Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 526/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 6. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
6. März 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt F.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin L.
als Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 4. Juni 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
a) Am 27. Oktober 2011 gegen 20.00 Uhr geriet der zur Tatzeit mittel- gradig alkoholisierte Angeklagte (Blutalkoholkonzentration 1,53 ‰) nach ei- ner Taxifahrt mit dem Führer des Taxis, dem Nebenkläger, in Streit über den Fahrpreis. Er vermutete, der Nebenkläger habe seine Ortsunkenntnis ausge- nutzt, um einen höheren Preis zu erzielen. Aus Wut forderte er diesen auf, ihm die Geldbörse zu überlassen, deren gesamten Inhalt er sich verschaffen wollte. Dabei rückte er direkt hinter den Fahrersitz. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und erwarteten Widerstand zu überwinden, hielt er dem Nebenkläger ein Anglermesser von hinten an den Hals. Der Nebenkläger bemerkte das Messer zunächst nicht und versuchte, den Arm des Angeklagten wegzuschieben. Zudem drückte er sein Kinn nach unten. Als er eine warme Flüssigkeit am Hals bemerkte, wurde ihm bewusst, dass der Angeklagte ihm ein Messer an den Hals hielt und dass er blutete. Er sah von weiterer Gegenwehr ab und reichte seine Geldbörse nach hinten. Der Angeklagte ergriff die Börse und brachte dem Nebenkläger zugleich eine 22 cm lange und 4 cm tiefe waagerechte Schnittverletzung am Hals bei. Damit wollte er sein Opfer außer Gefecht setzen und sich so Beute und Flucht sichern. Es war ihm gleichgültig, ob er den Tod des Nebenklägers herbeiführen würde.
4
Der Angeklagte ergriff seine Umhängetasche und verließ fluchtartig das Taxi. Dabei nahm er wahr, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ (UA S. 7). Dass sein Opfer stark blutete, erkannte er nicht. Sein Messer und seine Kleidung waren nicht blutverschmiert. Als er im Laufschritt in Richtung Bahnübergang floh, ging er davon aus, dass der Nebenkläger überleben werde, zumal dieser sich noch selbständig fortbewegen konnte. Unterwegs warf er das Messer ins Gebüsch.
5
Die durch den Nebenkläger erlittene Schnittverletzung verlief innerhalb des Unterhautfettgewebes und endete in der Mitte am Schildknorpel bzw. Zungenbein. Die Unterkieferspeicheldrüse und Teile der vorderen Halsmuskulatur waren quer durchtrennt. Zu einer Öffnung der Atemwege kam es nicht. Die großen Blutgefäße des Halses blieben gleichfalls unverletzt. Beides war hauptsächlich dadurch bedingt, dass der Nebenkläger ein besonders ausgeprägtes Unterhautfettgewebe (Doppelkinn) aufwies.
6
b) Die Schwurgerichtskammer hat den Tatbestand des versuchten Totschlags als verwirklicht angesehen. Der Angeklagte habe angesichts der hochgradigen Gefährlichkeit des durch ihn geführten Schnitts mit dem Tod des Nebenklägers gerechnet. Um der erstrebten Ziele der Beutesicherung und der Flucht willen sei ihm der Todeseintritt zumindest gleichgültig gewesen. Jedoch sei er vom unbeendeten Versuch des Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten und habe neben der besonders schweren räuberischen Erpressung lediglich den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung verwirklicht.
7
2. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts strafbefreiend zurückgetreten (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB), hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
8
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung der Schwurgerichtskammer, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht (mehr) für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. Mai 2012 – 5 StR 528/11, NStZ 2012, 688, 689 mwN), in den Feststellungen keine hinreichende Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Nebenkläger tief in den Hals geschnitten. Dass er hierdurch weder eine Arterie noch die Luftröhre verletzte, war nur einem glücklichen Zufall zu verdanken. Dementsprechend hat sich die Schwurgerichtskammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Dann liegt aber auch der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei bei der Flucht davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der massiven Schnittverletzung versterben (vgl. BGH aaO). Die auf eine versehentliche Zufügung der Verletzung zielende Einlassung des Angeklagten bietet hierfür schon deswegen keine ausreichende Grundlage, weil die Schwurgerichtskammer sie – ohne Rechtsfehler – als weitgehend nicht glaubhaft gewertet hat.
9
b) Ungeachtet dessen ist jedenfalls ohne weitere Darlegungen zweifelhaft , ob die – im Rahmen der Darstellung der Einlassung des Angeklagten nicht erörterte (vgl. UA S. 11) – Wahrnehmung des Angeklagten, dass der Nebenkläger „dazu ansetzte, die Fahrertür zu öffnen und aus dem Taxi auszusteigen“ , die Vorstellung des Angeklagten durchgreifend erschüttern könn- te, bereits alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ besonderer Erörterung bedarf, wenn das Opfer nach der letzten Aus- führungshandlung – vom Täter wahrgenommen – noch zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei möglicherweise bereits tödlich verletzt (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 8. Juli 2008 – 3 StR 220/08, NStZ-RR 2008, 335, 336 mwN). Indessen haben auch tödliche Stiche nach der Lebenserfahrung nicht stets die sofortige Bewegungsunfähigkeit des Opfers zur Folge, weswegen ein bloßes „Ansetzen“ zur Bewegung nicht genügend aussagekräftig erscheinen könnte. Soweit die Schwurgerichtskammer ergänzend heranzieht, der Angeklagte habe aufgrund seiner Position hinter dem Nebenkläger die klaffende Wunde nicht gesehen und der Kraftaufwand müsse bei Verwendung eines scharfen Messers nicht erheblich gewesen sein (UA S. 23), tritt dies in Spannung zu den Feststellungen zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde und eines mit beträchtlichem Kraftaufwand geführten Schnittes, um beim Angeklagten das Bewusstsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seiner dem Nebenkläger beigefügten Schnittverletzung zu wecken oder aufrechtzuerhalten. Fehlende Blutanhaftungen am Messer und an der Kleidung des Angeklagten wären schließlich allenfalls dann von Belang, wenn dieser beides im maßgeblichen Zeitpunkt der Flucht überprüft hätte. Solches ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen und erscheint wegen des Augenblickscharakters der Situation auch eher fernliegend.
10
c) Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei können auch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen keinen Bestand haben. Denn dem neuen Tatgericht muss auf der Basis detaillierter Erhebungen etwa zu dem durch den Angeklagten vollführten Messerangriff und zu dessen Wahrnehmungen im Zeitpunkt des Weglaufens eine in sich stimmige tatsächliche und rechtliche Würdigung ermöglicht werden.
11
3. Für den Fall, dass die neu entscheidende Schwurgerichtskammer unter Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts zur Annahme eines versuchten Tötungsdelikts gelangen sollte, wird sie sich eingehend auch mit den Voraussetzungen des § 211 Abs. 2 StGB auseinanderzusetzen haben. Namentlich die im angefochtenen Urteil angestellten Hilfserwägungen zur Ablehnung des Mordmerkmals der Habgier (UA S. 24) leuchten mit Rücksicht auf die festgestellte Beutesicherungsabsicht des Angeklagten nicht ohne Weiteres ein (vgl. zum – von der Schwurgerichtskammer verneinten – Element übersteigerten Gewinnstrebens LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 211 Rn. 9 mwN).
Basdorf Raum Sander König Bellay

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5 StR 528/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. Mai 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. Mai 2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger für den Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt Bi.
als Verteidiger für den Angeklagten L. ,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Juni 2011 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben 1. hinsichtlich des Angeklagten L. ,
a) soweit er im Fall 2 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe, 2. hinsichtlich des Angeklagten B. ,
a) soweit er im Fall 4 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch.
Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (1 und 4), davon in einem Fall (1) in Tateinheit mit versuchter Nötigung, sowie wegen Erpressung in Tateinheit mit Nötigung (Fall 3) zu drei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Gegen den Angeklagten L. hat es unter Freispruch im Übrigen (Fall 3) wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung (Fall 2) sowie wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Außerdem hat es gegen diesen Angeklagten eine Fahrerlaubnissperre von einem Jahr und drei Monaten angeordnet. Gegen das Urteil hat die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Angeklagten B. auf die Schuldsprüche in den Fällen 3 und 4 der Urteilsgründe, hinsichtlich des Angeklagten L. auf den Schuldspruch im Fall 2 der Urteilsgründe und auf den Freispruch beschränkte Revisionen eingelegt, die vom Generalbundesanwalt teilweise vertreten werden.

I.


2
Das Landgericht hat zu den von den Revisionen betroffenen Fällen im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Angeklagter L. ):
4
a) Der Angeklagte L. und die wegen der Tat bereits rechtskräftig Verurteilten S. und Le. kannten sich über ihre Verbindung zu einem Unterstützerclub der Rockergruppierung Bandidos. S. wusste, dass der Zeuge T. wegen Drogenhandels in Untersuchungshaft gewesen war und noch unter Bewährung stand. Er vermutete,dass bei T. „Geld zu holen sei“.
5
Dem gemeinsamen Tatplan entsprechend gaben sich die drei Genannten am 17. Juni 2010 gegenüber T. als Polizeibeamte aus und durchsuchten unter Vorzeigen eines Ausweispapiers dessen vor der Wohnung abgestelltes Kraftfahrzeug. T. duldete dies, weil er glaubte, mit Angehörigen der Zivilpolizei konfrontiert zu sein.
6
Auf entsprechende Aufforderung ging T. mit den drei Tätern in seine Wohnung. Dort sagte S. , er und seine „Kollegen“ wollten „etwas vom Kuchen abhaben“. Unter Hinweis auf illegale Drogengeschäfte des T. verlangten die Täter 20.000 €. Andernfalls würden sie eine Wohnungsdurchsu- chung bei ihm veranlassen, bei der gewiss Drogen gefunden würden, mit der Folge seiner erneuten Inhaftierung. Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, stand währenddessen im Türrahmen und versperrte den Weg zum Flur. Aus Angst vor einer Inhaftierung zeigte sichT. bereit, das Geld aus der Wohnung seiner Mutter zu holen. Im Pkw des T. fuhren die vier zur Wohnung der Mutter, wobei S. das Fahrzeug steuerte und T. auf dem Rücksitz neben Le. platziert wurde. Vor dem Wohnhaus der Mutter angekommen bekräftigten die Täter, dass sie für die Verhaftung des T. sorgen würden, wenn dieser sich nicht an die Abmachung halte oder Hilfe hole. T. musste sein Mobiltelefon im Pkw zurücklassen und wurde aufgefordert, spätestens in fünf Minuten mit dem Geld wieder beim Pkw zu sein.
7
T. holte zumindest 20.000 € aus der Wohnung, die wenigstens teilweise aus Betäubungsmittelgeschäften herrührten, und ging zurück zum Fahrzeug. Die Polizei zu rufen, hielt er für sinnlos. Am Fahrzeug wurde er von Le. auf Waffen abgetastet. Dann fuhren alle zurück zur Wohnung des T. . Unterwegs übergab T. das in einer Tüte verpackte Geld an Le. . Der Angeklagte L. und Le. erhielten aus der Beute je 5.000 €, S. 10.000 €.
8
b) Das Landgericht hat den Angeklagten L. wegen Erpressung in Tateinheit mit Amtsanmaßung verurteilt. Dass die Tat unter Anwendung von Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Zeugen T. begangen worden ist, hat es als nicht erwiesen erachtet.
9
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Angeklagte L. und B. ):
10
a) S. erzählte dem mit ihm im Rahmen derselben Rockergruppierung gut befreundeten Angeklagten B. , dass er einem Dro- gendealer 20.000 € abgenommen habe und dass bei diesem sicherlich noch mehr zu erlangen sei. B. erklärte sich zu einer Mitwirkung an einer weiteren Tat bereit. Bereits einen Tag später, am 18. Juni 2010, fuhren B. und S. am späten Nachmittag zur Wohnung der Mutter des Zeugen T. , der knapp 68-jährigen M. T. . Ein Unbekannter begleitete sie, unterwegs trafen sie auf einen weiteren Unbekannten; ob die beiden Unbekannten an der Tat beteiligt waren, hat das Landgericht nicht feststellen können. Mit S. oder einem der beiden unbekannten Begleiter verschaffte sich B. unter dem Vorwand, ein Paket liefern zu wollen, Zutritt zum Wohnhaus. Als M. T. an der Wohnungstür sah, dass die eintreffenden Männer gar kein Paket trugen, und sie die Tür schließen wollte, ergriff sie einer der Mittäter, drängte sie in die Wohnung und hielt ihr, um sie am Schreien zu hindern, mit dem Unterarm den Mund zu.
11
In der Wohnung gaben sich B. sowie sein Mittäter gegenüber Frau T. , die sich zur Beruhigung hinsetzen durfte und der sie ein Glas Wasser reichten, als Polizeibeamte aus und forderten von ihr Geld, andernfalls sie dafür sorgen würden, dass ihr Sohn noch am Abend in Untersuchungshaft komme. Allein um dies zu verhindern, übergab Frau T. mehrere tausend Euro an die Täter.
12
b) Vom Vorwurf, die Tat mit dem Angeklagten B. begangen zu haben, hat das Landgericht den Angeklagten L. aus tatsächlichen Grün- den freigesprochen. Trotz dessen Beteiligung an der Vortat sowie der dadurch vermittelten Kenntnisse und obwohl dessen Mobiltelefon im Tatzeitraum in Tatortnähe eingeloggt und er unmittelbar vor und nach der Tat mit dem Angeklagten B. sowie S. mehrfach telefoniert habe, sei seine Beteiligung nicht nachweisbar. § 138 Abs. 1 Nr. 7 StGB sei mangels Verwirklichung des Verbrechenstatbestands der räuberischen Erpressung (§§ 255, 249 StGB) nicht erfüllt.
13
3. Fall 4 der Urteilsgründe (Angeklagter B. ):
14
a) Der Zeuge T. erkannte, dass er getäuscht worden war, und wollte das Geld von S. wiedererlangen. Er verabredete mit diesem für den 15. Juli 2010 ein Treffen. S. informierte den Angeklagten B. , der versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. Der Angeklagte B. versicherte sich der Mitwirkung einer Reihe von Personen aus dem Umfeld der Bandidos.
15
Am Abend des 15. Juli 2010 erschien T. mit drei Freunden, unter anderem dem Geschädigten Sch. , am Treffpunkt. Er erblickte Le. und rief seinen Begleitern zu: „Das ist er!” Schnell ging er auf Le. zu. Sch. hielt sich einige Meter hinter ihm. Nun zeigten sich die Kontrahenten in einer rockertypischen Kleidung und näherten sich T. und seinen Begleitern. Beeindruckt von der sich ihnen darbietenden Übermacht traten diese die Flucht an.
16
Unterdessen war der Angeklagte B. von hinten auf den flüchtenden Sch. zugelaufen. Er versetzte ihm mit einem Messer mit einer Klingenbreite von 2,5 cm zwei wuchtige Stiche in den Oberkörper. Sie trafen ihn in die linke Brustkorbseite unmittelbar unter dem Herzen. Der Angeklagte B. erkannte die Möglichkeit einer tödlichen Verletzung und nahm dies hin.
17
Sch. hielt die Stiche zunächst nur für heftige Schläge. Er konnte mit der linken Hand einen dritten Messerstich des Angeklagten B. abwehren, indem er in das Messer griff und zugleich mit der rechten Faust zwei bis drei Schläge gegen den Kopf seines Kontrahenten setzte, von denen jedenfalls einer traf. Als er erneut zuschlagen wollte, verlor er das Gleichgewicht und fiel rückwärts zu Boden, wo er einen Moment sitzen blieb. Unter Verzicht auf einen weiteren Messerangriff drehte sich der Angeklagte B. um und lief, eine Hand vor sein Gesicht haltend, zu seinem Kraftfahrzeug. Als er sich im Laufen umdrehte, sah er, dass Sch. wieder aufgestanden war und ebenfalls weglief.
18
Sch. erlitt lebensgefährliche Verletzungen, die ohne ärztliche Versorgung zum Tod geführt hätten.
19
b) Die Jugendkammer hat angenommen, der Angeklagte B. sei vom unbeendeten Versuch des Totschlags strafbefreiend zurückgetreten. Er habe gesehen, dass Sch. trotz der Messerstiche zu heftiger Gegenwehr in der Lage gewesen sei und nach dem Sturz ohne fremde Hilfe wieder habe aufstehen und fliehen können. Aus autonomen Gründen habe er nicht weiter auf Sch. eingestochen. Wegen der Einnahme anaboler Steroide, verstärkt durch erhebliche gruppendynamische Einflüsse habe er sich bei der Tat in einem derart distanzgeminderten, impulshaften und aggressiven Zustand befunden, dass eine erhebliche Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen sei.

II.


20
Die beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der Verurteilungen in den Fällen 2 und 4 Erfolg. Insoweit kamen Schuldspruchänderungen zum Nachteil der Angeklagten von vornherein schon deshalb nicht in Betracht, weil die Angeklagten naheliegend durch die sie rechtsfehlerhaft begünstigende Beurteilung des Landgerichts von eigenen Revisio- nen abgehalten worden sind. Zum Fall 3 bleiben die Revisionen – dem Antrag des Generalbundesanwalts gemäß – ohne Erfolg.
21
1. Fall 2 der Urteilsgründe (Erpressung des Zeugen T. – Angeklagter L. ):
22
Soweit die Jugendkammer den Angeklagten L. im Fall 2 der Urteilsgründe nur wegen Erpressung nach § 253 StGB verurteilt, eine räuberische Erpressung nach § 255 i.V.m. § 249 StGB mithin verneint hat, ist das Urteil, was den vorgeblich durch „Gewaltlosigkeit“ gekennzeichneten Tatplan anbelangt, lückenhaft. Die Jugendkammer stellt fest, dass während des gesamten Geschehens in der Wohnung des Zeugen T. „Le. , der über die imposanteste körperliche Statur verfügte, im Türrahmen stand und den Weg zum Flur versperrte“ und dass T. aufdem Weg zur Wohnung seiner Mutter im Fahrzeug „neben Le. platziert“ wurde (UA S. 10). Die sich aufdrängende Wertung, dass die Täter hierdurch zur Begleitung ihrer Drohung mit Veranlassung erneuter Festnahme des Geschädigten T. diesem bewusst deutlich zum Ausdruck bringen wollten, einer etwaigen Flucht werde gewaltsam entgegengetreten, hat die Jugendkammer nicht erkennbar erwogen, obgleich sie selbst das Geschehen treffend dahin bewer- tet, das Tatopfer habe „sich in einer Art und Weise, die der Bemächtigungs- lage in § 239a StGB nahe kommt, in der Gewalt des Angeklagten L. und seiner Mittäter“ befunden (UA S. 36).
23
Das Geschehen bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neue Tatgericht auch über die Richtigkeit der Aussage des Zeugen T. , der Angeklagte L. habe ihm vor dem Hinaufgehen in die Wohnung seiner Mutter damit gedroht, ihn „abzuknallen“, falls er versu- che, mit dem Geld zu fliehen, neu zu befinden haben. Die im angefochtenen Urteil insoweit angenommenen Zweifel stehen in einem Spannungsverhältnis zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit sonstiger Angaben dieses Zeugen, insbesondere im Zusammenhang mit Fall 4. Die Aufhebung der Schuldsprüche erfasst bei der angenommenen Tateinheit auch den an sich rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen tateinheitlich verwirklichter Amtsanmaßung.
24
2. Fall 3 der Urteilsgründe (Verurteilung des Angeklagten B. und Freispruch des Angeklagten L. ):
25
Sowohl der Schuldspruch gegen den Angeklagten B. als auch der Freispruch des Angeklagten L. halten sachlichrechtlicher Prüfung letztlich stand.
26
Obgleich der Beginn der Tatausführung unter Einsatz von Gewalt erfolgte , stand diese nicht in dem erforderlichen spezifischen Zusammenhang zur anschließenden Erzwingung der Vermögensverfügung, der im Wege gewaltfreier Drohung durchgesetzten Geldforderung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juli 1996 – 1 StR 343/96, BGHR StGB § 255 Kausalität 1). Dabei nimmt der Senat die auf die Bekundung der Zeugin M. T. gestützte Feststellung des Landgerichts hin, sie habe die Forderung der Täter nur aufgrund der Drohung mit der Inhaftierung ihres Sohnes erfüllt (UA S. 18 f.) und nicht etwa auch wegen der schlüssigen Androhung weiterer Gewalt, wie sie schon zu Beginn des Geschehens angewendet worden war, wenngleich eine abweichende Beurteilung nahe gelegen hätte.
27
Mit dem Generalbundesanwalt nimmt der Senat schließlich auch die Beweiswürdigung zur nicht erwiesenen Tatbeteiligung des Angeklagten hin, wenngleich diese angesichts erheblicher Belastungsindizien – L. s Mittäterschaft am Vortag an gleicher Stelle, seine Anwesenheit in Tatortnähe und seine, vom Landgericht nur entlastend bewerteten, mehrfachen Telefonate mit B. und S. zur Tatzeit – nicht eben lebensnah erscheint.
28
3. Fall 4 (Angeklagter B. ):
29
Soweit das Landgericht den Angeklagten B. im Fall 4 der Urteilsgründe wegen Rücktritts vom (unbeendeten) Versuch (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. StGB) eines Tötungsdelikts nur wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt hat, begegnet dies durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
30
a) Mit Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass die Einschätzung des Landgerichts, der Angeklagte habe im Zeitpunkt seines Weglaufens den Eintritt des Tötungserfolgs nicht für möglich gehalten oder sich insoweit zumindest keine Gedanken gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 1989 – 2 StR 270/89, BGHSt 36, 224, 225 f.; BGH, Beschluss vom 19. Mai 1993 – GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227 f.; BGH, Urteil vom 23. Oktober 1991 – 3 StR 321/91, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Versuch, unbeendeter 25), in den Feststellungen keine Stütze findet. Der Angeklagte hatte dem Geschädigten zwei wuchtige Stiche in die linke Brustkorbseite versetzt, die unmittelbar unterhalb des Herzens trafen und lebensgefährliche Verletzungen hervorriefen. Infolgedessen hat sich die Jugendkammer rechtsfehlerfrei vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt. Als der Angeklagte nach Gegenwehr des Geschädigten weglief, war dieser zu Boden gefallen. Unter solchen Vorzeichen liegt der Schluss nicht nahe, der Angeklagte sei davon ausgegangen, sein Opfer werde nicht an den Folgen der Stiche versterben. Die verlesene schriftliche Erklärung des Angeklagten , in der er sich vorrangig auf eine Notwehrsituation berief und zu der er ausweislich der Urteilsgründe keine Nachfragen beantwortete, bietet hierfür schon deswegen keine hinreichende Grundlage, weil sie von der Jugendkammer – insoweit ohne Rechtsfehler – als weitgehend unglaubhaft gewertet wurde.
31
b) Sofern – entsprechend den insoweit zutreffenden Erwägungen im angefochtenen Urteil – der äußere Geschehensablauf und der Tötungsvorsatz des Angeklagten B. abermals in gleicher Weise festgestellt werden sollten, werden zum „Rücktrittshorizont“ des Angeklagten neue Fest- stellungen zu treffen sein. Für den Fall, dass das Tatgericht auch mit Blick auf den Sturz des Opfers annehmen sollte, dem Angeklagten sei bei Beginn seines Weglaufens der Eintritt des Todeserfolgs wenigstens gleichgültig gewesen (vgl. BGH, Urteil vom 2. November 1994 – 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304), wird zu prüfen sein, ob für den späteren Zeitpunkt des – nach den Urteilsgründen durch den Angeklagten wahrgenommenen – Aufstehens und Weglaufens des Opfers eine sogenannte „Korrektur des Rücktrittshorizonts“ in Betracht kommt; der Versuch eines Tötungsdelikts ist bei einer solchen Konstellation nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen nicht beendet, wenn der Täter zunächst irrtümlich den Eintritt des Todes für möglich hält, aber in engstem zeitlichem und räumlichem Zusammenhang nach Erkenntnis seines Irrtums von weiteren Ausführungshandlungen Abstand nimmt (vgl. dazu zuletzt BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2011 – 3StR 337/11, NStZ-RR 2012, 106 mwN). Gegebenenfalls wird indessen weiter zu bedenken sein, dass sich der Angeklagte und der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt bereits voneinander entfernt hatten, weswegen es zumindest am erforderlichen – „engsten“ – räumlichen Zusammenhang fehlen könnte und aus der Sicht des Angeklagten zur Vollendung eines Tötungsdelikts ein erneuter Geschehensablauf in Gang zu setzen gewesen wäre. Darüber hinaus werden unter Umständen ergänzende äußere Feststellungen zu der Frage zu treffen sein, ob dem Angeklagten überhaupt noch Handlungsmöglichkeiten zur Vollendung des Totschlags zur Verfügung gestanden haben , andernfalls auch ein fehlgeschlagener Versuch zu erörtern wäre.
32
4. Die Aufhebung je eines Schuldspruchs zieht bei dem Angeklagten L. die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs – nicht der auf die nicht angefochtenen weiteren Schuldsprüche gestützten Maßregel – nach sich, bei dem Angeklagten B. die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
Zu Letzterem weist der Senat für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hin:
33
Die neu verhandelnde Jugendkammer wird die in der Revision der Staatsanwaltschaft und in der Stellungnahme des Generalbundesanwalts geäußerten Bedenken gegen die Zubilligung der Voraussetzungen des § 21 StGB zugunsten des Angeklagten B. im Fall 4 zu beachten haben. Davon abgesehen wäre selbst bei Annahme relevanter Schuldminderung deren Bedeutung für die Strafbemessung von allenfalls untergeordnetem Gewicht. Denn die Erhöhung der Aggressivität durch Konsum anaboler Steroide ist ein von dem – hierin seit 2006 erfahrenen – Angeklagten selbst geschaffener Dauerzustand, der in besonderem Maße geeignet ist, in überaus aggressionsträchtigen Situationen wie der hier gegebenen das Risiko einer Verletzung erheblicher Rechtsgüter Dritter zu steigern (vgl. BGH, Beschluss vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04, NStZ 2006, 98, 100).
Basdorf Raum Schaal Schneider König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 220/08
vom
8. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 5. März 2008 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Die Ablehnung eines strafbefreienden Rücktritts vom Versuch des heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen begangenen Mordes begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte dem Nebenkläger zwei wuchtige Stiche mit einem Küchenmesser in den oberen Rückenbereich und den rechten Oberarm und brachte ihm eine weitere oberflächliche Stichverletzung am Unterbauch bei. Das Landgericht ist zu der Auffassung gelangt, dass der Angeklagte, als er nach dem letzten Stich von dem stark blutenden Nebenkläger abließ, davon ausging, alles Erforderliche getan zu haben, um den von ihm beabsichtigten Tötungserfolg herbeizuführen.
4
Die Annahme des Landgerichts, es liege ein beendeter Versuch des Tötungsdelikts vor, beruht auf einer unzureichenden Würdigung der festgestellten Tatumstände.
5
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt nämlich ein unbeendeter Versuch auch dann in Betracht, wenn der Täter nach seinem Handeln den Erfolgseintritt zwar für möglich hält, unmittelbar darauf aber zu der Annahme gelangt, sein bisheriges Tun könne den Erfolg doch nicht herbeiführen und er nunmehr von weiteren fortbestehenden Handlungsmöglichkeiten zur Herbeiführung des Erfolges absieht (vgl. BGHSt 36, 224; BGH NStZ-RR 2002, 73). Die Frage, ob nach diesen Rechtsgrundsätzen von einem beendeten oder unbeendeten Versuch auszugehen ist, bedarf insbesondere dann eingehender Erörterung, wenn das angegriffene Tatopfer nach der letzten Ausführungshandlung noch - vom Täter wahrgenommen - zu körperlichen Reaktionen fähig ist, die geeignet sind, Zweifel daran aufkommen zu lassen, das Opfer sei bereits tödlich verletzt. Ein solcher Umstand kann geeignet sein, die Vorstellung des Täters zu erschüttern, alles zur Erreichung des gewollten Erfolgs getan zu haben (vgl. BGH NStZ 2005, 331).
6
Diese zur Korrektur des Rücktrittshorizonts entwickelten Grundsätze hat das Landgericht nicht erörtert, obwohl die Feststellungen zum unmittelbaren Nachtatgeschehen zur Prüfung dieser Frage drängten. Dem zwar stark blutenden , aber nicht akut lebensgefährlich verletzten Tatopfer war es nämlich nach dem letzten Stich gelungen, sich ohne fremde Hilfe auf den Beifahrersitz des am Tatort abgestellten Pkws der Zeugin G. zu setzen und dort - ohne das Bewusstsein zu verlieren - das Eintreffen der Rettungskräfte abzuwarten. Diese Feststellungen lassen es jedenfalls als möglich erscheinen, dass der Angeklagte infolge dieses von ihm beobachteten Verhaltens des Geschädigten alsbald nach der letzten Tathandlung nicht mehr davon ausging, diesen tödlich verletzt zu haben.
7
Zwar liegen nach den getroffenen Feststellungen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Versuch, den Nebenkläger zu töten, nach der Vorstellung des Angeklagten infolge des Einschreitens der Zeugin G. fehlgeschlagen sein könnte, mithin auch ein Rücktritt vom unbeendeten Versuch ausgeschlossen war (vgl. BGHSt 39, 221, 228, 232; 41, 368, 369; BGH NStZ 2005, 263).
8
Mit dieser Frage hat sich das Landgericht indes nicht auseinandergesetzt. Die bisherigen Feststellungen, insbesondere zum Vorstellungsbild des Angeklagten nach dem Einschreiten der Zeugin, lassen einen sicheren Schluss auf einen Fehlschlag des Versuchs nicht zu. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Zeugin zwar zunächst schreiend auf den Angeklagten zurannte , sich dann aber - was der Angeklagte erkannte - wieder vom Tatort entfernte. Dass sich der Angeklagte, der weiterhin Zugriff auf die Tatwaffe und zwei weitere Messer hatte, durch das Verhalten der Zeugin an einer Tatvollendung gehindert sah, versteht sich deshalb nicht von selbst.
9
2. Sollte der neue Tatrichter wiederum zu dem Ergebnis kommen, dass der Angeklagte ein versuchtes Tötungsdelikt begangen hat, wird er sich nochmals näher mit der Frage auseinanderzusetzen haben, ob die Tatmotivation des Angeklagten tatsächlich in objektiver und subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen der sonstigen niedrigen Beweggründe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB erfüllt.
10
3. Der dargelegte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. Die Aufhebung erfasst auch die für sich genommen rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen tateinheitlich begangener gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Miebach Becker von Lienen Sost-Scheible

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.