Bundesgerichtshof Beschluss, 23. März 2011 - 2 StR 56/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision führt auf die Sachrüge hin zur Aufhebung des Strafausspruchs, im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte, der im Laufe des Tages erheblich Alkohol konsumiert hatte, in der Nacht einen Mitbewohner in der von ihm bewohnten Obdachlosenunterkunft mit mehreren Messerstichen. Vorausgegangen war ein Streit, dessen Anlass und Verlauf un- klar geblieben sind. "Nahe liegend" sei es - so die Schwurgerichtskammer - , dass sich das Tatopfer darüber beschwert habe, dass der Angeklagte nicht den versprochenen Alkohol besorgt oder der später Getötete auf das mitgebrachte Hähnchen keinen Wert gelegt habe; vielleicht sei auch beides zusammengekommen. Jedenfalls sei es zu Handgreiflichkeiten und einer Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf Gegenstände heruntergeworfen und Möbel beschädigt wurden. Der Streit habe schließlich zu den tödlichen Messerstichen geführt, möglicherweise, weil der später Getötete das Geschehen in bestimmter Weise kommentiert und dadurch den Angeklagten weiter in Rage versetzt habe, vielleicht aber auch, weil er sich - was dem Angeklagten nicht gepasst habe - zur Wehr gesetzt habe.
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- Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht sowohl bei der Ablehnung eines minderschweren Falles nach § 213 StGB als auch bei der konkreten Strafzumessung im Rahmen eines nach §§ 21, 49 StGB gemilderten Strafrahmens nach § 212 StGB berücksichtigt, dass der Angeklagte die Tat "aus nichtigem Anlass" begangen habe. Dies ist rechtsfehlerhaft.
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- Die Schwurgerichtskammer hat - wie sie selbst ausdrücklich festhält - den tatsächlichen Anlass der Tat ebenso wenig sicher feststellen können wie die Umstände, die zur Eskalierung der Auseinandersetzung und schließlich zu den tödlichen Messerstichen geführt haben. Die Erwägungen des Landgerichts hierzu, die schon nach ihrem Wortlaut lediglich mögliche Tatentwicklungen beschreiben , spiegeln zwar jeweils nichtige Anlässe wider, lassen aber nicht erkennen , dass der Tatrichter andere Ursachen und Motive der Tat, die nicht nichtig wären, damit ausschließen wollte. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts handelt es sich insoweit nicht lediglich um die beispielhafte Aufzählung nichtiger Anlässe und die darin zum Ausdruck gekommene Überzeugung der Kammer, dass es jedenfalls keine gravierenden Auslöser für die Tat gegeben habe. Das Landgericht hat sich vielmehr überhaupt keine Überzeugung vom Anlass der Tat bilden können. Bei dieser Sachlage verbietet es sich, zu Lasten des Angeklagten zu berücksichtigen, er habe die Tat aus "nichtigem Anlass" begangen.
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- Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil der Senat jedenfalls mit Blick auf die konkrete Strafzumessung nicht ausschließen kann, dass das Landgericht ohne diese Erwägung zu einer für den Angeklagten milderen Strafe gekommen wäre.
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- 2. Einer Entscheidung über die Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 1 StPO bedarf es nicht, weil der Strafausspruch schon aufgrund der Sachrüge der Aufhebung unterliegt und auszuschließen ist, dass sich ein möglicher Verstoß gegen die Hinweispflicht auf den Schuldspruch ausgewirkt hat. Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach
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Annotations
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.