Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2012 - VI ZR 320/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch. Der 1956 geborene Kläger zog sich am 23. Dezember 2004 einen Sprunggelenkverrenkungsbruch zu, der noch am selben Tag operiert wurde. Aufgrund der mittlerweile eingetretenen Weichteilschwellung konnte allerdings nur der Außenknöchelbruch versorgt werden. Von einer definitiven Versorgung der Schienbeinfrakturen und des Innenknöchels wurde abgesehen und insoweit lediglich ein Fixateur externe angelegt. Eine zunächst für den 5. Januar 2005 geplante weitere Operation, bei der der Innenknöchel und das Schienbein versorgt werden sollten, wurde am 4. Januar 2005 verschoben, weil die Wundheilung noch nicht hinreichend fortgeschritten war. Am 10. Januar 2005 erfolgte eine Versorgung der Schienbeinfraktur des Innenknöchels durch einen neuen Schnitt. Intraoperativ stellte der Operateur eine locker sitzende Syndesmose fest. Er öffnete die noch nicht abgeheilte Operationswunde vom 23. Dezember 2004, spreizte diese und befestigte die Syndesmose mit einer Stellschraube an der schon vorhandenen Drittelrohrplatte. Der Kläger erhielt vorsorglich perioperativ über fünf Tage das Antibiotikum Unacid. Am 19. Januar traten trotz der Antibiotikagabe klinische Anzeichen für eine Entzündung der wiedereröffneten Operationswunde auf. Sie wurde am 20. Januar 2005 operativ eröffnet, wobei es zur Eiterentleerung und zur Entfernung abgestorbenen Gewebes kam. Am 21. Januar 2005 wurde ein Befall mit Pseudomonas aeruginosa festgestellt. In der Folgezeit musste sich der Kläger wegen der komplizierten Infektion des Knöchelgelenks diversen Operationen unterziehen, bei denen zuletzt eine Versteifung des oberen Sprunggelenks mit Entfernung des Außenknöchels erfolgte. Der Kläger ist dauerhaft gehbehindert und zuletzt zu 60 % erwerbsunfähig. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Es sei grob fehlerhaft, dass die Mitarbeiter des Beklagten sowohl vor als auch nach der Wiedereröffnung der Operationswunde am 10. Januar 2005 keine geeigneten Befunde, insbesondere keine CRP-Werte, erhoben hätten, um eine Infektion entweder auszuschließen oder aber zu diagnostizieren. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Es hat in der unterlassenen Bestimmung der CRP-Werte in der Zeit vom 23. Dezember 2004 bis 17. Januar 2005 zwar einen Befunderhebungsfehler gesehen, diesen aber als nicht grob bewertet. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
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- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
- 3
- 1. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Kläger stehe kein Schadensersatzanspruch wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zu, beruht auf einem entscheidungserheblichen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG.
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- a) Die Nichtzulassungsbeschwerde beanstandet zu Recht, dass sich das Berufungsgericht in seiner Entscheidung nicht mit den weiteren vom Kläger geltend gemachten Behandlungsfehlern befasst hat. Der Kläger hatte in der Klageschrift geltend gemacht, dass die am 10. Januar 2005 erfolgte Wiedereröffnung der Operationswunde mit einem derart erhöhten Infektionsrisiko verbunden gewesen sei, dass sie nach dem damaligen Erscheinungsbild der Wunde hätte unterlassen werden müssen. Mit Schriftsatz vom 20. August 2008 hatte er unter Hinweis auf das damit verbundene erhöhte Infektionsrisiko die Einbringung einer Stellschraube in die wieder eröffnete Operationswunde insbesondere vor dem Hintergrund beanstandet, dass keinerlei Maßnahmen zur Einschätzung des erhöhten Infektionsrisikos getroffen worden seien. Der Sachverständige hatte insoweit ausgeführt, dass die Wiedereröffnung einer nicht vollständig abgeheilten Operationswunde immer mit einem erhöhten Infektionsrisiko ver- bunden sei. Dies gelte insbesondere, wenn metallisches Fremdmaterial wie eine Stellschraube eingebracht werde. Eine Infektion im Knochen- und Gelenkbereich sei immer eine schwere und vor allem schwer zu beherrschende Komplikation , die fast unweigerlich erhebliche Dauerschäden nach sich ziehe. Metallisches Fremdmaterial dürfe in eine wieder eröffnete Operationswunde nur dann eingebracht werden, wenn die Wunde nicht entzündet sei. Aus der Sicht ex post sei die Entscheidung zur Stellschraubenimplantation im Streitfall falsch gewesen. Für die Beurteilung ex ante komme es darauf an, ob die fibulare Wunde zum Revisionszeitpunkt entzündet gewesen sei. Vor diesem Hintergrund sei es dem Gutachter ganz unverständlich, weshalb zwischen dem 23. Dezember 2004 und dem 17. Januar 2005 keinerlei Laborkontrollen durchgeführt worden seien und insbesondere das CRP nicht bestimmt worden sei. Eine Kontrolle vor der Zweitoperation hätte angesichts der schweren Verletzung sicherlich noch keine Normalwerte ergeben, hätte aber geholfen zu erkennen, ob sich eventuell eine Infektion anbahnte. Auch eine Messung der Körpertemperatur sei vor der Operation nicht erfolgt. Diese Ausführungen des Sachverständigen hatte sich der Kläger, soweit er es nicht ohnehin selbst vorgetragen hatte, als ihm günstige Umstände zumindest konkludent hilfsweise zu Eigen gemacht (vgl. Senatsurteile vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468 und vom 3. April 2001 - VI ZR 203/00, VersR 2001, 1174; Senatsbeschluss vom 10. November 2009 - VI ZR 325/08, VersR 2010, 497).
- 5
- Der Kläger hatte darüber hinaus in der Klageschrift vorgetragen, der Verzicht auf einen Wundabstrich aus der Operationswunde bei der Zweitoperation sei als Fehler zu werten. Zwar hatte der gerichtliche Sachverständige insoweit angegeben, eine Abstrichentnahme bei der Zweitoperation hätte "wohl" bzw. "vermutlich" keinen Erkenntnisgewinn erwarten lassen. Demgegenüber hatte der im Schlichtungsverfahren tätige Sachverstände Prof. Dr. K. den Verzicht auf einen Wundabstrich aus der Reoperationswunde als Fehler bewertet, da eine frühere gezielte antibiotische Behandlung möglich gewesen wäre, wenn man bereits zu diesem Zeitpunkt eine Keimbesiedlung festgestellt hätte. Das im Rahmen der Antibiotikaprophylaxe gegebene Unacid sei bei der am 21. Januar 2005 festgestellten Keimbesiedlung ungeeignet gewesen. Diese Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. hatte sich der Kläger im Schriftsatz vom 20. August 2008 zu Eigen gemacht und beanstandet, dass ein vom Sachverständigen als nicht resistenzgerecht beurteiltes Antibiotikum verabreicht worden sei. Der gerichtliche Sachverständige hatte insoweit im schriftlichen Gutachten ausgeführt, dem erhöhten Infektionsrisiko bei der Zweitoperation sei durch eine erweiterte perioperative Antibiotikaprophylaxe mit Unacid Rechnung getragen worden. Im Rahmen der Anhörung gab er allerdings an, dass mit der Gabe von Unacid das Infektionsrisiko nicht ausgeschlossen gewesen sei. Man sei damit nicht in Sicherheit gewesen. Als nach der Operation dennoch Entzündungszeichen manifest geworden seien, sei mit einer Umsetzung des Antibiotikums auf intravenöse Gaben reagiert worden. Eine Bewertung, ob die intravenöse Verabreichung des zuvor oral eingenommenen Antibiotikums eine ausreichende Reaktion darstellte, hat der Sachverständige dagegen nicht vorgenommen.
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- b) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Sachvortrags des Klägers zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre.
- 7
- 2. Bei der neuen Verhandlung hat das Berufungsgericht Gelegenheit, sich auch mit den weiteren vom Kläger in der Nichtzulassungsbeschwerdebegründung aufgezeigten Gesichtspunkten zu befassen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken. Es wird insbesondere die Bewertung des angenommenen Befunderhebungsfehlers - unterlassene Erhebung der CRP-Werte vom 23. Dezember 2004 bis 17. Januar 2005 - als nicht grob zu überprüfen haben. Denn es hat bei der Gewichtung des Befunderhebungsfehlers im Anschluss an die Ausführungen des Sachverständigen in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 8. April 2011 in erster Linie die Bedeutung der CRP-Werte für die Indikationsstellung zur Wundrevision und damit die postoperativ unterlassene Bestimmung der Entzündungsparameter in den Blick genommen. Es berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Bestimmung des CRPWertes vor der zweiten Operation nach den Angaben des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten und im Rahmen seiner Anhörung auch den Zweck hatte, eine bereits bestehende Infektion auszuschließen. Diesem Umstand kam vor dem Hintergrund, dass in der Zweitoperation am 10. Januar 2005 eine noch nicht vollständig verheilte Operationswunde wieder eröffnet und metallisches Fremdmaterial eingebracht wurde, und unter Berücksichtigung des damit einhergehenden erhöhten Infektionsrisikos besondere Bedeutung zu. Galke Zoll Diederichsen Pauge von Pentz
LG Berlin, Entscheidung vom 12.06.2009 - 35 O 104/07 -
KG Berlin, Entscheidung vom 24.10.2011 - 20 U 121/09 -
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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.