Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juli 2019 - XI ZB 10/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und Dr. Derstadt
am 16. Juli 2019
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs der auf Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen der Beklagten.
- 2
- Die Parteien schlossen im Dezember 2004 einen Darlehensvertrag über 62.000 € mit einem bis zum 31. Januar 2015 festen Nominalzinssatz von 4,04% p.a. Die Beklagten erbrachten vertragsgemäße Leistungen. Im Juni 2013 einigten sich die Parteien auf geänderte Darlehenskonditionen. Unter dem 18. Juni 2016 widerriefen die Beklagten ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen.
- 3
- Dem daraufhin anhängig gemachten Begehren der Klägerin festzustellen , dass der bestimmt bezeichnete Darlehensvertrag durch den von den Beklagten am 18. Juni 2016 erklärten Widerruf nicht in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden sei, sondern wirksam fortbestehe, hat das Landgericht entsprochen. Die auf Herausgabe mutmaßlich gezogener Nutzungen gerichtete Widerklage der Beklagten hat es abgewiesen. Die Beklagten hätten das Widerrufsrecht rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Zwar führe die - hier: elfeinhalbjährige - vorbehaltlose Vertragserfüllung grundsätzlich nicht dazu, dass der Widerruf als rechtsmissbräuchlich zu erachten sei. Etwas anderes gelte aber dann, wenn der Darlehensnehmer darüber hinaus seinen Willen, an dem Vertrag festzuhalten, dokumentiert habe, den Vertrag anschließend anstandslos bediene und sich erst Jahre später nach einer weiteren Absenkung des Zinsniveaus zum Widerruf entschließe. Im konkreten Fall seien im Juni 2013 auf Wunsch der Beklagten schon vorzeitig die neuen Zinskonditionen vor Ablauf der zunächst vereinbarten Zinsbindungsfrist neu verhandelt und angepasst worden. Die Beklagten seien daran interessiert gewesen, das aus damaliger Sicht gegenüber dem ursprünglich vereinbarten Zins günstigere Zinsniveau schon vorzeitig festzuschreiben. Deshalb seien sie auch bereit gewesen, zum 31. Januar 2015 eine zusätzliche Tilgung zu erbringen. Durch dieses Verhalten, auf das sich die Klägerin eingelassen habe, hätten die Beklagten dokumentiert, dass sie bereit gewesen seien, das Darlehen zu günstigeren Konditionen fortzuführen. In der Folgezeit hätten sie das Darlehen weiter jahrelang ordnungsgemäß bedient, so dass die Klägerin mit einem Widerruf nicht mehr habe rechnen müssen. Die Beklagten hätten die ihnen erteilte Widerrufsbelehrung "von ihrem objektivierten Empfängerhorizont her betrachtet" richtig verstanden. Bei dem erst im Jahr 2016 erklärten Widerruf sei es ihnen ersichtlich nicht darum gegangen , sich wegen einer eventuell übereilten Entscheidung durch Widerruf zu lösen , sondern allein darum, unter Ausnutzung einer aus ihrer Sicht gegebenen formalen Rechtsstellung finanzielle Vorteile in Form der von ihnen geltend gemachten Nutzungsentschädigung zu ziehen.
- 4
- Dagegen haben die Beklagten Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsschrift haben sie mit den Sätzen eingeleitet, das Landgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das landgerichtliche Urteil werde daher in vollem Umfang zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt. Sie haben - die Ausführungen aus der Klageerwiderung um ein Wort gekürzt wörtlich wiederholend - zur Treuwidrigkeit des Widerrufs vorgetragen, die Ausübung des Widerrufsrechts sei weder verwirkt noch rechtsmissbräuchlich. Der Senat habe in seinem Urteil vom 12. Juli 2016 (XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 ff.) in einem Fall, in dem der Widerruf rund sieben Jahre nach vollständiger Beendigung des Darlehensvertrags erklärt worden sei, entschieden, dass die Ausübung des Widerrufsrechts auch nach vollständiger Rückzahlung des Darlehens weder rechtsmissbräuchlich noch verwirkt sei, und das dortige Berufungsurteil aufgehoben. "Bei laufenden Kreditgeschäften" gebe es - belegt durch eine weitere Entscheidung des Senats - "für Verwirkung und unzulässige Rechtsausübung erst Recht keinen Raum". "Insoweit dürften die Argumente der Klägerin zu der Wirksamkeit ihrer Widerrufsbelehrung und der Verwirkung sowie der unzulässigen Ausübung des Widerrufsrechts überholt sein".
- 5
- Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten nach Erteilung eines Hinweises als unzulässig verworfen, weil sich die Berufungsbegründungs- schrift in der wörtlichen Wiedergabe der Klageerwiderung erschöpft habe und die Berufung damit nicht wirksam begründet worden sei.
- 6
- Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
II.
- 7
- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (Senatsbeschluss vom 9. November 2004 - XI ZB 6/04, BGHZ 161, 86, 87 mwN), sind nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO) nicht erforderlich. Das Berufungsgericht ist vielmehr, ohne den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) oder auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) zu verletzen, im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dem Ergebnis gelangt, die Berufung der Beklagten sei nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen begründet worden.
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- 1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt (Senatsurteil vom 2. April 2019 - XI ZR 466/17, juris Rn. 13; Senatsbe- schlüsse vom 27. Mai 2008 - XI ZB 41/06, WM 2008, 1810 Rn. 11, vom 12. Mai 2009 - XI ZB 21/08, juris Rn. 13 und vom 1. März 2011 - XI ZB 26/08, juris Rn. 11, jeweils mwN). Der Berufungskläger hat deshalb diejenigen Punkte rechtlicher Art darzulegen, die er als unzutreffend ansieht, und dazu die Gründe anzugeben, aus denen er die Fehlerhaftigkeit jener Punkte und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung herleitet (Senatsurteil vom 2. April 2019, aaO, mwN). Die Berufungsbegründung muss auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein (Senatsbeschlüsse vom 27. Mai 2008, aaO, vom 12. Mai 2009, aaO, vom 1. März 2011, aaO, und vom 23. Oktober 2012 - XI ZB 25/11, NJW 2013, 174 Rn. 10). Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (Senatsurteil vom 9. Oktober 2001 - XI ZR 281/00, juris Rn. 19; Senatsbeschluss vom 22. Januar 2019 - XI ZB 9/18, juris Rn. 8). Ungenügend sind insbesondere Textbausteine und Schriftsätze aus anderen Verfahren (Senatsbeschluss vom 27. Mai 2008, aaO, Rn. 12; BGH, Beschluss vom 22. Mai 2014 - IX ZB 46/12, juris Rn. 7).
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- 2. Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung der Beklagten nicht. Sie setzt sich über die formelhafte Einleitung hinaus, das Landgericht habe falsch entschieden, mit der differenzierten und auf die besonderen Umstände des Einzelfalls bezogenen Argumentation des Landgerichts zum Rechtsmissbrauch nicht auseinander. Stattdessen beschränkt sie sich in wörtlicher Übernahme der Ausführungen aus der Klageerwiderung auf eine kursorische Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin in der Klageschrift. Darin liegt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde keine hinreichend auf das landgerichtliche Erkenntnis bezogene Bekräftigung des eigenen Rechtsstandpunkts. Aus dem Beschluss des I. Zivilsenats vom 7. Juni 2018 (I ZB 57/17, NJW 2018, 2894 Rn. 10) ergibt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nichts anderes. Diese Entscheidung betraf einen anderen Sachverhalt. Dass die Berufungsbegründung - das Berufungsgericht hat vorab lediglich darauf hingewiesen, sie verhalte "sich inhaltlich nicht zur Frage des Rechtsmissbrauchs" - schlagwortartig den Begriff des Rechtsmissbrauchs nennt, genügt als Befassung mit dem angegriffenen Urteil nicht. Damit verfehlt die Berufungsbegründung die gesetzlichen Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO.
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 16.11.2017 - 22 O 257/16 -
OLG Köln, Entscheidung vom 14.03.2018 - 13 U 236/17 -
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Annotations
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.