Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Apr. 2017 - 2 StR 345/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:110417B2STR345.16.1
bei uns veröffentlicht am11.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 345/16
vom
11. April 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: unterlassener Hilfeleistung
zu 2. und 3.: gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110417B2STR345.16.1

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts - zu Ziffer 3. auf dessen Antrag - und der Beschwerdeführerinnen am 11. April 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 30. Mai 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit es die Angeklagte W. betrifft und sie verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagten C. die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist,
c) soweit gegen die Angeklagte P. -U. aa) im Fall II. 8. der Urteilsgründe eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden ist, bb) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten C. und P. -U. werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte W. unter Freisprechung im Übrigen wegen unterlassener Hilfeleistung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 €, die Angeklagte C. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat und die Angeklagte P. -U. unter Freisprechung im Übrigen wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung sowie wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Das Rechtsmittel der Angeklagten W. hat vollen Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten C. und P. -U. haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Revision der Angeklagten W.
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts schlugen die Mitangeklagten Wi. und R. am 10. April 2015 in der Wohnung der Angeklagten W. abwechselnd mit Händen und Fäusten auf den Geschädigten P. ein; der Mitangeklagte Wi. , der Springerstiefel trug, trat wiederholt den Geschädigten gegen die Schienbeine. Zwischendurch kam es immer wieder zu einer Pause, in der der Geschädigte nicht geschlagen wurde und die Mitangeklagten R. und Wi. Bier tranken. Im weiteren Verlauf schlugen auch die Angeklagte C. und eine weitere in der Wohnung anwesende Person auf den Geschädigten ein.
4
„Die Angeklagte W. hatte die Misshandlungen des Zeugen P. mitbekommen; sie war während der Misshandlungen […] anwesend. Sie schritt aber hiergegen weder ein, noch forderte sie die Angeklagten Wi. und R. auf, die Misshandlung des Zeugen P. zu beenden, obwohl sie als Mieterin hierzu in der Lage war und dies ihr insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr möglich war und zumutbar war und ein entsprechendes Einschreiten auch erforderlich war […]“ (UA S. 64).
5
Am 13. April 2015 fingen die Mitangeklagten Wi. , T. und P. - U. - einem zuvor gefassten Tatplan entsprechend - den Geschädigten M. auf der Treppe eines Mehrfamilienhauses ab, zogen ihn in die Wohnung der Angeklagten W. und schlugen in der weiteren Folge mit Händen und Fäusten mehrfach auf ihn ein.
6
„Die Angeklagte W. war,als der Zeuge M. in dem Wohnzimmer ih- rer Wohnung geschlagen wurde, […] anwesend und hat die Misshandlungen des Zeugen M. von ihrem Platz auf der Couch wahrgenommen. Obwohl es erforderlich, ihr möglich und ihr zumutbar gewesen wäre, dem Zeugen M. zu helfen, unternahm die Angeklagte W. diesbezüglich nichts. […] Der Angeklagten W. war […] auch bewusst, dass sie als Wohnungsinhaberin die Möglichkeit gehabt hätte, die Angeklagten T. , Wi. und P. -U. von weiteren Misshandlungen des Zeugen M. abzuhalten und diese zu be- enden“ (UA S. 69).
7
Sämtliche Angeklagte waren zwar aufgrund zuvor genossenen Alkohols enthemmt; eine erhebliche Einschränkung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten hat das sachverständig beratene Landgericht jeweils verneint.
8
b) Der Schuldspruch wegen unterlassener Hilfeleistung in zwei Fällen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Zutreffend geht das Landgericht zwar davon aus, dass auch eine Straftat für das Opfer ein Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB sein kann, sofern das Risiko erheblicher Verletzung besteht (Senat, Urteil vom 12. August 2015 - 2 StR 115/15, NStZ-RR 2015, 375; BGH, Urteil vom 12. Januar 1993 - 1 StR 792/92, BGHR StGB § 323c Unglücksfall 3). Nach den Feststellungen sind der Angeklagten, die jeweils die Übergriffe auf die Geschädigten wahrgenommen hatte, damit auch die Umstände bekannt gewesen, aus denen sich das Vorliegen eines solchen Unglücksfalls ergibt.
10
Die Feststellungen des Landgerichts lassen indes die Prüfung nicht zu, welche Hilfeleistung für die Angeklagte möglich und zumutbar gewesen wäre. Die Urteilsgründe belegen insbesondere nicht, dass und wie die Angeklagte in beiden Fällen die Mitangeklagten erfolgreich dazu hätte bewegen können, die Misshandlungen zu unterlassen bzw. zu beenden. Angesichts dessen, dass die - zudem ebenfalls - alkoholisierte Angeklagte in beiden Fällen einer Mehrzahl von - zudem überwiegend einschlägig vorbestraften - Mitangeklagten gegenüberstand und insbesondere der in seiner Wesensart dominante Mitangeklagte T. „Widerworte“ nicht duldete, versteht sich die Annahme zumutbaren Eingreifens nicht von selbst. Allein der Umstand, dass die Angeklagte Mieterin der Wohnung gewesen ist, in der die Misshandlungen jeweils stattgefunden haben, besagt für sich genommen noch nichts (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1982 - 3 StR 34/82, BGHSt 30, 391, 396 f.).
11
2. Revision der Angeklagten C.
12
Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil dieser Angeklagten ergeben. Dagegen kann die Versagung der Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat zur Bewährung keinen Bestand haben. Die Straf- kammer hat bei ihrer Sozialprognose entscheidend zu Lasten der Angeklagten gewertet, sie sei "Bewährungsversagerin" (UA S. 153). Wenn damit - wie üblich - gemeint sein sollte, sie habe die Tat während einer laufenden Bewährungsfrist begangen, so wird dies von den getroffenen Feststellungen nicht getragen (UA S. 11, 12). Dass die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 15. November 2000 widerrufen worden ist und insoweit ein Bewährungsversagen gegeben ist, rechtfertigt ohne nähere Darlegung, zu welchem Zeitpunkt die Bewährung widerrufen worden ist und worauf dies gestützt worden war, nicht die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 - 4 StR 509/91, insoweit in NStZ 1992, 233 nicht abgedruckt).
13
Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird eine die konkreten Gegebenheiten des Falles berücksichtigende Gesamtwürdigung (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB) vorzunehmen haben.
14
3. Revision der Angeklagten P. -U.
15
Die Überprüfung des Schuldspruchs und der Strafaussprüche in den Fällen II. 7. und II. 9. der Urteilsgründe hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil dieser Angeklagten ergeben.
16
Das Rechtsmittel führt zur Urteilsaufhebung hinsichtlich der im Fall II. 8. der Urteilsgründe angeführten Einzelstrafe von sechs Monaten, weil ein entsprechender Schuldspruch weder verkündet wurde noch im Tenor der Urteilsurkunde enthalten ist. Somit fehlt eine Grundlage für die verhängte Einzelstrafe (vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2014 - 2 StR 215/14).
17
Ein offensichtliches Verkündungs- bzw. Fassungsversehen, wonach eine - vom Generalbundesanwalt beantragte - ausnahmsweise Ergänzung der Ur- teilsformel zulässig wäre, liegt hier nicht vor. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind "offensichtlich" nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss - auch ohne Berichtigung - eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (vgl. Senat, Urteil vom 14. Januar 2015 - 2 StR 290/14, BGHR StPO § 267 Urteilsberichtigung 1 mwN).
18
Zwar wird ein - der Angeklagten insoweit auch mit Anklage zur Last gelegtes - Geschehen einer (vorsätzlichen) Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen Z. am 14. April 2015 in den Urteilsgründen unter II. 8. im Rahmen des festgestellten Sachverhaltes (UA S. 69 f.), bei der Beweiswürdigung (UA S. 141 f.) und bei den Erwägungen zur Strafzumessung (UA S. 158) wiedergegeben , doch weder in der verkündeten Urteilsformel, die auch dem schriftlichen Urteilstenor entspricht, noch bei der rechtlichen Würdigung erwähnt oder in der Liste der angewendeten Vorschriften berücksichtigt. Angesichts dieser Unzulänglichkeiten und Auslassungen im Urteil ist nicht mehr eindeutig erkennbar , was das Gericht insoweit tatsächlich gewollt und entschieden hat, der Ur- teilstenor mithin nicht mehr „offensichtlich“ unrichtig.
19
Da der nicht abgeurteilte Fall II. 8. der Urteilsgründe beim Revisionsgericht nicht anhängig geworden ist, unterliegt er noch der Kognition des Landgerichts (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 1993 - 3 StR 304/93, BGHR StPO § 260 Urteilsspruch 1; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 260 Rdn. 27, 36; Ott in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 260 Rdn. 18; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rdn. 10), das insoweit neue Feststellungen zu treffen haben wird.
20
Mit der Aufhebung der im Fall II. 8. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe entfällt auch die Gesamtstrafe, die aus den verbleibenden für die Fälle II. 7. und II. 9. der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei erkannten Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monaten sowie von vier Monaten nicht gebildet werden kann (vgl. § 54 Abs. 2 StGB). Krehl Eschelbach Zeng Bartel Wimmer

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(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

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Strafprozeßordnung - StPO | § 260 Urteil


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(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 115/15
vom
14. Oktober 2015
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:141015U2STR115.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Oktober 2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Dr. Bartel,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten S. , Rechtsanwalt als Verteidiger für den Angeklagten Se. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten S. und Se. wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 16. Oktober 2014, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten Se. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnten der Mitangeklagte W. , der Angeklagte Se. und der Geschädigte N. in einer Obdachlosenunterkunft in R. . Der Angeklagte S. hatte eine eigene Wohnung. Nachdem sich die vier Männer in der Nähe eines Einkaufsmarkts getroffen hatten, schlug der Angeklagte S. vor, den Abend in seiner Wohnung zu verbringen. Dort sollte der am Folgetag bevorstehende Geburtstag des Angeklagten W. in der Nacht gefeiert werden. Der Angeklagte S. kaufte einen Kasten Bier und alle begaben sich in seine Wohnung, die aus einem Wohnzimmer mit Küchenzeile, Bad, Flur und Balkon bestand. Sie tranken das mitgebrachte Bier. Zwischenzeitlich erschien ein Bekannter des Angeklagten S. , der Zeuge F. , der stark angetrunken war und alsbald einschlief.
3
In der Nacht kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten S. und dem Geschädigten N. . Der Angeklagte S. versetzte dem Geschädigten einen Faustschlag ins Gesicht. Dadurch entstand eine Blutblase, die der Geschädigte im Bad öffnete, wodurch das Bad verschmutzt wurde. Er wollte die Wohnung verlassen, wurde aber von dem Angeklagten S. daran gehindert, indem dieser ihn anschrie und dazu anwies, sich in eine Ecke des Wohnzimmers zu setzen und nicht wegzubewegen. Aus Angst vor weiteren Misshandlungen kam der Geschädigte dieser Aufforderung nach. In der Folgezeit versetzte der Angeklagte S. dem Geschädigten immer wieder Schläge gegen Kopf und Körper und trat ihn mit Füßen. Als das mitgebrachte Bier ausgetrunken war, verließ der Angeklagte W. , der sich an den Misshandlungen nicht beteiligt hatte, die Wohnung des AngeklagtenS. auf dessen Geheiß, um Bier zu kaufen. S. öffnete mit seinem Wohnungsschlüssel die Tür, ließ W. hinaus und schloss die Tür hinter ihm wieder ab. Nachdem die von dem Angeklagten W. besorgten Bierflaschen geleert wa- ren, wiederholte sich der Vorgang, bei dem der Angeklagte W. erneut für etwa eine halbe Stunde die Wohnung verließ, um weiteres Bier zu kaufen. Inzwischen misshandelte der Angeklagte S. den Geschädigten weiter, um sich an ihm abzureagieren und ihn zu erniedrigen. Er versetzte dem Geschädigten Schläge und Tritte. Dazu wechselte er auch das Schuhwerk und zog feste Arbeitsschuhe an, mit denen er den Geschädigten gegen Kopf und Oberkörper trat. Dabei zerbrach die Zahnbrücke des Geschädigten. Im Verlauf des Geschehens wickelte der Angeklagte S. dem Geschädigten den Gürtel eines Bademantels um den Hals und zog kräftig zu, sodass es zweimal knackte und der Geschädigte keine Luft mehr bekam. Auch holte der Angeklagte S. eine Schere herbei und hielt sie dem Geschädigten drohend vor das Gesicht. Weil der Geschädigte blutete, forderte ihn der Angeklagte S. auf, ins Bad zu gehen, einen Lappen zu holen und das Blut vom Boden aufzuwischen. Der Angeklagte Se. begleitete den Geschädigten und bemerkte, man könne ihn in die Badewanne legen und dort „ausbluten“ lassen. Darauf verließ der Geschädigte völlig verängstigt das Bad. Der Angeklagte Se. versetzte ihm einen kräftigen Faustschlag ins Gesicht. In seiner Verzweiflung nahm der Geschädigte ein Küchenmesser, hielt es sich an den Hals und erklärte: „Die Sache könnt ihr dann ja den Bullen erklären“. Der Angeklagte Se. machte den Angeklagten S. darauf aufmerksam, welcher dem Geschädigten das Messer wegnahm.
4
Der Angeklagte S. verlangte dann ohne rechtlichen Grund von dem Geschädigten die Zahlung von 500 Euro und unterstrich sein Verlangen durch Schläge mit der flachen Hand ins Gesicht. Als der Geschädigte erklärte, dass er nicht über so viel Geld verfüge, verlangte der Angeklagte S. eine Ratenzahlung. Nachdem der Geschädigte bemerkte, dass er auch dazu nicht in der Lage sei, holte der Angeklagte S. einen Notizblock, schrieb auf die erste Seite: „200 € am 31.03.14“ und forderte den Geschädigten dazu auf, dies zu unterschreiben. Der Geschädigte unterschrieb mit seinem Spitznamen „M. “, worauf ihm S. erneut einen Schlag ins Gesicht versetzte und ihn anschrie, er solle mit seinem richtigen Namen unterschreiben. Dem folgte der Geschädigte aus Angst vor weiteren Misshandlungen. Der Angeklagte S. legte dann den Notizblock auf den Wohnzimmertisch und beruhigte sich.
5
Gegen 6.00 Uhr am Morgen des 20. März 2014 erwachte der Zeuge F. und erklärte, er müsse zur Arbeit gehen. Der Angeklagte S. händigte ihm einen zweiten Wohnungsschlüssel aus und schloss mit seinem Schlüssel die Wohnungstür auf, um F. hinauszulassen. Diese Ablenkung nutzte der Geschädigte, um auf den Balkon zu fliehen. Von dort ließ er sich aus einer Höhe von zwölf Metern am Regenrohr herunterrutschen, wobei er Brandverletzungen an den Händen davontrug.
6
2. Das Landgericht hat ausgeführt, die „Unrechtseinsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit“ des Angeklagten S. und die „Einsichts- oder Steuerungsfä- higkeit“ des AngeklagtenSe. seien bei der Begehung der Tat, die im Zeitraum von etwa 21.00 Uhr am 19. März 2014 bis etwa 6.00 Uhr am 20. März 2014 stattgefunden habe, trotz des Alkoholkonsums weder aufgehoben noch erheblich vermindert gewesen.
7
Bei der jeweiligen Blutprobe, die den Angeklagten um 16.34 Uhr beziehungsweise um 16.36 Uhr am 20. März 2014 entnommen wurde, habe der Angeklagte S. einen Blutalkoholgehalt von 1,54 Promille, der Angeklagte Se. einen Blutalkoholgehalt von 1,58 Promille aufgewiesen. Der gerichtliche Sachverständige habe ausgeführt, eine Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration über einen Zeitraum von mehr als zehn Stunden hinaus sei sinnlos. Unter Berücksichtigung eines Nachtrunks von jeweils zwei Flaschen Bier sei für einen Zeitpunkt, der zehn Stunden vor der Blutentnahme liege, von einer höchstmöglichen Blutalkoholkonzentration von 3,16 Promille bei dem Angeklagten S. um 6.34 Uhr und von 3,78 Promille bei dem Angeklagten Se. gegen 6.36 Uhr auszugehen; zu dieser Zeit seien aber alle Tathandlungen bereits beendet gewesen. Nach den Trinkmengenangaben des Angeklagten S. errechne sich für den Tatzeitraum eine höchstmögliche Blutalkoholkonzentration von 5,52 Promille, die nach der Aussage des medizinischen Sachverständigen „mit dem Leben unvereinbar“ erscheine. Für Se. , der keine Trinkmengenangaben gemacht habe, sei eine solche Berechnung nicht möglich.
8
Das Landgericht hat die Annahme des Sachverständigen gebilligt, dass eine Rückrechnung des Blutalkoholgehalts über einen längeren Zeitraum als zehn Stunden nicht vorzunehmen sei. Bei der Berechnungsmethode des Sachverständigen handele es sich um aufgrund des Zweifelssatzes zustande gekommene Maximalwerte, die zugunsten des Angeklagten S. eine hohe Fehlerquote enthielten. Je weiter der Zeitpunkt der Blutentnahme von der Tatzeit entfernt sei, desto geringer werde die Aussagekraft der errechneten Blutalkoholkonzentration und desto mehr gewönnen andere Beweisanzeichen für die Beurteilung der Schuldfähigkeit an Bedeutung. Für seine Feststellung, die Unrechtseinsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten sei zur Tatzeit nicht durch Alkoholisierung aufgehoben oder erheblich beeinträchtigt gewesen, hat das Landgericht auf deren Leistungsverhalten abgestellt.
9
Der Angeklagte S. sei bei Eintreffen des Zeugen F. in der Lage gewesen, diesem ein Bett zu bereiten. Dem Angeklagten W. habe er den Weg zur Tankstelle erklärt, sein Fahrrad angeboten und dessen Abstellort im Keller beschrieben. Bei den Schlägen und Tritten gegen den Geschädigten sei es nicht zu unkontrollierten Gewaltexzessen gekommen, sondern zu dosierten Verletzungshandlungen. Bei der Geldforderung gegenüber dem Geschädigten habe der Angeklagte S. situationsgerecht gehandelt und auf die Ausweichversuche des Geschädigten folgerichtig reagiert. Am Morgen nach der Tat habe S. umsichtig gehandelt, als er dem Zeugen F. seinen Zweitschlüssel zur Wohnung ausgehändigt habe. Auf seinem späteren Weg zum Supermarkt habe der Angeklagte S. zwar „geschwankt“, sei aber nicht hingefallen und habe problemlos bezahlen können.
10
Der Angeklagte Se. habe einen Erinnerungsverlust für die Tatzeit behauptet, der medizinisch nicht erklärbar sei. Weder die Angeklagten S. und W. noch der Zeuge N. hätten Ausfallerscheinungen beim Angeklagten Se. geschildert. Dieser habe S. auf die Selbstgefährdung des Geschädigten mit dem Messer aufmerksam gemacht und auf die Flucht des Geschädigten durch dessen Verfolgung und den Versuch ihnfestzuhalten reagiert. Auch bei ihm habe der Mitangeklagte W. am nächsten Morgen nur „leichte Probleme beim Gang zum Einkaufsmarkt“ beschrieben.
11
Insgesamt sei zwar von einer erheblichen Alkoholisierung der Angeklagten S. und Se. zur Tatzeit auszugehen, nicht aber von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit.

II.

12
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richten. Sie haben aber hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg. Die Begründung der Ablehnung einer alkoholbedingten erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten zur Tatzeit gemäß § 21 StGB trägt nicht.
13
1. Eine Blutalkoholkonzentration von mehr als drei Promille, die hier bei beiden Angeklagten durch den Rückrechnungsansatz des Sachverständigen in Betracht kommt, legt die Annahme einer erheblichen Herabsetzung des Hemmungsvermögens zur Tatzeit nahe. Auch wenn davon auszugehen ist, dass es keinen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz darüber gibt, dass ohne Rücksicht auf psychodiagnostische Beurteilungskriterien allein wegen ei- ner bestimmten Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit in aller Regel vom Vorliegen einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit ausgegangen werden muss (BGH, Urteil vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 72 ff.; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247, 250), ist der im Einzelfall festzustellende Wert doch immerhin ein gewichtiges Beweisanzeichen für eine erhebliche alkoholische Beeinflussung. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass die Wirkungen einer Alkoholaufnahme individuell verschieden sind (Wendt/Kröber in Körber/Dölling/Leygraf/Saß [Hrsg.], Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, 2010, S. 240, 249). Der Blutalkoholgehalt zeigt nämlich immerhin die wirksam aufgenommene Alkoholmenge an. Je höher dieser Wert ist, umso näher liegt die Annahme einer zumindest erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit. Bei einer starken Alkoholisierung lässt sich eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nur ausschließen , wenn gewichtige Anzeichen dafür sprechen, dass das Hemmungsvermögen des Täters zur Tatzeit erhalten geblieben war (Senat, Beschluss vom 2. Juli 2015 – 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525, 3526).
14
2. Dem tragen die Erwägungen der Strafkammer nicht ausreichend Rechnung.
15
a) Die Urteilsgründe lassen zunächst zu Unrecht offen, welcher Blutalkoholgehalt bei den Angeklagten zur Tatzeit vorgelegen hat. Der Blutalkoholgehalt ist zwar kein allein maßgebliches, aber doch im Einzelfall gewichtiges Beweisanzeichen (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247, 252). Es darf deshalb, soweit Feststellungen möglich sind, nicht offen gelassen werden. Die vom Landgericht gebilligte Vornahme einer Rückrechnung des Blutalkoholgehalts durch den Sachverständigen vom Zeitpunkt der Blutprobenentnahme nur bis zu einem Zeitpunkt, der zehn Stunden davor liegt, aber nach dem Ende des Tatzeitraums, verstößt gegen das Gebot, den Blutalkoholgehalt regelmäßig festzustellen.
16
Bedenken des Landgerichts gegen die Aussagekraft einer Rückrechnung mit Maximalwerten über einen langen Rückrechnungszeitraum (vgl. BGH, Urteil vom 9. August 1988 – 1 StR 231/88, BGHSt 35, 308, 314) hätten zumindest durch Kontrollrechnungen mit Minimal- und Mindestwerten relativiert werden können, sodass der höchstmögliche, der wahrscheinliche und der zumindest in Betracht zu ziehende Blutalkoholwert zu ermitteln gewesen wären (vgl. Graw/Thieme in Dreßing/Habermeyer [Hrsg.], Psychiatrische Begutachtung, 6. Aufl. 2015, S. 213, 217). Solche Kontrollrechnungen hat das Landgericht nicht in Betracht gezogen.
17
Hat die Strafkammer den – nicht abschließend festgestellten – Blutalkoholgehalt der Angeklagten zur Tatzeit letztlich bei seiner Beweiswürdigung außer Betracht gelassen, so hat sie eines der relevanten Indizien, die für und gegen eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens sprechen können, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen.
18
b) Erforderlich ist stets eine Gesamtwürdigung der feststellbaren Alkoholaufnahme einerseits und der psychodiagnostischen Kriterien andererseits (Senat, Beschluss vom 30. April 2015 – 2 StR 444/14, NStZ 2015, 634). Dabei sind allerdings nur solche Umstände zu berücksichtigen, die aussagekräftige Hinweise darauf geben können, ob das Hemmungsvermögen des Täters bei der Begehung der Tat erhalten geblieben ist oder nicht (zu Kriterien, die gegen und für eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit sprechen, Wendt/Kröber aaO S. 256 f.).
19
Die Tatsache, dass sich besonders trinkgewohnte Personen trotz erheblicher Alkoholisierung äußerlich unauffällig verhalten können, deutet an, dass manche Umstände aus dem äußeren Geschehensablauf ohne Aussagekraft dafür sind, ob das Hemmungsvermögen des Täters bei der Begehung der Tat erheblich eingeschränkt war oder nicht (Senat, Beschluss vom 2. Juli 2015 – 2 StR 146/15, NJW 2015, 3525, 3526).

20
Zumindest einem Teil der vom Landgericht herangezogenen Umstände kommt eine gegen die Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit gerichtete Beweisbedeutung , von der das Gericht ausgegangen ist, tatsächlich nicht zu. Deshalb erweist sich auch die Beweiswürdigung des Landgerichts zum Leistungsverhalten der Angeklagten rechtsfehlerhaft, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass manche Umstände für eine erhalten gebliebene Steuerungsfähigkeit sprechen können.
21
Die Annahme des Landgerichts, bei den Schlägen und Tritten gegen den Geschädigten sei es nicht zu unkontrollierten Gewaltexzessen gekommen, sondern zu dosierten Verletzungshandlungen, ist für sich genommen ohne Aussagekraft. Von einem bedeutsamen, geordneten und an äußeren Gegebenheiten orientierten Verhalten, das für eine unbeeinträchtigte Steuerungsfähigkeit sprechen würde (Wendt/Kröber aaO S. 256), kann dabei keine Rede sein. Eine besondere Zurückhaltung der Angeklagten oder bewusst begrenzte Dosierung der Gewalthandlungen, die für ein erhalten gebliebenes Hemmungsvermögen sprechen könnte, ist daraus nicht zu entnehmen.
22
Die Hervorhebung der Tatsache, dass die Angeklagten am anderen Morgen auf dem Weg zum Supermarkt nur leichte Gangunsicherheiten gezeigt hätten, deutet gleichfalls einen Wertungsfehler des Landgerichts an. Bei trinkgewohnten Personen, wie den Angeklagten, ist im Fall einer leichten oder mittleren Alkoholisierung überhaupt nicht notwendig mit äußerlich erkennbaren Ausfallerscheinungen zu rechnen (BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 1 StR 59/12, BGHSt 57, 247, 253). Die Tatsache, dass die Angeklagten nach der Tat immerhin Probleme beim Gehen gezeigt haben, spricht in der Zusammenschau mit einer erheblichen Alkoholaufnahme wiederum eher für als gegen eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit.

23
Demgegenüber kommt den Umständen, die das Landgericht im Ansatz als Anzeichen für eine erhalten gebliebene Steuerungsfähigkeit gewertet hat, nur begrenzte Aussagekraft zu.
24
Die Tatsache, dass der Angeklagte S. vor Beginn der Gewalthandlungen noch in der Lage war, für den Zeugen F. ein Klappbett aufzustellen und mit einem Spannbettbezug zu versehen, besagt wenig gegen die Annahme , seine Fähigkeit zur Hemmung gegenüber den nachfolgenden Gewalthandlungen gegenüber dem Geschädigten und dem Erpressungsversuch sei erheblich beeinträchtigt gewesen.
25
Ebenfalls ist es nicht von besonderer Beweisbedeutung, dass der Angeklagte Se. im Verlauf des Geschehens realisiert hat, dass der Geschädigte sich selbst ein Messer an den Hals hielt und schließlich die Flucht über den Balkon antrat, worauf der Angeklagte Se. den Angeklagten S. aufmerksam machte. Erhalten gebliebene kognitive Fähigkeiten betreffen eher die Fähigkeit zu Unrechtseinsicht, weniger den Aspekt der Steuerungsfähigkeit. Fischer Krehl Eschelbach Ott Bartel

(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 290/14
vom
14. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklagevertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 28. Februar 2014 im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 5. der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen (Fälle II. 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe) sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Fall II. 5. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
3
2. Der Einzelstrafausspruch zu Fall II. 5. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken; im Übrigen weist die Strafzumessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
a) Die Zumessung der Einzelstrafen ist rechtsfehlerhaft.
5
aa) Die von der Strafkammer wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Fälle II. 1. - 4. der Urteilsgründe) und einem Jahr (Fall II. 6. der Urteilsgründe) bewegen sich nicht in dem gemäß § 176a Abs. 2 StGB vorgesehenen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren, von dessen Regelwirkung auch die Strafkammer ausgegangen ist.
6
bb) Im Fall II. 5. der Urteilsgründe, dem ein sexueller Missbrauch eines Kindes zugrunde lag, hat die Strafkammer eingangs ausgeführt, dass der Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB von zwei bis 15 Jahren zugrunde zu legen sei. Abschließend hat sie zwar dargelegt, dass wegen der unter Ziffer II. 5. festgestellten Tat von dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB auszugehen sei, der eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsehe. Es ist gleichwohl zu besorgen, dass die Strafkammer bei der Festsetzung der Einzelstrafe zu Fall II. 5. rechtsfehlerhaft den Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB zugrunde gelegt oder sich jedenfalls nicht im Klaren darüber war, welcher Strafrahmen ihr für die Verhängung der Einzelstrafe zur Verfügung gestanden hat. Dafür spricht, dass die Strafkammer auch bei Bemessung der Einzelstrafen in den Fällen II. 1. - 4. und II. 6. den von ihr selbst bestimmten Strafrahmen aus dem Auge verloren hat und dass die im Fall II. 5. für den sexuellen Missbrauch verhängte Einzelstrafe von vier Jahren in keinem angemessenen Verhältnis zu den in den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs verhängten Einzelstra- fen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr steht. Denn während dem Fall II. 5. die (bloße) Manipulation am Geschlechtsteil des Angeklagten zugrunde lag, betreffen die demgegenüber milder bestraften Fälle II. 1. - 4. und II. 6. das Eindringen mit dem Finger bzw. die Vollziehung des Beischlafs, also grundsätzlich schwerere Straftaten. Gleichwohl ist die vergleichsweise hohe Bestrafung im Fall II. 5. jenseits der in allen Fällen allgemein berücksichtigten strafschärfenden Umstände nicht besonders begründet worden, was aber erforderlich gewesen wäre.
7
b) Die Strafkammer hat zwar nach Eingang der Revisionsbegründung, in der insbesondere die rechtsfehlerhafte Strafzumessung im Fall II. 5. der Urteilsgründe gerügt wird, mit Beschluss vom 28. Mai 2014 die Urteilsgründe dahingehend berichtigt, dass sie in den Fällen II. 1. - 4. tatsächlich Einzelstrafen von jeweils zwei (statt einem) Jahren und sechs Monaten, im Fall II. 5. eine Einzelstrafe von einem (statt vier) Jahren und im Fall II. 6. eine solche von vier (statt einem) Jahr verhängt habe. Die nachträgliche Berichtigung der Urteilsgründe ist jedoch unwirksam.
8
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen, sobald ein Urteil vollständig verkündet worden ist, nur noch offensichtliche Schreibversehen und offensichtliche Unrichtigkeiten berichtigt werden (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 - 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5, 10; Beschluss vom 28. Mai 1974 - 4 StR 633/73, BGHSt 25, 333, 336). "Offensichtlich" im Sinne dieser Rechtsprechung sind aber nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss - auch ohne Berichtigung - eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (BGH, Urteil vom 3. Februar 1959 - 1 StR 644/58, BGHSt 12, 374, 376).
9
Bei Anlegung dieses strengen Maßstabs fehlt es an einer offensichtlichen Unrichtigkeit der schriftlichen Urteilsgründe. Dass die Strafkammer in den Fällen II. 1. - 4. tatsächlich Einzelstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und nicht - wie in den Urteilsgründen niedergelegt - von einem Jahr und sechs Monaten verhängen wollte, ergibt sich weder aus der Urteilsurkunde selbst noch aus sonstigen offenkundigen Tatsachen. Auch die mögliche Verwechslung der in den Fällen II. 5. und II. 6. festgesetzten Einzelstrafen drängt sich nicht derart auf, dass die Gefahr einer unzulässigen nachträglichen Abänderung der Urteilsurkunde auszuschließen wäre.
10
Die mündliche Urteilsbegründung, auf die die Strafkammer für das von ihr tatsächlich Gewollte und Entschiedene in dem Berichtigungsbeschluss Bezug nimmt, wurde im Hinblick auf die Einzelstrafen weder im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten noch durch einen der Verfahrensbeteiligten bestätigt. Sie findet auch keine Stütze in den schriftlichen Urteilsgründen oder in sonstigen Tatsachen, die den Verdacht einer späteren sachlichen Änderung des Urteils ausschließen könnten. Der Zusammenhang der Strafzumessungserwägungen deutet vielmehr darauf hin, dass die Strafkammer - wie ausgeführt - bei der Bemessung der Einzelstrafen den jeweiligen Strafrahmen nicht klar vor Augen hatte. Die Strafzumessung lässt ebenso wenig erkennen, dass die Strafkammer die Einzelstrafen tatsächlich so - wie es im Berichtigungsbeschluss ausgeführt wird - gewollt und entschieden hat, denn die Höhe der verhängten Einzelstrafen wird weder begründet noch finden sich jenseits allgemeiner Erwägungen Hinweise dafür, dass und aus welchen Gründen die Straf- kammer die Einzelstrafen unterschiedlich hoch bemessen hat. Es kann daher nicht ohne vernünftigen Zweifel ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer schon bei der Entscheidung über die Festsetzung der Einzelstrafen Verwechslungen oder Missverständnissen unterlegen war.
11
Da nur eine zulässige und damit wirksame Berichtigung geeignet ist, das schriftliche Urteil abzuändern, war nicht zunächst auf eine förmliche Zustellung des Berichtigungsbeschlusses durch das Landgericht hinzuwirken. Unzulässige Änderungen sind für das Revisionsgericht unbeachtlich. Sie führen nicht dazu, dass durch Zustellung des Berichtigungsbeschlusses die Revisionsbegründungsfrist erneut in Gang gesetzt würde (BGH, Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 310/90, NStZ 1991, 195).
12
c) Soweit in den Fällen II. 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft unangemessen milde Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr festgesetzt worden sind, ist der Angeklagte nicht beschwert. Im Fall II. 5. kann demgegenüber nicht ausgeschlossen werden, dass die verhängte Einzelstrafe ohne die aufgezeigten Rechtsfehler milder ausgefallen wäre.
13
3. Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall II. 5. zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Fischer Appl Schmitt
Ott Zeng

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

(1) Die Hauptverhandlung schließt mit der auf die Beratung folgenden Verkündung des Urteils.

(2) Wird ein Berufsverbot angeordnet, so ist im Urteil der Beruf, der Berufszweig, das Gewerbe oder der Gewerbezweig, dessen Ausübung verboten wird, genau zu bezeichnen.

(3) Die Einstellung des Verfahrens ist im Urteil auszusprechen, wenn ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Die Urteilsformel gibt die rechtliche Bezeichnung der Tat an, deren der Angeklagte schuldig gesprochen wird. Hat ein Straftatbestand eine gesetzliche Überschrift, so soll diese zur rechtlichen Bezeichnung der Tat verwendet werden. Wird eine Geldstrafe verhängt, so sind Zahl und Höhe der Tagessätze in die Urteilsformel aufzunehmen. Wird die Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten, die Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung zur Bewährung ausgesetzt, der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt oder von Strafe abgesehen, so ist dies in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. Im übrigen unterliegt die Fassung der Urteilsformel dem Ermessen des Gerichts.

(5) Nach der Urteilsformel werden die angewendeten Vorschriften nach Paragraph, Absatz, Nummer, Buchstabe und mit der Bezeichnung des Gesetzes aufgeführt. Ist bei einer Verurteilung, durch die auf Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird, die Tat oder der ihrer Bedeutung nach überwiegende Teil der Taten auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden, so ist außerdem § 17 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes anzuführen.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.