Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juni 2016 - V ZR 238/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, und die Richter Dr. Czub, Dr. Kazele und Dr. Göbel
beschlossen:
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 356.389,35 €.
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagten verkauften 2002 ihr Hausgrundstück an R. W. für 189.178 €. Dieser ließ in einem selbständigen Beweisverfahren Mängel feststel- len und verlangte anschließend vor dem Landgericht Mainz im Jahr 2005 die Rückabwicklung des Vertrags, auf die sich die Beklagten mit ihm in einem ge- richtlichen Vergleich auch einigten. Mit notariellem Vertrag vom 13. Mai 2008 verkauften die Beklagten das 2006 zurückgegebene Grundstück unter Aus- schluss einer Haftung für Sachmängel zu einem Kaufpreis von 272.500 € an die Kläger. Im Jahr 2009 beantragten die Kläger ein selbständiges Beweisverfahren , in welchem ein Sachverständigengutachten zu Mängeln des Grundstücks eingeholt wurde. Mit anwaltlichem Schreiben vom 7. Juni 2011 fochten die Kläger den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an und traten hilfsweise von dem Kaufvertrag zurück. Sie verlangen die Rückabwicklung des Kaufvertrags und die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, ihnen einen weitergehenden Schaden zu ersetzen.
- 2
- Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hat das Oberlandesgericht durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 3
- Das Berufungsgericht meint, Ansprüche der Kläger auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und auf Schadensersatz schieden aus, weil sie den ihnen obliegenden Beweis für ein arglistiges Verhalten der Beklagten nicht geführt hätten. Die Beklagten hätten ihrer sekundären Darlegungslast entsprochen und dargelegt, dass sie die Kläger am 28. April 2008 an Ort und Stelle über die Mängel aufgeklärt hätten. Dem seien die Kläger detailliert entgegen getreten. Es sei indessen nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht zwar Anhaltspunkte dafür gefunden habe, dass die Aufklärung nicht hinreichend gewesen sein könnte, diese aber als nicht ausreichend angesehen habe, um sich von der Arglist der Beklagten zu überzeugen. Der in zweiter Instanz gehaltene Vortrag der Kläger, die Beklagten hätten sechs Wochen zuvor schon einmal versucht, das Grundstück zu demselben Preis an die Eheleute O. zu verkaufen, und hätten diese nicht über die Mängel aufgeklärt, sei gemäß § 531 Abs. 2 ZPO als verspätet zurückzuweisen. Die Kläger hätten keinen stichhaltigen Grund dafür angeführt, weshalb sie die Eheleute O. nicht bereits in erster Instanz zu den Vertragsverhandlungen befragt hätten.
III.
- 4
- Der angefochtene Beschluss ist nach § 522 Abs. 3, § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, weil dieses den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
- 5
- 1. Das Verfahrensgrundrecht ist durch die Zurückweisung des beweisbewehrten Vortrags der Kläger, die Beklagten hätten sechs Wochen zuvor versucht , das Grundstück an die Eheleute O. zu verkaufen, und diese (ebenfalls ) nicht über die Mängel aufgeklärt, verletzt worden.
- 6
- a) Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots, die im Prozessrecht keine Stütze hat, verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG (st. Rspr., vgl. Senat, Beschluss vom 20. März 2014 - V ZR 169/13, juris Rn. 4 mwN). Diese Grenze ist bei Anwendung einer Präklusionsvorschrift wie des § 531 ZPO erreicht, wenn sie in offenkundig unrichtiger Weise angewandt wird (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juni 2005 - V ZR 271/04, NJW 2005, 2624; BGH, Beschlüsse vom 15. August 2012 - VIII ZR 256/11, juris Rn. 14 und vom 30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 Rn. 8; vgl. BVerfG, NJW 2000, 945, 946).
- 7
- b) So ist es hier. Die vom Berufungsgericht gegebene Begründung, die Kläger hätten keinen stichhaltigen Grund dafür angeführt, weshalb sie die Eheleute O. nicht bereits in erster Instanz zu den Vertragsverhandlungen befragt hätten, ist nicht tragfähig.
- 8
- aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt eine Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO nur dann vor, wenn die Partei gegen ihre Prozessförderungspflicht verstoßen hat. Die Parteien sind aufgrund dieser Pflicht zu konzentrierter Verfahrensführung gehalten. Insbesondere dürfen sie Vorbringen grundsätzlich nicht aus prozesstaktischen Erwägungen zurückhalten (BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, NJW-RR 2011, 211 Rn. 28 mwN). Eine Verpflichtung, tatsächliche Umstände, die der Partei nicht bekannt sind, erst zu ermitteln, ist daraus jedoch grundsätzlich nicht abzuleiten (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Juni 2008 - V ZR 190/07, juris Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 2009 - III ZR 61/08, juris Rn. 13 mwN, vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, NJW-RR 2011, 211 Rn. 28 und vom 30. Oktober 2013 - VII ZR 339/12, NJW-RR 2014, 85 Rn. 9); sie kann allenfalls durch besondere Umstände begründet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 2010 - Xa ZR 110/09, aaO Rn. 28).
- 9
- bb) Danach haben die Kläger ihre Prozessförderungspflicht nicht verletzt. Der Entwurf des Kaufvertrags der Beklagten mit den Eheleuten O. lag den Klägern nach ihrem Vortrag, den das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, zwar schon in erster Instanz vor. Dass sie deshalb bereits in erster Instanz auf den Gedanken hätten kommen können, sich bei den Eheleuten O. nach den Einzelheiten der Vertragsverhandlungen zu erkundigen, rechtfertigt die Zurückweisung ihres Vortrags als verspätet aber nicht. Das setzte vielmehr zusätzlich besondere Umstände voraus, die aus der objektivierten Sicht der Kläger solche Erkundigungen erforderten oder zumindest nahelegten. Dafür ist nichts ersichtlich. Dem Kaufvertragsentwurf war nur zu entnehmen, dass die Beklagten den Eheleuten O. das Grundstück zu den gleichen Bedingungen angeboten hatten wie den Klägern und dass die Eheleute O. dieses Angebot nicht angenommen hatten. Diese beiden Umstände ließen nicht erwarten, dass sich bei näherer Erkundigung nach den Umständen und den Gründen für das Scheitern der Verhandlungen verwertbare Erkenntnisse für die Bewertung des anschließend geschlossenen Vertrags der Kläger mit den Beklagten ergeben würden. Jedenfalls musste sich den Klägern nicht aufdrängen, dass die Beklagten diesen Kaufinteressenten Mängel des Hauses arglistig verschwiegen haben könnten.
- 10
- 2. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich.
- 11
- a) Mangels abweichender Feststellungen ist im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde zu Gunsten der Kläger davon auszugehen, dass das verkaufte Grundstück die in dem vorausgegangenen Beweisverfahren festgestellten erheblichen Mängel hat. Auszugehen ist aus dem gleichen Grund auch davon, dass diese für die Kläger nicht erkennbar waren und sie deshalb über die Mängel aufgeklärt werden mussten.
- 12
- b) Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die genannten Zeugen bestätigen, dass die Beklagten ihnen etwa sechs Wochen zuvor dasselbe Grundstück zu dem gleichen Preis und zu den gleichen Bedingungen verkaufen wollten, ohne sie über die Mängel des Objekts aufzuklären, und dass das Berufungsgericht bei der Würdigung der Aussage der Zeugen und der - ohnehin schon sehr ungewöhnlichen - Umstände die Überzeugung gewinnt, die von den Beklagten behauptete Aufklärung habe nicht stattgefunden und die Kläger seien arglistig getäuscht worden.
Kazele Göbel
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 18.09.2014 - 2 O 223/11 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 09.11.2015 - 8 U 1234/14 -
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.
(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie
- 1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist, - 2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder - 3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.