Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2017 - 1 StR 113/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:200617B1STR113.17.0
20.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 113/17
vom
20. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:200617B1STR113.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Generalbundesanwalts am 20. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 24. Oktober 2016
a) im Tat 2 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafausspruch , der entfällt, und
b) im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. 2. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat zudem den Verfall von Wertersatz in Höhe von 6.710 € angeordnet, für den die Angeklagte in Höhe von 1.500 € mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten als Gesamtschuldnerin haftet. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg und erweist sich im Übrigen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts dargestellten Erwägungen als unbegründet.
2
1. Es liegt kein Verfahrenshindernis vor. Zwar enthält der Eröffnungsbeschluss vom 8. August 2016 ein unzutreffendes Datum, soweit darin die "Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 3. Juni 2016 (Aktenzeichen: 610 Js ) zur Hauptverhandlung zugelassen" wird. Dies führt aber nicht zur Unwirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 3. Oktober 1979 – 3 StR 327/79 und vom 15. November 1983 – 5 StR 657/83, NStZ 1984, 133).
3
Die Anklageschrift gegen die Angeklagte und den nicht revidierenden Mitangeklagten datiert auf den 28. Juni 2016 (Aktenzeichen: 610 Js ). Wenige Seiten vor dieser ist die Abschrift einer Anklage gegen einenanderen Beschuldigten abgeheftet, die das Datum 3. Juni 2016 trägt. Dem Eröffnungsbeschluss lässt sich aber durch die Angabe allein des die Angeklagte und den Mitangeklagten betreffenden Rubrums und die zweifache Angabe des Aktenzeichens der Anklage vom 28. Juni 2016 die eindeutige Willenserklärung des Gerichts entnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 6. August 1974 – 1 StR 226/74; MünchKommStPO/Wenske, 1. Aufl., § 207 Rn. 79), dass es die die beiden Angeklagten betreffende Anklage mit dem Aktenzeichen 610 Js zur Hauptverhandlung zugelassen hat.
4
2. Die Revision führt aber auf die Sachrüge zur Urteilsaufhebung hinsichtlich der Einzelstrafe für die Tat 2 der Urteilsgründe.
5
a) Das Landgericht hat vier Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge festgestellt und hierfür Einzelstrafen von einem Jahr und neun Monaten und dreimal einem Jahr und drei Monaten verhängt.
Einen entsprechenden Schuldspruch hat es aber weder verkündet noch ist er im Tenor der Urteilsurkunde enthalten.
6
b) Der Senat hat erwogen, ob es sich bei dem Auseinanderfallen von Schuldspruch und Urteilsgründen um ein offensichtliches Verkündungs- bzw. Fassungsversehen handelt, wonach eine – vom Generalbundesanwalt beantragte – ausnahmsweise Ergänzung der Urteilsformel zulässig wäre. Die Voraussetzungen für eine solche Abänderung des Urteils liegen hier aber nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind "offensichtlich" nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss – auch ohne Berichtigung – eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2017 – 2 StR 345/16 mwN und vom 22. November 2016 – 1 StR 471/16; Urteil vom 14. Januar 2015 – 2 StR 290/14, BGHR StPO § 267 Urteilsberichtigung 1 mwN; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 268 Rn. 10). Zwar spricht angesichts der späteren Abfassung der Urteilsgründe vieles dafür, dass sich das Landgericht bei dem verkündeten Tenor verzählt hat, jedoch ist dies nicht offensichtlich in dem dargestellten Sinne.
7
Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten in der Anklageschrift vom 28. Juni 2016 insgesamt acht Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt. Die zugelassene Nachtragsanklage vom 21. September 2016 erfasste einen weiteren Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; mithin waren bei dem Landgericht neun vorgeworfene Taten anhängig geworden. Das verkündete Urteil bezog sich auf vier Taten, für die eine Verurteilung erging (dreimal Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und einmal Beihilfe zu einer solchen Tat). Ausweislich des verkündeten Tenors und des Tenors der Urteilsurkunde ist "im Übrigen", mithin für alle noch anhängig gewesenen Tatvorwürfe Freispruch erfolgt. Vor diesem Hintergrund war für die Verfahrensbeteiligten nicht erkennbar, dass tatsächlich für einen weiteren Tatvorwurf eine Verurteilung gewollt war, der Freispruch – entgegen des verkündeten Wortlauts – diese weitere Tat nicht erfassen sollte. Anhaltspunkte hierfür haben sich weder aus der Prozessgestaltung, noch aus dem die Tatvorwürfe teilweise bestreitenden Einlassungsverhalten der Angeklagten ergeben.
8
Jedenfalls bei einer solchen, eindeutig alle anhängigen Taten ergreifenden Fassung des verkündeten Tenors kann allein der Umstand, dass in den Urteilsgründen mehr Taten festgestellt, bewertet und sanktioniert worden sind, als es dem verkündeten Urteilstenor entspricht, nicht dazu berechtigen, einen offensichtlichen Zählfehler anzunehmen (diese Frage offen lassend: BGH, Beschluss vom 17. März 2000 – 2 StR 430/99, NStZ 2000, 386, wobei sich der Freispruch ausweislich der Entscheidungsgründe abweichend auf eine bezifferte Fallanzahl bezog). Eine Änderung der Urteilsformel liefe auf eine Durchbrechung des alle nicht verurteilten und noch anhängig gewesenen Vorwürfe erfassenden und rechtskräftig gewordenen Freispruchs hinaus.
9
c) Da nicht zu bestimmen ist, für welche der Taten, für die das Landgericht eine Einzelfreiheitsstrafe verhängt hat, die Angeklagte nicht verurteilt, sondern freigesprochen worden ist, hebt der Senat die höchste Einzelfreiheitsstrafe auf und lässt sie entfallen. Der Wegfall der Einsatzstrafe führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Die Anordnung des Verfalls von Wertersatz ist von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen. Raum Cirener Radtke Fischer Bär

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Strafprozeßordnung - StPO | § 267 Urteilsgründe


(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 345/16
vom
11. April 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1.: unterlassener Hilfeleistung
zu 2. und 3.: gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110417B2STR345.16.1

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts - zu Ziffer 3. auf dessen Antrag - und der Beschwerdeführerinnen am 11. April 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 30. Mai 2016 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit es die Angeklagte W. betrifft und sie verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagten C. die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden ist,
c) soweit gegen die Angeklagte P. -U. aa) im Fall II. 8. der Urteilsgründe eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten verhängt worden ist, bb) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten C. und P. -U. werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte W. unter Freisprechung im Übrigen wegen unterlassener Hilfeleistung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 10 €, die Angeklagte C. wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat und die Angeklagte P. -U. unter Freisprechung im Übrigen wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung sowie wegen Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Das Rechtsmittel der Angeklagten W. hat vollen Erfolg. Die Revisionen der Angeklagten C. und P. -U. haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Revision der Angeklagten W.
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts schlugen die Mitangeklagten Wi. und R. am 10. April 2015 in der Wohnung der Angeklagten W. abwechselnd mit Händen und Fäusten auf den Geschädigten P. ein; der Mitangeklagte Wi. , der Springerstiefel trug, trat wiederholt den Geschädigten gegen die Schienbeine. Zwischendurch kam es immer wieder zu einer Pause, in der der Geschädigte nicht geschlagen wurde und die Mitangeklagten R. und Wi. Bier tranken. Im weiteren Verlauf schlugen auch die Angeklagte C. und eine weitere in der Wohnung anwesende Person auf den Geschädigten ein.
4
„Die Angeklagte W. hatte die Misshandlungen des Zeugen P. mitbekommen; sie war während der Misshandlungen […] anwesend. Sie schritt aber hiergegen weder ein, noch forderte sie die Angeklagten Wi. und R. auf, die Misshandlung des Zeugen P. zu beenden, obwohl sie als Mieterin hierzu in der Lage war und dies ihr insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr möglich war und zumutbar war und ein entsprechendes Einschreiten auch erforderlich war […]“ (UA S. 64).
5
Am 13. April 2015 fingen die Mitangeklagten Wi. , T. und P. - U. - einem zuvor gefassten Tatplan entsprechend - den Geschädigten M. auf der Treppe eines Mehrfamilienhauses ab, zogen ihn in die Wohnung der Angeklagten W. und schlugen in der weiteren Folge mit Händen und Fäusten mehrfach auf ihn ein.
6
„Die Angeklagte W. war,als der Zeuge M. in dem Wohnzimmer ih- rer Wohnung geschlagen wurde, […] anwesend und hat die Misshandlungen des Zeugen M. von ihrem Platz auf der Couch wahrgenommen. Obwohl es erforderlich, ihr möglich und ihr zumutbar gewesen wäre, dem Zeugen M. zu helfen, unternahm die Angeklagte W. diesbezüglich nichts. […] Der Angeklagten W. war […] auch bewusst, dass sie als Wohnungsinhaberin die Möglichkeit gehabt hätte, die Angeklagten T. , Wi. und P. -U. von weiteren Misshandlungen des Zeugen M. abzuhalten und diese zu be- enden“ (UA S. 69).
7
Sämtliche Angeklagte waren zwar aufgrund zuvor genossenen Alkohols enthemmt; eine erhebliche Einschränkung oder Aufhebung der Steuerungsfähigkeit der Angeklagten hat das sachverständig beratene Landgericht jeweils verneint.
8
b) Der Schuldspruch wegen unterlassener Hilfeleistung in zwei Fällen hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Zutreffend geht das Landgericht zwar davon aus, dass auch eine Straftat für das Opfer ein Unglücksfall im Sinne des § 323c StGB sein kann, sofern das Risiko erheblicher Verletzung besteht (Senat, Urteil vom 12. August 2015 - 2 StR 115/15, NStZ-RR 2015, 375; BGH, Urteil vom 12. Januar 1993 - 1 StR 792/92, BGHR StGB § 323c Unglücksfall 3). Nach den Feststellungen sind der Angeklagten, die jeweils die Übergriffe auf die Geschädigten wahrgenommen hatte, damit auch die Umstände bekannt gewesen, aus denen sich das Vorliegen eines solchen Unglücksfalls ergibt.
10
Die Feststellungen des Landgerichts lassen indes die Prüfung nicht zu, welche Hilfeleistung für die Angeklagte möglich und zumutbar gewesen wäre. Die Urteilsgründe belegen insbesondere nicht, dass und wie die Angeklagte in beiden Fällen die Mitangeklagten erfolgreich dazu hätte bewegen können, die Misshandlungen zu unterlassen bzw. zu beenden. Angesichts dessen, dass die - zudem ebenfalls - alkoholisierte Angeklagte in beiden Fällen einer Mehrzahl von - zudem überwiegend einschlägig vorbestraften - Mitangeklagten gegenüberstand und insbesondere der in seiner Wesensart dominante Mitangeklagte T. „Widerworte“ nicht duldete, versteht sich die Annahme zumutbaren Eingreifens nicht von selbst. Allein der Umstand, dass die Angeklagte Mieterin der Wohnung gewesen ist, in der die Misshandlungen jeweils stattgefunden haben, besagt für sich genommen noch nichts (vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1982 - 3 StR 34/82, BGHSt 30, 391, 396 f.).
11
2. Revision der Angeklagten C.
12
Die Überprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil dieser Angeklagten ergeben. Dagegen kann die Versagung der Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat zur Bewährung keinen Bestand haben. Die Straf- kammer hat bei ihrer Sozialprognose entscheidend zu Lasten der Angeklagten gewertet, sie sei "Bewährungsversagerin" (UA S. 153). Wenn damit - wie üblich - gemeint sein sollte, sie habe die Tat während einer laufenden Bewährungsfrist begangen, so wird dies von den getroffenen Feststellungen nicht getragen (UA S. 11, 12). Dass die Aussetzung der Vollstreckung einer Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 15. November 2000 widerrufen worden ist und insoweit ein Bewährungsversagen gegeben ist, rechtfertigt ohne nähere Darlegung, zu welchem Zeitpunkt die Bewährung widerrufen worden ist und worauf dies gestützt worden war, nicht die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Januar 1992 - 4 StR 509/91, insoweit in NStZ 1992, 233 nicht abgedruckt).
13
Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird eine die konkreten Gegebenheiten des Falles berücksichtigende Gesamtwürdigung (§ 56 Abs. 1 Satz 2 StGB) vorzunehmen haben.
14
3. Revision der Angeklagten P. -U.
15
Die Überprüfung des Schuldspruchs und der Strafaussprüche in den Fällen II. 7. und II. 9. der Urteilsgründe hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil dieser Angeklagten ergeben.
16
Das Rechtsmittel führt zur Urteilsaufhebung hinsichtlich der im Fall II. 8. der Urteilsgründe angeführten Einzelstrafe von sechs Monaten, weil ein entsprechender Schuldspruch weder verkündet wurde noch im Tenor der Urteilsurkunde enthalten ist. Somit fehlt eine Grundlage für die verhängte Einzelstrafe (vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Oktober 2014 - 2 StR 215/14).
17
Ein offensichtliches Verkündungs- bzw. Fassungsversehen, wonach eine - vom Generalbundesanwalt beantragte - ausnahmsweise Ergänzung der Ur- teilsformel zulässig wäre, liegt hier nicht vor. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind "offensichtlich" nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss - auch ohne Berichtigung - eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (vgl. Senat, Urteil vom 14. Januar 2015 - 2 StR 290/14, BGHR StPO § 267 Urteilsberichtigung 1 mwN).
18
Zwar wird ein - der Angeklagten insoweit auch mit Anklage zur Last gelegtes - Geschehen einer (vorsätzlichen) Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen Z. am 14. April 2015 in den Urteilsgründen unter II. 8. im Rahmen des festgestellten Sachverhaltes (UA S. 69 f.), bei der Beweiswürdigung (UA S. 141 f.) und bei den Erwägungen zur Strafzumessung (UA S. 158) wiedergegeben , doch weder in der verkündeten Urteilsformel, die auch dem schriftlichen Urteilstenor entspricht, noch bei der rechtlichen Würdigung erwähnt oder in der Liste der angewendeten Vorschriften berücksichtigt. Angesichts dieser Unzulänglichkeiten und Auslassungen im Urteil ist nicht mehr eindeutig erkennbar , was das Gericht insoweit tatsächlich gewollt und entschieden hat, der Ur- teilstenor mithin nicht mehr „offensichtlich“ unrichtig.
19
Da der nicht abgeurteilte Fall II. 8. der Urteilsgründe beim Revisionsgericht nicht anhängig geworden ist, unterliegt er noch der Kognition des Landgerichts (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25. Juni 1993 - 3 StR 304/93, BGHR StPO § 260 Urteilsspruch 1; Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 260 Rdn. 27, 36; Ott in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 260 Rdn. 18; Meyer-Goßner in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rdn. 10), das insoweit neue Feststellungen zu treffen haben wird.
20
Mit der Aufhebung der im Fall II. 8. der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafe entfällt auch die Gesamtstrafe, die aus den verbleibenden für die Fälle II. 7. und II. 9. der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei erkannten Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monaten sowie von vier Monaten nicht gebildet werden kann (vgl. § 54 Abs. 2 StGB). Krehl Eschelbach Zeng Bartel Wimmer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 471/16
vom
22. November 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt
ECLI:DE:BGH:2016:221116B1STR471.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 22. November 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 10. Juni 2016 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Urteilstenor dahingehend berichtigt wird, dass der Angeklagte des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 37 Fällen schuldig ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt in 38 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Es hat weitergehend festgestellt, dass von der Gesamtfreiheitsstrafe vier Monate als vollstreckt gelten. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten gegen das Urteil führt lediglich zu der Berichtigung des Urteilstenors und bleibt im Übrigen ohne Erfolg im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die vom Senat entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts vorgenommene Berichtigung des Urteilstenors hinsichtlich der Anzahl der Taten ist zulässig, weil es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen in dem Sinne handelt, dass dem Landgericht ein Fehler allein bei der Zählung der abgeurteilten Fälle unterlaufen ist. Ein solcher Zählfehler darf berichtigt werden, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Änderung des Urteils begründen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2006 – 2 StR 562/05 mwN). So liegt es hier. Da das Landgericht in den Urteilsgründen auch nur von 37 Fällen ausgegangen ist, kann ausgeschlossen werden, dass sich der Tenorierungsfehler auf den Strafausspruch ausgewirkt hat. Graf Jäger Cirener Mosbacher Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 290/14
vom
14. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Nebenklagevertreterin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 28. Februar 2014 im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 5. der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen (Fälle II. 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe) sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (Fall II. 5. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand.
3
2. Der Einzelstrafausspruch zu Fall II. 5. der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken; im Übrigen weist die Strafzumessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
4
a) Die Zumessung der Einzelstrafen ist rechtsfehlerhaft.
5
aa) Die von der Strafkammer wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verhängten Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten (Fälle II. 1. - 4. der Urteilsgründe) und einem Jahr (Fall II. 6. der Urteilsgründe) bewegen sich nicht in dem gemäß § 176a Abs. 2 StGB vorgesehenen Strafrahmen von zwei bis 15 Jahren, von dessen Regelwirkung auch die Strafkammer ausgegangen ist.
6
bb) Im Fall II. 5. der Urteilsgründe, dem ein sexueller Missbrauch eines Kindes zugrunde lag, hat die Strafkammer eingangs ausgeführt, dass der Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB von zwei bis 15 Jahren zugrunde zu legen sei. Abschließend hat sie zwar dargelegt, dass wegen der unter Ziffer II. 5. festgestellten Tat von dem Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB auszugehen sei, der eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsehe. Es ist gleichwohl zu besorgen, dass die Strafkammer bei der Festsetzung der Einzelstrafe zu Fall II. 5. rechtsfehlerhaft den Strafrahmen des § 176a Abs. 2 StGB zugrunde gelegt oder sich jedenfalls nicht im Klaren darüber war, welcher Strafrahmen ihr für die Verhängung der Einzelstrafe zur Verfügung gestanden hat. Dafür spricht, dass die Strafkammer auch bei Bemessung der Einzelstrafen in den Fällen II. 1. - 4. und II. 6. den von ihr selbst bestimmten Strafrahmen aus dem Auge verloren hat und dass die im Fall II. 5. für den sexuellen Missbrauch verhängte Einzelstrafe von vier Jahren in keinem angemessenen Verhältnis zu den in den Fällen des schweren sexuellen Missbrauchs verhängten Einzelstra- fen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr steht. Denn während dem Fall II. 5. die (bloße) Manipulation am Geschlechtsteil des Angeklagten zugrunde lag, betreffen die demgegenüber milder bestraften Fälle II. 1. - 4. und II. 6. das Eindringen mit dem Finger bzw. die Vollziehung des Beischlafs, also grundsätzlich schwerere Straftaten. Gleichwohl ist die vergleichsweise hohe Bestrafung im Fall II. 5. jenseits der in allen Fällen allgemein berücksichtigten strafschärfenden Umstände nicht besonders begründet worden, was aber erforderlich gewesen wäre.
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b) Die Strafkammer hat zwar nach Eingang der Revisionsbegründung, in der insbesondere die rechtsfehlerhafte Strafzumessung im Fall II. 5. der Urteilsgründe gerügt wird, mit Beschluss vom 28. Mai 2014 die Urteilsgründe dahingehend berichtigt, dass sie in den Fällen II. 1. - 4. tatsächlich Einzelstrafen von jeweils zwei (statt einem) Jahren und sechs Monaten, im Fall II. 5. eine Einzelstrafe von einem (statt vier) Jahren und im Fall II. 6. eine solche von vier (statt einem) Jahr verhängt habe. Die nachträgliche Berichtigung der Urteilsgründe ist jedoch unwirksam.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen, sobald ein Urteil vollständig verkündet worden ist, nur noch offensichtliche Schreibversehen und offensichtliche Unrichtigkeiten berichtigt werden (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. Juni 1953 - 1 StR 508/52, BGHSt 5, 5, 10; Beschluss vom 28. Mai 1974 - 4 StR 633/73, BGHSt 25, 333, 336). "Offensichtlich" im Sinne dieser Rechtsprechung sind aber nur solche Fehler, die sich ohne weiteres aus der Urkunde selbst oder aus solchen Tatsachen ergeben, die für alle Verfahrensbeteiligten klar zu Tage treten und auch nur den entfernten Verdacht einer späteren sachlichen Änderung ausschließen. Es muss - auch ohne Berichtigung - eindeutig erkennbar sein, was das Gericht tatsächlich gewollt und entschieden hat. Bei dieser Prüfung ist ein strenger Maßstab anzulegen, um zu verhindern, dass mit einer Berichtigung eine unzulässige Abänderung des Urteils einhergeht (BGH, Urteil vom 3. Februar 1959 - 1 StR 644/58, BGHSt 12, 374, 376).
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Bei Anlegung dieses strengen Maßstabs fehlt es an einer offensichtlichen Unrichtigkeit der schriftlichen Urteilsgründe. Dass die Strafkammer in den Fällen II. 1. - 4. tatsächlich Einzelstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten und nicht - wie in den Urteilsgründen niedergelegt - von einem Jahr und sechs Monaten verhängen wollte, ergibt sich weder aus der Urteilsurkunde selbst noch aus sonstigen offenkundigen Tatsachen. Auch die mögliche Verwechslung der in den Fällen II. 5. und II. 6. festgesetzten Einzelstrafen drängt sich nicht derart auf, dass die Gefahr einer unzulässigen nachträglichen Abänderung der Urteilsurkunde auszuschließen wäre.
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Die mündliche Urteilsbegründung, auf die die Strafkammer für das von ihr tatsächlich Gewollte und Entschiedene in dem Berichtigungsbeschluss Bezug nimmt, wurde im Hinblick auf die Einzelstrafen weder im Hauptverhandlungsprotokoll festgehalten noch durch einen der Verfahrensbeteiligten bestätigt. Sie findet auch keine Stütze in den schriftlichen Urteilsgründen oder in sonstigen Tatsachen, die den Verdacht einer späteren sachlichen Änderung des Urteils ausschließen könnten. Der Zusammenhang der Strafzumessungserwägungen deutet vielmehr darauf hin, dass die Strafkammer - wie ausgeführt - bei der Bemessung der Einzelstrafen den jeweiligen Strafrahmen nicht klar vor Augen hatte. Die Strafzumessung lässt ebenso wenig erkennen, dass die Strafkammer die Einzelstrafen tatsächlich so - wie es im Berichtigungsbeschluss ausgeführt wird - gewollt und entschieden hat, denn die Höhe der verhängten Einzelstrafen wird weder begründet noch finden sich jenseits allgemeiner Erwägungen Hinweise dafür, dass und aus welchen Gründen die Straf- kammer die Einzelstrafen unterschiedlich hoch bemessen hat. Es kann daher nicht ohne vernünftigen Zweifel ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer schon bei der Entscheidung über die Festsetzung der Einzelstrafen Verwechslungen oder Missverständnissen unterlegen war.
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Da nur eine zulässige und damit wirksame Berichtigung geeignet ist, das schriftliche Urteil abzuändern, war nicht zunächst auf eine förmliche Zustellung des Berichtigungsbeschlusses durch das Landgericht hinzuwirken. Unzulässige Änderungen sind für das Revisionsgericht unbeachtlich. Sie führen nicht dazu, dass durch Zustellung des Berichtigungsbeschlusses die Revisionsbegründungsfrist erneut in Gang gesetzt würde (BGH, Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 310/90, NStZ 1991, 195).
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c) Soweit in den Fällen II. 1. - 4. und 6. der Urteilsgründe rechtsfehlerhaft unangemessen milde Einzelstrafen von einem Jahr und sechs Monaten bzw. einem Jahr festgesetzt worden sind, ist der Angeklagte nicht beschwert. Im Fall II. 5. kann demgegenüber nicht ausgeschlossen werden, dass die verhängte Einzelstrafe ohne die aufgezeigten Rechtsfehler milder ausgefallen wäre.
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3. Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs im Fall II. 5. zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich.
Fischer Appl Schmitt
Ott Zeng

(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.

(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.

(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.

(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.

(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.

(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 430/99
vom
17. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2
StPO am 17. März 2000 einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 16. Juni 1999 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, daß der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 36 (sechsunddreißig) Fällen verurteilt ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der allein erhobenen allgemeinen Sachrüge keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat. Der Senat berichtigt jedoch den Urteilstenor dahin, daß der Angeklagte wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 36 und nicht - wie es im verkündeten Urteilstenor heißt - 26 Fällen verurteilt ist. Diese Berichtigung wäre allerdings nicht zulässig, wenn das Landgericht bei der Urteilsverkündung tatsächlich nur 26 Fälle des sexuellen Mißbrauchs
von Kindern zum Gegenstand der Verurteilung gemacht, also 10 weitere Fälle übersehen hätte; dann müßte es bei der im Tenor genannten Zahl von 26 Fällen bewenden, da sich in diesem Fall die - angebliche - Berichtigung in Wahrheit als sachliche Ä nderung des anders beschlossenen Urteils darstellen würde. So verhält es sich hier aber nicht. Vielmehr handelt es sich um ein offensichtliches Verkündungsversehen in dem Sinne, daß dem Landgericht ein Fehler allein bei der Zählung der tatsächlich abgeurteilten Fälle unterlaufen ist; ein solcher Zählfehler darf berichtigt werden, wenn er für alle Verfahrensbeteiligten offensichtlich ist und seine Behebung darum auch nicht den entfernten Verdacht einer inhaltlichen Ä nderung des Urteils begründen kann (speziell zu Zählfehlern: BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 4; BGH, Beschl. v. 24. Januar 1997 - 1 StR 771/96; Engelhardt in KK 4. Aufl. § 260 Rdn. 13; Seibert NJW 1964, 239, allgemein zu den Voraussetzungen einer Berichtigung: BGHR StPO § 267 Berichtigung 2 S. 2 f m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle gegeben. Nach den Urteilsgründen hat der Angeklagte in 36 Fällen sexuellen Mißbrauch von Kindern begangen (15 Taten zum Nachteil des Kindes T. , 21 Taten zum Nachteil des KindesS. ) und ist für jede dieser Taten mit einer Einzelstrafe belegt worden. Es kann dahingestellt bleiben , ob allein der Umstand, daß in den Urteilsgründen mehr Taten festgestellt, bewertet und sanktioniert worden sind, als es dem verkündeten Urteilstenor entspricht, schon dazu berechtigen würde, einen offensichtlichen Zählfehler anzunehmen. Hier jedenfalls kommt hinzu, daß einerseits der Vertreter der Staatsanwaltschaft in seinem Schlußvortrag die Verhängung von Einzelstrafen für 47 Taten beantragt hatte, andererseits der Urteilstenor in 4 Fällen auf Freispruch und in weiteren 7 Fällen auf Verfahrenseinstellung lautete. Damit war für alle Verfahrensbeteiligten offenkundig, daß sich die Verurteilung des Ange-
klagten auf 36 Taten beziehen mußte und auch bezog, die im Urteilstenor genannte Zahl von 26 Fällen also nur auf einem Zählfehler beruhen konnte. Jähnke Niemöller Bode Otten Rothfuß