Bundesgerichtshof Beschluss, 13. März 2012 - VIII ZB 104/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das Amtsgericht hat den zunächst auf den 19. Januar 2010 anberaumten Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 23. Februar 2010 verlegt. Am 19. Juli 2010 ist ein Schriftsatz des Klägers eingegangen, in dem er darauf hingewiesen hat, dass die Entscheidung seit fünf Monaten ausstehe, die Geschäftsstelle sich zu einer Mitteilung über den Sachstand außerstande sehe und der Richter nicht zu erreichen sei.
- 2
- Als Blatt 134 wird in der - nicht gehefteten - Akte ein vom Richter unterschriebenes Verkündungsprotokoll geführt, das als Datum der ohne Hinzuziehung eines Protokollführers durchgeführten Verkündung des "nachstehenden Urteils" den 23. Februar 2010 ausweist. Das in einer gesonderten Aktenhülle aufbewahrte und vom Richter unterschriebene Urteil ist mit den Blattzahlen 135 bis 142 versehen; im Anschluss daran befindet sich ein Blatt mit einer handschriftlichen Aufzeichnung des Tenors und der Paraphe des Richters. Ein Vermerk , wann das Urteil zur Geschäftsstelle gelangt ist, ist nicht vorhanden. Die Zustellung des Urteils ist am 9. August 2010 verfügt und bezüglich des Klägers am 12. August 2010 bewirkt worden. Die richterliche Streitwertfestsetzung war zuvor unter dem 6. August 2010 erfolgt.
- 3
- Die Berufung des Klägers ist am 26. August 2010 eingegangen. Der Amtsrichter hat auf Anfrage des Berufungsgerichts in einer dienstlichen Äußerung vom 9. August 2011 mitgeteilt, dass er an den konkreten Vorgang der Verkündung keine Erinnerung habe. In der Regel werde, falls das vollständige Urteil bei Verkündung nicht vorliege, der Urteilstenor am selben Tag schriftlich niedergelegt; aus der "Stelle des handschriftlichen Tenors im Fortgang der Akte" oder der Nummerierung der Akten ließen sich nach seiner Auffassung indes keine Rückschlüsse ziehen.
- 4
- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
II.
- 5
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt :
- 6
- Die Berufung sei nicht fristgerecht eingelegt worden und deshalb unzulässig. Da das am 23. Februar 2010 verkündete Urteil nicht innerhalb von fünf Monaten seit Verkündung zugestellt worden sei, habe die Berufungsfrist gemäß § 517 ZPO mit Ablauf von fünf Monaten, mithin am 23. Juli 2010 begonnen und sei demnach am 23. August 2010 abgelaufen, so dass die am 26. August 2010 eingegangene Berufung verfristet sei.
- 7
- Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist könne dem Kläger nicht gewährt werden, weil die Fristversäumnis auf einem ihm zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruhe. Dieser hätte anlässlich der Zustellung des Urteils am 12. August 2010 erkennen können und müssen, dass die Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO durch sein Personal nicht richtig berechnet worden sei. Zu diesem Zeitpunkt hätte er noch fristwahrend Berufung einlegen können.
- 8
- Entgegen der Ansicht des Klägers habe die Berufungsfrist nicht erst mit der Zustellung des Urteils begonnen. Zwar hätte nur ein Urteilsentwurf vorgelegen , wenn das Urteil, wie vom Kläger behauptet, gar nicht verkündet worden wäre. Die Verkündung sei indes durch das Verkündungsprotokoll bewiesen. Den Nachweis einer Protokollfälschung habe der Kläger nicht erbracht.
- 9
- Aus dem Umstand, dass der Schriftsatz des Klägers vom 13. Juli 2010 die Blattzahlen 132/133 aufweise, während das Verkündungsprotokoll die Blattzahl 134 trage, ergebe sich nicht zwangsläufig, dass das Verkündungsprotokoll nicht vom 23. Februar 2010 stamme. Die Kammer wisse aus eigener Erfahrung, dass die Paginierung der Akte nicht immer in zeitlicher Reihenfolge vorgenommen werde. Der Amtsrichter habe in seiner dienstlichen Äußerung nachvollziehbar ausgeführt, dass er sich an die Verkündung nicht erinnere und dass ein für die Verkündung gegebenenfalls verwendeter handschriftlicher Tenor von den Mitarbeitern an verschiedenen Stellen der Akten abgelegt werde. Es könne daher nicht angenommen werden, dass der handschriftliche Tenor bei der Verkündung nicht vorgelegen habe. Insgesamt lägen keine hinreichenden Anhalts- punkte vor, die die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Verkündungsprotokolls widerlegen könnten.
III.
- 10
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Gesetzes statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) und im Übrigen auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 575 ZPO). Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Der angefochtene Beschluss verletzt das Verfahrensgrundrecht des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. dazu BVerfGE 77, 275, 284; 74, 228, 234; BVerfG, NJW 2005, 814, 815; Senatsbeschluss vom 27. September 2005 - VIII ZB 105/04, NJW 2005, 3775 unter II 1 mwN). Hiergegen hat das Berufungsgericht verstoßen, indem es ohne ausreichende Prüfung angenommen hat, die Berufungsfrist sei am 23. August 2010 abgelaufen.
- 11
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die vom Kläger am 26. August 2010 eingelegte Berufung ist fristgemäß eingegangen, weil die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des Urteils am 12. August 2010 begonnen hat. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob das Berufungsgericht aufgrund der dienstlichen Äußerung des Amtsrichters ohne weitere Sachaufklärung davon ausgehen durfte, dass die Beweiskraft des Sitzungsprotokolls, demzufolge das Urteil am 23. Februar 2010 verkündet worden ist, nicht erschüttert sei.
- 12
- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es unverzichtbar , dass innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO ein beweiskräftiges Protokoll über die Verkündung eines Urteils auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel erstellt wird. Allein durch das Protokoll kann bewiesen werden, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist. Vom Zeitpunkt der Verkündung hängt wiederum der Lauf der Berufungsfrist ab, wenn das Urteil - wie hier - erst nach dem Ablauf der Fünfmonatsfrist zugestellt worden ist. Hierüber muss vor Ablauf der Fünfmonatsfrist aus den Akten Klarheit zu gewinnen sein. Ebenso muss feststellbar sein, ob das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil nicht innerhalb der spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung beginnenden Rechtsmittelfrist Berufung eingelegt worden ist (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, NJW 2011, 1741 Rn. 20; vgl. auch Urteil vom 31. Mai 2007 - X ZR 172/04, BGHZ 172, 298 Rn.13).
- 13
- b) Vorliegend kann der Nachweis, dass innerhalb der bis zum 23. Juli 2010 laufenden Fünfmonatsfrist aus den Akten Klarheit über eine am 23. Februar 2010 erfolgte Urteilsverkündung zu gewinnen war, nicht geführt werden. Ein Vermerk der Geschäftsstelle, wann das Urteil zu den Akten gelangt ist, fehlt. Auch die Paginierung der Akte erlaubt keine Rückschlüsse darauf, dass das Urteil innerhalb der Fünfmonatsfrist zu den Akten gelangt ist. Die am 9. August 2010 getroffene Verfügung der Geschäftsstelle über die Zustellung des Urteils sowie der am 6. August 2010 abgesetzte Streitwertbeschluss sprechen vielmehr dafür, dass das vollständige Protokoll erst nach dem 23. Juli 2010 zu den Akten gereicht worden ist - nämlich nachdem am 19. Juli 2010 eine erneute, nunmehr schriftlich gestellte Anfrage des Klägers nach der ausste- henden Entscheidung eingegangen war. Wie ausgeführt, muss innerhalb von fünf Monaten seit der Verkündung aus den Akten Sicherheit zu gewinnen sein, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist (BGH, Urteil vom 13. April 2011 - XII ZR 131/09, aaO). Da dies hier nicht gewährleistet war, ist die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung des Urteils am 12. August 2010 in Lauf gesetzt worden, so dass mit der am 26. August 2010 eingegangenen Berufungsschrift die Rechtsmittelfrist gewahrt worden ist. Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Schneider Dr. Bünger
AG München, Entscheidung vom 23.02.2010 - 453 C 10861/09 -
LG München I, Entscheidung vom 31.10.2011 - 31 S 16047/10 -
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Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.