Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:180716UANWZ.BRFG.22.15.0
bei uns veröffentlicht am18.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 27. Februar 2015 (AGH 3/14 (I)) abgeändert. Der Bescheid der Beklagten vom 19. März 2014 (C/635/2013) wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen eine ihm durch die Beklagte mit Bescheid vom 19. März 2014 erteilte missbilligende Belehrung wegen eines Pflichtverstoßes gegen § 11 Abs. 2 BORA. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2

Der Kläger wurde am 28. März 2012 von Frau G.   W.   mit der Vertretung in einer erbrechtlichen Angelegenheit mit vier Erben beauftragt. Mit Schreiben vom 21. März 2013 übersandte er Frau W.   einen Erbauseinandersetzungsvertrag, nachdem ein erstes, ebenfalls diesen Vertrag enthaltendes Schreiben des Klägers vom 17. Dezember 2012 Frau W.   nicht zugegangen war. Frau W.   reichte mit Schreiben vom 31. März 2013 vier, ihr vom Kläger übermittelte Vertragsexemplare unterschrieben zurück und bat den Kläger bei der Zusendung der Vertragsexemplare an die beteiligten Parteien um Erwähnung, dass ihr der Vertrag erstmals am 23. März 2013 zugegangen sei. Daraufhin übersandte der Kläger, ohne dieser Bitte nachzukommen, die Vertragsexemplare mit Schreiben vom 5. April 2013 an die Gegenseite mit der Bitte um Rückübersendung dreier gegengezeichneter Ausfertigungen. Frau W.   bat den Kläger mit ihm am 9. April 2013 zugegangenem Schreiben vom 8. April 2013 erneut, die Miterben über den Posteingang des Erbauseinandersetzungsvertrags am 23. März 2013 zu unterrichten. Weiterhin sei für sie die dreifache Ausfertigung des Vertrags als Rücksendung nicht verständlich. Sie bitte um Prüfung der Angelegenheiten. Der Kläger antwortete auf dieses Schreiben nicht. Am 21. April 2013 übersandte der neue Verfahrensbevollmächtigte von Frau W.   dem Kläger per Telefax ein Kündigungsschreiben vom 18. April 2013 betreffend das Mandatsverhältnis mit Frau W.   .

3

Mit Schreiben vom 2. September 2013 beschwerte sich Frau W.   bei der Beklagten über den Kläger. Nach Anhörung des Klägers belehrte ihn die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 19. März 2014 darüber, dass jede Anfrage eines Mandanten unverzüglich zu beantworten sei, unabhängig davon, ob diese als unwichtig angesehen werde. Sie warf ihm vor, gegen § 11 Abs. 2 BORA verstoßen zu haben, indem er auf das Schreiben der Frau W.   vom 8. April 2013 nicht geantwortet habe, obwohl diese um Erläuterung der Übersendung der dreifachen Ausfertigung des Vertrags gebeten habe.

4

Gegen die ihm am 22. März 2014 zugestellte Belehrung vom 19. März 2014 hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen.

5

Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung des Bescheides vom 19. März 2014. Er ist der Auffassung, in dem Mandantenschreiben vom 8. April 2013 sei keine Anfrage gestellt worden, die zu beantworten gewesen sei. Auch die Ausführungen des Anwaltsgerichtshofs zur Unverzüglichkeit der Beantwortung einer Anfrage seien unzutreffend. Insofern sei von einer Mindestfrist von zwei Wochen auszugehen. Er habe sich vom 15.-17. April 2013 einem stationären Krankenhausaufenthalt unterziehen müssen. Daher habe er selbst unter Zugrundelegung der vom Anwaltsgerichtshof errechneten Frist von zehn Tagen nicht rechtzeitig reagieren können. Soweit der Anwaltsgerichtshof darauf abhebe, er, der Kläger, habe ohnehin nicht beabsichtigt, auf das Schreiben vom 8. April 2013 zu reagieren, führe dies zu einer Art "Gesinnungsstrafrecht", das in § 11 Abs. 2 BORA keinen Niederschlag finde.

6

Der Anwaltsgerichtshof könne seine Entscheidung nicht auf den Vorwurf stützen, der Kläger habe des Weiteren gegen § 11 Abs. 2 BORA verstoßen, weil er seiner Mandantin nicht erläutert habe, warum er ihrer Bitte, die Gegenseite vom verspäteten Zugang des Erbauseinandersetzungsvertrags in Kenntnis zu setzen, nicht nachgekommen sei. Denn dieser Vorwurf sei nicht Gegenstand der in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten ausgesprochenen Missbilligung gewesen. Zudem handele es sich auch insoweit um keine Anfrage der Mandantin.

7

Die Beklagte vertritt die Auffassung, der Anwaltsgerichtshof habe das Schreiben der Mandantin des Klägers vom 8. April 2013 zutreffend als Anfrage im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA gewertet. Die Mandantin habe sowohl eine Erläuterung erwartet, warum der Kläger die Gegenseite um Rücksendung nur von drei unterzeichneten Ausfertigungen gebeten habe, als auch eine Begründung, warum er ihrer Bitte nicht nachgekommen sei, die Gegenseite über die erstmalige Zustellung des Erbauseinandersetzungsvertrags am 23. März 2013 zu informieren.

8

Der Anwaltsgerichtshof sei auch zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger seine Pflicht zur unverzüglichen Beantwortung gemäß § 11 Abs. 2 BORA verletzt habe. Unverzüglich in diesem Sinne sei eine Beantwortung nur, wenn sie innerhalb einer Woche, spätestens innerhalb von zehn Tagen erfolge. Die vom Kläger vorgelegte Bestätigung des J.   Krankenhauses B.   über eine stationäre Behandlung vom 15.-17. April 2013 führe zu keiner anderen Sichtweise. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der Kläger vorgetragen habe, dass er eine Beantwortung der Anfrage seiner Mandantin nicht für erforderlich gehalten habe und die Anfrage nicht beantwortet hätte. Dabei handele es sich nicht um einen hypothetischen, sondern um einen tatsächlich festgestellten Verstoß gegen § 11 Abs. 2 BORA. Dies gelte auch, weil die Pflicht zur Beantwortung der im Rahmen des laufenden Mandats erfolgten Anfrage durch die Mandatskündigung nicht erledigt sei, sondern fortbestehe.

Entscheidungsgründe

9

Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 2, 3 VwGO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.

I.

10

Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 VwGO) statthaft. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, so kann er diesen auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied eine derartige missbilligende Belehrung, so stellt diese eine hoheitliche Maßnahme dar, die geeignet ist, den Rechtsanwalt in seinen Rechten zu beeinträchtigen; als solche ist sie anfechtbar (BGH, Beschluss vom 25. November 2002 - AnwZ (B) 41/02, BGHZ 153, 61, 62 f.; BGH, Urteile vom 26. Oktober 2015 - AnwZ (Brfg) 25/15, juris Rn. 9; vom 6. Juli 2015 - AnwZ (Brfg) 24/14, juris Rn. 11 und vom 23. April 2012 - AnwZ (Brfg) 35/11, AnwBl. 2012, 769 Rn. 5).

II.

11

Das im Bescheid der Beklagten vom 19. März 2014 beschriebene Verhalten des Klägers verstieß nicht gegen § 11 Abs. 2 BORA.

12

1. Nach § 11 Abs. 2 BORA sind Anfragen des Mandanten unverzüglich zu beantworten. In dem angefochtenen Bescheid wirft die Beklagte dem Kläger vor, gegen § 11 Abs. 2 BORA verstoßen zu haben, indem er auf das Schreiben der Frau W.   vom 8. April 2013 nicht geantwortet habe, obwohl diese um Erläuterung der Übersendung der dreifachen Ausfertigung des (Erbauseinandersetzungs-)Vertrags gebeten habe. Dieser Vorwurf ist nicht gerechtfertigt:

13

a) Allerdings ist der Anwaltsgerichtshof zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Mandantenschreiben vom 8. April 2013 um eine Anfrage im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA handelt. Das darin geäußerte Unverständnis der dreifachen Vertragsausfertigung als Rücksendung und die hiermit verbundene Bitte um Prüfung der Angelegenheit ließen unmissverständlich erkennen, dass die Mandantin des Klägers von ihm nicht nur eine Prüfung, sondern anschließend auch eine Erklärung der Rücksendung von drei Vertragsausfertigungen und mithin eine Antwort erwartete. Eine besondere Satzstellung und die Verwendung eines Fragezeichens sind - entgegen der Auffassung des Klägers - zur Annahme einer "Anfrage" im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA nicht erforderlich. Vielmehr ist es ausreichend, wenn - wie vorliegend - aus der Äußerung des Mandanten deutlich wird, dass dieser eine Antwort des Rechtsanwalts erwartet.

14

b) Dem Kläger ist jedoch nicht vorzuwerfen, die Anfrage seiner Mandantin vom 8. April 2013 nicht unverzüglich im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA beantwortet zu haben.

15

Die Anfrage eines Mandanten wird unverzüglich beantwortet, wenn die Antwort ohne schuldhaftes Zögern erfolgt (§ 11 Abs. 2 BORA in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), d.h. nach Ablauf einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist (Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 43 BRAO/§ 11 BORA Rn. 18, 34; Schwärzer in Feuerich/Weyland, BRAO, 9. Aufl., § 11 BORA Rn. 5, 8; vgl. zu § 121 BGB: BGH, Beschluss vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04, NJW 2005, 1869; Palandt/Ellenberger, BGB, 75. Aufl., § 121 Rn. 3).

16

aa) Vorliegend ist der Zeitraum vom 9. April 2013 (Dienstag; Zugang des Mandantenschreibens vom 8. April 2013) bis zum 21. April 2013 (Sonntag; Zugang der Mandatskündigung) zu betrachten.

17

Jedenfalls aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falls hatte sich die an den Kläger zur dreifachen Vertragsausfertigung gestellte Anfrage der Mandantin mit der Beendigung des Mandats am 21. April 2013 erledigt (zur Frage, ob § 11 Abs. 2 BORA auch für nach Mandatsbeendigung erfolgende Anfragen von Mandanten gilt, vgl. Zuck aaO Rn. 32; Römermann/Günther in BeckOKBORA, § 11 Rn. 15 [01.01.2015]). Die Mandantin hatte bereits einen anderen Rechtsanwalt mandatiert und dürfte, nachdem der andere Rechtsanwalt nicht seinerseits die Anfrage aufgriff, vom Kläger keine Auskunft mehr erwartet haben, zumal die Erbsache - ausweislich ihres an die Beklagte gerichteten Schreibens vom 2. September 2013 - nach dem Anwaltswechsel innerhalb von drei bis vier Tagen abgeschlossen wurde.

18

Ein hypothetisches Verhalten des Klägers in Gestalt einer von ihm von Anfang an beabsichtigten Nichtbeantwortung der Mandantenanfrage hat außer Betracht zu bleiben. Denn nur ein tatsächlich erfolgter objektiver Verstoß gegen die Pflicht aus  § 11 Abs. 2 BORA, nicht hingegen ein lediglich subjektiv beabsichtigter, indes bis zur Erledigung der Pflicht mangels Zeitablaufs nicht begangener Verstoß vermag eine missbilligende Belehrung zu begründen.

19

bb) Die Anfrage vom 8. April 2013 betreffend die Rücksendung von drei Vertragsausfertigungen war - entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs - nicht von besonderer Eilbedürftigkeit und Bedeutung. Zwar war, wie aus dem Schreiben vom 8. April 2013 erkennbar wird, die Information der anderen Erben über den erst späten Posteingang des Erbauseinandersetzungsvertrags bei der Mandantin des Klägers für letztere wichtig. Dies gilt indes nicht für die anlässlich des vorgenannten Anliegens eher beiläufig erfolgende Äußerung der Mandantin, "weiterhin" sei die dreifache Vertragsausfertigung als Rücksendung nicht verständlich. Der Kläger durfte diese Anfrage dahin verstehen, dass ihre Beantwortung nicht umgehend erwartet wurde.

20

cc) Ob, wie die Beklagte meint, eine im Zeitraum vom 9.-21. April 2013 nicht erfolgte Antwort auf die Anfrage eines Mandanten als schuldhaft verzögert im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA in Verbindung mit § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB anzusehen ist, kann offen bleiben. Denn eine nicht unverzüglich erfolgte Antwort ist vorliegend jedenfalls angesichts des Krankenhausaufenthalts des Klägers vom 15.-17. April 2013 zu verneinen. Der Kläger hat mit der Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung die Ablichtung eines Schreibens des J.   Krankenhauses B.   vom 17. April 2013 vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass er sich dort vom 15.-17. April 2013 in stationärer Behandlung befand. Sein insoweit neuer Vortrag ist gemäß § 112e Satz 2 BRAO, § 128 Satz 2 VwGO zu berücksichtigen und dem Berufungsverfahren zugrunde zu legen.

21

Angesichts der durch den Krankenhausaufenthalt bedingten Abwesenheit des Klägers ergibt sich im Hinblick auf seine Pflicht nach § 11 Abs. 2 BORA Folgendes:

22

Die Beantwortung der - nicht besonders eilbedürftigen - Anfrage vom 8. April 2013 hatte, um das Erfordernis der Unverzüglichkeit im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA zu wahren, noch nicht bis zum Beginn des Krankenhausaufenthalts des Klägers am 15. April 2013, d.h. innerhalb von vier Tagen nach Eingang der Anfrage am 9. April 2013 bis Sonntag, den 14. April 2013, zu erfolgen.

23

Ein schuldhaftes Zögern kann auch nicht darin gesehen werden, dass der Kläger nach Rückkehr aus dem Krankenhaus und Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am 18. April 2013 (Donnerstag) nicht an diesem Tag und den folgenden zwei Tagen bis zum Zugang der Kündigung des Mandatsverhältnisses am Sonntag, dem 21. April 2013, die Anfrage seiner Mandantin beantwortet hat. Vielmehr wäre in Anbetracht des zu diesem Zeitpunkt seit dem Zugang der Anfrage verstrichenen Zeitraums von insgesamt sieben Tagen (unter Abzug der Dauer des Krankenhausaufenthalts), seiner Unterbrechung durch den Krankenhausaufenthalt und der fehlenden besonderen Eilbedürftigkeit der Anfrage zumindest eine Beantwortung am ersten Werktag der Folgewoche, d.h. am 22. April 2013, noch unverzüglich im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA gewesen. Ab diesem Tag war indes - wie ausgeführt - eine Beantwortung der Anfrage angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Beendigung des Mandats und der Neumandatierung eines anderen Rechtsanwalts nicht mehr erforderlich.

24

2. Soweit der Anwaltsgerichtshof dem Kläger vorwirft, er habe gegenüber seiner Mandantin auch nicht erläutert, warum er ihrer Bitte nicht entsprochen habe, die Gegenseite darauf hinzuweisen, dass ihr der Erbauseinandersetzungsvertrag erstmals per Post am 23. März 2013 zugegangen sei, ist bereits fraglich, ob es sich bei der Bitte der Mandantin überhaupt um eine Anfrage im Sinne von § 11 Abs. 2 BORA handelte und nicht um eine schlichte Handlungsanweisung. Der vorgenannte Vorwurf ist darüber hinaus nicht Gegenstand der missbilligenden Belehrung der Beklagten vom 19. März 2014. Er durfte daher vom Anwaltsgerichtshof im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der missbilligenden Belehrung nicht herangezogen werden. Denn durch einen andernfalls erfolgenden Austausch der Begründung des angefochtenen Bescheids durch das Gericht erhielte der - an einen bestimmten Sachverhalt anknüpfende - Bescheid einen anderen Regelungsgehalt und würde in seinem Wesen verändert (vgl. zum unzulässigen Nachschieben von Gründen durch die (belehrende) Rechtsanwaltskammer: Senat, Urteil vom 23. April 2012 - AnwZ (Brfg) 35/11, AnwBl. 2012, 769 Rn. 16 f. mwN). Die mit einem nicht zutreffenden Verhaltensvorwurf begründete missbilligende Belehrung würde mit einem gänzlich neuen Verhaltensvorwurf aufrechterhalten. Ein solches Nachschieben von Gründen ist bereits nicht zulässig, wenn es seitens der Rechtsanwaltskammer erfolgt (Senat, Urteil vom 23. April 2012 aaO). Es ist erst recht nicht zulässig, wenn es im Anfechtungsprozess seitens des Gerichts vorgenommen wird (zu den Grenzen der "selbständigen Rechtsanwendung durch das Gericht" vgl. Gerhardt in Schoch/Schneider/Bier, VwGO Stand Mai 1997, § 113 Rn. 21, Fn. 112 mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 113 Rn. 60).

III.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.

Limperg                        Bünger                        Remmert

                 Braeuer                         Merk

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15 zitiert 14 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 42


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 121 Anfechtungsfrist


(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rech

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 112c Anwendung der Verwaltungsgerichtsordnung


(1) Soweit dieses Gesetz keine abweichenden Bestimmungen über das gerichtliche Verfahren enthält, gelten die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Der Anwaltsgerichtshof steht einem Oberverwaltungsgericht gleich; § 112e bleibt unb

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 194 Streitwert


(1) Der Streitwert bestimmt sich nach § 52 des Gerichtskostengesetzes. Er wird von Amts wegen festgesetzt. (2) In Verfahren, die Klagen auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder deren Rücknahme oder Widerruf betreffen, ist ein Streitwert von 50 0

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 112e Berufung


Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile, Grundurteile und Zwischenurteile über die Zulässigkeit steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Anwaltsgerichtshof oder vom Bundesgerichtshof zugelassen wird. Für das Berufungsverfahren gilt

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 128


Das Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht. Es berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel.

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 73 Aufgaben des Vorstandes


(1) Der Vorstand hat die ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Ihm obliegen auch die der Rechtsanwaltskammer in diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse. Er hat die Belange der Kammer zu wahren und zu fördern. (2) Dem Vors

Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO | § 112a Rechtsweg und sachliche Zuständigkeit


(1) Der Anwaltsgerichtshof entscheidet im ersten Rechtszug über alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nach diesem Gesetz, nach einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung oder nach einer Satzung einer Rechtsanwaltskammer oder der

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 15. März 2005 - VI ZB 74/04

bei uns veröffentlicht am 15.03.2005

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZB 74/04 vom 15. März 2005 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 406 Abs. 2 Ergibt sich der Grund zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit aus d

Bundesgerichtshof Urteil, 26. Okt. 2015 - AnwZ (Brfg) 25/15

bei uns veröffentlicht am 26.10.2015

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 27. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juli 2015 - AnwZ (Brfg) 24/14

bei uns veröffentlicht am 06.07.2015

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 4. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 17. Februar 2014 wird zurückgewiesen.
3 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2016 - AnwZ (Brfg) 22/15.

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2017 - AnwZ (Brfg) 45/15

bei uns veröffentlicht am 03.07.2017

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 2015 wird zurückgewiesen.

Bundesgerichtshof Urteil, 03. Juli 2017 - AnwZ (Brfg) 42/16

bei uns veröffentlicht am 03.07.2017

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des 1. Senats des Brandenburgischen Anwaltsgerichtshofs vom 1. August 2016 wird zurückgewiesen.

Bundesgerichtshof Urteil, 05. Dez. 2016 - AnwZ (Brfg) 31/14

bei uns veröffentlicht am 05.12.2016

Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7. März 2014 wird zurückgewiesen.

Referenzen

Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile, Grundurteile und Zwischenurteile über die Zulässigkeit steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Anwaltsgerichtshof oder vom Bundesgerichtshof zugelassen wird. Für das Berufungsverfahren gilt der Zwölfte Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Maßgabe, dass der Anwaltsgerichtshof an die Stelle des Verwaltungsgerichts und der Bundesgerichtshof an die Stelle des Oberverwaltungsgerichts tritt.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Der Anwaltsgerichtshof entscheidet im ersten Rechtszug über alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nach diesem Gesetz, nach einer auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnung oder nach einer Satzung einer Rechtsanwaltskammer oder der Bundesrechtsanwaltskammer, soweit nicht die Streitigkeiten anwaltsgerichtlicher Art oder einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (verwaltungsrechtliche Anwaltssachen).

(2) Der Bundesgerichtshof entscheidet über das Rechtsmittel

1.
der Berufung gegen Urteile des Anwaltsgerichtshofes,
2.
der Beschwerde nach § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

(3) Der Bundesgerichtshof entscheidet in erster und letzter Instanz

1.
über Klagen, die Entscheidungen betreffen, die das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz oder die Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof getroffen hat oder für die das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz oder die Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof zuständig ist,
2.
über die Nichtigkeit von Wahlen und Beschlüssen der Bundesrechtsanwaltskammer und der Rechtsanwaltskammer bei dem Bundesgerichtshof.

(1) Soweit dieses Gesetz keine abweichenden Bestimmungen über das gerichtliche Verfahren enthält, gelten die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Der Anwaltsgerichtshof steht einem Oberverwaltungsgericht gleich; § 112e bleibt unberührt.

(2) Die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter sowie die §§ 35, 36 und 47 der Verwaltungsgerichtsordnung sind nicht anzuwenden. Die Fristen des § 116 Abs. 2 und des § 117 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung betragen jeweils fünf Wochen.

(3) Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage endet abweichend von § 80b der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.

(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.

(1) Der Vorstand hat die ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Ihm obliegen auch die der Rechtsanwaltskammer in diesem Gesetz zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse. Er hat die Belange der Kammer zu wahren und zu fördern.

(2) Dem Vorstand obliegt insbesondere,

1.
die Mitglieder der Kammer in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren;
2.
auf Antrag bei Streitigkeiten unter den Mitgliedern der Kammer zu vermitteln; dies umfasst die Befugnis, Schlichtungsvorschläge zu unterbreiten;
3.
auf Antrag bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern der Kammer und ihren Auftraggebern zu vermitteln; dies umfasst die Befugnis, Schlichtungsvorschläge zu unterbreiten;
4.
die Erfüllung der den Mitgliedern der Kammer obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben;
5.
Rechtsanwälte für die Ernennung zu Mitgliedern des Anwaltsgerichts und des Anwaltsgerichtshofes vorzuschlagen;
6.
Vorschläge gemäß §§ 107 und 166 der Bundesrechtsanwaltskammer vorzulegen;
7.
der Kammerversammlung über die Verwaltung des Vermögens jährlich Rechnung zu legen;
8.
Gutachten zu erstatten, die eine Landesjustizverwaltung, ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde des Landes anfordert;
9.
bei der Ausbildung und Prüfung der Studierenden und der Referendare mitzuwirken, insbesondere qualifizierte Arbeitsgemeinschaftsleiter und die anwaltlichen Mitglieder der juristischen Prüfungsausschüsse vorzuschlagen.

(3) In Beschwerdeverfahren setzt der Vorstand die Person, die die Beschwerde erhoben hatte von seiner Entscheidung in Kenntnis. Die Mitteilung erfolgt nach Abschluss des Verfahrens einschließlich des Einspruchsverfahrens und ist mit einer kurzen Darstellung der wesentlichen Gründe für die Entscheidung zu versehen. § 76 Absatz 1 bleibt unberührt. Die Mitteilung ist nicht anfechtbar.

(4) Der Vorstand kann die in Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Nr. 1 bis 3 und Absatz 3 bezeichneten Aufgaben einzelnen Mitgliedern des Vorstandes übertragen.

(5) Beantragt bei Streitigkeiten zwischen einem Mitglied der Rechtsanwaltskammer und seinem Auftraggeber der Auftraggeber ein Vermittlungsverfahren, so wird dieses eingeleitet, ohne dass es der Zustimmung des Mitglieds bedarf. Ein Schlichtungsvorschlag ist nur verbindlich, wenn er von beiden Seiten angenommen wird.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 1. Senats des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs vom 27. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist ein im Bezirk der Beklagten zugelassener Rechtsanwalt. Mit Bescheid vom 7. Oktober 2013 erteilte die Beklagte dem Kläger einen belehrenden Hinweis wegen eines Pflichtverstoßes gegen § 12 BORA. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

2

Die Kanzlei des Klägers wurde im Winter 2012/2013 von den Eheleuten A.    mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen bezüglich eines Mietverhältnisses mit der S.           GmbH beauftragt. Für letztere hatte sich Rechtsanwalt Dr. Sch.    als anwaltlicher Vertreter angezeigt. Die Korrespondenz zwischen den anwaltlichen Vertretern beider Parteien erfolgte bis Ende 2012 / Anfang 2013.

3

Zwischen den Eheleuten A.    und der S.          GmbH wurden weitere Gespräche geführt. Mit Schreiben vom 22. März 2013 wurden die Eheleute A.    von der S.          GmbH wegen eines zwischenzeitlich aufgelaufenen Mietrückstands gemahnt und zur Zahlung des Fehlbetrags aufgefordert. Zudem wurde ihnen mitgeteilt, dass ab dem 1. April 2013 eine Miete von nunmehr 332 € von ihrem Konto abgebucht werde. Dem wurde von der Kanzlei des Klägers in einem direkt an die S.          GmbH gesandten Schreiben vom 28. März 2013 widersprochen. Das Schreiben wurde von Rechtsanwältin M.     unterzeichnet. Des Weiteren wurde ein Faksimile Stempel mit der Unterschrift des Klägers aufgebracht. Zugleich wurde ein Schreiben an Rechtsanwalt Dr. Sch.    versandt, mit dem auf den bisherigen Sach- und Streitstand eingegangen wurde. Das direkt an die S.          GmbH versandte Schreiben vom 28. März 2013 wurde nicht erwähnt.

4

Daraufhin rügte Rechtsanwalt Dr. Sch.     gegenüber der Beklagten das Verhalten der Kanzlei des Klägers. Nach Anhörung des Klägers belehrte die Beklagte den Kläger mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 7. Oktober 2013, dass jede Kontaktaufnahme mit dem in einem Verfahren anwaltlich vertretenen gegnerischen Mandanten zu unterbleiben habe und eine unmittelbare Kontaktaufnahme nur dann gerechtfertigt sei, wenn dem eigenen Mandanten wesentliche wirtschaftliche Nachteile drohten. Dies gelte auch dann, wenn eine inhaltliche Bearbeitung des Mandates durch den Mitunterzeichner nicht erfolgt sei.

5

Gegen die ihm am 8. Oktober 2013 zugestellte Belehrung vom 7. Oktober 2013 hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen (AnwBl. 2015, 525). Mit seiner vom Anwaltsgerichtshof zugelassenen Berufung begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung des Bescheides vom 7. Oktober 2013. Er ist der Auffassung, ein Verstoß gegen § 12 BORA könne nur bei vorsätzlicher Verletzung des Umgehungsverbots geahndet werden. Ihm sei weder das konkrete Mandat noch die Existenz des streitgegenständlichen Schreibens bekannt gewesen. Er habe somit auch nicht gewusst, dass der Gegner von einem Anwalt vertreten werde. Eine etwaige Pflichtwidrigkeit von Rechtsanwältin M.     sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen.

6

Ein schuldhaftes Handeln könne auch nicht aus seinem per Faksimile-Stempel aufgebrachten Schriftzug hergeleitet werden. Es sei an alle Mitarbeiter der Kanzlei eine ausdrückliche Vorgabe zur Handhabung des Stempels erfolgt. Alle Mitarbeiter seien über das Umgehungsverbot gemäß § 12 BORA belehrt worden. Damit habe er dem Missbrauch vorgebeugt. Ein Fehlverhalten des sachbearbeitenden Anwalts sei ihm nicht vorwerfbar. Allein das Inverkehrbringen des Faksimile-Stempels stelle keine Fahrlässigkeit dar. Da ein solcher Stempel weder den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO noch denen einer persönlichen Unterzeichnung genüge, sei seine missbräuchliche Anwendung faktisch ausgeschlossen. Zur Wahrung der Schriftform würden alle Schreiben vom sachbearbeitenden Rechtsanwalt unterzeichnet. Der Faksimile-Stempel werde nur zusätzlich aufgebracht.

7

Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Frage der Wirksamkeit rechtsgeschäftlicher oder prozessualer Erklärungen sei nicht entscheidend. Sanktioniert werde jede Art der Kontaktaufnahme unter Umgehung des Gegenanwalts. Es komme nicht darauf an, ob der Kläger über den Verfahrensablauf informiert gewesen sei. Durch das Zur-Verfügung-Stellen des Faksimile-Stempels habe er die Möglichkeit für einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot geschaffen und dies zumindest stillschweigend gebilligt. Ein Berufsrechtsverstoß könne auch fahrlässig begangen werden. Der Faksimile-Stempel solle den Eindruck höchstpersönlicher Bearbeitung durch den Kläger erwecken. Dieser habe im Einzelfall Sorge dafür zu tragen, dass die mit seinem Faksimile-Stempel versehenen Schreiben den berufsrechtlichen Vorschriften entsprächen. Ein Delegieren auf Dritte, auch unter Verwendung von Handlungsanweisungen, verbiete sich. Geschehe dies trotzdem, habe sich der Rechtsanwalt deren Handeln wie eigenes zurechnen zu lassen.

Entscheidungsgründe

8

Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 2, 3 VwGO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

I.

9

Die Klage ist als Anfechtungsklage (§ 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 42 VwGO) statthaft. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer in Wahrnehmung seiner Aufgaben fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, so kann er diesen auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren; er kann ihm auch aufgeben, das beanstandete Verhalten zu unterlassen. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer einem Kammermitglied eine derartige missbilligende Belehrung, so stellt diese eine hoheitliche Maßnahme dar, die geeignet ist, den Rechtsanwalt in seinen Rechten zu beeinträchtigen; als solche ist sie anfechtbar (BGH, Beschluss vom 25. November 2002 - AnwZ (B) 41/02, BGHZ 153, 61, 62 f.; BGH, Urteile vom 6. Juli 2015 - AnwZ (Brfg) 24/14, juris Rn. 11 und vom 23. April 2012 - AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039 Rn. 5).

10

Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage mit zutreffenden Gründen abgewiesen. Das im Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 2013 beschriebene Verhalten des Klägers verstieß gegen § 12 Abs. 1 BORA.

11

1. Der Anwaltsgerichtshof ist zu Recht davon ausgegangen, dass mit dem an die S.          GmbH gerichteten Schreiben der Kanzlei des Klägers vom 28. März 2013 unter Verstoß gegen § 12 Abs. 1 BORA unmittelbar mit einem Beteiligten im Sinne der vorgenannten Vorschrift Verbindung aufgenommen wurde. Hiergegen wendet sich der Kläger nicht.

12

2. Das Schreiben vom 28. März 2013 ist, wie der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend erkannt hat, als unmittelbare Kontaktaufnahme (auch) durch den Kläger anzusehen, d.h. ihm als eine solche Kontaktaufnahme zuzurechnen.

13

Zur Beantwortung der Frage, ob einem Rechtsanwalt ein bestimmtes, unmittelbar an die Gegenpartei gerichtetes Anwaltsschreiben zuzurechnen ist, ist der Schutzzweck des § 12 BORA heranzuziehen. Das Umgehungsverbot dient vorrangig dem Schutz des gegnerischen Mandanten. Hat dieser zur Wahrung seiner Rechte die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erachtet, so soll er davor geschützt sein, bei direkter Kontaktaufnahme durch den Rechtsanwalt der Gegenseite wegen fehlender eigener Rechtskenntnisse und mangels rechtlicher Beratung übervorteilt zu werden. Mit diesem Schutz vor Überrumpelung dient die Regelung einem fairen Verfahren und damit dem Gemeinwohlinteresse an einer geordneten Rechtspflege (BVerfG, NJW 2009, 829 Rn. 48; NJW 2001, 3325, 3326; BGH, Urteile vom 6. Juli 2015 aaO Rn. 15 und vom 8. Februar 2011 - VI ZR 311/09, NJW 2011, 1005 Rn. 6; Thümmel, NJW 2011, 1850, 1851; Böhnlein in Feuerich/Weyland, BRAO, 8. Aufl., § 12 BORA Rn. 1 mwN).

14

Der vorrangig dem Schutz des gegnerischen Mandanten dienende Zweck des Umgehungsverbots nach § 12 BORA gebietet es, bei der Zurechnung eines gegen § 12 BORA verstoßenden Anwaltsschreibens maßgeblich auf den Empfängerhorizont der - im Augenblick der Kenntnisnahme nicht anwaltlich beratenen - Gegenpartei abzustellen. Nicht maßgebend ist dagegen, ob das Anwaltsschreiben den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO oder den Voraussetzungen einer persönlichen Unterzeichnung genügt. Entscheidend ist vielmehr, ob aus Sicht der Gegenpartei das unter Verstoß gegen § 12 BORA an sie gerichtete Anwaltsschreiben einem bestimmten Rechtsanwalt zugerechnet werden kann. Hierzu genügte vorliegend, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, die Anbringung eines Faksimile-Stempels, der die Unterschrift des Klägers nachbildete. Denn für die S.        GmbH als Adressatin des Schreibens vom 28. März 2013 war nicht erkennbar, dass der Kläger an der Bearbeitung nicht beteiligt war. Sie musste im Gegenteil aufgrund des Faksimile-Stempels davon ausgehen, dass der Kläger der (Mit-)Verfasser des Schreibens war und dieses ihr mit seinem Einverständnis übermittelt wurde.

15

3. Der Kläger hat auch schuldhaft gegen § 12 BORA verstoßen.

16

a) Ein Verstoß gegen § 12 BORA kann fahrlässig begangen werden (AnwG Köln, AnwBl. 2010, 134, 136; Böhnlein in Feuerich/Weyland aaO § 12 BORA Rn. 10; Kleine-Cosack, BRAO, 7. Aufl., § 12 BORA Rn. 13; a.A. Hartung in Hartung, BORA/FAO, 5. Aufl., § 12 Rn. 27). Die Verletzung des Umgehungsverbots des § 12 BORA stellt einen wesentlichen Verstoß gegen anwaltliches Berufsrecht dar (Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 12 BORA Rn. 30; Hartung aaO Rn. 28; AnwG Köln aaO). Es ist kein Grund ersichtlich, den Schuldvorwurf auf vorsätzliches Handeln zu beschränken. Vielmehr genügt - wie bei der Verletzung anderer Berufspflichten - jedes schuldhafte Handeln und damit auch Fahrlässigkeit.

17

b) Der Kläger hat, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, fahrlässig gehandelt, indem er eine Anweisung dahingehend erteilt beziehungsweise es bewusst zugelassen hat, dass auf eine große Anzahl von ausgehenden Schreiben ein seinen Unterschriftenzug tragender Faksimile-Stempel aufgebracht wurde, ohne dass er selbst diese Schreiben zur Kenntnis nahm und auf die Einhaltung des Umgehungsverbots nach § 12 BORA überprüfte. Die von ihm ergriffenen Maßnahmen genügen nicht den Anforderungen, die an die von ihm zur Vermeidung eines Verstoßes gegen § 12 BORA zu beobachtende Sorgfalt zu stellen sind.

18

Die Sorgfalt, die im Hinblick auf die Vermeidung eines anwaltlichen Pflichtverstoßes anzuwenden ist, bestimmt sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls und insbesondere danach, ob durch ein vorangegangenes Verhalten des Rechtsanwalts eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder Gefahr eines solchen Pflichtverstoßes begründet worden ist. Vorliegend ist durch die Anweisung beziehungsweise das Einverständnis des Klägers betreffend die Anbringung des Faksimile-Stempels auf einer sehr großen Anzahl von ausgehenden Schreiben die Wahrscheinlichkeit maßgeblich erhöht worden, dass Verstöße gegen das Umgehungsverbot nach § 12 BORA (auch) ihm zuzurechnen sind. Die vom Kläger getroffenen organisatorischen Anweisungen entlasten ihn nicht.

19

aa) Dies gilt zunächst insoweit, als allen Mitarbeitern der Kanzlei vorgegeben wurde, dass kein Schreiben ausschließlich mit einem Faksimile-Stempel versehen werden darf und jedes Schreiben rechts neben dem Faksimile-Stempel des Klägers die Unterschrift des sachbearbeitenden Rechtsanwalts zu tragen hat. Der Senat verkennt nicht, dass hierdurch der sachbearbeitende Rechtsanwalt der Pflicht zur (Mit-)Prüfung unterworfen wird, ob die gegnerische Partei anwaltlich vertreten wird und das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu beachten ist. Die Einrichtung einer solchen zweifachen "Unterschrift" in der Kanzlei des Klägers ist von einer - allerdings kaum vorstellbaren - Kanzleiorganisation zu unterscheiden, die den Versand von ausschließlich mit einer Faksimile-Unterschrift versehenen, durch keinen Rechtsanwalt abschließend geprüften Schreiben zulässt und hierdurch eine besonders hohe Gefahr von Verstößen gegen berufsrechtliche Pflichten hervorruft.

20

Es ist indes gerade das vom Kläger eingerichtete beziehungsweise mit seinem Einverständnis eingerichtete System der - scheinbar - zweifachen anwaltlichen Unterzeichnung ausgehender Schreiben, das die ihn persönlich treffende Pflicht zur Prüfung von Verstößen gegen das Umgehungsverbot nach § 12 BORA begründet. Mit der Unterzeichnung - mit Ausnahme einfacher Mahnschreiben - aller ausgehenden Schreiben durch zwei Rechtsanwälte einschließlich des Klägers als Namensgeber der Rechtsanwaltskanzlei wird gegenüber den Adressaten der Schreiben der Eindruck einer persönlichen Bearbeitung durch beide Rechtsanwälte und damit der Eindruck einer mit erhöhter fachlicher Kompetenz erfolgten Bearbeitung hervorgerufen. Mag die Anbringung eines Faksimile-Stempels auch nicht - wie ausgeführt - den Formerfordernissen des § 130 Nr. 6 ZPO oder den Voraussetzungen einer persönlichen Unterzeichnung genügen, so übernimmt der Kläger damit doch die (Mit-)Verantwortung für derart gestempelte Schreiben und für die Einhaltung der mit ihnen einher gehenden berufsrechtlichen Pflichten. Der durch den Faksimile-Stempel gesetzte Schein einer persönlichen Bearbeitung und Prüfung ist mit einer völligen Verantwortungs- und Pflichtenfreiheit des Klägers für das betreffende Schreiben unvereinbar. Vielmehr begründet der auf Anweisung oder mit Einverständnis des Klägers angebrachte Faksimile-Stempel grundsätzlich die Pflicht des Klägers zur persönlichen Prüfung der Einhaltung aller mit dem entsprechenden Schreiben in Zusammenhang stehenden berufsrechtlichen Pflichten.

21

bb) Auch hat der Kläger nicht dadurch den ihn treffenden Sorgfaltspflichten genügt, dass alle Mitarbeiter über das Umgehungsverbot gemäß § 12 BORA belehrt und angewiesen wurden sicherzustellen, dass gegnerische Rechtsanwälte in die bestehenden Dateisysteme aufgenommen werden, und dass Sorge dafür zu tragen ist, dass die weitere Kommunikation mit der Gegenseite ausschließlich über den gegnerischen Rechtsanwalt ausgeführt wird. In Folge der Anbringung des Faksimile-Stempels auf seine Anweisung oder mit seinem Einverständnis übernahm der Kläger die (Mit-)Verantwortung für die gestempelten Schreiben. Ihn traf in Bezug auf diese Schreiben daher die persönliche, nicht delegierbare Pflicht der Einhaltung des berufsrechtlichen Umgehungsverbots nach § 12 BORA und zur entsprechenden Prüfung der Schreiben.

III.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 1, 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 2 GKG.

Limperg                       König                      Remmert

                 Martini                       Kau

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des 4. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 17. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er ist als Insolvenzverwalter tätig und wurde im Insolvenzverfahren über das Vermögen der M.            AG (fortan: Schuldnerin) zum Verwalter bestellt. Mit Schreiben vom 9. Oktober 2008 forderte er den damaligen Vorstand der Schuldnerin zur Rückgewähr eines Betrages von 4.250 € zur Masse auf. Daraufhin zeigte Rechtsanwalt R.    aus D.      dessen anwaltliche Vertretung an und bat, jeglichen Schriftverkehr über sein Büro zu führen. In einem weiteren Schreiben nahm er sachlich zu dem vom Kläger erhobenen Anspruch Stellung. Der Kläger verlangte mit einem erneut an den Vorstand persönlich gerichteten Schreiben vom 16. Dezember 2011 weiterhin die Rückgewähr von 4.250 €. Das Schreiben war auf dem Briefpapier der Anwaltskanzlei G.     & B.         verfasst. Es enthielt den Satz: "In meiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter fordere ich Sie hiermit dazu auf, den Betrag von insgesamt 4.250,00 an folgendes Anderkonto zu überweisen …". Unterschrieben war das Schreiben wie folgt: "C.   S.   , LL.M. Rechtsanwältin für Dr. H.    G.      Rechtsanwalt und vBP als Insolvenzverwalter".

2

Der Anwalt der Gegenseite beanstandete einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot des § 43 BRAO, § 12 BORA. Mit Bescheid vom 18. April 2013 erteilte der Vorstand der Beklagten dem Kläger einen belehrenden Hinweis,

"dass das Umgehungsverbot … auch im Rahmen der Tätigkeit als Partei kraft Amtes oder kraft Ernennung jedenfalls dann gilt, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Partei kraft Amtes nach außen als "Rechtsanwalt" auftritt und einen Zahlungsanspruch gegen einen in gleicher Sache anwaltlich vertretenen Dritten durchzusetzen sucht".

3

Der Kläger meint, er sei erkennbar als Insolvenzverwalter tätig geworden. Auf diese Tätigkeit sei § 12 BORA nicht anwendbar. Er hat beantragt,

den belehrenden Hinweis der Beklagten an den Kläger vom 18. April 2013 gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO, wonach das Umgehungsverbot des § 43 BRAO i.V.m. § 12 Abs. 1 BORA auch für einen Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes gilt, zumindest wenn er nach außen als "Rechtsanwalt" auftritt und einen Zahlungsanspruch gegen einen in gleicher Sache anwaltlich vertretenen Dritten durchzusetzen sucht, aufzuheben.

4

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

5

Ihrer Ansicht nach gehört die Tätigkeit als Insolvenzverwalter zum Berufsbild des Rechtsanwalts. Die Berufsvorschriften für Rechtsanwälte seien anwendbar, wenn der Rechtsanwalt als solcher in Erscheinung trete, insbesondere seinen Briefkopf nutze.

6

Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen (ZIP 2014, 830 mit zust. Anm. Kleine-Cosack, EWiR 2014, 361).

7

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. Das Urteil des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs (Az. BayAGH III - 4 - 5/13) vom 17. Februar 2014 wird aufgehoben.

2. Der belehrende Hinweis der Beklagten an den Kläger vom 18. April 2013 gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO, wonach das Umgehungsverbot des § 43 BRAO i.V.m. § 12 Abs. 1 BORA auch für einen Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes gilt, zumindest wenn er nach außen als "Rechtsanwalt" auftritt und einen Zahlungsanspruch gegen einen in gleicher Sache anwaltlich vertretenen Dritten durchzusetzen sucht, wird aufgehoben.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Berufung ist nach § 112e Satz 1 BRAO kraft der Zulassung durch den Senat statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 6 VwGO). Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

11

1. Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 112a Abs. 1, § 112c Abs. 1 BRAO, § 42 VwGO statthaft. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 1 BRAO obliegt es dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer, die Kammermitglieder in Fragen der Berufspflichten zu beraten und zu belehren. Gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO hat er die Erfüllung der den Kammermitgliedern obliegenden Pflichten zu überwachen und das Recht der Rüge zu handhaben. Stellt er fest, dass sich ein Rechtsanwalt berufswidrig verhalten hat, kann er ihn auf die Rechtsauffassung der Kammer hinweisen und über den Inhalt seiner Berufspflichten belehren. Er kann ihm auch aufgeben, das beanstandete Verhalten zu unterlassen. Erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer eine derartige missbilligende Belehrung, so stellt dies eine hoheitliche Maßnahme dar, die geeignet ist, den Rechtsanwalt in seinen Rechten zu beeinträchtigen; als solche ist sie anfechtbar (BGH, Beschluss vom 25. November 2002 - AnwZ (B) 41/02, BGHZ 153, 61, 63; Urteil vom 23. April 2012 - AnwZ (Brfg) 35/11, NJW 2012, 3039 Rn. 5).

12

2. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der belehrende Hinweis ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

13

a) Nach § 12 Abs. 1 der Berufsordnung der Rechtsanwälte (BORA) darf der Rechtsanwalt nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln. Gegen diese Bestimmung hat der Kläger verstoßen, indem er unter Nutzung des Briefkopfs der Sozietät den Geschäftsführer der Schuldnerin persönlich angeschrieben hat, obwohl sich bereits ein Rechtsanwalt für ihn gemeldet hatte. Das Schreiben vom 16. Dezember 2011 ist ein Schreiben des Klägers. Es ist in seinem Namen verfasst und von einer anderen Rechtsanwältin für ihn unterschrieben worden. Dass er das Schreiben nicht veranlasst habe, hat der Kläger nicht behauptet; hierfür gibt es auch keine sonstigen Anhaltspunkte.

14

b) Die Vorschrift des § 12 BORA ist verfassungsgemäß. Sie beruht auf der Satzungskompetenz, welche der bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichteten Satzungsversammlung durch § 59b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 191a Abs. 2 BRAO übertragen worden ist (BVerfG, NJW 2001, 3325, 3326; BRAK-Mitt. 2009, 73, 77). Auch inhaltlich teilt der Senat die vom Kläger erhobenen Bedenken nicht. Zwar wird mit dem Umgehungsverbot in die Freiheit der Berufsausübung eingegriffen, weil es Rechtsanwälten den unmittelbaren Kontakt mit anwaltlich vertretenen Gegnern grundsätzlich untersagt und damit deren berufliche Tätigkeit reglementiert. Diese Beschränkung der Berufsfreiheit ist jedoch nicht nur durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls legitimiert, sondern genügt auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (BVerfG, BRAK-Mitt. 2009, 73, 77).

15

aa) Das Umgehungsverbot dient einer funktionsfähigen Rechtspflege und damit einem bedeutenden Gemeinwohlbelang. Es zielt vorrangig auf den Schutz des gegnerischen Mandanten. Hat dieser zur Wahrung seiner Rechte die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erachtet, so soll er davor geschützt sein, bei direkter Kontaktaufnahme durch den Rechtsanwalt der Gegenseite wegen fehlender eigener Rechtskenntnisse und mangels rechtlicher Beratung übervorteilt zu werden (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2003 - V ZR 429/02, NJW 2003, 3692, 3693). Mit diesem Schutz vor Überrumpelung dient die Regelung einem fairen Verfahren und damit dem Gemeinwohlinteresse an einer geordneten Rechtspflege. Daneben liegt dem Umgehungsverbot die Überlegung zugrunde, dass durch den unmittelbaren Kontakt zwischen Rechtsanwälten die sachgerechte und zügige Erledigung einer Rechtssache gefördert wird. Auch dies dient der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.

16

bb) Der Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung ist geeignet, das angestrebte Ziel einer geordneten Rechtspflege insbesondere durch den Schutz der Rechtsuchenden vor Überrumpelung zu erreichen. Ein weniger belastendes, aber gleichermaßen wirksames Mittel ist nicht ersichtlich. Wird schließlich das Gewicht des verfolgten Gemeinwohlziels der vergleichsweise geringen Belastung gegenübergestellt, die mit dem Verbot des unmittelbaren Kontakts zum anwaltlich vertretenen Gegner verbunden ist, so zeigt sich, dass das Umgehungsverbot den betroffenen Rechtsanwälten grundsätzlich zumutbar ist.

17

c) Der Kläger war auch insofern Adressat des Verbotes des § 12 BORA, als er in seiner Eigenschaft als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin gehandelt hat.

18

aa) Die Vorschriften der Berufsordnung richten sich an Rechtsanwälte im Sinne der Bundesrechtsanwaltsordnung. Sie ist von der bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichteten Satzungsversammlung (§ 191a Abs. 1 BRAO) aufgrund der dieser in § 59b Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 191a Abs. 2 BRAO übertragenen Satzungskompetenz erlassen worden. Wer nicht Rechtsanwalt ist, braucht die Vorschriften der Berufsordnung der Rechtsanwälte nicht einzuhalten.

19

bb) Der Kläger ist Rechtsanwalt. Er hat das Mahnschreiben vom 16. Dezember 2011 auf dem Briefpapier der Sozietät verfasst, welcher er angehört, und die Berufsbezeichnung "Rechtsanwalt" auch in der Unterschriftszeile verwandt. Zugleich hat er zum Ausdruck gebracht, in seiner Eigenschaft als Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zu handeln. Damit hat er den Anwendungsbereich des § 12 BORA jedoch nicht verlassen. Ein Anwalt, der zum Insolvenzverwalter bestellt worden ist und für die verwaltete Masse Forderungen einzieht, hat sich an das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu halten.

20

(1) Verfassungsrechtlich ist die Insolvenzverwaltung ein eigenständiger Beruf. Das Bundesverfassungsgericht hat die Tätigkeit von Insolvenzverwaltern schon im Jahre 2004 nicht mehr als bloße Nebentätigkeit der Berufsausübung von Rechtsanwälten oder von Kaufleuten angesehen, sondern als Beruf im Sinne von Art. 12 GG, der vielen Personen maßgeblich zur Schaffung und Aufrechterhaltung der Lebensgrundlage diene, entweder allein oder neben einem anderen Beruf (BVerfG, WM 2004, 1781, 1782; ebenso z.B. Zipperer in: Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl., § 56 Rn. 4). Es hat hieraus das Erfordernis eines justiziablen Vorauswahlverfahrens abgeleitet, welches dem einzelnen Bewerber den Zugang zu gerichtlichen Bestellungen gibt. Der Bundesgerichtshof geht in gefestigter Rechtsprechung ebenfalls davon aus, dass die Ausübung des Amtes eines Insolvenzverwalters durch Art. 12 GG geschützt ist, und macht deshalb die Entlassung eines Insolvenzverwalters gemäß § 56 InsO grundsätzlich vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig (BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - IX ZB 308/04, WM 2006, 440, 44; vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. Juli 2009 - IX ZB 35/09, WM 2009, 1662 Rn. 6 zum Amt des Treuhänders).

21

(2) Der Zugang zum verfassungsrechtlich anerkannten Beruf des Insolvenzverwalters ist damit in den Vorschriften der Insolvenzordnung, insbesondere in den §§ 56 ff. InsO besonders geregelt, welche nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verfassungskonform auszulegen sind. Die Ausübung des Berufs des Insolvenzverwalters hat dagegen keine gesetzliche Regelung erfahren. In der Insolvenzordnung finden sich lediglich Bestimmungen zur Abwahl, Entlassung, Vergütung und Haftung des Verwalters sowie zu einer Aufsicht des Insolvenzgerichts über den Verwalter, die allein auf das jeweilige Insolvenzverfahren bezogen ist. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 12. Oktober 2004 - WpSt (R) 1/04, BGHSt 49, 258, 263 f. = NJW 2005, 1057, 1058) es für möglich gehalten, auf die Vorschriften der Berufsordnung desjenigen Berufs zurückzugreifen, welchem der Verwalter angehört. Voraussetzung ist, dass die Verwaltungstätigkeit dem Berufsbild des jeweiligen freien Berufs zugeordnet werden kann. Ist dies der Fall, ist unter Beachtung der Grundsätze der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG) und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu prüfen, ob das konkrete Verhalten des Verwalters an den einschlägigen Vorschriften der Berufsordnung zu messen ist. Die durch sie statuierten Berufspflichten sind bereichsspezifisch auszulegen.

22

An den im Urteil vom 12. Oktober 2004 entwickelten Grundsätzen hält der Senat insbesondere deshalb fest, weil es nach wie vor es keine Berufsordnung für Insolvenzverwalter gibt (ebenso etwa Henssler/Prütting/Busse, BRAO, 4. Aufl., § 3 Rn. 14; Kleine-Cosack, EWiR 2014, 361, 362; Uhlenbruck/Vallender, InsO, 14. Aufl., § 58 Rn. 26 f.; HmbKomm-InsO/Frind, 5. Aufl., § 58 Rn. 4; K. Schmidt/Ries, InsO, 8. Aufl., § 56 Rn. 59; Lind in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 2. Aufl., § 56 Rn. 35; Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, 2010, S. 47 ff.; iE auch Jaeger/Gerhardt, InsO, § 58 Rn. 19). Die eingangs zitierte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts steht diesem rechtlichen Ansatz nicht entgegen. Der Begriff des Berufs im Sinne von Art. 12 GG unterscheidet sich von demjenigen, welcher der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Berufsordnung der Rechtsanwälte zugrunde liegt. Unter einem Beruf im verfassungsrechtlichen Sinne wird jede erlaubte Tätigkeit verstanden, unabhängig davon, ob sie einem traditionellen oder rechtlich fixierten Berufsbild entspricht (BVerfGE, 68, 272, 281; 78, 179, 193; BVerfG, ZIP 2002, 2048, 2049). Bestimmte Tätigkeitsfelder eines überkommenen oder gesetzlich geregelten Berufsbildes können also einen Beruf im verfassungsrechtlichen Sinne darstellen. Die verfassungsrechtliche Anerkennung einer Tätigkeit als "Beruf" sagt deshalb nichts darüber aus, ob diese Tätigkeit zu einem weiter gefassten überkommenen oder gesetzlich geregelten Beruf gehört und damit den betreffenden Regelungen unterfällt.

23

cc) Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter (§ 56 InsO), als Treuhänder im vereinfachten Insolvenzverfahren (§ 313 InsO), als Treuhänder in der Wohlverhaltensperiode (§ 292 InsO) oder als Sachwalter im Rahmen der Eigenverwaltung (§ 270 InsO) gehört zum Berufsbild des Rechtsanwalts (BGH, Urteil vom 17. Januar 1985 - IX ZR 59/84, BGHZ 93, 278, 286 (obiter); Henssler in Prütting/Henssler, BRAO, 4. Aufl., § 59c Rn. 6; Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 8. Aufl., Einl BRAO Rn. 18; aA etwa Brüning, Die berufsrechtliche Stellung des Rechtsanwalts als Funktionsträger im Insolvenzverfahren, 1998, S. 279 f.; Deckenbrock/Fleckner, ZIP 2005, 2290, 2296).

24

(1) Die Verwaltertätigkeit unterscheidet sich vom Kernbereich der anwaltlichen Tätigkeit, die insbesondere in § 3 BRAO beschrieben wird. Als Insolvenzverwalter wird der Anwalt nicht oder jedenfalls nicht in erster Linie rechtsberatend tätig. Er vertritt den Schuldner nicht nur in Rechtsangelegenheiten (vgl. § 3 Abs. 1 BRAO), sondern ist - weit darüber hinausgehend - von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an befugt, dessen zur Masse gehörendes Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen (§ 80 Abs. 1 InsO). Diese Befugnis verdankt er nicht der freien Wahl des Schuldners (vgl. § 3 Abs. 3 BRAO), sondern einem Hoheitsakt, nämlich seiner Bestellung durch das Insolvenzgericht (vgl. § 56 InsO). Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 Nr. 3 BRAO, welche der Abgrenzung des Berufs des Rechtsanwalts von nicht anwaltlichen Zweitberufen dienen soll (BT-Drucks. 12/4993, S. 29), scheint zwischen der Tätigkeit des Rechtsanwalts und der Tätigkeit des Rechtsanwalts als Insolvenzverwalter unterscheiden zu wollen.

25

(2) Auf der anderen Seite sind Rechtsanwälte jedoch seit dem Inkrafttreten der Konkursordnung im Jahre 1879 zu Konkursverwaltern bestellt und seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung am 1. Januar 1999 als Insolvenzverwalter tätig geworden. Konkurs- und Insolvenzverwalter mussten und müssen zwar nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sein. Schon in den Materialien zur Konkursordnung (Hahn/Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 4, Neudruck 1983, S. 279 f.) heißt es, der Entwurf sehe bewusst davon ab, "die im Einzelfall ebenso schwierige wie verantwortliche Auswahl des Verwalters durch die Beschränkung auf eine bestimmte Klasse von Personen zu erleichtern". Die Anforderungen an einen Verwalter wurden schon damals und werden auch heute in § 56 InsO nicht berufsrechtlich beschrieben, sondern nach den Anforderungen, welche die Verwaltung im jeweiligen Einzelfall voraussichtlich stellt. Gleichwohl stand nie im Zweifel, dass Rechtsanwälte zu Konkurs- und später zu Insolvenzverwaltern bestellt werden konnten und können. In den bereits zitierten Materialien ist von den "grundsätzlich nirgendwo ausgeschlossenen Rechtsanwälten" die Rede (Hahn/Mugdan, aaO S. 280). Die Beklagte hat vorgetragen und durch Auszüge aus der Fachliteratur belegt, dass derzeit mehr als 90 v.H. der Insolvenzverwalter Rechtsanwälte sind. Im Jahr 2001 soll der Anteil der Rechtsanwälte unter den Insolvenzverwaltern bei knapp 90 v.H. gelegen haben, während er im Jahr 1978 noch bei 56 v.H. lag (Laukemann, Die Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters, 2010, S. 32 f.).

26

(3) Berufsrechtliche Folgen hat die Verwaltertätigkeit für die zu Insolvenzverwaltern bestellten Rechtsanwälte mit Recht nicht nach sich gezogen. Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter stellt für einen Rechtsanwalt keinen Zweitberuf im berufsrechtlichen Sinne dar, dessen Zulässigkeit bei der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 8 BRAO oder später gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO eigens geprüft werden müsste. Gegenteiliges behauptet selbst der Kläger nicht. Die Fachanwaltsordnung, welche die bei der Bundesrechtsanwaltskammer eingerichtete Satzungsversammlung aufgrund der Satzungskompetenz des § 43c Abs. 1 Satz 2, § 59b Abs. 2 Nr. 2 BRAO erlassen hat, versteht die Insolvenzverwaltertätigkeit als Teil der Anwaltstätigkeit. Dies zeigt besonders die Vorschrift des § 5 Abs. 1 lit. g FAO. Ein Rechtsanwalt, der die Bezeichnung "Fachanwalt für Insolvenzrecht" führen will, muss unter anderem nachweisen, "als Rechtsanwalt" persönlich und weisungsfrei mindestens fünf eröffnete Insolvenzverfahren aus dem ersten bis sechsten Teil der Insolvenz-ordnung bearbeitet zu haben. Das wäre nicht möglich, wenn es sich bei der Insolvenzverwaltung nicht um eine anwaltliche Tätigkeit handelte.

27

dd) Die bereichsspezifische Auslegung des § 12 BORA ergibt, dass sich der zum Insolvenzverwalter bestellte Rechtsanwalt, der Forderungen der Masse gegen einen anwaltlich vertretenen Gegner durchzusetzen versucht, sich an das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu halten hat.

28

(1) Die außergerichtliche und gerichtliche Durchsetzung einer Forderung ist eine typische Anwaltstätigkeit. Insbesondere dann, wenn der Gegner nicht nur nicht zahlt, sondern Einwände gegen den Bestand und die Durchsetzbarkeit erhebt, wird ein Anwalt beauftragt, der diese Angelegenheit vom ersten Anspruchsschreiben über die gerichtliche Geltendmachung der Forderung bis zur Beitreibung des geschuldeten Betrages im Wege der Zwangsvollstreckung bearbeiten kann. Die Einziehung fremder Forderungen ist eine Rechtsdienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird (§ 2 Abs. 2 Satz 1 RDG). Inkassodienstleistungen erfordern gemäß § 11 Abs. 1 RDG besondere Sachkunde in den für die beantragte Inkassotätigkeit bedeutsamen Gebieten des Rechts.

29

(2) Aus Sicht des Forderungsschuldners unterscheidet sich das Anspruchsschreiben eines Anwalts, der zugleich Insolvenzverwalter ist, nicht von einem entsprechenden Schreiben eines Anwalts, der einen Mandanten kraft eines ihm erteilten Auftrags (§ 675 BGB) vertritt. Schutzbedürftig ist er in beiden Fällen. In beiden Fällen sieht er sich einem sachkundigen und ihm an Rechtskenntnissen überlegenen Gegner gegenüber. Er wird in der Regel nicht unterscheiden können, ob ein zum Insolvenzverwalter bestellter Anwalt, der den Briefkopf seiner Anwaltskanzlei verwendet und sich bei der Unterzeichnung des Schreibens durch einen anderen Anwalt vertreten lässt, als Insolvenzverwalter oder als Anwalt handelt oder handeln will. Beauftragt er seinerseits einen Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen, befindet er sich in derjenigen Situation, die § 12 BORA voraussetzt und in der er vor Überrumpelung und Übervorteilung mangels eigener Rechtskenntnisse geschützt werden soll. In der berufsrechtlichen Kommentarliteratur wird folgerichtig danach unterschieden, ob der Anwalt, der als Partei kraft Amtes oder in eigener Sache tätig wird, als Privatmann oder als Rechtsanwalt auftritt. Werde etwa - wie im vorliegenden Fall - das Briefpapier der Anwaltskanzlei verwandt, trete der Anwalt als solcher in Erscheinung und habe sich grundsätzlich an das Umgehungsverbot des § 12 BORA zu halten (Feuerich/Weyland/Böhnlein, BRAO, 8. Aufl., § 12 BORA Rn. 4; Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 12 BORA/§ 43 BRAO Rn. 10; Prütting in Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 12 BORA Rn. 5; Nasse, BRAK-Mitt. 2007, 14, 15; weitergehend für eine Geltung des § 12 BORA unabhängig vom "Auftritt" des Anwalts Steike, NJW 2007, 1411 ff.; Thümmel, NJW 2011, 1850 ff.; aA Hartung, AnwBl. 2007, 64, 65; ders., Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 12 BORA Rn. 21 ff.; Feuerich/Weyland/Böhnlein, BRAO, 8. Aufl., § 12 BORA Rn. 4; wohl auch Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 12 BORA Rn. 2).

30

(3) Die weitere der Vorschrift des § 12 BORA zugrunde liegende Überlegung, dass die Verhandlungen zwischen den Berufsträgern zu einer Versachlichung der Auseinandersetzung, zu einer schnelleren Einigung und damit zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege beitragen können, greift ebenfalls unabhängig davon ein, ob der Anwalt eine Forderung der von ihm verwalteten Insolvenzmasse oder eine solche eines Mandanten einzieht. Insolvenzrechtliche Besonderheiten sind nicht zu berücksichtigen. In der Kommentarliteratur wird die Anwendung des § 12 BORA auf den Umgang des zum Insolvenzverwalter bestellten Anwalts mit dem anwaltlich vertretenen Schuldner in Zweifel gezogen, soweit es um dessen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach § 97 InsO geht (Zuck in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 12 BORA/§ 43 BRAO Rn. 8; Jaeger/Schilken, InsO, § 97 Rn. 11; MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 97 Rn. 26; K.Schmidt/Ries, InsO, 18. Aufl., § 56 Rn. 59; HmbKomm-InsO/Herchen, 5. Aufl., § 97 Rn. 11; vgl. bereits RAK Düsseldorf KTS 1956, 63). Bei § 97 InsO handelt es sich um eine zentrale, das Insolvenzverfahren prägende Vorschrift, welche auf der Überlegung beruht, dass das Insolvenzverfahren nur dann effektiv durchgeführt werden kann, wenn der Schuldner mitwirkt (Jaeger/Schilken, InsO, § 97 Rn. 3; HK-InsO/Kayser, 7. Aufl., § 97 Rn. 1). Der Schuldner hat sich deshalb auf Anordnung des Insolvenzgerichts jederzeit zur Verfügung des Verwalters zu halten, um die erforderlichen Auskünfte zu erteilen (Schilken, aaO Rn. 4; HK-InsO/Kayser, aaO Rn. 2). Der Grundsatz der "Waffengleichheit" und der mit § 12 BORA beabsichtigte Schutz vor Überrumpelung tritt hier zurück. Das Ziel einer effektiven Rechtspflege wird durch die unmittelbare Befragung des Schuldners eher verwirklicht als durch die Einschaltung eines rechtlichen Beraters, der nicht zur jederzeitigen Auskunftsbereitschaft angehalten werden kann.

31

Forderungen der Masse sind hingegen nach den allgemeinen Regeln geltend zu machen. Im Zivilprozess gelten insoweit keine Besonderheiten. Dann spricht auch nichts gegen die Einhaltung des Umgehungsverbotes des § 12 BORA.

III.

32

Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 52 Abs. 1, 2 GKG. Fehlen Anhaltspunkte für eine Streitwertbestimmung, ist für das Klagebegehren der Regelstreitwert von 5.000 € anzusetzen (§ 52 Abs. 2 GKG).

Kayser                      Roggenbuck                          Lohmann

               Quaas                                Schäfer

(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist.

(2) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 74/04
vom
15. März 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ergibt sich der Grund zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der
Befangenheit aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, läuft im allgemeinen die
Frist zur Ablehnung des Sachverständigen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten
Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab, wenn sich die Partei zur Begründung
des Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen muß.
BGH, Beschluß vom 15. März 2005 - VI ZB 74/04 - OLG Karlsruhe
LG Freiburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2005 durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin
Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Oktober 2004 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht von den Beklagten die Zahlung des hälftigen Betrages der Schadensersatzleistungen, die sie als Berufshaftpflichtversicherer des Dr. E. an die Witwe des Patienten F. erbracht hat. F., dessen Hausarzt Dr. E. war, ließ sich im Januar 1995 wegen einer erektilen Dysfunktion in der andrologischen Sprechstunde der Urologischen Abteilung der Beklagten zu 1 durch den Beklagten zu 2 beraten. Im Dezember 1995 wurde bei F. ein Darmkarzinom in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert, an dem er inzwischen verstorben ist. Die Klägerin behauptet, unter den gegebenen Umständen hätte der Beklagte zu 2 differentialdiagnostische Erwägungen anstellen und weitere Befunde erheben müssen. Mit hinreichender Sicherheit wäre im Januar 1995 bereits
das Rektumkarzinom erkannt worden. Das Verkennen dieses Befundes oder das Unterlassen einer Reaktion hierauf wäre auf jeden Fall als grober Behandlungsfehler zu werten. Die Beklagten wenden ein, daß in dem fraglichen Zeitraum das Dickdarmkarzinom noch nicht vorgelegen habe. Durch Beweisbeschluß vom 5. Dezember 2003 hat das Landgericht Prof. Dr. S. mit der Erstattung eines schriftlichen medizinischen Gutachtens beauftragt. Durch Verfügung vom 1. März 2004 hat das Gericht das Gutachten den Parteien zugeleitet und Frist zur Stellungnahme bis 30. März 2004 gesetzt. Die Frist ist auf Antrag der Klägerin bis 15. April 2004 verlängert worden. Mit am 15. April 2004 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Einwände gegen das Gutachten vorgebracht und unter Bezugnahme darauf den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Das Landgericht hat den Befangenheitsantrag mit Beschluß vom 17. Mai 2004 als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen hat die Klägerin sofortige Beschwerde eingelegt. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluß vom 19. Oktober 2004 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß der Ablehnungsantrag verspätet und deshalb unzulässig sei, weil die Geltendmachung des Befangenheitsgrundes keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gutachten erfordert habe. Das Oberlandesgericht hat im Hinblick auf den uneinheitlichen Meinungsstand in der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Frist nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die Klägerin verfolgt mit dem von ihr eingelegten Rechtsmittel die Ablehnung des Sachverständigen Prof. Dr. S. wegen Besorgnis der Befangenheit weiter.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist statthaft nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO; sie ist auch im übrigen zulässig, § 575 ZPO. Die Beschwerde hat jedoch im Ergebnis keinen Erfolg. 1. Der Antrag auf Ablehnung des gerichtlichen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ist allerdings entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht bereits als unzulässig - weil verspätet - zurückzuweisen.
a) Nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist der Ablehnungsantrag grundsätzlich spätestens binnen zwei Wochen nach der Zustellung des Beschlusses über die Ernennung des Sachverständigen anzubringen. Ergeben sich die Gründe, auf die die Ablehnung des Sachverständigen gestützt wird, aus dessen Gutachten, ist die Frist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO maßgebend. Die Ablehnungsgründe sind in diesem Falle nicht binnen einer kalendermäßigen Frist, sondern grundsätzlich unverzüglich (§ 121 Abs. 1 Nr. 1 BGB) nach Kenntnis des Gutachtens geltend zu machen. Das bedeutet, daß der Ablehnungsantrag zwar nicht sofort, wohl aber ohne schuldhaftes Zögern, das heißt innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepaßten Prüfungs- und Überlegungsfrist anzubringen ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl. § 121 Rn. 3). Zugleich hat der Antragsteller glaubhaft zu machen, daß er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen. In einem einfach gelagerten Fall können bereits wenige Tage ausreichend sein, um die das Ablehnungsgesuch stützenden Tatsachen zu erkennen und vorzutragen. Hingegen kann sich die Frist je nach Sachlage verlängern, wenn der Ablehnungsgrund erst nach sorgfältiger Prüfung des Gutachtens zu erkennen ist. Von diesen Grundsätzen geht auch das Beschwerdegericht aus.

b) Von den Oberlandesgerichten werden zur Länge der Frist nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO unterschiedliche Auffassungen vertreten. aa) Einige Oberlandesgerichte (OLG Koblenz, OLGR Koblenz 1998, 470; OLG Köln, OLGR Köln 1995, 147; OLG Naumburg, 10 W 23/01, juris-Abfrage; OLG München, OLGR München 2004, 117; 2003, 58) sind in Übereinstimmung mit Stimmen im Schrifttum (Musielak/Huber ZPO, 4. Aufl., § 406 Rn. 14; Reichold in: Thomas/Putzo ZPO, 26. Aufl., § 406 Rn. 7) der Meinung, die ZweiWochen -Frist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO gelte grundsätzlich auch für § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Sie bilde im Interesse des Prozessgegners die Obergrenze und gelte auch dann, wenn eine längere Frist zur Stellungnahme zu einem Gutachten nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzt worden sei. Durch letztere solle die sachliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens ermöglicht werden. Eine solche sei für die Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit regelmäßig nicht erforderlich. bb) Teilweise wird in der Rechtsprechung die Auffassung des Beschwerdegerichts vertreten, eine allgemeine Fristbindung sei zwar nicht sachgerecht. Es sei vielmehr ausschließlich auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abzustellen und jeweils zu prüfen, welche Zeit im konkreten Fall erforderlich sei, um den Ablehnungsgrund erkennen und unverzüglich geltend machen zu können. Doch entspreche die Frist auch nicht der vom Gericht gemäß § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist zur Stellungnahme zum Inhalt des Gutachtens, da die Geltendmachung des Ablehnungsgrundes eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Inhalt des Gutachtens gerade nicht erfordere (vgl. BayObLGZ 1994, 183; KG, KGR Berlin 2001, 183; OLG Nürnberg, VersR 2001, 391; OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 1995, 139; OLG München, OLGR München 1994, 237; OLG München, OLGR München 2000, 211; Thüringer OLG, OLGR Jena 2000, 113, 115 f.; OLG Brandenburg, OLGR Brandenburg 2000, 275 und
OLG-NL 2003, 92; Stein-Jonas/Leipold ZPO, 21. Aufl. § 406 Rn. 19; Zöller/Greger ZPO, 25. Aufl., § 406 Rn. 11). cc) Das Oberlandesgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung (OLGR Düsseldorf 2001, 469; ebenso [MünchKomm/Damrau ZPO, 2. Aufl., § 406 Rn. 7]), daß ein Befangenheitsantrag, der innerhalb der zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist eingereicht wird, zumindest dann nicht nach § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO verspätet sei, wenn sich die Besorgnis der Befangenheit erst aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten ergebe. Die am Rechtsstreit beteiligten Parteien müßten sich innerhalb der nach § 411 Abs. 4 ZPO gesetzten Frist abschließend mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen und mitteilen, ob und gegebenenfalls in welchen Punkten Ergänzungsbedarf gesehen werde. Komme hierbei eine Partei aufgrund der inhaltlichen Prüfung des Gutachtens nicht nur zu dem Ergebnis , daß dieses unrichtig oder ergänzungsbedürftig sei, sondern daß bestimmte Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten auf Voreingenommenheit ihr gegenüber zurück zu führen seien, sei auch diese Besorgnis Ergebnis der inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem schriftlichen Gutachten. Die Länge der Frist, binnen derer die Partei das Ergebnis ihrer Prüfung des Gutachtens in Antragsform anzubringen habe, könne in einem solchen Fall nicht davon abhängig sein, ob lediglich ein Ergänzungsantrag oder auch ein Befangenheitsantrag oder - wie im vorliegenden Fall - eine Kombination aus beiden Anträgen eingereicht werde. Der Antragsteller könne nicht gezwungen sein, binnen kürzerer Frist eine Vorprüfung des Gutachtens vorzunehmen, nur um feststellen zu können, ob das Gutachten Mängel enthalte, die aus seiner Sicht nicht nur einen Ergänzungsantrag nötig machten, sondern sogar die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigten. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (aaO) weist darauf hin, daß die Anwendung einer gegenüber der Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 ZPO verkürzten Frist zur Einreichung des Befangen-
heitsantrags auch nicht geboten sei, um zu verhindern, daß Ablehnungsanträge aus prozeßtaktischen Gründen zurückgehalten würden. Zum einen ergebe sich die Möglichkeit des Antragstellers, binnen längerer Frist zulässigerweise einen Ablehnungsantrag stellen zu können, ohnehin nur in den Fällen, in denen die Stellungnahmefrist nach § 411 Abs. 4 ZPO länger sei als die angemessene Frist des § 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Zum anderen könne das Gericht prozeßleitende Maßnahmen erst dann treffen, wenn die Stellungnahmefrist des § 411 Abs. 4 ZPO abgelaufen sei. Deshalb verfange nicht der Einwand, die Prozeßförderungspflicht der Parteien gebiete eine schnellere Geltendmachung des entsprechenden Ablehnungsgrundes. dd) Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Die Ablehnung eines Sachverständigen findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen, §§ 406 Abs. 1, 42 Abs. 2 ZPO. Es muß sich dabei um Tatsachen oder Umstände handeln, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 1987 - X ZR 29/86 - NJW-RR 1987, 893). Eine solche Befürchtung fehlender Unparteilichkeit kann berechtigt sein, wenn der Sachverständige seine gutachterlichen Äußerungen in einer Weise gestaltet, daß s ie als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung gegenüber einer Partei gedeutet werden können. Ergibt sich der Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des schriftlichen Gutachtens, muß der Partei eine angemessene Zeit zur Überlegung und zur Einholung von rechtlichem Rat zur Verfügung stehen. Auch wenn durch die zeitliche Begrenzung des Ablehnungsrechts gemäß § 406 Abs. 2 ZPO bezweckt werden soll, der Verzögerung von Prozessen durch verspätete Ablehnungsanträge entgegenzuwirken (vgl. Jeßnitzer/Frieling, Der gerichtliche Sachverständige, 10. Aufl., Rn. 223), ist andererseits zu bedenken, daß der Anspruch einer Pro-
zeßpartei auf einen aus ihrer Sicht unparteiischen Sachverständigen unmittelbarer Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips ist und die Durchsetzung dieses Anspruchs nicht durch verfahrensrechtliche Hürden unangemessen erschwert werden darf. Darauf weist die Rechtsbeschwerde mit Recht hin. Vor diesem Hintergrund darf die Frage nach der Rechtzeitigkeit eines Ablehnungsantrags nicht ausschließlich von der Beurteilung der Umstände des Einzelfalles durch das Prozeßgericht abhängig gemacht werden. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit muß die Partei wissen, welcher Zeitraum ihr zur Prüfung des Gutachtens in jedweder Hinsicht zur Verfügung steht. Muß sich die Partei zur Begründung ihres Antrags mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen, läuft die Frist zur Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit im allgemeinen gleichzeitig mit der vom Gericht gesetzten Frist zur Stellungnahme nach § 411 Abs. 4 ZPO ab. ee) Nach den dargestellten Grundsätzen hat die Klägerin den Befangenheitsantrag gegen den gerichtlichen Sachverständigen am letzten Tag der verlängerten Frist zur Stellungnahme, dem 15. April 2004, noch rechtzeitig gestellt. Die Klägerin hat den Antrag damit begründet, daß der Sachverständige eine einseitige Beweiswürdigung zugunsten des Beklagten zu 2 vorgenommen habe. Diesen Vorwurf hat die Klägerin anhand des Gutachtens im einzelnen belegt. Dafür mußte sie sich offensichtlich mit dem Inhalt des Gutachtens auseinandersetzen. 2. Der Antrag ist aber unbegründet. Er wird ausschließlich auf Umstände gestützt, die ihre Ursache in einer Auseinandersetzung mit dem sachlichen Inhalt des schriftlichen Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen haben. Mangel an Sachkunde, Unzulänglichkeiten oder Fehlerhaftigkeit mögen das Gutachten entwerten, rechtfertigen für sich allein aber nicht die Ablehnung des Sachverständigen wegen Befangenheit (vgl. BGH, Urteil vom 5. November
2002 - X ZR 178/01 - FF 2003, Sonderheft 1, 101). Die Klägerin rügt, der Sachverständige habe das Gutachten erstellt, ohne daß ihm originale Krankenunterlagen oder ärztliche Dokumentationen vorgelegen hätten; er habe die Tatsachen unzureichend erfasst und sei deshalb von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Damit erhebt sie den Vorwurf einer fehlerhaften Gutachtenserstattung aufgrund mangelnder Sorgfalt. Dieser Vorwurf begründet aber regelmäßig nicht die Besorgnis der Befangenheit, weil er nicht die Unparteilichkeit des Sachverständigen betrifft. Der mangelnden Sorgfalt eines Sachverständigen sehen sich beide Parteien in gleicher Weise ausgesetzt. Das Prozeßrecht gibt in den §§ 411, 412 ZPO dem Gericht und den Parteien ausreichende Mittel an die Hand, solche Mängel zu beseitigen und auf ein Gutachten hinzuwirken, das als Grundlage für die gerichtliche Entscheidung geeignet ist. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

(1) Die Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die einem Abwesenden gegenüber erfolgte Anfechtung gilt als rechtzeitig erfolgt, wenn die Anfechtungserklärung unverzüglich abgesendet worden ist.

(2) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile, Grundurteile und Zwischenurteile über die Zulässigkeit steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Anwaltsgerichtshof oder vom Bundesgerichtshof zugelassen wird. Für das Berufungsverfahren gilt der Zwölfte Abschnitt der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Maßgabe, dass der Anwaltsgerichtshof an die Stelle des Verwaltungsgerichts und der Bundesgerichtshof an die Stelle des Oberverwaltungsgerichts tritt.

Das Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht. Es berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel.

(1) Soweit dieses Gesetz keine abweichenden Bestimmungen über das gerichtliche Verfahren enthält, gelten die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend. Der Anwaltsgerichtshof steht einem Oberverwaltungsgericht gleich; § 112e bleibt unberührt.

(2) Die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung über die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter sowie die §§ 35, 36 und 47 der Verwaltungsgerichtsordnung sind nicht anzuwenden. Die Fristen des § 116 Abs. 2 und des § 117 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung betragen jeweils fünf Wochen.

(3) Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage endet abweichend von § 80b der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Der Streitwert bestimmt sich nach § 52 des Gerichtskostengesetzes. Er wird von Amts wegen festgesetzt.

(2) In Verfahren, die Klagen auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft oder deren Rücknahme oder Widerruf betreffen, ist ein Streitwert von 50 000 Euro anzunehmen. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Klägers, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.

(3) Die Festsetzung ist unanfechtbar; § 63 Abs. 3 des Gerichtskostengesetzes bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.