Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Dez. 2014 - 2 StR 78/14

bei uns veröffentlicht am17.12.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 7 8 / 1 4
vom
17. Dezember 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. Dezember 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 28. Oktober 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) im Fall II. 2. der Urteilsgründe,
b) im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 1. der Urteilsgründe,
c) im Gesamtstrafenausspruch.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
4. Der Antrag der Nebenklägerin auf Bestellung eines Beistands für das Revisionsverfahren ist gegenstandslos.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung zugunsten der Nebenklägerin getroffen. Dagegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.
2
1. Die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
3
2. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
4
a) Nach den Feststellungen fügte der Angeklagte der Nebenklägerin mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 15 cm - in kurzer Folge insgesamt elf Stich- bzw. Schnittverletzungen zu, davon jeweils zwei im Rückenbereich und in der linken Schulterregion, um sie zu töten. Der Nebenklägerin gelang es, sich aus der Umklammerung des Angeklagten zu lösen, diesen wegzuschubsen, über den Wohnungsflur ins Treppenhaus des vierten Obergeschosses des Mehrfamilienhauses zu rennen und "um Hilfe schreiend die Treppe hinunter" zu laufen.
5
Der Angeklagte verfolgte die Nebenklägerin nicht, sondern schloss die von der Nebenklägerin bei ihrer Flucht offen gelassene Wohnungstür. Er begab sich ins Wohnzimmer, öffnete ein Fenster, um zu sehen, "ob die Nebenklägerin das Haus verlässt, und weil er auch wissen bzw. feststellen wollte, wie schwer die Nebenklägerin durch sein Einwirken verletzt worden war". Lebensgefährliche Verletzungen der Nebenklägerin hielt er für möglich.
6
Als er "festgestellt hatte, dass die Nebenklägerin das Haus nicht verlassen hatte, befürchtete er schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung". Er verletzte sich mit dem Tatmesser selbst, um sich als Opfer eines Angriffs der Nebenklägerin zu präsentieren, und setzte einen Notruf an die Polizei ab. Die Nebenklägerin, die sich zwischenzeitlich in die im ersten Obergeschoss des Mehrfamilienhauses befindliche Wohnung eines Nachbarn begeben hatte, konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
7
b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen der Strafkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
8
aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 - GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber "nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums" von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 24 Rn. 15d mwN). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung , wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt (Senat, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; BGH, Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569, 570). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.; Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, NStZ 2014, 569, 570 mwN). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014, aaO mwN).
9
bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht nicht hinreichend bedacht. Die Strafkammer hat insbesondere keine ausreichenden Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass die Nebenklägerin das Haus nicht verlassen hatte. Allein der Umstand, der Angeklagte "befürchtete … schwerwiegende Konsequenzen wegen der Tat in Bezug auf seine laufende Bewährung" ist mehrdeutig. Denn der Angeklagte musste erst recht in dem Fall, dass die Nebenklägerin den Angriff mit dem Messer überleben sollte und sodann als Zeugin zur Verfügung stünde, mit "schwerwiegenden Konsequenzen" rechnen. Die Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, die Nebenklägerin tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch (noch) nicht die Annahme, die Nebenklägerin habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneu- ter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).
10
c) Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2. der Urteilsgründe insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1; Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12).
11
d) Der neue Tatrichter wird sich eingehender als bislang geschehen auch mit der Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu befassen haben. Nach den bisherigen Urteilsfeststellungen besteht bei dem Angeklagten zwar eine kombinierte Persönlichkeitsstörung; die Steuerungsfähigkeit sei aber nicht eingeschränkt gewesen, denn der Angeklagte verfüge über "ein gutes psychosoziales Funktionsniveau und über ausreichende kompensatorische Stärken, weshalb die Persönlichkeitsstörung nicht den Rechtsbegriff der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen sei". Diese Wertung ist mit den Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des in der Vergangenheit mehrfach in verschiedenen Psychiatrien untergebrachten Angeklagten nicht in Einklang zu bringen; im Übrigen ist nicht belegt, woran die Strafkammer das "gute psychosoziale Funktionsniveau" und die "ausreichenden kompensatorischen Stärken" des Angeklagten knüpft.
12
3. Der Schuldspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe erweist sich als rechtsfehlerfrei. Hingegen ist der Strafausspruch rechtsbedenklich und deswegen aufzuheben. Die Strafkammer hat nicht erkennbar geprüft, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen, obwohl dazu Veranlassung bestanden hätte. Die Strafkammer hat lediglich hinsichtlich des Falles II. 2. der Urteilsgründe die Frage erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erörtert, nicht hingegen in Bezug auf die dem Fall II. 1. der Urteilsgründe zugrundeliegende Tat, die nur drei Tage zuvor begangen worden war. Angesichts des für beide Taten relevanten Vorlebens des Angeklagten hätte indes auch im Fall II. 1. der Urteilsgründe eine entsprechende Prüfung erfolgen müssen.
13
4. Die Aufhebung im Fall II. 2. der Urteilsgründe und im Strafausspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
14
Die (teilweise) Aufhebung des Urteils erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (BGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - 4 StR 158/14, insoweit in NStZ 2014, 569 nicht abgedruckt; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 406a Rn. 8); eine Aufhebung der Adhäsionsentscheidung ist dem Tatrichter vorbehalten (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98). Zum Feststellungsausspruch hinsichtlich der Ersatzpflicht für künftige Schäden wird auf den Senatsbeschluss vom 17. April 2014 - 2 StR 2/14, im Übrigen auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 - 2 StR 137/14 verwiesen.
15
5. Der Antrag, der Nebenklägerin Rechtsanwalt G. aus E. auch für das Revisionsverfahren als Beistand zu bestellen, bedarf keiner Bescheidung , da Rechtsanwalt G. bereits durch Beschluss des Landgerichts Gera vom 26. August 2013 gemäß § 397a Abs. 1 Satz 1 StPO zum Beistand der Nebenklägerin bestellt worden ist und eine solche Bestellung über die jeweilige Instanz hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fortwirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Mai 1999 - 5 StR 223/99, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 397a Rn. 17a mwN).
16
6. Der beim Landgericht am 3. Februar 2014 eingegangene Antrag des Angeklagten, ihm zur Durchführung des Revisionsverfahrens Rechtsanwalt F. aus R. , der bereits erstinstanzlich als Pflichtverteidiger bestellt worden war, (weiterhin) als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist ebenfalls gegenstandslos. Unbeschadet der Frage der Zuständigkeit für die Bestellung (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 - 4 StR 229/99, BGHR StPO § 141 Bestellung 3; Beschluss vom 10. März 2005 - 4 StR 506/04, insoweit in NStZ-RR 2005, 240, 241 nicht abgedruckt) wirkt die Bestellung des erstinstanzlichen Verteidigers im Revisionsverfahren fort (vgl. Laufhütte/Willnow in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 141 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, aaO § 140 Rn. 8).
Fischer Appl Eschelbach Ott Zeng

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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 24 Rücktritt


(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft be

Strafprozeßordnung - StPO | § 397a Bestellung eines Beistands; Prozesskostenhilfe


(1) Dem Nebenkläger ist auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn er 1. durch ein Verbrechen nach den §§ 177, 232 bis 232b und 233a des Strafgesetzbuches oder durch einen besonders schweren Fall eines Vergehens nach § 177 Abs

Strafprozeßordnung - StPO | § 141 Zeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers


(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich be

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(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

5 StR 526/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 6. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. März 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin L.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 4. Juni 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Am 27. Oktober 2011 gegen 20.00 Uhr geriet der zur Tatzeit mittel- gradig alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration 1,53 ‰) nach ei- ner Taxifahrt mit dem Führer des Taxis, dem Nebenkläger, in Streit über den Fahrpreis. Er vermutete, der Nebenkläger habe seine Ortsunkenntnis ausge- nutzt, um einen höheren Preis zu erzielen. Aus Wut forderte er diesen auf, ihm die Geldbörse zu überlassen, deren gesamten Inhalt er sich verschaffen wollte. Dabei rückte er direkt hinter den Fahrersitz. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und erwarteten Widerstand zu überwinden, hielt er dem Nebenkläger ein Anglermesser von hinten an den Hals. Der Nebenkläger bemerkte das Messer zunächst nicht und versuchte, den Arm des Angeklagten wegzuschieben. Zudem drückte er sein Kinn nach unten. Als er eine warme Flüssigkeit am Hals bemerkte, wurde ihm bewusst, dass der Angeklagte ihm ein Messer an den Hals hielt und dass er blutete. Er sah von weiterer Gegenwehr ab und reichte seine Geldbörse nach hinten. Der Angeklagte ergriff die Börse und brachte dem Nebenkläger zugleich eine 22 cm lange und 4 cm tiefe waagerechte Schnittverletzung am Hals bei. Damit wollte er sein Opfer außer Gefecht setzen und sich so Beute und Flucht sichern. Es war ihm gleichgültig, ob er den Tod des Nebenklägers herbeiführen würde.
4
Der Angeklagte ergriff seine Umhängetasche und verließ fluchtartig das Taxi. Dabei nahm er wahr, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ (UA S. 7). Dass sein Opfer stark blutete, erkannte er nicht. Sein Messer und seine Kleidung waren nicht blutverschmiert. Als er im Laufschritt in Richtung Bahnübergang floh, ging er davon aus, dass der Nebenkläger überleben werde, zumal dieser sich noch selbständig fortbewegen konnte. Unterwegs warf er das Messer ins Gebüsch.
5
Die durch den Nebenkläger erlittene Schnittverletzung verlief innerhalb des Unterhautfettgewebes und endete in der Mitte am Schildknorpel bzw. Zungenbein. Die Unterkieferspeicheldrüse und Teile der vorderen Halsmuskulatur waren quer durchtrennt. Zu einer Öffnung der Atemwege kam es nicht. Die großen Blutgefäße des Halses blieben gleichfalls unverletzt. Beides war hauptsächlich dadurch bedingt, dass der Nebenkläger ein besonders ausgeprägtes Unterhautfettgewebe (Doppelkinn) aufwies.
6
b) Die Schwurgerichtskammer hat den Tatbestand des versuchten Totschlags als verwirklicht angesehen. Der Angeklagte habe angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit des durch ihn geführten Schnitts mit dem Tod des Nebenklägers gerechnet. Um der erstrebten Ziele der Beutesicherung und der Flucht willen sei ihm der Todeseintritt zumindest gleichgültig gewesen. Jedoch sei er vom unbeendeten Versuch des Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten und habe neben der besonders schweren räuberischen Erpressung lediglich den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht.
7
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB), hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
8
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung der Schwurgerichtskammer, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht (mehr) für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689 mwN), in den Feststellungen keine hinreichende Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Nebenkläger tief in den Hals geschnitten. Dass er hierdurch weder eine Arterie noch die Luftröhre verletzte, war nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Dementsprechend hat sich die Schwurgerichtskammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Dann liegt aber auch der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei bei der Flucht davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der massiven Schnittverletzung versterben (vgl. BGH aaO). Die auf eine versehentliche Zufügung der Verletzung zielende Einlassung des Angeklagten bietet hierfür schon deswegen keine ausreichende Grundlage, weil die Schwurgerichtskammer sie – ohne Rechtsfehler – als weitgehend nicht glaubhaft gewertet hat.
9
b) Ungeachtet dessen ist jedenfalls ohne weitere Darlegungen zweifelhaft , ob die – im Rahmen der Darstellung der Einlassung des Angeklagten nicht erörterte (vgl. UA S. 11) – Wahrnehmung des Angeklagten, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ , die Vorstellung des Angeklagten durchgreifend erschüttern könn- te, bereits alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ besonderer Erörterung bedarf, wenn das Opfer nach der letzten Aus- führungshandlung – vom Täter wahrgenommen – noch zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei möglicherweise bereits tödlich verletzt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336 mwN). Indessen haben auch tödliche Stiche nach der Lebenserfahrung nicht stets die sofortige Bewegungsunfähigkeit des Opfers zur Folge, weswegen ein bloßes „Ansetzen“ zur Bewegung nicht genügend aussagekräftig erscheinen könnte. Soweit die Schwurgerichtskammer ergänzend heranzieht, der Angeklagte habe aufgrund seiner Position hinter dem Nebenkläger die klaffende Wunde nicht gesehen und der Kraftaufwand müsse bei Verwendung eines scharfen Messers nicht erheblich gewesen sein (UA S. 23), tritt dies in Spannung zu den Feststellungen zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde und eines mit beträchtlichem Kraftaufwand geführten Schnittes, um beim Angeklagten das Bewusstsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seiner dem Nebenkläger beigefügten Schnittverletzung zu wecken oder aufrechtzuerhalten. Fehlende Blutanhaftungen am Messer und an der Kleidung des Angeklagten wären schließlich allenfalls dann von Belang, wenn dieser beides im maßgeblichen Zeitpunkt der Flucht überprüft hätte. Solches ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen und erscheint wegen des Augenblickscharakters der Situation auch eher fernliegend.
10
c) Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei können auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen keinen Bestand haben. Denn dem neuen Tatgericht muss auf der Basis detaillierter Erhebungen etwa zu dem durch den Angeklagten vollführten Messerangriff und zu dessen Wahrnehmungen im Zeitpunkt des Weglaufens eine in sich stimmige tatsächliche und rechtliche Würdigung ermöglicht werden.
11
3. Für den Fall, dass die neu entscheidende Schwurgerichtskammer unter Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts gelangen sollte, wird sie sich eingehend auch mit den Voraussetzungen des § 211 Abs. 2 StGB auseinanderzusetzen haben. Namentlich die im angefochtenen Urteil angestellten Hilfserwägungen zur Ablehnung des Mordmerkmals der Habgier (UA S. 24) leuchten mit Rücksicht auf die festgestellte Beutesicherungsabsicht des Angeklagten nicht ohne Weiteres ein (vgl. zum – von der Schwurgerichtskammer verneinten – Element übersteigerten Gewinnstrebens LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 211 Rn. 9 mwN).
Basdorf Raum Sander König Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 158/14
vom
17. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 18. Dezember 2013 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen bis zur Ausführung des Messerstichs durch den Angeklagten - diese eingeschlossen - sowie zum Geschehen in der Gaststätte und danach.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von vier Vorverurteilungen zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt ; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete , auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch begangenen Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen wuchtigen Stich mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 17 cm - in den oberen Rückenbereich, um ihn zu töten. Auf Aufforderung des Geschädigten versuchte er anschließend, das Messer wieder herauszuziehen; er ließ den Griff jedoch sofort wieder los, weil der Nebenkläger zu große Schmerzen erlitt. Beide gingen anschließend zu dem bis zu 300 Meter vom Tatort entfernt abgestellten Pkw des Nebenklägers, der seinen Wagen aufschloss und den Angeklagten bat, mit dessen im Auto zurückgelassenen Handy einen Krankenwagen herbeizurufen. Der Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz, täuschte aber einen Anruf lediglich vor; die Frage des misstrauisch gewordenen Nebenklägers , „ob er das mit dem Messer gewesen sei,“ verneinte er. Dem Wunsch des Nebenklägers, den Fahrersitz freizumachen, kam der Angeklagte nicht nach. Er nahm an, sein zögerliches Verhalten werde dazu führen, dass der Geschädigte in absehbarer Zeit vor Ort versterben werde. Der Nebenkläger ging sodann mit dem Messer im Rücken zu einer etwa 700 m entfernten Gaststätte. Der Angeklagte folgte ihm „in einigem Abstand“ und schloss, kurz bevor der Geschädigte die Gaststätte erreichte, zu diesem auf. Er betrat die Gaststätte in geringem Abstand zum Nebenkläger; dort anwesende Personen setzten sogleich einen Notruf an die Rettungsleitstelle ab. Letztlich konnte der Nebenkläger durch eine Notoperation gerettet werden.
4
b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Be- denken. Die Feststellungen der Jugendkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
5
aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH - Großer Senat -, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, und vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 24 Rn. 15a; MüKoStGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, 2. Aufl., § 24 Rn. 80: „kurz- zeitige Fehlvorstellung“). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen , das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01: das Opfer verfolgte den Täter „über eine längere Strecke“; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter BGH, Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 11. November 2004, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336).
6
bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er dem Nebenkläger das Messer in den Rücken gestoßen hatte, den Erfolgseintritt für möglich hielt (UA 36); auch ging er nach Rückkehr zum PKW des Verletzten davon aus, dass dieser alsbald versterben werde (UA 12). Die Jugendkammer hat aber keine Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass sich der Nebenkläger zu der Gaststätte begab. Seinem nicht stark blutenden (UA 28) und noch nicht in akuter Lebensgefahr befindlichen (UA 15) Opfer, das nach dem Stich bereits bis zu seinem Auto gelaufen war und dort nachdrücklich die Hilfe des Angeklagten eingefordert hatte, gelang es nämlich, aus eigener Kraft die Strecke von ca. 700 Metern zu bewältigen. Unterwegs bat er noch vier Personen - vergeblich - um Hilfe. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).
7
c) Auf dem aufgezeigten Erörterungsmangel beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die bisher getroffenen Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten im Rücktrittshorizont lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14 und 4 StR 105/14) nicht zu. Erst im Zusammenhang mit dem passiven Verhalten des Angeklagten in der Gaststätte hält das Landgericht dafür, „dass der Angeklagte in diesem Moment erkannt hat, dass sein Vorhaben gescheitert ist, den Tod (des Nebenklägers) herbeizuführen und ihn diese Erkenntnis niederdrückt“ (UA 35); das vermag jedoch die erforderlichen Feststellungen zu einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt nicht zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201, 202). Zwar hat das Landgericht bei der Erörterung eines Rücktritts auch ausgeführt, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung keine naheliegenden weiteren Möglichkeiten gehabt, auf den Geschädigten einzuwirken: „Wegen seiner Unfähigkeit mit Blut umzugehen, war er nicht in der Lage, etwa das Messer herauszuziehen und erneut einzusetzen oder andere blutige Verletzungen hervorrufende Hilfsmittel einzusetzen“ (UA 36). Es ist aber schon fraglich, ob die Jugendkammer mit diesen Ausführungen einen auf einen früheren Zeitpunkt bezogenen Fehlschlag begründen wollte. Denn die zitierte Wendung schließt unmittelbar an die Bejahung eines beendeten Versuchs an. Die tatsächliche Bewertung der weiteren Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten steht zudem - wie der Generalbundesanwalt mit Recht ausgeführt hat - in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den weiteren Feststellungen. Es war der Angeklagte, der mit direktem Vorsatz (UA 34) unter Verwendung eines Küchenmessers mit einer langen Klinge auf den Nebenkläger einstach und ferner - auf die Bitte des Geschädigten - versuchte, das Messer aus dem Rücken herauszuziehen. Diesen Versuch brach er nicht etwa deswegen ab, weiler „kein Blut sehen kann“ (UA 12), sondern weil der Nebenkläger hierdurch große Schmerzen erlitt. Dass sich der Angeklagte, der naheliegend weiterhin Zugriff auf die im Rücken des Nebenklägers steckende Tatwaffe hatte, an einer Tatvollendung auf dem Weg zur Gaststätte gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
8
2. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
9
Allerdings bedarf es nur der Aufhebung der Feststellungen zu dem dem Messerstich nachfolgenden Geschehen, bis der Nebenkläger die Gaststätte erreichte (§ 353 Abs. 2 StPO).
10
Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406a Rn. 8). Mutzbauer Roggenbuck Cierniak Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 349/04
vom
11. November 2004
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. November
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. März 2004 werden verworfen. 2. Die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. Der Angeklagte hat die Kosten seiner Revision zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Staatsanwaltschaft macht mit ihrem zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel geltend , der Angeklagte hätte wegen versuchten Mordes verurteilt werden müssen , da er heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen gehandelt habe. Der Angeklagte beanstandet die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts. Die Rechtsmittel haben keinen Erfolg.

I.

Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
Der jugendlich wirkende, zur Tatzeit 22 Jahre alte Angeklagte hielt sich in der Tatnacht in einer Diskothek in Essen auf. Er trank Alkohol (zur Tatzeit betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,51 %o), rauchte Haschisch und konsumierte möglicherweise eine bis zwei Ecstasy-Tabletten. Die überwiegende Zeit verbrachte er mit Tanzen bei lauter Musik. Gegen 6.00 Uhr war er in "gesteigerter Stimmung, aufgereizt und suchte Kontakt zu weiblichen Diskothekenbesuchern". Auf der stark abgedunkelten Empore der Diskothek versuchte er, sich Daniela N. anzunähern, die dies ignorierte. Ihr Begleiter, der später geschädigte, 33 Jahre alte, groß und kräftig gebaute Frank B. hatte dies bemerkt und sprach den Angeklagten "deutlich, laut und mit durchaus grober Stimme" mit den Worten an: "Lass die Frau in Ruhe; wenn du reden willst, dann rede mit mir!". Für Frank B. war die Angelegenheit damit erledigt. Er achtete deswegen in der Folgezeit nicht mehr auf den Angeklagten. Dieser fühlte sich jedoch durch Frank B. provoziert und herausgefordert; überdies ärgerte er sich sehr über die aus seiner Sicht unangemessene und unberechtigte Zurechtweisung in Anwesenheit Daniela N. s. Er stellte sich deshalb in die Nähe Frank B. s und richtete die Frage "Hast Du ein Problem?" an ihn. Obwohl nun ein Begleiter des Angeklagten einschritt und ihn von Frank B. wegzog, begab sich der Angeklagte erneut an dessen Tisch. Möglicherweise infolge seiner Erregung und des Alkohol- und Drogeneinflusses ging der Angeklagte auch davon aus, Frank B. wolle sich mit ihm körperlich messen und sei auf ihn fixiert, was tatsächlich nicht zutraf. Der Angeklagte befürchtete in einem Schlagabtausch dem körperlich überlegenen Frank B. zu unterliegen und entschloß sich deshalb, diesem einen "einzigen, blitzschnellen und kräftigen" Messerstich in den Brustbereich zu versetzen. Von B. unbemerkt öffnete er ein Klappmesser mit einer Klingenlänge von etwa 10 cm und stach in einer plötzlichen Drehbewegung in die Mitte der Brust des Geschädigten, des-
sen Tod er billigend in Kauf nahm. Nach dem Stich wich der Angeklagte von Frank B. zurück. Dieser merkte zwar, daß er blutete, war aber noch in der Lage , die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunterzulaufen und umstehende Personen auf den Angeklagten aufmerksam zu machen. Durch den Messerstich wurde eine Arterie im Brustkorb Frank B. s durchtrennt, was zu einem akut lebensgefährlichen Zustand führte.

II.

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft Ohne Erfolg wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, daß der Angeklagte nicht wegen versuchten Mordes, sondern nur wegen versuchten Totschlags verurteilt worden ist.
a) Das Landgericht ist zwar davon ausgegangen, daß sich Frank B. im Zeitpunkt des mit Tötungsvorsatz geführten Messerstichs keines Angriffs durch den Angeklagten auf seine körperliche Unversehrtheit versah und hat deshalb das Mordmerkmal der Heimtücke in objektiver Hinsicht als erfüllt angesehen. Vom Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen des Mordmerkmals hat sich die Strafkammer hingegen nicht zu überzeugen vermocht. Das Landgericht ist mit tragfähiger Begründung zu dem Ergebnis gelangt , daß der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers nicht erkannt hat. Er war zur Tatzeit stark angetrunken, stand zudem unter Drogeneinfluß und befand sich nach durchtanzter Nacht in "gesteigerter Stimmung". Er verhielt sich gegenüber dem Tatopfer, auch für Dritte erkennbar, offen aggressiv. Der Angeklagte sprach Frank B. nicht nur mit einer provozierenden
Frage an, sondern sein aggressives Verhalten veranlaßte seinen Begleiter, ihn von Frank B. wegzuziehen und beschwichtigend auf ihn einzureden. Wenn das Landgericht hieraus folgert, der erheblich berauschte und erregte Angeklagte sei nicht ausschließbar davon ausgegangen, auch das Tatopfer habe sein aggressives Verhalten wahrgenommen und deswegen mit einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, ist dies ein jedenfalls möglicher und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmender tatrichterlicher Schluß. Dem steht auch nicht entgegen, daß der Angeklagte Frank B. durch einen einzigen, in einem günstigen Augenblick geführten, "blitzschnellen" Messerstich ausschalten wollte. Dieser Entschluß setzte, anders als der Generalbundesanwalt meint, nicht denknotwendig den Plan des Angeklagten voraus, sich die Ahnungs- und Schutzlosigkeit des Tatopfers für den Angriff zunutze zu machen. Vielmehr ist die Vorstellung, einen plötzlichen und deshalb möglichst wirkungsvollen ersten Angriff führen zu müssen, um jede Gegenwehr des Angegriffenen von vorneherein zu unterbinden, ohne weiteres auch mit der Annahme des Angeklagten, sich in eine Auseinandersetzung mit einem abwehrbereiten , körperlich überlegenen Gegner zu begeben, in Einklang zu bringen.
b) Auch die Begründung, mit der das Landgericht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe verneint hat, hält rechtlicher Überprüfung stand. Ob ein Beweggrund niedrig ist, also nach allgemeiner Wertung auf tiefster Stufe steht, ist aufgrund einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, welche die Umstände der Tat und ihre Vorgeschichte, sowie die Persönlichkeit des Täters und seine seelische Situation einbezieht (BGH NStZ-RR 2000, 333). Zwar kommt dem krassen Mißverhältnis zwischen Tatentschluß und Tötung, wie es hier vorliegt, maßgebliche Bedeutung zu. Die Feststellung eines sol-
chen Mißverhältnisses genügt aber allein nicht für die Annahme eines niedrigen Beweggrundes. Faßte der Täter, wie hier, den Tatentschluß vielmehr ohne Plan und Vorbereitung "spontan" aus der Situation heraus, ist besonders sorgfältig zu prüfen, ob sich der Täter der Umstände bewußt war, die seine Beweggründe als niedrig erscheinen lassen (BGH NStZ 1983, 19; BGH NStZ-RR aaO). Diese Grundsätze hat das Landgericht beachtet. Es hat sich mit den für die Tatbegehung in Frage kommenden Motiven des Angeklagten auseinandergesetzt und in Betracht gezogen, daß der Angeklagte möglicherweise aus einem "übersteigerten Ehrgefühl" handelte, weil er es nicht ertragen konnte, im Beisein Daniela N. s zurechtgewiesen worden zu sein. Es hat aber auch nicht auszuschließen vermochte, daß Wut und Ärger des Angeklagten über die Art und Weise, wie ihn Frank B. ansprach, Anlaß für die Tat waren. Im Rahmen der Gesamtwürdigung stellt die Strafkammer darauf ab, daß diese Motive vor dem Hintergrund des jugendlichen Alters, der impulsiven Natur und der toxischen Beeinflussung des Angeklagten, der sich vom späteren Tatopfer durch die grobe Ansprache provoziert und zu einer körperlichen Auseinandersetzung herausgefordert fühlte, zu sehen sind. Das Landgericht hat deshalb nicht feststellen können, daß sich der Angeklagte in dem Augenblick, als er den Messerstich gegen FrankB. führte, der Niedrigkeit seiner Motivation - diese unterstellt - überhaupt bewußt war. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. 2. Revision des Angeklagten Der Revision des Angeklagten bleibt ebenfalls der Erfolg versagt. Das Urteil weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Erörterung bedarf nur die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des Totschlags (§ 24 Abs. 1 StGB).
Das Landgericht hat zwar im Ergebnis zu Recht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Versuch des Totschlags abgelehnt. Nicht frei von rechtlichen Bedenken ist jedoch die Annahme, es liege ein beendeter Versuch vor. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzung eines strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont , vgl. nur BGHSt 39, 221, 227). Zwar liegt es bei gefährlichen Gewalthandlungen nahe, daß der Täter die lebensgefährliche Wirkung und Möglichkeit des Erfolgseintritts kennt (BGHSt 39, 221, 231 m.w.N.). Diese Kenntnis versteht sich jedoch nicht von selbst, wenn das Opfer nach der letzten Ausführungshandlung noch in der Lage ist, sich ohne erkennbare Beeinträchtigung vom Tatort wegzubewegen. Angesichts dessen, daß Frank B. nach dem Messerstich - gefolgt vom Angeklagten - noch die Treppen hinunterlief, im Eingangsbereich stehenblieb und umstehende Personen auf den flüchtenden Angeklagten aufmerksam machte, liegt hier (aus der allein maßgeblichen Sicht des Angeklagten) jedenfalls nach den Grundsätzen der Rechtsprechung über den korrigierten Rücktrittshorizont (BGHSt 36, 224) die Annahme eines beendeten Versuchs eher fern. Aufgrund welcher Umstände der Angeklagte nach dem Stich trotz des Verhaltens Frank B. s davon ausging, das Tatopfer bereits lebensgefährlich verletzt zu haben, der Versuch also aus Sicht des Angeklagten beendet gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe nicht.
Diesen ist jedoch zu entnehmen, daß ein strafbefreiender Rücktritt auch im Falle des Vorliegens eines unbeendeten Versuchs nicht in Betracht käme, da der Angeklagte jedenfalls nicht freiwillig von einer weiteren Tatausführung Abstand nahm (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 7). Das Landgericht ist mit nachvollziehbarer Begründung zu dem Ergebnis gelangt, daß der Angeklagte nach seiner Vorstellung ein weiteres Eindringen auf das Tatopfer für aussichtslos hielt, weil er bei einer erneuten Annäherung mit der Gegenwehr des Geschädigten und mit dem sofortigen Einschreiten umstehender Diskothekenbesucher rechnete. Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 158/14
vom
17. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 18. Dezember 2013 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen bis zur Ausführung des Messerstichs durch den Angeklagten - diese eingeschlossen - sowie zum Geschehen in der Gaststätte und danach.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von vier Vorverurteilungen zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt ; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete , auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch begangenen Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen wuchtigen Stich mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 17 cm - in den oberen Rückenbereich, um ihn zu töten. Auf Aufforderung des Geschädigten versuchte er anschließend, das Messer wieder herauszuziehen; er ließ den Griff jedoch sofort wieder los, weil der Nebenkläger zu große Schmerzen erlitt. Beide gingen anschließend zu dem bis zu 300 Meter vom Tatort entfernt abgestellten Pkw des Nebenklägers, der seinen Wagen aufschloss und den Angeklagten bat, mit dessen im Auto zurückgelassenen Handy einen Krankenwagen herbeizurufen. Der Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz, täuschte aber einen Anruf lediglich vor; die Frage des misstrauisch gewordenen Nebenklägers , „ob er das mit dem Messer gewesen sei,“ verneinte er. Dem Wunsch des Nebenklägers, den Fahrersitz freizumachen, kam der Angeklagte nicht nach. Er nahm an, sein zögerliches Verhalten werde dazu führen, dass der Geschädigte in absehbarer Zeit vor Ort versterben werde. Der Nebenkläger ging sodann mit dem Messer im Rücken zu einer etwa 700 m entfernten Gaststätte. Der Angeklagte folgte ihm „in einigem Abstand“ und schloss, kurz bevor der Geschädigte die Gaststätte erreichte, zu diesem auf. Er betrat die Gaststätte in geringem Abstand zum Nebenkläger; dort anwesende Personen setzten sogleich einen Notruf an die Rettungsleitstelle ab. Letztlich konnte der Nebenkläger durch eine Notoperation gerettet werden.
4
b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Be- denken. Die Feststellungen der Jugendkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
5
aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH - Großer Senat -, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, und vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 24 Rn. 15a; MüKoStGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, 2. Aufl., § 24 Rn. 80: „kurz- zeitige Fehlvorstellung“). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen , das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01: das Opfer verfolgte den Täter „über eine längere Strecke“; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter BGH, Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 11. November 2004, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336).
6
bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er dem Nebenkläger das Messer in den Rücken gestoßen hatte, den Erfolgseintritt für möglich hielt (UA 36); auch ging er nach Rückkehr zum PKW des Verletzten davon aus, dass dieser alsbald versterben werde (UA 12). Die Jugendkammer hat aber keine Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass sich der Nebenkläger zu der Gaststätte begab. Seinem nicht stark blutenden (UA 28) und noch nicht in akuter Lebensgefahr befindlichen (UA 15) Opfer, das nach dem Stich bereits bis zu seinem Auto gelaufen war und dort nachdrücklich die Hilfe des Angeklagten eingefordert hatte, gelang es nämlich, aus eigener Kraft die Strecke von ca. 700 Metern zu bewältigen. Unterwegs bat er noch vier Personen - vergeblich - um Hilfe. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).
7
c) Auf dem aufgezeigten Erörterungsmangel beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die bisher getroffenen Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten im Rücktrittshorizont lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14 und 4 StR 105/14) nicht zu. Erst im Zusammenhang mit dem passiven Verhalten des Angeklagten in der Gaststätte hält das Landgericht dafür, „dass der Angeklagte in diesem Moment erkannt hat, dass sein Vorhaben gescheitert ist, den Tod (des Nebenklägers) herbeizuführen und ihn diese Erkenntnis niederdrückt“ (UA 35); das vermag jedoch die erforderlichen Feststellungen zu einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt nicht zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201, 202). Zwar hat das Landgericht bei der Erörterung eines Rücktritts auch ausgeführt, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung keine naheliegenden weiteren Möglichkeiten gehabt, auf den Geschädigten einzuwirken: „Wegen seiner Unfähigkeit mit Blut umzugehen, war er nicht in der Lage, etwa das Messer herauszuziehen und erneut einzusetzen oder andere blutige Verletzungen hervorrufende Hilfsmittel einzusetzen“ (UA 36). Es ist aber schon fraglich, ob die Jugendkammer mit diesen Ausführungen einen auf einen früheren Zeitpunkt bezogenen Fehlschlag begründen wollte. Denn die zitierte Wendung schließt unmittelbar an die Bejahung eines beendeten Versuchs an. Die tatsächliche Bewertung der weiteren Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten steht zudem - wie der Generalbundesanwalt mit Recht ausgeführt hat - in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den weiteren Feststellungen. Es war der Angeklagte, der mit direktem Vorsatz (UA 34) unter Verwendung eines Küchenmessers mit einer langen Klinge auf den Nebenkläger einstach und ferner - auf die Bitte des Geschädigten - versuchte, das Messer aus dem Rücken herauszuziehen. Diesen Versuch brach er nicht etwa deswegen ab, weiler „kein Blut sehen kann“ (UA 12), sondern weil der Nebenkläger hierdurch große Schmerzen erlitt. Dass sich der Angeklagte, der naheliegend weiterhin Zugriff auf die im Rücken des Nebenklägers steckende Tatwaffe hatte, an einer Tatvollendung auf dem Weg zur Gaststätte gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
8
2. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
9
Allerdings bedarf es nur der Aufhebung der Feststellungen zu dem dem Messerstich nachfolgenden Geschehen, bis der Nebenkläger die Gaststätte erreichte (§ 353 Abs. 2 StPO).
10
Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406a Rn. 8). Mutzbauer Roggenbuck Cierniak Bender Quentin
5 StR 528/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Mai 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger für den Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt Bi.
als Verteidiger für den Angeklagten L. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben 1. hinsichtlich des Angeklagten L. ,
a) soweit er im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe, 2. hinsichtlich des Angeklagten B. ,
a) soweit er im Fall 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (1 und 4), davon in einem Fall (1) in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie wegen Erpressung in Tateinheit mit Nötigung (Fall 3) zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Gegen den Angeklagten L. hat es unter Freispruch im Übrigen (Fall 3) wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 2) sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es gegen diesen Angeklagten eine Fahrerlaubnissperre von einem Jahr und drei Monaten angeordnet. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten B. auf die Schuldsprüche in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe, hinsichtlich des Angeklagten L. auf den Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe und auf den Freispruch beschränkte Revisionen eingelegt, die vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten werden.

I.


2
Das Landgericht hat zu den von den Revisionen betroffenen Fällen im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Angeklagter L. ):
4
a) Der Angeklagte L. und die wegen der Tat bereits rechtskräftig Verurteilten S. und Le. kannten sich über ihre Verbindung zu einem Unterstützerclub der Rockergruppierung Bandidos. S. wusste, dass der Zeuge T. wegen Drogenhandels in Untersuchungshaft gewesen war und noch unter Bewährung stand. Er vermutete,dass bei T. „Geld zu holen sei“.
5
Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend gaben sich die drei Genannten am 17. Juni 2010 gegenüber T. als Polizeibeamte aus und durchsuchten unter Vorzeigen eines Ausweispapiers dessen vor der Wohnung abgestelltes Kraftfahrzeug. T. duldete dies, weil er glaubte, mit Angehörigen der Zivilpolizei konfrontiert zu sein.
6
Auf entsprechende Aufforderung ging T. mit den drei Tätern in seine Wohnung. Dort sagte S. , er und seine „Kollegen“ wollten „etwas vom Kuchen abhaben“. Unter Hinweis auf illegale Drogengeschäfte des T. verlangten die Täter 20.000 €. Andernfalls würden sie eine Wohnungsdurchsu- chung bei ihm veranlassen, bei der gewiss Drogen gefunden würden, mit der Folge seiner erneuten Inhaftierung. Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, stand währenddessen im Türrahmen und versperrte den Weg zum Flur. Aus Angst vor einer Inhaftierung zeigte sichT. bereit, das Geld aus der Wohnung seiner Mutter zu holen. Im Pkw des T. fuhren die vier zur Wohnung der Mutter, wobei S. das Fahrzeug steuerte und T. auf dem Rücksitz neben Le. platziert wurde. Vor dem Wohnhaus der Mutter angekommen bekräftigten die Täter, dass sie für die Verhaftung des T. sorgen würden, wenn dieser sich nicht an die Abmachung halte oder Hilfe hole. T. musste sein Mobiltelefon im Pkw zurücklassen und wurde aufgefordert, spätestens in fünf Minuten mit dem Geld wieder beim Pkw zu sein.
7
T. holte zumindest 20.000 € aus der Wohnung, die wenigstens teilweise aus Betäubungsmittelgeschäften herrührten, und ging zurück zum Fahrzeug. Die Polizei zu rufen, hielt er für sinnlos. Am Fahrzeug wurde er von Le. auf Waffen abgetastet. Dann fuhren alle zurück zur Wohnung des T. . Unterwegs übergab T. das in einer Tüte verpackte Geld an Le. . Der Angeklagte L. und Le. erhielten aus der Beute je 5.000 €, S. 10.000 €.
8
b) Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung verurteilt. Dass die Tat unter Anwendung von Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen T. begangen worden ist, hat es als nicht erwiesen erachtet.
9
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Angeklagte L. und B. ):
10
a) S. erzählte dem mit ihm im Rahmen derselben Rockergruppierung gut befreundeten Angeklagten B. , dass er einem Dro- gendealer 20.000 € abgenommen habe und dass bei diesem sicherlich noch mehr zu erlangen sei. B. erklärte sich zu einer Mitwirkung an einer weiteren Tat bereit. Bereits einen Tag später, am 18. Juni 2010, fuhren B. und S. am späten Nachmittag zur Wohnung der Mutter des Zeugen T. , der knapp 68-jährigen M. T. . Ein Unbekannter begleitete sie, unterwegs trafen sie auf einen weiteren Unbekannten; ob die beiden Unbekannten an der Tat beteiligt waren, hat das Landgericht nicht feststellen können. Mit S. oder einem der beiden unbekannten Begleiter verschaffte sich B. unter dem Vorwand, ein Paket liefern zu wollen, Zutritt zum Wohnhaus. Als M. T. an der Wohnungstür sah, dass die eintreffenden Männer gar kein Paket trugen, und sie die Tür schließen wollte, ergriff sie einer der Mittäter, drängte sie in die Wohnung und hielt ihr, um sie am Schreien zu hindern, mit dem Unterarm den Mund zu.
11
In der Wohnung gaben sich B. sowie sein Mittäter gegenüber Frau T. , die sich zur Beruhigung hinsetzen durfte und der sie ein Glas Wasser reichten, als Polizeibeamte aus und forderten von ihr Geld, andernfalls sie dafür sorgen würden, dass ihr Sohn noch am Abend in Untersuchungshaft komme. Allein um dies zu verhindern, übergab Frau T. mehrere tausend Euro an die Täter.
12
b) Vom Vorwurf, die Tat mit dem Angeklagten B. begangen zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten L. aus tatsächlichen Grün- den freigesprochen. Trotz dessen Beteiligung an der Vortat sowie der dadurch vermittelten Kenntnisse und obwohl dessen Mobiltelefon im Tatzeitraum in Tatortnähe eingeloggt und er unmittelbar vor und nach der Tat mit dem Angeklagten B. sowie S. mehrfach telefoniert habe, sei seine Beteiligung nicht nachweisbar. § 138 Abs. 1 Nr. 7 StGB sei mangels Verwirklichung des Verbrechenstatbestands der räuberischen Erpressung (§§ 255, 249 StGB) nicht erfüllt.
13
3. Fall 4 der Urteilsgründe (Angeklagter B. ):
14
a) Der Zeuge T. erkannte, dass er getäuscht worden war, und wollte das Geld von S. wiedererlangen. Er verabredete mit diesem für den 15. Juli 2010 ein Treffen. S. informierte den Angeklagten B. , der versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Der Angeklagte B. versicherte sich der Mitwirkung einer Reihe von Personen aus dem Umfeld der Bandidos.
15
Am Abend des 15. Juli 2010 erschien T. mit drei Freunden, unter anderem dem Geschädigten Sch. , am Treffpunkt. Er erblickte Le. und rief seinen Begleitern zu: „Das ist er!” Schnell ging er auf Le. zu. Sch. hielt sich einige Meter hinter ihm. Nun zeigten sich die Kontrahenten in einer rockertypischen Kleidung und näherten sich T. und seinen Begleitern. Beeindruckt von der sich ihnen darbietenden Übermacht traten diese die Flucht an.
16
Unterdessen war der Angeklagte B. von hinten auf den flüchtenden Sch. zugelaufen. Er versetzte ihm mit einem Messer mit einer Klingenbreite von 2,5 cm zwei wuchtige Stiche in den Oberkörper. Sie trafen ihn in die linke Brustkorbseite unmittelbar unter dem Herzen. Der Angeklagte B. erkannte die Möglichkeit einer tödlichen Verletzung und nahm dies hin.
17
Sch. hielt die Stiche zunächst nur für heftige Schläge. Er konnte mit der linken Hand einen dritten Messerstich des Angeklagten B. abwehren, indem er in das Messer griff und zugleich mit der rechten Faust zwei bis drei Schläge gegen den Kopf seines Kontrahenten setzte, von denen jedenfalls einer traf. Als er erneut zuschlagen wollte, verlor er das Gleichgewicht und fiel rückwärts zu Boden, wo er einen Moment sitzen blieb. Unter Verzicht auf einen weiteren Messerangriff drehte sich der Angeklagte B. um und lief, eine Hand vor sein Gesicht haltend, zu seinem Kraftfahrzeug. Als er sich im Laufen umdrehte, sah er, dass Sch. wieder aufgestanden war und ebenfalls weglief.
18
Sch. erlitt lebensgefährliche Verletzungen, die ohne ärztliche Versorgung zum Tod geführt hätten.
19
b) Die Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte B. sei vom unbeendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten. Er habe gesehen, dass Sch. trotz der Messerstiche zu heftiger Gegenwehr in der Lage gewesen sei und nach dem Sturz ohne fremde Hilfe wieder habe aufstehen und fliehen können. Aus autonomen Gründen habe er nicht weiter auf Sch. eingestochen. Wegen der Einnahme anaboler Steroide, verstärkt durch erhebliche gruppendynamische Einflüsse habe er sich bei der Tat in einem derart distanzgeminderten, impulshaften und aggressiven Zustand befunden, dass eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen sei.

II.


20
Die beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der Verurteilungen in den Fällen 2 und 4 Erfolg. Insoweit kamen Schuldspruchänderungen zum Nachteil der Angeklagten von vornherein schon deshalb nicht in Betracht, weil die Angeklagten naheliegend durch die sie rechtsfehlerhaft begünstigende Beurteilung des Landgerichts von eigenen Revisio- nen abgehalten worden sind. Zum Fall 3 bleiben die Revisionen – dem Antrag des Generalbundesanwalts gemäß – ohne Erfolg.
21
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Erpressung des Zeugen T. – Angeklagter L. ):
22
Soweit die Jugendkammer den Angeklagten L. im Fall 2 der Urteilsgründe nur wegen Erpressung nach § 253 StGB verurteilt, eine räuberische Erpressung nach § 255 i.V.m. § 249 StGB mithin verneint hat, ist das Urteil, was den vorgeblich durch „Gewaltlosigkeit“ gekennzeichneten Tatplan anbelangt, lückenhaft. Die Jugendkammer stellt fest, dass während des gesamten Geschehens in der Wohnung des Zeugen T. „Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, im Türrahmen stand und den Weg zum Flur versperrte“ und dass T. aufdem Weg zur Wohnung seiner Mutter im Fahrzeug „neben Le. platziert“ wurde (UA S. 10). Die sich aufdrängende Wertung, dass die Täter hierdurch zur Begleitung ihrer Drohung mit Veranlassung erneuter Festnahme des Geschädigten T. diesem bewusst deutlich zum Ausdruck bringen wollten, einer etwaigen Flucht werde gewaltsam entgegengetreten, hat die Jugendkammer nicht erkennbar erwogen, obgleich sie selbst das Geschehen treffend dahin bewer- tet, das Tatopfer habe „sich in einer Art und Weise, die der Bemächtigungs- lage in § 239a StGB nahe kommt, in der Gewalt des Angeklagten L. und seiner Mittäter“ befunden (UA S. 36).
23
Das Geschehen bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neue Tatgericht auch über die Richtigkeit der Aussage des Zeugen T. , der Angeklagte L. habe ihm vor dem Hinaufgehen in die Wohnung seiner Mutter damit gedroht, ihn „abzuknallen“, falls er versu- che, mit dem Geld zu fliehen, neu zu befinden haben. Die im angefochtenen Urteil insoweit angenommenen Zweifel stehen in einem Spannungsverhältnis zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit sonstiger Angaben dieses Zeugen, insbesondere im Zusammenhang mit Fall 4. Die Aufhebung der Schuldsprüche erfasst bei der angenommenen Tateinheit auch den an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter Amtsanmaßung.
24
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Verurteilung des Angeklagten B. und Freispruch des Angeklagten L. ):
25
Sowohl der Schuldspruch gegen den Angeklagten B. als auch der Freispruch des Angeklagten L. halten sachlichrechtlicher Prüfung letztlich stand.
26
Obgleich der Beginn der Tatausführung unter Einsatz von Gewalt erfolgte , stand diese nicht in dem erforderlichen spezifischen Zusammenhang zur anschließenden Erzwingung der Vermögensverfügung, der im Wege gewaltfreier Drohung durchgesetzten Geldforderung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 1 StR 343/96, BGHR StGB § 255 Kausalität 1). Dabei nimmt der Senat die auf die Bekundung der Zeugin M. T. gestützte Feststellung des Landgerichts hin, sie habe die Forderung der Täter nur aufgrund der Drohung mit der Inhaftierung ihres Sohnes erfüllt (UA S. 18 f.) und nicht etwa auch wegen der schlüssigen Androhung weiterer Gewalt, wie sie schon zu Beginn des Geschehens angewendet worden war, wenngleich eine abweichende Beurteilung nahe gelegen hätte.
27
Mit dem Generalbundesanwalt nimmt der Senat schließlich auch die Beweiswürdigung zur nicht erwiesenen Tatbeteiligung des Angeklagten hin, wenngleich diese angesichts erheblicher Belastungsindizien – L. s Mittäterschaft am Vortag an gleicher Stelle, seine Anwesenheit in Tatortnähe und seine, vom Landgericht nur entlastend bewerteten, mehrfachen Telefonate mit B. und S. zur Tatzeit – nicht eben lebensnah erscheint.
28
3. Fall 4 (Angeklagter B. ):
29
Soweit das Landgericht den Angeklagten B. im Fall 4 der Urteilsgründe wegen Rücktritts vom (unbeendeten) Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB) eines Tötungsdelikts nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
30
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung des Landgerichts, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25), in den Feststellungen keine Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Geschädigten zwei wuchtige Stiche in die linke Brustkorbseite versetzt, die unmittelbar unterhalb des Herzens trafen und lebensgefährliche Verletzungen hervorriefen. Infolgedessen hat sich die Jugendkammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Als der Angeklagte nach Gegenwehr des Geschädigten weglief, war dieser zu Boden gefallen. Unter solchen Vorzeichen liegt der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der Stiche versterben. Die verlesene schriftliche Erklärung des Angeklagten , in der er sich vorrangig auf eine Notwehrsituation berief und zu der er ausweislich der Urteilsgründe keine Nachfragen beantwortete, bietet hierfür schon deswegen keine hinreichende Grundlage, weil sie von der Jugendkammer – insoweit ohne Rechtsfehler – als weitgehend unglaubhaft gewertet wurde.
31
b) Sofern – entsprechend den insoweit zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil – der äußere Geschehensablauf und der Tötungsvorsatz des Angeklagten B. abermals in gleicher Weise festgestellt werden sollten, werden zum „Rücktrittshorizont“ des Angeklagten neue Fest- stellungen zu treffen sein. Für den Fall, dass das Tatgericht auch mit Blick auf den Sturz des Opfers annehmen sollte, dem Angeklagten sei bei Beginn seines Weglaufens der Eintritt des Todeserfolgs wenigstens gleichgültig gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304), wird zu prüfen sein, ob für den späteren Zeitpunkt des – nach den Urteilsgründen durch den Angeklagten wahrgenommenen – Aufstehens und Weglaufens des Opfers eine sogenannte „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ in Betracht kommt; der Versuch eines Tötungsdelikts ist bei einer solchen Konstellation nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber in engstem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang nach Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 3StR 337/11, NStZ-RR 2012, 106 mwN). Gegebenenfalls wird indessen weiter zu bedenken sein, dass sich der Angeklagte und der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt bereits voneinander entfernt hatten, weswegen es zumindest am erforderlichen – „engsten“ – räumlichen Zusammenhang fehlen könnte und aus der Sicht des Angeklagten zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf in Gang zu setzen gewesen wäre. Darüber hinaus werden unter Umständen ergänzende äußere Feststellungen zu der Frage zu treffen sein, ob dem Angeklagten überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten zur Vollendung des Totschlags zur Verfügung gestanden haben , andernfalls auch ein fehlgeschlagener Versuch zu erörtern wäre.
32
4. Die Aufhebung je eines Schuldspruchs zieht bei dem Angeklagten L. die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs – nicht der auf die nicht angefochtenen weiteren Schuldsprüche gestützten Maßregel – nach sich, bei dem Angeklagten B. die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Zu Letzterem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:
33
Die neu verhandelnde Jugendkammer wird die in der Revision der Staatsanwaltschaft und in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts geäußerten Bedenken gegen die Zubilligung der Voraussetzungen des § 21 StGB zugunsten des Angeklagten B. im Fall 4 zu beachten haben. Davon abgesehen wäre selbst bei Annahme relevanter Schuldminderung deren Bedeutung für die Strafbemessung von allenfalls untergeordnetem Gewicht. Denn die Erhöhung der Aggressivität durch Konsum anaboler Steroide ist ein von dem – hierin seit 2006 erfahrenen – Angeklagten selbst geschaffener Dauerzustand, der in besonderem Maße geeignet ist, in überaus aggressionsträchtigen Situationen wie der hier gegebenen das Risiko einer Verletzung erheblicher Rechtsgüter Dritter zu steigern (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 100).
Basdorf Raum Schaal Schneider König

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 158/14
vom
17. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Mutzbauer
als Vorsitzender,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 18. Dezember 2013 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben; hiervon ausgenommen sind jedoch die Feststellungen bis zur Ausführung des Messerstichs durch den Angeklagten - diese eingeschlossen - sowie zum Geschehen in der Gaststätte und danach.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von vier Vorverurteilungen zu der Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt ; ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete , auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat weitgehend Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch begangenen Mordes (§ 24 Abs. 1 StGB) begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger einen wuchtigen Stich mit einem Küchenmesser - Klingenlänge ca. 17 cm - in den oberen Rückenbereich, um ihn zu töten. Auf Aufforderung des Geschädigten versuchte er anschließend, das Messer wieder herauszuziehen; er ließ den Griff jedoch sofort wieder los, weil der Nebenkläger zu große Schmerzen erlitt. Beide gingen anschließend zu dem bis zu 300 Meter vom Tatort entfernt abgestellten Pkw des Nebenklägers, der seinen Wagen aufschloss und den Angeklagten bat, mit dessen im Auto zurückgelassenen Handy einen Krankenwagen herbeizurufen. Der Angeklagte nahm auf dem Fahrersitz Platz, täuschte aber einen Anruf lediglich vor; die Frage des misstrauisch gewordenen Nebenklägers , „ob er das mit dem Messer gewesen sei,“ verneinte er. Dem Wunsch des Nebenklägers, den Fahrersitz freizumachen, kam der Angeklagte nicht nach. Er nahm an, sein zögerliches Verhalten werde dazu führen, dass der Geschädigte in absehbarer Zeit vor Ort versterben werde. Der Nebenkläger ging sodann mit dem Messer im Rücken zu einer etwa 700 m entfernten Gaststätte. Der Angeklagte folgte ihm „in einigem Abstand“ und schloss, kurz bevor der Geschädigte die Gaststätte erreichte, zu diesem auf. Er betrat die Gaststätte in geringem Abstand zum Nebenkläger; dort anwesende Personen setzten sogleich einen Notruf an die Rettungsleitstelle ab. Letztlich konnte der Nebenkläger durch eine Notoperation gerettet werden.
4
b) Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, von dem der Angeklagte in Ermangelung von Rettungsbemühungen nicht zurückgetreten sei, begegnet durchgreifenden rechtlichen Be- denken. Die Feststellungen der Jugendkammer zum subjektiven Vorstellungsbild des Angeklagten sind in einem entscheidenden Punkt lückenhaft.
5
aa) Ein beendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (sog. Rücktrittshorizont; vgl. nur BGH - Großer Senat -, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227). Eine Korrektur des Rücktrittshorizonts ist allerdings in engen Grenzen möglich. Der Versuch eines Tötungsdelikts ist daher nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber „nach alsbaldiger Erkenntnis seines Irrtums“ von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (BGH, Urteile vom 1. Dezember 2011 - 3 StR 337/11, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, beendeter 14, und vom 19. März 2013 - 1 StR 647/12, NStZ-RR 2013, 273, 274; Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR 105/14; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336; Fischer, StGB, 61. Aufl., § 24 Rn. 15a; MüKoStGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, 2. Aufl., § 24 Rn. 80: „kurz- zeitige Fehlvorstellung“). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen , das Opfer sei bereits tödlich verletzt (BGH, Beschluss vom 7. November 2001 - 2 StR 428/01, NStZ-RR 2002, 73, 74; Urteil vom 6. März 2013 - 5 StR 526/12, NStZ 2013, 463). So liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs etwa in dem Fall, dass das Opfer noch in der Lage ist, sich vom Tatort wegzubewegen (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2000 - 4 StR 525/00; vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 15. August 2001 - 3 StR 231/01: das Opfer verfolgte den Täter „über eine längere Strecke“; Urteil vom 11. November 2004 - 4 StR 349/04, NStZ 2005, 331 f.: das Opfer lief die Treppe von der Empore zum Eingangsbereich der Diskothek hinunter; s. weiter BGH, Urteile vom 19. Juli 1989 - 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, vom 29. September 2004 - 2 StR 149/04, NStZ 2005, 150, 151, und vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399 f.). Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (BGH, Urteil vom 11. November 2004, aaO; Beschluss vom 8. Juli 2008 - 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336).
6
bb) Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht erkennbar nicht bedacht. Es ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Angeklagte, nachdem er dem Nebenkläger das Messer in den Rücken gestoßen hatte, den Erfolgseintritt für möglich hielt (UA 36); auch ging er nach Rückkehr zum PKW des Verletzten davon aus, dass dieser alsbald versterben werde (UA 12). Die Jugendkammer hat aber keine Feststellungen zu den subjektiven Vorstellungen des Angeklagten getroffen, als dieser bemerkte, dass sich der Nebenkläger zu der Gaststätte begab. Seinem nicht stark blutenden (UA 28) und noch nicht in akuter Lebensgefahr befindlichen (UA 15) Opfer, das nach dem Stich bereits bis zu seinem Auto gelaufen war und dort nachdrücklich die Hilfe des Angeklagten eingefordert hatte, gelang es nämlich, aus eigener Kraft die Strecke von ca. 700 Metern zu bewältigen. Unterwegs bat er noch vier Personen - vergeblich - um Hilfe. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge des Verhaltens des Geschädigten sogleich oder jedenfalls alsbald nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben. Das Urteil rechtfertigt auch nicht die Annahme, der Nebenkläger habe sich bereits so weit vom Angeklagten entfernt, dass aus dessen Sicht zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf hätte in Gang gesetzt werden müssen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 - 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689).
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c) Auf dem aufgezeigten Erörterungsmangel beruht der Schuldspruch wegen versuchten Mordes. Die bisher getroffenen Feststellungen zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten im Rücktrittshorizont lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2014 - 4 StR 82/14 und 4 StR 105/14) nicht zu. Erst im Zusammenhang mit dem passiven Verhalten des Angeklagten in der Gaststätte hält das Landgericht dafür, „dass der Angeklagte in diesem Moment erkannt hat, dass sein Vorhaben gescheitert ist, den Tod (des Nebenklägers) herbeizuführen und ihn diese Erkenntnis niederdrückt“ (UA 35); das vermag jedoch die erforderlichen Feststellungen zu einem zeitlich vorgelagerten Zeitpunkt nicht zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 - 1 StR 735/13, NStZ-RR 2014, 201, 202). Zwar hat das Landgericht bei der Erörterung eines Rücktritts auch ausgeführt, der Angeklagte habe nach seiner Vorstellung keine naheliegenden weiteren Möglichkeiten gehabt, auf den Geschädigten einzuwirken: „Wegen seiner Unfähigkeit mit Blut umzugehen, war er nicht in der Lage, etwa das Messer herauszuziehen und erneut einzusetzen oder andere blutige Verletzungen hervorrufende Hilfsmittel einzusetzen“ (UA 36). Es ist aber schon fraglich, ob die Jugendkammer mit diesen Ausführungen einen auf einen früheren Zeitpunkt bezogenen Fehlschlag begründen wollte. Denn die zitierte Wendung schließt unmittelbar an die Bejahung eines beendeten Versuchs an. Die tatsächliche Bewertung der weiteren Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten steht zudem - wie der Generalbundesanwalt mit Recht ausgeführt hat - in einem nicht aufgelösten Widerspruch zu den weiteren Feststellungen. Es war der Angeklagte, der mit direktem Vorsatz (UA 34) unter Verwendung eines Küchenmessers mit einer langen Klinge auf den Nebenkläger einstach und ferner - auf die Bitte des Geschädigten - versuchte, das Messer aus dem Rücken herauszuziehen. Diesen Versuch brach er nicht etwa deswegen ab, weiler „kein Blut sehen kann“ (UA 12), sondern weil der Nebenkläger hierdurch große Schmerzen erlitt. Dass sich der Angeklagte, der naheliegend weiterhin Zugriff auf die im Rücken des Nebenklägers steckende Tatwaffe hatte, an einer Tatvollendung auf dem Weg zur Gaststätte gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
8
2. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 1997 - 4 StR 642/96, BGHR StPO § 353 Aufhebung 1).
9
Allerdings bedarf es nur der Aufhebung der Feststellungen zu dem dem Messerstich nachfolgenden Geschehen, bis der Nebenkläger die Gaststätte erreichte (§ 353 Abs. 2 StPO).
10
Die Aufhebung erfasst nicht den Adhäsionsausspruch (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 406a Rn. 8). Mutzbauer Roggenbuck Cierniak Bender Quentin

(1) Dem Nebenkläger ist auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand zu bestellen, wenn er

1.
durch ein Verbrechen nach den §§ 177, 232 bis 232b und 233a des Strafgesetzbuches oder durch einen besonders schweren Fall eines Vergehens nach § 177 Absatz 6 des Strafgesetzbuches verletzt ist,
1a.
durch eine Straftat nach § 184j des Strafgesetzbuches verletzt ist und der Begehung dieser Straftat ein Verbrechen nach § 177 des Strafgesetzbuches oder ein besonders schwerer Fall eines Vergehens nach § 177 Absatz 6 des Strafgesetzbuches zugrunde liegt,
2.
durch eine versuchte rechtswidrige Tat nach den §§ 211 und 212 des Strafgesetzbuches verletzt oder Angehöriger eines durch eine rechtswidrige Tat Getöteten im Sinne des § 395 Absatz 2 Nummer 1 ist,
3.
durch ein Verbrechen nach den §§ 226, 226a, 234 bis 235, 238 bis 239b, 249, 250, 252, 255 und 316a des Strafgesetzbuches verletzt ist, das bei ihm zu schweren körperlichen oder seelischen Schäden geführt hat oder voraussichtlich führen wird,
4.
durch eine rechtswidrige Tat nach den §§ 174 bis 182, 184i bis 184k und 225 des Strafgesetzbuchs verletzt ist und er zur Zeit der Tat das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte oder seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder
5.
durch eine rechtswidrige Tat nach den §§ 221, 226, 226a, 232 bis 235, 237, 238 Absatz 2 und 3, §§ 239a, 239b, 240 Absatz 4, §§ 249, 250, 252, 255 und 316a des Strafgesetzbuches verletzt ist und er bei Antragstellung das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann.

(2) Liegen die Voraussetzungen für eine Bestellung nach Absatz 1 nicht vor, so ist dem Nebenkläger für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Antrag Prozesskostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, wenn er seine Interessen selbst nicht ausreichend wahrnehmen kann oder ihm dies nicht zuzumuten ist. § 114 Absatz 1 Satz 1 zweiter Halbsatz sowie Absatz 2 und § 121 Absatz 1 bis 3 der Zivilprozessordnung sind nicht anzuwenden.

(3) Anträge nach den Absätzen 1 und 2 können schon vor der Erklärung des Anschlusses gestellt werden. Über die Bestellung des Rechtsanwalts, für die § 142 Absatz 5 Satz 1 und 3 entsprechend gilt, und die Bewilligung der Prozesskostenhilfe entscheidet der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts.

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 506/04
vom
10. März 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. März 2005 gemäß
§§ 44 ff., 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung der Rüge der Verletzung der §§ 141 ff. StPO zu gewähren, wird verworfen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 7. Juli 2004 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung zweier früherer Verurteilungen zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag des Beschwerdeführers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ergänzung der Verfahrensrüge zu gewähren, mit der er der die Ablehnung seines vor Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrages vom 7. Mai 2004 beanstandet, ihm anstelle von Rechtsanwalt Sch. seinen
Wahlverteidiger Rechtsanwalt G. als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist unzulässig.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ausführung einer bisher nicht in zulässiger Weise erhobenen Verfahrensrüge kommt, wenn die Revision - wie hier - jedenfalls mit der Sachrüge form- und fristgerecht begründet worden ist, grundsätzlich nicht in Betracht (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 4, 7; BGH, Beschluß vom 6. Mai 1997 - 4 StR 152/97; BGH, Beschluß vom 8. August 2001 - 2 StR 313/01). Sie ist in der Rechtsprechung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen für zulässig erachtet worden (vgl. Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 44 Rdn. 7a m. zahlr. N.), etwa wenn dem Verteidiger bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist trotz mehrfacher Mahnung keine Akteneinsicht gewährt oder das Sitzungsprotokoll nicht zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt wurde (vgl. BGH NStZ 1984, 418; Meyer-Goßner aaO m. w. N.) und er dadurch an einer ordnungsgemäßen Begründung der Verfahrensrüge gehindert war. Ein solcher Ausnahmefall liegt aber nach dem Vorbringen des insoweit darlegungspflichtigen (vgl. BGHR StPO § 45 Abs. 2 Tatsachenvortrag 10; BGH, Beschluß vom 6. Mai 1997 - 4 StR 152/97 m.w.N.) Beschwerdeführers nicht vor.
Die Verfahrensrüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht, weil die Revisionsbegründung die den geltend gemachten Verfahrensmangel enthaltenden Tatsachen nicht vollständig angegeben hat, sondern lediglich „der Einfachheit halber auf die Schriftsätze in den Akten verwiesen und Bezug genommen“ hat (vgl. Kuckein in KK-StPO 5. Aufl. § 344 Rn. 39 m. w. N.). Der Beschwerdeführer hat sich aber nur, soweit es den von ihm handschriftlich verfaßten Antrag vom 7. Mai 2004 betrifft, darauf berufen, daß
der „konkrete Wortlaut“ in der Revisionsbegründung nicht habe mitgeteilt werden können, weil seinem Wahlverteidiger – obwohl von diesem beantragt – „keinerlei Akteneinsicht“ gewährt worden sei.
Im übrigen ist auch nicht dargetan, daß sich der Wahlverteidiger vor Ablauf der Revisionsbegründungsfrist in angemessener Weise um eine umfassende Einsichtnahme in die Akten bemüht hat. Dieser hatte Gelegenheit in die Bände I bis VIII der Zweitakten am 13. Mai 2003 Einsicht zu nehmen (Vermerk Bd. VIII Bl. 2173 R d.A.) und sandte sie mit Schriftsatz vom gleichen Tage an das Landgericht zurück (Bd. IX Bl. 2310 d. A.). Sofern die Zweitakten zu diesem Zeitpunkt unvollständig gewesen sein sollten, hätte es einer nochmaligen Einsicht in die Akten bedurft. Mit seiner Revisionseinlegungsschrift vom 10. Juli 2004 hat der Wahlverteidiger jedoch lediglich die Überlassung des Bandes der Akten beantragt, "in dem sich die Sitzungsniederschriften befinden", und diesen zur Einsicht erhalten (Bd. X Bl. 2699 d. A.).
2. Zu den erhobenen Verfahrensrügen bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. November 2004:

a) Die unzulässige Rüge der Verletzung der §§ 141 ff. StPO hätte auch in der Sache keinen Erfolg. Vielmehr hält die Ablehnung des vom Angeklagten zwei Tage vor Beginn der Hauptverhandlung gestellten Antrags, ihm Rechtsanwalt G. als Anwalt seines Vertrauens anstelle von Rechtsanwalt Sch. beizuordnen, durch den Vorsitzenden der Jugendkammer rechtlicher Nachprüfung stand.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist aufzuheben, wenn konkrete Umstände vorgetragen und gegebenenfalls nachgewiesen werden, aus denen sich ergibt, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Pflichtverteidiger und Angeklagtem endgültig und nachhaltig erschüttert und deshalb zu besorgen ist, daß die Verteidigung objektiv nicht (mehr) sachgerecht geführt werden kann (vgl. BVerfG NJW 2001, 3695, 3697; BGHSt 39, 310, 314 f; BGH StV 2004, 302). Diese Grenze für die Begründetheit vorgebrachter Einwände gegen den beigeordneten Pflichtverteidiger gilt allerdings nur dann, wenn zuvor im Rahmen des Bestellungsverfahrens dem Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör und – regelmäßige – Beiordnung des von ihm bezeichneten Vertrauensanwalts Genüge getan worden ist (vgl. BVerfG aaO; BGH NJW 2001, 237, 238). Das war hier jedoch der Fall.
Rechtsanwalt Sch. wurde am 25. November 2003 zum Beistand bestellt (Bd. III Bl. 642 d.A.). Dieser hatte seine Bestellung zum Pflichtverteidiger ausweislich der Akten, deren Inhalt die Revision insoweit jedoch nicht vorgetragen hat, mit dem Einverständnis auch des Angeklagten beantragt, den er zuvor bereits in einem anderen Strafverfahren vor dem Amtsgericht Mainz verteidigt hatte. Nach seiner Festnahme in dieser Sache hatte der Angeklagte bei seiner polizeilichen Vernehmung am 22. November 2003 erklärt, an der Vorführung beim Haftrichter solle sein Rechtsanwalt, dessen Name er allerdings „momentan“ nicht wisse, teilnehmen, und den Vernehmungsbeamten gebeten, dies seinem Vater mitzuteilen (Bd. I Bl. 58/59 d.A.). An der Vorführung des Angeklagten nahm Rechtsanwalt Sch. (Bd. III Bl. 473 d.A.) aufgrund ausdrücklicher Bitte des Vaters und auch auf Wunsch des Anklagten teil (Stellungnahme des Pflichtverteidigers vom 10. Mai 2004, Bd. VIII Bl. 2129). Der Pflichtverteidiger suchte den Angeklagten danach mehrfach in der Justizvollzugsanstalt auf und verteidigte den Angeklagten in zwei Hauptverhandlungen
und verteidigte den Angeklagten in zwei Hauptverhandlungen vor dem Amtsgericht Mainz (Bd. VIII Bl. 2129 d.A.).
Konkrete Umstände, aus denen sich ein wichtiger Grund für die Ersetzung seines Pflichtverteidigers ergeben könnte, hat der Angeklagte im Entpflichtungsverfahren nicht vorgetragen. Die Ablehnung der Entpflichtung des Pflichtverteidigers war daher nicht ermessens- und damit auch nicht rechtsfehlerhaft (vgl. BGH StV 1997, 564, 565 m. w. N.), zumal der Wahlverteidiger, der an der Hauptverhandlung teilgenommen hat, noch mit Schriftsatz vom 8. Mai 2004 (Bd. VIII Bl. 2123) die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angeregt hatte.

b) Auch die Rüge, der Wahlverteidiger habe am Nachmittag des 21. Juni 2004 nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen können, weil die Termine nur mit dem Pflichtverteidiger abgesprochen worden seien, kann keinen Erfolg haben. Dem Revisionsvorbringen lässt sich schon nicht entnehmen, ob der Wahlverteidiger unter Hinweis auf seine Verhinderung eine Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragt und – gegebenenfalls – darüber einen Gerichtsbeschluß herbeigeführt hat. Zudem ermöglicht die Revisionsbegründung weder die nach § 337 StPO erforderliche Prüfung des Beruhens des Urteils auf der von der Revision nicht näher bezeichneten Gesetzesverletzung noch die im Falle einer Rüge nach § 338 Nr. 8 StPO gebotene Prüfung, ob die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt beschränkt worden ist. Hierfür läßt sich im übrigen der Sitzungsniederschrift nichts entnehmen.
3. Die Überprüfung des Urteils in sachlich-rechtlicher Hinsicht hat ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben; daß er we-
gen Totschlags und nicht wegen Raubmordes verurteilt worden ist, beschwert ihn nicht.
4. Für den beim Landgericht am 18. Oktober 2004 eingegangenen Antrag des Angeklagten vom 14. Oktober 2004, ihm zur Durchführung des Revisionsverfahrens Rechtsanwalt G. als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist - anders als für die Wahrnehmung der Revisionshauptverhandlung (vgl. Kuckein aaO § 350 Rdn. 11 m.w.N.) - der Vorsitzende des Gerichts, dessen Urteil angefochten worden ist, zuständig (vgl. BGHR StPO § 141 Bestellung 3; MeyerGoßner aaO § 141 Rdn. 6 m.w.N.). Eines Zuwartens mit der Entscheidung des Senats über die Revision bedurfte es nicht. Die Bestellung des erstinstanzlichen Verteidigers wirkt im Revisionsverfahren fort. Zudem ist die Revision des Angeklagten sowohl von seinem Pflichtverteidiger als auch von seinem Wahlverteidiger form- und fristgerecht mit der Sachbeschwerde begründet worden.
VRi'inBGH Dr. Tepperwien Kuckein Athing ist wegen Krankheit verhindert zu unterschreiben. Kuckein
Ernemann Sost-Scheible