkeit der medizinischen Maßnahme bejahe oder jedenfalls trotz fehlender Behandlungseinsicht keinen der medizinischen Maßnahme entgegenstehenden natürlichen Willen manifestiere, er aber nicht die Notwendigkeit der Unterbringung einsehe. Die Vorschrift könne daher sinnvoll nur dahin ausgelegt werden, dass der Betroffene die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu seinem Wohl eingewilligt habe und derentwegen der Betroffene untergebracht werden dürfe, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 152 = FamRZ 2006, 615, 618). Allerdings müsse in der Genehmigung einer Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die von dem Betroffenen zu duldende Behandlung so präzise wie möglich angegeben werden, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betroffenen zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergäben; dazu gehörten bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffs und deren (Höchst-)Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 153 f. = FamRZ 2006, 615, 618).
19
Aus dem Umstand, dass die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen nur im Rahmen einer vom Betreuungsgericht nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig sei, dürfe freilich nicht gefolgert werden, dass eine freiheitsentziehende Unterbringung immer schon dann vom Betreuer veranlasst werden dürfe, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig sei, aber nur gegen den Widerstand des Betroffenen durchgeführt werden könne. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlange nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig sei. Die freiheitsentziehende Unterbringung müsse vielmehr auch ihrerseits erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden könne. Sie sei in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten sei, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erforderlichen medizinischen Maßnahme räumlich, also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" , entziehe. Umgekehrt begründe die Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu überwinden, für sich genommen noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen, also etwa auch dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch widersetze , sich ihr aber nicht räumlich entziehe (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 Rn. 23).
20
Der Senat hat ferner entschieden, dass die Genehmigung nur zulässig sei, wenn die Zwangsmedikation erforderlich und angemessen sei. Ob dies der Fall sei, bedürfe im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs einer besonders sorgfältigen Prüfung (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 8). Es liege auf der Hand, dass ein noch strengerer Prüfungsmaßstab anzulegen sei, wenn die Freiheitsentziehung mit einer Zwangsbehandlung des Betroffenen - deren Zulässigkeit vorausgesetzt - verbunden werden solle. Dies folge schon daraus, dass in diesem Falle nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen seien. Bei der Prüfung, ob eine - insbesondere längerfristige - Behandlung eines untergebrachten Betroffenen unter Zwang dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit noch entspreche, seien an die Gewichtigkeit des ohne Behandlung drohenden Gesundheitsschadens, aber auch an die Heilungs- bzw. Besserungsprognose strengere Anforderungen zu stellen. Dies lege gerade bei der Behandlung psychischer Erkrankungen eine besonders kritische Prüfung des therapeutischen Nutzens einer nur unter Zwang durchgeführten Medikation nahe (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 146 f. = FamRZ 2006, 615, 616).
21
Schließlich sei ein Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen wehren werde , im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs unzulässig (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 11).
22
b) Das Bundesverfassungsgericht hat nunmehr in zwei grundlegenden Beschlüssen aus dem Jahr 2011 entschieden, dass die Zwangsbehandlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten nur auf der Grundlage eines Gesetzes zulässig sei, das die Voraussetzung für die Zulässigkeit des Eingriffs bestimme (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72 und 2011, 1927 Rn. 38). Dies gelte nicht nur für die materiellen, sondern auch für die formellen Eingriffsvoraussetzungen. Die in verfahrensrechtlicher wie in materieller Hinsicht für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen bedürften gesetzlicher Regelungen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72). Der Gesetzgeber sei gehalten, seine Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich sei. Die notwendige Bestimmtheit fehle zwar nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig sei. Die Betroffenen müssten jedoch die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können, und die gesetzesausführende Verwaltung müsse für ihr Verhalten steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe vorfinden. Zur notwendigen Erkennbarkeit des Norminhalts gehöre die Klarheit und, als deren Bestandteil, die Widerspruchsfreiheit der Norm. Die Anforderung an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit seien umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff sei, den eine Norm vorsehe. Dabei könne auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73).
23
Dem Eingriffscharakter einer Zwangsbehandlung stehe nicht entgegen, dass sie zum Zweck der Heilung vorgenommen werde (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 40). Krankheitsbedingte Einsichtsunfähigkeit eines Untergebrachten ändere ebenfalls nichts daran, dass eine gegen seinen natürlichen Willen erfolgende Behandlung, die seine körperliche Integrität berühre, einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstelle. Sie könne im Gegenteil dazu führen, dass der Eingriff von dem Betroffenen als besonders bedrohlich erlebt werde. Selbst die Einwilligung des Betreuers nehme daher der Maßnahme nicht den Eingriffscharakter (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 42), zumal der Eingriff für den Betroffenen nicht dadurch weniger belastend sei, dass gerade ein Betreuer ihr zugestimmt habe (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71).
24
Der Gesetzgeber sei (allerdings) berechtigt, unter engen Voraussetzungen Behandlungsmaßnahmen gegen den natürlichen Willen des Grundrechtsträgers ausnahmsweise zu ermöglichen, wenn dieser zur Einsicht in die Schwere seiner Krankheit und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen oder zum Handeln gemäß solcher Einsicht krankheitsbedingt nicht fähig sei (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 49).
25
In materieller Hinsicht folge aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst, dass Maßnahmen der Zwangsbehandlung nur eingesetzt werden dürften, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertige , Erfolg versprächen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 57). Zwangsmaßnahmen dürften ferner nur als letztes Mittel eingesetzt werden, wenn mildere Mittel keinen Erfolg versprächen. Zudem müsse der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig sei, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von unzulässigem Druck unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58).
26
Grundsätzlich sei eine Ankündigung erforderlich, die dem Betroffenen die Möglichkeit eröffne, vor Schaffung vollendeter Tatsachen eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, auch wenn die Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters vorliege (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 63). Allerdings dürfe die Flexibilität der fachgerechten ärztlichen Reaktion auf individuelle Unterschiede nicht über Gebühr beeinträchtigt werden (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 64), wobei die Anordnung und Überwachung einer medikamentösen Zwangsbehandlung durch einen Arzt unabdingbar seien. Es sei notwendig, die Zwangsbehandlung zu dokumentieren. Art. 2 Abs. 2 GG fordere darüber hinaus spezielle verfahrensmäßige Sicherungen gegen die besonderen situationsbedingten Grundrechtsgefährdungen , die sich ergäben, wenn über die Anordnung einer Zwangsbehandlung außerhalb akuter Notfälle allein die jeweilige Unterbringungseinrichtung entscheide (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 68). Die weitreichenden Befugnisse der Unterbringungseinrichtung und die dadurch eingeschränkten Möglichkeiten der Unterstützung und Begleitung durch Außenste- hende versetzten den Untergebrachten in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit , in der er besonderen Schutz dagegen bedürfe, dass seine grundrechtlich geschützten Belange etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt würden (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 69). Es seien keine durchgreifenden Gründe ersichtlich, derentwegen eine Betreuerlösung von Verfassungs wegen vorzugswürdiger wäre beispielsweise gegenüber einem Richtervorbehalt oder gegenüber der Beteiligung einer anderen neutralen Stelle. Die Ausgestaltung der Art und Weise , in der sichergestellt werde, dass vor Durchführung einer Zwangsbehandlung eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfinde, sei Sache des jeweils zuständigen Gesetzgebers (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71).
27
c) Nach überwiegender Auffassung in der - nach Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. März 2011 (FamRZ 2011, 1128) veröffentlichten - Rechtsprechung und Literatur fehlt es an einer den vorgenannten verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechenden Ermächtigungsgrundlage für eine betreuungsrechtliche Genehmigung der Zwangsbehandlung (LG Bremen Beschluss vom 10. Mai 2012 - 5 T 101/12 - juris; LG Stuttgart Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 T 35/12 - juris; AG Ludwigsburg Beschluss vom 18. Mai 2011 - 8 VII 257/11 - juris und FamRZ 2012, 739; AG Bremen BtPrax 2012, 85 und NJW 2012, 1090; AG Frankfurt a.M. Beschluss vom 29. Februar 2012 - 49 XVII HOF 399/12 - juris; Bienwald FPR 2012, 4, 8; Moll-Vogel FamRB 2011, 249, 250; Marschner R&P 2011, 160, 163; aA LG Berlin Beschluss vom 21. Mai 2012 - 83 T 163/12 - juris; Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 236 ff., 238).
28
d) Der Senat teilt im Ergebnis diese Auffassung und gibt damit seine Rechtsprechung auf, wonach Zwangsbehandlungen im Rahmen des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich genehmigungsfähig sind (Senatsbeschlüsse BGHZ 166, 141 = FamRZ 2006, 615; vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866 und vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976).
29
Nach Auffassung des Senats sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug im Wesentlichen auf die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung zu übertragen. Die materiellen Vorschriften des Betreuungsrechts und die Verfahrensvorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586 - FamFG) werden den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung aufgestellt hat, nicht gerecht.
30
aa) Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237 mwN; s. auch LG Berlin Beschluss vom 21. Mai 2012 - 83 T 163/12 - juris Rn. 19) finden die Grundrechte auch bei der im Rahmen einer betreuungsrechtlichen Unterbringung stattfindenden Zwangsbehandlung unmittelbar Anwendung. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2006 (BGHZ 166, 141, 148 = FamRZ 2006, 615, 616 f.) ausgeführt hat, gilt im Verhältnis des Betreuers zum Betroffenen nichts anderes als in dem Verhältnis zwischen Vormund und Mündel. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Vormund im Rahmen der Fürsorge eine öffentliche Funktion wahrnimmt und sich daher der Mündel auch gegenüber Handlungen des Vormunds auf seine Grundrechte berufen kann. Es verbiete sich, die Unterbringung volljähriger Geisteskranker durch den Vormund rechtlich so zu würdigen, als ob sich die Freiheitsentziehung im Rahmen privatrechtlicher Beziehung zwischen Staatsbürgern abspielte. Der Staat könne sich von der Grundrechtsbindung nicht dadurch befreien, dass er eine Privatperson zur Wahrung einer öffentlichen Aufgabe bestelle und ihm die Entscheidung über den Einsatz staatlicher Machtmittel überlasse (vgl. BVerfGE 10, 302, 327).
31
Richtig ist allerdings, dass das Genehmigungserfordernis des § 1906 BGB die sich aus §§ 1901, 1902 BGB ergebende Rechtsmacht des Betreuers, nicht jedoch die Freiheit des Betroffenen einschränkt (Lipp JZ 2006, 661, 663 f.). § 1906 BGB regelt also nicht den Eingriff in die Rechte des Betroffenen, sondern die Kontrolle des Betreuers wegen seiner dem Grunde nach bestehenden unbeschränkten Vertretungsmacht (vgl. BT-Drucks. 11/4528 S. 83; vgl. zum Vormund BVerfGE 10, 302, 310; zum Bevollmächtigten BVerfG FamRZ 2009, 945, 947). Die sich hieran anschließende Frage, ob sich die Kontrolle des von staatlichen Gerichten bestellten Betreuers hinsichtlich der grundrechtsrelevanten Eingriffe an denselben Maßstäben messen lassen muss, die gelten, wenn der Staat die Maßnahmen, in die der Betreuer einwilligen will, selbst angeordnet hätte, ist nach Auffassung des Senats zu bejahen.
32
Das Bundesverfassungsgericht geht auch bei der Genehmigung einer - von dem Betreuer veranlassten - Unterbringung von "einem staatlichen Eingriff" aus (BVerfG FamRZ 1998, 895, 896). Zudem hat es ausgeführt, dass selbst die Einwilligung des Betreuers der (Zwangs-)Maßnahme nicht den Eingriffscharakter nehme (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 42). Auch wenn sich seine Handlungsbefugnisse nach der Dogmatik des Betreuungsrechts unmittelbar aus §§ 1901, 1902 BGB ergeben (vgl. Lipp JZ 2006, 661, 663 f.), muss die gebotene staatliche Kontrolle inhaltlich den Anforderungen genügen, die das Bundesverfassungsgericht für eine an den Staat adressierte Ermächtigungsgrundlage fordert. Dass die Betreuung im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist, die Betreuung die mit der Menschenwürde garantierte Selbstbestimmung des Einzelnen verwirklichen soll und der Betreuer die Rechte des Betroffenen auch gegenüber dem Staat wahrzunehmen hat (Lipp JZ 2006, 661, 663), ändert nichts daran, dass jener bei fehlender Einsichtsfähigkeit des Betroffenen neben der zivilrechtlichen Vertretung auch öffentliche Fürsorge ausübt.
33
bb) Die Vorschriften des Betreuungsrechts genügen denAnforderungen nicht, die das Bundesverfassungsgericht für die gesetzliche Regelung einer Zwangsbehandlung aufgestellt hat und die für die staatliche Kontrolle des darauf bezogenen Betreuerhandelns gleichermaßen gelten müssen. Ebenso wenig enthalten die §§ 1896 ff. BGB ein geschlossenes Regelungssystem zur betreuungsrechtlichen Genehmigung einer Zwangsbehandlung, dessen Schutzniveau den nunmehr vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt (aA Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237 f.).
34
(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss die Vorschrift so bestimmt gefasst sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73). Dem aktuell oder potentiell betroffenen Untergebrachten sowie den zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträgern , dem Betreuer, der Unterbringungseinrichtung und den behandelnden Ärzten, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung aus dem Gesetz erkennbar sein (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 74).
35
Weder § 1906 BGB noch die übrigen betreuungsrechtlichen materiellen und verfahrensrechtlichen Vorschriften verhalten sich zur Frage der Zwangsbehandlung. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen, dass die notwendige Bestimmtheit nicht schon deshalb fehle, weil eine Norm auslegungsbedürftig sei. Demgemäß hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB darauf abgestellt, dass die Norm im Wesentlichen sinnlos wäre, wenn die von ihr vorausgesetzte Heilbehandlung nicht durchsetzbar wäre. Das ändert indes nichts daran, dass für die aktuell bzw. potentiell betroffenen Untergebrachten die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung aus dem Gesetz selbst nicht erkennbar sind.
36
Hinzu kommt, dass § 1906 BGB seinem Wortlaut nach unmittelbar nur die Kontrolle eines Eingriffs in die von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützte Freiheit der Person gewährleistet, sich aber nicht zu dem in besonders intensiver Weise tangierten, von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützten Recht auf Selbstbestimmung des Betroffenen hinsichtlich seiner körperlichen Integrität (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 44) verhält.
37
(2) Der vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hat der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung zwar entsprochen (so zutreffend Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 237). Danach waren nicht nur die Unterbringung und ihre Dauer, sondern auch der mit der Zwangsbehandlung verbundene Eingriff und dessen Folgen in die gebotene Güterabwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einzubeziehen (BGHZ 166, 141, 146 = FamRZ 2006, 615, 616). Auch wenn sich Ausprägungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 1906 BGB selbst finden, weil die Unterbringung nur zulässig ist, "solange sie zum Wohl des Betroffenen erforderlich ist", kann das allerdings im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht darüber hinweghelfen, dass das Gesetz selbst keine Ausführungen zur Zwangsbehandlung, namentlich zur Auswahl der konkret anzuwendenden Maßnahmen nach Art und Dauer - einschließlich der Auswahl und Dosierung einzusetzender Medikamente und begleitender Kontrol- len - enthält. Ebenso fehlen Regelungen dazu, dass die Zwangsbehandlung nicht mit Belastungen verbunden sein darf, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen und dass die Zwangsbehandlung nur das letzte Mittel darstellen darf, also eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 58). Soweit der Senat hierzu bereits Leitsätze aufgestellt hat, handelt es sich um Richterrecht. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts kann das indes nicht genügen. Danach sind die Anforderungen an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht. Für die näheren Anforderungen ist auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung (vgl. BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 73 - s. auch LG Stuttgart Beschluss vom 16. Februar 2012 - 2 T 35/12 - juris Rn. 13).
38
(3) Schließlich sind auch die in verfahrensrechtlicher Hinsicht für die Verwirklichung der Grundrechte wesentlichen Fragen zur Zwangsbehandlung (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 72) gesetzlich nicht geregelt.
39
(a) Allerdings dürfte die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, dass vor Durchführung der Zwangsbehandlung eine - sich nicht in bloßer Schreibtischroutine erschöpfende - Prüfung in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung stattfinden muss (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 71), erfüllt sein.
40
Denn zum einen ist in den Fällen der betreuungsrechtlichen Zwangsbehandlung der Betreuer eingeschaltet; grundsätzlich ist nur er befugt, die Behandlung zu veranlassen. Hinzu kommt nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats für den Fall der bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Unterbringung bekannten Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung, dass sich der genehmigende Beschluss nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch auf die Zwangsbe- handlung zu erstrecken hat (Senatsbeschluss BGHZ 166, 141, 153 = FamRZ 2006, 615, 618).
41
Gleiches dürfte für den Fall gelten, dass sich die Erforderlichkeit einer Zwangsmedikation bei einem bereits nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB untergebrachten Betroffenen erst im Nachhinein herausstellt. Denn der Senat hat bereits entschieden, dass ein Vorratsbeschluss für den Fall, dass der Betroffene sich gegen die Verabreichung von Medikamenten durch Spritzen wehren werde , im Hinblick auf die Schwere des Eingriffs unzulässig ist (Senatsbeschluss vom 22. September 2010 - XII ZB 135/10 - FamRZ 2010, 1976 Rn. 11).
42
(b) Demgegenüber vermögen die im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit enthaltenen Verfahrensvorschriften den von dem Bundesverfassungsgericht gestellten Anforderungen an die gesetzliche Regelung der Zwangsbehandlung nicht gerecht zu werden. Sie beziehen sich jeweils nur auf die Unterbringung, nicht aber auf eine Zwangsbehandlung. In § 321 FamFG ist beispielsweise geregelt, dass vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden hat. Demgegenüber genügt gemäß § 321 Abs. 2 FamFG für eine Maßnahme nach § 312 Nr. 2 FamFG (die Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB) eine ärztliche Stellungnahme. Ob vor der Genehmigung einer Zwangsbehandlung ein Sachverständigengutachten einzuholen ist, oder ob insoweit auch eine ärztliche Stellungnahme ausreicht , ist gesetzlich nicht geregelt. Zwar dürfte ein Sachverständigengutachten notwendig sein, wenn die Genehmigung der Zwangsbehandlung mit der Unterbringung einhergeht. Welche Anforderungen aber bestehen, wenn eine gesonderte Genehmigung der Zwangsbehandlung erforderlich wird, kann dem Gesetz nicht entnommen werden.
43
(c) Ferner finden sich im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit weder Vorschriften, die - wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert (BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 67, 79) - zur Dokumentation der Maßnahme verpflichten, noch enthält es Bestimmungen, wonach die Maßnahme nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes durchgeführt werden darf (vgl. dazu BVerfG FamRZ 2011, 1128 Rn. 79). Dass die behandelnde Klinik beide Aspekte regelmäßig aus eigenem Interesse beachten und der Arzt - berufsrechtlich - zur Dokumentation verpflichtet sein wird (so Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233, 238), genügt nicht, um den vom Bundesverfassungsgericht herausgestellten verfahrensrechtlichen Anforderungen zu genügen.
44
(d) Ebenso fehlen konkrete Regelungen darüber, welche Behandlungsdauer eine gerichtliche Genehmigung umfassen kann und wie konkret die Genehmigung erfolgen muss. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedürfen auch diese wesentlichen Fragen einer gesetzlichen Regelung.
45
e) Gemessen an den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die gesetzliche Regelung vermag § 1906 Abs. 4 BGB ebenso wenig die Genehmigung der Anordnung einer Zwangsbehandlung durch den Betreuer zu rechtfertigen. Wie § 1906 Abs. 1 BGB regelt auch § 1906 Abs. 4 BGB den Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit und die Entschließungsfreiheit zur Fortbewegung im Sinne der Aufenthaltsfreiheit (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 145, 297, 301 f. = FamRZ 2001, 149, 150). Die Regelungsmaterie geht also nicht über den in § 1906 Abs. 1 BGB geregelten Bereich hinaus. Vielmehr hat der Gesetzgeber Absatz 4 ersichtlich als geringeren Eingriff angesehen, weil es für eine Maßnahme nach § 1906 Abs. 4 BGB gemäß § 321 Abs. 2 iVm § 312 Nr. 2 FamFG lediglich der Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses bedarf.
46
f) Nach alledem fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Deshalb darf ein Betreuer derzeit auch im Rahmen einer geschlossenen Unterbringung keine Zwangsbehandlung veranlassen.
47
3. Entgegen dem Antrag der Betreuerin kommt eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG nicht in Betracht (aA LG Bremen Beschluss vom 10. Mai 2012 - 5 T 101/12 - juris).
48
Voraussetzung hierfür ist, dass das vorlegende Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Das ist hier nicht der Fall.
49
Unter Beachtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts enthalten die Vorschriften des Betreuungsrechts, insbesondere § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, keine ausreichende gesetzliche Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehandlung. Eine Auslegung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Gestalt der bisherigen Senatsrechtsprechung kommt nicht mehr in Betracht. Deshalb kann der Senat in der Sache selbst entscheiden.
50
Ob der Staat im Rahmen seiner ihm nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG obliegenden Schutzpflicht (vgl. dazu BVerfG NVwZ 2011, 991 Rn. 37) verpflichtet ist, zum Wohle der Betroffenen die betreuungsgerichtliche Genehmigung einer Zwangsbehandlung gesetzlich zu regeln, kann dahinstehen. Art. 100 Abs. 1 GG enthält nach seinem Wortlaut nicht die Verpflichtung des Gerichts, ein Unterlassen des Gesetzgebers als Verfassungsverstoß zur Prüfung zu stellen. Dass Art. 100 Abs. 1 GG entsprechend auszulegen wäre, hat das Bundesverfassungsgericht jedenfalls bislang nicht entschieden (offengelassen in BVerfG Be- schluss vom 9. Mai 2006 - 2 BvL 4/02 - juris Rn. 22; NJW 1994, 2750, 2751; NVwZ 1984, 365 und NJW 1964, 1411).
51
4. Der Senat verkennt nicht, dass das Fehlen von Zwangsbefugnissen zur Durchsetzung notwendiger medizinischer Maßnahmen dazu führen kann, dass ein Betroffener ohne eine solche Behandlung einen erheblichen Schaden nimmt. Der Senat hat bereits hinsichtlich der Problematik einer ambulanten Zwangsbehandlung wiederholt darauf hingewiesen (Senatsbeschlüsse BGHZ 145, 297, 310 = FamRZ 2001, 149, 152 und vom 23. Januar 2008 - XII ZB 185/07 - FamRZ 2008, 866, 868).
Dose Klinkhammer Schilling Günter Botur
Vorinstanzen:
AG Ingolstadt, Entscheidung vom 02.01.2012 - 17 XVII 78/11 -
LG Ingolstadt, Entscheidung vom 27.02.2012 - 13 T 220/12 -

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Tenor I. Das Verfahren wird ausgesetzt. II. Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu folgender Fr

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bb) Aus dem Umstand, dass die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen nur im Rahmen einer vom Vormundschaftsgericht genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig ist, darf freilich nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 30. August 2007 geschehen - gefolgert werden, dass eine freiheitsentziehende Unterbringung immer schon dann vom Betreuer konsentiert und nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden darf, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig ist, aber nur gegen den Widerstand des Betroffenen durchführt werden kann. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig ist. Die freiheitsentziehende Unterbringung muss vielmehr auch ihrerseits - und zwar tatsächlich - erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden kann. Sie ist in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erforderlichen medizinischen Maßnahme räumlich - also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" - entzieht. Umgekehrt begründet die Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu brechen, für sich genommen noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen - also etwa auch dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch widersetzt , sich ihr aber nicht räumlich entzieht. Die gegenteilige Argumentation würde dazu führen, bereits aus der Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung herzuleiten. Ein solches - offenbar der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 30. August 2007 zugrunde liegendes - Verständnis ist mit dem Wortlaut der Regelung, der die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung an ein doppeltes Notwendigkeitskriterium knüpft (die Unterbringung muss erforderlich sein, weil eine medizinische Maßnahme notwendig ist und ohne die Unterbringung faktisch nicht durchgeführt werden kann), nicht vereinbar. Es widerspricht auch dem Schutzzweck der Norm, die eine freiheitsentziehende Unterbringung keineswegs immer schon dann eröffnen will, wenn diese - etwa mangels jeder "Weglaufgefahr" - unnötig ist und lediglich die rechtlichen "Rahmenbedingungen" für eine notwendige Zwangsbehandlung schaffen soll.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts L. vom 26.01.2012 wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

3. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen.

Gründe

 
I.
Bei der Betroffenen wurde durch Gutachten des Landratsamts L. im November 2011 eine blande Psychose bei vielfältigen sozialen Problemen und eine Borderline Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die Betroffene war nach Einschätzung des Sachverständigen aufgrund der krankheitsbedingten Auffassungsstörungen, der deutlichen Einschränkung des Urteils- und Kritikvermögens, einer depressiv gehemmten Symptomatik und ihrer Verhaltensstörung auf Dauer nicht in der Lage ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Daraufhin wurde vom zuständigen Betreuungsgericht mit Beschluss vom 14.12.2011 nach Anhörung der Betroffenen eine Betreuung für die Bereiche Vermögenssorge, die Bestimmung des Aufenthalts einschließlich Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung und -entziehung sowie der Unterbringung, die medizinische und pflegerische Betreuung und Versorgung, einschließlich der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und Eingriffe, die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post, Angelegenheiten betreffend der Wohnung der Betroffenen, einschließlich der Hausratsauflösung angeordnet. Die Beteiligte Ziff. 1 wurde zur Betreuerin bestellt.
Am 04.01.2012 stellte die Beteiligte Ziff. 1 beim Amtsgericht L. den Antrag, die betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine geschlossene psychiatrische Unterbringung der Betroffenen zu erteilen. Die Betroffene sei sehr stark abgemagert, wegen fehlender Krankheitseinsicht sei eine stationäre Behandlung nur verbunden mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme möglich. Durch einstweilige Anordnung vom 09.01.2012 genehmigte das Amtsgericht L. die Unterbringung der Betroffenen auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Einrichtung für die Dauer von zunächst sechs Wochen. Zur Begründung führt es aus, es sehe dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben seien und dass ein Aufschub eine erhebliche Gefahr für die Betroffene bedeuten würde.
Am 10.01.2012 kam die Betroffene in die psychiatrische Abteilung des Klinikums L.. Ein psychiatrisches Gutachten wurde am 12.01.2012 vorgelegt. Darin wird der Verdacht auf paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Die Betroffene reagiere inadäquat, indem sie u. a. im Sitzen schlafe, agiere aufbrausend gegenüber jeder Kontaktaufnahme, ein Gespräch sei mit der Betroffenen nicht möglich. Die Betroffene sei - so die Einschätzung der Sachverständigen - in ihrer freien Willensbildung erheblich eingeschränkt und verweigere jegliche Medikation. Es bestehe krankheitsbedingt die erhebliche Gefahr, dass sie durch ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit aufgrund psychotischer Verkennung sich oder anderen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge.
Mit Schreiben vom 23.01.2012 beantragte die Beteiligte Ziff. 1 die „betreuungsgerichtliche Zustimmung für eine Zwangsmedikation“ nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Die Betroffene reagiere hochgradig aggressiv und werde auch gegenüber Mitpatienten tätlich. Eine Einnahme von Medikamenten lehne sie ab. Mit Beschluss vom 30.01.2012 lehnte das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung der Betroffenen die „betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation“ ab. Es verweist auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom März und Oktober 2011, die die bisherige Auslegung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGBG als Ermächtigungsgrundlage für die gerichtliche Genehmigung einer zwangsweisen Behandlung des Betroffenen nicht mehr erlaube.
Die Beteiligte Ziff. 1 legte mit Schreiben vom 01.02.2011 Beschwerde ein; zur Begründung trägt sie vor, die Betroffene sei hochgradig gesundheitlich eigengefährdet, es sei verantwortungslos, die Betroffene in diesem gesundheitlichen Zustand in die Obdachlosenunterkunft zu entlassen. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 30.01.2012 ist zulässig, in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht, eine Unterbringung zur Heilbehandlung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die allein zum Zwecke der zwangsweisen Durchsetzung einer Behandlung angeordnet werden soll, nicht genehmigt.
1.
Die Kammer geht mit dem Bundesverfassungsgericht (NJW 2011, 2113) und dem Bundesgerichtshof (NJW 2006, 1277) davon aus, dass die Verabreichung von Medikamenten gegen den geäußerten Willen des Betroffenen selbst dann einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit darstellt, wenn der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen.
Der Maßnahme kann nicht schon deshalb die Eingriffsqualität abgesprochen werden, weil sie mit Zustimmung oder auf Anordnung des Betreuers erfolgt, der, wenn die Einwilligung des Betroffenen fehlt, diese nach § 1901 BGB ersetzen kann.
10 
Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer zustimmt (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2118), Rdn. 71). Deshalb ist die Zwangsbehandlung auch im Verhältnis Betreuer - Betroffener als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Rechte des Betroffenen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu werten.
11 
Die Eingriffsqualität einer Zwangsbehandlung entfällt auch nicht deshalb, weil sie etwa zum Zweck der Heilung erfolgen soll, geht es doch um den Schutz auch und insbesondere der Selbstbestimmung.
2.
12 
Ein solcher Grundrechtseingriff ist gem. Art 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG nur aufgrund eines formellen Gesetzes, das - so das BVerfG - die Voraussetzungen des Eingriffs in materieller und formeller Hinsicht ausdrücklich bestimmt, möglich. Dabei müssen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs hinreichend klar und bestimmt geregelt sein, wobei die Anforderung an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger sind, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht. Für die näheren Anforderungen kann, nicht zuletzt hinsichtlich der Frage, inwieweit Maßgaben, die sich aus dem Grundgesetz ableiten lassen, ausdrücklicher und konkretisierender Festlegung im einfachen Gesetz bedürfen, auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2119), Rdn. 73).
13 
In der Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka sieht die Kammer mit dem BVerfG (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2114), Rdn. 44) schon angesichts der Wirkweise der Medikamente, die seelische Veränderungen bezwecken, einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. Der Kreis der Normbetroffenen besteht jedenfalls zum Teil aus schwer psychisch Kranken. Diese Umstände begründen hohe Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigungsnorm. Für die aktuell oder potentiell betroffenen Untergebrachten sowie für die zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträger, die einer klaren, Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsgrundlage auch im eigenen Interesse bedürfen, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung eines fest definierten Zwecks erkennbar sein (vgl. BVerfG, NJW 2011, 2113 (2119), Rdn. 74).
a)
14 
Im Einzelnen ist den Entscheidungen des BVerfG zu entnehmen, dass eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nur für die Fälle gesetzlich vorgesehen werden kann, in denen eine Einwilligung in die Behandlung an der krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit des Betroffenen scheitert. Eine Behandlung unter Zwang darf nur als letztes Mittel und nur dann eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stehen. Dies muss sich in hinreichend konkretem Maße bereits aus der gesetzlichen Ermächtigung ergeben. Eine Norm, die lediglich vorsieht, dass die Maßnahmen dem Betroffenen zumutbar sein müssen und nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg stehen dürfen, hat das BVerfG als nicht hinreichend konkret angesehen (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 77).
15 
Weiterhin muss nach den Vorgaben des BVerfG die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die eine Zwangsbehandlung im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung rechtfertigt, verfahrensrechtliche Vorgaben enthalten: Eine Zwangsbehandlung darf nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes und nach vorheriger Ankündigung, unter vorgegebenen Regeln für die Dokumentation durchgeführt werden. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss klarstellen, dass eine Zwangsbehandlung nur nach vorheriger Bemühung um eine auf Vertrauen gegründeten, im Rechtssinne freiwilligen Zustimmung angeordnet werden darf, zudem muss sie eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung vorsehen (BVerfG, NJW 2011, 3571 (3572), Rdn. 43 und 44; NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 79 f.).
16 
Dabei hat das BVerfG ausdrücklich festgestellt, dass die wesentlichen Voraussetzungen der Zwangsbehandlung aus dem Gesetz selbst erkennbar sein müssen und etwaigen Mängeln der gesetzlichen Regelung nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden kann (BVerfG, NJW 2117 (2113), Rdn. 74, 80)
b)
17 
Richtigerweise geht das Amtsgericht davon aus, dass die Norm des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, der die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung regelt, keine derartige Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung der Behandlung gegenüber dem Betroffenen enthält.
aa)
18 
Die bisherige Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2006, 615) hat in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB letztlich eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung gesehen.
19 
Dabei geht auch die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass allein aus den gesetzlichen Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB ein Betreuer keine Zwangsbefugnis zur Behandlung herleiten kann.
20 
Durch die gesetzliche Vertreterstellung“ - so der BGH (NJW 2006, 1277 (1279)) - „wird zwar die Rechtsmacht des Betreuers nach außen begründet. Innerhalb seines Aufgabenkreises ist der Betreuer berechtigt, die Geschäfte des Betroffenen zu besorgen. Indessen ist mit der Einräumung dieser Rechtsmacht nicht zwingend die Macht verbunden, die betroffene Entscheidung auch durchsetzen zu können. Gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters beschränkt. (…) Der Vormund nimmt im Rahmen der Fürsorge eine öffentliche Funktion wahr und deshalb kann sich auch das Mündel gegenüber dem Vormund auf seine Grundrechte berufen. Dies vorausgesetzt, greift der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein; es bedarf zur Vornahme von Zwangsbehandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch formelles Gesetz.“.
21 
Dieses formelle Gesetz sieht der BGH in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dieser soll die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffenen gegen deren natürlichen Willen während der - gerichtlich genehmigten - stationären Unterbringung ermöglichen. Eine Unterbringung zur Heilbehandlung sei nur dann betreuungsgerichtlich zu genehmigen, wenn die Heilbehandlung medizinisch notwendig sei. Als medizinisch notwendig könne sie jedoch nur angesehen werden, wenn sie rechtlich zulässig sei, so dass der Betroffene auf Grund von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann untergebracht werden könne, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden dürfe. Würde man die zwangsweise Überwindung des der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betreuten auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig ansehen, wäre der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGBG sehr begrenzt. Die Vorschrift könne daher sinnvoll nur so ausgelegt werden, dass der Betreute die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu dessen Wohl bereits eingewilligt habe, und derentwegen der Betreute untergebracht werden dürfe, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe. (BGH, NJW 2006, 1277 (1280), Rdn. 24). Deshalb sei im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die Unterbringung zur Heilbehandlung die dann zwangsweise zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergäben (BGH, NJW 2006, 1277 (1281), Rdn. 27).
bb)
22 
Nach den Entscheidungen des BVerfG vom März und Oktober 2011, deren Beachtung des BVerfG in seiner letzten Entscheidung (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2011, 2 BvR 2362/11 zit. n. juris) ausdrücklich den Fachgerichten zur Aufgabe macht, ist nunmehr § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB anhand der unter 2.a. beschriebenen Maßstäbe verfassungskonform auszulegen.
23 
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ermächtigt das Betreuungsgericht nach seinem Wortlaut nur dazu, die Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung zu genehmigen, dem Betroffenen gegenüber also eine freiheitsentziehende Maßnahme anzuordnen, in deren Rahmen dann eine Heilbehandlung durchgeführt werden kann. Der Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB enthält keinerlei Hinweis auf eine Zwangsbehandlung. Für den jeweiligen Kreis der Normbetroffenen, bei denen es sich in aller Regel um schwer psychisch erkrankte und deshalb beeinträchtigte Menschen handelt, ergibt sich keineswegs bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden kann, dass die Norm also etwa zur Zwangsmedikation berechtigen soll (so auch Moll-Vogel, FamRB 2011, 249, jedenfalls zweifelnd: Bienwald, FRP 2012, 4; AG Bremen, Beschl. v. 16.01.2012, 41 XVII A 89/03, zit. n. juris).
24 
Zudem hat der Gesetzgeber § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB bewusst nicht als Grundlage für eine Zwangsbehandlung formuliert. Er hat vielmehr trotz Problembewusstseins (BT-Drucks 11/4528 S. 70 - 72) ausdrücklich davon abgesehen, im Betreuungsrecht eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung wie auch ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung zu regeln (BT-Drucks. 11/4528, 72). Ein formelles Gesetz (Art. 2 Abs. 2 GG), das zum Grundrechtseingriff berechtigt, hat er also gerade nicht geschaffen.
25 
Dass die Vorschrift nach diesem Verständnis nur einen beschränkten Anwendungsbereich hat, muss angesichts der unmissverständlichen Vorgaben des BVerfG hingenommen werden. Diesem Verständnis steht - wie oben ausgeführt - auch der gesetzgeberische Wille nicht entgegen. Weiter verkennt die Kammer nicht, dass es zumeist dem objektiven Wohl des Betroffenen entsprechen mag, eine Behandlung durchzuführen. Die Kammer sieht - wie auch das BVerfG (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 81) - die Gefahr, dass sich durch diese Handhabung die Unterbringungszeiten für den Einzelnen durchaus verlängern können. Die Kammer sieht auch, dass die derzeitige Situation, die eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen, trotz Behandlungsbedürftigkeit, nicht zulässt und auch Akutzuständen nur noch unzulänglich, etwa mit Fixierungen, begegnen lässt, für alle Beteiligten unbefriedigend ist. Dieser Nachteil muss angesichts der Schwere der Grundrechtseingriffe und des Fehlens einer klaren und bestimmten Eingriffsnorm im Sinne eines wirksamen Grundrechtsschutzes und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung hingenommen werden (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 81).
cc)
26 
Die Kammer muss nicht entscheiden, ob und inwieweit die übrigen Anforderungen, die das BVerfG in den genannten Entscheidungen zum baden-württembergischen UnterbringungsG und zum rheinland-pfälzischen MaßregelvollzugsG für eine Ermächtigungsgrundlage formuliert hat, im Bereich der Unterbringung nach BGB gewährleistet sind, da es bereits an einer gesetzlich normierten Ermächtigung zur Zwangsbehandlung fehlt.
27 
Die Ansicht, die Vorgaben des BVerfG gelten für den Bereich des Betreuungsrechts nicht, weil die §§ 1896 ff BGB ein geschlossenen Regelungssystem enthalten, dessen Schutzniveau den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gerecht würde (vgl. Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233), kann nicht überzeugen. Die Vorgaben des BVerfG zur ermächtigenden Norm gründen auf der Qualität des Grundrechtseingriffs. Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in der medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer zustimmt (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2118), Rdn. 71). Es ist gem. Art. 2 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten, Eingriffsbereiche und deren Ziele zu formulieren, dies ist hier nicht erfolgt. Eine Norm, deren Wortlaut für den Kreis der Normanwender und Normbetroffenen klar ergibt, dass die Zwangsbehandlung betreuungsgerichtlich genehmigt werden kann, erkennt die Kammer auch nicht in den übrigen Vorschriften des Betreuungsrechts. Lediglich in § 1904 BGB wird für gefährliche ärztliche Eingriffe das betreuungsgerichtliche Genehmigungserfordernis - allerdings unabhängig vom natürlichen Willen des Betroffenen - geregelt, dies ist hier nicht gegeben.
c)
28 
Die Beteiligte Ziff. 1 begehrt auch nicht die Anordnung einer Unterbringung an sich. Die freiheitsentziehende Maßnahme ist bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts L. vom 09.01.2012 aufgrund § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgt. Der Antrag der Beteiligten Ziff.1 auf Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verfolgt vielmehr ausschließlich den Zweck, die von der Betroffenen verweigerte medikamentöse Behandlung zwangsweise gegen ihren Willen durchzusetzen. Eine solche Zwangsbehandlung ist aber - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich. Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei der die Heilbehandlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht durchgeführt wird oder werden kann, darf jedoch nicht genehmigt werden (BGH, BtPrax 2010, 80). Wenn und soweit weiterhin die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegen, wird eine Unterbringung der Betroffenen auch weiterhin betreuungsgerichtlich zu genehmigen sein. Die Gefahr, dass die Betroffene in hilfloser Lage in die Obdachlosenunterkunft entlassen werden muss - wie die Beteiligte Ziff. 1 befürchtet - kann hierdurch abgewendet werden.
29 
Aus diesen Gründen war die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts L., der die „Genehmigung der Zwangsmedikation“ ablehnt, zurückzuweisen.
30 
3. Der Kostenausspruch ergeht gem. § 131 Abs. 3 KostO. Die Beteiligte Ziff. 1 hat ihre Beschwerde im Interesse der Betroffenen eingelegt.
31 
4. Die Rechtsbeschwerde gem. § 70 FamFG zum Bundesgerichtshof war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.
23
bb) Aus dem Umstand, dass die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen nur im Rahmen einer vom Vormundschaftsgericht genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig ist, darf freilich nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 30. August 2007 geschehen - gefolgert werden, dass eine freiheitsentziehende Unterbringung immer schon dann vom Betreuer konsentiert und nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden darf, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig ist, aber nur gegen den Widerstand des Betroffenen durchführt werden kann. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig ist. Die freiheitsentziehende Unterbringung muss vielmehr auch ihrerseits - und zwar tatsächlich - erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden kann. Sie ist in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erforderlichen medizinischen Maßnahme räumlich - also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" - entzieht. Umgekehrt begründet die Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu brechen, für sich genommen noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen - also etwa auch dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch widersetzt , sich ihr aber nicht räumlich entzieht. Die gegenteilige Argumentation würde dazu führen, bereits aus der Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung herzuleiten. Ein solches - offenbar der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 30. August 2007 zugrunde liegendes - Verständnis ist mit dem Wortlaut der Regelung, der die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung an ein doppeltes Notwendigkeitskriterium knüpft (die Unterbringung muss erforderlich sein, weil eine medizinische Maßnahme notwendig ist und ohne die Unterbringung faktisch nicht durchgeführt werden kann), nicht vereinbar. Es widerspricht auch dem Schutzzweck der Norm, die eine freiheitsentziehende Unterbringung keineswegs immer schon dann eröffnen will, wenn diese - etwa mangels jeder "Weglaufgefahr" - unnötig ist und lediglich die rechtlichen "Rahmenbedingungen" für eine notwendige Zwangsbehandlung schaffen soll.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

1. Die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts L. vom 26.01.2012 wird zurückgewiesen.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.

3. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 70 Abs. 2 FamFG zugelassen.

Gründe

 
I.
Bei der Betroffenen wurde durch Gutachten des Landratsamts L. im November 2011 eine blande Psychose bei vielfältigen sozialen Problemen und eine Borderline Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Die Betroffene war nach Einschätzung des Sachverständigen aufgrund der krankheitsbedingten Auffassungsstörungen, der deutlichen Einschränkung des Urteils- und Kritikvermögens, einer depressiv gehemmten Symptomatik und ihrer Verhaltensstörung auf Dauer nicht in der Lage ihre Angelegenheiten selbst zu regeln. Daraufhin wurde vom zuständigen Betreuungsgericht mit Beschluss vom 14.12.2011 nach Anhörung der Betroffenen eine Betreuung für die Bereiche Vermögenssorge, die Bestimmung des Aufenthalts einschließlich Maßnahmen der Freiheitsbeschränkung und -entziehung sowie der Unterbringung, die medizinische und pflegerische Betreuung und Versorgung, einschließlich der Einwilligung in ärztliche Maßnahmen und Eingriffe, die Entgegennahme, das Öffnen und Anhalten der Post, Angelegenheiten betreffend der Wohnung der Betroffenen, einschließlich der Hausratsauflösung angeordnet. Die Beteiligte Ziff. 1 wurde zur Betreuerin bestellt.
Am 04.01.2012 stellte die Beteiligte Ziff. 1 beim Amtsgericht L. den Antrag, die betreuungsgerichtliche Genehmigung für eine geschlossene psychiatrische Unterbringung der Betroffenen zu erteilen. Die Betroffene sei sehr stark abgemagert, wegen fehlender Krankheitseinsicht sei eine stationäre Behandlung nur verbunden mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme möglich. Durch einstweilige Anordnung vom 09.01.2012 genehmigte das Amtsgericht L. die Unterbringung der Betroffenen auf der geschlossenen Station einer psychiatrischen Einrichtung für die Dauer von zunächst sechs Wochen. Zur Begründung führt es aus, es sehe dringende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen für eine Unterbringungsmaßnahme nach § 1906 Abs. 1 BGB gegeben seien und dass ein Aufschub eine erhebliche Gefahr für die Betroffene bedeuten würde.
Am 10.01.2012 kam die Betroffene in die psychiatrische Abteilung des Klinikums L.. Ein psychiatrisches Gutachten wurde am 12.01.2012 vorgelegt. Darin wird der Verdacht auf paranoide Schizophrenie diagnostiziert. Die Betroffene reagiere inadäquat, indem sie u. a. im Sitzen schlafe, agiere aufbrausend gegenüber jeder Kontaktaufnahme, ein Gespräch sei mit der Betroffenen nicht möglich. Die Betroffene sei - so die Einschätzung der Sachverständigen - in ihrer freien Willensbildung erheblich eingeschränkt und verweigere jegliche Medikation. Es bestehe krankheitsbedingt die erhebliche Gefahr, dass sie durch ihre eingeschränkte Handlungsfähigkeit aufgrund psychotischer Verkennung sich oder anderen erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge.
Mit Schreiben vom 23.01.2012 beantragte die Beteiligte Ziff. 1 die „betreuungsgerichtliche Zustimmung für eine Zwangsmedikation“ nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Die Betroffene reagiere hochgradig aggressiv und werde auch gegenüber Mitpatienten tätlich. Eine Einnahme von Medikamenten lehne sie ab. Mit Beschluss vom 30.01.2012 lehnte das Amtsgericht nach persönlicher Anhörung der Betroffenen die „betreuungsgerichtliche Genehmigung der Zwangsmedikation“ ab. Es verweist auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom März und Oktober 2011, die die bisherige Auslegung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGBG als Ermächtigungsgrundlage für die gerichtliche Genehmigung einer zwangsweisen Behandlung des Betroffenen nicht mehr erlaube.
Die Beteiligte Ziff. 1 legte mit Schreiben vom 01.02.2011 Beschwerde ein; zur Begründung trägt sie vor, die Betroffene sei hochgradig gesundheitlich eigengefährdet, es sei verantwortungslos, die Betroffene in diesem gesundheitlichen Zustand in die Obdachlosenunterkunft zu entlassen. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 30.01.2012 ist zulässig, in der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht, eine Unterbringung zur Heilbehandlung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, die allein zum Zwecke der zwangsweisen Durchsetzung einer Behandlung angeordnet werden soll, nicht genehmigt.
1.
Die Kammer geht mit dem Bundesverfassungsgericht (NJW 2011, 2113) und dem Bundesgerichtshof (NJW 2006, 1277) davon aus, dass die Verabreichung von Medikamenten gegen den geäußerten Willen des Betroffenen selbst dann einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit darstellt, wenn der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht in der Lage ist, seinen Willen frei zu bestimmen.
Der Maßnahme kann nicht schon deshalb die Eingriffsqualität abgesprochen werden, weil sie mit Zustimmung oder auf Anordnung des Betreuers erfolgt, der, wenn die Einwilligung des Betroffenen fehlt, diese nach § 1901 BGB ersetzen kann.
10 
Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer zustimmt (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2118), Rdn. 71). Deshalb ist die Zwangsbehandlung auch im Verhältnis Betreuer - Betroffener als rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Rechte des Betroffenen auf Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit zu werten.
11 
Die Eingriffsqualität einer Zwangsbehandlung entfällt auch nicht deshalb, weil sie etwa zum Zweck der Heilung erfolgen soll, geht es doch um den Schutz auch und insbesondere der Selbstbestimmung.
2.
12 
Ein solcher Grundrechtseingriff ist gem. Art 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG nur aufgrund eines formellen Gesetzes, das - so das BVerfG - die Voraussetzungen des Eingriffs in materieller und formeller Hinsicht ausdrücklich bestimmt, möglich. Dabei müssen die Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Eingriffs hinreichend klar und bestimmt geregelt sein, wobei die Anforderung an den Grad der Klarheit und Bestimmtheit umso strenger sind, je intensiver der Grundrechtseingriff ist, den eine Norm vorsieht. Für die näheren Anforderungen kann, nicht zuletzt hinsichtlich der Frage, inwieweit Maßgaben, die sich aus dem Grundgesetz ableiten lassen, ausdrücklicher und konkretisierender Festlegung im einfachen Gesetz bedürfen, auch der jeweilige Kreis der Normanwender und Normbetroffenen von Bedeutung sein (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2119), Rdn. 73).
13 
In der Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka sieht die Kammer mit dem BVerfG (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2114), Rdn. 44) schon angesichts der Wirkweise der Medikamente, die seelische Veränderungen bezwecken, einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. Der Kreis der Normbetroffenen besteht jedenfalls zum Teil aus schwer psychisch Kranken. Diese Umstände begründen hohe Anforderungen an die Bestimmtheit und Klarheit der Ermächtigungsnorm. Für die aktuell oder potentiell betroffenen Untergebrachten sowie für die zur Normanwendung in erster Linie berufenen Entscheidungsträger, die einer klaren, Rechtssicherheit vermittelnden Eingriffsgrundlage auch im eigenen Interesse bedürfen, müssen die wesentlichen Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung zur Erreichung eines fest definierten Zwecks erkennbar sein (vgl. BVerfG, NJW 2011, 2113 (2119), Rdn. 74).
a)
14 
Im Einzelnen ist den Entscheidungen des BVerfG zu entnehmen, dass eine Zwangsbehandlung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Unterbringung nur für die Fälle gesetzlich vorgesehen werden kann, in denen eine Einwilligung in die Behandlung an der krankheitsbedingt fehlenden Einsichtsfähigkeit des Betroffenen scheitert. Eine Behandlung unter Zwang darf nur als letztes Mittel und nur dann eingesetzt werden, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel, das ihren Einsatz rechtfertigt, Erfolg verspricht und für den Betroffenen nicht mit Belastungen verbunden ist, die außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen stehen. Dies muss sich in hinreichend konkretem Maße bereits aus der gesetzlichen Ermächtigung ergeben. Eine Norm, die lediglich vorsieht, dass die Maßnahmen dem Betroffenen zumutbar sein müssen und nicht außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Erfolg stehen dürfen, hat das BVerfG als nicht hinreichend konkret angesehen (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 77).
15 
Weiterhin muss nach den Vorgaben des BVerfG die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage, die eine Zwangsbehandlung im Bereich der öffentlich-rechtlichen Unterbringung rechtfertigt, verfahrensrechtliche Vorgaben enthalten: Eine Zwangsbehandlung darf nur auf Anordnung und unter der Leitung eines Arztes und nach vorheriger Ankündigung, unter vorgegebenen Regeln für die Dokumentation durchgeführt werden. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss klarstellen, dass eine Zwangsbehandlung nur nach vorheriger Bemühung um eine auf Vertrauen gegründeten, im Rechtssinne freiwilligen Zustimmung angeordnet werden darf, zudem muss sie eine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme durch Dritte in gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung vorsehen (BVerfG, NJW 2011, 3571 (3572), Rdn. 43 und 44; NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 79 f.).
16 
Dabei hat das BVerfG ausdrücklich festgestellt, dass die wesentlichen Voraussetzungen der Zwangsbehandlung aus dem Gesetz selbst erkennbar sein müssen und etwaigen Mängeln der gesetzlichen Regelung nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung abgeholfen werden kann (BVerfG, NJW 2117 (2113), Rdn. 74, 80)
b)
17 
Richtigerweise geht das Amtsgericht davon aus, dass die Norm des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, der die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung regelt, keine derartige Ermächtigung zur zwangsweisen Durchsetzung der Behandlung gegenüber dem Betroffenen enthält.
aa)
18 
Die bisherige Rechtsprechung des BGH (FamRZ 2006, 615) hat in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB letztlich eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung gesehen.
19 
Dabei geht auch die bisherige Rechtsprechung davon aus, dass allein aus den gesetzlichen Vertretungsvorschriften der §§ 1901, 1902 BGB ein Betreuer keine Zwangsbefugnis zur Behandlung herleiten kann.
20 
Durch die gesetzliche Vertreterstellung“ - so der BGH (NJW 2006, 1277 (1279)) - „wird zwar die Rechtsmacht des Betreuers nach außen begründet. Innerhalb seines Aufgabenkreises ist der Betreuer berechtigt, die Geschäfte des Betroffenen zu besorgen. Indessen ist mit der Einräumung dieser Rechtsmacht nicht zwingend die Macht verbunden, die betroffene Entscheidung auch durchsetzen zu können. Gerade im grundrechtsrelevanten Bereich ist die Rechtsmacht des gesetzlichen Vertreters beschränkt. (…) Der Vormund nimmt im Rahmen der Fürsorge eine öffentliche Funktion wahr und deshalb kann sich auch das Mündel gegenüber dem Vormund auf seine Grundrechte berufen. Dies vorausgesetzt, greift der Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ein; es bedarf zur Vornahme von Zwangsbehandlungen gegen den Widerstand des Betreuten einer Rechtsgrundlage durch formelles Gesetz.“.
21 
Dieses formelle Gesetz sieht der BGH in § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Dieser soll die Zwangsbehandlung einwilligungsunfähiger Betroffenen gegen deren natürlichen Willen während der - gerichtlich genehmigten - stationären Unterbringung ermöglichen. Eine Unterbringung zur Heilbehandlung sei nur dann betreuungsgerichtlich zu genehmigen, wenn die Heilbehandlung medizinisch notwendig sei. Als medizinisch notwendig könne sie jedoch nur angesehen werden, wenn sie rechtlich zulässig sei, so dass der Betroffene auf Grund von § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nur dann untergebracht werden könne, wenn er während der Unterbringung auch behandelt werden dürfe. Würde man die zwangsweise Überwindung des der Behandlung entgegenstehenden Willens des Betreuten auch im Rahmen einer Unterbringungsmaßnahme als unzulässig ansehen, wäre der Anwendungsbereich des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGBG sehr begrenzt. Die Vorschrift könne daher sinnvoll nur so ausgelegt werden, dass der Betreute die notwendigen medizinischen Maßnahmen, in die der Betreuer zu dessen Wohl bereits eingewilligt habe, und derentwegen der Betreute untergebracht werden dürfe, unabhängig von seinem möglicherweise entgegenstehenden natürlichen Willen während der Unterbringung zu dulden habe. (BGH, NJW 2006, 1277 (1280), Rdn. 24). Deshalb sei im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung über die Unterbringung zur Heilbehandlung die dann zwangsweise zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben, weil sich nur aus diesen Angaben der Unterbringungszweck sowie Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der vom Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergäben (BGH, NJW 2006, 1277 (1281), Rdn. 27).
bb)
22 
Nach den Entscheidungen des BVerfG vom März und Oktober 2011, deren Beachtung des BVerfG in seiner letzten Entscheidung (BVerfG, Beschl. v. 15.12.2011, 2 BvR 2362/11 zit. n. juris) ausdrücklich den Fachgerichten zur Aufgabe macht, ist nunmehr § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB anhand der unter 2.a. beschriebenen Maßstäbe verfassungskonform auszulegen.
23 
§ 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ermächtigt das Betreuungsgericht nach seinem Wortlaut nur dazu, die Unterbringung des Betroffenen zur Heilbehandlung zu genehmigen, dem Betroffenen gegenüber also eine freiheitsentziehende Maßnahme anzuordnen, in deren Rahmen dann eine Heilbehandlung durchgeführt werden kann. Der Wortlaut des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB enthält keinerlei Hinweis auf eine Zwangsbehandlung. Für den jeweiligen Kreis der Normbetroffenen, bei denen es sich in aller Regel um schwer psychisch erkrankte und deshalb beeinträchtigte Menschen handelt, ergibt sich keineswegs bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, dass die Heilbehandlung auch gegen den Willen des Betroffenen durchgeführt werden kann, dass die Norm also etwa zur Zwangsmedikation berechtigen soll (so auch Moll-Vogel, FamRB 2011, 249, jedenfalls zweifelnd: Bienwald, FRP 2012, 4; AG Bremen, Beschl. v. 16.01.2012, 41 XVII A 89/03, zit. n. juris).
24 
Zudem hat der Gesetzgeber § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB bewusst nicht als Grundlage für eine Zwangsbehandlung formuliert. Er hat vielmehr trotz Problembewusstseins (BT-Drucks 11/4528 S. 70 - 72) ausdrücklich davon abgesehen, im Betreuungsrecht eine Ermächtigung zur Zwangsbehandlung wie auch ein generelles Verbot der Zwangsbehandlung zu regeln (BT-Drucks. 11/4528, 72). Ein formelles Gesetz (Art. 2 Abs. 2 GG), das zum Grundrechtseingriff berechtigt, hat er also gerade nicht geschaffen.
25 
Dass die Vorschrift nach diesem Verständnis nur einen beschränkten Anwendungsbereich hat, muss angesichts der unmissverständlichen Vorgaben des BVerfG hingenommen werden. Diesem Verständnis steht - wie oben ausgeführt - auch der gesetzgeberische Wille nicht entgegen. Weiter verkennt die Kammer nicht, dass es zumeist dem objektiven Wohl des Betroffenen entsprechen mag, eine Behandlung durchzuführen. Die Kammer sieht - wie auch das BVerfG (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 81) - die Gefahr, dass sich durch diese Handhabung die Unterbringungszeiten für den Einzelnen durchaus verlängern können. Die Kammer sieht auch, dass die derzeitige Situation, die eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen, trotz Behandlungsbedürftigkeit, nicht zulässt und auch Akutzuständen nur noch unzulänglich, etwa mit Fixierungen, begegnen lässt, für alle Beteiligten unbefriedigend ist. Dieser Nachteil muss angesichts der Schwere der Grundrechtseingriffe und des Fehlens einer klaren und bestimmten Eingriffsnorm im Sinne eines wirksamen Grundrechtsschutzes und unter Berücksichtigung der hierzu ergangenen Rechtsprechung hingenommen werden (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2120), Rdn. 81).
cc)
26 
Die Kammer muss nicht entscheiden, ob und inwieweit die übrigen Anforderungen, die das BVerfG in den genannten Entscheidungen zum baden-württembergischen UnterbringungsG und zum rheinland-pfälzischen MaßregelvollzugsG für eine Ermächtigungsgrundlage formuliert hat, im Bereich der Unterbringung nach BGB gewährleistet sind, da es bereits an einer gesetzlich normierten Ermächtigung zur Zwangsbehandlung fehlt.
27 
Die Ansicht, die Vorgaben des BVerfG gelten für den Bereich des Betreuungsrechts nicht, weil die §§ 1896 ff BGB ein geschlossenen Regelungssystem enthalten, dessen Schutzniveau den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl in materieller als auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht gerecht würde (vgl. Olzen/Metzmacher BtPrax 2011, 233), kann nicht überzeugen. Die Vorgaben des BVerfG zur ermächtigenden Norm gründen auf der Qualität des Grundrechtseingriffs. Für den Betroffenen wird der Eingriff, der in der medizinischen Zwangsbehandlung liegt, nicht dadurch weniger belastend, dass gerade ein Betreuer zustimmt (BVerfG, NJW 2011, 2113 (2118), Rdn. 71). Es ist gem. Art. 2 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber vorbehalten, Eingriffsbereiche und deren Ziele zu formulieren, dies ist hier nicht erfolgt. Eine Norm, deren Wortlaut für den Kreis der Normanwender und Normbetroffenen klar ergibt, dass die Zwangsbehandlung betreuungsgerichtlich genehmigt werden kann, erkennt die Kammer auch nicht in den übrigen Vorschriften des Betreuungsrechts. Lediglich in § 1904 BGB wird für gefährliche ärztliche Eingriffe das betreuungsgerichtliche Genehmigungserfordernis - allerdings unabhängig vom natürlichen Willen des Betroffenen - geregelt, dies ist hier nicht gegeben.
c)
28 
Die Beteiligte Ziff. 1 begehrt auch nicht die Anordnung einer Unterbringung an sich. Die freiheitsentziehende Maßnahme ist bereits durch den Beschluss des Amtsgerichts L. vom 09.01.2012 aufgrund § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfolgt. Der Antrag der Beteiligten Ziff.1 auf Unterbringung zur Heilbehandlung im Sinne des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verfolgt vielmehr ausschließlich den Zweck, die von der Betroffenen verweigerte medikamentöse Behandlung zwangsweise gegen ihren Willen durchzusetzen. Eine solche Zwangsbehandlung ist aber - wie vorstehend ausgeführt - nicht möglich. Eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, bei der die Heilbehandlung - aus welchen Gründen auch immer - nicht durchgeführt wird oder werden kann, darf jedoch nicht genehmigt werden (BGH, BtPrax 2010, 80). Wenn und soweit weiterhin die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorliegen, wird eine Unterbringung der Betroffenen auch weiterhin betreuungsgerichtlich zu genehmigen sein. Die Gefahr, dass die Betroffene in hilfloser Lage in die Obdachlosenunterkunft entlassen werden muss - wie die Beteiligte Ziff. 1 befürchtet - kann hierdurch abgewendet werden.
29 
Aus diesen Gründen war die Beschwerde der Beteiligten Ziff. 1 gegen den Beschluss des Amtsgerichts L., der die „Genehmigung der Zwangsmedikation“ ablehnt, zurückzuweisen.
30 
3. Der Kostenausspruch ergeht gem. § 131 Abs. 3 KostO. Die Beteiligte Ziff. 1 hat ihre Beschwerde im Interesse der Betroffenen eingelegt.
31 
4. Die Rechtsbeschwerde gem. § 70 FamFG zum Bundesgerichtshof war zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG.

(1) Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Gutachten soll sich auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringungsmaßnahme erstrecken. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein.

(2) Für eine freiheitsentziehende Maßnahme nach § 312 Nummer 2 oder 4 genügt ein ärztliches Zeugnis.

Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer

1.
freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1831 Absatz 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1831 Absatz 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
ärztlichen Zwangsmaßnahme, auch einschließlich einer Verbringung zu einem stationären Aufenthalt, nach § 1832 Absatz 1, 2 und 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
4.
freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker
betreffen (Unterbringungsmaßnahme).

(1) Vor einer Unterbringungsmaßnahme hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Gutachten soll sich auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringungsmaßnahme erstrecken. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie sein; er muss Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein. Bei der Genehmigung einer Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme oder bei deren Anordnung soll der Sachverständige nicht der zwangsbehandelnde Arzt sein.

(2) Für eine freiheitsentziehende Maßnahme nach § 312 Nummer 2 oder 4 genügt ein ärztliches Zeugnis.

Unterbringungssachen sind Verfahren, die die Genehmigung oder Anordnung einer

1.
freiheitsentziehenden Unterbringung nach § 1831 Absatz 1 und 2 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
freiheitsentziehenden Maßnahme nach § 1831 Absatz 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
ärztlichen Zwangsmaßnahme, auch einschließlich einer Verbringung zu einem stationären Aufenthalt, nach § 1832 Absatz 1, 2 und 4 auch in Verbindung mit Absatz 5 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
4.
freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei Volljährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker
betreffen (Unterbringungsmaßnahme).

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung der Verfassung eines Landes handelt, die Entscheidung des für Verfassungsstreitigkeiten zuständigen Gerichtes des Landes, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen. Dies gilt auch, wenn es sich um die Verletzung dieses Grundgesetzes durch Landesrecht oder um die Unvereinbarkeit eines Landesgesetzes mit einem Bundesgesetze handelt.

(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

(3) Will das Verfassungsgericht eines Landes bei der Auslegung des Grundgesetzes von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes oder des Verfassungsgerichtes eines anderen Landes abweichen, so hat das Verfassungsgericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.

23
bb) Aus dem Umstand, dass die Erzwingung medizinischer Maßnahmen gegen den Widerstand des Betroffenen nur im Rahmen einer vom Vormundschaftsgericht genehmigten freiheitsentziehenden Unterbringung zulässig ist, darf freilich nicht - wie in der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 30. August 2007 geschehen - gefolgert werden, dass eine freiheitsentziehende Unterbringung immer schon dann vom Betreuer konsentiert und nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom Vormundschaftsgericht genehmigt werden darf, wenn eine medizinische Maßnahme notwendig ist, aber nur gegen den Widerstand des Betroffenen durchführt werden kann. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt nicht nur, dass die medizinische Maßnahme als solche notwendig ist. Die freiheitsentziehende Unterbringung muss vielmehr auch ihrerseits - und zwar tatsächlich - erforderlich sein, damit die medizinische Maßnahme durchgeführt werden kann. Sie ist in diesem Sinne erforderlich, wenn zu erwarten ist, dass der Betroffene sich ohne die freiheitsentziehende Unterbringung der erforderlichen medizinischen Maßnahme räumlich - also etwa durch Fernbleiben oder "Weglaufen" - entzieht. Umgekehrt begründet die Erforderlichkeit der medizinischen Maßnahme ebenso wie die Erforderlichkeit, den dieser Maßnahme entgegenstehenden Willen des Betroffenen zu brechen, für sich genommen noch keine Notwendigkeit, den Betroffenen freiheitsentziehend unterzubringen - also etwa auch dann, wenn der Betroffene sich der Maßnahme zwar physisch widersetzt , sich ihr aber nicht räumlich entzieht. Die gegenteilige Argumentation würde dazu führen, bereits aus der Notwendigkeit einer Zwangsbehandlung die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung herzuleiten. Ein solches - offenbar der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 30. August 2007 zugrunde liegendes - Verständnis ist mit dem Wortlaut der Regelung, der die Zulässigkeit einer freiheitsentziehenden Unterbringung an ein doppeltes Notwendigkeitskriterium knüpft (die Unterbringung muss erforderlich sein, weil eine medizinische Maßnahme notwendig ist und ohne die Unterbringung faktisch nicht durchgeführt werden kann), nicht vereinbar. Es widerspricht auch dem Schutzzweck der Norm, die eine freiheitsentziehende Unterbringung keineswegs immer schon dann eröffnen will, wenn diese - etwa mangels jeder "Weglaufgefahr" - unnötig ist und lediglich die rechtlichen "Rahmenbedingungen" für eine notwendige Zwangsbehandlung schaffen soll.