Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR403/14
vom
4. November 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: fahrlässiger Tötung u.a.
zu 2.: Beihilfe zum vorsätzlichen Inverkehrbringen bedenklicher
Arzneimittel
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer – zu 1.a) und 2.a) mit deren jeweiliger
Zustimmung – am 4. November 2015 gemäß § 153 Abs. 2, § 154a Abs. 2,
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. a) Das Verfahren gegen den Angeklagten K. wird gemäß § 153 Abs. 2 StPO eingestellt.

b) Die Kosten des diesen Angeklagten betreffenden Verfahrens und die diesem hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

c) Der Antrag des Angeklagten K. , ihm Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen zu gewähren, wird abgelehnt.
2. Auf die Revision des Angeklagten T. gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 25. Februar 2014 wird
a) die Verfolgung, soweit dem Angeklagten T. vorsätzliches Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zur Last liegt, gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung beschränkt;
b) das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe und die Anordnung des Verfalls von Wertersatz.

c) Die weiter gehende Revision des Angeklagten T. wird verworfen.

d) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten T. wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens eines Nahrungsergänzungsmittels ohne ausreichende Kennzeichnung und wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt und den Verfall von Wertersatz in Höhe von 400.000 € angeordnet. Den Angeklagten K. hat es wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richten sich die Rechtsmittel der Angeklagten. Diese führen zur Einstellung des Verfahrens hinsichtlich des Angeklagten K. gemäß § 153 Abs. 2 StPO und zu einer Verfahrensbeschränkung bezüglich des Angeklagten T. gemäß § 154a Abs. 2 StPO. Im verbleibenden Umfang hat das Rechtsmittel des Angeklagten T. hinsichtlich der Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, des Ausspruchs über die Gesamtstrafe sowie der Anordnung des Verfalls von Wertersatz Erfolg.

I.


2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen vertrieb der Angeklagte T. über das Internet sog. Legal-Highs, also noch nicht der Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende synthetische Cannabinoide (insbes. JWH 210). Dies unterstützte der insbesondere für den „EDV- Bereich“ verantwortliche Angeklagte K. , indem er unter anderem die jeweiligen Internetseiten einrichtete bzw. überarbeitete und die „Buchfüh- rung“ übernahm. Vom 17. Dezember 2010 bis zum 6. März 2012 erzielte der Angeklagte T. durch den Verkauf der synthetischen Cannabinoide an über 10.000 Abnehmer einen Umsatz von mehr als 800.000 €.
3
Beiden Angeklagten war bewusst, dass die vertriebenen Substanzen von ihren Kunden als Ersatz für Marihuana geraucht werden, um sich in einen Rausch zu versetzen. Die Nebenwirkungen der verkauften synthetischen Cannabinoide waren ihnen bekannt; die Gefahr von Gesundheitsschäden ihrer Abnehmer und Konsumenten interessierte sie aber nicht. Schädliche Wirkungen bis hin zu lebensgefährlichen Folgen für die Konsumenten nahmen sie in Kauf, hofften aber, dass nichts passieren werde, obwohl der Angeklagte T. von erheblichen gesundheitlichen Folgen auch unter seinen Abnehmern Kenntnis erlangt hatte. Ihm kam es vielmehr darauf an, innerhalb kürzester Zeit viel Geld zu verdienen und „richtig Kasse“ zu machen. Er vertrieb die synthetischen Cannabinoide als Badesalz bzw. Kräutermischung und unterließ dabei „zielgerich- tet“ Hinweise auf die enthaltene Substanz, die Wirkungsweise, die Dosierung oder die Nebenwirkungen, obwohl er sich von seinen Lieferanten Auflistungen der Inhaltsstoffe geben ließ, um „unter gezielter Umgehung der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes tätig zu werden“.
4
Nach dem Verkauf von 2 g einer solchen Substanz an den langjährig drogenabhängigen W. durch den Angeklagten T. und dem Konsum (durch Rauchen) verstarb W. am 15. Februar 2012 an einer Speisebreiaspiration und einer Atemdepression, welche durch den Konsum des JWH 210 mitverursacht wurden.
5
Daneben verkaufte der Angeklagte im März 2012 an zwei Abnehmer jeweils sechs sog. Kick-Speed-Kapseln, die die Vitamine B 6 und B 12 enthielten. Auch bei diesen unterließ er „zielgerichtet jegliche Produktinformation“, obwohl ihm diese bekannt war.
6
2. Das Landgericht bewertete den Handel mit den synthetischen Cannabinoiden beim Angeklagten T. als vorsätzliches Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel und stützte dies darauf, dass sie als Arzneimittel ent- wickelt worden seien und diese „Eigenschaft“ später auch nicht verloren hätten. Hierzu habe der Angeklagte K. Beihilfe geleistet. Beim Angeklagten T. stehe die fahrlässige Tötung von W. mit dem vorsätzlichen Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit. Wegen des Verkaufs der Kick-Speed-Kapseln sei der Angeklagte T. ferner des vorsätzlichen Inverkehrbringens eines Nahrungsergänzungsmittels ohne ausreichende Kennzeichnung schuldig.

II.


7
1. Der Senat teilt mit dem Europäischen Gerichtshof und der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht die Ansicht des Landgerichts, dass es sich bei den nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterfallenden synthetischen Cannabinoiden (insbes. JWH 210) um Arzneimittel handelt.
8
Die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz setzt voraus, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handelt. Hierfür wiederum ist entscheidend , wie der dieser Vorschrift zugrundeliegende, nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Denn der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der genannten Richtlinien den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – 3 StR 437/12, NStZ-RR 2014, 180, 181).
9
Dies hat das Landgericht an sich zutreffend erkannt, aber den Begriff des Arzneimittels dabei in einer Weise ausgelegt, wie es mit dem unionsrechtlichen Arzneimittelbegriff nicht vereinbar ist. Die Auslegung des europäischen Rechts, mithin der Frage, wann es sich bei einem Stoff oder Stoffzusammensetzungen, die einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologi- sche oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen, um ein Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der genannten Richtlinie handelt, obliegt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
10
Dieser hat in dem Urteil vom 10. Juli 2014 (Rechtssachen C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG dahin ausgelegt, dass der Begriff des Arzneimittels keine Stoffe erfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die vielmehr nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind.
11
In diesem Sinne legt der Bundesgerichtshof nunmehr auch die Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG fast wortgenau entsprechende Regelung des nationalen Rechts zum Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG aus. Danach fehlt in den vorliegenden Fällen den synthetischen Cannabinoiden die Arzneimitteleigenschaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 – 1 StR 47/14, NStZ-RR 2014, 312; vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13; Urteil vom 4. September 2014 – 3 StR 437/12, BGHR AMG § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittel 5, wobei die Entscheidungen vom 13. August 2014 und vom 4. September 2014 unter anderem auch JWH 210 betreffen).
12
Da JWH 210 erst durch die 26. BtMÄndV vom 20. Juli 2012 (BGBl. I S. 1639) mit Wirkung ab 1. Januar 2013, also nach dem Tatzeitraum, dem Betäubungsmittelbegriff unterstellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13), scheidet auch eine Strafbarkeit nach dem Betäubungsmittelgesetz aus.
13
2. Im Hinblick auf das derzeit stattfindende Anfrageverfahren gemäß § 132 Abs. 3 GVG kommt jedoch in Betracht, dass sich die Angeklagten nach § 52 Abs. 1 des Vorläufigen Tabakgesetzes (VTabakG) bzw. Beihilfe hierzu strafbar gemacht haben (vgl. dazu einerseits BGH, Beschluss vom 5. November 2014 – 5 StR 107/14, NStZ 2015, 597, andererseits BGH, Beschluss vom 20. Januar 2015 – 3 ARs 28/14, NStZ-RR 2015, 142).
14
3. Insofern stellt der Senat das Verfahren gegen den Angeklagten K. mit Zustimmung des Generalbundesanwalts und dieses Angeklagten gemäß § 153 Abs. 2 StPO ein.
15
Eine Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung erscheint nicht sachgerecht, da selbst im Falle einer erneuten Verurteilung die Schuld des bisher nicht bestraften, sozial eingegliederten Angeklagten gering ist. Da das ihm zur Last gelegte Geschehen bereits mehrere Jahre zurückliegt und derzeit nicht abzusehen ist, wann und wie das Anfrageverfahren abgeschlossen wird, besteht auch unter Berücksichtigung der relativ geringen Strafdrohung des § 52 Abs. 1 VTabakG kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung mehr.
16
Eine Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) ist dem Angeklagten K. nicht zu gewähren. Denn bei einer Einstellung gemäß § 153 StPO ist eine solche Entschädigung regelmäßig nicht vorgesehen (vgl. §§ 1, 2 StrEG) und kann nur ausnahmsweise gewährt werden, wenn dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht (§ 3 StrEG). Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar streitet auch insofern für den Angeklagten K. die Unschuldsvermutung. Jedoch bleibt der Tatverdacht, dessen Unrechtsgehalt wesentlich durch seine Handlungen bestimmt wird, trotz der oben aufgeführten Milderungsgründe und der geringeren Strafrahmenobergrenze des § 52 Abs. 1 VTabakG auch unter Berücksichtigung bloßer Beihilfe weiterhin erheblich und wird geprägt durch die einen langen Zeitraum umfassenden gewichtigen Tatbeiträge, die – jedenfalls objektiv, aber auch subjektiv vorhersehbar und vorhergesehen – zur Gefahr erheblicher Gesundheitsschäden bei den Abnehmern der synthetischen Cannabinoide geführt haben. Die Mitwirkung an der Gefährdung der Gesundheit von mehr als 10.000 Menschen und die hierdurch drohende finanzielle Belastung der Allgemeinheit gebieten es vor diesem Hintergrund nicht, den Staat zu einer „Billigkeitsentschädigung“ nach § 3 StrEG zugunsten des Angeklagten K. zu verpflichten.
17
4. Beim Angeklagten T. beschränkt der Senat mit Zustimmung des Generalbundesanwalts die Verfolgung hinsichtlich des Vorwurfs des vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung aus den oben dargelegten Gründen gemäß § 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf der fahrlässigen Tötung (zur Anwendbarkeit von § 154a Abs. 2 StPO, wenn ein Urteil in angemessener Frist nicht zu erwarten ist: BGH, Beschluss vom 21. Mai 2015 – 3 StR 575/14).
18
Nicht bestehen bleiben kann der Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Denn diesen stützt die Strafkammer schon hinsichtlich der Missachtung der gebotenen Sorgfalt auf die Verletzung der Strafnorm des § 95 Abs. 1 AMG (UA S. 65).
19
Der Wegfall des Schuldspruchs wegen fahrlässiger Tötung und infolgedessen der für diese Tat verhängten Einzelstrafe hat die Aufhebung der Gesamtstrafe sowie der Anordnung des Verfalls von Wertersatz zur Folge.
20
Hinsichtlich der Verurteilung wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens eines Nahrungsergänzungsmittels ohne ausreichende Kennzeichnung weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf (§ 349 Abs. 2 StPO; vgl. zu der zur Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer erhobenen Verfahrensrüge: BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 3 StR 196/11, BGHSt 57, 3, 12 [zur vergleichbaren Problematik bei § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG]). Da die hierfür verhängte Strafe (50 Tagessätze zu je 15 €) nach den Urteilsausführungen nicht beeinflusst ist von der für das vorsätzliche Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung verhängten Freiheitsstrafe , kann diese bestehen bleiben.
21
Da mithin eine Straftat nach dem Lebensmittelrecht (§ 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 GVG) nicht mehr zur Aburteilung steht, verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 354 Rn. 42 mwN).

III.


22
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten T. wegen fahrlässiger Tötung auch davon abhängt, ob sich W. eigen- bzw. freiverantwortlich zum Konsum der „Kräutermischung“ entschloss. Hieran kann es fehlen und deshalb eine zur Täterschaft des Angeklagten führende – normativ zu bestimmende – Handlungsherrschaft gegeben sein, wenn er kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 1 StR 47/14 NStZ-RR 2014, 312, 313; zur Verschreibung von Betäubungsmitteln durch einen Arzt im Rahmen einer Substitutionsbehandlung auch BGH, Beschluss vom 16. Januar 2014 – 1 StR 389/13, BGHR StGB § 227 Beteiligung 4; zur Gefährlichkeit synthe- tischer Cannabinoide: BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 – 1 StR 302/13).
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Quentin

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

(1) Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind Arzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind. Dies sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,

1.
die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder
2.
die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder
a)
die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b)
eine medizinische Diagnose zu erstellen.

(2) Als Arzneimittel gelten Gegenstände, die ein Arzneimittel nach Absatz 1 enthalten oder auf die ein Arzneimittel nach Absatz 1 aufgebracht ist und die dazu bestimmt sind, dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung gebracht zu werden.

(3) Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind nicht

1.
Tierarzneimittel im Sinne des Artikels 4 Nummer 1 der Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG (ABl. L 4 vom 7.1.2019, S. 43; L 163 vom 20.6.2019, S. 112; L 326 vom 8.10.2020, S. 15; L 241 vom 8.7.2021, S. 17) und veterinärmedizintechnische Produkte nach § 3 Absatz 3 des Tierarzneimittelgesetzes,
2.
Lebensmittel im Sinne des Artikels 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31 vom 1.2.2002, S. 1), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/1381 (ABl. L 231 vom 6.9.2019, S. 1) geändert worden ist,
3.
kosmetische Mittel im Sinne des Artikels 2 Absatz 1 Buchstabe a auch in Verbindung mit Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel (ABl. L 342 vom 22.12.2009, S. 59; L 318 vom 15.11.2012, S. 74; L 72 vom 15.3.2013, S. 16; L 142 vom 29.5.2013, S. 10; L 254 vom 28.8.2014, S. 39; L 17 vom 21.1.2017, S. 52; L 326 vom 9.12.2017, S. 55; L 183 vom 19.7.2018, S. 27; L 324 vom 13.12.2019, S. 80; L 76 vom 12.3.2020, S. 36), die zuletzt durch die Verordnung (EU) 2019/1966 (ABl. L 307 vom 28.11.2019, S. 15) geändert worden ist,
4.
Erzeugnisse im Sinne des § 2 Nummer 1 des Tabakerzeugnisgesetzes,
5.
Biozid-Produkte nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1; L 303 vom 20.11.2015, S. 109; L 305 vom 21.11.2015, S. 55; L 280 vom 28.10.2017, S. 57), die zuletzt durch die Delegierte Verordnung (EU) 2021/407 (ABl. L 81 vom 9.3.2021, S. 15) geändert worden ist,
6.
Futtermittel im Sinne des Artikels 3 Nummer 4 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002,
7.
Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne von Artikel 2 Nummer 1 und 2 der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 1; L 117 vom 3.5.2019, S. 9; L 334 vom 27.12.2019, S. 165), die durch die Verordnung (EU) 2020/561 (ABl. L 130 vom 24.4.2020, S. 18) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung und im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 und 4 der Verordnung (EU) 2017/746 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über In-vitro-Diagnostika und zur Aufhebung der Richtlinie 98/79/EG und des Beschlusses 2010/227/EU der Kommission (ABl. L 117 vom 5.5.2017, S. 176; L 117 vom 3.5.2019, S. 11; L 334 vom 27.12.2019, S. 167) in der jeweils geltenden Fassung, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne des Absatzes 1 Nummer 2 Buchstabe b,
8.
Organe im Sinne des § 1a Nr. 1 des Transplantationsgesetzes, wenn sie zur Übertragung auf menschliche Empfänger bestimmt sind.

(3a) Arzneimittel sind auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 fallen können.

(4) Solange ein Mittel nach diesem Gesetz als Arzneimittel zugelassen oder registriert oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung oder Registrierung freigestellt ist, gilt es als Arzneimittel. Hat die zuständige Bundesoberbehörde die Zulassung oder Registrierung eines Mittels mit der Begründung abgelehnt, dass es sich um kein Arzneimittel handelt, so gilt es nicht als Arzneimittel.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 437/12
vom
28. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
Markus D.
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
weiterer Verfahrensbeteiligter: Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
, Brauerstraße 30, 76135 Karlsruhe
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
7. März 2013 in der Sitzung am 28. Mai 2013, an denen teilgenommen haben:
Präsident des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Tolksdorf
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor - in der Verhandlung -,
Justizangestellte - bei der Verkündung -
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle,

beschlossen:
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 311 vom 28. November 2001, S. 67 ff.) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. EG Nr. L 136 vom 30. April 2004, S. 34 ff.) geltenden Fassung gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen im Sinne dieser Vorschrift, die die menschlichen physiologischen Funktionen lediglich beeinflussen - also nicht wiederherstellen oder korrigieren -, nur dann als Arzneimittel anzusehen sind, wenn sie einen therapeutischen Nutzen haben oder jedenfalls eine Beeinflussung der körperlichen Funktionen zum Positiven hin bewirken? Fallen mithin Stoffe oder Stoffzusammensetzungen , die allein wegen ihrer - einen Rauschzustand hervorrufenden - psychoaktiven Wirkungen konsumiert werden und dabei einen jedenfalls gesundheitsgefährdenden Effekt haben , nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie? 2. Das Revisionsverfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorlagefrage ausgesetzt.

Gründe:

1
Dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs liegt die Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Lüneburg zur Entscheidung vor. Das Landgericht hatte den Angeklagten unter anderem wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.

I.


2
1. Dem Revisionsverfahren liegt - soweit für das Vorabentscheidungsersuchen von Bedeutung - folgender, vom Landgericht festgestellter Sachverhalt zugrunde:
3
Der Angeklagte verkaufte in seinem Geschäft "G. - Alles rund um Hanf" unter anderem Tütchen mit bis zu 3 g Kräutermischungen. Diese sogenannten Legal-High-Produkte enthielten synthetische Cannabinoide. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Kräutermischungen von seinen Kunden als Ersatz für Marihuana geraucht wurden in der Erwartung, sich dadurch in einen mit dem Konsum von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen. Die Kräutermischungen unterfielen zum damaligen Zeitpunkt nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Aufgrund eines zuvor gegen ihn eingeleite- ten Ermittlungsverfahrens war ihm bekannt, dass die Kräutermischungen wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen von den Ermittlungsbehörden als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG) eingestuft wurden.
4
Die Untersuchung der aufgefundenen Kräutermischungen ergab, dass ihnen jeweils synthetische Cannabinoide - unter anderem JWH-210 und RCS-4 - zugesetzt waren. Diesen Verbindungen liegt keine Dibenzopyranbasis wie bei dem in Marihuana enthaltenen Wirkstoff Tetrahydrocannabinol (THC) zugrunde. Sie gehören zur Gruppe der Aminoalkylindole und wirken - dem THC ähnlich - auf die Cannabinoidrezeptoren im menschlichen Körper ein, wodurch eine physiologische Wirkung hervorgerufen wird. Sie wurden aufgrund von Erkenntnissen , dass THC immunstimulierend wirkt und daher etwa bei Mukoviszidose -Patienten eingesetzt wird, von der pharmazeutischen Industrie in vorexperimentellen Studien getestet. Die Testreihen wurden bereits in der ersten experimentell -phamakologischen Phase abgebrochen, da die gewünschten gesundheitlichen Effekte nicht erzielt werden konnten und erhebliche Nebenwirkungen aufgrund der psychoaktiven Wirksamkeit zu erwarten waren.
5
Die von dem Angeklagten zum Kauf angebotenen Tütchen enthielten weder festgelegte Wirkstoffmengen noch Hinweise auf den Wirkstoff oder Dosierungsanleitungen. In der Regel waren sie mit dem Aufdruck versehen, es handele sich um Raumerfrischer, der Inhalt sei nicht zum menschlichen Verzehr geeignet. Die Konsumenten brachten die Kräutermischungen zumeist auf Tabak auf und rauchten diese Kombination.
6
Typische Wirkung nach dem Konsum solcher Kräutermischungen ist eine gehobene Stimmung bis hin zur Euphorie mit subjektiv gesteigerter Sinneswahrnehmung. Phasen gesteigerten Antriebs können mit Schläfrigkeit, Apathie und Lethargie abwechseln. Bei hohen Konsumdosen, Anwendung durch Personen mit psychischen Störungen und bei wiederholtem Konsum kommt es häufiger zu atypischen Rauscherlebnissen, bei denen Wahnvorstellungen, Angst, Halluzinationen und Depersonalisierungserlebnisse, akute Panikreaktionen , Desorientierung, Verwirrtheitszustände und Gedächtnisverlust auftreten. Die Rauscherlebnisse können sich bis zu sogenannten bad trips mit Suizidimpulsen steigern. Aufgrund der nicht standardisierten Zumischung der synthetischen Cannabinoide und der daraus folgenden sehr ungleichmäßigen Verteilung besteht die Gefahr der Überdosierung. Die von der Strafkammer vernommenen Zeugen haben zudem als weitere Nebenwirkungen Herzrasen, Schwindelgefühle und Übelkeit geschildert.
7
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte durch den Verkauf der Kräutermischungen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG strafbar gemacht, indem er im Sinne des § 5 Abs. 1 AMG in Verbindung mit § 4 Abs. 17 AMG bedenkliche Arzneimittel in Verkehr gebracht hat.
8
3. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Er rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts sowie dessen Wertung, dass die synthetischen Cannabinoide eine bedenkliche Wirkung hätten und eine solche dem Angeklagten bekannt gewesen sei.

II.

9
Die Entscheidung über die Revision des Angeklagten hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Nach den vom Landgericht getroffenen, den Bundesgerichtshof als Revisionsgericht bindenden tatsächlichen Feststellungen haben die von dem Angeklagten zum Verkauf angebotenen Kräutermischungen keine gesundheitsfördernde Wirkung, sondern werden allein wegen ihrer einen Rauschzustand hervorrufenden Nebenwirkungen konsumiert. Bei diesem Sachverhalt kommt eine Strafbarkeit des Angeklagten nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG nur in Betracht, wenn auch solche Stoffe und Stoffzubereitungen, die keine therapeutische Wirkung entfalten oder die körperlichen Funktionen nicht im Sinne einer Besserung beeinflussen, vielmehr lediglich gesundheitsschädlich wirken, ein Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG darstellen können.
10
Ob dies der Fall ist, hängt entscheidend davon ab, wie der § 2 Abs. 1 AMG zugrundeliegende, mit dieser Vorschrift nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Das Vorabentscheidungsersuchen ist erforderlich, denn die in der Vorlagefrage enthaltene Rechtsfrage ist vom Gerichtshof der Europäischen Union weder bereits entschieden worden (acte éclairé), noch ist die Anwendung des für den Arzneimittelbegriff maßgeblichen Unionsrechts derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (acte clair).
11
Im Einzelnen:
12
1. In Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung wird der Begriff des Arzneimittels definiert. Arzneimittel sind danach "a) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder
b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen."
13
Der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der Richtlinie den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert. Das nationale Recht unterscheidet demgemäß - wie die Richtlinie - zwischen sogenannten Präsentationsarzneimitteln ("nach der Bezeichnung / Bestimmung") gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und sogenannten Funktionsarzneimitteln ("nach der Funktion") gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG.
14
Präsentationsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, "die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind".
15
Hingegen handelt es sich um Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG, wenn Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen "im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen."
16
2. Da die von dem Angeklagten angebotenen Kräutermischungen nicht als Arzneimittel bezeichnet und bestimmt waren, kommt es hier allein auf die Definition des Funktionsarzneimittels und dabei auf das Verständnis des Merkmals "beeinflussen" an. Denn die Merkmale "wiederherstellen" und "korrigieren" können mangels entsprechender Wirksamkeit der synthetischen Cannabinoide nach den Feststellungen des Landgerichts ersichtlich nicht erfüllt sein.
17
In Rechtsprechung und Literatur zu § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG ist umstritten, ob hinsichtlich des Merkmals "beeinflussen" ausreichend ist, dass Körperfunktionen durch die pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung des eingenommenen Stoffes in irgendeiner - gegebenenfalls gesundheitsschädlichen - Weise beeinflusst werden, oder ob ein "Beeinflussen" nur vorliegt, wenn damit ein therapeutischer Nutzen oder jedenfalls eine positive Beeinflussung der physiologischen Funktionen im Sinne einer therapeutischen Zielrichtung erreicht wird.
18
a) Letztgenannte Auffassung wird von Teilen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sowie Teilen der verwaltungs- und strafrechtlichen Literatur vertreten (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2012 - 13 B 127/12, ZVR-online 11/2012 Rn. 25 ff.; VG Köln, Urteil vom 20. März 2012 - 7 K 3169/11, juris Rn. 168 ff.; OVG Magdeburg, Beschluss vom 5. Juni 2012 - 3 M 129/12, PharmR 2012, 298, 300; Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1184; Müller, PharmR 2012, 137, 139; Voit, PharmR 2012, 241, 243 f.; zust. aus der straf- rechtlichen Literatur Krumdiek, StRR 2011, 213, 215; Nobis, NStZ 2012, 422, 424 f.; Weidig, Blutalkohol 50/2013, 57, 63 ff.).
19
Diese Gerichte und Autoren argumentieren in erster Linie mit der Systematik der Norm: Die beiden erstgenannten Merkmale des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a) AMG "wiederherstellen" und "korrigieren" betonten erkennbar den positiven Zweck der Anwendung des Arzneimittels; es sei nicht ersichtlich, dass die dritte Variante "beeinflussen" unter diesem Niveau bleiben solle. Bei einem anderem Verständnis seien zudem die "Wiederherstellung" oder "Korrektur" der physiologischen Funktionen als besonders ausgewiesene Ziele überflüssig, da die dritte Variante des "Beeinflussens" ohnehin alles umfassen würde (vgl. nur OVG Münster, Beschluss vom 23. April 2012 - 13 B 127/12, ZVR-online 11/2012 Rn. 25 ff.). Dieses Verständnis trage auch der Begriffsdefinition "nach der Funktion" Rechnung, denn die Funktion eines Arzneimittels liege gerade in der Bekämpfung von Krankheiten und unerwünschten körperlichen Zuständen und Befindlichkeiten, nicht aber darin, Gesundheitsgefahren auszulösen (Rennert , NVwZ 2008, 1179, 1184 f.). Darüber hinaus bedürfe der ansonsten uferlose Arzneimittelbegriff einer einschränkenden Auslegung (s. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2685), die auf diesem Wege erreicht werden könne (Voit, PharmR 2012, 241, 244 mwN).
20
b) Andere Gerichte und Autoren sehen hingegen das Merkmal bei jeder nennenswerten Beeinflussung der physiologischen Funktionen als gegeben an, sei sie positiv im Sinne eines therapeutischen Nutzens oder negativ im Sinne einer schädlichen Einwirkung (aus verwaltungsrechtlicher Sicht: OVG Saarlouis , Urteil vom 3. Februar 2006 - 3 R 7/05, ZLR 2006, 173, 188; VG Potsdam, Beschluss vom 9. Juni 2008 - 3 L 115/08, PharmR 2009, 250, 251; Koyuncu in: Deutsch/Lippert, AMG, 3. Aufl., § 2 Rn. 18, 21; Müller in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, § 2 Rn. 91; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 119. Erg.-Lief., § 2 Nr. 69 aE; Volkmer in: Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 7. Aufl., Vorbem. AMG Rn. 72; aus strafrechtlicher Sicht: OLG Nürnberg, Urteil vom 10. Dezember 2012 - 1 St OLG Ss 246/12, PharmR 2013, 94, 97; LG Limburg, Urteil vom 27. September 2012 - 5 KLs 3 Js 14210/11, PharmR 2013, 190, 203 f.; Diehm/Pütz, Kriminalistik 2009, 131, 135; Patzak/Volkmer, NStZ 2011, 498, 500). Maßgeblich sei auf die (pharmakologische) Wirkung des Stoffes abzustellen , die - abhängig von der verabreichten Dosis - zu einer positiven oder negativen Beeinflussung der Körperfunktionen führen könne (OVG Saarlouis, aaO). Für die Frage der Beeinflussung und damit die Einstufung als Funktionsarzneimittel sei entscheidend, ob es durch die Einnahme zu einer Veränderung komme, die außerhalb der normalen im menschlichen Körper ablaufenden Lebensvorgänge liege (Volkmer in: Körner/Patzak/Volkmer, aaO unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 25. Juli 2007 - 3 C 22.06, PharmR 2008, 73, 77). Dies sei auch der Fall, wenn Stoffe oder Zubereitungen zum Zwecke der Rauscherzeugung eingesetzt würden (Koyuncu, aaO, Rn. 18; Volkmer in: Körner /Patzak/Volkmer, aaO).
21
Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof sogenannte Designerdrogen (Methyl-Metaqualon) und chemische Lösungsmittel, die in nahezu reiner Form als Droge verwendet werden (Gamma-Butyrolacton) unter den Begriff des Arzneimittels subsumiert (BGH, Urteile vom 3. Dezember 1997 - 2 StR 270/97, BGHSt 43, 336 und vom 8. Dezember 2009 - 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243). Dabei hat er ausgeführt, die Frage, ob ein Präparat eine therapeutische Wirkung entfalte, sei keine Frage des Arzneimittelbegriffs, sondern allein eine Voraussetzung seiner Zulassung (BGH, Urteil vom 3. Dezember 1997 - 2 StR 270/97, BGHSt 43, 336, 339). Diese Rechtsprechung ist allerdings unter der Geltung des § 2 Abs. 1 AMG aF ergangen, nach der Arzneimittel definiert wurden als "Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper 1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen, . . . 5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen."
22
Auch der deutsche Gesetzgeber ist bei der weitergehenden Überführung des unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs in das deutsche Arzneimittelrecht im Jahr 2009 davon ausgegangen, dass Designerdrogen etwa mit Beimischungen synthetischer Stoffe mit cannabinoider oder ähnlicher Wirkung bei einer Beurteilung nach ihrer Funktion Arzneimittel im Sinne von § 2 AMG sein können (BT-Drucks. 16/12256, S. 41).
23
3. Da in § 2 AMG die Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG umgesetzt und der europäische Arzneimittelbegriff in das deutsche Arzneimittelrecht übernommen worden ist, kommt es für die Frage, welcher der beiden Auffassungen zu folgen ist, auf die - autonom vorzunehmende - Auslegung des unionsrechtlichen Arzneimittelbegriffs an, für die nicht auf die frühere nationale Rechtsprechung zum deutschen Arzneimittelbegriff angeknüpft werden kann (vgl. Voit, PharmR 2012, 241, 244). Diese Auslegung des europäischen Rechts obliegt allein dem Gerichtshof der Europäischen Union.
24
a) Der Gerichtshof hat die Frage, ob das Merkmal des "Beeinflussens" wie die Begriffe "Wiederherstellung" und "Korrektur" eine positive Wirkung voraussetzt , jedenfalls aber bei einer rein gesundheitsschädlichen Beeinflussung der Körperfunktionen nicht erfüllt ist, oder ob es sich dabei um einen Auffang- begriff handelt, der wertneutral jegliche positive wie negative Beeinflussung umfasst , bislang nicht entschieden (kein "acte éclairé").
25
b) Die Anwendung des Unionsrechts ist auch nicht derart offenkundig, dass sie im Sinne eines " acte clair" keinen vernünftigen Zweifeln unterläge.
26
Zwar hat der Gerichtshof - worauf die Vertreter der Auffassung, es komme auf einen therapeutischen Nutzen der Beeinflussung nicht an, verweisen - bereits im Jahr 1991 dahin erkannt, dass in den Anwendungsbereich der Funktionsarzneimittel nach Art. 1 Nr. 2 Abs. 2 der früheren Richtlinie 65/65/EWG auch solche Erzeugnisse fielen, die die Körperfunktionen veränderten, ohne dass eine Krankheit vorliege, wie beispielsweise Verhütungsmittel. Aus dem vom Richtliniengeber verfolgten Ziel des Gesundheitsschutzes folge, dass alle Stoffe eingeschlossen seien, die eine Auswirkung auf die Körperfunktionen im eigentlichen Sinne haben könnten (EuGH, Urteil vom 16. April 1991 - Rs. C112 /89 - "Upjohn", Sammlung der Rechtsprechung 1991, S. I-1703, Rn. 19, 21). Diese Rechtsprechung ist auf die Definition des Funktionsarzneimittels in der Richtlinie 2001/83/EG zu übertragen (EuGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - Rs. C-211/03 - "HLH Warenvertrieb und Orthica", Sammlung der Rechtsprechung 2005, S. I-5141, Rn. 50); auch die Neufassung durch die Richtlinie 2004/27/EG hat nicht zu einer Änderung der durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterien geführt (EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 - Rs. C140 /07 - "Hecht Pharma", Sammlung der Rechtsprechung 2009, S. I-41, Rn. 35). Zudem hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass auch die Gesundheitsgefahren , die von einem Erzeugnis ausgehen, bei der Entscheidung, ob es sich dabei um ein Funktionsarzneimittel handelt, einzubeziehen sind (EuGH, Urteile vom 21. März 1991 - Rs. C-369/88 - "Delattre", Sammlung der Rechtsprechung 1991, S. I-1487, Rn. 35 und vom vom 9. Juni 2005 - Rs. C- 211/03 - "HLH Warenvertrieb und Orthica", Sammlung der Rechtsprechung 2005, S. I-5141, Rn. 30 mwN).
27
Mit diesen vom Gerichtshof entschiedenen Fällen, in denen es vorrangig um die Abgrenzung von Arzneimitteln zu Lebensmitteln, aber auch zu Kosmetika , ging und zu prüfen war, ob die Erzeugnisse überhaupt eine nennenswerte physiologische Wirkung hatten und deshalb den für Arzneimittel geltenden Verkehrsbeschränkungen unterworfen werden konnten, ist die vorliegende Fallkonstellation nicht zu vergleichen. Insoweit gilt:
28
Die Produktgruppe der Arzneimittel ist von jeher durch die spezifische Zwecksetzung der Heilung, Verhütung und Diagnose von Krankheiten geprägt (vgl. Müller, PharmR 2012, 137, 138 mwN; Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1184). Mit diesem allgemeinen Begriffsverständnis ist es nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen, auch solche Stoffe oder Stoffzubereitungen unter den Begriff des Funktionsarzneimittels zu subsumieren, die zwar unzweifelhaft die körperlichen Funktionen beeinflussen, wie ein Gift aber ausschließlich gesundheitsschädliche Wirkungen haben. Die "Funktion" des Arzneimittels läge dann - wie auch im vorliegenden Fall - allein in der Auslösung von Gesundheitsgefahren (vgl. Rennert aaO, S. 1184 f.).
29
Es stellt sich mithin die grundsätzliche Frage, ob ein Stoff, der allein im Hinblick auf seine gesundheitsschädigende Wirkung als Rauschgift erzeugt und vertrieben wird, unter den Oberbegriff des "Arzneimittels" gefasst werden kann. Diese Frage verneinend verstehen die Befürworter einer einschränkenden Auslegung auch die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wenn er ausführt, dass ein Erzeugnis, um als Funktionsarzneimittel eingestuft werden zu können, "wirklich die Funktion der Verhütung oder Heilung besitzen" müsse (EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - Rs. C-319/05 - Kommission/Deutschland III, Sammlung der Rechtsprechung 2007, S. I-9811, Rn. 64).
30
Insoweit ist die Ausgangslage auch nicht mit der etwa bei oralen Kontrazeptiva vergleichbar: Zwar verfolgen diese in aller Regel keinen therapeutischen Zweck in dem Sinne, dass sie eine Krankheit heilen oder verhindern sollen. Gleichwohl erscheint deren Einbeziehung in den Regulierungsbereich des Arzneimittelrechts schon deshalb ohne Weiteres gerechtfertigt, weil sie sich mit Blick auf das ihnen zugrundeliegende Konzept nur geringfügig von therapeutisch wirksamen Arzneimitteln unterscheiden und anerkanntermaßen einen von der Frau unerwünschten körperlichen Zustand - die Schwangerschaft - verhindern sollen (vgl. Rennert, NVwZ 2008, 1179, 1181; Müller, PharmR 2012, 137,

139).


III.

31
Der Senat bittet anzuordnen, dass über das Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union mit Vorrang entschieden wird. Die Vorabentscheidungsfrage ist in einem schwebenden Strafverfahren entscheidungserheblich, für das in besonderem Maße der aus Art. 6 Abs. 1 MRK resultierende Anspruch des Angeklagten gilt, dass über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen Anklage in angemessener Zeit entschieden wird.
Tolksdorf Pfister Schäfer Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 4 7 / 1 4
vom
23. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2014 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 12. November 2013 aufgehoben.
2. Soweit der Angeklagte wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel in 15 Fällen verurteilt worden ist, wird er freigesprochen.
Im Umfang des Teilfreispruchs fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
3. Der ausgeschiedene Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung wird gemäß § 154a Abs. 3 StPO wieder in das Verfahren einbezogen.
4. Die Sache wird, soweit der Angeklagte nicht freigesprochen worden ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die noch verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel in 18 Fällen unter Einbeziehung rechtskräftiger Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. In drei dieser Fälle hatte es zuvor mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Körperverletzung abgesehen. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten, mit der er einen umfassenden Freispruch erstrebt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bezog der Angeklagte Tütchen mit drei Gramm Kräutermischungen, die synthetische Cannabinoide enthielten. Er wusste um die Rauschwirkung der Cannabinoide und darum, dass diese stärker als Tetrahydrocannabinol auf den Körper wirken können. Sie können zu psychotischen Zuständen mit Panikattacken, Verwirrtheit und Desorientierung , Atembeschwerden, Kreislaufproblemen und längerer Bewusstlosigkeit führen, aber auch appetitanregend, schmerzlindernd, antiemetisch, antiepileptisch , antiasthmatisch und den Augeninnendruck senkend wirken. Der Angeklagte rauchte diese statt natürlicher Cannabisprodukte, weil sie leichter zu beziehen waren.
3
Zwischen November 2012 und dem 13. Februar 2013 übergab er unentgeltlich geringe Mengen dieser Kräutermischungen in sieben Fällen an die 15 Jahre alte Ve. L. , in vier Fällen an die 13jährige L. V. und in sieben Fällen an die 14 Jahre alte S. L. . Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass die Mädchen die Kräutermischungen rauchen werden, um sich an der Wirkung der zugesetzten Cannabinoide zu berauschen. In keiner der ihnen überlassenen Kräutermischungen befanden sich solche Cannabinoide, die im Tatzeitraum den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterfielen. Die Mädchen rauchten die Kräutermischungen und gerieten jeweils in einen Rauschzustand; bei S. L. kam es in drei Fällen dabei zu Wahnvorstellungen , Halluzinationen oder anderen Beeinträchtigungen ihres körperlichen Wohlbefindens.
4
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
5
a) Das Landgericht hat aus der jeweils eingetretenen Rauschwirkung gefolgert , dass alle übergebenen Mischungen synthetische Cannabinoide enthielten. Es ist davon ausgegangen, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel in Form von Funktionsarzneimitteln im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handele. Dies gelte schon deswegen, weil sie geeignet seien, physiologische Funktionen im menschlichen Körper wiederher- zustellen, zu korrigieren bzw. positiv zu beeinflussen. Mögliche „positive Wirkungen“ der synthetischen Cannabinoide seien z.B. die Herabsenkung der Schmerzempfindlichkeit, Appetit- und Schlafförderung, aber auch die Unterdrückung des Brechreizes. Ob diese Funktionen therapeutisch indiziert gewesen seien, sei unerheblich, da in dem Eintreten dieser Wirkung „stets ein positives Beeinflussen zu sehen“ sei.
6
b) Diese rechtliche Subsumtion erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz setzt voraus, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handelt. Hierfür wiederum ist entscheidend, wie der dieser Vorschrift zugrundeliegende, nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Denn der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der genannten Richtlinien den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – 3 StR 437/12).
7
Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt, aber den Begriff des Arzneimittels dabei in einer Weise ausgelegt, wie es mit dem unionsrechtlichen Arzneimittelbegriff nicht vereinbar ist. Die Auslegung des europäischen Rechts, mithin der Frage, wann es sich bei einem Stoff oder Stoffzusammensetzungen, die einem Menschen verabreicht werden können, um entweder eine pharmakologische , immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen, um ein Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der genannten Richtlinie handelt, obliegt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
8
c) Dieser hat in einem - nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangenen - Urteil vom 10. Juli 2014 (Rechtssachen C-358/13 und C-181/14) Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG dahin ausgelegt, dass davon Stoffe wie synthetische Cannabinoide nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken , ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind (EuGH, aaO, Rn. 50).
9
Der EuGH hat zur Begründung ausgeführt, dass die Richtlinie 2001/83/EG zwei verschiedene Definitionen des Begriffs „Arzneimittel“ enthalte. Nach Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b dieser Richtlinie sind dies alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen , die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Auch wenn diese Bestim- mung von der Definition unter Buchstabe b durch das Wort „oder“ getrennt sei, müssten sie in Verbindung miteinander gelesen werden, was voraussetze, dass ihre verschiedenen Kriterien nicht so verstanden werden könnten, dass sie im Gegensatz zueinander stünden (EuGH, aaO, Rn. 29).
10
Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie sei – so der EuGH – mit Blick auf das Ziel der Gewährung eines hohen Niveaus des Schutzes der menschlichen Gesundheit zu lesen. Dies bringe keine schlichte Neutralität der Auswirkung auf die menschliche Gesundheit zum Ausdruck, sondern impliziere eine gesundheitsfördernde Wirkung. Aus der Bezugnahme der Definition in Buchstabe a auf die Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten lasse sich eindeutig das Bestehen einer positiven Wirkung für die menschliche Gesundheit ableiten. Auch die Definition in Buchstabe b der Regelung nehme Begriffe in Bezug, die eine gesundheitsfördernde Wirkung implizierten, da am Ende der Bestimmung von einer medizinischen Diagnose die Rede sei und diese der rechtzeitigen Behandlung einer möglicherweise diagnostizierten Krankheit diene (EuGH, aaO, Rn. 32 ff.).
11
Nichts anderes könne für die Ausdrücke „wiederherstellen“ und „korrigieren“ gelten, womit die positive Wirkung für die menschliche Gesundheit, auch ohne dass eine Krankheit vorliege, herausgestellt werden solle. Für das Verständnis des diesen Begriffen folgenden Ausdrucks „beeinflussen“ könnten im Hinblick auf die Sicherstellung der Kohärenz und der Verhinderung einer widersprüchlichen Auslegung der verschiedenen Kriterien der beiden Definitionen keine anderen teleologischen Erwägungen gelten. Daher erfasse auch der Ausdruck „beeinflussen“ nur solche Stoffe, die geeignet seien, dem Funktionie- ren des menschlichen Organismus und folglich der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein (EuGH, aaO, Rn. 36 ff.).
12
Danach sei der Begriff des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG dahin auszulegen, dass er keine Stoffe erfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein.
13
d) In diesem Sinne legt der Senat die Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG fast wortgenau entsprechende Regelung des nationalen Rechts zum Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a aus. Danach fehlt in den vorliegenden Fällen den synthetischen Cannabinoiden die Arzneimittel -eigenschaft. Denn sie sind zwar geeignet, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen, sie sind aber dem Funktionieren des menschlichen Organismus und damit der Gesundheit nicht zuträglich. Sie sind vielmehr nur ihrer Rauschwirkung wegen konsumiert worden. Die vom Landgericht als positiv umschriebenen möglichen Wirkungen stellen im Wesentlichen eine Herabsetzung der körperlichen Abwehrsysteme, wie z.B. Schmerzen, Brechreiz, dar und sind Bestandteil der Rauschwirkung. Über das schlichte Beeinflussen der physiologischen Funktionen hinaus, kommt ihnen keine gesundheitsfördernde Wirkung zu.

14
3. Wenngleich danach eine Strafbarkeit nach dem Arzneimittel- oder Betäubungsmittelgesetz in keinem der 18 Fälle gegeben ist, war der Angeklagte nur in 15 Fällen aus rechtlichen Gründen freizusprechen, § 354 Abs. 1 StPO. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO.
15
In den übrigen drei Fällen (betreffend S. L. ) war das Urteil zwar aufzuheben, ein Freispruch durch den Senat kam aber nicht in Betracht. Die dies verfolgende weitergehende Revision war daher zu verwerfen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung für den angeklagten Lebenssachverhalt insoweit eine Strafbarkeit wegen Körperverletzungsdelikten ergeben könnte. Durch die erfolgte Beschränkung ist kein Strafklageverbrauch eingetreten; der vorläufig ausgeschiedene Teil bleibt bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Sachentscheidung rechtshängig (BGH, Urteil vom 15. September 1983 – 4 StR 535/83, BGHSt 32, 84). Um eine umfassende Nachprüfung zu ermöglichen, war der ausgeschiedene Tatteil gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO durch den Senat wiedereinzubeziehen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. November 2012 – 2 StR 190/12; Urteil vom 23. März 1995 – 4StR 641/94, BGHR StPO § 154a Beschränkung 3). Einer Aufhebung der Feststellungen bedurfte es insoweit nicht, da der Aufhebung des Schuldspruchs allein ein Subsumtionsfehler zugrunde liegt. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen insbesondere zu der subjektiven Tatseite treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
16
4. Für eine Entschädigungsentscheidung war kein Raum, da das Verfahren auch nach der Revisionsentscheidung vom heutigen Tage noch nicht endgültig abgeschlossen ist, wie dies § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG voraussetzt.
17
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten davon abhängt, ob sich die damals 14 Jahre alte S. L. eigen- bzw. freiverantwortlich zum Konsum der „Kräutermi- schung“ entschloss. Nur wenn es daran fehlt, kann sich der Angeklagte als Tä- ter eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzungsdelikts strafbar machen. An der Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechtsgutsinhabers kann es fehlen und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende – normativ zu bestimmende – Handlungsherrschaft gegeben sein, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (vgl. grundlegend zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 28. Januar2014 – 1StR 494/13). Hierbei wird auch in den Blick zu nehmen sein, ob die Zumischung der synthetischen Cannabinoide ungleichmäßig erfolgte und der Angeklagte hierum und um die damit verbundene Gefahr der Überdosierung wusste.
Raum Rothfuß Jäger Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 22/13
vom
13. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. August 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 und 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 27. September 2012
a) in den Fällen 1 bis 45 der Urteilsgründe aufgehoben;
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen 46 und 47 der Urteilsgründe des fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen schuldig ist; die tateinheitlichen Verurteilungen wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln entfallen;
c) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. In den Fällen 1 bis 45 der Urteilsgründe wird der Angeklagte freigesprochen. Im Umfang des Freispruchs trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Strafrichter - Dillenburg zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in 47 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit fahrlässigem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 50.000 Euro angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte als Betreiber eines sogenannten „Headshops“ seit 2009 mit Kräutermischun- gen, die, wie er wusste, verschiedene synthetische Cannabinoide enthielten. Diese unterfielen – mit zwei Ausnahmen (Fälle 46, 47) – zur Tatzeit nicht dem Betäubungsmittelgesetz. Das Landgericht wertete die angeklagten Fälle jeweils als vorsätzliches Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln, da die in den Kräutermischungen enthaltenen Cannabinoide als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG einzustufen seien. In den Fällen 46 und 47 hat das Landgericht tateinheitlich den Tatbestand des fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als verwirklicht angesehen. Bei bestimmten , in diesen Fällen bezogenen Kräutermischungen habe der Angeklagte auf Grund der ihm bekannten Ergebnisse der chemischen Untersuchung durch das Hessische Landeskriminalamt damit rechnen müssen, dass dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Substanzen enthalten seien.
3
2. Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: „Auf die Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Mai 2013 (3 StR 437/12) und des 5. Strafsenats vom 8. April 2014 (5 StR 107/14) hat der Gerichtshof der Europäischen Union in den verbundenen Rechtssachen C-358/13 und C-181/14 mit Urteil vom 10. Juli 2014 entschieden: 'Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen , dass davon Stoffe wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken , ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind.' Diese Auslegung bedeutet für das vorliegende Verfahren, dass die vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen mit aufgebrachten synthetischen Cannabinoiden (entgegen der Auffassung des Landgerichts) nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I 1990), mit dem der Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei der europarechtliche Arzneimittelbegriff zur Umsetzung der Richtlinie in das AMG übernommen wurde, angesehen werden können, das Handeln des Angeklagten mithin nicht der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG unterfällt. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden die Stoffe nicht zu therapeutischen Zwecken, sondern ausschließlich zur Erzielung einer berauschenden Wirkung mit dem Gefühl der Entspannung und einer veränderten Bewusstseinslage mit Verstärkung positiver Empfindungen konsumiert und waren dabei gesundheitsschädlich (UA S. 8/9).
In den Fällen 1 bis 45 kommt auch eine Strafbarkeit nach dem BtMG nicht in Betracht, da die aufgebrachten synthetischen Cannabinoide zur Tatzeit (noch) nicht in Anlage II zum BtMG aufgeführt waren und daher keine Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG waren; die Substanzen JWH-081, JWH-122, JWH210 , JWH-203 wurden erst durch die 26. BtMÄndV vom 20. Juli 2012 (BGBl. I 1639) mit Wirkung ab 1. Januar 2013 dem Betäubungsmittelbegriff unterstellt. In diesen Fällen wird der Angeklagte daher unter Aufhebung der Verurteilung freizusprechen sein. In den Fällen 46 und 47 wird der als solcher rechtsfehlerfreie Schuldspruch wegen fahrlässigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 4 i.V. mit Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 1 Abs. 1 i.V. mit Anlage II BtMG i.d.F. der 24. BtMÄndV vom 18. Dezember 2009 (BGBl. I 3944) - unter Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG - aufrecht erhalten bleiben können. Die - vom Strafrahmen des § 95 Abs. 1 AMG ausgehenden - Einzelstrafaussprüche in diesen Fällen unterliegen jedoch ebenso wie der übrige Rechtsfolgenausspruch der Aufhebung und Zurückverweisung."
4
Dem tritt der Senat bei. Da die Strafgewalt des Amtsgerichts – Strafrichters – ausreicht, war die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO dorthin zurückzuverweisen. Fischer Appl Schmitt Krehl Ri'inBGH Dr. Ott ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 4 3 7 / 1 2
vom
4. September 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
4. September 2014, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. Juni 2012
a) aufgehoben, aa) soweit der Angeklagte wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln verurteilt worden ist; bb) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe;
b) dahin geändert, dass der Angeklagte aa) wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird; bb) im Übrigen freigesprochen wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist, fallen die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen der Staatskasse zur Last. Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Beschwerdeführer gegen seine Verurteilung wegen des unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln und begehrt insoweit seinen Freispruch; im Übrigen beanstandet er lediglich den Strafausspruch. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg, im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts gestattete der Angeklagte einem Bekannten, einen Beutel mit über 800 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 11,9 %, mithin mit einer Wirkstoffmenge von über 98 Gramm Tetrahydrocannabinol (THC), in einer Regentonne auf seinem Grundstück zu verstecken. Ihm war bewusst, dass der Bekannte das Marihuana gewinnbringend weiterveräußern wollte (Tat 1 der Urteilsgründe).
3
Zudem verkaufte der Angeklagte in seinem Geschäft "G. " unter anderem Tütchen mit bis zu 3 g Kräutermischungen. Diese sogenannten Legal-High-Produkte enthielten synthetische Cannabinoide. Dem Angeklagten war bewusst, dass die Kräutermischungen von seinen Kunden als Ersatz für Marihuana geraucht wurden in der Erwartung, sich dadurch in einen mit dem Konsum von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen. Die Kräutermischungen unterfielen zum damaligen Zeitpunkt nicht den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Aufgrund eines zuvor gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens war ihm bekannt, dass die Kräutermischungen wegen ihrer gesundheitsschädlichen Wirkungen von den Ermittlungsbehörden als bedenkliche Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes (AMG) eingestuft wurden (Tat 2 der Urteilsgründe).
4
Die Untersuchung der aufgefundenen Kräutermischungen ergab, dass ihnen jeweils unter anderem die synthetischen Cannabinoide JWH-210 und RCS-4 zugesetzt waren. Diesen Verbindungen liegt keine Dibenzopyranbasis wie bei dem in Marihuana enthaltenen Wirkstoff THC zugrunde. Sie gehören zur Gruppe der Aminoalkylindole und wirken - dem THC ähnlich - auf die Cannabinoidrezeptoren im menschlichen Körper ein, wodurch eine physiologische Wirkung hervorgerufen wird. Sie wurden aufgrund von Erkenntnissen, dass THC immunstimulierend wirkt und daher etwa bei MukoviszidosePatienten eingesetzt wird, von der pharmazeutischen Industrie in vorexperimentellen Studien getestet. Die Testreihen wurden bereits in der ersten experimentell -pharmakologischen Phase abgebrochen, da die gewünschten gesundheitlichen Effekte nicht erzielt werden konnten und erhebliche Nebenwirkungen aufgrund der psychoaktiven Wirksamkeit zu erwarten waren.
5
Die von dem Angeklagten zum Kauf angebotenen Tütchen enthielten weder festgelegte Wirkstoffmengen noch Hinweise auf den Wirkstoff oder Dosierungsanleitungen. In der Regel waren sie mit dem Aufdruck versehen, es handele sich um Raumerfrischer, der Inhalt sei nicht zum menschlichen Verzehr geeignet. Die Konsumenten brachten die Kräutermischungen zumeist auf Tabak auf und rauchten diese Kombination.
6
Typische Wirkung nach dem Konsum solcher Kräutermischungen ist eine gehobene Stimmung bis hin zur Euphorie mit subjektiv gesteigerter Sinneswahrnehmung. Phasen gesteigerten Antriebs können mit Schläfrigkeit, Apathie und Lethargie abwechseln. Bei hohen Konsumdosen, Anwendung durch Personen mit psychischen Störungen und bei wiederholtem Konsum kommt es häufiger zu atypischen Rauscherlebnissen, bei denen Wahnvorstellungen, Angst, Halluzinationen und Depersonalisierungserlebnisse, akute Panikreaktionen , Desorientierung, Verwirrtheitszustände und Gedächtnisverlust auftreten. Die Rauscherlebnisse können sich bis zu sogenannten bad trips mit Suizidimpulsen steigern. Aufgrund der nicht standardisierten Zumischung der synthetischen Cannabinoide und der daraus folgenden sehr ungleichmäßigen Verteilung besteht die Gefahr der Überdosierung. Die von der Strafkammer vernommenen Zeugen haben zudem als weitere Nebenwirkungen Herzrasen, Schwindelgefühle und Übelkeit geschildert.
7
Nach Auffassung des Landgerichts hat sich der Angeklagte durch den Verkauf der Kräutermischungen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG strafbar gemacht, indem er im Sinne des § 5 Abs. 1 AMG in Verbindung mit § 4 Abs. 17 AMG bedenkliche Arzneimittel in Verkehr brachte.
8
b) Der Senat hat in dieser Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom 28. Mai 2013 folgende Frage vorgelegt: "Ist Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b) der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 geänderten Fassung dahin auszulegen, dass Stoffe oder Stoffzusammensetzungen im Sinne dieser Vorschrift, die die menschlichen physiologischen Funktionen lediglich beeinflussen - also nicht wiederherstellen oder korrigieren -, nur dann als Arzneimittel anzusehen sind, wenn sie einen therapeutischen Nutzen haben oder jedenfalls eine Beeinflussung der körperlichen Funktionen zum Positiven hin bewirken? Fallen mithin Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die allein wegen ihrer - einen Rauschzustand hervorrufenden - psychoaktiven Wirkungen konsumiert werden und dabei einen jedenfalls gesundheitsgefährdenden Effekt haben, nicht unter den Arzneimittelbegriff der Richtlinie?"
9
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Vorlagefrage mit Urteil vom 10. Juli 2014 wie folgt beantwortet: "Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass davon Stoffe wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind."
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2. Der Schuldspruch wegen unerlaubten Inverkehrbringens von Arzneimitteln (Tat 2 der Urteilsgründe) kann aus Rechtsgründen keinen Bestand haben.
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Die Würdigung des Landgerichts erweist sich auf der Grundlage des in dieser Sache ergangenen Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union als rechtsfehlerhaft. Bei den Kräutermischungen handelt es sich nicht um Arzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. EG Nr. L 311 vom 28. November 2001, S. 67 ff.) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG (ABl. EG Nr. L 136 vom 30. April 2004, S. 34 ff.) geltenden Fassung (im Folgenden: RL Humanarzneimittel). Damit stellten die vom Angeklagten verkauften Kräutermischungen auch kein Arzneimittel im Sinne des den Arzneimittelbegriff der Richtlinie in deutsches Recht umsetzenden § 2 Abs. 1 AMG dar, was wiederum Voraussetzung einer Straf- barkeit des Angeklagten nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG gewesen wäre. Dazu im Einzelnen:
12
a) Der zur Auslegung des europäischen Rechts berufene Gerichtshof der Europäischen Union hat mit dem vorgenannten Urteil vom 10. Juli 2014 (Rechtssachen C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) Art. 1 Nr. 2 RL Humanarzneimittel dahin ausgelegt, dass davon Stoffe wie synthetische Cannabinoide nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die mithin nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen , und die dabei gesundheitsschädlich sind (EuGH, aaO, S. 463).
13
Zur Begründung hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die RL Humanarzneimittel zwei verschiedene Definitionen des Begriffs "Arzneimittel" enthalte: Nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. a RL Humanarzneimittel sind dies alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RL Humanarzneimittel definiert als Arzneimittel zudem alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen , die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Auch wenn diese Bestimmungen durch das Wort "oder" getrennt seien, müssten beide Varianten in Verbindung miteinander gelesen werden, was voraussetze, dass ihre verschiedenen Kriterien nicht so verstanden werden könnten, dass sie im Gegensatz zueinander stünden (EuGH, aaO, S. 462).
14
Die Vorschrift sei mit Blick auf das Ziel der Gewährung eines hohen Niveaus des Schutzes der menschlichen Gesundheit zu lesen. Dies bringe keine schlichte Neutralität der Auswirkung auf die menschliche Gesundheit zum Ausdruck, sondern impliziere eine gesundheitsfördernde Wirkung. Aus der Bezugnahme der Definition in Art. 1 Nr. 2 Buchst. a RL Humanarzneimittel auf die Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten lasse sich eindeutig das Bestehen einer positiven Wirkung für die menschliche Gesundheit ableiten. Auch die Definition in Buchst. b der Regelung nehme Begriffe in Bezug, die eine gesundheitsfördernde Wirkung implizierten, da am Ende der Bestimmung von einer medizinischen Diagnose die Rede sei und diese der rechtzeitigen Behandlung einer möglicherweise diagnostizierten Krankheit diene. Nichts anderes könne für die Ausdrücke "wiederherstellen" und "korrigieren" gelten, womit die positive Wirkung für die menschliche Gesundheit, auch ohne dass eine Krankheit vorliege, herausgestellt werden solle. Für das Verständnis des diesen Begriffen folgenden Ausdrucks "beeinflussen" könnten im Hinblick auf die Sicherstellung der Kohärenz und der Verhinderung einer widersprüchlichen Auslegung der verschiedenen Kriterien der beiden Definitionen keine anderen teleologischen Erwägungen gelten. Daher erfasse auch der Ausdruck "beeinflussen" nur solche Stoffe, die geeignet seien, dem Funktionieren des menschlichen Organismus und folglich der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein (EuGH, aaO, S. 462 f.).
15
b) In Übereinstimmung mit der Auslegung des Gerichtshofes der Europäischen Union, an die der Senat im vorliegenden Verfahren gebunden ist (vgl. Karpenstein in GHN, 50. Lfg., Art. 267 AEUV, Rn. 102 mwN), ist folglich auch § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG, der Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RL Humanarzneimittel nahezu wortgleich wiedergibt und die Richtlinie so in deutsches Recht umsetzt, dahin auszulegen, dass von dem nationalen Arzneimittelbegriff die verfahrensgegen- ständlichen synthetischen Cannabinoide nicht erfasst werden: Denn sie sind zwar geeignet, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen, sie sind aber dem Funktionieren des menschlichen Organismus und damit der Gesundheit nicht zuträglich. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts wurden sie vielmehr nur ihrer Rauschwirkung wegen konsumiert und entfalteten lediglich gesundheitsschädliche Wirkungen.
16
Die von dem Angeklagten verkauften Kräutermischungen, die die synthetischen Cannabinoide enthielten, unterfielen damit weder dem Begriff des Funktionsarzneimittels (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG), noch dem des Präsentationsarzneimittels (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG), weil sie nicht als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter seelischer Beschwerden bestimmt waren. Da mithin von dem Angeklagten schon kein Arzneimittel vertrieben wurde, kam eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG nicht in Betracht. Zur Tatzeit waren die synthetischen Cannabinoide noch nicht in die Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommen, so dass auch eine Strafbarkeit nach den §§ 29 ff. BtMG ausscheidet. Da schließlich im vorliegenden Fall auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass sich der Angeklagte durch den Verkauf der Kräutermischungen in sonstiger Weise, etwa wegen Körperverletzungsdelikten schuldig gemacht haben könnte, war er insoweit freizusprechen.
17
3. Der Schuldspruch wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, hat hingegen Bestand. Auch der - von der Revision insoweit allein bemängelte - Strafausspruch lässt Rechtsfehler zu Ungunsten des Angeklagten nicht erkennen; insbesondere ist die Annahme des Landgerichts , ein minder schwerer Fall liege nicht vor, revisionsrechtlich nicht zu be- anstanden. Der Beschwerdeführer beschränkt sich insoweit auf die Vornahme einer eigenen Bewertung, mit der er im Revisionsverfahren nicht durchdringen kann.
Schäfer Pfister Mayer Ri'inBGH Dr. Spaniol befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Gericke Schäfer

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,
2.
entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 3, ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei einem anderen Menschen anwendet,
2a.
(weggefallen)
2b.
(weggefallen)
3.
entgegen § 7 Abs. 1 radioaktive Arzneimittel oder Arzneimittel, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet worden sind, in den Verkehr bringt,
3a.
entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder Absatz 2, auch in Verbindung mit § 73 Abs. 4 oder § 73a, Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt, in den Verkehr bringt oder sonst mit ihnen Handel treibt,
4.
entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt oder diese Arzneimittel abgibt,
5.
Arzneimittel, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, entgegen § 47 Abs. 1 an andere als dort bezeichnete Personen oder Stellen abgibt oder entgegen § 47 Abs. 2 Satz 1 bezieht oder
5a.
entgegen § 47a Abs. 1 ein dort bezeichnetes Arzneimittel an andere als die dort bezeichneten Einrichtungen abgibt oder in den Verkehr bringt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Handlungen
a)
die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet,
b)
einen anderen der Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit aussetzt oder
c)
aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt oder
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3a gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt oder in den Verkehr bringt und dabei gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 22/13
vom
13. August 2014
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. August 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 und 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 27. September 2012
a) in den Fällen 1 bis 45 der Urteilsgründe aufgehoben;
b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte in den Fällen 46 und 47 der Urteilsgründe des fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen schuldig ist; die tateinheitlichen Verurteilungen wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln entfallen;
c) im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. In den Fällen 1 bis 45 der Urteilsgründe wird der Angeklagte freigesprochen. Im Umfang des Freispruchs trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht - Strafrichter - Dillenburg zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln in 47 Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit fahrlässigem unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ferner hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 50.000 Euro angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte als Betreiber eines sogenannten „Headshops“ seit 2009 mit Kräutermischun- gen, die, wie er wusste, verschiedene synthetische Cannabinoide enthielten. Diese unterfielen – mit zwei Ausnahmen (Fälle 46, 47) – zur Tatzeit nicht dem Betäubungsmittelgesetz. Das Landgericht wertete die angeklagten Fälle jeweils als vorsätzliches Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln, da die in den Kräutermischungen enthaltenen Cannabinoide als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG einzustufen seien. In den Fällen 46 und 47 hat das Landgericht tateinheitlich den Tatbestand des fahrlässigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln als verwirklicht angesehen. Bei bestimmten , in diesen Fällen bezogenen Kräutermischungen habe der Angeklagte auf Grund der ihm bekannten Ergebnisse der chemischen Untersuchung durch das Hessische Landeskriminalamt damit rechnen müssen, dass dem Betäubungsmittelgesetz unterfallende Substanzen enthalten seien.
3
2. Der Generalbundesanwalt hat ausgeführt: „Auf die Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 28. Mai 2013 (3 StR 437/12) und des 5. Strafsenats vom 8. April 2014 (5 StR 107/14) hat der Gerichtshof der Europäischen Union in den verbundenen Rechtssachen C-358/13 und C-181/14 mit Urteil vom 10. Juli 2014 entschieden: 'Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 geänderten Fassung ist dahin auszulegen , dass davon Stoffe wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken , ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind.' Diese Auslegung bedeutet für das vorliegende Verfahren, dass die vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen mit aufgebrachten synthetischen Cannabinoiden (entgegen der Auffassung des Landgerichts) nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I 1990), mit dem der Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei der europarechtliche Arzneimittelbegriff zur Umsetzung der Richtlinie in das AMG übernommen wurde, angesehen werden können, das Handeln des Angeklagten mithin nicht der Strafvorschrift des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG unterfällt. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurden die Stoffe nicht zu therapeutischen Zwecken, sondern ausschließlich zur Erzielung einer berauschenden Wirkung mit dem Gefühl der Entspannung und einer veränderten Bewusstseinslage mit Verstärkung positiver Empfindungen konsumiert und waren dabei gesundheitsschädlich (UA S. 8/9).
In den Fällen 1 bis 45 kommt auch eine Strafbarkeit nach dem BtMG nicht in Betracht, da die aufgebrachten synthetischen Cannabinoide zur Tatzeit (noch) nicht in Anlage II zum BtMG aufgeführt waren und daher keine Betäubungsmittel im Sinne von § 1 Abs. 1 BtMG waren; die Substanzen JWH-081, JWH-122, JWH210 , JWH-203 wurden erst durch die 26. BtMÄndV vom 20. Juli 2012 (BGBl. I 1639) mit Wirkung ab 1. Januar 2013 dem Betäubungsmittelbegriff unterstellt. In diesen Fällen wird der Angeklagte daher unter Aufhebung der Verurteilung freizusprechen sein. In den Fällen 46 und 47 wird der als solcher rechtsfehlerfreie Schuldspruch wegen fahrlässigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 4 i.V. mit Abs. 1 Nr. 1 BtMG, § 1 Abs. 1 i.V. mit Anlage II BtMG i.d.F. der 24. BtMÄndV vom 18. Dezember 2009 (BGBl. I 3944) - unter Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens von bedenklichen Arzneimitteln nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG - aufrecht erhalten bleiben können. Die - vom Strafrahmen des § 95 Abs. 1 AMG ausgehenden - Einzelstrafaussprüche in diesen Fällen unterliegen jedoch ebenso wie der übrige Rechtsfolgenausspruch der Aufhebung und Zurückverweisung."
4
Dem tritt der Senat bei. Da die Strafgewalt des Amtsgerichts – Strafrichters – ausreicht, war die Sache gemäß § 354 Abs. 3 StPO dorthin zurückzuverweisen. Fischer Appl Schmitt Krehl Ri'inBGH Dr. Ott ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 107/14
vom
5. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel
hier: Anfragebeschluss nach § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2014 beschlossen
:
I. Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von zum Rauchen
bestimmten Kräutermischungen, denen nicht in die Anlage
II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommene synthetische
Cannabinoide zugesetzt sind, kann nach § 52
Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG strafbar sein.
II. Der Senat fragt beim 2. und 3. Strafsenat an, ob an etwa
entgegenstehender Rechtsprechung im Beschluss vom
13. August 2014 – 2 StR 22/13 – sowie im Urteil vom
4. September 2014 – 3 StR 437/12 – festgehalten wird.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in 87 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und Wertersatzverfall in Höhe von 200.000 € angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision.
2
Nach den Feststellungen bestellte und verkaufte der Angeklagte von Mai 2010 bis Mai 2011 zunächst allein über seinen Onlineshop und nach dessen Aufgabe von Oktober 2012 bis November 2012 mit einem Mittäter han- delnd fertig verpackte Tüten mit bis zu 3 g Kräutermischungen aus getrocknetem Pflanzenmaterial, dem verschiedene, dem Betäubungsmittelgesetz zum damaligen Zeitpunkt weitgehend noch nicht unterfallende synthetische Cannabinoide zugesetzt waren. Der Verkauf erfolgte mit der Bestimmung, dass die Mischungen von den Kunden „durch Rauchen (z.B. in Form von Joints)“ und dadurch verursachter Rauschwirkung konsumiert werden sollten (UA S. 4). Der Angeklagte informierte sich über die Rechtslage und gelangte so zu der Erkenntnis , dass es einen illegalen Bereich gebe. Er vertraute jedoch auf die Angaben der Hersteller, wonach der Vertrieb der Mischungen legal sei. Behördliche Auskünfte oder anderweitigen Rechtsrat holte er nicht ein (UA S. 5).
3
Eine positive Wirkung, etwa einen therapeutischen oder prophylaktischen Nutzen, hatten die Kräutermischungen nicht. Vielmehr waren sie gesundheitsgefährdend. Nach Auffassung des Landgerichts handelte es sich im Hinblick auf deren physiologische Funktionen durch pharmakologische Wirkung um Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG; ein therapeutischer Nutzen oder eine positive Beeinflussung sei nicht erforderlich (vgl. UA S. 225).
4
2. Die vom Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen können im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 10. Juli 2014 – C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) nicht als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG angesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13 Rn. 3 f.; Urteil vom 4. September2014 – 3StR 437/12 Rn. 15), weswegen der Schuldspruch keinen Bestand haben kann. Der Senat sieht sich jedoch an einem Freispruch gehindert. Das gilt zum einen – insoweit unproblematisch – für den Vertrieb von Kräutermischungen, die zur Tatzeit bereits in die Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenom- mene Cannabinoide enthielten; insoweit kann sich der Angeklagte wegen (hier: fahrlässigen) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BtMG strafbar gemacht haben. Für solche Kräutermischungen, die Cannabinoide enthielten, die zur Tatzeit noch nicht als Betäubungsmittel definiert waren, kommt nach Auffassung des Senats hingegen eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG) in Betracht.
5
a) Das angefochtene Urteil stellt ausdrücklich fest, dass alle vertriebenen Kräutermischungen zum Rauchen bestimmt waren. Damit können sie als „Tabakerzeugnissen ähnliche Waren“ im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sein. Nach dieser Vorschrift ist allein maßgebend die dem Rohtabak ähnliche Zweckbestimmung (hier: Rauchen). Einbezogen sind unter anderem Erzeugnisse ähnlich Zigaretten, die aus Kräutern oder synthetisch erzeugten Rohstoffen hergestellt werden, ohne dass es darauf ankommt, ob sie mit Tabakerzeugnissen verwechselbar sind (vgl. Zipfel /Rathke, Lebensmittelrecht, 157. EL 2011, Teil 9, Nr. 900, § 3 VTabakG Rn. 22; vgl. auch RGSt 14, 145, 147).
6
Die Zweckbestimmung trifft nach den Feststellungen auf die vertriebenen Kräutermischungen zu. Wortlaut und Wortsinn des § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG bieten dabei keinen Ansatz, etwa solche tabakähnliche Erzeugnisse auszugrenzen , bei denen der Konsument wegen – in welcher Form auch immer – zugesetzter psychoaktiver Stoffe in der Folge des Rauchens eine Rauschwirkung erzielen will (vgl. aber dazu in Abgrenzung zum Arzneimittel – unklar – OLG Nürnberg, PharmR 2013, 94, 97). Der auch mit der Verbotsvorschrift des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG verfolgte Zweck des Verbraucher- und Gesund- heitsschutzes (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 1. Oktober 2013 – Au 1 K 13.767, juris Rn. 22; Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze , 195. EL 2013, Vorläufiges Tabakgesetz, Vorbemerkungen Rn. 1) würde einer Reduktion im genannten Sinn widerstreiten. Gleichfalls enthält der Tatbestand anders als die in § 17 VTabakG normierten strafbewehrten (§ 52 Abs. 1 Nr. 9, 10 VTabakG) Verbote kein Täuschungselement, weswegen es nicht darauf ankommt, ob die Abnehmer die Zusammensetzung der jeweiligen Mischung kannten, insbesondere wussten, dass sie Cannabinoide enthielten.
7
b) Allerdings fallen unter das Vorläufige Tabakgesetz nur solche Mischungen , die keine zur Tatzeit bereits in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG aufgeführten Substanzen enthielten. Betäubungsmittel sind nämlich keine Tabakerzeugnisse oder tabakähnliche Waren im Sinne von § 3 Abs. 1, 2 Nr. 1 VTabakG (vgl. zu Cannabis und Heroin Zipfel/Rathke, aaO, § 3 VTabakG Rn. 10; Rohnfelder/Freytag, aaO, § 3 VTabakG Rn. 1; s. auch Art. 2 Abs. 3 Buchst. f und g der Verordnung [EG] Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit vom 28. Januar 2002, ABl. Nr. L 31/1). Dem entspricht die Regelungssystematik des Vorläufigen Tabakgesetzes, die ersichtlich nicht auf per se illegale Substanzen abzielt (vgl. insbesondere die Verbotsvorschriften des § 20 VTabakG).
8
3. Der Senat möchte die Sache deshalb insgesamt zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverweisen. Der beabsichtigten Entscheidung stehen indessen möglicherweise der Beschluss des 2. Strafsenats vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13 – sowie das Urteil des 3. Straf- senats vom 4. September 2014 – 3 StR 437/12 – entgegen. Dem Urteil des 3. Strafsenats lag ebenfalls der Vertrieb von zum Rauchen bestimmten, mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen zugrunde (s. dort Rn. 3). Hinsichtlich des Beschlusses des 2. Strafsenats liegt dies nahe. In beiden Fällen erfolgte jedoch ein Freispruch bzw. ein Teilfreispruch. Eine Strafbarkeit nach dem Vorläufigen Tabakgesetz wurde jeweils nicht angesprochen.
9
4. Die Vorlegungsvoraussetzungen nach § 132 Abs. 2 GVG sind nicht ausschließbar gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine rechtliche Divergenz auch dann bestehen, wenn die inmitten stehende Rechtsfrage zwar nicht ausdrücklich erörtert worden ist, die frühere Entscheidung jedoch von ihrer Bejahung oder Verneinung begrifflich notwendig abhängt, so dass sie auf einer stillschweigenden Stellungnahme zu ihr beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 1957 – 4 StR 395/57, BGHSt 11, 31, 34). Der Senat fragt daher gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beim 2. und 3. Strafsenat an, ob an etwa entgegenstehender Rechtsprechung im Beschluss vom 13. August 2014 – 2 StR 22/13 – bzw. im Urteil vom 4. September2014 – 3 StR 437/12 – festgehalten wird.
Sander Schneider Dölp
König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3AR s 2 8 / 1 4
vom
20. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel
hier: Anfragebeschluss des 5. Strafsenats vom 5. November 2014 (5 StR 107/14)
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Januar 2015 gemäß
§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG beschlossen:
Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 3. Strafsenats, der an dieser festhält.

Gründe:

1
Der 5. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden , der vom Landgericht wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in 87 Fällen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Der 5. Strafsenat hält die Verurteilung im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Arzneimittelbegriff (Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) für rechtsfehlerhaft. Er sieht sich an einem Freispruch jedoch gehindert, weil - insoweit unproblematisch - die von dem Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen teilweise bereits zur Tatzeit in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgenommene synthetische Cannabinoide enthielten und im Übrigen eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG) in Betracht komme (BGH, Beschluss vom 5. November 2014 - 5 StR 107/14, juris). Der 5. Strafsenat beabsichtigt deshalb wie folgt zu entscheiden: "Das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von zum Rauchen bestimmten Kräutermischungen, denen nicht in die Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommene synthetische Cannabinoide zugesetzt sind, kann nach § 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG strafbar sein."
2
Hieran sieht er sich jedoch durch nicht ausschließbar entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats gehindert (Senat, Urteil vom 4. September 2014 - 3 StR 437/12, juris).
3
Das in Bezug genommene Urteil steht der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats entgegen (I.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (II.).
4
I. In dem Urteil vom 4. September 2014 (3 StR 437/12, juris) hat der Senat zu einer Strafbarkeit nach dem Vorläufigen Tabakgesetz (VTabakG) nicht ausdrücklich Stellung genommen. Voraussetzung des Freispruchs hinsichtlich des dem dortigen Angeklagten zur Last gelegten Verkaufs von sog. Kräutermischungen war jedoch die Verneinung einer Strafbarkeit nach dem VTabakG. Diese hat der Senat - stillschweigend - vorgenommen.
5
II. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
6
1. Kräutermischungen, denen synthetische Cannabinoide zugesetzt sind und die geraucht werden, um sich dadurch in einen mit dem Konsum von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen, stellen keine Tabakerzeugnisse oder - diesen gleichgestellte - Tabakerzeugnissen ähnliche Waren dar, denn sie sind nicht im Sinne von § 3 Abs. 1, 2 Nr. 1 VTabakG zum Rauchen bestimmt. Die Verbots- und Strafvorschriften der §§ 20, 52 VTabakG sind deshalb nicht anwendbar. Hierzu gilt:
7
Wie auch der Vorlegungsbeschluss nicht verkennt, sind Betäubungsmittel keine Tabakerzeugnisse (Zipfel/Sosnitza/Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht , 145. Erg. Lfg., § 3 VTabakG Rn. 10; Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 196. Erg. Lfg., § 3 VTabakG Rn. 1). Dies ist für solche Stoffe allgemein anerkannt, die - wie etwa Cannabisprodukte oder Heroin - aufgrund ihrer Aufnahme in Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG als Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, beschränkt sich aber nicht auf diese. Denn der Grund, warum Betäubungsmittel nicht zu den Tabakerzeugnissen oder den diesen ähnlichen Waren zählen, liegt darin, dass es ihnen an der erforderlichen Zweckbestimmung im Sinne von § 3 VTabakG selbst dann fehlt, wenn sie tatsächlich geraucht werden (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO):
8
Das Vorläufige Tabakgesetz bezweckt den Schutz der Gesundheit von Verbrauchern vor Gefahren, die mit dem Konsum von Tabakerzeugnissen und diesen ähnlichen Waren verbunden sind. Dies ergibt sich schon aus der Entstehungsgeschichte der Regelungen über Tabakerzeugnisse, die zunächst in das Lebensmittelgesetz und ab dem Jahr 1974 in das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz eingegliedert waren; insoweit sollten die Regelungen den Gesundheitsschutz verstärken, ohne die "wirtschaftliche Entwicklung", mithin den Vertrieb solcher Produkte, unnötig einzuschränken (vgl. etwa BT-Drucks. 7/255, S. 23). Auch die mit den Vorschriften des Vorläufigen Tabakgesetzes korrespondierenden europarechtlichen Regelungen bezwecken nicht allgemein den Gesundheitsschutz, sondern den Schutz "der menschlichen Gesundheit durch Verringerung der Gesundheitsschäden infolge von Tabakmissbrauch" (vgl. etwa Art. 1 der Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen; gleichlau- tend nunmehr: Art. 1 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, im Folgenden EG-Tabak-Richtlinie), ohne allerdings solche Produkte schlechthin zu verbieten. Sie werden vielmehr allgemein als marktgängige Genussmittel angesehen; Handelshemmnisse sollen durch die Harmonisierung der Regelungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beseitigt werden (vgl. etwa Erwägungsgrund Nr. 3 der EG-TabakRichtlinie

).


9
Angesichts dieses Regelungszusammenhangs kann die Zweckbestimmung "zum Rauchen" etc. nicht von dem Begriff der Tabakerzeugnisse getrennt betrachtet werden. Vielmehr definiert § 3 Abs. 1 VTabakG - in inhaltlicher Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 EG-Tabak-Richtlinie - Tabakerzeugnisse als "aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind". Den Tabakerzeugnissen ähnliche Waren im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG sind folglich nur solche, die Tabakerzeugnisse in einer ihrer Verwendungsarten ersetzen sollen (Rohnfelder/Freytag aaO, § 3 VTabakG Rn. 9). Betäubungsmittel sollen aber, selbst wenn sie geraucht werden , nicht ein Tabakerzeugnis ersetzen; sie werden vielmehr konsumiert, um sich mittels der darin enthaltenen psychotropen Substanzen in einen Rauschzustand zu versetzen.
10
Nichts anderes gilt für die mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen: Sie stellen kein Tabakerzeugnis im Sinne von § 3 Abs. 1 VTabakG dar, weil sie nicht aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellt werden. Sie sind keine den Tabakerzeugnissen ähnliche Wa- ren im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG, weil sie nicht als Ersatz für Tabakerzeugnisse , sondern zur Erreichung eines anderen Zweckes - der Versetzung in einen mit Tabakerzeugnissen nicht zu erreichenden Rauschzustand - geraucht werden.
11
2. Selbst wenn man die mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen entgegen der obigen Darlegungen als tabakähnliche Waren auffassen wollte, wären sie jedenfalls in dem vom Senat entschiedenen Fall nicht zum Rauchen bestimmt gewesen.
12
Ausweislich der im Urteil des Senats wiedergegebenen Feststellungen des Landgerichts waren die Kräutermischungen mit dem Hinweis versehen, es handele sich um Raumerfrischer, der Inhalt der verkauften Tütchen sei nicht zum menschlichen Verzehr geeignet (BGH, Urteil vom 4. September 2014 - 3 StR 437/12, juris Rn. 5).
13
Damit fehlt es an der von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG vorausgesetzten Zweckbestimmung. Das Merkmal "bestimmt" ist wie bei der Definition der Lebensmittel im früheren § 1 LMBG bzw. wie nunmehr in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: EG-Lebensmittel-BasisVO) auszulegen (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO, § 3 VTabakG Rn. 8). Bei der Definition des Lebensmittels ist - wie bei den Tabakerzeugnissen - maßgeblich auf die Zweckbestimmung abzustellen; damit ist die vorgesehene Verwendung gemeint, wie sie im Verkehr bei natürlicher Betrachtungsweise durch einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen Verbraucher erkennbar ist (Rathke in Zipfel/Rathke, aaO, 150. Erg. Lfg., Art. 2 EG-Lebensmittel-BasisVO Rn. 23; G/J/W/Sackreuther, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht , vor §§ 58-61 LFBG Rn. 38 mwN). Ein durchschnittlicher Verbraucher wird indes bei der Bezeichnung einer Ware als - nicht zum menschlichen Verzehr geeignetem - "Raumerfrischer" nicht davon ausgehen, dass diese zum Rauchen bestimmt sei. Auf den möglichen Kenntnisstand eingeweihter Kunden eines Verkäufers solcher Kräutermischungen über die tatsächliche Bestimmung kommt es nicht an.
14
Ebensowenig kann darauf abgestellt werden, ob es nach vernünftigem Ermessen zu erwarten ist, dass solche Kräutermischungen geraucht werden. Denn diese in Art. 2 Abs. 1 EG-Lebensmittel-BasisVO aufgenommene Erweiterung über die Zweckbestimmung hinaus ist in der Definition der Tabakerzeugnisse bzw. der tabakähnlichen Waren im Sinne von § 3 VTabakG nicht enthalten (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO, § 3 VTabakG Rn. 8). Eine entsprechende Auslegung zur Begründung der Strafbarkeit kommt schon aufgrund der Gewährleistung aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Betracht.
Becker RiBGH Pfister befindet sich Schäfer im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Wer durch eine strafgerichtliche Verurteilung einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit die Verurteilung im Wiederaufnahmeverfahren oder sonst, nachdem sie rechtskräftig geworden ist, in einem Strafverfahren fortfällt oder gemildert wird.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn ohne Verurteilung eine Maßregel der Besserung und Sicherung oder eine Nebenfolge angeordnet worden ist.

(1) Wer durch den Vollzug der Untersuchungshaft oder einer anderen Strafverfolgungsmaßnahme einen Schaden erlitten hat, wird aus der Staatskasse entschädigt, soweit er freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird oder soweit das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn ablehnt.

(2) Andere Strafverfolgungsmaßnahmen sind

1.
die einstweilige Unterbringung und die Unterbringung zur Beobachtung nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung und des Jugendgerichtsgesetzes,
2.
die vorläufige Festnahme nach § 127 Abs. 2 der Strafprozeßordnung,
3.
Maßnahmen des Richters, der den Vollzug des Haftbefehls aussetzt (§ 116 der Strafprozeßordnung),
4.
die Sicherstellung, die Beschlagnahme, der Vermögensarrest nach § 111e der Strafprozeßordnung und die Durchsuchung, soweit die Entschädigung nicht in anderen Gesetzen geregelt ist,
5.
die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis,
6.
das vorläufige Berufsverbot.

(3) Als Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne dieser Vorschrift gelten die Auslieferungshaft, die vorläufige Auslieferungshaft, die Sicherstellung, die Beschlagnahme und die Durchsuchung, die im Ausland auf Ersuchen einer deutschen Behörde angeordnet worden sind.

Wird das Verfahren nach einer Vorschrift eingestellt, die dies nach dem Ermessen des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft zuläßt, so kann für die in § 2 genannten Strafverfolgungsmaßnahmen eine Entschädigung gewährt werden, soweit dies nach den Umständen des Falles der Billigkeit entspricht.

(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,

1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder
2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
nicht beträchtlich ins Gewicht, so kann die Verfolgung auf die übrigen Teile der Tat oder die übrigen Gesetzesverletzungen beschränkt werden. § 154 Abs. 1 Nr. 2 gilt entsprechend. Die Beschränkung ist aktenkundig zu machen.

(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.

(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 5 7 5 / 1 4
vom
21. Mai 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Völkermord
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Mai 2015 beschlossen:
Die Strafverfolgung wird mit Zustimmung des Generalbundesanwalts und der Nebenkläger gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf den Vorwurf des Völkermordes (§ 220a StGB in der vom 1. April 1987 bis zum 31. März 1998 geltenden Fassung) anlässlich des "Massakers von Kiziguro" am 11. April 1994 (Ziffer II. 2. der Anklageschrift) beschränkt.

Gründe:

1
Der Senat beschränkt die weitere Strafverfolgung auf den Vorwurf des Völkermordes anlässlich des "Massakers von Kiziguro" und nimmt damit von dieser die dem Angeklagten mit der Anklageschrift zur Last gelegten einzelnen Tötungsdelikte bezüglich der Opfer dieses Massakers aus. Auf die Wirksamkeit der entsprechenden Verfahrensbeschränkung, die bereits das Oberlandesgericht während der erstinstanzlichen Hauptverhandlung - allerdings ohne Zustimmung der Nebenkläger - vorgenommen hat, kommt es deshalb nicht an.
2
Gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO kann das mit der Sache befasste Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der betroffenen Nebenkläger in jeder Lage des Verfahrens einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind, u.a. dann von der Strafverfolgung ausnehmen, wenn ein Urteil wegen dieser Gesetzesverletzungen in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn der Beschuldigte wegen der verbleibenden Gesetzesverletzungen eine Strafe zu erwarten hat, die zur Einwirkung auf ihn und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
3
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Generalbundesanwalt und die an dem Verfahren beteiligten Nebenkläger haben in der Hauptverhandlung vor dem Senat ihre Zustimmung zu der Verfahrensbeschränkung erklärt. Der Gang der Beweisaufnahme in der bisherigen Hauptverhandlung, die vom 18. Januar 2011 bis zum 18. Februar 2014 durchgeführt worden ist und damit mehr als drei Jahre angedauert hat, belegt, dass die Aufklärung der Geschehnisse , die sich im Jahre 1994 in Ruanda zutrugen, sich in hohem Maße zeitaufwändig gestaltet. Es ist deshalb - ohne dass dies näherer Darlegung bedarf - zu erwarten, dass nach der Teilaufhebung des Urteils des Oberlandesgerichts vom 18. Februar 2014 und der Zurückverweisung der Sache durch den Senat erneut eine langwierige Beweisaufnahme erforderlich wäre, wenn über den vom Oberlandesgericht bisher seinem Urteil zugrunde gelegten Verfahrensstoff hinaus die Verwirklichung weiterer Gesetzesverletzungen aufzuklären wäre. Dem Angeklagten droht, nachdem der Senat die Verneinung der mittäterschaftlichen Verwirklichung des Völkermordes durch das Oberlandesgericht als rechtsfehlerhaft gewertet hat, nach der erneut durchzuführenden Hauptverhandlung allein wegen dieses Delikts eine lebenslange Freiheitsstrafe.
4
Demnach erscheint mit Blick auf die Zwecke, denen § 154a StPO dient, namentlich die Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, die Beschränkung der Kognitionspflicht trotz des hohen Gewichts, das auch die einzelnen Tötungsdelikte aufweisen, als angemessen. Hinzu kommt, dass die Entscheidung des Senats lediglich eine vorläufige Reduzierung des Verfahrensstoffs bewirkt. Gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO kann das neue Tatgericht die durch diesen Beschluss von der Strafverfolgung ausgeschiedenen Gesetzesverletzungen jederzeit wieder in das Verfahren einbeziehen; nach § 154a Abs. 3 Satz 2 StPO ist es hierzu auf Antrag des Generalbundesanwalts sogar verpflichtet.
Becker Schäfer Mayer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1.
entgegen § 5 Absatz 1 ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet,
2.
entgegen § 6 Absatz 1 in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 2, jeweils auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 6 Absatz 3, ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei einem anderen Menschen anwendet,
2a.
(weggefallen)
2b.
(weggefallen)
3.
entgegen § 7 Abs. 1 radioaktive Arzneimittel oder Arzneimittel, bei deren Herstellung ionisierende Strahlen verwendet worden sind, in den Verkehr bringt,
3a.
entgegen § 8 Abs. 1 Nr. 1 oder Absatz 2, auch in Verbindung mit § 73 Abs. 4 oder § 73a, Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt, in den Verkehr bringt oder sonst mit ihnen Handel treibt,
4.
entgegen § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 oder 3 mit Arzneimitteln, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, Handel treibt oder diese Arzneimittel abgibt,
5.
Arzneimittel, die nur auf Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen, entgegen § 47 Abs. 1 an andere als dort bezeichnete Personen oder Stellen abgibt oder entgegen § 47 Abs. 2 Satz 1 bezieht oder
5a.
entgegen § 47a Abs. 1 ein dort bezeichnetes Arzneimittel an andere als die dort bezeichneten Einrichtungen abgibt oder in den Verkehr bringt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
durch eine der in Absatz 1 bezeichneten Handlungen
a)
die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen gefährdet,
b)
einen anderen der Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit aussetzt oder
c)
aus grobem Eigennutz für sich oder einen anderen Vermögensvorteile großen Ausmaßes erlangt oder
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 3a gefälschte Arzneimittel oder Wirkstoffe herstellt oder in den Verkehr bringt und dabei gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(4) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 196/11
vom
13. September 2011
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
1. Die Revisionsrüge, das Gericht habe seine Zuständigkeit mit Unrecht
angenommen (§ 338 Nr. 4 StPO), bleibt dem Angeklagten auch dann
uneingeschränkt erhalten, wenn dem Urteil eine Verständigung (§ 257c
StPO) vorausgegangen ist.
2. Ein in der Revision beachtlicher Rechtsfehler nach § 338 Nr. 4, § 6a
StPO, § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG liegt nicht nur dann vor, wenn das Tatgericht
seine Zuständigkeit auf der Grundlage objektiv willkürlicher Erwägungen
angenommen hat.
3. Die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG greift
unabhängig davon ein, ob neben einem Betäubungsmitteldelikt weitere
Straftaten mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit
stehen.
BGH, Beschluss vom 13. September 2011 - 3 StR 196 /11 - LG München I
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 13. September 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 8. Februar 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit "Bildung krimineller Vereinigungen" zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten sowie den Angeklagten M. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, räuberischer Erpressung und versuchter räuberischer Erpressung in drei Fällen, "dies alles jeweils in Tateinheit mit Bildung krimineller Vereinigungen" (jeweils zutreffend: mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung), zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihren Revisionen beanstanden beide Angeklagten mit Erfolg die Zuständigkeit der erkennenden Staatsschutzkammer; auf die vom Angeklagten M. darüber hinaus geltend gemachte Sachrüge kommt es daher nicht an.

I.

2
Der - von beiden Angeklagten übereinstimmend erhobenen - Zuständigkeitsrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
3
Die Staatsanwaltschaft hat mit der Anklage dem Angeklagten B. ein Betäubungsmitteldelikt in Tateinheit mit Bildung einer kriminellen Vereinigung, dem Angeklagten M. mehrere Betäubungsmittelstraftaten sowie drei Fälle der versuchten und einen Fall der vollendeten räuberischen Erpressung, jeweils in Tateinheit mit Bildung einer kriminellen Vereinigung, zur Last gelegt. In der Hauptverhandlung vor der Staatsschutzkammer hat der Verteidiger des Angeklagten M. vor Vernehmung der Angeklagten zur Sache die Zuständigkeit des Tatgerichts mit der Begründung gerügt, dem Angeklagten würden neben der Bildung der kriminellen Vereinigung insbesondere Taten nach dem Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen. Der Verteidiger des Angeklagten B. hat sich der Beanstandung angeschlossen. Die Strafkammer hat die Zuständigkeitsrüge zurückgewiesen und ihren Beschluss im Wesentlichen damit begründet , dass die dem Angeklagten M. zur Last gelegten Erpressungsdelikte gegenüber den Betäubungsmitteltaten "nicht als von minderem Gewicht" eingestuft werden könnten. Beide Angeklagte haben schließlich den ihnen vorgeworfenen Sachverhalt nach einer Verständigung eingeräumt.

II.


4
1. Die Zuständigkeitsrüge ist jeweils in zulässiger Weise erhoben. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Angeklagten die Tatvorwürfe aufgrund einer Verständigung nach § 257c StPO eingestanden haben. Auch in diesem Fall bleibt dem Angeklagten vielmehr die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels und zur Erhebung von Verfahrensrügen - hier: Beanstandung nach § 338 Nr. 4 StPO - uneingeschränkt erhalten. Im Einzelnen:
5
a) Das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2353), mit dem § 257c StPO und weitere, die Verständigung in Strafsachen betreffende Bestimmungen in die Strafprozessordnung eingefügt worden sind, sieht nach einer derartigen Beendigung des erstinstanzlichen Verfahrens keine Beschränkungen hinsichtlich der Rechtsmittelbefugnis vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. September 2009 - 3 StR 156/09, StV 2009, 680; vom 6. August 2009 - 3 StR 547/08, NStZ 2010, 289, 290; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 257c Rn. 32a; Weider in Niemöller/Schlothauer/Weider, Gesetz zur Verständigung im Strafverfahren, 2010, 155 f., 160 f.). Soweit im Gesetzgebungsverfahren eine Einschränkung der Revisionsmöglichkeit für den Fall einer Absprache in Betracht gezogen worden war (vgl. etwa Gesetzentwurf des Bundesrates, BT-Drucks. 16/4197 S. 6, 11), betrafen die dort vorgesehenen Begrenzungen ausdrücklich nicht die in § 338 StPO genannten absoluten Revisionsgründe. Der - der Gesetzesänderung zugrunde liegende - Entwurf der Bundesregierung verzichtete schließlich bewusst auf jegliche Beschränkung der Rügemöglichkeiten in der Revision mit der ausdrücklichen Begründung, gerade im Bereich der Verständigung sei "eine Lockerung der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht sachgerecht". Eine vollumfängliche Kontrolle durch das Revisionsgericht könne einen unterstützenden Beitrag dazu leisten, dass Verstän- digungen in erster Instanz wirklich so ablaufen, wie es den Vorgaben des Gesetzgebers entspreche; sie diene außerdem der Gleichmäßigkeit der Anwendung und Fortentwicklung des Rechts (BT-Drucks. 16/12310 S. 9). Dieser - nach alldem eindeutige - Wille des Gesetzgebers kommt auch in § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO zum Ausdruck, der bestimmt, dass der Verzicht auf ein Rechtsmittel ausgeschlossen ist, wenn dem Urteil eine Verständigung nach § 257c StPO vorausgegangen ist. Hieraus ergibt sich zwanglos, dass gerade im Fall einer Verständigung ein Rechtsmittel möglich sein soll, das sich auf die Rüge aller denkbaren Gesetzesverletzungen im Sinne der §§ 337, 338 StPO stützen kann.
6
b) Die Zustimmung der Angeklagten zu der Verständigung ist nicht als konkludente Rücknahme des Zuständigkeitseinwands zu werten. Die Angeklagten haben die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer ausdrücklich beanstandet. Ihre gleichwohl nach Zurückweisung der Rüge durch das Landgericht erteilte Zustimmung zu einem Verfahren nach § 257c StPO kann auf verschiedenen Gründen beruhen. So ist es etwa denkbar, dass sie sich auch deshalb auf eine Verständigung mit der von ihnen für unzuständig gehaltenen Staatsschutzkammer einließen, weil sie sich nicht sicher waren, ob sie mit ihrer Zuständigkeitsrüge in der Revisionsinstanz Erfolg haben werden (vgl. die unter 2. dargestellten unterschiedlichen Ansichten), und deshalb nicht Gefahr laufen wollten, dass die ohne eine Verständigung zu erwartenden höheren Strafen durch Verwerfung der Revision rechtskräftig werden, während sie andererseits durch ihre Zustimmung zu einer Verständigung die Zusage von Strafen aus einem niedrigeren Rahmen erreichen konnten (§ 257c Abs. 3 Satz 2 StPO), selbst wenn sie diesen immer noch für überhöht hielten. Ihrem Verhalten kann deshalb nicht ohne Weiteres ein Erklärungswert dahin beigemessen werden, sie wollten ihre Auffassung, die Staatschutzkammer sei zur Durchführung des Hauptverfahrens nicht zuständig, nicht mehr aufrecht erhalten. Dem steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 24. Februar 2010 (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2010 - 5 StR 23/10, StV 2010, 470) nicht entgegen. Dort hatte der Angeklagte zunächst die Auswechslung seines Pflichtverteidigers begehrt, dann aber unter ausschließlicher Mitwirkung dieses Pflichtverteidigers eine Verständigung nach § 257 Abs. 2 StPO getroffen. Dies hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs als wirksame konkludente Rücknahme des Antrags auf Auswechslung des Pflichtverteidigers mit der Folge der Unzulässigkeit der auf die Nichtbescheidung des ursprünglichen Antrags gestützten Revisionsrüge gewertet. Die jeweils maßgebenden Sachverhalte weisen somit entscheidungserhebliche Unterschiede auf.
7
c) Die Einlegung der Revision und Erhebung der entsprechenden Verfahrensrüge stellt auch kein widersprüchliches oder missbräuchliches Verhalten dar, das zum Verlust der Rügemöglichkeit in der Revisionsinstanz führen könnte.
8
Bereits der Große Senat für Strafsachen hatte die Frage aufgeworfen, ob und gegebenenfalls in welchem Maße im Revisionsverfahren nach einer Verfahrensabsprache etwa unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens bestimmte Verfahrensrügen, namentlich Aufklärungsrügen, ausgeschlossen sein können, sich hierzu indes nicht näher verhalten (BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 52). In der Folgezeit haben mehrere Strafsenate des Bundesgerichtshofs diesen Gedanken aufgegriffen. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Rüge der fehlerhaften Zurückweisung eines Befangenheitsantrags wegen missbräuchlichen Prozessverhaltens für unzulässig erachtet, wenn der Angeklagte nach Ablehnung des Befangenheitsgesuchs an einer Urteilsabsprache mitwirkt und im Hinblick auf die vom Tatgericht zugesagte Strafobergrenze ein Geständnis ablegt (BGH, Beschluss vom 22. September 2008 - 1 StR 323/08, NJW 2009, 690 f.). Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat - allerdings nicht tragend und nicht näher begründet - ausgeführt, es liege nahe, dass Revisionsrügen nach § 338 Nr. 1 und 4 StPO nach einer Vereinbarung mit den nach dem Beschwerdevorbringen unzuständigen Richtern als unstatthaft zu bewerten seien (BGH, Beschluss vom 17. September 2008 - 5 StR 404/08, BGHR StPO § 338 Revisibilität 1). Der Senat ist mit Blick auf die seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren geänderte Rechtslage an die diesen - teilweise zudem abweichende Sachverhalte betreffenden - Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsauffassung nicht gebunden. Er vermag sich der dort vertretenen Ansicht - jedenfalls vor dem Hintergrund der gesetzlichen Neuregelung - nicht anzuschließen und hält an seiner Auffassung fest, dass dem Angeklagten die Befugnis zur Einlegung eines Rechtsmittels und zur Erhebung von Verfahrensrügen uneingeschränkt erhalten bleibt, auch wenn dem Urteil eine Verständigung vorausgegangen ist (BGH, Beschlüsse vom 3. September 2009 - 3 StR 156/09, StV 2009, 680; vom 6. August 2009 - 3 StR 547/08, NStZ 2010, 289, 290; vgl. auch BGH, Urteile vom 10. Juni 2010 - 4 StR 73/10, NStZ-RR 2010, 383; vom 11. Mai 2011 - 2 StR 590/10, NJW 2011, 2377). Die Zustimmung des Angeklagten zu einer Verständigung nach § 257c StPO führt als solche nach der dargelegten, auf dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers beruhenden Konzeption des die Verständigung betreffenden Regelungsgefüges der Strafprozessordnung nicht zum Verlust einzelner prozessualer Rechte. Dieses Regelungsgefüge und damit auch der Wille des Gesetzgebers würden umgangen, wollte man die Erhebung einer Rüge nach § 338 Nr. 4 StPO in der Revisionsinstanz als rechtsmissbräuchlich oder widersprüchlich bewerten.
9
2. Die Rügen sind begründet; denn die Staatsschutzkammer hat ihre Zuständigkeit mit Unrecht angenommen (§ 338 Nr. 4 StPO). Diese könnte sich hier im Hinblick auf die den Angeklagten vorgeworfene Zuwiderhandlung gegen § 129 StGB allein aus § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 GVG ergeben. Ihr steht indes § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG entgegen; denn den Angeklagten liegen neben der Bildung einer kriminellen Vereinigung tateinheitlich dazu begangene Betäubungsmitteldelikte zur Last. Dies führt zur Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammer. Daran ändert es nichts, dass dem Angeklagten M. darüber hinaus auch Erpressungstaten vorgeworfen werden.
10
a) Der Senat hat aufgrund der in zulässiger Weise erhobenen Rüge die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer in der Sache in vollem Umfang zu überprüfen; ein beachtlicher Rechtsfehler nach § 338 Nr. 4, § 6a StPO, § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG ist nicht erst dann gegeben, wenn das Tatgericht seine Zuständigkeit auf der Grundlage objektiv willkürlicher Erwägungen angenommen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 338 Rn. 33; LR/Hanack, StPO, 25. Aufl., § 338 Rn. 74, 67; LR/Erb, StPO, 26. Aufl., § 6a Rn. 26; aA SKStPO /Frisch, § 338 Rn. 95 [Stand: Januar 2005]; Radtke/Hohmann/Rappert, StPO, 2011, GVG § 74a Rn. 6).
11
aa) Nach den §§ 337, 338 StPO prüft das Revisionsgericht grundsätzlich in vollem Umfang, ob die geltend gemachte Gesetzesverletzung vorliegt. Ein Ausnahmefall, bei dem eine Revision nur im Falle willkürlichen Handelns des Tatgerichts Erfolg haben kann, liegt nicht vor. Den Gesetzesmaterialien zu § 6a StPO, der Regelungen zur Zuständigkeit besonderer Strafkammern enthält, ist ein Wille des Gesetzgebers dahin, die revisionsrechtliche Überprüfung an dem Willkürmaßstab auszurichten, nicht zu entnehmen (vgl. BT-Drucks. 8/976 S. 32 f.). Diese Bestimmung ist dem die örtliche Zuständigkeit regelnden § 16 StPO nachgebildet. Die Nachprüfung der örtlichen Zuständigkeit ist in der Revision indes gerade nicht auf Fälle der Willkür beschränkt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Januar 1958 - 5 StR 487/57, BGHSt 11, 130 ff.; OLG Köln, Beschluss vom 18. November 2008 - 82 Ss 89/08, StraFo 2009, 162). Vielmehr prüft das Revisionsgericht , ob der Beschwerdeführer den Zuständigkeitseinwand rechtzeitig erhoben und das Gericht seine Zuständigkeit in der Sache zu Recht angenommen hat (vgl. SK-StPO/Frisch, § 338 Rn. 85 [Stand: Januar 2005]).
12
Auch in den Fällen, in denen es um die Zuständigkeit einer Jugend- oder Erwachsenenstrafkammer geht oder in denen das Oberlandesgericht in einer Staatsschutzstrafsache die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zugelassen hat, prüft der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren - in der zweiten Fallgruppe sogar von Amts wegen - ob das Tatgericht seine Zuständigkeit rechtsfehlerfrei angenommen hat (BGH, Beschluss vom 17. August 2010 - 4 StR 347/10, StraFo 2010, 466; BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 247 ff.).
13
bb) Die vorliegende Fallkonstellation weicht in den für die Beurteilung wesentlichen Punkten erheblich von denjenigen Fällen ab, in denen die Rechtsprechung einen auf objektiv willkürliches Handeln des Tatgerichts beschränkten Prüfungsumfang bezüglich der gerichtlichen Zuständigkeit annimmt.
14
(1) Eine solche eingeschränkte Überprüfung kann etwa in Betracht kommen, wenn eine vorangegangene Entscheidung der Beurteilung des Revisionsgerichts nach § 336 Satz 2 StPO (vgl. zu einem unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss BGH, Urteil vom 11. Dezember 1980 - 4 StR 503/80, GA 1981, 321) oder nach § 269 StPO (s. etwa BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 241) grundsätzlich entzogen ist. In diesen Fällen dient die Eröffnung der Rügemöglichkeit mit dem Prüfungsmaßstab der Willkür allein dem Zweck, den Angeklagten zur Wahrung seines Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht auf die Verfassungsbeschwerde zu verweisen, sondern den Verstoß gegen die grundrechtli- che Gewährleistung bereits im Verfahren vor den Fachgerichten zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren (BGH, Urteil vom 22. Dezember 2000 - 3 StR 378/00, BGHSt 46, 238, 241 mwN).
15
Ein derartiger Fall ist hier nicht gegeben. Zwar hatte die Staatsschutzkammer mit dem für den Angeklagten nach § 336 Satz 2, § 210 Abs. 1 StPO unanfechtbaren Eröffnungsbeschluss die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. Allerdings hatte sie gemäß § 6a Satz 2 StPO ihre Zuständigkeit in der Hauptverhandlung (erneut) zu überprüfen, da beide Angeklagte einen entsprechenden Einwand rechtzeitig im Sinne des § 6a Satz 3 StPO geltend gemacht hatten. Damit steht in der Revisionsinstanz nicht der Eröffnungsbeschluss, sondern die Behandlung der Zuständigkeitseinwände durch das Landgericht zur Nachprüfung (vgl. Rieß, NStZ 1981, 447, 448; LR/Hanack, StPO, 25. Aufl., § 336 Rn. 15; SK-StPO/Frisch, § 336 Rn. 19 [Stand: Mai 2003]; BTDrucks. 8/976, 32, 33).
16
(2) Soweit die Rechtsprechung in anderen Konstellationen verschiedentlich die Zuständigkeitsrügen in der Revision nur nach dem Maßstab geprüft hat, ob das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit willkürlich angenommen hat, betraf dies die Bewertung normativer Zuständigkeitsmerkmale durch das Tatgericht, beispielsweise die Erforderlichkeit besonderer Kenntnisse des Wirtschaftslebens nach § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 GVG (BGH, Urteil vom 21. März 1985 - 1 StR 417/84, NStZ 1985, 464, 466), die notwendige Mitwirkung eines dritten Richters aufgrund Umfangs oder Schwierigkeit der Sache nach § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG (BGH, Urteil vom 23. Dezember 1998 - 3 StR 343/98, BGHSt 44, 328, 333 f.) oder tatrichterliche wertende Prognoseentscheidungen wie die Höhe der zu erwartenden Strafe nach § 24 Abs. 1 Nr. 2 GVG (BGH, Urteil vom 8. Dezember 1992 - 1 StR 594/92, NStZ 1993, 197). Derartige normative, einer wertenden Betrachtung zugängliche Gesichtspunkte sind hier nicht von maßgebender Relevanz. Vielmehr geht es um die klar eingrenzbare Frage, ob die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer aufgrund der Art der den Angeklagten zur Last gelegten Taten gegeben ist. Die Zuständigkeit des Gerichts hängt somit nicht von einer richterlichen Entscheidung ab (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Juni 2005 - 3 StR 446/04, NJW 2005, 3434, 3435 f.), sondern allein von den verfahrensgegenständlichen Taten.
17
b) Für die somit umfassend vorzunehmende Überprüfung der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer gilt:
18
aa) Die Ausnahme von der Sonderzuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG trotz eines Anklagevorwurfs nach § 129 StGB ist gegeben, wenn die Zuwiderhandlung gegen ein Vereinigungsverbot mit einem Betäubungsmitteldelikt zusammentrifft. Aus dem auf die Formulierung in § 52 Abs. 1 StGB zurückgreifenden Gesetzeswortlaut ("dieselbe Handlung") ergibt sich, dass der Ausnahmetatbestand Tateinheit zwischen dem Vereinigungs- und dem Betäubungsmitteldelikt voraussetzt (vgl. LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., GVG § 74a Rn. 13; s. auch zu ähnlichen Normen MeyerGoßner , StPO, 54. Aufl., GVG § 74c Rn. 4; Radtke/Hohmann/Rappert, StPO, 2011, GVG § 74c Rn. 2; Franzen/Gast/Joecks/Randt, AO, 7. Aufl., § 391 Rn. 33 ff.; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, AO § 391 Rn. 87 [Stand: 03.2010]; Klein/Jäger, AO, 10. Aufl., § 391 Rn. 25). Diese Voraussetzung ist hier - wie auch vom Landgericht zutreffend angenommen - erfüllt, da jedenfalls ein Teil der Erlöse aus den Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz in die Gemeinschaftskasse der Vereinigung fließen sollte und die Taten mithin in Verfolgung der Vereinigungsziele begangen wurden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 1980 - 3 StR 9/80, BGHSt 29, 288, 290; vgl. auch LK/Krauß, StGB, 12. Aufl., § 129 Rn. 194).
19
bb) Die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer wird nicht dadurch begründet , dass dem Angeklagten M. auch noch Erpressungstaten zur Last liegen; denn die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG greift unabhängig davon ein, ob neben einem Betäubungsmitteldelikt weitere Straftaten mit der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit stehen (ebenso OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Februar 1989 - 1 HEs 23/89; LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25. Oktober 1989 - 5/23 KLs 80 Js 20257/88, StV 1990, 490; SK-StPO/Frister, GVG § 74a Rn. 17 [Stand: Oktober 2009]; Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., § 74a Rn. 3; aA LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., GVG § 74a Rn. 13).
20
(1) § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG sieht nach seinem Wortlaut als einzige Voraussetzung für die Ausnahmeregelung vor, dass dieselbe Handlung, die den Verstoß gegen das Vereinigungsdelikt nach § 129 StGB begründet, eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz darstellt; unerheblich ist dagegen , ob zusätzlich noch weitere Delikte verwirklicht sind.
21
(2) Sinn und Zweck der Regelung sowie die Intention des Gesetzgebers sprechen ebenfalls nicht dafür, es bei weiteren hinzukommenden Delikten bei der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer zu belassen. Der der Einführung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG zugrunde liegende Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen von SPD und FDP (BT-Drucks. 9/27) enthält dazu zwar keine Begründung. In einer Stellungnahme des Bundesrates zu einem vorangegangenen Entwurf der Bundesregierung wurde die mit demselben Gesetz eingeführte ähnliche Regelung zur Zuständigkeit bei Steuerstraftaten in § 391 Abs. 4 AO jedoch darauf gestützt, dass bei der Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität der Kenntnis der örtlichen Verhältnisse besondere Bedeutung zukomme (BT-Drucks. 8/3551 S. 48). Der Ausschluss der Sonderzuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer im Falle zugleich verwirklichter Betäubungsmittel- delikte in § 74c Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG beruht ausweislich der einschlägigen Gesetzesmaterialien unter anderem auf der Erwägung, dass dadurch eine Überlastung der Spezialkammern verhindert werden solle (BT-Drucks. 8/976 S. 67).
22
Diese beiden Gesichtspunkte sind mit Blick auf die vergleichbare Konstellation auch bei der Frage der Zuständigkeit der Staatsschutzkammer von Bedeutung. Sie sprechen dafür, dass die Ausnahmeregelung des § 74a Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 GVG auch in den Fällen gilt, in denen zu den Betäubungsmitteltaten weitere Delikte hinzutreten (vgl. OLG Karlsruhe aaO). Die vom Gesetzgeber bei Betäubungsmittelstraftaten angenommene große Relevanz der ortsnahen Verhandlung wird nicht dadurch vermindert, dass der Täter noch andere Delikte verwirklicht hat. Begründet die drohende Überlastung der Spezialkammer durch Betäubungsmitteldelikte eine Ausnahme von deren Zuständigkeit, so muss dies erst recht gelten, wenn die Spezialkammer außerhalb ihres eigentlichen Aufgabenbereichs neben Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz noch weitere "fachfremde" Taten aufzuklären hat. Vor diesem Hintergrund kommt dem Umstand keine entscheidende Bedeutung zu, ob zum Zeitpunkt der Gesetzgebung "Fragen der Mischkriminalität" eine Rolle spielten (vgl. LR/Siolek, StPO, 26. Aufl., GVG § 74a Rn. 13).
23
(3) Aus den dargelegten Gründen folgt auch, dass die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer nach § 74a Abs. 1 Nr. 4 GVG nicht davon abhängen kann, welches Gewicht die zu dem Betäubungsmitteldelikt hinzukommende Straftat hat (wohl aA OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2003 - HEs 41/03, NStZ-RR 2004, 174, 175; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., GVG § 74a Rn. 4). Für eine nach diesem Kriterium auszurichtende Differenzierung bieten weder der Gesetzeswortlaut noch der erkennbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt. Zudem ist es aus Gründen der Rechtssicherheitund -klarheit nicht angebracht, die gerichtliche Zuständigkeit und damit eine wesentliche Verfahrensfrage von einem derartigen, gesetzlich nicht vorgesehenen und weitgehend unbestimmten Kriterium abhängig zu machen; auf diese Weise entstünden erhebliche, der Anwendungspraxis nicht zuträgliche Abgrenzungsschwierigkeiten (vgl. SK-StPO/Frister aaO Rn. 17). Auch aus praktischen Erwägungen erscheint die Differenzierung nach dem Gewicht der zusätzlich begangenen Straftat(en) nicht erforderlich; denn einer möglicherweise sachwidrigen Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammer ließe sich für den Fall, dass das Betäubungsmitteldelikt von völlig untergeordneter Bedeutung ist, etwa durch eine Beschränkung des Verfahrensstoffes nach § 154a StPO spätestens mit dem Eröffnungsbeschluss begegnen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 1980 - StB 32/80, BGHSt 29, 341 ff.; vom 20. April 2005 - 3 StR 106/05, NStZ 2005, 650; OLG Karlsruhe aaO; LR/Siolek aaO Rn. 15).
24
(4) Die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer lässt sich schließlich nicht daraus herleiten, dass die dem Angeklagten M. vorgeworfenen Erpressungstaten nicht in Tateinheit zu den Betäubungsmitteldelikten stehen. Die Erpressungsstraftaten werden durch das fortdauernde Vereinigungsdelikt zwar nicht mit den Betäubungsmitteltaten zu einer einzigen tateinheitlichen Tat verklammert , da die zu verklammernden Taten angesichts der Strafandrohung im Verhältnis zur Bildung einer kriminellen Vereinigung nicht leichter oder gleichwertig sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. April 2006 - 3 StR 284/05, NStZRR 2006, 232, 233). Es bleibt allerdings dabei, dass es sich bei der fortdauernden Zuwiderhandlung gegen ein Vereinigungsverbot um dieselbe Tat handelt, diese Tat tateinheitlich mit Betäubungsmitteldelikten zusammentrifft und daher die Zuständigkeit der Staatsschutzkammer insgesamt nicht gegeben ist.
25
3. Wegen der fehlenden Zuständigkeit der Staatsschutzkammer ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine allgemeine Strafkam- mer zurückzuverweisen. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München I ergibt sich nach § 7 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 3 StPO daraus, dass der Angeklagte B. am 22. Februar 2010 aufgrund eines gemeinsamen Tatplans der Angeklagten ein Kilogramm Heroingemisch in der Landstraße in München - also dem dortigen Gerichtsbezirk - kaufte und übernahm.

III.

26
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer erneuten Verurteilung wegen versuchter räuberischer Erpressung Erörterungen zu einem etwaigen Rücktritt angebracht sein könnten.
Becker Pfister Schäfer
Mayer Menges

(1) Bei den Landgerichten, in deren Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, ist eine Strafkammer für den Bezirk dieses Oberlandesgerichts als erkennendes Gericht des ersten Rechtszuges zuständig für Straftaten

1.
des Friedensverrats in den Fällen des § 80a des Strafgesetzbuches,
2.
der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates in den Fällen der §§ 84 bis 86, 87 bis 90, 90a Abs. 3 und des § 90b des Strafgesetzbuches,
3.
der Gefährdung der Landesverteidigung in den Fällen der §§ 109d bis 109g des Strafgesetzbuches,
4.
der Zuwiderhandlung gegen ein Vereinigungsverbot in den Fällen des § 129, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, des Strafgesetzbuches und des § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 des Vereinsgesetzes; dies gilt nicht, wenn dieselbe Handlung eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz darstellt,
5.
der Verschleppung (§ 234a des Strafgesetzbuches) und
6.
der politischen Verdächtigung (§ 241a des Strafgesetzbuches).

(2) Die Zuständigkeit des Landgerichts entfällt, wenn der Generalbundesanwalt wegen der besonderen Bedeutung des Falles vor der Eröffnung des Hauptverfahrens die Verfolgung übernimmt, es sei denn, daß durch Abgabe nach § 142a Abs. 4 oder durch Verweisung nach § 120 Absatz 2 Satz 3 die Zuständigkeit des Landgerichts begründet wird.

(3) In den Sachen, in denen die Strafkammer nach Absatz 1 zuständig ist, trifft sie auch die in § 73 Abs. 1 bezeichneten Entscheidungen.

(4) Für die Anordnung von Maßnahmen nach den §§ 100b und 100c der Strafprozessordnung ist eine nicht mit Hauptverfahren in Strafsachen befasste Kammer bei den Landgerichten, in deren Bezirk ein Oberlandesgericht seinen Sitz hat, für den Bezirk dieses Oberlandesgerichts zuständig.

(5) Im Rahmen der Absätze 1, 3 und 4 erstreckt sich der Bezirk des Landgerichts auf den Bezirk des Oberlandesgerichts.

(1) Für Straftaten

1.
nach dem Patentgesetz, dem Gebrauchsmustergesetz, dem Halbleiterschutzgesetz, dem Sortenschutzgesetz, dem Markengesetz, dem Designgesetz, dem Urheberrechtsgesetz, dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen, der Insolvenzordnung, dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz, dem Aktiengesetz, dem Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen, dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, dem Handelsgesetzbuch, dem SE-Ausführungsgesetz, dem Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, dem Genossenschaftsgesetz, dem SCE-Ausführungsgesetz und dem Umwandlungsgesetz,
2.
nach den Gesetzen über das Bank-, Depot-, Börsen- und Kreditwesen sowie nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz, dem Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz und dem Wertpapierhandelsgesetz,
3.
nach dem Wirtschaftsstrafgesetz 1954, dem Außenwirtschaftsgesetz, dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz, den Devisenbewirtschaftungsgesetzen sowie dem Finanzmonopol-, Steuer- und Zollrecht, auch soweit dessen Strafvorschriften nach anderen Gesetzen anwendbar sind; dies gilt nicht, wenn dieselbe Handlung eine Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz darstellt, und nicht für Steuerstraftaten, welche die Kraftfahrzeugsteuer betreffen,
4.
nach dem Weingesetz und dem Lebensmittelrecht,
5.
des Subventionsbetruges, des Kapitalanlagebetruges, des Kreditbetruges, des Bankrotts, der Verletzung der Buchführungspflicht, der Gläubigerbegünstigung und der Schuldnerbegünstigung,
5a.
der wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen, der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, der Bestechlichkeit im Gesundheitswesen, der Bestechung im Gesundheitswesen, der Bestechlichkeit und der Bestechung ausländischer und internationaler Bediensteter sowie nach dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung,
6.
a)
der Geldwäsche, des Betruges, des Computerbetruges, der Untreue, des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt, des Wuchers, der Vorteilsannahme, der Bestechlichkeit, der Vorteilsgewährung und der Bestechung,
b)
nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, dem EU-Finanzschutzstärkungsgesetz und dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz,
soweit zur Beurteilung des Falles besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich sind,
ist, soweit nach § 74 Abs. 1 als Gericht des ersten Rechtszuges und nach § 74 Abs. 3 für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Schöffengerichts das Landgericht zuständig ist, eine Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer zuständig. Die §§ 120 und 120b bleiben unberührt.

(2) In den Sachen, in denen die Wirtschaftsstrafkammer nach Absatz 1 zuständig ist, trifft sie auch die in § 73 Abs. 1 bezeichneten Entscheidungen.

(3) Die Landesregierungen werden ermächtigt, zur sachdienlichen Förderung oder schnelleren Erledigung der Verfahren durch Rechtsverordnung einem Landgericht für die Bezirke mehrerer Landgerichte ganz oder teilweise Strafsachen zuzuweisen, welche die in Absatz 1 bezeichneten Straftaten zum Gegenstand haben. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen.

(4) Im Rahmen des Absatzes 3 erstreckt sich der Bezirk des danach bestimmten Landgerichts auf die Bezirke der anderen Landgerichte.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 4 7 / 1 4
vom
23. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Juli 2014 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 12. November 2013 aufgehoben.
2. Soweit der Angeklagte wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel in 15 Fällen verurteilt worden ist, wird er freigesprochen.
Im Umfang des Teilfreispruchs fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
3. Der ausgeschiedene Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung wird gemäß § 154a Abs. 3 StPO wieder in das Verfahren einbezogen.
4. Die Sache wird, soweit der Angeklagte nicht freigesprochen worden ist, zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die noch verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
5. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Inverkehrbringens verbotener Arzneimittel in 18 Fällen unter Einbeziehung rechtskräftiger Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. In drei dieser Fälle hatte es zuvor mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Körperverletzung abgesehen. Die mit der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten, mit der er einen umfassenden Freispruch erstrebt, hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts bezog der Angeklagte Tütchen mit drei Gramm Kräutermischungen, die synthetische Cannabinoide enthielten. Er wusste um die Rauschwirkung der Cannabinoide und darum, dass diese stärker als Tetrahydrocannabinol auf den Körper wirken können. Sie können zu psychotischen Zuständen mit Panikattacken, Verwirrtheit und Desorientierung , Atembeschwerden, Kreislaufproblemen und längerer Bewusstlosigkeit führen, aber auch appetitanregend, schmerzlindernd, antiemetisch, antiepileptisch , antiasthmatisch und den Augeninnendruck senkend wirken. Der Angeklagte rauchte diese statt natürlicher Cannabisprodukte, weil sie leichter zu beziehen waren.
3
Zwischen November 2012 und dem 13. Februar 2013 übergab er unentgeltlich geringe Mengen dieser Kräutermischungen in sieben Fällen an die 15 Jahre alte Ve. L. , in vier Fällen an die 13jährige L. V. und in sieben Fällen an die 14 Jahre alte S. L. . Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass die Mädchen die Kräutermischungen rauchen werden, um sich an der Wirkung der zugesetzten Cannabinoide zu berauschen. In keiner der ihnen überlassenen Kräutermischungen befanden sich solche Cannabinoide, die im Tatzeitraum den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterfielen. Die Mädchen rauchten die Kräutermischungen und gerieten jeweils in einen Rauschzustand; bei S. L. kam es in drei Fällen dabei zu Wahnvorstellungen , Halluzinationen oder anderen Beeinträchtigungen ihres körperlichen Wohlbefindens.
4
2. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
5
a) Das Landgericht hat aus der jeweils eingetretenen Rauschwirkung gefolgert , dass alle übergebenen Mischungen synthetische Cannabinoide enthielten. Es ist davon ausgegangen, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel in Form von Funktionsarzneimitteln im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handele. Dies gelte schon deswegen, weil sie geeignet seien, physiologische Funktionen im menschlichen Körper wiederher- zustellen, zu korrigieren bzw. positiv zu beeinflussen. Mögliche „positive Wirkungen“ der synthetischen Cannabinoide seien z.B. die Herabsenkung der Schmerzempfindlichkeit, Appetit- und Schlafförderung, aber auch die Unterdrückung des Brechreizes. Ob diese Funktionen therapeutisch indiziert gewesen seien, sei unerheblich, da in dem Eintreten dieser Wirkung „stets ein positives Beeinflussen zu sehen“ sei.
6
b) Diese rechtliche Subsumtion erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 Arzneimittelgesetz setzt voraus, dass es sich bei den synthetischen Cannabinoiden um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 Arzneimittelgesetz handelt. Hierfür wiederum ist entscheidend, wie der dieser Vorschrift zugrundeliegende, nahezu wortgleiche Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung auszulegen ist. Denn der deutsche Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 17. Juli 2009 (BGBl. I S. 1990) den nationalen Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 AMG grundlegend neu gefasst und dabei in Umsetzung der genannten Richtlinien den europarechtlichen Arzneimittelbegriff gemäß Art. 1 Nr. 2 Buchstabe a) und b) der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung in das deutsche Arzneimittelgesetz implementiert (BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – 3 StR 437/12).
7
Dies hat das Landgericht zutreffend erkannt, aber den Begriff des Arzneimittels dabei in einer Weise ausgelegt, wie es mit dem unionsrechtlichen Arzneimittelbegriff nicht vereinbar ist. Die Auslegung des europäischen Rechts, mithin der Frage, wann es sich bei einem Stoff oder Stoffzusammensetzungen, die einem Menschen verabreicht werden können, um entweder eine pharmakologische , immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen, um ein Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der genannten Richtlinie handelt, obliegt der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union.
8
c) Dieser hat in einem - nach Erlass des angefochtenen Urteils ergangenen - Urteil vom 10. Juli 2014 (Rechtssachen C-358/13 und C-181/14) Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG dahin ausgelegt, dass davon Stoffe wie synthetische Cannabinoide nicht erfasst werden, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken , ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, die nur konsumiert werden, um einen Rauschzustand hervorzurufen, und die dabei gesundheitsschädlich sind (EuGH, aaO, Rn. 50).
9
Der EuGH hat zur Begründung ausgeführt, dass die Richtlinie 2001/83/EG zwei verschiedene Definitionen des Begriffs „Arzneimittel“ enthalte. Nach Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b dieser Richtlinie sind dies alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen , die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind. Auch wenn diese Bestim- mung von der Definition unter Buchstabe b durch das Wort „oder“ getrennt sei, müssten sie in Verbindung miteinander gelesen werden, was voraussetze, dass ihre verschiedenen Kriterien nicht so verstanden werden könnten, dass sie im Gegensatz zueinander stünden (EuGH, aaO, Rn. 29).
10
Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie sei – so der EuGH – mit Blick auf das Ziel der Gewährung eines hohen Niveaus des Schutzes der menschlichen Gesundheit zu lesen. Dies bringe keine schlichte Neutralität der Auswirkung auf die menschliche Gesundheit zum Ausdruck, sondern impliziere eine gesundheitsfördernde Wirkung. Aus der Bezugnahme der Definition in Buchstabe a auf die Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten lasse sich eindeutig das Bestehen einer positiven Wirkung für die menschliche Gesundheit ableiten. Auch die Definition in Buchstabe b der Regelung nehme Begriffe in Bezug, die eine gesundheitsfördernde Wirkung implizierten, da am Ende der Bestimmung von einer medizinischen Diagnose die Rede sei und diese der rechtzeitigen Behandlung einer möglicherweise diagnostizierten Krankheit diene (EuGH, aaO, Rn. 32 ff.).
11
Nichts anderes könne für die Ausdrücke „wiederherstellen“ und „korrigieren“ gelten, womit die positive Wirkung für die menschliche Gesundheit, auch ohne dass eine Krankheit vorliege, herausgestellt werden solle. Für das Verständnis des diesen Begriffen folgenden Ausdrucks „beeinflussen“ könnten im Hinblick auf die Sicherstellung der Kohärenz und der Verhinderung einer widersprüchlichen Auslegung der verschiedenen Kriterien der beiden Definitionen keine anderen teleologischen Erwägungen gelten. Daher erfasse auch der Ausdruck „beeinflussen“ nur solche Stoffe, die geeignet seien, dem Funktionie- ren des menschlichen Organismus und folglich der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein (EuGH, aaO, Rn. 36 ff.).
12
Danach sei der Begriff des Arzneimittels in Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG dahin auszulegen, dass er keine Stoffe erfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein.
13
d) In diesem Sinne legt der Senat die Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2001/83/EG fast wortgenau entsprechende Regelung des nationalen Rechts zum Arzneimittelbegriff in § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a aus. Danach fehlt in den vorliegenden Fällen den synthetischen Cannabinoiden die Arzneimittel -eigenschaft. Denn sie sind zwar geeignet, die physiologischen Funktionen zu beeinflussen, sie sind aber dem Funktionieren des menschlichen Organismus und damit der Gesundheit nicht zuträglich. Sie sind vielmehr nur ihrer Rauschwirkung wegen konsumiert worden. Die vom Landgericht als positiv umschriebenen möglichen Wirkungen stellen im Wesentlichen eine Herabsetzung der körperlichen Abwehrsysteme, wie z.B. Schmerzen, Brechreiz, dar und sind Bestandteil der Rauschwirkung. Über das schlichte Beeinflussen der physiologischen Funktionen hinaus, kommt ihnen keine gesundheitsfördernde Wirkung zu.

14
3. Wenngleich danach eine Strafbarkeit nach dem Arzneimittel- oder Betäubungsmittelgesetz in keinem der 18 Fälle gegeben ist, war der Angeklagte nur in 15 Fällen aus rechtlichen Gründen freizusprechen, § 354 Abs. 1 StPO. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 467 Abs. 1 StPO.
15
In den übrigen drei Fällen (betreffend S. L. ) war das Urteil zwar aufzuheben, ein Freispruch durch den Senat kam aber nicht in Betracht. Die dies verfolgende weitergehende Revision war daher zu verwerfen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung für den angeklagten Lebenssachverhalt insoweit eine Strafbarkeit wegen Körperverletzungsdelikten ergeben könnte. Durch die erfolgte Beschränkung ist kein Strafklageverbrauch eingetreten; der vorläufig ausgeschiedene Teil bleibt bis zur Rechtskraft der gerichtlichen Sachentscheidung rechtshängig (BGH, Urteil vom 15. September 1983 – 4 StR 535/83, BGHSt 32, 84). Um eine umfassende Nachprüfung zu ermöglichen, war der ausgeschiedene Tatteil gemäß § 154a Abs. 3 Satz 1 StPO durch den Senat wiedereinzubeziehen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. November 2012 – 2 StR 190/12; Urteil vom 23. März 1995 – 4StR 641/94, BGHR StPO § 154a Beschränkung 3). Einer Aufhebung der Feststellungen bedurfte es insoweit nicht, da der Aufhebung des Schuldspruchs allein ein Subsumtionsfehler zugrunde liegt. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen insbesondere zu der subjektiven Tatseite treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
16
4. Für eine Entschädigungsentscheidung war kein Raum, da das Verfahren auch nach der Revisionsentscheidung vom heutigen Tage noch nicht endgültig abgeschlossen ist, wie dies § 8 Abs. 1 Satz 1 StrEG voraussetzt.
17
5. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass eine Strafbarkeit des Angeklagten davon abhängt, ob sich die damals 14 Jahre alte S. L. eigen- bzw. freiverantwortlich zum Konsum der „Kräutermi- schung“ entschloss. Nur wenn es daran fehlt, kann sich der Angeklagte als Tä- ter eines fahrlässigen oder vorsätzlichen Körperverletzungsdelikts strafbar machen. An der Eigenverantwortlichkeit des sich selbst gefährdenden oder verletzenden Rechtsgutsinhabers kann es fehlen und deshalb eine zur Täterschaft des sich Beteiligenden führende – normativ zu bestimmende – Handlungsherrschaft gegeben sein, wenn der sich beteiligende Dritte kraft überlegenen Fachwissens das Risiko besser erfasst als der sich selbst Gefährdende oder Verletzende (vgl. grundlegend zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 28. Januar2014 – 1StR 494/13). Hierbei wird auch in den Blick zu nehmen sein, ob die Zumischung der synthetischen Cannabinoide ungleichmäßig erfolgte und der Angeklagte hierum und um die damit verbundene Gefahr der Überdosierung wusste.
Raum Rothfuß Jäger Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 389/13
vom
16. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 7. Februar 2013 mit den Feststellungen
aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer
des Landgerichts München I verwiesen.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten, einen auf die Substitutionsbehandlung Rauschgiftsüchtiger spezialisierten Arzt, wegen zweier tatmehrheitlicher Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln, sowie wegen weiterer 673 tatmehrheitlicher Fälle der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und zugleich ein Berufs- verbot für die Dauer von vier Jahren sowie den Verfall von Wertersatz in Höhe von 11.600 Euro angeordnet.
2
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts führte der Angeklagte seit vielen Jahren Substitutionsbehandlungen bei opiat-, vor allem heroinabhängigen Patienten durch. Ihm war bekannt, dass solche Patienten häufig unter Vortäuschung schwerer Schmerzzustände versuchen, sich in den Besitz von Schmerzpflastern auf Basis des Opiats Fentanyl zu bringen, um den darin enthaltenen Wirkstoff auszukochen und ihn sich zur Befriedigung ihrer Sucht intravenös zu injizieren. Ihm war auch bekannt, dass Fentanyl stark atemdepressiv wirkt, weshalb beim Einsatz solcher Pflaster ohne strenge ärztliche Kontrolle Lebensgefahr besteht.
4
a) Seit November 2005 führte der Angeklagte bei dem heroinabhängigen Geschädigten S. eine Substitutionsbehandlung durch. Im Januar 2008 brach dieser die Behandlung unvermittelt ab. Durch die Übersendung mehrerer ihm als "Hausarzt" übersandter Arztberichte erfuhr der Angeklagte jedoch in der Folgezeit davon, dass S. im ersten Halbjahr 2010 dreimal, zuletzt am 31. Mai 2010, erfolglos wegen seiner Heroinabhängigkeit stationär behandelt worden war.
5
Am 28. September 2010 sprach S. erstmals wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein aufgeklebtes Fentanyl-Schmerzpflaster und bat unter Hinweis auf eine bei ihm bestehende schwere Hüftgelenksverletzung um weitere Pflaster. Obwohl der Angeklagte erkannte, dass aufgrund der fortbestehenden Abhängigkeit die Abgabe von Fentanyl zur unkontrollierten Schmerzbehandlung kontraindiziert und S. infolge der Abhängigkeit als Hochrisikopatient im Hinblick auf einen möglichen Missbrauch einzustufen war, verordnete er ihm zehn Fentanyl-Pflaster mit einem Wirkstoffgehalt von je 100 Mikrogramm Fentanyl zum Eigengebrauch und stellte ihm auch bei drei weiteren Vorstellungen am 3. November 2010, am 1. Dezember 2010 und am 10. Januar 2011 jeweils Wiederholungsrezepte in gleichem Umfang aus. Eine eingehende Untersuchung des Patienten, insbesondere eine solche auf Drogenfreiheit , nahm er vor den Verschreibungen nicht vor.
6
Am Abend des 10. Januar 2011 kochte S. gemeinsam mit den Zeugen M. , A. und H. in seiner Wohnung die vom Angeklagten rezeptierten Fentanyl-Pflaster aus und injizierte sich den Wirkstoff. Dabei verabreichte er sich, was der Angeklagte nach den Feststellungen der Strafkammer für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, versehentlich eine Überdosis und verstarb, für den Angeklagten als spezifische Folge seiner Verschreibung vorhersehbar und vermeidbar, unmittelbar an deren Folgen.
7
b) Seit November 1999 betreute der Angeklagte den langjährig heroinabhängigen Geschädigten T. .
8
Nachdem er diesem Patienten am 28. Januar 2009 zunächst ein Hausverbot in der Praxis erteilt hatte, stellte sich T. am 7. Dezember 2009 wegen eines vorgeblichen Lendenwirbelsyndroms überraschend wieder in der Praxis des Angeklagten vor. Er trug ein Fentanyl-Pflaster und bat um weitere gleichartige Verordnungen. Der Angeklagte rezeptierte ihm, ohne ihn zu untersuchen, zehn Fentanyl-Pflaster á 75 Mikrogramm zum Eigengebrauch , überwies ihn an einen Orthopäden und erbat von dort eine Bestätigung der Erforderlichkeit der Fentanyl-Behandlung. Ohne weitere Untersuchung und ohne Rücksprache mit dem Orthopäden rezeptierte er dem Geschädigten auch am 21. Dezember 2009 fünf, am 26. April 2010 zehn und am 23. Dezember 2010 nochmals fünf Fentanyl-Pflaster mit jeweils 75 Mikrogramm Fentanyl-Wirkstoff zum Eigengebrauch.
9
Wegen des ihm bekannten, langjährigen Suchtverlaufs waren dem Angeklagten die fortbestehende Abhängigkeit des Geschädigten T. und die damit verbundene Gefahr eines Missbrauchs von Heilmitteln bewusst.
10
T. injizierte sich, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, am 26. Dezember 2010 unter nicht näher aufklärbaren Umständen den ausgekochten Fentanyl-Wirkstoff intravenös. Für den Angeklagten als Folge seines Handelns vorhersehbar und vermeidbar, verabreichte er sich dabei eine Überdosis Fentanyl und verstarb unmittelbar an deren Folgen.
11
2. Seit 1999 war der Angeklagte behandelnder Arzt des opiatabhängigen Patienten K. . Der zu 100 % schwerbehinderte, an den Rollstuhl gefesselte Patient konsumierte, was dem Angeklagten bekannt war, seit 1999 abwechselnd L-Polamidon und Methadon.
12
In den Jahren 2010, 2011 und bis zu seiner Verhaftung am 18. Januar 2012 stellte der Angeklagte dem Patienten insgesamt 599 Privatrezepte im Umfang wöchentlicher Gesamtmengen jeweils 1%igen Methadonhydrochlorids von 105 ml (488 Rezepte), 210 ml (3 Rezepte) oder 308 ml (108 Rezepte) zum Eigengebrauch aus. Für - nicht näher verifizierte - Zeiträume, in denen der Geschädigte sich "auf Reisen" befand, verordnete ihm der Angeklagte in 68 Fällen jeweils 75 Methadicct-Tabletten mit einem Wirkstoffgehalt von je 40 mg Methadonhydrochlorid.
13
Eine umfassende Untersuchung des Patienten nahm der Angeklagte dabei zu keinem Zeitpunkt vor. Die jeweiligen Verordnungsdaten innerhalb des vorgenannten Zeitraums wählte er willkürlich. Mit Ausnahme von Urlaubszeiten stellte er dem Patienten wöchentlich fünf bis sechs Rezepte zum Preis von jeweils 30 Euro aus, die K. durch Mitarbeiterinnen des Angeklagten je- weils an der Hauseingangstür der Praxis übergeben wurden. Das Methadon verkaufte K. , soweit er es nicht selbst konsumierte, an Unbekannte weiter.
14
Der Angeklagte handelte in der Absicht, sich eine Erwerbsquelle von erheblichem Umfang und Dauer zu verschaffen. Durch die Rezeptverkäufe erzielte er einen Gesamterlös vor Steuern in Höhe von 20.010 Euro.

II.


15
Die Revision des Angeklagten ist bereits mit der Sachrüge begründet; auf die erhobene Verfahrensrüge kommt es daher nicht mehr an.
16
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des Geschädigten S. hält revisionsgerichtlicher Prüfung nicht stand.
17
Bereits die Ausführungen des Landgerichts zum objektiven Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
18
a) Im Ansatz zutreffend, hat die Strafkammer geprüft, ob der Angeklagte Beteiligter der zum Tode des Geschädigten S. führenden Körperverletzung sein konnte, obwohl sich dieser das Fentanyl ohne Mitwirkung des Angeklagten eigenhändig injizierte.
19
Wer eine fremde Selbstverletzung oder -gefährdung veranlasst, macht sich nicht wegen Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten strafbar, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Verletzung oder Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert , kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts verurteilt werden, denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches - soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht - kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32, 262).
20
Maßgebliches Abgrenzungskriterium zwischen strafloser Beteiligung an einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und einer - grundsätzlich tatbestandsmäßigen - Fremdgefährdung eines anderen ist die Trennungslinie zwischen Täterschaft und Teilnahme. Entscheidend ist damit die Eigen- bzw. Freiverantwortlichkeit des Entschlusses des Rechtsgutsinhabers, sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit selbst zu gefährden. Eine Täterschaft des die Selbstgefährdung Fördernden kommt daher nur in Betracht, wenn er infolge eines bei dem sich selbst Gefährdenden bestehenden Mangels der Eigenverantwortlichkeit Tat- bzw. Handlungsherrschaft über das Geschehen erlangt.
21
b) Die Strafkammer hat - im Ansatz zutreffend - eine solche Handlungsherrschaft des Angeklagten wegen dessen überlegenen Wissens bejaht, aber nicht rechtsfehlerfrei begründet.
22
aa) Hierzu hat sie ausgeführt, als "erfahrener Drogenarzt" habe der Angeklagte im "Wissen um das Risiko eines Missbrauchs durch Patienten mit problematischem Drogenhintergrund" das "weitere Geschehen aus der Hand" gegeben, indem er dem Patienten "unkontrolliert Fentanyl in großen Mengen überlassen" habe. Nicht "in Rechnung" zu stellen, dass Drogenabhängige "im Entzug jede Kontrolle über sich verlieren oder ein ihnen überlassenes Suchtmittel entgegen ärztlicher Anordnung intravenös injizieren und dabei auch eine Überdosis anwenden" können, schaffe geradezu einen „Anreiz zur Selbstge- fährdung, der als täterschaftliche Schaffung einer gefahrträchtigen Lage zu werten“ sei.
23
bb) Diese Begründung hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
24
(1) Allerdings kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überlegenes Sachwissen des die Selbstgefährdung bzw. -verletzung Fördernden dessen Handlungsherrschaft begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; BGH, Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290 f.; vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001,

205).

25
Die Strafkammer hat jedoch den rechtlichen Maßstab für die Prüfung überlegenen Wissens verkannt. Denn sie hat ausschließlich an den besonderen Kenntnissen des Angeklagten Maß genommen, dabei aber den Wissensstand des Geschädigten völlig unberücksichtigt gelassen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Die Beurteilung der Überlegenheit des Sachwissens setzt jedoch Feststellungen zum Wissensstand sowohl des die Selbstgefährdung Fördernden als auch des sich selbst Gefährdenden zwingend voraus (zum Prüfungsmaßstab vgl. BGH, Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, NStZ 2001, 205 mwN).
26
(2) Durch diesen verkürzten Maßstab hat sich die Strafkammer im Weiteren den Blick auf Umstände verstellt, die hinreichend adäquates Sachwissen auch des Geschädigten in Bezug auf das rechtsgutsbezogene Risiko seines Verhaltens nahelegten und daher der Erörterung bedurft hätten:
27
So verfügte der Geschädigte über eine lange Suchtkarriere und kannte die grundlegenden Risiken des Drogenkonsums einschließlich des Risikos einer Überdosierung (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288 ff.; BayObLG, Beschlüsse vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01, vom 14. Februar 1997 - 4St RR 4/97, NStZ 1997, 341, 342, und - zu einem insoweit anders gelagerten Fall - vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371). Auch hinsichtlich des von ihm konkret praktizierten FentanylMissbrauchs legten die von der Strafkammer als glaubhaft erachteten Aussagen der Zeugen M. , A. und H. es nahe, dass der Geschädigte sich der Risiken seines Handelns, insbesondere der Gefahr einer Überdosis aufgrund der Injektion, bewusst war.
28
Eines darüber hinaus gehenden Verständnisses der exakten medizinischen Wirkzusammenhänge zwischen der Einnahme des als bei Überdosierung als lebensgefährlich bekannten Opiats und den möglichen Auswirkungen auf das eigene Leben und die eigene körperliche Unversehrtheit bedurfte es demgegenüber nicht.
29
c) Auch unter dem Aspekt eines etwaigen Ausschlusses der Fähigkeit zu eigenverantwortlicher Entscheidung belegen die Ausführungen der Strafkammer keine Tatherrschaft des Angeklagten.
30
Auch hier hat die Strafkammer bereits den rechtlichen Maßstab verfehlt.
31
Ihre - für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffene - Feststellung der Opiatabhängigkeit des Geschädigten führt nicht automatisch zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, NStZ-RR 2012, 71; Urteile vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10, und vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, NStZ 1984, 410, 411 m. Anm. Roxin ; sehr weitgehend demgegenüber noch BGH, Urteil vom 18. Juli 1978 - 1 StR 209/78, JR 1979, 429; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN; ebenso für "Erfahrungen im Umgang mit Drogen" BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteil vom 11. April 2000 - 1 StR 638/99, BGHR StGB § 222 Zurechenbarkeit 2). Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Betäubungsmittelkonsumenten zu eigenverantwortlicher Entscheidung nicht fähig sind, besteht nicht (s.a. BayObLG, Beschluss vom 11. Dezember 2001 - 5St RR 298/01). Vielmehr bedarf es der Feststellung konkreter die Eigenverantwortlichkeit einschränkender Umstände, etwa einer akuten Intoxikation (vgl. BGH, Urteil vom 28. Oktober 1982 - 1 StR 501/82, NStZ 1983, 72), unter Umständen auch eines entzugsbedingten akuten Suchtdrucks, verbunden mit der Angst vor körperlichen Entzugserscheinungen (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Urteile vom 2. November 2005 - 2 StR 389/05, NStZ 2006, 151; vom 6. Juni 1989 - 5 StR 175/89,BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 5; Beschluss vom 10. April 1990 - 4 StR 148/90, BGHR StGB § 21 BtM-Auswirkungen 7 jew. mwN) oder konsumbedingter schwerer Persönlichkeitsveränderungen, die zum Verlust der Eigenverantwortlichkeit führen können (zu §§ 20, 21 StGB vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 2011 - 2 StR 427/11, StV 2012, 282; Urteil vom 17. Juni 2010 - 4 StR 47/10).
32
Solche Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen.
33
d) Soweit dem Urteil des Senats vom 18. Juli 1978 (1 StR 209/78, JR 1979, 429) über die Besonderheiten des dortigen konkreten Falles hinaus allgemein die Rechtsauffassung entnommen werden könnte, die aus der Behandlung eines opiatabhängigen Patienten resultierende Garantenpflicht des behandelnden Substitutionsarztes begründe eine "besondere Sorgfaltspflicht" des Arztes, Schaden von seinem Patienten abzuwenden, und führe - unabhängig von der Freiverantwortlichkeit des Patienten - stets zu einer Täterschaft begründenden Herrschaft des Arztes über das selbstschädigende Verhalten des Patienten, wäre daran nicht festzuhalten.
34
2. Aus denselben Gründen hält auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zum Nachteil des GeschädigtenT. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
35
3. Schließlich begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Verschreibens von Betäubungsmitteln in den auf den Tatkomplex K. entfallenden 667 Fällen durchgreifenden Bedenken.
36
a) Die Annahme der Strafkammer, ungeachtet der - wie festgestellt - gemeinsamen Ausstellung mehrerer Rezepte liege hinsichtlich jedes einzelnen Rezepts eine gesonderte Straftat vor, ist rechtsfehlerhaft.
37
Aus dem Umstand, dass der Angeklagte jedes der ihm vorgelegten Rezepte überprüfte, ehe er es unterzeichnete, ergibt sich kein gesonderter Tatentschluss. Der Angeklagte handelte vielmehr ersichtlich mit der Absicht, alle ihm vorgelegten Rezepte, sofern diese formal ordnungsgemäß ausgestellt waren, innerhalb eines einheitlichen Prüfungsvorganges zu unterzeichnen, damit sie dem Patienten gemeinsam übergeben werden konnten.
38
b) Eine abschließende Beurteilung der Anzahl der Einzeltaten ist dem Senat nicht möglich, weil das Urteil insoweit keine widerspruchsfreien Feststellungen enthält.
39
Die Strafkammer legt als Tatzeitraum den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zur Verhaftung des Angeklagten am 18. Januar 2012, also "ca. 107 Kalenderwochen" zugrunde. Sie führt hierzu jedoch aus, K. habe die Rezep- te lediglich "in der Regel", nämlich außerhalb von "Urlaubszeiten", wöchentlich abgeholt. Diese "Urlaubszeiten" - bei denen unklar bleibt, ob damit die "Reisezeiten" des Patienten gemeint sind - sind jedoch nicht näher verifiziert; es liegt nahe, dass sich die Anzahl der Rezeptübergaben unter Anrechnung dieser Zeiten verringert.

III.


40
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
41
1. Die in Fällen eigenverantwortlicher Selbstverletzung oder -gefährdung für eine Täterschaft wegen vorsätzlicher Körperverletzung aufgestellten Maßstäbe gelten entsprechend, sofern eine Bestrafung des die Selbstgefährdung Fördernden nur wegen fahrlässiger Körperverletzung bzw. Tötung in Betracht kommt. Daher bedarf es auch insoweit einer Handlungsherrschaft aufgrund überlegenen Sachwissens oder aufgrund erkennbarer Mängel der Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Entscheidung bei dem sich selbst Gefährdenden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 491/10; Urteile vom 29. April 2009 - 1 StR 518/08, BGHSt 53, 288, 290; vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 120/03, BGHSt 49, 34, 39; vom 14. Februar 1984 - 1 StR 808/83, BGHSt 32,

262).

42
2. Für den Fall, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung hinreichende Feststellungen zur Annahme von Tat- bzw. Handlungsherrschaft des Angeklagten ergeben, wird der neue Tatrichter auch die subjektive Tatseite erneut eingehend zu prüfen haben:
43
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit handelt der Täter vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein; bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen dann vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft - nicht nur vage - darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten (BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 9 f.).
44
Da beide Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite , also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH aaO, vgl. auch Urteil vom 7. Juli 2011 - 5 StR 561/10, BGHSt 56, 277 ff.). Insbesondere die Würdigung zum voluntativen Vorsatzelement, also zur billigenden Inkaufnahme des Erfolges, muss sich mit den Feststellungen des Urteils zur Persönlichkeit des Täters auseinandersetzen und auch die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände mit in Betracht ziehen (vergleiche BGH, Urteil vom 4. November 1988 - 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 10, und vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175). Der Tatrichter darf nicht ohne Weiteres aus der Erkenntnisfähigkeit eines Täters oder seiner vorhandenen Erkenntnis auf die billigende Inkaufnahme des Erfolgs schließen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 1987 - 3 StR 449/87, NStZ 1988, 175).
45
Bei der Körperverletzung im Arzt-Patienten-Verhältnis ist zu berücksichtigen , dass die Annahme, die Art und Weise der Behandlung eines Patienten durch einen Arzt sei nicht am Wohl des Patienten orientiert, auch bei medizinisch grob fehlerhaftem Verhalten des Arztes häufig fernliegt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 - 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35 f.). Selbst erhebliche Sorgfaltspflichtverstöße schließen eine Verurteilung wegen nur fahrlässiger Tat nicht von vornherein aus (vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 28. August 2002 - 5St RR 179/02, NJW 2003, 371, 372).
Raum Wahl Graf Jäger Cirener

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 3 0 2 / 1 3
vom
14. Januar 2015
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
_________________________
1. Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide JWH-018 und CP
47,497-C8-Homologes beginnt bei zwei Gramm.
2. Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide JWH-073 und CP
47,497 beginnt bei sechs Gramm.
BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 - 1 StR 302/13 - LG Landshut
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
3. Dezember 2014, in der Sitzung am 14. Januar 2015, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener
und der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11. Januar 2013, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Komplex C.III.1. der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch,
c) im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) in den Komplexen C.III.1. und C.III.3. der Urteilsgründe,
b) im gesamten Strafausspruch,
c) im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz.
3. Die weitergehenden Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen
2
Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln minderer Qualität (Komplex C.II.),
3
versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Inverkehrbringen bedenklicher Arzneimittel in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit irreführender Bezeichnung in Tateinheit mit Inverkehrbringen von Arzneimitteln minderer Qualität (Komplexe C.III.1. und C.III.5.),
4
unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Komplex C.III.2.),
5
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen (Komplexe C.III.3. und C.III.4.)
6
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 193.300,87 Euro angeordnet.
7
Hiergegen wenden sich sowohl der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision als auch die Staatsanwaltschaft , die mit ihrem Rechtsmittel die Verletzung materiellen Rechts rügt.
8
Der Senat hat das Verfahren, soweit es den Angeklagten betrifft, auf Antrag des Generalbundesanwalts hinsichtlich der Komplexe C.II. und C.III.5. der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO i.V.m. § 154 Abs. 1 StPO eingestellt und es im Übrigen mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO i.V.m. § 154a Abs. 1 StPO auf Tatbestände des Betäubungsmittelgesetzes beschränkt.
9
Die Revisionen erzielen jeweils den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet und waren daher zu verwerfen.

A.

10
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
11
Der Angeklagte betrieb in D. einen Handel mit Gewürz- und Kräutermischungen und vertrieb die Produkte über den Internetshop „www.b. .de“. Er erwarb von Händlern aus dem Inland und dem europäi- schen Ausland Kräutermischungen, die synthetische Cannabinoide - namentlich die Wirkstoffe JWH-018, JWH-073, CP 47,497 bzw. CP 47,497-C8Homologes - enthielten, um diese gewinnbringend weiterzuverkaufen und sich dadurch eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang zu eröffnen.
12
Dem Angeklagten war bekannt, dass die Kräutermischungen zum Konsum durch Rauchen verwendet wurden und dass diese eine bewusstseinsverändernde Wirkung hatten, sofern sie synthetische Cannabinoide enthielten. Er rechnete damit, dass derartige Wirkstoffe in den Mischungen enthalten waren und nahm dies zumindest billigend in Kauf. Auf den Verpackungen der Kräutermischungen war weder angegeben, dass diese synthetische Cannabinoide enthielten, noch war eine Dosierungsanleitung beigefügt. Die Wirkstoffe waren in den Kräutermischungen nicht gleichmäßig verteilt.
13
Im Einzelnen handelte es sich um folgende Fälle, soweit sie nach Teileinstellung des Verfahrens noch Gegenstand des Revisionsverfahrens sind:
14
1. Der Angeklagte erwarb im April 2009 aus Österreich jeweils 300 Päckchen mit je 3 Gramm der Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“, die entweder den Wirkstoff JHW-073oder den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthielten, und verkaufte diese an zahlreiche Abnehmer weiter (Komplex C.III.1.).
15
2. Im Mai und Juni 2009 kaufte der Angeklagte aus Belgien in fünf Fällen die Kräutermischungen „Dream“ bzw. „69“ an, die jeweils den Wirkstoff JWH- 018 enthielten. Ausgehend von einem Gewicht pro Päckchen von mindestens 2 Gramm und einem Wirkstoffgehalt von mindestens 1,1 Prozent für „Dream“ bzw. von einem Gewicht pro Päckchen von mindestens 1,2 Gramm und einem Wirkstoffgehalt von mindestens 1,8 Prozent für „69“ belief sich die Gesamtmenge JWH-018 bei den Einfuhren am 20. Mai 2009 (Fall 1: 1.000 Päckchen „Dream“) auf 22 Gramm, am 25. Mai 2009 (Fall 2: 1.500 Päckchen „Dream“) auf 33 Gramm, am 12. Juni 2009 (Fall 3: 800 Päckchen „Dream“) auf 17,6 Gramm, am 19. Juni 2009 (Fall 4: 150 Päckchen „69“ sowie 800 Päckchen „Dream“) auf 20,84 Gramm und am 22. Juni 2009 (Fall 5: 1.000 Päckchen „69“) auf 21,6 Gramm. Auch diese Kräutermischungen verkaufte der Angeklagte in der Folgezeit an zahlreiche Abnehmer weiter (Komplex C.III.2.).
16
3. Am 1. März 2009 verkaufte der Angeklagte 25 Päckchen der Kräuter- mischung „Chill X“, die den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthielten (Komplex C.III.3.).
17
4. Am 10. März 2009 verkaufte der Angeklagte 25 Päckchen der Kräu- termischung „Dream“, die den Wirkstoff JWH-018 enthielten (Komplex C.III.4.).
18
II. Das Landgericht hat folgende Wertungen vorgenommen:
19
1. a) Im Komplex C.III.1. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten neben Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz auch wegen tateinheitlich begangenen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verurteilt. Es hat sich nicht davon überzeugen können, dass die vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „Sen- Cation Blackberry“ tatsächlich den im Tatzeitraum in Anlage II zum Betäu- bungsmittelgesetz aufgeführten Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthielten, da bei Untersuchungen von bei dem Angeklagten aufgefundenen gleichnamigen Kräutermischungen teils dieser Wirkstoff, teils der erst nach dem Tatzeitraum in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz aufgenommene Wirkstoff JWH073 festgestellt worden sei. Der Angeklagte habe aber jedenfalls billigend in Kauf genommen, dass die Kräutermischungen Wirkstoffe enthalten, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Kräutermischungen bzw. zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten davon hat das Landgericht nicht getroffen.
20
b) Im Komplex C.III.2. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte nach Auffassung des Landgerichts durch den Ankauf der Kräutermischungen „Dream“ bzw. „69“ im Mai und Juni 2009 aus Belgien wegen unerlaubter Ein- fuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht. Den Grenzwert für die nicht geringe Menge des Wirkstoffs JWH-018 hat das Landgericht sachverständig beraten auf 1,75 Gramm Wirkstoffmenge - entsprechend 350 Konsumeinheiten zu je 5 Milligramm - festgesetzt. Eine äußerst gefährliche oder tödliche Dosis vermochte es mangels Datengrundlage nicht zu bestimmen. Bei der Festlegung der Maßzahl auf 350 Konsumeinheiten hat es insbesondere berücksichtigt, dass JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol eine deutlich stärkere Wirkung und eine höhere akute Toxizität aufweise, MDE/MDA/MDMA bzw. Amphetamin/ Methamphetamin andererseits aber eine noch stärkere akute Toxizität innewohne. Entsprechend dieser Einordnung sei die Maßzahl für JWH-018 als Mittelwert zwischen den für Amphetamin/Methamphetamin und THC von der Rechtsprechung angenommenen Maßzahlen von 200 bzw. 500 Konsumeinheiten festzulegen.
21
c) Die Komplexe C.III.3. und C.III.4. der Urteilsgründe hat das Landgericht jeweils als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gewertet. Es hat lediglich festgestellt, dass sechs von 29 bei dem Angeklagten aufgefundenen Päckchen „Chill X“ im Durchschnitt 2,9 Gramm der Kräutermischung enthielten. Weitergehende Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der im Fall C.III.3. gehandelten Kräutermischung bzw. zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten davon hat es nicht getroffen.
22
2. a) Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht im Komplex C.III.1. den Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zur Anwendung gebracht. Die Indizwirkung des angenommenen Regelbeispiels des gewerbsmäßigen Handelns (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) hat es mit der Begründung als entkräftet angesehen, dem Angeklagten sei nicht bekannt gewesen, ob in den von ihm gehandelten Kräutermischungen tatsächlich betäubungsmittelrechtlich relevante Wirkstoffe enthalten gewesen seien. Zudem stehe nicht fest, ob überhaupt und ggfs. in welcher Quantität in den Kräutermischungen tatsächlich der Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes enthalten gewesen sei. Den so gefundenen Strafrahmen hat das Landgericht gemäß § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB gemildert und auf eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten erkannt.
23
b) Hinsichtlich des Komplexes C.III.2. der Urteilsgründe hat das Landgericht jeweils minder schwere Fälle i.S.v. § 30 Abs. 2 BtMG angenommen. Eine positive Kenntnis des Angeklagten, dass die von ihm eingeführten Kräutermi- schungen „Dream“ und „69“ unter das Betäubungsmittelgesetz fallende Wirk- stoffe enthielten, habe nicht nachgewiesen werden können. Vielmehr habe er lediglich mit Eventualvorsatz gehandelt. Strafmildernd hat es zudem gewertet, dass die synthetischen Cannabinoide den „weichen Drogen“ zuzuordnen und im Tatzeitraum das Problembewusstsein hinsichtlich der Strafbarkeit im Zu- sammenhang mit Kräutermischungen „noch nicht allzu ausgeprägt“ gewesen sei. Auch sei der Grenzwert für die nicht geringe Menge an JWH-018 noch nicht bekannt gewesen. Daher sei trotz des Umstands, dass der Angeklagte erheblich einschlägig vorbestraft und die nicht geringe Menge in jedem Fall um ein Vielfaches überschritten sei, die Anwendung des Strafrahmens des § 30 Abs. 2 BtMG geboten. Es hat unter nochmaliger Berücksichtigung des nur bedingten Vorsatzes auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten, dreimal je einem Jahr sowie von zehn Monaten erkannt.
24
c) In den Komplexen C.III.3. und C.III.4. ist das Landgericht vom Regelstrafrahmen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ausgegangen, nachdem es die durch das gewerbsmäßige Handeln (§ 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG) ausgelöste Indizwirkung für einen besonders schweren Fall wegen des nur bedingten Vorsatzes des Angeklagten und der Einstufung von synthetischen Cannabinoiden als „weiche Droge“ als entkräftet angesehen hat. Es hat auf Geldstrafen von jeweils 60 Tagessätzen erkannt, die Tagessatzhöhe hat es auf 30 € festgesetzt.
25
3. Bei der Entscheidung über die Anordnung des Verfalls von Wertersatz ist das Landgericht bei der Bestimmung des aus der Tat Erlangten von den aus dem Verkauf der Kräutermischungen erzielten Erlösen ausgegangen. Die in den Urteilsgründen mit dem Zusatz „mit MWSt“ bzw. „ohne MWSt“ mitgeteilten Verkaufspreise hat es den Verkaufsrechnungen entnommen. Sofern in den Rechnungen die Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) nicht gesondert ausgewiesen war, hat es diese von den Verkaufspreisen in Abzug gebracht.

B.

26
Das Rechtsmittel des Angeklagten erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
27
I. Die Verfahrensrüge, mit der die Revision die vorschriftswidrige Besetzung des Gerichts aufgrund der rechtfehlerhaften Entbindung eines Schöffen von der Dienstleistung geltend macht (§ 338 Nr. 1 StPO), bleibt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend dargelegten Gründen ohne Erfolg.
28
II. Die Sachrüge hat teilweise Erfolg.
29
Das Landgericht hat rechtlich zutreffend seiner Wertung zugrunde gelegt , dass die Wirkstoffe JWH-018 und CP 47,497 bzw. CP 47,497-C8Homologes ab dem 22. Januar 2009, der Wirkstoff JWH-073 erst ab dem 22. Januar 2010 den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes unterfielen.
30
1. Die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.2. (a.), C.III.3. und C.III.4. (b.) weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Dagegen kann der Schuldspruch im Komplex C.III.1. (c.) keinen Bestand haben.
31
a) Die Verurteilung im Komplex C.III.2. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand (vgl. zur konkurrenzrechtlichen Beurteilung BGH, Urteile vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, NStZ 2007, 338 und vom 19. Juli 2006 - 2 StR 162/06, NStZ 2007, 101; BGH, Beschlüsse vom 2. Juni 2006 - 2 StR 150/06, NStZ-RR 2006, 277 und vom 5. März2013 - 1 StR 35/13, NStZ 2013, 662).
32
Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass in den abgeurteilten Fällen der in den Kräutermischungen „Dream“ und „69“ ent- haltene Wirkstoff JWH-018 jeweils die Grenze der nicht geringen Menge i.S.v. § 29a Abs. 1 Nr. 2, § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG erreicht hat.
33
Die Berechnung der Mengen und des Wirkstoffgehalts der betroffenen Kräutermischungen „Dream“ und „69“ ist revisionsrechtlich nicht zu beanstan- den.
34
Der Senat setzt jedoch - insoweit abweichend vom Landgericht - den Grenzwert der nicht geringen Menge an JWH-018 auf eine Wirkstoffmenge von 2 Gramm fest.
35
Hierbei bezieht sich der Senat auf die in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandte Methode (vgl. nur BGH, Urteile vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89 und vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60). Danach ist der Grenzwert der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und -intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (BGH, Urteil vom 22. Dezember 1987 - 1 StR 612/87, BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonst die Gesundheit schädigenden Potentials zu bemessen (BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. BGH, Urteile vom 24. April 2007 - 1 StR 52/07, BGHSt 51, 318 und vom 17. November 2011 - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60).
36
Zur Wirkung und zur Gefährlichkeit von JWH-018 hat der Senat Gutachten des Laborleiters Forensische Toxikologie der Universität Freiburg A. sowie des Apothekers für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie Da. vom Bundeskriminalamt eingeholt. Danach ergibt sich Folgendes:
37
aa) Seit etwa dem Jahr 2005 entwickelte sich ein Markt für mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Kräutermischungen, Räuchermischungen, Ba- desalze u.ä. (sog. „Legal Highs“ oder auch „Neue psychoaktive Substanzen“), die zur Herbeiführung eines Rauschzustandes - häufig als Ersatz für Cannabis - mit dem Ziel der Entspannung, der Stimmungsregulation oder der Intensivierung von Sinneseindrücken konsumiert wurden. Diese Stoffe zeichnen sich dadurch aus, dass sie in chemischen Syntheselaboren ohne großen technischen Aufwand mit Hilfe leicht zu beschaffender Bestandteile kostengünstig hergestellt werden können und zum Verkauf mit Pflanzenmaterial vermischt werden. Charakteristisch für solche Produkte ist die ungleichmäßige Verteilung der synthetischen Cannabinoide innerhalb der pflanzlichen Trägermasse. Auch die Wirkstoffkonzentration ist großen Schwankungen unterworfen. Waren in den ersten Jahren noch Produkte mit Wirkstoffkonzentrationen im einstelligen Prozentbereich auf dem Markt, so sind heute Wirkstoffanteile von bis zu 30 Prozent zu finden. Der Wirkstoffgehalt ist dem Produkt nicht anzusehen. Der Wirkstoff JWH-018 war - neben dem Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes - als Hauptwirkstoff in den sog. „Spice“-Produktender ersten Generation enthalten, bis er nach seiner Aufnahme in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz durch andere synthetische Cannabinoide, so z.B. JWH-073, aber auch weitere, teilweise hochpotente Wirkstoffe, ersetzt wurde.
38
bb) Bei JWH-018 [chemische Bezeichnung: (Naphthalin-1-yl)(1-pentyl1H -indol-3-yl)methanon] handelt es sich um ein nach dem amerikanischen Chemiker John W. Huffman benanntes vollsynthetisches Aminoalkylindol, das bisher nicht in klinischen Studien am Menschen getestet wurde. Die Erkenntnismöglichkeiten zur pharmakologischen Wirkung der Substanz beschränken sich auf einzelne wissenschaftliche Selbstversuche und Fallberichte, in denen neben einer ausführlichen klinischen Beschreibung auch eine umfassende toxikologische Analytik durchgeführt wurde, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Wirkstoffaufnahme und Symptomatik belegen. Zudem stehen Daten aus Rezeptorbindungsstudien sowie Ergebnissen aus in vivo-Studien (vor allem am Mausmodell) zur Verfügung, wobei eine Übertragung der daraus gezogenen Schlüsse auf den Menschen nur eingeschränkt möglich ist.
39
cc) Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Wirkung der synthetischen Cannabinoide wie bei dem Wirkstoff der Cannabispflanze über das Endocannabinoidsystem vermittelt. Diese vergleichbare Wirkungsweise hat trotz unterschiedlicher chemischer Zusammensetzung zur Sammelbe- zeichnung als synthetische „Cannabinoide“ geführt. DasEndocannabinoidsys- tem ist nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Wirbeltieren und Fischen vorhanden und an verschiedensten, teilweise sehr komplexen Prozessen beteiligt. Der Wirkstoff bindet an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1, der in hoher Dichte im zentralen Nervensystem vorhanden ist, und CB2, der sich vorwiegend in Zellen des Immunsystems findet. Aufgrund der lipophilen Eigenschaften der Substanzen können sie die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren. Durch die Bindung an den Rezeptor wird die Signalübermittlung in der zugehörigen Zelle aktiviert. Anhand des Ausmaßes der Aktivierung kann zwischen einem vollen Agonisten und einem nur partiellen Agonisten unterschieden werden.
40
Anders als der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol, der am CB1-Rezeptor nur als partieller Agonist bindet, wirken JWH-018 und CP 47,497-C8Homologes dort als volle Agonisten. Dies führt dazu, dass sie wesentlich stärkere Effekte, auch solche lebensbedrohlicher Art, erzeugen können. Es tritt - anders als bei Tetrahydrocannabinol - keine Sättigung ein, vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen durch eine höhere Dosierung verstärkt. JWH-073 ist hingegen eher wie Tetrahydrocannabinol als partieller Agonist anzusehen.
41
Im Zusammenhang mit diesen Unterschieden der Substanzen JWH-018 einerseits und Tetrahydrocannabinol andererseits bei der sog. intrinsischen Aktivität ist auch zu sehen, dass JWH-018 gegenüber Tetrahydrocannabinol eine höhere Potenz aufweist. Das heißt, dass das Maß der Wirkstärke in Abhängigkeit von der Dosis oder Konzentration deutlich höher anzusiedeln ist. Entsprechend ist bei JWH-018 zur Erzielung einer Wirkung eine gegenüber Tetrahydrocannabinol wesentlich geringere Dosis erforderlich. Dies steht auch in Übereinstimmung mit Berichten von Konsumenten, die ebenfalls für JWH018 bei gleicher Dosierung eine deutlich stärkere Wirkung im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol beschreiben. An Tieren durchgeführte Studien, im Rahmen derer Potenz und Rezeptoraffinität verschiedener synthetischer Cannabinoide im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol getestet wurden, lassen den wissenschaftlich belegten Schluss zu, dass der Wirkstoff JWH-018 mindestens um den Faktor 3 potenter als Tetrahydrocannabinol ist. Die insoweit erhobenen pharmakodynamischen Parameter ließen auch die Annahme eines höheren Faktors zu. Um aber dem Umstand, dass es sich um die Übertragung von am Tiermodell gewonnenen Daten auf den Menschen handelt und anderen möglichen Messunsicherheiten ausreichend Rechnung zu tragen, ist nicht auf diesen höheren Faktor, sondern auf die jedenfalls gesicherte Abschätzung der Potenz, nämlich dem Faktor 3 zurückzugreifen.
42
Die möglichen Unterschiede in der sog. intrinsischen Aktivität der synthetischen Cannabinoide, aber auch ihre damit zusammenhängende unterschiedliche Potenz führen dazu, dass man Feststellungen zur Gefährlichkeit eines dieser synthetischen Cannabinoide nicht ohne weiteres auf andere Stoffe übertragen kann. So gibt es innerhalb der Gruppe der synthetischen Cannabinoide deutliche Potenzunterscheide.
43
Betäubungsmittel wie Heroin, Kokain oder Amphetamin weisen hingegen einen komplett anderen Wirkungsmechanismus auf.
44
dd) Neben potentiell therapeutisch nutzbaren Effekten - wie Schmerzlinderung , Neuroprotektion, Hemmung gastrointestinaler Motilität, Linderung von Spastizität, antiemetische Wirkung, Senkung des Augeninnendrucks, Erleichterung des Schlafes und appetitanregende Wirkung - zeigt sich nach dem Konsum von synthetischen Cannabinoiden eine berauschende Wirkung, gekennzeichnet durch Stimmungssteigerung, Euphorie, Redseligkeit, veränderter Wahrnehmung (z.B. in Bezug auf Farben, Musik, Geschmack und Zeitgefühl) oder Gefühle erhöhter Einsicht und Bedeutung. Zu den häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen nach dem Konsum synthetischer Cannabinoide gehören solche, die auch nach Cannabiskonsum häufig auftreten, wie Beeinträchtigung des Denk-, Lern-, Erinnerungs- und Konzentrationsvermögens und der psychomotorischen Leistung, Gefühle von Unwirklichkeit, Depersonalisation und Distanziertheit, Unterbrechung von Gedankengängen, Angstzustände, Paranoia , erhöhte Herzfrequenz, Pupillenweitung, Bindehautrötung, verminderter Tränenfluss, Mundtrockenheit sowie Wirkungen auf endokrine und reproduktive Funktionen und die Thermoregulation. Daneben zeigen sich aber auch Symptome , die untypisch für Cannabisintoxikationen sind, wie lange anhaltendes Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Wirkung auf die Atmung und Krampfanfälle. Das Erbrechen kann im Zusammenhang mit der Bewusstseinstrübung und der damit verbundenen Aspirationsgefahr genauso eine lebensgefährliche Situation begründen wie Krampfanfälle. Gerade diese Effekte führen zur Annahme einer gegenüber Tetrahydrocannabinol gesteigerten Gefährlichkeit für die Gesundheit des Konsumenten.
45
Die berauschende Wirkung von JWH-018 hält etwa ein bis zwei Stunden an, wobei die tatsächliche Wirkungsdauer, die davon abhängt, wie schnell die Substanzen metabolisiert und ausgeschieden werden, immer auch von der Dosis und der Art der Aufnahme, aber maßgeblich auch von der aktuellen Verfassung des Konsumenten und den Umgebungsbedingungen beeinflusst wird.
46
ee) Auch wenn die Wirkungen synthetischer Cannabinoide in erster Linie über das Endocannabinoidsystem vermittelt werden, gibt es Hinweise darauf, dass die Substanzen auf weitere physiologischen Systeme einwirken. So zeigt das Wirkungsprofil dieser Substanzen im Vergleich zu dem von Cannabis ähnliche Symptome, aber auch markante Unterschiede. Derartige Systeme konnten aber bisher nicht identifiziert werden, weshalb diese nur möglichen, derzeit nicht belegbaren Effekte nach dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht Grundlage der rechtlich relevanten Beurteilung der Wirkung und Gefährlichkeit der Substanz sein können. Auch die Frage von Langzeittoxizität, krebserzeugenden Wirkungen, Beeinträchtigungen des Erbguts oder der Fertilität durch synthetische Cannabinoide - auf deren mögliches Vorliegen als Risiko insbesondere der Sachverständige Da. hingewiesen hat - kann anhand der mangelhaften Datenlage derzeit nicht beurteilt werden.
47
ff) Zur äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis des Wirkstoffs JWH-018 liegen derzeit keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vor. Zwar können Vergiftungen mit synthetischen Cannabinoiden zu lebensbedrohlichen Zuständen führen, wobei Erbrechen mit der Gefahr der Aspiration bei Bewusstseinseintrübungen , negative Wirkungen auf die Atmung und Krampfanfälle im Vordergrund stehen. Die begrenzte Anzahl klinisch und analytisch dokumentierter Vergiftungsfälle bieten aber für eine Festlegung einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis keine valide Grundlage, da zuverlässige Daten zu Konsumzeitpunkt und -menge fehlen und neben den synthetischen Cannabinoiden zumeist weitere Betäubungsmittel konsumiert wurden.
48
gg) Die Festlegung des Grenzwerts der nicht geringen Menge auf Grundlage der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss der Droge gewöhnten Konsumenten kommt ebenfalls nicht in Betracht. Auch zum Konsumverhalten fehlt es an wissenschaftlich gesicherten Daten.
49
(1) Zwar lässt sich allgemein feststellen, dass die Dosierung des Wirkstoffs maßgeblich von der Konsumform sowie von der Anwendungsart abhängt.
50
Die gebräuchlichste Konsumform für synthetische Cannabinoide sind sog. Räuchermischungen, wobei das mit dem Wirkstoff versetzte pflanzliche Material als Tabakmischung in einem Joint oder in einer Wasserpfeife („Bong“) geraucht wird. Die Wirkung setzt bei dieser Konsumart aufgrund der Aufnahme des Wirkstoffs über die Lunge innerhalb weniger Minuten ein. Anders als bei Cannabis muss der Wirkstoff nicht erst aus der pflanzlichen Matrix freigesetzt werden, sondern steht sofort zur Verfügung. Da der Konsument in der Regel nicht wissen kann, wieviel Wirkstoff enthalten ist, wird er so lange rauchen, bis die gewünschte Wirkung eingetreten ist, er „titriert“. Dies beinhaltet das Risiko einer Überdosierung, da schon mit den ersten Zügen so viel aufgenommen worden sein kann, dass unerwünschte Nebenwirkungen auftreten. Derzeit weniger verbreitet ist noch das Verdampfen der Wirksubstanz - meist unter Einsatz des reinen Wirkstoffes - in einem „Vaporizer“ oder unter Einsatz des Wirk- stoffs in gelöster Form als „E-Liquid“ in einer E-Zigarette. Dies erfordert im Ver- gleich zum Rauchen niedrigere Temperaturen, was mit einer höheren Bioverfügbarkeit aufgrund geringerer Verluste durch Verbrennung einhergeht. Da bei den Verdampfungstechniken im Unterschied zum Rauchen in der Regel auch keine Verluste durch Seitenstromrauch auftreten, reichen geringere Substanzmengen aus, um eine Wirkung zu erzielen. Sowohl für das Rauchen als auch für das Verdampfen gilt, dass sich der Anteil des über die Lunge aufgenomme- nen Wirkstoffs je nach konkreter Durchführung (z.B. „paffen“ oder inhalieren) stark unterscheiden kann. Ein geringer Teil der Konsumenten nimmt die Substanzen oral - z.B. nach Herstellung eines Aufgusses - zu sich. Die Wirkung tritt bei oraler Aufnahme mit einer erheblichen Verzögerung von einer halben bis zu mehreren Stunde(n) ein, was dem Konsumenten die Dosierung erschwert. Aufgrund des sog. First-Pass-Effekts (Metabolisierung der Substanz bei der ersten Leberpassage) und der langsameren Resorption werden bei dieser Art der Applikation bei gleicher Dosierung im Vergleich zum Rauchen bzw. Verdampfen wesentlich geringere Blutkonzentrationen erreicht, so dass bei oraler Aufnahme der Substanz eine wesentlich höhere Dosierung zur Erzielung gleicher Wirkung erforderlich ist.
51
(2) Zur konkreten Dosierung von JWH-018 stehen jedoch neben Daten aus vereinzelten wissenschaftlichen Selbstversuchen, die eine zu schmale Tatsachenbasis bieten, lediglich Angaben von Konsumenten in einschlägigen Internetforen zur Verfügung. Zwar finden sich dort Dosierungsempfehlungen, die - bezogen auf den reinen Wirkstoff in Pulverform - von 1 Milligramm bis maximal 5 Milligramm reichen. Diese Angaben erweisen sich aber für die Bestimmung der durchschnittlichen Konsumeinheit, die zur Erreichung eines Rausch- zustands bei einem nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten erforderlich ist, als nicht geeignet. Zum einen gehen diese Angaben häufig auf erfahrene Konsumenten zurück, bei denen bereits mit einer Toleranzentwicklung zu rechnen ist. Zum anderen ist angesichts der fehlenden Angabe, welches synthetische Cannabinoid in welcher Konzentration in den Räuchermischungen enthalten ist, nicht gesichert, dass die Angaben sich tatsächlich auf den genannten Wirkstoff beziehen und die Substanzmengen zutreffend bezeichnet sind.
52
(3) Hinzu tritt, dass insbesondere die synthetischen Cannabinoide aus der Gruppe der Aminoalkylindole, wie JWH-018 und JWH-073, extensiv metabolisiert werden und viele der Abbauprodukte ebenfalls pharmakologische Aktivität zeigen. Dies lässt erhebliche interindividuelle Unterschiede in der Reaktion auf den Wirkstoff erwarten.
53
hh) Nachdem eine Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge weder an einer äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis, noch an einer valide abgesicherten Konsumeinheit ausgerichtet werden konnte, war entscheidend ein Vergleich mit anderen, vergleichbar wirkenden Substanzen. Im Hinblick auf die dargelegten verwandten chemisch-toxikologischen Wirkungen erscheint es dem Senat angebracht, den Grenzwert für JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol zu bestimmen. Beide Substanzen wirken auf das Endocannabinoidsystem , weisen ähnliche Wirkungsbilder auf und werden mit dem Ziel der Entspannung, der Stimmungsregulation oder der Intensivierung von Sinneseindrücken konsumiert.
54
Ein Vergleich mit den Grenzwerten der nicht geringen Menge anderer Betäubungsmittel - wie Heroin (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1983 - 1 StR 721/83, BGHSt 32, 162), Kokain (vgl. BGH, Urteil vom 1. Februar 1985 - 2 StR 685/84, BGHSt 33, 133), Amphetamin (vgl. BGH, Urteil vom 11. April 1985 - 1 StR 507/84, BGHSt 33, 169), Methamphetamin (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2008 - 2 StR 86/08, BGHSt 53, 89), MDE/MDMA/MDA (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 1996 - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255) oder LSD (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43) - kam dagegen aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Grundstrukturen, der abweichenden Konsummotivation, vor allem aber des vollkommen abweichenden Wirkungsmechanismus nicht in Betracht. Zwar ist zu konstatieren, dass u.a. Heroin oder Kokain noch gefährlichere Wirkungen entfalten als synthetische Cannabinoide. Aufgrund der ganz unterschiedlichen Wirkungsweise, die erst bei vergleichsweise hohen Dosen einsetzt, kann dies aber nicht im losgelösten Vergleich der Grenzwerte zum Ausdruck gebracht werden.
55
ii) Der Senat hat im Anschluss an den Sachverständigen A. den Grenzwert der nicht geringen Menge für JWH-018 aufgrund eines Vergleichs mit Tetrahydrocannabinol auf zwei Gramm Wirkstoffmenge festgesetzt. Dies erscheint angebracht, um dem auf der Grundlage heutiger wissenschaftlicher Erkenntnisse feststehenden Gefährdungspotential dieses Wirkstoffs im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln gerecht zu werden.
56
Maßgeblich ist hierfür die im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol, für das der Grenzwert der nicht geringen Menge bei 7,5 Gramm Tetrahydrocannabinol - entsprechend 500 Konsumeinheiten à 15 Milligramm - angenommen wird (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8), höhere Potenz des Wirkstoffs, seine gesteigerte Gefährlichkeit aufgrund weitergehender unerwünschter Nebenwirkungen, die sogar lebensbedrohlich wirken können, und die wesentlich höhere Auftretenswahrscheinlichkeit von starken unerwünschten Nebenwirkungen. Bei dieser Einordnung ist stets von den für den Angeklagten günstigsten relevanten Parametern ausgegangen worden; nach derzeitigem wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht valide belegte Hinweise auf ein noch erheblicheres Gefährlichkeitsniveau, insbesondere im Hinblick auf die chronische Toxizität, also solchen Folgen, die erst nach wiederholtem Konsum auftreten , sind dabei nicht eingestellt worden.
57
(1) Zum einen weist JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol eine um mindestens den Faktor 3 erhöhte Potenz auf (vgl. unter cc).
58
(2) Auch in Bezug auf die akute Toxizität, also solcher Folgen, die bereits nach einem einmaligen Konsum auftreten können, erweist sich JWH-018 im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol als gefährlicher für die Gesundheit der Konsumenten. Beim Konsum von JWH-018 treten neben den auch beim Konsum von Cannabis bekannten unerwünschten Nebenwirkungen die beschriebenen erheblichen weiteren Nebenwirkungen auf. Die Wirkungen auf das HerzKreislauf -System, wie Herzrasen und erhöhter Blutdruck, stellen insbesondere für Konsumenten mit Vorschädigungen ein Risiko dar. Während Todesfälle durch den Konsum von Cannabis nicht bekannt sind, kann es bei Vergiftungen mit synthetischen Cannabinoiden zu lebensbedrohlichen Zuständen, wie Erbrechen verbunden mit der Gefahr der Aspiration bei Bewusstseinseintrübungen, Wirkungen auf die Atmung und Krampfanfällen, kommen.
59
(3) Ähnlich wie bei Cannabis wurde bei einigen Konsumenten die Auslösung psychotischer Symptome bzw. die Verschlechterung einer bereits bestehenden psychischen Erkrankung beschrieben, wobei jedoch meist keine klare Zuordnung zu einer bestimmten Wirksubstanz möglich war.
60
(4) Das Abhängigkeitspotential von JWH-018 ist dem von Cannabis jedenfalls gleichzusetzen. Die in der Kasuistik dokumentierten Entzugszeichen und die von Konsumenten beschriebene, mit einer Steigerung der Dosis verbundene vergleichsweise schnelle Toleranzentwicklung, die anhand von Zell- modellen nachzuvollziehen ist, deuten sogar darauf hin, dass synthetische Cannabinoide schneller abhängig machen können als Cannabis. Mangels valider Datengrundlage kann dies allerdings nicht zugrunde gelegt werden. Für die Frage der suchterzeugenden Wirkung kommt auch der im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol , welches zwei bis drei Stunden wirkt, kürzeren Dauer der berauschenden Wirkung von lediglich ein bis zwei Stunden Bedeutung zu, die eine erhöhte Gefahr des zeitnahen wiederholten Konsums („Nachlegen“) birgt.
61
(5) Bei der Konsumform des Rauchens haben synthetische Cannabinoide eine vergleichbare karzinogene Wirkung wie Cannabisprodukte.
62
(6) Die Gefahr einer Überdosierung ist bei JWH-018 höher einzustufen als bei Cannabis, was die Gefährlichkeit steigert. Während bei dem Konsum von Cannabis eine Sättigung dergestalt eintritt, dass eine Erhöhung der Dosis nicht mehr zu einer Steigerung der Wirksamkeit führt, ist eine derartige Wirkungsdeckelung bei als Vollagonisten an den Rezeptor bindenden JWH-018 nicht vorhanden. Zudem führt die ungleichmäßige Verteilung des Wirkstoffs innerhalb der Trägermasse bei gleichbleibender Dosierung der Kräutermischung zu einer variierenden Wirkstoffdosis, die die Gefahr einer Überdosierung in stärkerem Maße erhöht, als dies bei Cannabisprodukten aufgrund schwankender Wirkstoffgehalte der Fall ist. Hinzu kommt, dass der Wirkstoffgehalt in den Kräutermischungen insgesamt sehr großen Schwankungen unterliegt. Während die Wirkstoffgehalte in den frühen Produkten meist - wie hier - im unteren Prozentbereich lagen, werden inzwischen nicht selten Wirkstoffgehalte von zehn bis 20 Prozent festgestellt. All dies birgt die gegenüber dem Konsum von Cannabisprodukten erhöhte Gefahr einer starken Ausprägung der unerwünschten Nebenwirkungen, was sich z.B. bei der Beeinträchtigung des Herz-Kreislauf-Systems, aber auch bei den Nebenwirkungen, die bei Can- nabiskonsum nicht auftreten, sehr belastend, sogar lebensbedrohlich auswirken kann.
63
jj) Eine die praktische Handhabung erleichternde Festlegung des Grenzwerts nach der Menge der Päckchen mit Kräutermischungen, ähnlich wie sie ergänzend zum Wirkstoffmengenwert bei LSD vorgenommen wurde (vgl. BGH, Urteil vom 1. September 1987 - 1 StR 191/87, BGHSt 35, 43), ist nicht möglich. Die Schwankungen im Wirkstoffgehalt der unterschiedlichen Kräutermischungen sowie selbst zwischen einzelnen Päckchen von unter derselben Bezeichnung vertriebenen Kräutermischungen lassen eine ausreichend sichere Feststellung einer Mindestkonzentration des Wirkstoffs nicht zu.
64
kk) Soweit der Sachverständige Da. darauf hingewiesen hat, dass die für die Gefährlichkeit des Wirkstoffs maßgeblichen Aspekte wie Langzeittoxizität , Teratogenität, Zytotoxizität oder Kazerogenität derzeit noch nicht hinreichend beurteilt werden können und aus präventiven Erwägungen die Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge auf 0,75 Gramm - entsprechend 150 Konsumeinheiten à 5 Milligramm - angeregt hat, sieht der Senat jedenfalls derzeit mangels gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse keine Basis, die eine für den Angeklagten nachteilige niedrigere Festsetzung des Grenzwerts der nicht geringen Menge rechtfertigen würde.
65
ll) Auch bei Zugrundlegung eines Grenzwerts der nicht geringen Menge von 2 Gramm statt 1,75 Gramm ist in allen fünf Fällen des Komplexes C.III.2. die nicht geringe Menge deutlich überschritten, so dass der Schuldspruch Bestand hat.
66
b) Die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.3. und C.III.4. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln weisen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Landgericht hat jeweils keine nicht geringe Menge angenommen.
67
c) Dagegen hält der nach Beschränkung des Verfahrens gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. § 154a Abs. 1 StPO auf Tatbestände des Betäubungsmittelgesetzes allein maßgebliche Schuldspruch wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Komplex C.III.1. revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
68
Das Landgericht konnte sich angesichts der Untersuchungsergebnisse betreffend der beim Angeklagten aufgefundenen Kräutermischungen, wonach in den Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“ teils der Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes, teils der Wirkstoff JWH-073 festgestellt wurde, nicht davon überzeugen, dass in den vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen ein unter das Betäubungsmittelgesetz fallender Wirkstoff enthalten war. Jedoch fehlt es an Feststellungen dazu, welche Vorstellungen sich der Angeklagte vom Wirkstoffgehalt im Zeitpunkt des Ankaufs und der Einfuhr der insgesamt 600 Päckchen Kräutermischungen gemacht hat.
69
Auf konkrete Feststellungen zum (vorgestellten) Wirkstoffgehalt kann bei Verurteilung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz regelmäßig nicht verzichtet werden. Denn der Wirkstoffgehalt wirkt sich entscheidend auf die rechtliche Beurteilung der begangenen Betäubungsmitteldelikte, auf deren konkurrenzrechtliches Verhältnis und auf den Schuldumfang der Taten aus (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2008 - 3 StR 60/08, NStZ 2008, 471; Weber, BtMG, 4. Aufl., Vor § 29ff. Rn. 915 ff. mwN).
70
Da Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten bezogen auf den Zeitpunkt des Ankaufs und der Einfuhr der Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“ fehlen, kann der Schuldspruch auf die Revision des Angeklagten keinen Bestand haben.
71
2. Der Strafausspruch unterliegt insgesamt der Aufhebung.
72
Im Komplex C.III.1. erfasst die Aufhebung des Schuldspruchs den zugehörigen Strafausspruch. Auch in den Komplexen C.III.2. bis C.III.4. hat der Ausspruch über die jeweiligen Einzelstrafen keinen Bestand.
73
a) In den Komplexen C.III.2. und C.III.4. ergibt sich dies daraus, dass das Landgericht der Strafzumessung durch Annahme des Grenzwerts der nicht geringen Menge von JWH-018 von 1,75 Gramm statt 2 Gramm einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Auch im Komplex C.III.3. hebt der Senat die Einzelstrafen auf, um dem neuen Tatrichter eine an der Festlegung der nicht geringen Menge des betroffenen Wirkstoffs (vgl. hierzu C.I.1.a.) orientierte , in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen.
74
b) Der Wegfall bzw. die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.
75
3. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz hat insgesamt keinen Bestand.
76
Bereits die Teileinstellung des Verfahrens hinsichtlich der Komplexe C.II. und C.III.5. sowie die Aufhebung der Verurteilung im Komplex C.III.1. führen zur Aufhebung des angeordneten Wertersatzverfalls.
77
Eine Aufrechterhaltung hinsichtlich des aus den Taten der Komplexe C.III.2. bis C.III.4. Erlangten kommt hier nicht in Betracht. Dem Senat ist es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht möglich, zu bestimmen, in welcher Höhe der Verfall von Wertersatz zu Recht angeordnet ist.
78
Das Landgericht ist bei der Bestimmung des aus den Taten Erlangten zutreffend von den Erlösen aus dem Verkauf der Kräutermischungen ausgegangen. Jedoch begegnet die Kürzung der Beträge um die Umsatzsteuer durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar können steuerliche Belastungen zur Vermeidung einer Doppelbelastung bei der Anwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB zu berücksichtigen sein (vgl. BGH, Urteil vom 21. März2002 - 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260). Das Landgericht übersieht jedoch, dass bei der unerlaubten Lieferung von Betäubungsmitteln innerhalb eines Mitgliedstaates keine Umsatzsteuerschuld entsteht. Zwar verbietet der Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität bei der Erhebung der Umsatzsteuer grundsätzlich eine allgemeine Differenzierung zwischen erlaubten und unerlaubten Geschäften. Dies gilt jedoch nicht für die unerlaubte Lieferung von Erzeugnissen wie Betäubungsmitteln , die schon ihrem Wesen nach - mit engen Ausnahmen - einem vollständigen Verkehrsverbot unterliegen. In einer derartigen besonderen Situation , in der jeder Wettbewerb zwischen einem legalen und einem illegalen Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist, kann die Freistellung von der Mehrwertbesteuerung den Grundsatz der steuerlichen Wertneutralität nicht berühren (EuGH, Urteil vom 5. Juli 1988 - Rechtssache C-289/86, Slg. 1988, 3655; vgl. zur Einfuhrumsatzsteuer EuGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - Rechtssache C-294/82, EuGRZ 1984, 261). Der Angeklagte würde allerdings nach § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG für dennoch unrichtig in Rechnungen offen ausgewiesene Umsatzsteuerbeträge haften. Aber auch insoweit käme eine Berücksichtigung dieser Haftung nur in Betracht, wenn die Steuern tatsächlich gezahlt oder jedenfalls bestandskräftig festgesetzt worden wären (vgl. BGH, Urteile vom 21. März 2002 - 5 StR 138/01, BGHSt 47, 260 und vom 27. Oktober 2011 - 5 StR 14/11, NJW 2012, 92; BGH, Beschlüsse vom 18. Februar 2004 - 1 StR 296/03, wistra 2004, 227 und vom 25. März 2014 - 3 StR 314/13).
79
Eine Prüfung, inwieweit der für das aus den Taten der Komplexe C.III.2. bis C.III.4. Erlangte anzuordnende Wertersatzverfall hinter dem vom Landgericht dem Verfall von Wertersatz zugrunde gelegten Betrag von 193.300,87 Euro zurückbleibt oder diesen übersteigt, ist dem Senat nicht möglich. Zum einen hat das Landgericht keine Feststellungen zum Stand des Besteuerungsverfahrens getroffen. Zum anderen hat es die Berechnungsgrundlagen nicht nachvollziehbar dargelegt. Soweit das Landgericht die Verkaufspreise jeweils mit dem Zusatz „mit MwSt“ bzw. „ohne MwSt“ mitteilt, fehlt es an einer Klarstellung, ob es sich insoweit um die bereits um die Umsatzsteuer gekürzten Beträge handelt oder ob von den genannten Beträgen noch eine Korrektur um die Umsatzsteuer durchgeführt wurde.

C.

80
Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft erzielt den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet.
81
I. Die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.1. und C.III.3. halten revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Dagegen weisen die Schuldsprüche in den Komplexen C.III.2. und C.III.4. keine Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf.
82
1. Der nach Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 i.V.m. § 154a Abs. 1 StPO auf Tatbestände des Betäubungsmittelgesetzes allein maßgebliche Schuldspruch wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Komplex C.III.1. begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
83
a) Wie bereits unter B.II.c. dargelegt, fehlt es an konkreten Feststellungen dazu, welche Vorstellungen sich der Angeklagte bei Ankauf und Einfuhr über den Wirkstoffgehalt der insgesamt 600 Päckchen der Kräutermischungen „SenCation Vanilla“ bzw. „SenCation Blackberry“ gemacht hat. Dem Senat ist aufgrund der fehlenden Feststellungen die Prüfung nicht möglich, ob nach dem Vorstellungsbild des Angeklagten der Grenzwert der nicht geringen Menge erreicht ist und damit eine Strafbarkeit nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG möglich wäre.
84
Nach Auffassung des Senats ist der Grenzwert der nicht geringen Menge für den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes ebenfalls bei 2 Gramm anzusetzen.
85
Den Ausführungen der Sachverständigen A. und Da. entnimmt der Senat, dass sich die für einen Wirkstoff gewonnenen Erkenntnisse nicht auf alle synthetischen Cannabinoide übertragen lassen. Allein der Umstand, dass andere Wirkstoffe ebenfalls über das Endocannabinoidsystem wirken und an die CB-Rezeptoren binden, sagt nichts über deren Potenz und Wirkungsintensität aus. Diese Werte sind vielmehr für jeden Wirkstoff experimentell zu ermitteln. Entsprechend ist der Grenzwert der nicht geringen Menge für jeden Wirkstoff gesondert festzusetzen.
86
Soweit der Sachverständige Da. angeregt hat, dennoch den Grenzwert der nicht geringen Menge für alle synthetischen Cannabinoide einheitlich zu bestimmen und diesen im Hinblick darauf, dass deren Gefährlichkeit noch nicht hinreichend beurteilt werden könne, aus präventiven Erwägungen auf 0,75 Gramm - entsprechend 150 Konsumeinheiten à 5 Milligramm - festzulegen , sieht der Senat hierfür jedenfalls derzeit keine wissenschaftlich hinreichend gesicherte Grundlage.
87
Der Senat hat die Sachverständigen auch zur Wirkung und zur Gefährlichkeit der in den vom Angeklagten gehandelten Kräutermischungen enthaltenen Wirkstoffe CP 47,497, CP 47,497-C8-Homologes und JWH-073 befragt. Hierzu ergibt sich Folgendes:
88
(1) Bei dem Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes - 5-(1,1-Dimethyloctyl)- 2-[(1RS,3SR)-3-hydroxycyclohexyl]-phenol - handelt es sich um einen Vertreter der sog. Cyclohexylphenole, eine Gruppe stickstofffreier Verbindungen, die in den 80er Jahren von Pharmaunternehmen erforscht wurde. Auch dieser Wirkstoff wurde bisher nicht in klinischen Studien am Menschen getestet, so dass für die Beurteilung seiner Gefährlichkeit ebenfalls nur die für den Wirkstoff JWH-018 beschriebenen Erkenntnisquellen zur Verfügung stehen.
89
Auf Basis dieser eingeschränkten Datengrundlage weist der Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes, der als voller Agonist am CB1-Rezeptor anzusehen ist, eine vergleichbare Potenz wie JWH-018 auf, wobei die berauschende Wirkung mit vier bis sechs Stunden wesentlich länger andauert (zum Vergleich JWH-018: ein bis zwei Stunden; Tetrahydrocannabinol: zwei bis drei Stunden). Auch beim Konsum von CP 47,497-C8-Homologes treten neben den auch vom Konsum von Cannabis bekannten Nebenwirkungen weitere für Cannabisintoxikationen untypische Symptome auf, die denen nach dem Konsum von JWH018 entsprechen.
90
Die vergleichbare Potenz und Wirkungsintensität der beiden Wirkstoffe sowie die im Vergleich zu Tetrahydrocannabinol weitergehenden unerwünschten , auch potentiell lebensgefährlichen Nebenwirkungen und die erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit von starken Nebenwirkungen rechtfertigen es nach Auffassung des Senats, den Grenzwert der nicht geringen Menge auch für den Wirkstoff CP 47,497-C8-Homologes auf der Basis der derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisgrundlagen auf 2 Gramm festzusetzen.
91
(2) Demgegenüber weisen die Wirkstoffe JWH-073 - (Naphtalin-1-yl) (1-butyl-1H-indol-3-yl)methanon - und CP 47,497 - (5-(1,1-Dimethylheptyl)-2 [(1RS,3SR)-3-hydroxycyclohexyl]-phenol) -, die sich von JWH-018 bzw. CP 47,497-C8-Homologes chemisch-strukturell nur geringfügig unterscheiden, nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen eine eher dem Tetrahydrocannabinol vergleichbare Potenz auf. Aber auch beim Konsum dieser Wirkstoffe treten neben den auch vom Konsum von Cannabis bekannten Nebenwirkungen weitere unerwünschte Effekte auf.
92
Auf dieser Grundlage hält der Senat den Grenzwert der nicht geringen Menge für den in den gehandelten Kräutermischungen enthaltenen, aber im Tatzeitraum noch nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Wirkstoff JWH-073 sowie für den Wirkstoff CP 47,497 aufgrund seiner mit Tetrahydrocannabinol vergleichbaren Potenz, aber den im Vergleich zum Konsum von Cannabis schwerwiegenderen unerwünschten Nebenwirkungen und der demgegenüber erhöhten Auftretenswahrscheinlichkeit solcher Nebenwirkungen bei einer Wirkstoffmenge von jedenfalls 6 Gramm für erreicht.
93
b) Schon auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen erweist sich aber die Wertung als nur versuchtes Handeltreiben als fehlerhaft. Die Tathandlung des Handeltreibens umfasst jede eigennützige auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252). Daher liegt bereits im Ankauf von Betäubungsmitteln zum gewinnbringenden Weiterverkauf ein vollendetes Handeltreiben. Sollten die tatsächlich gehandelten Kräutermischungen entgegen der Vorstellung des Täters keine unter das Betäubungsmittelgesetz fallenden Wirkstoffe enthalten haben - wie es das Landgericht nach den bisherigen Feststellungen nicht ausschließen konnte -, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn es kommt nicht darauf an, dass der Umsatz durch die Tathandlung tatsächlich gefördert wird oder dazu überhaupt geeignet war (BGH, Urteil vom 2. Oktober 2013 - 1 StR 75/13). Maßgeblich ist die Vorstellung des Täters von Art und Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel im Zeitpunkt der Abrede über den Ankauf; auf nachträgliche Abweichungen bei der Lieferung kommt es nicht an (BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 1 StR 297/06, NStZ-RR 2006, 350 [Ls.]).
94
2. Der Schuldspruch wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Komplex C.III.3. hat gleichfalls keinen Bestand. Das Landgericht hat keine Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des in der Kräutermischung „Chill X“ enthaltenen Wirkstoffs CP 47,497-C8-Homologes bzw. den Vorstellun- gen des Angeklagten davon getroffen. Auch wenn es sich lediglich um 25 Päckchen der Kräutermischung handelt, kann der Senat nicht sicher ausschließen , dass der Grenzwert der nicht geringen Menge von 2 Gramm erreicht ist und eine Verurteilung wegen § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG in Betracht kommt.
95
3. Die Schuldsprüche im Komplex C.III.2. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und im Komplex C.III.4. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln weisen keine Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten auf. Insbesondere erreicht im Komplex C.III.4. die in den veräußerten 25 Päckchen der Kräutermischung „Dream“ enthaltene Wirkstoffmenge JWH-018 bei Zugrundelegung der im Komplex C.III.2. rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu Gewicht der Päckchen (2 Gramm) und Wirkstoffgehalt (1,1 Prozent) mit 0,55 Gramm nicht den Grenzwert der nicht geringen Menge von 2 Gramm.
96
II. Der Strafausspruch unterliegt insgesamt der Aufhebung.
97
1. Die Aufhebung der Schuldsprüche in den Komplexen C.III.1. und C.III.3. erfasst die jeweils zugehörigen Strafaussprüche.
98
2. Auch in den Komplexen C.III.2. und C.III.4. hat der Ausspruch über die jeweiligen Einzelstrafen keinen Bestand. Die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts sind - auch unter Berücksichtigung des nur eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123) - nicht frei von Rechtsfehlern zu Gunsten des Angeklagten.
99
Im Komplex C.III.2. wird hinsichtlich der Einfuhr am 19. Juni 2009 die Annahme bedingten Vorsatzes schon nicht von den Feststellungen getragen. Danach hatte der Angeklagte spätestens seit dem 16. Juni 2009 aufgrund eines positiven Untersuchungsbefunds Kenntnis davon, dass in der Kräutermi- schung „Dream“ der Wirkstoff JWH-018 enthalten war.
100
Zudem hat das Landgericht sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der konkreten Festsetzung der Strafhöhe maßgeblich zu Gunsten des Angeklagten gewertet, dass dieser lediglich mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Es bestehen bereits Bedenken, dass das Landgericht bei der Strafrahmenwahl schematisch allein an die Vorsatzform angeknüpft hat, ohne die erforderliche Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1992 - 1 StR 708/91; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 618 mwN). Jedenfalls aber führt die maßgebliche Berücksichtigung des bedingten Vorsatzes zu Gunsten des Angeklagten bei der Strafrahmenwahl dazu, dass dieser Umstand bei der konkreten Strafbestimmung nur noch mit eingeschränktem Gewicht erneut berücksichtigt werden durfte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. April 1987 - 2 StR 91/87, BGHR StGB § 50 Strafhöhenbemessung 2 und vom 18. September 2013 - 5 StR 375/13, NStZ 2014, 41). Das Urteil lässt nicht erkennen, dass sich das Landgericht dessen bewusst war.
101
3. Der Wegfall bzw. die Aufhebung der Einzelstrafen ziehen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
102
III. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz hält revisionsgerichtlicher Prüfung ebenfalls nicht stand.
103
Die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung des dem Verfall von Wertersatz zugrunde zu legenden Betrags begegnet - wie bereits unter B.II.4. dargelegt - durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Der Senat kann mangels Feststellungen zum Besteuerungsverfahren und aufgrund fehlender nachvollziehbarer Darlegung der Berechnungsgrundlagen nicht ausschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt hat.

D.

104
I. Die jeweilige Aufhebung erfasst hier auch die zugrunde liegenden Feststellungen. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen , da dem Senat insoweit eine abschließende Prüfung nicht möglich ist.
105
II. Der neue Tatrichter hat auch über die Kosten der Rechtsmittel des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, soweit diese nicht die eingestellten Verfahrensteile betreffen. Raum Rothfuß Jäger Cirener Radtke