Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Apr. 2016 - V ZB 73/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. April 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die mit Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 11. Juni 2014 angeordnete Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Kleve auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste am 1. August 2013 ohne gültige Einreisedokumente nach Deutschland ein. Dort stellte er am 15. Oktober 2013 einen Antrag auf Asyl, den das zuständige Bundesamt mit Bescheid vom 3. Februar 2014 zurückwies, weil er schon in Italien Asyl beantragt hatte. Ein Antrag des Betroffenen nach § 80 Abs. 5 VwGO hatte keinen Erfolg. Ein Versuch, den Betroffenen an Italien rückzuüberstellen, scheiterte an dessen Gegenwehr.
- 2
- Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 11. Juni 2014 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Rücküberstellung für die Dauer von acht Wochen angeordnet. Die - nach seiner Entlassung aus der Haft am 25. Juli 2014 auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete - Beschwerde hat das Landgericht als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung die beteiligte Behörde beantragt.
II.
- 3
- Das Beschwerdegericht hält den Feststellungsantrag und damit auch die Beschwerde des Betroffenen für unzulässig. Er sei mangels Angaben, die eine Identifizierung des Betroffenen erlaubten, insbesondere mangels Angabe des Aufenthalts des Betroffenen, nicht hinreichend bestimmt. Ferner fehle das Feststellungsinteresse. Dieses sei zwar regelmäßig bei Grundrechtseingriffen gege- ben. Es könne aber ausnahmsweise fehlen, wenn sich der Betroffene nicht rechtstreu verhalte. So liege es hier. Der Betroffene habe sich unter Verstoß gegen die Meldevorschriften nicht ordnungsgemäß angemeldet.
III.
- 4
- Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
- 5
- 1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig. Zwar hat die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen dessen aktuelle Anschrift nicht angegeben. Das änderte aber an der Zulässigkeit des Rechtsmittels nur etwas, wenn der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens ohne Angabe der ladungsfähigen Anschrift gefährdet wäre oder die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubte (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 - V ZB 54/14 InfAuslR 2015, 104 Rn. 5 u. vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, juris Rn. 5). Diese Ausnahmetatbestände liegen hier nicht vor. Der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens wird durch die fehlende Angabe der Anschrift des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Dass und aus welchen Gründen sich der Betroffene mit der Stellung des Antrags rechtsmissbräuchlich verhalten würde, ist nicht erkennbar.
- 6
- 2. Das Rechtsmittel ist begründet.
- 7
- a) Die Beschwerde des Betroffenen ist statthaft und auch sonst zulässig. Das Beschwerdeverfahren hat sich zwar mit der Entlassung des Betroffenen aus der Haft am 25. Juli 2014 in der Hauptsache erledigt. Es konnte aber nach § 62 Abs. 1 FamFG mit dem Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung fortgesetzt werden. Ein solcher Antrag soll dem Betroffenen eine Möglichkeit geben, sich auch nach ihrer Beendigung gegen die unberechtigte Freiheitsentziehung und den in ihr enthaltenen Vorwurf zur Wehr zu setzen (Senat, Beschluss vom 31. Januar 2013 - V ZB 22/12, BGHZ 196, 118 Rn. 12). Dieses Interesse ist auch bei einem späteren rechtswidrigen Verhalten des Betroffenen anzuerkennen (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2016 - V ZB 174/14, juris Rn. 6). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Beschluss des Senats vom 18. Februar 2016 in einer gleich gelagerten Sache Bezug genommen (Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 74/15, juris Rn. 13 f.).
- 8
- b) Die Beschwerde ist auch begründet.
- 9
- aa) Zur sachlichen Bescheidung der Beschwerde ist der Senat in der Lage. Das Beschwerdegericht hat sich zwar, da es die Beschwerde als unzulässig angesehen hat, nicht inhaltlich mit der Haftanordnung befasst. Die Endentscheidung in der Sache erfordert aber keine zusätzlichen Feststellungen.
- 10
- bb) Die Haftanordnung war schon deshalb rechtswidrig, weil abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 bis 10). Diese Richtlinie ist auf die Haft zur Sicherung von Rücküberstellungen sowohl nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 (ABl. Nr. L 50 S. 1 - sogenannte Dublin-II-Verordnung) als auch nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl. Nr. L 180 S. 31 - sogenannte Dublin-III-Verordnung) anzuwenden (Senat, Beschlüsse vom 20. November 2014 - V ZB 54/14, InfAuslR 2015, 104 Rn. 8 für Dublin-IIVerordnung und vom 3. März 2015 - V ZB 108/14, juris Rn. 1 für Dublin-IIIVerordnung ). Seine richtlinienwidrige Praxis hat das Land Nordrhein-Westfalen erst mit Runderlass des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 25. Juli 2015 (15-39.16.04-2-13-339(2604), veröffentlicht im Sammelblatt Nordrhein -Westfalen) aufgegeben.
IV.
- 11
- Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 36 Abs. 3 GNotKG.
Göbel Haberkamp
Vorinstanzen:
AG Kleve, Entscheidung vom 11.06.2014 - 22 XIV 27/14 B -
LG Kleve, Entscheidung vom 29.04.2015 - 4 T 491/14 -
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn
(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.
(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.
(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.
(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.
(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.
(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.
(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn
- 1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat; - 2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste; - 3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat; - 4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat; - 5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.
(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.
(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.
(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.
(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.
Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.
(1) Soweit sich in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt und er auch sonst nicht feststeht, ist er nach billigem Ermessen zu bestimmen.
(2) Soweit sich in einer nichtvermögensrechtlichen Angelegenheit der Geschäftswert aus den Vorschriften dieses Gesetzes nicht ergibt, ist er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beteiligten, nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht über 1 Million Euro.
(3) Bestehen in den Fällen der Absätze 1 und 2 keine genügenden Anhaltspunkte für eine Bestimmung des Werts, ist von einem Geschäftswert von 5 000 Euro auszugehen.
(4) Wenn sich die Gerichtsgebühren nach den für Notare geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Notare geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden. Wenn sich die Notargebühren nach den für Gerichte geltenden Vorschriften bestimmen, sind die für Gerichte geltenden Wertvorschriften entsprechend anzuwenden.