Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Okt. 2015 - 5 StR 355/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in vier Fällen, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, wegen sexueller Nötigung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- 1. Der Strafausspruch hält in den Fällen II.3 bis II.6, in denen der Angeklagte wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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- a) Insoweit hat das Landgericht bei der Strafzumessung jeweils strafschärfend gewertet, dass der Angeklagte mit direktem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Diese Erwägung verstößt gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB. Der Tatbestand des Totschlags setzt vorsätzliche Tatbegehung voraus, deren normativer Regelfall die Tötung mit direktem Vorsatz ist. Der Umstand, dass der Angeklagte mit direktem Vorsatz gehandelt hat, darf daher als solcher nicht straferschwerend berücksichtigt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 1989 – 2 StR 555/89, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 3 mwN; vom 17. September 1990 – 3 StR 313/90, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 4; vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564, und vom 11. März 2015 – 1 StR 3/15).
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- Außerdem hat das Landgericht in den vier Fällen des versuchten Mordes rechtsfehlerhaft (§ 46 Abs. 3 StGB) jeweils die Tatausführung straferschwerend gewertet, wonach der Angeklagte bei der Tat II.3 dem Geschädigten T. „nach dem ersten Messerstich sogar noch nachsetzte und ihm einen zweiten Messer- stich in den Rücken beibrachte, um seine Tat zu vollenden“ (UA S. 44), bei der Tat II.4 „sofort einen gezielten Messerstich gegen den Hals des Geschädigten und somit gegen eine besonders empfindliche Körperregion“ und „mit Wucht“ führte (UA S. 45), bei der Tat II.5 „seinen ersten Stich sofort in Richtung des Kopfes des Geschädigten M. und somit gegen eine besonders empfindli- che Körperregion“ führte (UA S. 47) und er bei der Tat II.6 „den Geschädigten durch den Halsschnitt in potentielle Lebensgefahr versetzte“ (UA S. 48). Es kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden, dass der Angeklagte das Maß an Gewalt überschritten hat, das zur Verwirklichung seines jeweiligen Entschlusses, die von ihm angegriffene Person zu töten, erforderlich war. Die Anwendung der zur Tötung erforderlichen Gewalt darf indes grundsätzlich nicht straferschwerend gewertet werden (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 1988 – 5 StR 657/87, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2; vom 28. September 1995 – 4 StR 561/95, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 6; vom 24. März 1998 – 4 StR 34/98, StV 1998, 657 und vom 8. Oktober 2008 – 4 StR 226/08, StV 2009, 464).
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- b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet weiter die jeweils straferschwerende Wertung des Landgerichts, dass die Messerangriffe des Angeklagten jeweils „völlig grundlos“ erfolgt seien. Die Schwurgerichtskammer hat sich – wie sie selbst ausdrücklich festhält (UA S. 6) – von einem Motiv für diese vom Angeklagten pauschal bestrittenen Taten keine sichere Überzeugung bilden können. Bei dieser Sachlage verbietet es sich, eine Grund- bzw. Anlasslosigkeit der Taten zu berücksichtigen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 56/11). Soweit die Schwurgerichtskammer die Grundlosigkeit der Taten beispielhaft im Fall II.4 mit der weiteren Erwägung charakterisiert , dass auch eine Provokation durch den Geschädigten als Motiv für die Tat nicht erfolgt sei, hat sie verkannt, dass ein solcher Umstand in der Regel zugunsten eines Täters wirkt. Das Fehlen eines solchen möglichen Strafmilderungsgrundes darf nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werden.
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- 2. Ungeachtet der Angemessenheit der verhängten Strafen kann der Senat nicht gänzlich ausschließen, dass sich die aufgezeigten Rechtsfehler im Fall II.4 bei der Wahl des Strafrahmens des § 211 Abs. 1 StGB ohne die fakul- tative Versuchsmilderung gemäß § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB und in den drei übrigen Fällen bei der konkreten Strafzumessung ausgewirkt haben. Die Aufhebung der betreffenden Einzelstrafen entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
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- Die getroffenen Feststellungen werden durch die Wertungsfehler nicht berührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Im Rahmen der neuen Strafzumessung sind ergänzende Feststellungen möglich, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Bellay Feilcke
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.
(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.