Bundesgerichtshof Beschluss, 11. März 2015 - 1 StR 3/15

bei uns veröffentlicht am11.03.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 3 / 1 5
vom
11. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2015 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 1. Oktober 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Landshut zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im Übrigen ist sie im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
1. Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht ausdrücklich strafschärfend gewertet, dass es dem Angeklagten unbedingt darauf angekommen sei, seine Ehefrau zu töten, und er nicht nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Dies verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Februar 2004 – 4 StR 403/03 und vom 19. März 2009 – 4 StR 53/09, NStZ 2009, 564). Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch auf diesem Rechtsfehler beruht, der einen von drei bei der konkreten Strafzumessung ausdrücklich genannten Strafschärfungsgründe betrifft.
3
2. Bei dem Vorbehalt der Sicherungsverwahrung ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es diesen aussprechen muss, weil die Voraussetzungen des § 66a Abs. 2 StGB vorliegen. Dies ist rechtsfehlerhaft. Bei § 66a Abs. 2 StGB handelt es sich schon nach dem Wortlaut der Norm („kann“) um eine Ermessensvorschrift (vgl. Stree/Kinzig, in Schönke/Schröder, 29. Aufl., § 66a Rn. 20). Da das Landgericht den Ermessenscharakter der Vorschrift verkannt hat, hat es kein Ermessen ausgeübt. Dem Senat ist es verwehrt, insoweit eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 21. August 2003 – 3 StR 251/03, NStZ-RR 2004, 12). Dies führt zur Aufhebung der Vorbehaltsanordnung.
4
In diesem Zusammenhang nicht unbedenklich sind Formulierungen des Landgerichts, wonach bei dem die Tatumstände zum Teil bestreitenden Ange- klagten eine „echte Reue“ nicht ersichtlich sei,auch weil er sich in der Hauptverhandlung bei der Geschädigten mit der Begründung nicht entschuldigt habe, sie habe in der Hauptverhandlung gelogen. Rechtsfehlerhaft wäre es, mit einem zulässigen Verteidigungsverhalten des Angeklagten dessen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten oder dessen hangbedingte Gefährlichkeit zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. August 2014 – 1 StR 320/14, NStZ-RR 2015, 9 mwN).
5
3. Um dem neuen Tatgericht insgesamt eine widerspruchsfreie neue Entscheidung über die Rechtsfolgen zu ermöglichen, hat der Senat die zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
RiBGH Prof. Dr. Jäger befindet sich in Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung verhindert. Raum Graf Raum
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 46 Grundsätze der Strafzumessung


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

Strafgesetzbuch - StGB | § 66a Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung


(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn 1. jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,2. die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit diese

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 53/09
vom
19. März 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 19. März 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hagen vom 18. Juli 2008 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: "Die Kammer hat wegen nicht ausschließbarer verminderter Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB den Strafrahmen nach § 49 Abs. 1 StGB gemindert. Straferschwerend hat sie sodann allein folgende Erwägung herangezogen : 'Zu Lasten des Angeklagten war der in der Tat zum Ausdruck kommende unbedingte Vernichtungswille zu berücksichtigen, der für den waffenerfahrenen Angeklagten bei einem Kopfschuss mit einem Schrotgewehr aus nächster Nähe deutlich zum Ausdruck kommt, und auch innerhalb der tatbestandserfassten Fälle des direkten Tötungsvorsatzes im Hinblick auf Anlass und Ziel der Tat sowie das vorausgegangene Verhalten des Tatopfers besonders schwerwiegend erscheint' (UA S. 39). Diese Erwägung begegnet unter dem Gesichtspunkt des Doppelverwertungsverbots (§ 46 Abs. 3 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat damit maßgeblich auf den die Tat prägenden 'unbedingten Vernichtungswillen' abgestellt. Dass der Täter eines Tötungsdeliktes, von derartiger Absicht angetrieben, dem Opfer bewusst keine Überlebenschance lässt, verwertet aber lediglich erneut zu Lasten des Angeklagten das Tatbestandsmerkmal des Tötungsvorsatzes (vgl. Senat BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 1; Beschluss vom 3. Februar 2004 - 4 StR 403/03 -). Zwar hat die Kammer versucht, ihre Überlegungen im Folgenden weiter zu konkretisieren; dass darin tatsächlich eine Anknüpfung der Strafzumessung an zulässige Straferschwerungsgründe liegt, lässt sich indes der wenig geglückten Formulierung jedenfalls nicht zweifelsfrei entnehmen, zumal die Kammer offenbar Abstufungen innerhalb der Fälle direkten Vorsatzes vorgenommen sowie den nach dem Tatgeschehen auf der Hand liegenden direkten Tötungsvorsatz schon im Rahmen der Beweiswürdigung näher erörtert und als 'bewusst, gewollt und gezielt' (UA S. 34 unten) gekennzeichnet hat. Zudem unterliegen auch die in Betracht zu ziehenden Interpretationsmöglichkeiten Bedenken. Selbst wenn man die Wendung, der 'unbedingte Vernichtungswille' sei 'für den waffenerfahrenen Angeklagten bei einem Kopfschuss mit einem Schrotgewehr aus nächster Nähe deutlich zum Ausdruck gekommen', letztlich als eine Beschreibung der Art der Tatausführung (§ 46 Abs. 2 StGB) werten wollte (vgl. hierzu BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5), bliebe im Kern doch nur der Vorwurf, der Angeklagte habe mit der Abgabe des Schusses aus naher Distanz die zur Erreichung seines Tatziels - die Tötung des Tatopfers - nötige Gewalt angewandt; auch dies wäre mit § 46 Abs. 3 StGB nicht vereinbar (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 2, 6). Eine solche Interpretation geriete auch mit dem Grundsatz in Konflikt, dass im Verhältnis zu dem gesetzlichen Regelfall einer Tötung mit bedingtem Vorsatz eine geringere Tatschwere zukommt, nicht aber eine Tötung mit direktem Tötungsvorsatz einen gesteigerten Unrechtsgehalt aufweist. Auch im Übrigen lassen die Ausführungen selbst bei weiter Auslegung nicht erkennen, dass die Kammer in rechtlich zulässiger Weise auf erschwerende Gesichtspunkte der Tatausführung verweisen wollte, wie etwa die durch das Bereitstellen und Verdecken der Tatwaffen vom Angeklagten bewusst geschaffene Gefährlichkeit der Situation. Zwar lässt sich der weiteren Erwägung, der Vernichtungswille erscheine 'im Hinblick auf Anlass und Ziel der Tat sowie das vorangegangene Verhalten des Tatopfers besonders schwerwiegend' ein Bezug zur Tatmotivation entnehmen. Die Herleitung strafschärfender Umstände wird insofern durch die Feststellungen aber nicht getragen. Zum Anlass der Tat hat die Kammer festgestellt, dass der von jeher eifersüchtige (UA S. 5) Angeklagte, der erhebliche Investitionen in die von seiner Lebensgefährtin betriebene Gaststätte geleistet hatte (UA S. 3, 20), die Tat beging aus 'Angst, seine Lebensgefährtin zu verlieren und aus spontaner Wut gegen den Getöteten, dem sie sich endgültig zugewandt hatte' (UA S. 14, 33). Inwiefern hieraus - jenseits der von der Kammer verneinten niedrigen Beweggründe - ein erhöhter Unrechtsgehalt folgen soll, hätte zumindest näherer Begründung bedurft. Auch aus dem Vorverhalten des Tatopfers, dessen Äußerung 'ich nehm sie dir weg' die Tat unmittelbar ausgelöst hatte (UA S. 35), ist eine Steigerung des Schuld- und Unrechtsgehalts jedenfalls ohne nähere Darlegung nicht ohne Weiteres abzuleiten. Einer Auslegung, die Kammer habe in noch zulässiger Weise strafschärfend nicht den Tötungsvorsatz, sondern eine aus der Art der Ausführung und der Tatmotivation folgende erhöhte kriminelle Energie herangezogen , steht schließlich auch die angenommene eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten entgegen. Denn nach den Feststellungen bestand bei ihm aufgrund seiner Alkoholisierung eine toxische Reizoffenheit , in Folge derer er nicht mehr in vollem Umfang in der Lage war, die von Außen und Innen kommenden Reize zu filtrieren, abzuwägen und bedürfnisgerecht zu reagieren (vgl. UA S. 16). Im Hinblick darauf, dass sich die Kammer bei der Zumessung der Strafe ersichtlich an der Obergrenze des rechtsfehlerfrei nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB (und nicht nach § 213, 2. Alt. StGB) gemilderten Strafrahmens orientiert hatte, lässt sich ein Beruhen des Strafausspruches auf dem dargelegten Rechtsverstoß nicht ausschließen. Eine Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO erscheint deshalb ebenfalls nicht angebracht. Die Sache bedarf daher hinsichtlich des Strafausspruches neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen können aufrecht erhalten bleiben, weil es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt; ergänzende Feststellungen sind möglich."
3
Dem verschließt sich der Senat nicht. Tepperwien Maatz Athing Franke Mutzbauer

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 251/03
vom
21. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 21.
August 2003 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 5. März 2003 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet; außerdem hat es gegen ihn eine unbefristete Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis verhängt. Mit seiner Revision rügt
der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechts- mittel hat hinsichtlich des Maßregelausspruchs zum Teil Erfolg. Die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach Nummer 1 dieser Vorschrift ist in den Urteilsgründen nicht ausreichend belegt; den Feststellungen läßt sich nicht entnehmen, daß der Angeklagte vor der verfahrensgegenständlichen Tat schon zweimal wegen vorsätzlicher Straftaten jeweils zu einer Einzelfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Die mit Urteil des Landgerichts Würzburg vom 15. März 1990 ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren gilt trotz der darin enthaltenen vier Einzelfreiheitsstrafen von zwei bis vier Jahren nur als eine einzige Verurteilung (§ 66 Abs. 4 Satz 1 StGB). Die erforderliche zweite Vorverurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr kann auch dem Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 5. November 1982 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten nicht entnommen werden. Denn die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe erfüllt nur dann die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn sie eine Einzelfreiheitsstrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe enthält (st. Rspr., vgl. BGHSt 34, 321). Die diesem Urteil zugrundeliegenden Einzelstrafen werden jedoch im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt. Angesichts der geringen Höhe der Gesamtstrafe für sechs verschiedene Straftaten kann auch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß zumindest eine der sechs Einzelstrafen das geforderte Strafmaß erreicht hat. Die Maßregel kann auch nicht, wie der Generalbundesanwalt erwogen hat, gestützt auf § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB aufrechterhalten werden. Zwar hat
das Landgericht die hierfür maßgeblichen Voraussetzungen ohne Rechtsfehler als erfüllt angesehen; die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach dieser Vorschrift steht aber im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters (BGHR StGB § 66 Abs. 3 Begründung 1). Daher müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, daß und aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Entscheidungsbefugnis in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 4 und 5). Daran fehlt es hier: Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ausdrücklich auf die vorrangige Vorschrift des § 66 Abs. 1 StGB gestützt, wonach die Anordnung der Maßregel bei Vorliegen der formellen und materiellen Voraussetzungen zwingend ist. Das Revisionsgericht kann die fehlende Ermessensentscheidung nicht ersetzen; sie ist dem neuen Tatrichter vorbehalten.
Im übrigen hat die Überprüfung des Urteils auf die Revisionsrechtfertigung hin keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. RiBGH Pfister ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. Winkler Miebach Winkler RiBGH Becker ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert. von Lienen Winkler

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 3 2 0 / 1 4
vom
21. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 21. Februar 2014 mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.


1
Die Jugendschutzkammer des Landgerichts Augsburg hatte den Angeklagten u.a. wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern sowie weiteren Fällen von schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Weiterhin war die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden.
2
Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat den Maßregelausspruch der Sicherungsverwahrung wegen Verletzung der Hinweispflicht gemäß § 265 StPO aufgehoben , die Revision im Übrigen aber verworfen (Beschluss vom 26. Juni 2012 - 1 StR 158/12), so dass Schuld- und Strafausspruch in Rechtskraft erwuchsen.
3
Nunmehr hat die zuständige Strafkammer des Landgerichts Augsburg, an welche die Sache zurückverwiesen worden war, erneut die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet.
4
Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge erneut zur Aufhebung des Maßregelausspruchs.

II.

5
Die Strafkammer hat bei der Prüfung der Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung einen Hang des Angeklagten zu strafrechtsrelevanten Rechtsbrüchen im Bereich der Sexualdelikte (§ 66 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 1 Nr. 4 StGB) auch darauf gestützt, dass er schon seit früher Jugend die Neigung aufweise, aus Bestrafungen nichts zu lernen (UA S. 42), und keinerlei Anstrengungen unternommen habe, sich mit den Taten auseinanderzusetzen; ebenso habe er keine Angebote der JVA wahrgenommen, eine Sexualtherapie durchzuführen, da er seine Taten bis zum heutigen Tag abstreite (UA S. 43).
6
Im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose hat die Strafkammer ausgeführt, dass mehrere Angebote der JVA, den Angeklagten in der sozialtherapeutischen Abteilung für Sexualstraftäter unterzubringen, an der mangelnden Bereitschaft des Angeklagten, die Taten einzuräumen, gescheitert seien. Zwar habe dieses Verhalten dem Angeklagten vor dem rechtskräftigen Strafausspruch im vorliegenden Verfahren nicht vorgeworfen werden können, jedoch habe er auch nach Rechtskraft des Schuldspruches seit 27. Juni 2012 seine Haltung nicht geändert; vielmehr habe er bis zuletzt die den beiden Verurteilungen zugrunde liegenden Sexualstraftaten geleugnet.
7
Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Tatgericht die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens des Angeklagten verkannt hat (vgl. dazu BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 4). Zulässiges Verteidigungsverhalten darf weder hangbe- gründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit eines Angeklagten verwertet werden (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001 - 5 StR 250/01, NStZ 2001, 595, 596; BGH, Beschluss vom 4. August 2009 - 1 StR 300/09, NStZ 2010, 270, 271; Beschluss vom 20. März 2012 - 1 StR 64/12). Wenn der Angeklagte die Taten leugnet, bagatellisiert oder einem anderen die Schuld an der Tat zuschiebt, ist dies grundsätzlich zulässiges Verteidigungsverhalten (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8, 9, 10). Die Grenze ist erst erreicht, wenn das Leugnen, Verharmlosen oder die Belastung des Opfers sich als Ausdruck besonders verwerflicher Einstellung des Täters darstellt , etwa weil die Falschbelastung mit einer Verleumdung oder Herabwürdigung oder der Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung einhergeht (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10; BGH, Beschluss vom 5. April 2011 - 3 StR 12/11, StV 2011, 482).
8
Auch wenn mit der Entscheidung des Senats vom 26. Juni 2012 der Schuldund Strafausspruch in Rechtskraft erwachsen ist, durfte dem Angeklagten, solange über die Anordnung der Sicherungsverwahrung noch keine rechtskräftige Entscheidung getroffen war, nicht vorgeworfen werden, die ihm zur Last liegenden Sexualstraftaten nicht eingeräumt zu haben, zumal gerade auf diese bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abzustellen ist. Zwar hätte das Landgericht berücksichtigen dürfen , dass Umstände, die seiner möglicherweise bestehenden Gefährlichkeit entgegenwirken , nicht vorhanden sind. Hier hat das Landgericht aber schon die Gefährlichkeit mit dem Leugnen der verfahrensgegenständlichen Taten begründet.
9
Damit hat es dem Angeklagten unzulässig das Leugnen der Taten, die den Verfahrensgegenstand bilden, negativ angelastet. Das Urteil war deshalb aufzuheben.
Graf Jäger Cirener
Mosbacher Fischer