vorgehend
Amtsgericht Bottrop, 16 K 40/05, 19.08.2008
Landgericht Essen, 7 T 470/08, 08.12.2009

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 215/09
vom
16. Dezember 2010
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 16. Dezember 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, die Richter
Dr. Czub und Dr. Roth und die Richterin Dr. Brückner

beschlossen:
Den Beteiligten zu 1 und 2 wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde gewährt. Auf die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des Landgerichts Essen vom 8. Dezember 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 19. August 2008 (16 K 40/05) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Zuschlagbeschluss eingestellt. Der Gegenstandswert für die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 und 2 beträgt 234.000 €, für die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 5 beträgt er 224.968,43 €.

Gründe:


I.

1
Die Beteiligten zu 4 und 5 betreiben die Zwangsversteigerung in das Grundstück der miteinander verheirateten Schuldner. Dieses ist mit einem Einfamilienhaus bebaut, in welchem die Schuldner leben. In dem Versteigerungstermin vom 15. Juli 2008 blieb die Beteiligte zu 7 Meistbietende. Mit Beschluss vom 19. August 2008 hat das Vollstreckungsgericht ihr den Zuschlag erteilt.
2
Hiergegen haben die Schuldner sofortige Beschwerde mit der Begründung erhoben, sie seien psychisch erkrankt und würden sich selbst töten, sollten sie aufgrund des Zuschlags ihr Heim verlieren. Das Landgericht hat die Beschwerde im Hinblick auf das Insolvenzverfahren, welches über das Vermögen der Schuldner eröffnet worden ist, zunächst als unzulässig verworfen. Nach Aufhebung dieses Beschlusses durch den Senat und Zurückverweisung der Sache hat das Landgericht die sofortige Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen wenden sich die Schuldner mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3
Das Beschwerdegericht hält eine konkrete Suizidgefahr bei den Schuldnern für nicht erkennbar. Der Zustand der Schuldnerin habe sich nach ärztlicher Auskunft so weit verbessert, dass der Verlust des Hauses sie nicht mehr in den Freitod treiben werde. Soweit hinsichtlich ihres Ehemanns eine akute Suizidgefahr behauptet werde, vermöge sich die Kammer dieser Einschätzung nicht anzuschließen. In dem vorgelegten Attest werde die Gefahr eines Suizids nicht angesprochen. Die Ordnungsbehörde habe im September und Oktober 2008 keine Notwendigkeit für eine Unterbringung nach dem PsychKG gesehen. In einem Schreiben des Gesundheitsamts vom September 2008 heiße es, dass aus psy- chiatrischer Sicht im Moment kein Anhaltspunkt für eine Eigen- oder Fremdgefährdung vorliege. Entsprechend habe auch die Betreuungsstelle für Erwachsene keinen Handlungsbedarf gesehen. Soweit nunmehr mit Schriftsatz vom 17. September 2009 geltend gemacht werde, dass bei dem Schuldner immer noch eine akute Suizidgefahr bestehe, gebe es für die Richtigkeit dieses Vorbringens keine Anhaltspunkte. Weitere Ermittlungen seien deshalb abzulehnen. Allein das erhöhte Selbsttötungsrisiko bei Vorliegen einer Depressionserkrankung rechtfertige nicht die einstweilige oder dauerhafte Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens; dargelegt und nachgewiesen werden müsse eine konkrete Suizidgefahr.
4
Dabei werde nicht verkannt, dass die Schuldner im Juli 2008 für den Fall eines Verlusts des Privathauses mit dem Freitod gedroht hätten. Eine solche Drohung könne jedoch nicht zur Aufhebung oder Einstellung einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme führen, wenn erkennbar sei, dass der Schuldner im Hinblick auf seine aus seiner Sicht aussichtslose wirtschaftliche und persönliche Lage den Freitod wähle, wenn also die Entscheidung für den Suizid auf einem freien, von einer Krankheit unbeeinflussten Willen beruhe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Berufung auf den grundrechtlichen Schutz von Leben und Gesundheit nicht selten rechtsmissbräuchlich sei. Vorliegend spreche viel, wenn nicht alles dafür, dass die Schuldner die nicht auszuschließende Suizidgefahr instrumentalisierten.

III.

5
1. Den Rechtsbeschwerdeführern ist gemäß § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Sie waren ohne ihr Verschulden gehindert, die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu wahren, weil sie zur Fertigung der Begründung auf die - rechtzeitig beantragte - Bewilligung von Prozesskostenhilfe angewiesen waren, der Senat diese aber erst nach Ablauf der Begründungsfrist ausgesprochen hat. Die Frist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist gewahrt.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung durch das Beschwerdegericht statthaft (§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO), obwohl einer der im Gesetz genannten Zulassungsgründe (§ 574 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegt. Ein solcher ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit eines der Beteiligten gefährdet sein könnte (vgl. näher Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 82/10, juris).
7
3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
8
a) Wie das Beschwerdegericht im Ausgangspunkt nicht verkennt, kann die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Schuldners oder eines nahen Angehörigen wegen der Zwangsversteigerung seines Grundstücks zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und zur einstweiligen Einstellung des Verfahrens gemäß § 765a ZPO führen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die auf den Zuschlagsbeschluss zurückzuführende Gefahr der Selbsttötung sich erstmals nach dessen Erlass gezeigt hat, oder ob sie schon zuvor latent vorhanden war und sich durch den Zuschlag im Rahmen eines dynamischen Geschehens weiter vertieft hat (Senat, Beschluss vom 18. September 2008 - V ZB 22/08, NJW 2009, 80; Beschluss vom 24. November 2005 - V ZB 99/05, NJW 2006, 505).
9
Rechtsfehlerhaft nimmt das Beschwerdegericht aber an, dass eine vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht in Betracht komme, wenn der drohende Suizid auf einem freien, von einer Krankheit unbeeinflussten Willen beruht. Eine solche Sichtweise wird dem in Art. 2 Abs. 2 GG enthaltenen Gebot zum Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nicht gerecht. Die Unfähigkeit , aus eigener Kraft oder mit zumutbarer fremder Hilfe die Konfliktsituation situationsangemessen zu bewältigen, verdient auch dann Beachtung, wenn ihr kein Krankheitswert zukommt. Die Einstufung eines drohenden Suizids als "Bi- lanzselbstmord" ändert nichts daran, dass das Leben des Schuldners durch die bevorstehenden Zwangsvollstreckungsmaßnahme in Gefahr ist und diese Gefahr bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen berücksichtigt werden muss (BVerfG NJW-RR 2001, 1523, 1524). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Beschwerdegericht einen drohenden Suizid des Schuldners als "Bilanzselbstmord" eingestuft und deshalb die Voraussetzungen für die Gewährung von Vollstreckungsschutz verneint hat, unterliegt der angefochtene Beschluss bereits aus diesem Grund der Aufhebung.
10
b) Aber auch unabhängig von den Erwägungen zu einem "Bilanzselbstmord" hält der Beschluss rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
Das Beschwerdegericht beachtet nicht, dass die Gerichte durch ihre Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen haben, damit Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst ausgeschlossen werden. Dies kann es insbesondere erfordern, Beweisangeboten des Schuldners hinsichtlich seines Vorbringens, ihm drohten schwerwiegende Gesundheitsbeeinträchtigungen , im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG besonders sorgfältig nachzugehen (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 1972, 1973 mwN). Hierfür besteht Anlass, wenn das Gericht zwar von einer erhöhten Suizidgefahr ausgeht, diese aber nach dem Vortrag des Schuldners als nicht hinreichend konkret ansieht. Da das Gericht die Ernsthaftigkeit einer Suizidgefahr mangels eigener medizinischer Sachkunde ohne sachverständige Hilfe in aller Regel nicht beurteilen kann, ist es im Zweifel gehalten, dem Antrag des Schuldners auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen.
12
So verhält es sich auch hier. Das Beschwerdegericht geht hinsichtlich des Schuldners einerseits von einem erhöhten bzw. nicht auszuschließenden Selbsttötungsrisiko aus, meint aber andererseits, dass eine konkrete Suizidgefahr nicht überzeugend dargelegt worden sei. Es verkennt damit, dass der Schuldner weder verpflichtet ist, das Gericht bereits durch seinen Vortrag davon zu überzeugen, dass eine konkrete Suizidgefahr besteht, noch dass er diese Gefahr durch Beibringung von Attesten nachweisen muss. Die Richtigkeit der Behauptungen des Schuldners muss sich, wie auch sonst in Verfahren, die nach der Zivilprozessordnung durchzuführen sind, im Rahmen der Beweisaufnahme erweisen. Diese durchzuführen, ist Sache des Gerichts. Deshalb ist es verfehlt, wenn das Beschwerdegericht den Vortrag des Schuldners in dessen Schriftsatz vom 17. September 2009 mit der Begründung für unerheblich hält, für die Richtigkeit des Vorbringens gebe es keine Anhaltspunkte. Ein solcher Anhaltspunkt stellte im Übrigen die Äußerung des Sozialpsychiatrischen Dienstes vom 14. April 2009 dar, wonach eine Suizidgefahr bei den Schuldnern nicht auszuschließen sei. Demgegenüber lagen die anderen Äußerungen von Behördenseite zeitlich zu lange zurück, um auf ihrer Grundlage eine Suizidgefahr zu verneinen. Das Beschwerdegericht hätte deshalb den angebotenen Beweis erheben und mit sachverständiger Hilfe klären müssen, ob bei endgültiger Erteilung des Zuschlags und der aus dem Zuschlagsbeschluss zu erwartenden Zwangsräumung die behauptete ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung besteht.
13
c) Die angefochtene Entscheidung stellt sich schließlich nicht aufgrund der Annahme des Beschwerdegerichts als richtig dar, es spreche viel, wenn nicht alles dafür, dass die Schuldner die nicht auszuschließende Suizidgefahr instrumentalisierten , um ihren Grundbesitz zu erhalten. Dass Suizidabsichten vorgespiegelt sein können, um unberechtigt Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO zu erlangen , ist bekannt. Es ist dem Tatrichter daher unbenommen, einen Sachverhalt unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände entsprechend zu würdigen und den beantragten Vollstreckungsschutz zu versagen. Bleibt, wie hier, aber letztlich offen, ob eine Suizidgefahr nur vorgespiegelt wird oder tatsächlich besteht , darf von einer notwendigen Beweisaufnahme nicht aufgrund des bloßen Verdachts, der Schuldner handele rechtsmissbräuchlich, abgesehen werden.

IV.

14
Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben, er ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
15
Es werden zunächst Feststellungen dazu zu treffen sein, ob bei einem endgültigen Eigentumsverlust durch den Eintritt der Rechtskraft des Zuschlagsbeschlusses ernsthaft mit einem Suizid des Schuldners zu rechnen ist. Der Nachweis , dass es bei Fortsetzung des Verfahrens zu einer Selbsttötung kommen wird, ist nicht erforderlich (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 82/10 Rn. 23, juris).
16
Ist danach eine konkrete Suizidgefahr zu bejahen, wird weiter zu prüfen sein, ob dieser Gefahr auf andere Weise als durch die vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann, zum Beispiel durch eine vorläufige Unterbringung des Beteiligten zu 2 (vgl. näher Senat, Beschluss vom 14. Juni 2007 - V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3720 f.). Für das in diesem Fall notwendige Verfahren zur Vermeidung einer Blockade zwischen Vollstreckungs- und Betreuungsgericht wird auf den Beschluss des Senats vom 15. Juli 2010 (V ZB 1/10, WuM 2010, 587, 588) verwiesen.

V.

17
Da aus dem Zuschlagsbeschluss schon vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts auszusprechen (§ 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO).

VI.

18
Eine Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde wird nicht veranlasst sein. Gerichtskosten sind nicht entstanden. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten kommt nicht in Betracht, da sich die Beteiligten bei einer Zuschlagsbeschwerde in der Regel, und so auch hier, nicht als Parteien im Sinne der §§ 91 ff. ZPO gegenüberstehen (Senat, BGHZ 170, 378, 381 Rn. 7).
19
Die Wertfestsetzung für die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten zu 1 und 2 beruht auf § 26 Nr. 2 RVG, diejenige für die Kosten der Beteiligten zu 5 auf § 26 Nr. 1 RVG. Krüger Stresemann Czub Brückner Roth
Vorinstanzen:
AG Bottrop, Entscheidung vom 19.08.2008 - 16 K 40/05 -
LG Essen, Entscheidung vom 08.12.2009 - 7 T 470/08 -

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Tenor Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 5. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

23
Bei der von dem Schuldner geltend gemachten Suizidgefahr ist der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO jedoch nicht schon dann zu versagen, wenn - wie hier - das Beweisergebnis nach einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung in Bezug auf das künftige Verhalten der Schuldnerin offen ist. Die Einwendung des Schuldners setzt nicht den Nachweis voraus, dass es bei der Durchführung der Vollstreckung zu einer Selbsttötung kommen wird. Der Beweis einer konkreten Lebensgefahr ist erbracht, wenn nach den von dem Tatrichter zu würdigenden Umständen die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung besteht (Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZR 199/09, Umdr. S. 5 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.

(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 99/05
vom
24. November 2005
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Schuldners wegen der Zwangsversteigerung
seines Grundstücks kann zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und zur
einstweiligen Einstellung des Verfahrens auch dann führen, wenn sie sich erst nach
Verkündung des Zuschlagsbeschlusses aufgrund während des Beschwerdeverfahrens
zu Tage getretener neuer Umstände ergibt (Abgrenzung zu BGHZ 44, 138).
BGH, Beschl. v. 24. November 2005 - V ZB 99/05 - LG Landshut
AG Landshut
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 24. November 2005 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Klein, Dr. SchmidtRäntsch
, Zoll, Dr. Roth

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldner wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 2. Mai 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 12.000 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsversteigerung in das eingangs bezeichnete Grundstück der Schuldner. Diese haben unter Hinweis auf bestehende Suizidabsichten für den Fall der Zwangsversteigerung und unter Vorlage eines ärztlichen Gutachtens beantragt, das Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 765a ZPO einstweilen, mindestens für einen Zeitraum von sechs Monaten einzustellen. Das Vollstreckungsgericht hat im Anschluss an den Versteigerungstermin , in dem Termin zur Verkündung einer Entscheidung über den Zuschlag bestimmt wurde, ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der Suizidgefährdung eingeholt. Sodann hat es in dem Verkündungstermin der Meistbietenden für 154.510 € den Zuschlag erteilt und den Antrag der Schuldner auf Einstellung des Verfahrens unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen zurückgewiesen. Hiergegen haben die Schuldner sofortige Beschwerde eingelegt. Das Beschwerdegericht hat diese nach weiterer Beweiserhebung zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgen die Schuldner ihren Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung weiter.

II.

2
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
3
1. Das Beschwerdegericht führt aus:
4
Für die Anfechtung der Zuschlagsentscheidung sei anerkannt, dass bei der Beschwerdeentscheidung abweichend von § 570 ZPO neues tatsächliches Vorbringen nicht berücksichtigt werden könne. Aus § 100 ZVG ergebe sich, dass die einem Zuschlag entgegenstehenden Tatsachen, die zeitlich nach der Erteilung des Zuschlags eingetreten oder dem Versteigerungsgericht bekannt geworden seien, bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde unberücksichtigt bleiben müssten. Dies gelte auch für die Beurteilung der Voraussetzungen des § 765a ZPO im Rahmen der Zuschlagsentscheidung des Versteigerungsgerichts. Das Beschwerdegericht müsse sich folglich auf diejenigen Tatsachen beschränken, die bereits das Versteigerungsgericht bei der Erteilung des Zuschlags habe berücksichtigen können.
5
Das Versteigerungsgericht habe aufgrund der von ihm eingeholten psychiatrischen Gutachten von einer Besserung des psychischen Zustandes des Schuldners und dem Vorliegen einer nur noch leichten bis mittelschweren depressiven Störung ohne akute Suizidalität ausgehen dürfen und müssen. Der gerichtliche Sachverständige habe eine Verbesserung des psychischen Zustandes des Schuldners festgestellt, so dass die Ausführungen des behandelnden Arztes Professor Dr. Dr. S. in seinem früheren fachärztlichen Gutachten, bei dem Schuldner liege eine schwere reaktive Depression mit Suizidgefahr vor, als überholt habe erscheinen dürfen.
6
Demgegenüber sei die Feststellung in den von dem Beschwerdegericht eingeholten Gutachten, dass sich der psychische Zustand des Schuldners verschlechtert habe und nunmehr eine schwere depressive Anpassungsstörung vorliege, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei letztlicher Zuschlagserteilung eine akute Suizidalität erwarten lasse, eine neue Tatsache, die nicht mehr zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses führen könne. Aus diesen beiden Gutachten gehe deutlich hervor, dass der Zustand der schweren Depression erst einige Zeit nach dem Zuschlagsbeschluss eingetreten sei, was sich insbesondere aus den Äußerungen des Schuldners gegenüber der Diplompsychologin H. ergebe. Der mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses drohenden Kurzschlussreaktion durch den Schuldner könne folglich nicht mit den Mitteln des Zwangsversteigerungsrechtes, sondern nur mit den Mitteln des Bayerischen Unterbringungsgesetzes Rechnung getragen werden.
7
2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
8
a) Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 4. Mai 2005 (I ZB 10/05, NJW 2005, 1859, zur Veröffentlichung in BGHZ 163, 66 bestimmt) entschieden , nach welchen Maßstäben bei bestehender Suizidgefahr im Falle ei- ner Zwangsräumung über den Einstellungsantrag eines Schuldners nach § 765a ZPO zu befinden ist. Danach schließt eine für den Fall einer Zwangsräumung bestehende Suizidgefahr eine Räumungsvollstreckung nicht von vornherein vollständig aus. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der in der Zwangsvollstreckung gewährleisteten Grundrechte eine Würdigung aller Umstände vorzunehmen. Diese kann in besonders gelagerten Einzelfällen auch dazu führen, dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen - auf unbestimmte Zeit einzustellen ist.
9
Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Auch dieser kann sich auf Grundrechte berufen. Unterbleibt die Räumungsvollstreckung wegen der Annahme einer Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen und sein verfassungsrechtlicher Anspruch auf tatsächlich wirksamen Rechtsschutz seines Eigentums (Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt.
10
Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, aber auch die Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung nach den einschlägigen Landesgesetzen. Nicht zuletzt ist aber auch der Gefährdete selbst gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern. Einem Schuldner kann dementsprechend, wenn er dazu in der Lage ist, zugemutet werden, fachliche Hilfe - gegebenenfalls auch durch einen stationären Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr auszuschließen oder zu verringern.
11
Dies entspricht den verfassungsrechtlichen Maßstäben für eine Zwangsräumung in Fällen bestehender Suizidgefahr, die auch gelten, soweit es darum geht, ob ein Zwangsversteigerungsverfahren wegen der bei endgültiger Zuschlagserteilung und Zwangsräumung des Grundstücks drohenden Gefahr der Selbsttötung des Schuldners einstweilen einzustellen ist (vgl. BVerfGE 52, 214; BVerfG, NJW 1991, 3207; 1992, 1378; 1994, 1272; 1719; 1998, 295; 2004, 49; NJW-RR 2001, 1523; NZM 2005, 657).
12
b) Den dargelegten Maßstäben wird der angefochtene Beschluss nicht in vollem Umfang gerecht.
13
aa) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Beschwerdegericht das Beweisergebnis tatrichterlich dahin würdigt, bei Erteilung des Zuschlags habe eine akute Gefahr der Selbsttötung nicht bestanden. Entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung lässt die Gesamtwürdigung der Vorinstanzen auch unter verfassungsrechtlichen Maßstäben keinen Rechtsfehler erkennen. Sie setzt sich nach sachverständiger Beratung ausführlich mit den für und gegen eine akute Suizidgefahr sprechenden Umständen auseinander und lässt insbesondere nicht außer Acht, dass der behandelnde Arzt in dem mit dem Einstellungsantrag vorgelegten Gutachten eine Suizidgefahr bejaht hat. Das Beschwerdegericht stützt sich für seine Würdigung maßgeblich auch auf die zeitliche Entwicklung des Befindens der Schuldner und hält im Hinblick darauf die Ausführungen in dem älteren Gutachten des behandelnden Arztes für überholt. Darin kann ein Rechtsfehler nicht gesehen werden.
14
Die in der Rechtsbeschwerdebegründung wieder aufgegriffene Beanstandung , der gerichtliche Sachverständige habe sich ausschließlich auf die „Hamilton-Depressions-Skala“ gestützt, hat das Beschwerdegericht nicht als durchgreifend angesehen. Das ist nicht zu beanstanden, nachdem der gerichtliche Sachverständige in seiner von dem Beschwerdegericht eingeholten ergänzenden Erklärung dazu ebenso Stellung genommen hatte wie zu der mit der Beschwerde eingereichten Äußerung des behandelnden Arztes, er halte die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen zur Schwere der Erkrankung für unhaltbar.
15
Die Rechtsbeschwerde vermag deshalb auch nicht ausreichend darzulegen , dass ein weiteres Gutachten zwingend einzuholen war (§ 412 ZPO). In Anbetracht der noch im Beschwerdeverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen und ihrer Würdigung durch das Beschwerdegericht durfte es die Frage, ob im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung eine Selbsttötungsgefahr bestand , für ausreichend geklärt halten. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus den Darlegungen der Rechtsbeschwerde zum unterschiedlichen Untersuchungsumfang der Sachverständigen. Diese musste das Beschwerdegericht angesichts der von ihm angenommenen Besserung des Gesundheitszustandes des Schuldners nicht für wesentlich halten. Dass es den Vortrag der Schuldner zu diesem Gesichtspunkt nicht übersehen hat, ergibt sich aus der Sachverhaltsdarstellung der angefochtenen Entscheidung.
16
bb) Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdegericht aber, soweit es das Ergebnis der von ihm selbst veranlassten Zusatzgutachten der Diplompsychologin H. und des gerichtlichen Sachverständigen unbeachtet lassen will, sofern sich daraus ergibt, dass eine akute Selbsttötungsgefahr deshalb besteht, weil sich der Zustand des Schuldners nach der Zuschlagsentscheidung verschlechtert hat.
17
(1) Zwar kann die Zuschlagsbeschwerde, auch soweit der Zuschlagsbeschluss einen Antrag nach § 765a ZPO zurückweist, nicht auf neue Tatsachen gestützt werden (Senatsurt., BGHZ 44, 138, 143 f.). Der Senat hat dies seinerzeit wie folgt begründet: Nach § 100 ZVG kann die Zuschlagsbeschwerde nur auf bestimmte, vor der Erteilung des Zuschlags liegende Rechtsmängel gestützt werden. Daraus ergibt sich, dass die die Rechtsmängel begründenden Tatsachen , die zeitlich später liegen oder erst später dem Versteigerungsgericht bekannt geworden sind, bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde unberücksichtigt bleiben müssen und deshalb bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde die Anwendung der Vorschrift des § 571 Abs. 2 ZPO (damals § 570 ZPO a.F.) ausgeschlossen ist. Diese strenge Regelung des Gesetzes hat ihren Grund darin, dass schon durch die Erteilung des Zuschlags, der mit der Verkündung wirksam ist (§ 89 ZVG), der Ersteher das Eigentum erworben hat (§ 90 Abs. 1 ZVG). Der Zuschlagsbeschluss kann zwar im Beschwerdeweg rechtskräftig wieder aufgehoben werden (§ 90 Abs. 1 ZVG). Die Rechtssicherheit erfordert es aber, dass dies nur in ganz bestimmten Fällen, nämlich nur in den in § 100 ZVG aufgeführten, geschieht, in denen dem Versteigerungsgericht ein wesentlicher Rechtsfehler unterlaufen ist.
18
Daran ist im Grundsatz festzuhalten. Ob es bei Grundrechtsbeeinträchtigungen generell einer abweichenden Betrachtung bedarf, weil es mit dem Grundsatz effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist, wenn der Zuschlagsbeschluss nicht in jeder Richtung auf seine Verfassungsmäßigkeit durch die Gerichte geprüft wird und der Betroffene mit späterem Vorbringen ausgeschlossen wird (vgl. die abweichende Meinung des Richters Dr. Böhmer zur Begründung des Beschlusses BVerfGE 49, 220 ff., S. 240 ff.; anders BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1993, 2 BvR 1171/92, dokumentiert bei JURIS), kann hier dahin stehen. Jedenfalls ist dem Bedeutungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 GG bei der Auslegung und Anwendung der Verfahrensvorschriften angemessen Rechnung zu tragen. Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um Verfassungsverletzungen durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst auszuschließen. Das Verfahren der Vollstreckungsgerichte ist so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten Genüge getan wird (vgl. BVerfGE 52, 214, 219 ff.; BVerfG, NJW 1991, 3207; 1994, 1719 f.; 1998, 295, 296; NJW-RR 2001, 1523; NZM 2005, 657, 658).
19
(2) Nach diesem Maßstab darf eine im Zuschlagsbeschwerdeverfahren vorgetragene oder sogar schon durch Gutachten als bewiesen anzusehende Suizidgefahr jedenfalls bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht unter Hinweis auf die dargestellten Grundsätze des Senatsurteils (BGHZ 44, 138) außer Betracht gelassen werden, sofern der Eigentumsverlust durch den Zuschlag der für die Suizidgefahr maßgebliche Grund ist.
20
Gemäß § 100 Abs. 1, Abs. 3 ZVG besteht ein von Amts wegen zu berücksichtigender Versagensgrund unter anderem dann, wenn die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund unzulässig ist (§ 83 Nr. 6 ZVG). Eine Gefährdung des unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG stehenden Lebens des Schuldners ist ein solcher Grund. Unerheblich ist dabei, ob die Suizidgefahr nur bei einem von mehreren Schuldnern besteht, wenn - wie hier - die Zwangsversteigerung nur insgesamt durchgeführt werden kann und der gefährdete Schuldner von einer späteren Zwangsräumung jedenfalls mit betroffen wird.
21
Fälle der vorliegenden Art sind vielfach dadurch geprägt, dass bei entsprechender Veranlagung des Schuldners eine Suizidneigung in unterschiedlichen Verfahrensabschnitten mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Der Streitfall macht deutlich, dass es sich um ein dynamisches Geschehen handelt, bei dem der Grad der Gefahr je nach dem Untersuchungs- und Beurteilungszeit- punkt von den Fachärzten unterschiedlich bewertet wird. Dabei mag es sein, dass - wie es das Beschwerdegericht im Streitfall annimmt - eine bereits bestehende Neigung des Schuldners zur Selbsttötung erst nach Erteilung des Zuschlags durch weitere Ereignisse verstärkt wird. Stellt man sich auf den Standpunkt des Beschwerdegerichts, wird es vielfach vom Zufall, nämlich der von zeitlich begrenzten Umständen geprägten Einschätzung der Sachverständigen und Gerichte abhängen, ob der Schuldner durch eine staatliche Entscheidung in Todesgefahr gebracht wird oder nicht.
22
(3) Bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art ist danach vorrangig festzustellen , aus welchem Grund die Absicht zur Selbsttötung besteht.
23
Liegt der Grund lediglich darin, dass der gefährdete Schuldner die nach dem Zuschlag drohende Zwangsräumung, also den Verlust seines bisherigen Lebensmittelpunktes fürchtet, reicht es aus, dass der Suizidgefahr durch einen Antrag auf einstweilige Einstellung der dem Versteigerungsverfahren folgenden Räumungsvollstreckung begegnet werden kann. In diesem Fall dürfen erst im Verfahren der Zuschlagsbeschwerde zu Tage getretene neue Umstände unberücksichtigt bleiben und müssen nicht zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses führen. Allerdings ist stets zu prüfen, ob es sich bei der im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bestehenden Suizidgefahr überhaupt um einen neuen Sachverhalt handelt, wobei ein enger Maßstab anzulegen ist. Bei einem dynamischen Geschehen wird vielfach davon auszugehen sein, dass die Einschätzung des Vollstreckungsgerichts bei der Zuschlagserteilung, es liege keine akute Suizidgefahr vor, bei objektiver, durch die neue Begutachtung gestützter Betrachtung als unrichtig anzusehen ist.
24
Besteht indes die Suizidgefahr schon deshalb, weil der Schuldner den Eigentumsverlust durch Zuschlagserteilung befürchtet, oder ist dies zumindest nicht auszuschließen, ist der Zuschlagsbeschluss nötigenfalls aufzuheben. Bei dieser Sachlage ist es, selbst dann, wenn die Suizidgefahr als neuer Umstand, den das Vollstreckungsgericht so noch nicht hat wahrnehmen können, zu bewerten sein sollte, in keinem Fall gerechtfertigt, dass das Vollstreckungsgericht (bei der Entscheidung über die Abhilfe) oder das Beschwerdegericht vor der nunmehr akut bestehenden Gefahr die Augen verschließt und unter Berufung auf die formale Verfahrensgestaltung sehenden Auges eine Entscheidung bestehen lässt, die mit einiger Wahrscheinlichkeit Ursache für den Tod des Schuldners sein kann in der Hoffnung, dass sich die Gefahr anders (etwa nach den bestehenden Unterbringungsgesetzen) wird abwenden lassen. Eine derartige Verfahrensgestaltung wird dem Wert des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht gerecht. Der für die Rechtsprechung des Senats entscheidende Gesichtspunkt der Rechtssicherheit steht dem ebenso wenig entgegen wie das Grundrecht des Gläubigers oder Erstehers aus Art. 14 GG. § 100 ZVG beschränkt zwar die in Betracht kommenden Zuschlagsversagungsgründe, zeigt aber zugleich, dass Gläubiger und Ersteher nicht davon ausgehen können, der erteilte Zuschlag werde unter allen Umständen Bestand haben.

III.

25
Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Das Beschwerdegericht wird über die sofortige Beschwerde und den Einstellungsantrag nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen erneut zu befinden haben.
Krüger Klein Schmidt-Räntsch Zoll Roth
Vorinstanzen:
AG Landshut, Entscheidung vom 17.01.2005 - 23 K 269/02 -
LG Landshut, Entscheidung vom 02.05.2005 - 32 T 287/05 -

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen. Betrifft die Maßnahme ein Tier, so hat das Vollstreckungsgericht bei der von ihm vorzunehmenden Abwägung die Verantwortung des Menschen für das Tier zu berücksichtigen.

(2) Eine Maßnahme zur Erwirkung der Herausgabe von Sachen kann der Gerichtsvollzieher bis zur Entscheidung des Vollstreckungsgerichts, jedoch nicht länger als eine Woche, aufschieben, wenn ihm die Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 glaubhaft gemacht werden und dem Schuldner die rechtzeitige Anrufung des Vollstreckungsgerichts nicht möglich war.

(3) In Räumungssachen ist der Antrag nach Absatz 1 spätestens zwei Wochen vor dem festgesetzten Räumungstermin zu stellen, es sei denn, dass die Gründe, auf denen der Antrag beruht, erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind oder der Schuldner ohne sein Verschulden an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert war.

(4) Das Vollstreckungsgericht hebt seinen Beschluss auf Antrag auf oder ändert ihn, wenn dies mit Rücksicht auf eine Änderung der Sachlage geboten ist.

(5) Die Aufhebung von Vollstreckungsmaßregeln erfolgt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und des Absatzes 4 erst nach Rechtskraft des Beschlusses.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.

(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.

(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

23
Bei der von dem Schuldner geltend gemachten Suizidgefahr ist der Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO jedoch nicht schon dann zu versagen, wenn - wie hier - das Beweisergebnis nach einer neurologisch-psychiatrischen Begutachtung in Bezug auf das künftige Verhalten der Schuldnerin offen ist. Die Einwendung des Schuldners setzt nicht den Nachweis voraus, dass es bei der Durchführung der Vollstreckung zu einer Selbsttötung kommen wird. Der Beweis einer konkreten Lebensgefahr ist erbracht, wenn nach den von dem Tatrichter zu würdigenden Umständen die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung besteht (Senat, Beschluss vom 30. September 2010 - V ZR 199/09, Umdr. S. 5 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 28/07
vom
14. Juni 2007
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
betreffend den Grundbesitz
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ist mit einer Zwangsvollstreckung die konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des
Schuldners verbunden, so muss das Vollstreckungsgericht, wenn es zur Abwehr dieser
Gefahr die Unterbringung des Schuldners in einer psychiatrischen Einrichtung für erforderlich
hält, mit der Vollstreckungsmaßnahme zuwarten, bis die Unterbringung durch die zuständigen
Behörden und Gerichte angeordnet und durchgeführt worden ist (im Anschluss
an Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 24/05, NJW 2006, 508).

b) Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit hat der Tatrichter, bevor er die Unterbringung
anregt, stets zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung durch ambulante psychiatrische
und psychotherapeutische Maßnahmen begegnet werden kann. Bei der gebotenen
Abwägung mit den Interessen des Gläubigers (und gegebenenfalls des Erstehers)
sind die Erfolgsaussichten einer solchen Behandlung und die voraussichtliche Dauer zu
berücksichtigen.

c) Regt das Vollstreckungsgericht bei den zuständigen Stellen eine Unterbringung an, sollte
es darauf hinweisen, dass die staatliche Aufgabe des Lebensschutzes des Schuldners
nicht in einer dauerhaften Einstellung der Vollstreckung gelöst werden kann und dass daher
die Zwangsvollstreckung fortzusetzen sein wird, wenn die für den Lebensschutz primär
zuständigen Stellen Maßnahmen zum Schutz des Schuldners nicht für notwendig erachten.
BGH, Beschl. v. 14. Juni 2007 - V ZB 28/07 - LG Düsseldorf
AG Neuss
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 14. Juni 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Dr. SchmidtRäntsch
, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners wird der Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 12. Februar 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Neuss vom 5. September 2006 (Az. 032 K 016/03) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde des Schuldners gegen den Zuschlagsbeschluss eingestellt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 18.700 €.

Gründe:


1
Die Beteiligte zu 1 betreibt die Zwangsvollstreckung aus einer für sie an dem Grundstück des Schuldners eingetragenen Grundschuld. Die Versteigerung des Grundstücks wurde im Februar 2003 angeordnet. Die Beteiligten zu 2 bis 4 sind als weitere Gläubiger dem Verfahren beigetreten.
2
Nach mehreren Einstellungen des Verfahrens bestimmte das Vollstreckungsgericht den Versteigerungstermin auf den 12. Juli 2006. Mit Schreiben vom 26. Juni 2006 beantragte der Schuldner unter Hinweis auf eine beigefügte ärztliche Bescheinigung, in der eine konkrete Suizidgefahr bescheinigt wurde, den Termin aufzuheben. Dem wurde nicht entsprochen.
3
Nach Durchführung des Versteigerungstermins hat der Schuldner beantragt , das Verfahren nach § 765a ZPO einstweilen einzustellen. Diesen Antrag hat er mit anwaltlichem Schreiben vom 8. August 2006 wiederholt, dem weitere ärztliche Unterlagen beigefügt waren, die das Vollstreckungsgericht als nicht aussagekräftig angesehen hat. Mit Beschluss vom 5. September 2006 hat es den Zuschlag erteilt und den Vollstreckungsschutzantrag zurückgewiesen.
4
Mit der sofortigen Beschwerde hat der Schuldner u.a. beantragt, den Zuschlagsbeschluss aufzuheben. Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seine im Beschwerdeverfahren zuletzt gestellten Anträge weiter.

II.

5
Das Beschwerdegericht geht, nach Einholung einer weiteren amtsärztlichen Stellungnahme, davon aus, dass der Schuldner infolge des Zwangsversteigerungsverfahrens akut suizidgefährdet ist. Es meint jedoch, dass dieser Gefahr durch eine Unterbringung nach §§ 10 ff. PsychKG (NRW) entgegengewirkt werden könne. Die Voraussetzungen für eine solche Unterbringung sieht es, gestützt auf seine Erfahrungen, die es aus Beschwerdeverfahren in Unterbringungssachen gewonnen hat, als gegeben an. Um eine Unterbringung zu veranlassen, werde es vor der Zustellung der die sofortige Beschwerde zurückweisenden Entscheidung die zuständige Ordnungsbehörde über die amts- ärztlich bescheinigte akute Suizidgefahr informieren und so auf die sofortige Unterbringung des Schuldners hinwirken.

III.

6
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch in der Sache begründet.
7
1. Ohne Erfolg bleibt allerdings der Einwand der Rechtsbeschwerde, dass das Beschwerdegericht möglicherweise bereits das Rechtsschutzziel der Beschwerde verkannt habe, indem es das Rechtsmittel nicht als eine Zuschlagbeschwerde (§§ 96, 100 ZVG), sondern allein als eine sofortige Beschwerde nach § 95 ZVG gegen die Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrages gem. § 765a ZPO angesehen habe. Ein solches Verständnis, das angesichts des Umstands, dass der Schuldner auch die Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses beantragt hat, fehlerhaft wäre, liegt der angegriffenen Entscheidung nicht zugrunde. Das Beschwerdegericht ist vielmehr zutreffend von einer einheitlichen Entscheidung des Vollstreckungsgerichts durch Erteilung des Zuschlags unter gleichzeitiger Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrags ausgegangen, gegen die sich die sofortige Beschwerde gerichtet hat. Der Sache nach – und nur das ist in der Beschwerdeentscheidung hervorgehoben - wendet sich der Schuldner aber allein dagegen, dass sein Vollstreckungsschutzantrag erfolglos geblieben ist. Damit hat er - was möglich ist - die Zuschlagsbeschwerde auf eine Verletzung des § 765a ZPO gestützt.
8
2. Zu Recht macht die Rechtsbeschwerde aber geltend, dass der beantragte Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO nicht mit der gegebenen Begründung versagt werden kann.
9
a) Wie das Beschwerdegericht nicht verkennt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 163, 66, 73; Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 99/05, NJW 2006, 505, 506) selbst dann, wenn - wie hier - mit der Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners verbunden ist, eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres (einstweilen) einzustellen. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen des Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 GG) mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers (Eigentumsschutz, Art. 14; wirksamer Rechtsschutz, Art. 19 Abs. 4 GG). Es ist daher sorgfältig zu prüfen, ob der Gefahr der Selbsttötung nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Mögliche Maßnahmen betreffen die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, aber auch die Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung nach den einschlägigen Landesgesetzen (BGHZ 163, 66, 74 sowie Senat, Beschl. v. 24. November 2005, aaO). Allerdings sind solche begleitende Maßnahmen nur dann geeignet, der Suizidgefahr entgegenzuwirken, wenn ihre Vornahme auch weitestgehend sichergestellt ist (vgl. Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 24/05, NJW 2006, 508). Diesem Gesichtspunkt trägt die angefochtene Entscheidung nicht ausreichend Rechnung.
10
b) Das Beschwerdegericht sieht als Alternative zu einer Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses die Möglichkeit einer Unterbringung des Schuldners nach §§ 11, 12 PsychKG (NRW). Ob es dazu kommt, liegt aber, unabhängig von der möglicherweise gegebenen eigenen Sachkunde, nicht in der Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts. Zuständig ist vielmehr nach § 12 Abs. 1 PsychKG (NRW) das Vormundschaftsgericht. Ohne eine Anordnung des Vormundschaftsgerichts fehlt der angefochtenen Entscheidung die die Abwägung tragende Grundlage. Das Vorhaben des Beschwerdegerichts, die für den Wohnsitz des Schuldners zuständige Ordnungsbehörde über die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens sowie über die amtsärztlich belegte akute Suizidgefahr zu informieren und auf die sofortige Unterbringung des Schuldners hinzuwirken, ist nicht geeignet, die für erforderlich gehaltene Maßnahme auch weitestmöglich sicherzustellen. Ob die Ordnungsbehörde den Antrag auf Unterbringung stellt, ob das Vormundschaftsgericht die Unterbringung anordnet, das sind Entscheidungen, auf die das Beschwerdegericht keinen maßgeblichen Einfluss hat. Das wird vorliegend besonders deutlich, wenn der Vortrag der Rechtsbeschwerde zugrunde gelegt wird, dass das Vormundschaftsgericht die Unterbringung des Schuldners am Tage nach der angefochtenen Entscheidung abgelehnt hat.

IV.

11
Der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts stellt sich damit als rechtsfehlerhaft dar und ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Dabei wird das Beschwerdegericht folgendes zu beachten haben.
12
1. Eine Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses kommt nur in Betracht, wenn dem Ersteher zuvor rechtliches Gehör gewährt worden ist. Mit der Aufhebung verliert er nämlich rückwirkend das durch den Zuschlag gem. § 90 Abs. 1 ZVG erworbene Eigentum. Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist gegebenenfalls nachzuholen.
13
2. Sollte das Beschwerdegericht zu der Überzeugung gelangen, dass - trotz einer den Antrag auf Unterbringung ablehnenden Entscheidung des Vormundschaftsgerichts - weiterhin Suizidgefahr besteht, so wird es zweierlei zu prüfen haben.
14
a) Die Rechtsbeschwerde weist zu Recht darauf hin, dass sich aus dem Gutachten des ärztlichen Sachverständigen Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Suizidgefahr mit ambulanten psychiatrischen und psychotherapeutischen Maßnahmen begegnet werden kann. Der Tatrichter hat in einem solchen Fall unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit abzuwägen, ob darin eine Lösung des Konflikts gefunden werden kann, die von dem Gläubiger (und dem Ersteher) angesichts der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG hinzunehmen ist und die einer freiheitsentziehenden Maßnahme wie einer Unterbringung vorzuziehen ist. Eine solche Abwägung hat das Beschwerdegericht bislang nicht vorgenommen. Das wird nachzuholen sein. Dabei sind vor allem die Erfolgsaussichten einer solchen Behandlung und die voraussichtliche Dauer zu berücksichtigen. Voraussetzung ist ferner, dass sich der Schuldner - nachhaltig - einer solchen Therapie unterzieht.
15
b) Kommt eine ambulante Behandlung nicht in Betracht, wird im konkreten Fall zu erwägen sein, bei der zuständigen Behörde erneut die Unterbringung des Schuldners oder bei dem Vormundschaftsgericht die Anordnung einer Betreuung anzuregen. Die für die Vollstreckung zuständigen Organe und Gerichte haben die Eigentumsrechte des Vollstreckungsgläubigers und des Erstehers zu wahren. Die staatliche Aufgabe des Lebensschutzes des Schuldners kann nicht durch eine dauerhafte Einstellung der Vollstreckung gelöst werden. Darauf sollten die für eine Unterbringung zuständigen Behörden und Gerichte - nicht nur im konkreten Fall, sondern generell in Fällen, in denen das Vollstreckungsgericht eine Unterbringung des Schuldners für notwendig hält - in der Anregung hingewiesen werden. Hinzuweisen ist ferner auf die Folge, dass nämlich die Vollstreckung fortzusetzen sein wird, wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Vormundschaftsgerichte Maßnahmen zum Schutze des Lebens des Schuldners nicht für notwendig erachten.
16
Wie weiter zu verfahren ist, hängt von der Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ab. Ordnet es die Unterbringung nach §§ 10 ff. PsychKG (NRW) an, so hat das Beschwerdegericht sicherzustellen, dass die Zwangsversteigerung nicht fortgesetzt wird, bevor der Schuldner in Gewahrsam genommen wurde. Hält es eine Unterbringung zum Schutze des Lebens des Schuldners nicht für erforderlich und wird diese Entscheidung bestandskräftig, so liegt darin eine Entscheidung der für die Frage der Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der Selbstgefährdung primär zuständigen Stelle, die es im Regelfall, aber auch erst dann, gestattet, die Zwangsvollstreckung fortzusetzen (vgl. Schuschke , NJW 2006, 876, 877). Das enthebt das Vollstreckungsgericht (bzw. das Beschwerdegericht ) allerdings nicht der Prüfung, ob zur Beherrschung der Restgefahr andere begleitende Maßnahmen betreuender Art getroffen werden müssen (vgl. Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 24/05, NJW 2006, 508).

V.

17
1. Da aus dem Zuschlagsbeschluss bereits vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann (Böttcher, ZVG, 4. Aufl., § 93 Rdn. 2; Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 93, Rdn. 2.1) und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts gem. §§ 574 Abs. 1, § 570 Abs. 3 ZPO durch das Rechtsbeschwerdegericht auszusprechen (vgl. BVerfG NJW 1994, 1719, 1720; NJW 2004, 49, 50; NZM 2005, 657, 659).
18
2. Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens entspricht dem Wert einer Zuschlagsbeschwerde des Schuldners, die auf der Zurückweisung eines Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a ZPO beruht. Diesen Wert bemisst der Senat mit einem Bruchteil von 1/10 (vgl. dazu Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 3 Rdn. 16 Stichwort: "Vollstreckungsschutz") des nach dem Versteigerungsergebnis anzunehmenden Zuschlagswertes.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub

Vorinstanzen:
AG Neuss, Entscheidung vom 05.09.2006 - 32 K 16/03 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 12.02.2007 - 19 T 257/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 1/10
vom
15. Juli 2010
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Erachtet das Vormundschaftsgericht Maßnahmen zum Schutz des Lebens des
Schuldners nicht für geboten, solange die Zwangsvollstreckung nicht durchgeführt
wird, so setzt die Fortsetzung der Vollstreckung gegen den suizidgefährdeten
Schuldner voraus, dass das Vollstreckungsgericht flankierende Maßnahmen ergreift,
die ein rechtzeitiges Tätigwerden des Vormundschaftsgerichts zur Abwendung der
Suizidgefahr ermöglichen.
BGH, Beschluss vom 15. Juli 2010 - V ZB 1/10 - LG Aachen
AG Aachen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. Juli 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Klein und Dr. Lemke, die
Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 11. Dezember 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Aachen vom 21. Oktober 2009 (Az. 18 K 421/02) wird bis zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde der Schuldnerin gegen den Zuschlagsbeschluss einstweilen eingestellt. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 107.200 €.

Gründe:

I.

1
Seit Januar 2003 ist die Zwangsversteigerung des Hof- und Gebäudegrundstücks der Schuldnerin angeordnet. Das Gebäude wird von der suizidgefährdeten Mutter der Schuldnerin bewohnt. Wegen der Gefahr der Selbsttötung hat zunächst das Vollstreckungsgericht das Verfahren einstweilen eingestellt, so dass der erste - auf den 10. Dezember 2003 anberaumte - Versteigerungstermin nicht zum Zuschlag führte. Auf weitere Versteigerungstermine in den Jahren 2004 und 2007 wurde zwar jeweils dem Meistbietenden der Zuschlag erteilt. Das hatte jedoch im Beschwerdeverfahren wegen akuter Suizidgefahr der Mutter keinen Bestand; das Verfahren wurde wiederum einstweilen eingestellt. Der Einstellungsbeschluss vom 2. Juni 2006 lautet auszugsweise: "Bei etwaigen künftigen Entscheidungen über die Frage einer nochmaligen Einstellung des Verfahrens wird das Verhalten der Schuldnerin und ihrer Mutter, die nunmehr einen zeitlichen Aufschub und damit die Gelegenheit einer entsprechenden therapeutischen Behandlung erhält, insoweit kritisch zu beleuchten sein, vor allem im Hinblick auf ein ernsthaftes Bemühen um eine Verringerung des Suizidrisikos."
2
In dem gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachten vom 25. Januar 2008 heißt es u.a., es sei eine insbesondere an das Zwangsversteigerungsverfahren gekoppelte sehr ernst zu nehmende "suizidale Reaktionsbereitschaft" der Mutter der Schuldnerin zu bejahen. Diese sei mehrfach nachdrücklich auf das Erfordernis einer weiterführenden ambulanten Therapie hingewiesen worden.
3
Der Aufforderung zu einer ambulanten Behandlung wegen der psychischen Situation kam die Mutter nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht nach. Nach ihren Angaben hat sie sich lediglich weiterhin von ihrer Hausärztin psychopharmakologisch behandeln lassen. Daher stellte das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 21. Juli 2008 das Verfahren nur noch für die Dauer von drei Monaten unter der Auflage ein, die Schuldnerin möge binnen eines Monats die Stellung eines Antrages bei dem Vormundschaftsgericht mit dem Ziel der Bestellung eines Betreuers für ihre Mutter nachweisen. Da die Schuld- nerin dem nicht nachkam, ordnete das Vollstreckungsgericht im September 2008 die Fortsetzung des Verfahrens an. Auf den darauf von der Schuldnerin gestellten Antrag bestellte das Vormundschaftsgericht Ende März 2009 einen Betreuer mit den Aufgabenkreisen Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht und Vermögenssorge.
4
Darauf hat das Vollstreckungsgericht einen neuen Versteigerungstermin auf den 2. Oktober 2009 anberaumt, die Terminsbestimmung auch dem Betreuer zugestellt und unter Schilderung der Problematik auch das Vormundschaftsgericht eingeschaltet. Dabei hat es darauf hingewiesen, dass ein Zuschlag nur erteilt werden könne, wenn die Mutter untergebracht oder dies von dem Vormundschaftsgericht abgelehnt werde.
5
Nachdem der Beteiligte zu 4 in dem Versteigerungstermin Meistbietender geblieben war, hat das Vollstreckungsgericht Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 21. Oktober 2009 bestimmt. Noch vor diesem Termin lehnte das Vormundschaftsgericht die Unterbringung der Mutter mit der Begründung ab, die Voraussetzungen für eine Unterbringung lägen - derzeit - nicht vor. Auch der Betreuer sehe nach Rücksprache mit dem behandelnden Psychologen keine akute Gefährdung. Am 20. Oktober 2009 hat die Schuldnerin erneut beantragt , den Zuschlag zu versagen und das Verfahren einstweilen einzustellen. Ihre Mutter habe abermals erklärt, sie werde das Haus "nur mit den Füßen voraus" verlassen.
6
In dem Verkündungstermin hat das Vollstreckungsgericht unter Zurückweisung des Vollstreckungsschutzantrages dem Meistbietenden den Zuschlag erteilt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin ist erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihre Anträge weiter.

II.

7
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die bestehende Suizidgefahr für die Mutter der Schuldnerin schließe die Zuschlagserteilung nach dem Ergebnis der Abwägung der widerstreitenden grundrechtsrelevanten Positionen der Beteiligten nicht aus. Wie der Verfahrensverlauf zeige, habe die Gläubigerin bisher in erheblichem Maße zurückstecken müssen. Zwar bestehe für den Fall der endgültigen Erteilung des Zuschlags auch weiterhin die konkrete und hohe Gefahr, dass sich die Mutter töten werde. Die Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens sei jedoch auch in solchen Fällen möglich, wenn die Lebensgefahr anders als durch die Einstellung des Verfahrens - insbesondere durch eine Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten - abgewendet werden könne. So liege es hier. Das Vollstreckungsgericht habe mit der Erteilung von Auflagen, der Anrufung des Vormundschaftsgerichts und der Einschaltung des Betreuers alles in seiner Macht stehende getan. Halte aber das zuständige Vormundschaftsgericht eine Unterbringung nicht für erforderlich und werde eine solche Entscheidung bestandskräftig, dürfe die Zwangsvollstreckung im Regelfall fortgesetzt werden. Die verbleibende Gefahr der Selbsttötung müsse nach einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichts als der für die Frage der Unterbringung primär zuständigen Stelle entweder hingenommen werden oder aber der Betreuer sei gehalten, bei Eintritt einer akuten Gefahr die Unterbringung zu veranlassen.

III.

8
1. Die gemäß § 96 ZVG i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach § 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). http://www.juris.de/jportal/portal/t/aa1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=14&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR005330950BJNE095904301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/aa1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=14&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE317122005&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/bkz/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=14&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE313762007&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/bkz/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=14&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE313762007&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/aa1/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=2&numberofresults=14&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE001800314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 -
9
a) Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen kommt zwar eine Zurückweisung des von der Schuldnerin nach § 765a ZPO beantragten Vollstreckungsschutzes in Betracht. Für eine abschließende Entscheidung bedarf es jedoch noch Feststellungen unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit.
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aa) (1) Das Beschwerdegericht legt zutreffend zugrunde, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senat, BGHZ 163, 66, 73; Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 99/05, NJW 2006, 505, 506 f.; Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, WM 2007, 1667, 1668; Beschl. v. 6. Dezember 2007, V ZB 67/07, NJW 2008, 586, 587; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005, I ZB 10/05, NJW 2005, 1859, 1860 m.w.N.) selbst dann, wenn mit der Zwangsvollstreckung - wie hier - eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, eine Zwangsversteigerung nicht ohne weiteres (einstweilen) einzustellen ist. Geht die Lebensgefahr nicht von dem mit der Zuschlagserteilung einhergehenden Eigentumsverlust aus, sondern nur von der nach dem Zuschlag drohenden Zwangsräumung, darf der Zuschlag nicht versagt werden. Ist indessen - wie hier - davon auszugehen , dass die Lebensgefahr schon deshalb besteht, weil der Schuldner oder ein naher Angehöriger den Eigentumsverlust befürchtet, ist stets eine Abwägung der in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen Interessen des Betroffenen (Lebensschutz, Art. 2 Abs. 2 GG) mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers geboten. Dabei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass sich auch der Gläubiger auf Grundrechte berufen kann. Unterbleibt die Fortsetzung des Zwangsversteigerungsverfahrens wegen der Annahme einer Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen. Die Aufgabe des Staates, das Recht zu wahren, umfasst die Pflicht, titulierte Ansprüche notfalls mit Zwang durchzusetzen und dem Gläubiger zu seinem Recht zu verhelfen (BVerfGE 49, 220, 231). Der Gläubiger hat gemäß Art. 19 Abs. 4 GG einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220, 225). Ihm dürfen nicht die Aufgaben überbürdet werden, die aufgrund des Sozialstaatsprinzips dem Staat und damit der Allgemeinheit obliegen (BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005, I ZB 10/05, NJW 2005, 1859, 1860 m.w.N.). Mit Blick auf die Interessen des Erstehers gilt nichts anderes (vgl. auch Senat, Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721).
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(2) Vor diesem Hintergrund ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Hierzu gehören zum einen zumutbare Anstrengungen des Suizidgefährdeten selbst (vgl. etwa BVerfG NJW 1992, 1155; 1993, 463, 464; 2004, 49 f.), etwa die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, ggf. auch unter Einbeziehung eines stationären Klinikaufenthaltes. Darüber hinaus kommen als mögliche Maßnahmen auch die Ingewahrsamnahme des Gefährdeten insbesondere nach polizeirechtlichen Vorschriften oder dessen Unterbringung nach den landesrechtlichen Vorschriften in Betracht (Senat, Beschl. v. 24. November 2005, V ZB 99/05, NJW 2006, 505, 506; vgl. auch BGH, Beschl. v. 4. Mai 2005, I ZB 10/05, NJW 2005, 1859, 1860). Da die staatliche Aufgabe des Lebensschutzes des Schuldners nicht durch eine dauerhafte Einstellung der Vollstreckung gelöst werden kann, sind die Vollstreckungsorgane ggf. gehalten, bei den zuständigen Behörden eine Unterbringung des Schuldners oder bei dem Vormundschaftsgericht eine Betreuung anzuregen und dabei darauf hinzuweisen, dass die Vollstreckung fortzusetzen sein wird, wenn die für den Lebensschutz primär zuständigen Behörden und Vormundschaftsgerichte Maßnahmen zum Schutze des Lebens des Schuldners nicht für notwendig erachten. Wird danach eine Unterbringung zum Schutze des Lebens des Schuldners nicht für erforderlich gehalten und wird diese Entscheidung bestandskräftig, so liegt darin eine Entscheidung der für die Frage der Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der Selbstgefährdung primär zuständigen Stelle, die es im Regelfall gestattet, die Zwangsvollstreckung fortzusetzen (Senat, Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721). Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts liegt ein solcher Regelfall hier nicht vor.
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Der Verweis auf die Primärzuständigkeit des Vormundschaftsgerichts ist nur tragfähig, wenn dieses Gericht lebensschützende Maßnahmen ergriffen oder aber eine erhebliche Suizidgefahr gerade für das diese Gefahr auslösende Moment - hier den endgültigen Eigentumsverlust der Schuldnerin - verneint hat. So verhält es sich hier jedoch nicht. Zwar hat das Vormundschaftsgericht eine Unterbringung der Mutter der Schuldnerin abgelehnt. Nicht aber hat es die akute Gefahr eines Suizides für den Fall des endgültigen Eigentumsverlustes verneint , sondern (nur) darauf abgestellt, dass "gegenwärtig" eine solche Gefahr nicht vorliege. Bliebe man hierbei stehen, wäre die Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens - wie das Beschwerdegericht richtig sieht - blockiert. Solange kein endgültiger Eigentumsverlust eintritt, besteht nach der Auffassung des Vormundschaftsgerichts keine akute Suizidgefahr. Ohne eine solche Gefahr trifft dieses Gericht keine sichernden Maßnahmen. Das wiederum hätte zur Folge, dass der Zuschlag nicht aufrecht erhalten werden dürfte.
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Den Ausweg aus dieser - insbesondere mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben eines effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) unvereinbaren - Blockadesituation sieht der Senat in Folgendem: Trägt die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts zur Behebung des Dilemmas nicht bei, weil die Ablehnung lebenssichernder Maßnahmen nicht auf eine Bewertung der Bedrohungs- lage bezogen auf den Zeitpunkt des endgültigen Eigentumsverlustes gestützt wird, hindert dieser Umstand nicht, den Zuschlag (bzw. die Zurückweisung des Antrages auf weitere Verfahrenseinstellung) zu bestätigen, sofern der drohenden Suizidgefahr effektiv durch flankierende Maßnahmen Rechnung getragen wird. Das kann dadurch geschehen, dass das Vollstreckungsgericht die bestätigende Entscheidung zunächst nur dem Vormundschaftsgericht (sowie ggf. auch einem bestellten Betreuer) - unter deutlicher Hervorhebung der mit dem Bekanntwerden der abschlägigen Entscheidung mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden akuten Lebensgefahr - zustellt, die Herausgabe des Beschlusses an die Verfahrensbeteiligten nach Ablauf einer bestimmten Frist ankündigt, sich des Eingangs dieser Ankündigung vergewissert, die Zustellung an die Verfahrensbeteiligten erst nach Fristablauf veranlasst und das Vormundschaftsgericht hiervon nochmals in geeigneter Weise unter erneuter Hervorhebung der Dringlichkeit und der Bedeutung der Sache informiert. Dann muss das - mit der Sache ohnehin schon vorbefasste - Vormundschaftsgericht im Rahmen der primär ihm zugewiesenen Verantwortung für den Lebensschutz darüber befinden, ob nunmehr eine akute Selbstgefährdung vorliegt oder nicht. Bejaht es eine solche Gefahr, obliegt es ihm, die erforderlichen (Eil-)Maßnahmen zu treffen.
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bb) Nicht hinreichend beachtet hat das Beschwerdegericht indessen den auch im Zwangsversteigerungsverfahren zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. nur Senat, Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3720 f.; Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., vor § 704 Rdn. 29 m.w.N.). Zwar hat es der Sache nach zu Recht angenommen, dass der Gefahr der Selbsttötung vorliegend nicht effektiv mit dem milderen Mittel ambulanter therapeutischer Maßnahmen begegnet werden kann. Nicht geprüft hat es jedoch, ob die Dauer einer Unterbringung außer Verhältnis steht zu dem damit verfolgten Zweck der Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens. Steht fest oder ist aller Voraussicht nach davon auszugehen, dass die Anordnung der Unterbringung zu einer bloßen Verwahrung auf Dauer führte, so ist eine Freiheitsentziehung zur Ermöglichung der Zwangsvollstreckung unverhältnismäßig und das Verfahren (ggf. erneut) auf bestimmte Zeit einzustellen (Senat, Beschl. v. 6. Dezember 2007, V ZB 67/07, NJW 2008, 586). Gleiches gilt, wenn der Gefahr der Selbsttötung nur durch eine außer Verhältnis stehende jahrelange Unterbringung ohne erkennbaren therapeutischen Nutzen begegnet werden kann. Anders verhält es sich dagegen, wenn innerhalb eines überschaubaren Zeitraumes eine Chance dafür besteht, dass die Freiheitsentziehung zu einer Stabilisierung des Suizidgefährdeten führen und durch therapeutische Maßnahmen während der Unterbringung die Grundlage für ein Leben in Freiheit ohne konkrete Suizidgefährdung gelegt werden kann. Tatrichterliche Feststellungen hierzu hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Dies wird nachzuholen sein.
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b) Kann die Beschwerdeentscheidung danach keinen Bestand haben, ist die Sache an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 577 Abs. 4 Satz 1 u. Abs. 5 Satz 1 ZPO).
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2. Da aus dem Zuschlagsbeschluss bereits vor dem Eintritt der Rechtskraft vollstreckt werden kann und die Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdegerichts dem Zuschlagsbeschluss die Vollstreckbarkeit nicht nimmt, ist die Aussetzung der Vollstreckung bis zur erneuten Entscheidung des Beschwerdegerichts nach §§ 574 Abs. 1, § 570 Abs. 3 ZPO durch das Rechtsbe- schwerdegericht auszusprechen (Senat, Beschl. v. 14. Juni 2007, V ZB 28/07, NJW 2007, 3719, 3721; vgl. auch BVerfG NJW 1994, 1719, 1720; NJW 2004, 49, 50; NZM 2005, 657, 659). Krüger Lemke Zugleich für RiBGH Dr. Klein, der wegen Urlaubs verhindert ist zu unterschreiben. Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 21.10.2009 - 18 K 421/02 -
LG Aachen, Entscheidung vom 11.12.2009 - 3 T 433/09 -

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und
2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift der angefochtenen Entscheidung vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge),
2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2,
3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.

(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.

(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.

(2) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann die Vollziehung der Entscheidung aussetzen.

(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.

In der Zwangsversteigerung bestimmt sich der Gegenstandswert

1.
bei der Vertretung des Gläubigers oder eines anderen nach § 9 Nummer 1 und 2 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung Beteiligten nach dem Wert des dem Gläubiger oder dem Beteiligten zustehenden Rechts; wird das Verfahren wegen einer Teilforderung betrieben, ist der Teilbetrag nur maßgebend, wenn es sich um einen nach § 10 Absatz 1 Nummer 5 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung zu befriedigenden Anspruch handelt; Nebenforderungen sind mitzurechnen; der Wert des Gegenstands der Zwangsversteigerung (§ 66 Absatz 1, § 74a Absatz 5 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung), im Verteilungsverfahren der zur Verteilung kommende Erlös, sind maßgebend, wenn sie geringer sind;
2.
bei der Vertretung eines anderen Beteiligten, insbesondere des Schuldners, nach dem Wert des Gegenstands der Zwangsversteigerung, im Verteilungsverfahren nach dem zur Verteilung kommenden Erlös; bei Miteigentümern oder sonstigen Mitberechtigten ist der Anteil maßgebend;
3.
bei der Vertretung eines Bieters, der nicht Beteiligter ist, nach dem Betrag des höchsten für den Auftraggeber abgegebenen Gebots, wenn ein solches Gebot nicht abgegeben ist, nach dem Wert des Gegenstands der Zwangsversteigerung.