Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2019 - 1 StR 91/19

published on 22/10/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2019 - 1 StR 91/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 91/19
vom
22. Oktober 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:221019B1STR91.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 22. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten A. wird das Urteil des Landgerichts München I vom 11. Dezember 2018, soweit es ihn betrifft, aufgehoben,
a) soweit er wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrecht erhalten;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen vorsätzlichen Besitzes einer verbotenen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge hat keinen Bestand.

I.


3
Das Landgericht hat – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
Der nicht revidierende Mitangeklagte M. lagerte spätestens ab dem 4. Januar 2018 in der Putzkammer einer Spielothek ca. 830 Gramm eines Kokaingemischs mit einem Wirkstoffgehalt von 89,4 % Kokainhydrochlorid zum gewinnbringenden Weiterverkauf. Die Betäubungsmittel wurden am 5. Januar 2018 sichergestellt. Der Mitangeklagte M. ging irrtümlich davon aus, der Zeuge Ab. habe das Rauschgift an sich genommen. In der Folgezeit unterstützte der Angeklagte den Mitangeklagten bei dem Versuch, das Kokain von dem Zeugen Ab. zurückzuerlangen. So ließ er sich am 6. Januar 2018 von dem Zeugen das polizeiliche Sicherstellungsprotokoll zeigen, dessen Echtheit der Mitangeklagte M. bezweifelte. In der Nacht vom 7. auf den 8. Januar 2018 begaben sich der Mitangeklagte M. und der Angeklagte zur Wohnung des Zeugen Ab. , stellten diesen zur Rede und wollten ihn unter Druck setzen, um ihn zur Herausgabe des Rauschgifts zu bewegen. Dabei äußerte der Angeklagte, dass er und

M.

„das alles nicht glauben“ und man „eine Lösung finden“ müsse.
5
Das Landgericht hat hinsichtlich des Mitangeklagten M. ein einheitliches unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge angenommen. Diese Haupttat sei trotz polizeilicher Sicherstellung der Betäubungsmittel noch nicht beendet, so dass eine Beihilfe des Angeklagten daran möglich sei.

II.


6
Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht.
7
1. Die Haupttat des Mitangeklagten M. , zu der der Angeklagte Hilfe geleistet hat, erweist sich lediglich als versuchtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
8
Zwar liegt – wovon auch das Landgericht ausgegangen ist – in dem Lagern der Betäubungsmittel in der Spielothek mit dem Ziel des späteren gewinnbringenden Verkaufs ein vollendetes unerlaubtes Handeltreiben durch den Mitangeklagten M. vor. Durch den Umstand, dass dieser davon ausgegangen ist, der Zeuge Ab. habe das Rauschgift an sich genommen , ist es jedoch zu einer tatbestandsrelevanten Zäsur gekommen, da aus der Sicht des Mitangeklagten ein Verkauf der gegenständlichen Betäubungsmittel nicht mehr möglich war, vielmehr nunmehr zunächst der Besitz an dem Rauschgift wiedererlangt werden musste (vgl. zu einer ähnlichen Konstellation BGH, Beschluss vom 21. April 2015 – 4 StR 92/15). Damit liegt aber nach der Zäsur ein – infolge der Sicherstellung der Betäubungsmittel untauglicher – (erneuter ) Versuch des unerlaubten Handeltreibens vor. Für eine vergleichbare Sachverhaltsgestaltung, dass ein Täter sich die von ihm zum Verkauf bestimmten Betäubungsmittel durch Diebstahl beschaffen will, hierzu ansetzt, aber bereits vor Besitzerlangung des Rauschgifts scheitert, ist anerkannt, dass lediglich ein versuchtes Handeltreiben in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juni 2015 – 3 StR 182/15 Rn. 7 f.). Durch den Umstand, dass der Mitangeklagte M. davon ausging, der Zeuge habe das tatsächlich sichergestellte Rauschgift an sich genommen , unterscheidet sich die vorliegende Konstellation auch maßgeblich von den Fällen, in denen die Betäubungsmittel sichergestellt wurden, dem Täter dies nicht bekannt ist, er aber sein weiterhin auf Betäubungsmittelumsatz gerichtetes Tun fortsetzt (vgl. dazu Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 285 ff. mwN). Denn hier fehlt es nach der Zäsur an einer entsprechenden, auf Betäubungsmittelumsatz gerichteten Tätigkeit des Mitangeklagten M. .
9
2. Sind damit ein versuchtes Handeltreiben des Mitangeklagten M. und eine Beihilfe des Angeklagten zu dieser Haupttat gegeben, wäre weitergehend zu prüfen, ob beide gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 StGB durch einverständliches Nichtweiterhandeln strafbefreiend von dem Versuch des Handeltreibens zurückgetreten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 621/11 Rn. 8 mwN; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 40a). Die – bisherigen – Feststellungen ermöglichen eine entsprechende Prüfung eines Rücktritts nicht.
10
3. Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des – tatmehrheitlichen – Schuldspruchs wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäu- bungsmitteln in nicht geringer Menge. Dies entzieht ohne Weiteres der für diesen Fall verhängten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe die Grundlage.
11
Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich lediglich um einen Wertungsfehler handelt (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen können getroffen werden, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.

III.


12
Die Aufhebung ist nicht gemäß § 357 StPO auf den Mitangeklagten M. zu erstrecken. Zwar liegt bezogen auf dessen Strafbarkeit derselbe Rechtsfehler vor, der sich jedoch nicht auswirken würde, weil es sich bei ihm möglicherweise um eine mitbestrafte Nachtat handelte, durch die im Blick auf dieselbe Handelsmenge kein zusätzliches Tatunrecht verwirklicht wurde. Zudem ist vor dem Hintergrund, dass – vor der Zäsur – ein vollendetes Handeltreiben durch den Mitangeklagten vorliegt und dieser auch nur wegen dieser Straftat verurteilt worden ist, unter den besonderen Umständen des Falls auszuschließen, dass sich die Aufhebungserstreckung zu Gunsten des Mitangeklagten auswirken könnte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Januar 2002 – 1 StR 564/01 Rn. 5 und vom 3. Mai 1991 – 3 StR 112/91 Rn. 6; KK/Gericke, StPO, 8. Aufl., § 357 Rn. 17).
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.