Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2014 - V ZB 54/14
Gericht
Tenor
-
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 28. Januar 2014 und der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Krefeld vom 13. März 2014 den Betroffenen bis zum 17. März 2014 in seinen Rechten verletzt haben.
-
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
-
Der Gegenstandswert in allen Instanzen beträgt 5.000 €.
Gründe
-
I.
- 1
-
Der Betroffene, ein russischer Staatsangehöriger, reiste am 20. Januar 2014 aus den Niederlanden nach Deutschland ein und führte lediglich eine italienische Carta d'Identità (Identitätsausweis), die nach ihrem Aufdruck auf der Rückseite nicht für die Ausreise gilt, und einen italienischen Permesso di Soggiorno (Aufenthaltserlaubnis) bei sich. Eine Recherche in dem EURODAC-Register ergab, dass er im März 2011 in Belgien und im Juni 2011 in Italien Asyl beantragt hatte. Die belgischen Behörden teilten auf Nachfrage mit, dass der Betroffene von dort nach Italien zurückgeführt worden sei. Das Amtsgericht ordnete im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 23. Februar 2014 an, die in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen wurde.
- 2
-
Mit Beschluss vom 28. Januar 2014 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 20. März 2014 angeordnet. Die Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 13. März 2014 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Zurückschiebung nach Italien am 17. März 2014 mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen, soweit sie vollzogen worden ist.
-
II.
- 3
-
Das Beschwerdegericht hält die Anordnung der Haft für rechtmäßig. Ihr stehe insbesondere nicht entgegen, dass sie in der Justizvollzugsanstalt Büren vollzogen werde. Dort werde zwar auch Strafhaft vollzogen. Das sei aber nach § 62a AufenthG nicht zu beanstanden, da es in Nordrhein-Westfalen keine speziellen Abschiebungshafteinrichtungen gebe. Unerheblich sei auch, dass in dieser Justizvollzugsanstalt Betroffene, die einen Asylantrag gestellt hätten, nicht von solchen getrennt würden, die einen solchen Antrag nicht gestellt hätten. Eine solche Vorgabe folge zwar aus Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2013/33/EU (ABl. Nr. L 180 S. 96). Die Frist zu deren Umsetzung sei aber noch nicht abgelaufen.
-
III.
- 4
-
Diese Erwägungen halten einer rechtlichen Prüfung im Ergebnis nicht stand.
- 5
-
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Rechtsbeschwerdeschrift enthält zwar keine aktuelle ladungsfähige Anschrift des Betroffenen. Diese Angabe ist aber keine Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels (BGH, Urteile vom 9. Dezember 1987 - IVb ZR 4/87, BGHZ 102, 332, 333 f. und vom 11. Oktober 2005 - XI ZR 398/04, NJW 2005, 3773 sowie Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 10). Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn ohne die Angabe der ladungsfähigen Anschrift der geordnete Ablauf des Rechtsmittelverfahrens gefährdet ist oder wenn die fehlende Angabe der ladungsfähigen Anschrift Rückschlüsse auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betroffenen erlaubt, etwa darauf, dass er das Verfahren aus dem Verborgenen führen will, um sich Ansprüchen gegen ihn zu entziehen (BGH, Beschluss vom 1. April 2009 - XII ZB 46/08, NJW-RR 2009, 1009 Rn. 13, 18 f.). Für das Vorliegen solcher Ausnahmen ist hier nichts ersichtlich.
- 6
-
2. Das Rechtsmittel ist auch begründet.
- 7
-
a) Die Haftanordnung des Amtsgerichts und ihre Aufrechterhaltung durch das Beschwerdegericht haben den Betroffenen jedenfalls deshalb in seinen Rechten verletzt, weil abzusehen war, dass die Haft in der Justizvollzugsanstalt Büren und damit unter Verletzung der im Lichte von Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG auszulegenden Vorschrift des § 62a Abs. 1 AufenthG vollzogen werden würde (vgl. näher Senat, Beschluss vom 25. Juli 2014 - V ZB 137/14, FGPrax 2014, 230 Rn. 7 bis 10).
- 8
-
b) Die Vorgaben der Richtlinie sind auch für Rücküberstellungen nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl. Nr. L 180 S. 31 - sog. Dublin-III-Verordnung) einzuhalten. Die Bedingungen für die Inhaftierung von Betroffenen zur Sicherung solcher Rücküberstellungen richten sich zwar gemäß Art. 28 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung nach den Art. 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU, die nach ihrem Art. 31 Abs. 1 bis zum 20. Juli 2015 umzusetzen ist. Das bedeutet aber nicht, dass die Vorgaben der Art. 15 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis dahin bei Rücküberstellungen nicht einzuhalten wären. Diese gelten zwar nur für die Inhaftierung zur Sicherung einer Rückkehr in das Heimatland. Eine Rücküberstellung in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (sowohl nach der Dublin-II-Verordnung als auch nach der Dublin-III-Verordnung) wird aber in Art. 6 Abs. 2 dieser Richtlinie einer Rückkehr in das Heimatland gleichgestellt. Die Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG sind deshalb bis zum Ablauf der Frist für die Umsetzung der Richtlinie 2013/33/EU auch bei Rücküberstellungen einzuhalten. Das ist hier nicht geschehen und führt zur Rechtswidrigkeit der Haft.
- 9
-
c) Die richtlinienkonforme Unterbringung hat das Rechtsbeschwerdegericht unabhängig von einer Rüge des Betroffenen zu prüfen, weil dies eine materielle Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft betrifft und weil die gebotene möglichst wirksame Anwendung des Rechts der Union (effet utile) anders nicht zu erreichen ist. Die Anwendung der genannten Vorschrift steht auch nicht zur Disposition des Betroffenen oder anderer Beteiligter (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - Rs. C-474/13 - Pham, ECLI:EU:C:2014:2096 Rn. 22 f.; Senat, Beschluss vom 25. September 2014 - V ZB 144/12, juris Rn. 6).
- 10
-
3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
-
Stresemann Schmidt-Räntsch Czub
-
Weinland Kazele
moreResultsText
Annotations
(1) Die Abschiebungshaft wird grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen. Werden mehrere Angehörige einer Familie inhaftiert, so sind diese getrennt von den übrigen Abschiebungsgefangenen unterzubringen. Ihnen ist ein angemessenes Maß an Privatsphäre zu gewährleisten.
(2) Den Abschiebungsgefangenen wird gestattet, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen, den zuständigen Konsularbehörden und einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen Kontakt aufzunehmen.
(3) Bei minderjährigen Abschiebungsgefangenen sind unter Beachtung der Maßgaben in Artikel 17 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) alterstypische Belange zu berücksichtigen. Der Situation schutzbedürftiger Personen ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
(4) Mitarbeitern von einschlägig tätigen Hilfs- und Unterstützungsorganisationen soll auf Antrag gestattet werden, Abschiebungsgefangene zu besuchen.
(5) Abschiebungsgefangene sind über ihre Rechte und Pflichten und über die in der Einrichtung geltenden Regeln zu informieren.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.