vorgehend
Landgericht Stade, 9 T 133/12, 20.12.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 2/13
vom
26. September 2013
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Erlangt die Behörde Kenntnis von der Ablehnung des Asylantrages des Betroffenen
als offensichtlich unbegründet, so gebietet das in Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot
grundsätzlich, dass unverzüglich die für die Durchführung der Abschiebung
erforderlichen Maßnahmen eingeleitet werden.
BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - V ZB 2/13 - LG Stade
AG Cuxhaven
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Lemke,
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Czub und Dr. Kazele

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 20. Dezember 2012 ihn in seinen Rechten verletzt hat, soweit gegen ihn zur Sicherung der Abschiebung Haft bis einschließlich 9. Januar 2013 angeordnet wurde.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Cuxhaven auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene ist kosovarischer Staatsangehöriger. Nach eigenen Angaben reiste er Mitte 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne über einen gültigen Reisepass und ein Visum zu verfügen. Am 6. November 2012 wurde der Betroffene von der Polizei festgenommen, weil er im Verdacht stand, Straftaten begangen zu haben.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 7. November 2012 ordnete das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom gleichen Tage Abschiebungshaft für die Dauer von drei Monaten an.
3
Das Landgericht hat auf die Beschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 20. Dezember 2012 die Haftanordnung aufgehoben und festgestellt, dass diese ihn in seinen Rechten verletzt hat. Zugleich ordnete es Sicherungshaft bis zum 9. Januar 2013 an.
4
Gegen die Anordnung der Sicherungshaft durch das Landgericht richtet sich die Rechtsbeschwerde des am 9. Januar 2013 abgeschoben Betroffenen, mit dem er die Feststellung der Verletzung seiner Rechte erreichen will.

II.

5
Das Beschwerdegericht hat die Haftanordnung des Amtsgerichts wegen eines nicht hinreichend begründeten Haftantrags als rechtswidrig angesehen. Zudem sei dieser dem Betroffenen nicht ausgehändigt und übersetzt worden. Nachdem diese Mängel behoben worden seien, habe die Sicherungshaft für den ausgesprochenen Zeitraum angeordnet werden können. Insbesondere sei dem Beschleunigungsgebot genügt. Die beteiligte Behörde habe den Vollzug der Ausweisung mit Nachdruck betrieben und alle notwendigen Anstrengungen unternommen, um Ersatzpapiere zu beschaffen. Dass die Abschiebung am 9. Januar 2013 und nicht bereits im Dezember 2012 vollzogen werden solle, sei nicht zu beanstanden und unterliege dem - in engen Grenzen - bestehenden organisatorischen Spielraum der Behörde.

III.

6
Die Rechtsbeschwerde ist nach Erledigung der Hauptsache mit dem Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360), form- und fristgerecht gemäß § 71 FamFG eingelegt und hat Erfolg.
7
Die Haftanordnung durch das Beschwerdegericht hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil die beteiligte Behörde das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot verletzt hat.
8
1. Die Abschiebungshaft muss auch während des Laufs der Drei-MonatsFrist des § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt und die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betrieben werden; das Beschwerdegericht darf die Sicherungshaft deshalb nur aufrechterhalten, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich betreibt, und zwar gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung (Senat, Beschluss vom 1. März 2012 - V ZB 206/11, FGPrax 2012, 133, 134 Rn. 15; Beschluss vom 11. Oktober 2012 - V ZB 104/12, Rn. 7, juris). Er ist verletzt, wenn die Ausländerbehörde nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen hat, um Ersatzpapiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Abschiebungshaft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (Senat, Beschlüsse vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239 und vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09, Rn. 16, juris).
9
2. Diesen Anforderungen genügte das Vorgehen der beteiligten Behörde entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts nicht.
10
Sein Hinweis auf einen bestehenden organisatorischen Spielraum der beteiligten Behörde trägt nicht. Das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (BVerfGE 20, 45, 49 f.; 46, 194, 195) schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 – V ZB 247/10, Rn. 7, juris; Beschluss vom 21. Oktober 2010 – V ZB 56/10, Rn. 13, juris). Hier hat die beteiligte Behörde das Verfahren aber objektiv verzögert, indem sie nicht schon nach Kenntnis von dem den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet ablehnenden Bescheid am 28. November 2012, sondern erst am 11. Dezember 2012 die Passersatzpapierbeschaffung in die Wege leitete.
11
Sobald vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, muss die Behörde alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Papiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 193/09, InfAuslR 2010, 361 Rn. 25; Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239). Entgegen der in ihrer Stellungnahme vom 6. Dezember 2012 geäußerten Ansicht war der Eintritt der Bestandskraft des Bescheides vom 28. November 2012 nicht notwendig, um die Abschiebung durchführen zu können. Mit diesem Bescheid wurde der Asylantrag des Betroffenen nach § 30 AsylVfG als offensichtlich unbegründet abgelehnt. § 30 AsylVfG verfolgt den Zweck, in aussichtslosen Fällen sowie in solchen, die durch mangelnde Mitwirkung oder missbräuchliche Antragstellung gekennzeichnet sind, eine zügige Durchführung des Verfahrens und eine möglichst rasche Abschiebung zu ermöglichen (BT-Drucks. 12/2062, S. 32 f.; BTDrucks. 12/4450, S. 22). Mit der Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet verkürzen sich demgemäß auch Fristen. Die mit der Abschiebungsandrohung zu setzende Ausreisefrist beträgt - abweichend von der nach § 38 Abs. 1 AsylVfG geltenden Frist von 30 Tagen - nach § 36 Abs. 1 AsylVfG nur eine Woche. Der Klage, die nach § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylVfG binnen Wochenfrist zu erheben ist, kommt nach § 75 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung zu. Für Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO gilt ebenfalls die Wochenfrist (§ 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG). Eine Abschiebung ist nach § 36 Abs. 3 Satz 8 AsylVfG bei rechtzeitiger Antragstellung zwar nicht zulässig. Allerdings soll die Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage binnen einer Woche nach Ablauf der einwöchigen Ausreisefrist erfolgen, sofern nicht die gesetzlichen Ausnahmetatbestände vorliegen (§ 36 Abs. 3 Sätze 5 bis 7 AsylVfG).
12
Vor diesem Hintergrund durfte die Behörde nicht die Bestandskraft des Bescheides vom 28. November 2012 abwarten, ehe sie weitere Maßnahmen einleitete. Vielmehr gab ihr bereits der Ablehnungsbescheid Anlass, die Ersatzpapierbeschaffung , die ausweislich des Schreibens des Landeskriminalamtes Niedersachsen vom 17. Dezember 2012 zwei Wochen in Anspruch nimmt, zu beantragen, um die Abschiebung für den Fall der unterbliebenen oder erfolglosen Stellung eines Antrages auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen den Ablehnungsbescheid unverzüglich vornehmen zu können.

IV.

13
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG , Art. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO, die Festsetzung des Beschwerdewerts aus § 128c Abs. 2 KostO, § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch Czub Kazele
Vorinstanzen:
AG Cuxhaven, Entscheidung vom 07.11.2012 - 3 XIV 2153B -
LG Stade, Entscheidung vom 20.12.2012 - 9 T 133/12 -

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(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 218/09
vom
29. April 2010
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In Abschiebungshaftsachen muss aus den Verfahrensakten zu ersehen sein, dass
der Haftanordnung ein vollständiger Antrag der zuständigen Behörde zugrunde liegt.
BGH, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09 - LG Berlin
AG Tiergarten
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. April 2010 durch die Richter
Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann
und den Richter Dr. Czub

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der Zivilkammer 84 des Landgerichts Berlin vom 16. November 2009 und der Beschluss des Amtsgerichts Tiergarten vom 19. Oktober 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Im Übrigen findet keine Auslagenerstattung statt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland ohne Pass und Visum mit Hilfe einer Schleuserorganisation in das Bundesgebiet ein. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 wies er sich mit einem gefälschten französischen Identitätspapier aus und wurde festgenommen. Der Betroffene äußerte in seiner polizeilichen Vernehmung, dass er einen Asylantrag stellen wolle. Die Beteiligte zu 2 verfügte die Zurückschiebung des Betroffenen nach Griechenland.
2
Bei dem Amtsgericht gingen nach dem Inhalt der Verfahrensakten per Telefax die ersten beiden Seiten des Formularantrags der Beteiligten zu 2 auf Anordnung der Freiheitsentziehung ein; die dritte Seite mit der Darstellung des Sachverhalts, der Antragsbegründung und der Unterschrift fehlte. Das Amtsgericht ordnete am 19. Oktober 2009 nach Anhörung des Betroffenen die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 18. Dezember 2009 und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), bei dem ein am 19. Oktober 2009 gestellter Asylantrag registriert ist, richtete ein Übernahmeersuchen an die griechischen Behörden.
3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete sofortige Beschwerde, mit der der Betroffene die fehlende Vorlage der "Ausländerakten" gerügt, auf seinen zwischenzeitlich gestellten Asylantrag hingewiesen, eine inhaltlich unzureichende Anhörung durch den Haftrichter und ferner geltend gemacht hat, dass die Zurückschiebung nach Griechenland vor dem Hintergrund der verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht innerhalb des angeordneten Haftzeitraums durchgeführt werden könne, hat das Beschwerdegericht ohne erneute Anhörung des Betroffenen nach Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit Beschluss vom 16. November 2009 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene die Feststellung erreichen will, dass die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

4
Das Beschwerdegericht meint, der Asylantrag stehe nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG der Anordnung der Sicherungshaft nicht entgegen. Der im Rahmen der Vernehmung formlos gestellte Antrag des aus einem sicheren Drittstaat eingereisten Betroffenen habe noch keine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG zur Folge. Der förmliche Asylantrag sei erst aus der Haft heraus gestellt worden.
5
Angesichts des kurzen Zeitraums zwischen Festnahme und Anhörung des Betroffenen habe das Amtsgericht nicht auf den Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 zurückgreifen müssen. Ausländerakten seien im Übrigen noch nicht angelegt gewesen. Zudem sei ein etwaiger Verfahrensfehler durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs im Beschwerdeverfahren geheilt worden.
6
Zwar lägen wegen des Asylantrags die Voraussetzungen des in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG genannten Haftgrundes nicht mehr vor. Die Sicherungshaft könne jedoch auf den begründeten Verdacht gestützt werden, der Betroffene werde sich der Abschiebung entziehen (§ 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AufenthG). Die Haftfristen seien gewahrt, die Inhaftierung sei nicht unverhältnismäßig. Da die Personalien des Betroffenen feststünden, sei nicht ersichtlich, dass die Abschiebung nicht innerhalb der Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG durchgeführt werden könne. Der Haftrichter sei an die Entscheidung der Beteiligten zu 2, den Betroffenen nach Griechenland zurückzuschieben, gebunden.
7
Schließlich sei der Betroffene nicht nach Ablauf von vier Wochen seit Stellung des Asylantrags aus der Haft zu entlassen. Denn diese Frist gelte nach § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 2 AsylVfG nicht, weil das BAMF ein Übernahmeersuchen an einen zur Übernahme verpflichteten Staat gestellt habe.
8
Von der mündlichen Anhörung habe abgesehen werden können, weil hiervon neue Erkenntnisse nicht zu erwarten gewesen seien und die wesentlichen Feststellungen anhand des Verwaltungsvorgangs hätten getroffen werden können.

III.

9
1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG, § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 71 FamFG). An der Statthaftigkeit des Rechtsmittels ändert die zwischenzeitliche Erledigung der Hauptsache nichts. Die Regelung in § 62 FamFG, nach der das Beschwerdegericht auf Antrag ausspricht, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn er an der Feststellung - wie hier - ein berechtigtes Interesse hat, gilt im Rechtsbeschwerdeverfahren entsprechend (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 9). Denn unter dem Blickwinkel effektiven Rechtsschutzes ist es unerheblich, in welchem Stadium des Verfahrens sich die angegriffene Entscheidung in der Hauptsache erledigt (vgl. BVerfGK 6, 303, 311).
10
Mit dem auf Feststellung gerichteten Antrag greift der Betroffene einen Beschluss an, der eine freiheitsentziehende Maßnahme anordnet; damit bleibt die Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG zulassungsfrei (Senat, aaO, Rdn. 10).
11
2. Der mit der Rechtsbeschwerde verfolgte Fortsetzungsfeststellungsantrag ist begründet. Sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts, die ebenfalls Gegenstand rechtlicher Nachprüfung durch den Senat ist (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 14), als auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts ist fehlerhaft und hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
12
a) Im Zeitpunkt der Haftanordnung lag nach dem Inhalt der Verfahrensakten ein rechtswirksamer Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG) nicht vor. Das Vorliegen eines solchen Antrags ist jedoch Verfahrensvoraussetzung und daher in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen (Senat , Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, juris, Rdn. 7).
13
aa) Ob es im Hinblick auf die Sollvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 4 FamFG zwingend eines unterschriebenen Antrags auf Freiheitsentziehung bedarf , kann allerdings ebenso offen bleiben wie die Frage, ob der von dem Vertreter der Beteiligten zu 2 bei der Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht mündlich gestellte Haftantrag rechtswirksam war (vgl. hierzu BKBahrenfuss /Rüntz, FamFG, § 25 Rdn. 9; Keidel/Sternal, FamFG, 16. Aufl., § 25 Rdn. 19; Prütting/Helms/Ahn-Roth, FamFG [2009], § 23 Rdn. 10, § 25 Rdn. 13; Schulte-Bunert/Weinreich/Brinkmann, aaO, § 25 Rdn. 30 f.). Denn der Antrag war jedenfalls mangels vollständiger Begründung unzulässig.
14
bb) Die Begründung des Haftantrags ist nach § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG zwingend; ein Verstoß gegen den Begründungszwang führt zur Unzulässigkeit des Antrags (Bassenge/Roth/Gottwald, FamFG, 12. Aufl., § 417 Rdn. 5; BK-Bahrenfuss/Grotkopp, aaO, § 417 Rdn. 4, 6; Keidel/Budde, aaO, § 417 Rdn. 3; Prütting/Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 6). Für Abschiebungshaftanträge werden insbesondere Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht , zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer verlangt (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG). Durch diese Angaben soll dem Gericht eine hinreichende Tatsachengrundlage für seine Entscheidung und ggf. für weitere Ermittlungen zugänglich gemacht werden (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 23. Juni 2008, BT-Drs. 16/9733 S. 299).
15
cc) Danach war der dem Amtsgericht nach dem Inhalt der Verfahrensakten vorliegende schriftliche Antrag der Beteiligten zu 2 unzureichend begründet.
16
(1) Aus dem per Telefax übersandten Antragsfragment und den zusätzlich überreichten Unterlagen ergaben sich die Identität des Betroffenen, die unerlaubte Einreise über den Flughafen Berlin-Tegel am 19. Oktober 2009 und das Fehlen eines festen Wohnsitzes im Bundesgebiet. Hieraus konnte der Haftrichter zu den Voraussetzungen der Haft, zu ihrer Verhältnismäßigkeit sowie zu der Erforderlichkeit der Haftdauer keine Anhaltspunkte für eine Überprüfung und weitere Aufklärung des Sachverhalts entnehmen. Über die fehlende Antragsbegründung können die Angaben des Betroffenen in seiner Anhörung nicht hinweghelfen.
17
(2) Daran ändert das Vorbringen der Beteiligten zu 2 nichts, dass anhand des in ihrem Verwaltungsvorgang enthaltenen Telefax-Sendeberichts und auf Grund der Angaben des Betroffenen von einem vollständigen Zugang des Haftantrags auszugehen sei. Sinn und Zweck der Antragsbegründung (s. dazu die Ausführungen unter 2. a) bb) a.E.) erfordern es, dass ihr Vorliegen bei der Anhörung des Betroffenen aus den Verfahrensakten ersichtlich ist. Diese müssen entweder den vollständigen schriftlichen Haftantrag enthalten, oder die Antragsbegründung muss sich aus dem Protokoll über die Anhörung ergeben. Fehlt beides, ist eine Überprüfung der Ordnungsmäßigkeit der Haftanordnung in den Rechtsmittelinstanzen nicht möglich. Das wirkt zu Lasten der antragstellenden Behörde.
18
(3) Da hier aus den Verfahrensakten, die der Senat seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen hat (vgl. BayObLG NJW-RR 1989, 1092; Jansen /Briesemeister, FGG, 3. Aufl., § 27 Rdn. 90; Keidel/Meyer-Holz, aaO, § 74 Rdn. 27), nicht ersichtlich ist, dass ein vollständiger Haftantrag vorlag oder gestellt wurde, ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren davon auszugehen, dass er fehlte.
19
dd) Durch die Vorlage des Verwaltungsvorgangs der Beteiligten zu 2 mit dem vollständigen Haftantrag in der Beschwerdeinstanz konnte der Verstoß gegen § 417 Abs. 2 Satz 1 FamFG nicht geheilt werden (vgl. hierzu KG InfAuslR 2009, 356, 357; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 23). Denn bei der ordnungsgemäßen Antragstellung durch die Behörde handelt es sich um eine Verfahrensgarantie , deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert (vgl. BVerfG NVwZ-RR 2009, 304, 305; Keidel/Budde, aaO, § 62 Rdn. 24; Prütting/ Helms/Jennissen, aaO, § 417 Rdn. 10).
20
ee) Wegen des Verstoßes gegen diese Verfahrensgarantie hat die Entscheidung des Amtsgerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.
21
b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts hält einer auf Rechtsfehler beschränkten Nachprüfung in einem entscheidenden Punkt ebenfalls nicht stand.
22
aa) Da ihm der Verwaltungsvorgang der Beteiligten zu 2 vorlag, fehlte es allerdings nicht mehr an dem Antrag der zuständigen Behörde auf Anordnung der Freiheitsentziehung (§ 417 FamFG).
23
(1) Die Beteiligte zu 2 war für die Stellung des Haftantrags sachlich und örtlich zuständig. Sie ist die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde. Ihr sind nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG die an der Grenze - zu der auch die internationalen Flughäfen gehören - durchzuführenden Zurückweisungen und Zurückschiebungen von Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung von Haft übertragen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, juris, Rdn. 13).
24
(2) Im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung lag der Haftantrag der Beteiligten zu 2 dem Beschwerdegericht im Original vor. Aus der Seite 3 des Antrags ergeben sich die für die Haftanordnung nach § 417 Abs. 2 Satz 2 FamFG erforderlichen Darlegungen. Darauf hat die Beteiligte zu 2 in ihrer Beschwerdeerwiderung Bezug genommen.
25
bb) Mit Erfolg macht der Betroffene jedoch geltend, das Beschwerdegericht habe ihn nach Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG anhören müssen. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Anhörung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG) lagen nicht vor. Der Betroffene hatte nämlich zuvor keine Gelegenheit, zu einem zulässigen Antrag auf Anordnung der Haft und damit zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der gegen ihn verhängten Freiheitsentziehung zu äußern und persönlich zu den Gesichtspunkten Stellung zu nehmen, auf die es für die Entscheidung über die Freiheitsentzie- hung ankommt, insbesondere zu den von § 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 FamFG geforderten Grundlagen. Nach dem Protokoll der Anhörung am 19. Oktober 2010 ist nämlich davon auszugehen, dass dem Betroffenen bei dem Amtsgericht lediglich der fragmentarisch vorhandene Haftantrag übersetzt worden ist.
26
cc) Wegen dieses Verstoßes gegen das Gebot rechtlichen Gehörs hat auch die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Betroffenen in seinen Rechten verletzt (vgl. Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 184/09, juris, Rdn. 12 m.w.N.).

IV.

27
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die Bundesrepublik Deutschland als diejenige Körperschaft, der die beteiligte Behörde angehört (vgl. § 430 FamFG), zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Auslagen des Betroffen zu verpflichten.

28
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Klein Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann Czub
Vorinstanzen:
AG Tiergarten, Entscheidung vom 19.10.2009 - 381 XIV 198/09 B -
LG Berlin, Entscheidung vom 16.11.2009 - 84 T 441/09 B -

(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und
2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
Die Rechtsbeschwerdeschrift ist zu unterschreiben. Mit der Rechtsbeschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Beschlusses vorgelegt werden.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.

(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge);
2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar
a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt;
b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.

(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

15
Die Abschiebungshaft muss auch während des Laufs der Drei-MonatsFrist des § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt und die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betrieben werden (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 247/10, Rn. 7, juris). Das Beschwerdegericht darf die Sicherungshaft deshalb nur aufrechterhalten, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich betreibt und zwar, gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, mit der größtmöglichen Beschleunigung (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09 Rn. 16, juris). Ein Verstoß kann vorliegen, wenn die Ausländerbehörde nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen hat, um Ersatzpapiere zu beschaffen (Senat, Beschluss vom 19. Mai 2011 - V ZB 247/10, Rn. 7, juris; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 119/10 Rn. 18, juris; Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239).
16
Das aus Art. 2 Abs. 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (vgl. BVerfGE 46, 194, 195) ist auch schon während des Laufs der Drei-Monatsfrist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG zu beachten (vgl. BVerfGK 8, 1, 7 für die Untersuchungshaft). Es ist verletzt, wenn die Ausländerbehörde nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen hat, um Ersatzpapiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Abschiebehaft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (Senat, BGHZ 133, 235, 239). Das Beschwerdegericht darf die Sicherungshaft deshalb nur aufrechterhalten, wenn die Behörde die Abschiebung des Betroffenen ernstlich betreibt und zwar, gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, mit der größtmöglichen Beschleunigung (vgl. BayObLG, Beschl. v. 6. November 1998, 3Z BR 274/98, juris , Rdn. 9; OLG Schleswig OLGR 2008, 304, 306).

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

7
1. Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Abschiebungshaft auch während des Laufs der Drei-Monats-Frist des § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG auf das unbedingt erforderliche Maß beschränkt wird und die Ausländerbehörde die Abschiebung ohne unnötige Verzögerung betreibt. Ein Verstoß kann vorliegen, wenn die Ausländerbehörde nicht alle notwendigen Anstrengungen unternommen hat, um Ersatzpapiere zu beschaffen (Senat, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 239; Beschluss vom 18. August 2010 - V ZB 119/10 Rn. 18, juris), und führt dazu, dass die Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht mehr weiter aufrechterhalten werden darf (Senat, Beschluss vom 10. Juni 2010 - V ZB 205/09 Rn. 16 mwN, juris; HK-AuslR/Keßler, § 62 AufenthG Rn. 21). Dies schließt zwar einen organisatorischen Spielraum der Behörde bei der Umsetzung der Abschiebung nicht aus (Senat, Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 56/10 Rn. 13, juris). Hier hat der Beteiligte zu 2 das Verfahren aber objektiv verzögert, indem er erst am 12. Januar 2010 die Passersatzpapierbeschaffung in der Türkei in die Wege leitete.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom
6. Mai 2010
V ZB 193/09
in der Abschiebehaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Mai 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird, beginnend mit dem 24. Februar 2010, Verfahrenskostenhilfe gewährt. Insoweit wird ihm Rechtsanwalt R. beigeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt vom 5. Oktober 2009 und der Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. November 2009 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben, soweit die Haft zur Sicherung der Abschiebung über den 10. Dezember 2009 hinaus angeordnet worden ist. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Von den gerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Betroffene drei Viertel mit der Maßgabe, dass von der Erhebung von Dolmetscherkosten abzusehen ist. Weitere Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Beteilige zu 2 trägt ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Betroffenen. Der Geschäftswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene reiste im Mai 2001 mit einem für einen Sprachkurs und einen anschließenden Studienaufenthalt erteilten befristeten Visum in das Bundesgebiet ein. 2003 nahm er ein Studium an der Fachhochschule L. auf und meldete sich mit einem Wohnsitz in S. an. Der Beteiligte zu 2, erteilte ihm wiederholt befristete Aufenthaltsbewilligungen oder Fiktionsbescheinigungen. Diese waren jeweils mit der Nebenbestimmung versehen, dass ihre Gültigkeit mit Beendigung des Studiums erlösche. Weil der Betroffene die von den Studienbedingungen vorgeschriebene Sprachprüfung trotz mehrfacher Aufforderung nicht ablegte, wurde er im Januar 2008 exmatrikuliert.
2
Seine Wohnung am Studienort hatte der Betroffene zu diesem Zeitpunkt aufgegeben; seinen neuen Wohnsitz gab er trotz mehrfacher Aufforderung nicht bekannt. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 28. Februar 2008 lehnte der Beteiligte zu 2 die Erteilung einer weiteren Aufenthaltserlaubnis ab und forderte den Betroffenen unter Androhung der Abschiebung auf, das Bundesgebiet bis zum 31. März 2008 zu verlassen. Die Frist verstrich; eine zeitweilig behauptete Ausreise war nicht erfolgt.
3
Weil der Betroffene am 19. August 2009 heiraten wollte, erteilte ihm der Beteiligte zu 2 eine befristete Duldung des Aufenthalts und setzte ihm Frist zur Ausreise bis 27. August 2009. Der auf die Eheschließung gestützte Antrag des Betroffenen auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis blieb ohne Erfolg. Einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Anordnung der Abschiebung des Betroffenen wies das Verwaltungsgericht Cottbus zurück. Zu dem auf den 27. August vorgesehenen Abschiebungstermin erschien der Betroffene nicht. Er wurde am 10. September 2009 in O. festgenommen.
4
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 ordnete das Amtsgericht Oberhausen am 10. September 2009 die Haft zur Sicherung der Abschiebung für längstens vier Wochen an. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen hatte keinen Erfolg.
5
Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt, in dessen Bezirk die Abschiebungshaft vollzogen wurde, hat mit Beschluss vom 5. Oktober 2009 auf Antrag des Beteiligten zu 2 die Anordnung der Haft bis zum 8. Januar 2010 verlängert. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde , mit der er die Feststellung beantragt, dass er durch die Anordnung der Sicherungshaft und die Inhaftierung in seinen Rechten verletzt worden sei.

II.

6
Das Beschwerdegericht meint, der Betroffene sei nach der Zurückweisung des Widerspruchs gegen die Versagung einer neuerlichen Aufenthaltserlaubnis und dem ungenutzten Ablauf der Ausreisefrist vollziehbar ausreisepflichtig. Die Haftgründe von § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Nr. 5 seien erfüllt. Einer Abgabeentscheidung durch das Amtsgericht Oberhausen nach § 106 Abs. 2 Satz 2 AufenthG habe es aufgrund von § 416 Satz 2 FamFG nicht bedurft.
7
Die Anordnung der Sicherungshaft sei auch nicht unverhältnismäßig. Es sei zu erwarten, dass die Abschiebung bis zum 8. Januar 2009 (richtig: 2010) durchgeführt werden könne. Nach der Auskunft des libanesischen Konsulats sei damit zu rechnen, dass die für den Betroffenen notwendigen Rückführungspapiere innerhalb von drei Monaten ab Antragstellung bei der libanesischen Botschaft am 23. September 2009 vorliegen würden. Es liege auch kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor. Der Beteiligte zu 2 habe die Genehmigung zur Rückführung des Betroffenen nicht vor dem 23. September 2009 be- antragen müssen. Nach den Erklärungen des Betroffenen bis zu dessen Festnahme habe sie darauf vertrauen dürfen, dass der Betroffene freiwillig ausreisen und eine Rückführungsgenehmigung nicht benötigt würde. Das zeitaufwendige Verfahren zur Beschaffung der Rückführungsgenehmigung habe der Betroffene durch seine Weigerung verursacht, die Bundesrepublik freiwillig zu verlassen.
8
Es liege auch kein die Abschiebung hindernder Umstand in der Person des Betroffenen vor. Seine Heirat habe nicht zu einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsgestattung geführt. Wie das Verwaltungsgericht Cottbus festgestellt habe, lägen hinreichende Anhaltspunkte für eine bloße Zweckehe vor. Zudem sei nicht ersichtlich, dass eine vorübergehende Unterbrechung der ehelichen Gemeinschaft durch Ausreise und ein anschließendes Verfahren zum Ehegattennachzug eine unzumutbare Härte darstellten. Der Anhörung der Ehefrau des Betroffenen habe es nicht bedurft.

III.

9
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie führt zu der Feststellung, dass die Anordnung der Haft gegen den Betroffenen rechtswidrig war, soweit sie über den 10. Dezember 2009 hinausgeht.
10
1. Das Rechtsmittel ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Rechtsbeschwerde eines Betroffenen auch dann ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG statthaft, wenn sich die Hauptsache durch den Ablauf der für die Haft angeordneten Dauer erledigt hat und mit dem Rechtsmittel allein das Ziel verfolgt wird, die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG festzustellen (Senat, Beschl. v. 25. Februar 2010, V ZB 172/09, Rdn. 9 ff., juris).
11
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet, soweit der Betroffene über den 10. Dezember 2009 hinaus inhaftiert worden ist.
12
a) Der Betroffene ist nach §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Es bestand auch ein Haftgrund. Dieser ergab sich schon daraus , dass der Betroffene seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ohne der Beteiligten zu 2 eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar war, § 62 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
13
b) Die Anordnung der Haft war auch nicht deshalb rechtswidrig, weil dem Beteiligten zu 2 die für den Haftantrag nach § 417 Abs. 1 FamFG notwendige Zuständigkeit gefehlt hätte. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG enthält eine Regelung der sachlichen Zuständigkeit; die örtliche und die funktionelle Zuständigkeit der beteiligten Behörden richten sich nach Landesrecht (Senat, Beschl. v. 18. März 2010, V ZB 174/09, Rdn. 11, juris).
14
Die örtliche Zuständigkeit der Beteiligten zu 2 folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 4 BrbgVwVfG i.V.m. § 3 VwVfG. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG ist in Angelegenheiten, die eine natürliche Person betreffen, die Behörde zuständig, in deren Bezirk die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat oder zuletzt hatte. Das führt zur Zuständigkeit des Beteiligten zu 2. Der gewöhnliche Aufenthalt eines Studenten muss zwar nicht mit dem Ort übereinstimmen, an dem dieser studienbedingt wohnt. So kann es sein, wenn ein Student die vorlesungsfreien Zeiten in seinem Elternhaus verbringt. Bei einem ausländischen Studenten verhält sich das aber regelmäßig anders. Die Entfernung zwischen Heimatland und Studienort und die mit der Reise verbundenen Kosten stehen in diesem Fall der regelmäßigen Rückkehr in das Heimatland entgegen. Der gewöhnliche Aufenthalt eines ausländischen Studenten befindet sich daher an dem Ort, an dem sich der Student wegen seines Studiums aufhält (vgl. VGH München, Beschl. v.
15. September 2009, 19 CS 09.1812, juris, Rdn. 3; Ronellenfitsch in Bader /Ronellenfitsch, VwVfG, § 3 Rdn. 9).
15
So ist es auch hier. Der Betroffene hat ein Studium an der Fachhochschule L. aufgenommen, zu diesem Zweck in S. eine Wohnung gemietet und zumindest anfänglich sein Studium betrieben. Damit befand sich sein gewöhnlicher Aufenthalt im Bereich der örtlichen Zuständigkeit des Beteiligten zu 2. Dass er seine Wohnung später aufgegeben und sein Studium nicht weiterbetrieben hat, würde die Zuständigkeit des Beteiligten zu 2 als Ort des letzten gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a VwVfG nur dann entfallen lassen, wenn der Betroffene einen anderen gewöhnlichen Aufenthalt genommen hätte. Das hat sich indes nicht feststellen lassen. Der Betroffene hat die Fragen des Beteiligten zu 2 nach seinem Aufenthaltsort vielmehr unbeantwortet gelassen. Seine Behauptung, er habe sich in O. "bei Freunden" aufgehalten, erlaubt die Feststellung, O. sei sein gewöhnlicher Aufenthaltsort schon deshalb nicht, weil der Aufenthalt "bei Freunden" ungesichert ist und einem solchen Aufenthalt keine Dauerhaftigkeit zukommt.
16
c) Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Eisenhüttenstadt ist auch im Fortsetzungsfestellungsverfahren von dem Senat nicht zu prüfen, § 72 Abs. 2 FamFG. Daher kann die Rüge der Rechtsbeschwerde dahingestellt bleiben , zur Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Eisenhüttenstadt habe es eines förmlichen Beschlusses bedurft.
17
d) Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde kann ebenso offen bleiben, ob es einen Verfahrensfehler bedeutet, dass das Beschwerdegericht die Ehefrau des Betroffenen nicht angehört hat. Auf die Behauptung des Betroffen , die Anhörung seiner Frau habe zu der Feststellung führen können, er sei nur deshalb nicht mit dieser zusammengezogen, um das Bekanntwerden seiner Anschrift zu vermeiden, kommt es nicht an. Diese Behauptung berührt den Haftgrund aus § 62 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, nicht jedoch den Haftgrund von § 62 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG.
18
e) Die angefochtene Entscheidung hält der Nachprüfung auch im Hinblick darauf stand, dass die Haft unzulässig ist, wenn feststeht, dass die Abschiebung aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann (§ 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Der Haftrichter hat auf einer hinreichend vollständigen Tatsachengrundlage seine Prognose grundsätzlich auf alle im konkreten Fall ernsthaft in Betracht kommenden Gründe zu erstrecken, die der Abschiebung entgegenstehen oder sie verzögern können (BVerfG NJW 2009, 2659, 2660).
19
Nicht zu prüfen hat er jedoch, ob die zuständige Behörde die Abschiebung bzw. Zurückschiebung zu Recht betreibt; denn die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden unterliegt allein der Kontrolle durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Senat, Beschl. v. 16. Dezember 2009, V ZB 148/09, FGPrax 2010, 50 m.w.N.). Ergibt sich die Ausreisepflicht aus einer bestandskräftigen Abschiebungs - bzw. Zurückschiebungsverfügung, erstreckt sich die Prüfung des Richters im Verfahren nach § 62 AufenthG daher nicht darauf, ob die von der Behörde betriebene Abschiebung oder Zurückschiebung durchgeführt werden kann (BVerfG NJW 1987, 3076).
20
Der Senat kann die Entscheidung des Beschwerdegerichts insoweit nur darauf prüfen, ob die der Prognose zugrunde liegenden Wertungsmaßstäbe zutreffend erkannt und alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt und vollständig gewürdigt worden sind (Keidel/Meyer-Holz, aaO, § 72 Rdn. 18). Zu der Feststellung, ob die Abschiebung innerhalb von drei Monaten möglich ist, sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung erforderlich, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können. Der Tatrichter darf sich insoweit nicht auf die Wiedergabe der Einschätzung der Ausländerbehörde beschränken , die Abschiebung werde voraussichtlich innerhalb von drei Monaten stattfinden können. Soweit die Ausländerbehörde keine konkreten Tatsachen hierzu mitteilt, obliegt es gemäß § 26 FamFG dem Gericht nachzufragen (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 23. September 2008, 11 Wx 46/08, Rdn. 30, juris). Die Ungewissheit hinsichtlich der Dauer des - von ihm nicht zu vertretenden - Abschiebungshindernisses hat der Ausländer nur für einen begrenzten Zeitraum hinzunehmen (BVerfG NJW 2009, 2659 2660).
21
Den an die Beurteilungsgrundlage zu stellenden Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Etwas anderes folgt nicht daraus, dass von dem Beteiligten zu 2 keine zeitnahen Vergleichsfälle benannt worden sind. Aus der maßgeblichen Sicht des Beschwerdegerichts (OLG München OLGR 2009, 714) war es nicht ausgeschlossen, dass die libanesischen Behörden die erforderlichen Papiere so rechtzeitig ausstellen würden, dass der Betroffene innerhalb von drei Monaten abgeschoben werden könnte. Das hat das Beschwerdegericht daraus hergeleitet, dass der um die Beschaffung der Dokumente ersuchte libanesische Botschafter am 23. September 2009 zwar angegeben hat, mit Eingang der Rückkehrerlaubnis sei nicht vor Ablauf von acht bis zehn Wochen zu rechnen, auf eine Nachfrage vom 2. November 2009 aber mitgeteilt hat, dass er die Behörden im Libanon in der 45. Kalenderwoche erinnern werde und von einer Ausstellung des Dokuments innerhalb von drei Monaten ausgehe. Diese Auskunft war hinreichend konkret und plausibel, zumal die Herkunft und die Identität des Betroffenen feststanden.
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f) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts verletzt den Betroffenen jedoch insoweit in seinen Rechten, als das Beschwerdegericht die Dauer der zulässigen Haft nicht auf einen Zeitraum von drei Monaten, gerechnet von der Festnahme des Betroffenen an, beschränkt hat.
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Nach § 62 Abs. 2 Satz 4 AufenthG darf die Dauer der Haft drei Monate grundsätzlich nicht überschreiten. Die Verlängerung der Haft über diesen Zeitraum hinaus ist unzulässig, wenn die Abschiebung aus Gründen unterbleibt, die von dem Ausländer nicht zu vertreten sind (Senat, BGHZ 133, 235, 237 f. zu § 57 AuslG).
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So ist es hier. Ein Umstand, der es erlaubt hätte, die Abschiebungshaft auf eine Dauer von mehr als drei Monaten zu verlängern, ist nicht gegeben. Der Ausländer hat zwar auch solche Gründe zu vertreten, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Abschiebungshindernis überhaupt erst entstanden ist (Senat, aaO, S. 238). So verhält es sich hier jedoch nicht. Der Betroffene hat weder seinen Reisepass beiseite geschafft, noch hat er die Feststellung seiner Identität oder das Verfahren zur Beschaffung der Rückführungsdokumente behindert. Zwar hat erst seine Weigerung, freiwillig in den Libanon zurückzukehren, dazu geführt, dass das für die Rückführung erforderliche aufwendige Verfahren notwendig wurde. Das bedeutet jedoch keinen dem Betroffenen zurechenbaren Umstand, durch den ein Abschiebungshindernis geschaffen worden ist (Senat, aaO; OLG München OLGR 2009, 754, 755). Denn anderenfalls käme der Sicherungshaft Sanktionscharakter zu, weil die Weigerung, freiwillig auszureisen, Voraussetzung für die Abschiebung als Form der zwangsweisen Durchsetzung der Ausreisepflicht ist (vgl. § 58 Abs. 1 AufenthG ).
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Dass der Beteiligte zu 2 erst am 23. September 2009 das Verfahren zur Beschaffung der Rückführungsdokumente eingeleitet hat, rechtfertigt die Verlängerung der Haft über die Dauer von drei Monaten seit der Festnahme des Betroffenen hinaus nicht, sondern bedeutet einen Verstoß gegen das aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abzuleitende Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen (BVerfGE 20, 45, 49 f.; 46, 194, 195). Sobald vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, muss die Behörde alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, um die erforderlichen Papiere zu beschaffen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (Senat, BGHZ 133, 235, 239; OLG Celle InfAuslR 2004, 118; OLG Schleswig InfAuslR 2004, 167; Hailbronner, aaO, § 62 AufenthG Rdn. 33). Weshalb der Beteiligte zu 2 insoweit erst am 23. September 2009 aktiv geworden ist, ist nicht zu erkennen. Vor diesem Tag ist nichts geschehen, das Anlass zu einer Änderung der Einschätzung der Situation geben konnte. Eine "Freiwilligkeitserklärung" hat der Betroffene nach seiner Inhaftierung nicht abgegeben.
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g) Die von der Rechtsbeschwerde erstrebte Feststellung, dass die Inhaftierung des Betroffenen rechtswidrig war, sieht § 62 Abs. 1 FamFG nicht vor. Eines solchen Ausspruchs bedarf es auch nicht. Der Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der Vorschrift an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Dezember 2001 (BVerfGE 104, 200, 234 f.) orientiert (Gesetzentwurf vom 7. September 2007 zu einem FGG-Reformgesetz, BT-Drucks. 16/6308, S. 205). Danach bezieht sich das Interesse des Betroffenen an der Feststellung auch auf die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung (vgl. BVerfGE aaO, S. 234 ff.). Aus der Feststellung, dass die freiheitsentziehende Maßnahme ihn in seinen Rechten verletzt hat, folgt, dass die freiheitsentziehende Maßnahme hierauf nicht gestützt werden konnte und damit rechtswidrig war.

IV.

27
Verfahrenskostenhilfe war dem Betroffenen von dem Tage an zu bewilligen , an dem die für eine Bewilligung notwendigen Unterlagen dem Bundesgerichtshof vorgelegt worden sind.
28
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG, 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Beteiligten zu 2 zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Anlagen des Betroffen zu verpflichten. Von der Erhebung von Dolmetscherkosten ist in Abschiebungshaftsachen abzusehen (Senat, Beschl. v. 4. März 2010, V ZB 222/09, Rdn. 20, juris).
29
Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO. Krüger Klein Lemke Schmidt-Räntsch Roth
Vorinstanzen:
AG Eisenhüttenstadt, Entscheidung vom 05.10.2009 - 23 XIV 101/09 L B -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 09.11.2009 - 15 T 146/09 -

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Das Gericht kann die Kosten des Verfahrens nach billigem Ermessen den Beteiligten ganz oder zum Teil auferlegen. Es kann auch anordnen, dass von der Erhebung der Kosten abzusehen ist. In Familiensachen ist stets über die Kosten zu entscheiden.

(2) Das Gericht soll die Kosten des Verfahrens ganz oder teilweise einem Beteiligten auferlegen, wenn

1.
der Beteiligte durch grobes Verschulden Anlass für das Verfahren gegeben hat;
2.
der Antrag des Beteiligten von vornherein keine Aussicht auf Erfolg hatte und der Beteiligte dies erkennen musste;
3.
der Beteiligte zu einer wesentlichen Tatsache schuldhaft unwahre Angaben gemacht hat;
4.
der Beteiligte durch schuldhaftes Verletzen seiner Mitwirkungspflichten das Verfahren erheblich verzögert hat;
5.
der Beteiligte einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einem kostenfreien Informationsgespräch über Mediation oder über eine sonstige Möglichkeit der außergerichtlichen Konfliktbeilegung nach § 156 Absatz 1 Satz 3 oder einer richterlichen Anordnung zur Teilnahme an einer Beratung nach § 156 Absatz 1 Satz 4 nicht nachgekommen ist, sofern der Beteiligte dies nicht genügend entschuldigt hat.

(3) Einem minderjährigen Beteiligten können Kosten in Kindschaftssachen, die seine Person betreffen, nicht auferlegt werden.

(4) Einem Dritten können Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft.

(5) Bundesrechtliche Vorschriften, die die Kostenpflicht abweichend regeln, bleiben unberührt.

(1) Wird das Verfahren durch Vergleich erledigt und haben die Beteiligten keine Bestimmung über die Kosten getroffen, fallen die Gerichtskosten jedem Teil zu gleichen Teilen zur Last. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.

(2) Ist das Verfahren auf sonstige Weise erledigt oder wird der Antrag zurückgenommen, gilt § 81 entsprechend.

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.