Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 17. Aug. 2017 - L 3 U 3/16

bei uns veröffentlicht am17.08.2017
nachgehend
Bundessozialgericht, B 2 U 173/17 B, 06.02.2018

Gericht

Bayerisches Landessozialgericht

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. November 2015 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt von der Beklagten und Berufungsbeklagten die Anerkennung weiterer Unfallfolgen eines Arbeitsunfalls vom 26.02.2009 sowie die Gewährung einer Verletztenrente nach § 56 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII).

Die 1953 geborene Klägerin war seit 1992/93 in den Kliniken St. E. in N-Stadt als Leitstellensekretärin in Vollzeit beschäftigt. Seit 1995 (nach der Diagnose eines gutartigen Tumors in der Brust) leidet die Klägerin an rezidivierenden Phasen der psychovegetativen Erschöpfung mit Verschlechterung ab 1999 (nach einem möglichen Virusinfekt während des Urlaub) mit Angstzuständen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, intermittierendem Herzrasen und konsekutiv deutlich überhöhten Blutdruckwerten. Nach einem Autounfall im Juli 1995 wurden eine HWS-Distorsion und eine Rückenprellung diagnostiziert, seither bestanden rezidivierende Verspannungen im Halswirbelsäulenbereich.

Ab Juli 1999 war die Klägerin in fachärztlicher Behandlung bei der Fachärztin für Psychiatrie C. L … Neben einer mittelgradigen depressiven Episode wurde im weiteren Verlauf auch eine Panikstörung diagnostiziert. Im Zeitraum vom 25.04.2000 bis 23.05.2000 befand sich die Klägerin in den medizinischen Rehaeinrichtungen R … Die Entlassungsdiagnosen lauteten auf psychovegetative Erschöpfung, arterielle Hypertonie, musculotendinöses Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule (HWS) und Struma diffusa. Bei der Psychiaterin L. wurde die Therapie nach guter Remission im Januar 2004 beendet, ab Juni 2004 wegen eines Arbeitsplatzkonfliktes und innerbetrieblicher Umsetzung mit Verschlechterung der depressiven Symptomatik und somatoformen Beschwerden jedoch wieder fortgeführt und eine weitere stationäre rehabilitative Behandlung eingeleitet. Diese erfolgte in der W.-Klinik A. in A-Stadt vom 16.11.2004 bis 21.12.2004. Dort wurden eine Anpassungsstörung, eine Panikstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung, eine benigne essentielle Hypertonie und Adipositas diagnostiziert. Im Vorfeld habe es berufliche Konflikte und Anspannungen gegeben. Nach dem Urlaub sei die Klägerin in die Notaufnahme versetzt worden, wo der Kontakt mit Verletzten und Schwerkranken zu einer Verschlechterung ihres psychischen Befindens mit Angstattacken geführt habe. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig wegen der weiter bestehenden Angst vor Blut und Unfällen.

Im Zeitraum vom 06.01.2009 bis 10.02.2009 befand sich die Klägerin in einer Rehabilitationsbehandlung im Reha-Zentrum T. wegen eines Asthmas bronchiale. Die depressive Störung wurde als gegenwärtig leicht ausgeprägt beschrieben; erwähnt wurde außerdem ein LWS-Syndrom.

Am 26.02.2009 erlitt die Klägerin auf der Fahrt von ihrer Wohnung zur Arbeitsstelle einen Verkehrsunfall, als sie bei einem Überholmanöver auf freier Landstraße mit ihrem Kleinwagen wegen Eisglätte ins Schleudern geriet, von der Fahrbahn abkam und sich mit dem Wagen auf einem Acker mehrfach überschlug. Ihr Auto kam schließlich auf der Beifahrerseite zum Liegen. Die Klägerin hing zunächst halb kopfüber im Fahrersitz, konnte schließlich den Gurt lösen und mit Hilfe eines Ersthelfers durch das Cabriodach das Fahrzeug verlassen. Die Klägerin wurde dann mit einem Rettungshubschrauber in das Klinikum I. gebracht.

Dort wurde als Erstbefund erhoben: „Patientin wach, orientiert, Pupillen o.B. [ohne Befund], Hirnnerven soweit o.B., es zeigt sich an der Ohrmuschel eine 1,5 cm Risswunde sowie auch retroauriculär eine 2 cm Wunde sowie eine Prellmarke links parieto-occipital. Stiffneck anliegend (nach Abnahme keine Nackenschmerzen), insgesamt leicht diffuser Druckschmerz am Thorax, aber keine Instabilität, keine Crepitatio, Pulmo seitengleich, Bauch völlig weich, Becken stabil, Extremitäten völlig frei beweglich, gute Pulse. Es zeigt sich lediglich eine Prellmarke am rechten Unterarm ulnarseitig mit kleiner Schürfung, aber hier völlig frei beweglich, keine Frakturzeichen.“ Ein Polytrauma-CT Kopf bis Becken ergab keinen Nachweis einer intrakraniellen Blutung sowie keine Raumforderung; gesehen wurden ein Galea-Hämatom links temporoparietal im Bereich des Schädels sowie hypostatische, nicht entzündliche Infiltrate im Bereich des Thorax beidseits; nebenbefundlich wurden eine Spondylosis deformans HWK 3 bis HWK 7, eine multisegmentale Osteochondrose und eine kyphotische Knickbildung bei HWK 3/ HWK 4 beschrieben. Insgesamt wurden die Befunde nicht im Sinne von Traumafolgen bewertet. Die Diagnosen lauteten: „Schädelprellung, Kopfplatzwunde retroaurikulär, Risswunde linke Ohrmuschel, Thoraxprellung, Prellung rechter Unterarm mit Schürfung Unterarm rechts“. Nachdem sich im neurochirurgischen Konsil (vermerkt: „keine Bewusstlosigkeit; wach, klar, orientiert“; Diagnose: „Commotio cerebri“) keine Interventionsindikation ergeben hatte, wurde die Wunde im Bereich des Ohres versorgt und die Klägerin zur Überwachung wegen des „Hochrasanztraumas“ stationär aufgenommen. Ein neurologisches Konsil (vermerkt u.a.: „keine primäre Bewusstlosigkeit“) am 27.02.2009 ergab einen Verdacht auf einen peripheren vestibulären Schwindel („z.B. Commotio labyrinthi“). Bereits am 28.02.2009 wurde die Klägerin entlassen; als zusätzliche Diagnose wurde nun auch eine HWS-Distorsion genannt. Arbeitsunfähigkeit wurde bis voraussichtlich 05.03.2009 angenommen.

In der Folgezeit befand sich die Klägerin in physiotherapeutischer und krankengymnastischer Übungsbehandlung. Wegen anhaltender Nackenschmerzen wurde ein Kernspintomogramm der HWS vom 05.05.2009 angefertigt. Dieses ergab multisegmentale degenerative Veränderungen ohne Zeichen einer frischen Gewebeverletzung. Ein weiteres Kernspintomogramm der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 12.05.2009 zeigte degenerative Veränderungen ohne wesentlichen Unterschied zu einer kernspintomographischen Voruntersuchung vom 20.09.2007. Außerdem suchte die Klägerin am 21.04.2009 erneut die Psychiaterin L. auf. Diese attestierte, dass die Klägerin über einen Autounfall vom 26.02.2009 berichtet habe. Zum Zeitpunkt des Gesprächs sei die Klägerin noch schmerzbelastet gewesen, wodurch sich die psychische Situation etwas verschlechtert habe. Der psychische Befund wurde u.a. beschrieben als im Affekt eingeschränkt schwingungsfähig, Stimmung gedrückt, ernst, Antrieb etwas reduziert erscheinend, keine formalen Denkstörungen, inhaltlich Schilderung somatischer Probleme. Kognitive oder mnestische Defizite wurden nicht festgestellt (Befundbericht an das vom 23.04.2009).

Am 20.07.2009 wurde die Klägerin von der BG-Sprechstunde im Klinikum I. in die klinikinterne „Schmerzambulanz“ des Instituts für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Klinikums I. weitergeleitet (Behandlung durch Dr. G.), wo ein „Chronisches Schmerzsyndrom bei Z.n. Verkehrsunfall mit Überschlag, V.a. [Verdacht auf] HWS-Distorsion“ bei bekannter vorbestehender depressiver Problematik diagnostiziert wurde. Es sei davon auszugehen, dass die depressive Problematik das vorhandene Schmerzproblem negativ beeinflusse (Bericht vom 23.07.2009). Am 21.10.2009 wurde trotz Beschwerdebesserung eine „posttraumatische Anpassungsstörung“ diagnostiziert. Dr. R. (Dipl.-Psych. und Psycholog. Psychotherapeut, Klinischer Neuropsychologe, Klinikum I.) berichtete am 15.12.2009 u.a. über eine neuropsychologische Testung der Klägerin und führte aus, dass sich bei den in der Anfangsphase der Behandlung erhobenen Testergebnissen deutliche kognitive Defizite in Aufmerksamkeit und Gedächtnisfunktionen gezeigt hätten, die mit der subjektiven Beschwerdeschilderung der Betroffenen gut übereingestimmt hätten. Anfang Dezember 2009 habe die Klägerin angegeben, dass sich die Kopfschmerzsymptomatik und die Merkfähigkeit deutlich gebessert hätten. Die Beschwerdesymptomatik sei mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen. Daneben sei eine länger bestehende Depression vorhanden. Der einmalig aufgesuchte Orthopäde Dr. M. gab in einem Bericht vom 18.08.2010 an, dass wohl eher ein psychisches Problem vorliege. Ein noch berufsgenossenschaftlich zu tragender Restschaden sei für ihn nicht erkennbar.

Nachfolgend veranlasste die Beklagte eine ambulante Begutachtung durch den Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Sch … Dieser kam in seinem Gutachten vom 12.03.2010 zu dem Ergebnis, dass es bei einer seit 1995 vordiagnostizierten rezidivierenden depressiven Störung ohne den Unfall nicht zu der psychiatrischen und psychosomatischen Dekompensation der Klägerin gekommen wäre. Strukturelle Schädigungen intracerebral hätten sich allerdings nicht verifizieren lassen. Eine Differenzierung zwischen primär kognitiven Einbußen im Rahmen der rezidivierenden depressiven Störung und unfallassoziierten Einschränkungen sei nicht möglich. Es bestehe jedoch eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Außerdem bestünden hartnäckige Cephalgien, ein linksbetontes Schulter-Arm-Syndrom, HWS-Beschwerden und ein bewegungs- und lageabhängiger Schwindel. Vorbekannt seien über Jahre bestehende degenerative Veränderungen der HWS und LWS, wobei sich durch den Unfall keine wesentliche Veränderung ergeben habe. Eine Überlagerung von somatischen mit somatoformen bzw. psychosomatischen Reaktionsmustern müsse angenommen werden. Die Diagnose einer Commotio cerebri könne bei fehlender initialer Bewusstlosigkeit und fehlender retrobzw. anterograder Amnesie nicht gestellt werden. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) werde mit 40 v. H. eingeschätzt.

Diesem Ergebnis schloss sich der Beratungsarzt Dr. H. nicht an (Stellungnahme vom 12.07.2010).

Der Sachverständige Sch. hielt demgegenüber in einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.08.2010 an seiner Auffassung einer unfallassoziierten Verschlechterung der vorbeschriebenen depressiven Erkrankung fest. Die neuropsychologischen Einschränkungen seien nicht als Folge der auch von ihm diagnostizierten Schädelprellung (nicht Commotio cerebri) eingestuft worden, sondern im Zusammenhang mit der vorbestehenden Vulnerabilität der Klägerin, d.h. der depressiven Symptomatik und der Anpassungsstörung. Diese Einschätzung gelte für einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten. Ein relevantes Trauma der HWS sei von ihm nicht festgestellt worden. Die auch aktuell von der Klägerin noch beklagten Nackenschmerzen seien vielmehr im Zusammenhang mit den über Jahre bestehenden degenerativen Veränderungen der HWS einzustufen. Die bestehenden Nackenschmerzen und das linksbetonte Schulter-Arm-Syndrom habe er im Zusammenhang eines chronifizierten Schmerzsyndroms bei vorbekannten polysegmentalen degenerativen Veränderungen des Stützapparates eingestuft, bei denen es zu einer vorübergehenden Akzentuierung für drei bis sechs Monate gekommen sei. Zusammenfassend müsse der Unfall für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten als wesentliche Teilursache für die bestehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit angeschuldigt werden. Der weitere Verlauf dürfte in erster Linie der zugrunde liegenden psychiatrischen Vorerkrankung inklusive der primärpersönlichen Reaktionsmuster und Anpassungsmöglichkeiten (Neigung zu depressiven Dekompensationen, Anpassungsstörungen und Angstsymptomen) geschuldet sein. Die MdE werde weiterhin mit 40 v. H. bewertet.

Auf unfallchirurgischem Fachgebiet stellte der Chirurg und Unfallchirurg Dr. B. keine fortbestehenden Unfallfolgen mehr fest (Gutachten vom 26.08.2010). Die Beschwerden im Bereich der HWS seien auf die röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen zurückzuführen, die bereits vor dem Unfall bestanden hätten. Auch die Schädelprellung habe keine Folgen hinterlassen. Eine MdE bestehe nicht.

Bereits zum 15.08.2010 hatte die Beklagte die Zahlung von Verletztengeld eingestellt.

Mit Bescheid vom 5. Oktober 2010 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an und lehnte einen Anspruch auf Rente ab. Folgen des Arbeitsunfalls seien eine vorübergehende Verschlimmerung einer depressiven Erkrankung und einer vorbestehenden Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates. Die Schädelprellung und die Körperprellungen seien folgenlos ausgeheilt. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit habe längstens für sechs Monate bestanden. Nicht im Zusammenhang mit dem Unfall stünden die rezidivierende depressive Störung, die Neigung zu Kopfschmerzen und ein chronisches Schmerzsyndrom des Stütz- und Bewegungsapparates.

Den dagegen von den damaligen Bevollmächtigten erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 als unbegründet zurück.

Dagegen erhob der damalige Bevollmächtigte der Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) mit dem Antrag, eine rentenberechtigende („adäquate“) MdE festzustellen. Ende August 2011 zeigte der jetzige Bevollmächtigte seine Vertretung an und beantragte nun auch die Anerkennung weiterer Unfallfolgen. Es folgte ein umfassender Vortrag zu den Umständen des Unfallereignisses, den nachfolgenden ärztlichen Behandlungen und gestellten Diagnosen, den Beschwerden der Klägerin sowie zu ihrem Lebenslauf. Die Klägerin sei durch die Unfallfolgen erheblicher beeinträchtigt, als die Beklagte in ihrer Entscheidung zugrunde lege. Auf die in der Stellungnahme des Sachverständigen Sch. vom 17.08.2010 ausführlich beschriebenen Unfallfolgen werde hingewiesen.

Das SG zog den Befundbericht des Neuropsychologen Dr. R. (Klinikum I.) vom 17.06.2011 über die Behandlung von April 2009 bis September 2010 sowie die Akte der Polizeidirektion N-Stadt bei und erhob Beweis durch Einholung zweier Sachverständigengutachten (jeweils mit ambulanter Untersuchung) auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet von Dr. L. vom 30.08.2011 (mit ergänzender Stellungnahme vom 24.09.2011) und auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. B. vom 06.02.2012 (mit ergänzender Stellungnahme vom 30.04.2012).

Dr. L. führte aus, dass im erstbehandelnden Krankenhaus ein im Hinblick auf die biomechanischen Gegebenheiten des Unfalls erstaunlich undramatischer Befund erhoben werden konnte. Als gesicherte Unfallverletzungen seien ausweislich der vorliegenden bildgebenden Befunde lediglich ein kleines und umschriebenes Kopfschwartenhämatom im Bereich des behaarten Schädels der linken Schädelkalotte, eine oberflächliche Weichteilverletzung im Sinne einer Riss- und Platzwunde an der linken Ohrmuschel retroaurikulär, eine Thoraxprellung durch den Sicherheitsgurt, eine Prellung des linken Unterarms durch Anstoß an der Fahrertür sowie eine leichte HWS-Distorsion anzunehmen. Eine über diese reversiblen Verletzungen hinausgehende, wie auch immer geartete strukturelle Gewebeverletzung sei aufgrund der vorliegenden Bilddokumente ohne vernünftigen Zweifel auszuschließen. Der protrahierte Krankheitsverlauf ab der zweiten oder dritten Woche nach dem Unfall mit einem Entgleisen des normalen Heilungsverlaufs leichtgradiger Prellungen und der Distorsion erschließe sich nur vor der Annahme einer somatoformen Störung, deren Unfallzusammenhang auf neurogisch-psychiatrischem Fachgebiet abzuklären sei. Unfallfolgen seien lediglich diverse Prellungen und Kontusionen und eine vorübergehende Verschlimmerung der statischen Wirbelsäulenbeschwerden und der psychischen Erkrankung. Unfallunabhängig bestünden altersvorauseilende multisegmentale degenerative Veränderungen an der HWS, an BWS und LWS eher geringgrade Veränderungen ohne echten Krankheitswert. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten für maximal drei Monate bestanden.

Dr. B. legte das, dass bei der Klägerin eine chronisch rezidivierende Störung vorliege, bei der sich ein Unfallzusammenhang unter Berücksichtigung der bis ins Jahr 1995 zurückreichenden Vorgeschichte mit rezidivierenden depressiven Störungen, Angst und Panikzuständen und insbesondere auch einer im Entlassungsbericht des Rehazentrums T., Klinik W. (stationärer Aufenthalt vom 06.01.2009 bis 10.02.2009, Bericht vom 23.03.2009) noch unmittelbar vor dem Unfall beschriebenen depressiven Symptomatik nicht begründen lasse. Gleiches gelte für eine Angststörung, die ebenfalls offensichtlich bereits vor dem Unfall bestanden habe. Bei der von der Klägerin kurz nach dem Unfall aufgetretenen Schwindelsymptomatik handele es sich vermutlich um einen unfallbedingten benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel bzw. Otolithenschwindel, deren Symptomatik nicht selten im Gefolge von Schädeltraumata aufträte. Die Symptomatik habe sich damals offensichtlich rasch wieder zurückgebildet; aktuell sei nicht über Schwindel geklagt worden. Eine Commotio cerebri sei im Zusammenhang mit der erlittenen Schädelprellung wohl nicht aufgetreten. Selbst wenn im Zusammenhang mit dem Schädeltrauma doch eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit aufgetreten sein und somit eine Commotio cerebri vorgelegen haben sollte, könne man davon ausgehen, dass sich die damit in Zusammenhang aufgetretenen Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit) nach sechs Wochen wieder zurückgebildet hätten. Sowohl Depressionen als auch HWS-Beschwerden hätten nachweislich bereits vor dem Unfall bestanden. Zudem lasse sich diesbezüglich kein adäquater Erstschaden objektivieren. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten maximal für sechs Wochen vorgelegen. Eine MdE auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestehe nicht.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde anschließend auf psychologischem Fachgebiet der Sachverständige Prof. Dr. B. (MIT Traumaambulanz C-Stadt) unter Hinzuziehung von Dipl.-Psych. F. gehört (Gutachten mit Untersuchung am 18.09.2012). Prof. Dr. B. diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, und einen Verdacht auf eine generalisierte Angststörung. Im Rahmen der Exploration, gestützt durch Testergebnisse, sei recht schnell der Eindruck entstanden, dass die Klägerin schwierige und belastende Erlebnisse depressiv verarbeite. In den einzelnen Lebenssituationen, in denen die Klägerin in für sie schwierige Situationen gekommen sei (Versetzung am Arbeitsplatz) oder mit somatischen Krankheiten konfrontiert worden sei (Operation, Virusinfektion) habe sie mit typischen depressiven Symptomen (Schlafstörungen, Verlust von Lebensfreude etc.) reagiert. Hinzu seien jeweils Symptome von Angst gekommen, die den Verdacht einer generalisierten Angststörung nahelegten. Diese Symptomatik bzw. dieses pathologische Verarbeitungsmuster habe bereits vor dem Unfall bestanden und sei als unfallunabhängig zu betrachten. In den Wochen und Monaten nach dem Unfall habe die Klägerin mit typischen Symptomen reagiert, die für eine Belastungsreaktion sprächen (Angst, Depression, gedankliche Fixierung auf den Unfall und seine möglichen Folgen, Schlafstörungen). Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung wie Wiedererleben, Vermeidung, Übererregung hätten nicht vorgelegen. Die psychische Störung sei weder durch den Unfall verursacht worden, noch liege eine wesentliche Mitursache vor. Die MdE betrage 30 v.H.

Auf Veranlassung der Klägerin wurden die ergänzenden Stellungnahmen vom 31.05.2013 und vom 05.11.2013 eingeholt. Darin erläuterte Prof. Dr. B., dass er die kognitive Leistungsfähigkeit der Klägerin für klinisch unauffällig erachte und die Durchführung von Tests zu kognitiven Defiziten deshalb für entbehrlich halte. Dies gelte ausdrücklich auch im Hinblick auf den MRT-Befund vom 05.05.2009 („kleine Signalanhebung rechts in der Pons am oberen Bildrand; eine gliotische Läsion lässt sich nicht ausschließen.“). Dass vom Notarzt ein „Hochrasanztrauma“ festgestellt worden sei, habe für die Feststellung eines Psychotraumas keine Bedeutung. Wie bereits im Gutachten ausführlich dargelegt worden sei, werde der Unfall nicht als eine wesentliche Ursache für die diagnostizierte rezidivierende Depression angesehen. Der Unfall sei auch nicht als Ursache einer „richtungsweisen Verschlimmerung der vorbestehenden Erkrankung“ zu betrachten.

Der außerdem auf Antrag der Klägerin auf neurochirurgischem Fachgebiet gehörte Sachverständige Dr. med. Dipl.-Psych. P. (Gutachten vom 22.10.2014, Untersuchung am 04.07.2014) stellte folgende Diagnosen: 1. Degeneratives HWS-Syndrom mit spondylotischen Veränderungen, Osteochondrosen HWK 3 bis HWK 7 und kypothischer Knickbildung HWK 3 / HWK 4; Spinalkanalstenose, Radikulopathie und Myelopathie-Zeichen: mittelgradige Funktionseinschränkung. 2. Degeneratives BWS-Syndrom mit vermehrter Kyphosebildung und geringer Funktionseinschränkung. 3. Degeneratives LWS-Syndrom mit Lumboischialgien beidseits bei Osteochondrose LWK 4 / LWK 5 und LWK 5 / SWK 1 und ISG-Veränderungen mit mittelgradiger Funktionseinschränkung. 4. Somatoforme Schmerzerkrankung mit depressiver und angstbesetzter Ausprägung: mittelschwere Ausprägung und entsprechende mittelstarke Leistungseinschränkung. 5. Posttraumatisches Psychosyndrom mit kognitiven mittelschweren Funktionsein-bußen. 6. Posttraumatische Belastungsstörung mittelgradiger Schwere mit mittelstarken Lei-stungseinschränkungen. 7. Rezidivierende depressive Episoden, z. Zt. mittelgradig mit leichten Leistungseinschränkungen. 8. Schwindel und Gleichgewichtsstörungen mit leichter bis mittlerer Ausprägung. 9. Hypertonie. 10. Asthma bronchiale, COPD. 11. Übergewicht. Aufgrund des Autounfalls vom 26.02.2009 sei es bei der Klägerin zu einer Commotio cerebri mit nachfolgend psychischen und kognitiven Störungen sowie zum Teilbild einer posttraumatischen Belastungsstörung in Kombination mit einer chronischen somatoformen Schmerzstörung mit depressiven und ängstlichen Komponenten gekommen, die sich nach einem erneuten Autounfall 2013 zum Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt habe. Bezüglich der degenerativen Veränderungen im HWS-Bereich und im LWS-Bereich müsse davon ausgegangen werden, dass es durch den Unfall zu keinen strukturellen Verletzungen gekommen sei, sondern dass die schon vorher bestehenden degenerativen Veränderungen durch entsprechend stumpfe Traumata nach dem Unfall zu Schmerzen geführt hätten, welche aufgrund vorbestehender gebahnter Verarbeitungsprozesse nicht mehr adäquat hätten bewältigt werden können. Das schwere Unfallerlebnis in Kombination mit vorbestehenden degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule und einer, wenngleich geringen, psychischen Komorbidität der bestehenden, stabilisierten Depressionserkrankung hätten letztlich zu einem protrahierten Verlauf geführt. Eine zusätzliche Verschärfung sei durch den weiteren Unfall 2013 eingetreten, der als Teilkomponente bei der MdE-Bewertung mit berücksichtigt werde.

Als Unfallfolgen anzuerkennen seien (vgl. S. 135/136 zu „Ad 2:“): 1. Posttraumatisches Psychosyndrom und ein Z.n. Commotio cerebri mit kognitiven Defiziten und Gleichgewichtsstörungen. 2. Somatoforme Schmerzerkrankung mit depressiven und ängstlichen Komponenten auf dem Boden einer psychovegetativen gesteigerten Erregbarkeit und der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. 3. Posttraumatische Belastungsstörung.

Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe mindestens bis zum Jahresende 2010 bestanden. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit habe für die psychisch-kognitiven Veränderungen sicher über September 2010 hinaus, für die somatoforme Schmerzerkrankung und die posttraumatische Belastungsstörung bis zum Jahr 2013 bestanden. Die Gesamt-MdE sei für den Zeitraum ab dem Unfall bis Dezember 2010 mit einer MdE von 60 v.H., ab 2011 mit einer MdE von 40 v.H. zu bewerten. Bereits vor dem Unfall habe eine MdE von 30 v.H. für die chronisch-degenerativ veränderte Wirbelsäule sowie eine MdE von 10 v.H. für die rezidivierenden depressiven Episoden bestanden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das umfangreiche Gutachten Bezug genommen.

Seitens des Bevollmächtigten des Klägers wurde jeweils umfassend zu den eingeholten Gutachten Stellung genommen; dabei wurden insbesondere die Feststellungen der von Amts wegen beauftragten Gutachter in Zweifel gezogen.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25.11.2015 (S 33 U 183/11), an der die Klägerin persönlich teilgenommen hat, wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe die Unfallfolgen in der angefochtenen Entscheidung vollständig erfasst und die Gewährung einer Verletztenrente zu Recht abgelehnt.

Gegen das ihm am 08.12.2015 zugestellte Urteil hat der Bevollmächtigte der Klägerin am 04.01.2016 Berufung eingelegt und zur Begründung den bisherigen Vortrag wiederholt und unter eingehender Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gutachten vertieft.

Mit Schreiben vom 06.12.2016 hat der Senat die Beteiligten unter Fristsetzung bis zum 19.01.2017 zu der beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG angehört.

Während sich die Beklagte mit dem Vorgehen einverstanden erklärt hat, hat der Bevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsätzen vom 23.12.2016, vom 02.02.2017 und vom 05.05.2017 nochmals umfassend dargelegt, warum an der Berufung festgehalten werde. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren werde dem Fall nicht gerecht. Außerdem werde die Notwendigkeit weiterer Beweiserhebungen gesehen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Schreiben des Bevollmächtigten Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.12.2016 und vom 10.04.2017 hat der Senat den Bevollmächtigten der Klägerin nochmals darauf hingewiesen, warum keine Notwendigkeit weiterer Ermittlungen gesehen wird und warum auch keine weitere Beweiserhebung auf Antrag nach § 109 SGG durchzuführen ist.

Soweit die Klägerin in einem zeitweise parallel anhängig gewesenen Verfahren die Entfernung zweier ärztlicher Stellungnahmen (Prof. Dr. H. vom 11.11.2009 sowie Dr. H. vom 12.07.2010) aus den Verwaltungsakten der Beklagten beantragt hatte, hatte sie mit diesem Begehren keinen Erfolg. Hierzu wird Bezug genommen auf den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 17.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2012, den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG vom 07.05.2013 (S 33 U 100/12), das die Berufung zurückweisende Urteil des Senats vom 04.10.2016 (L 3 U 233/13), den die Nichtzulassungsbeschwerde verwerfenden Beschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 09.03.2017 (B 2 U 270/16 B) sowie den die Anhörungsrüge verwerfenden Beschluss des BSG vom 22.05.2017 (B 2 U 8/17 C).

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 25.11.2015 sowie unter Abänderung des Bescheides der Beklagten vom 05.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 wird die Beklagte verurteilt, die im Gutachten von Dr. P. vom 22.10.2014 auf Blatt 135/136 unter „Ad 2:“ als „1. bis 3.“ bezeichneten Unfallfolgen als Folgen des Unfalls vom 26.02.2009 anzuerkennen und der Klägerin eine Verletztenrente im Anschluss an das Verletztengeld nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 60 v.H. bis Dezember 2010 und nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 v.H. im Anschluss hieran bis auf weiteres zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge, die beigezogenen Akten der Beklagten und des Zentrums Bayern Familie und Soziales sowie die Akten eines teilweise parallel anhängigen Verfahrens zu den Aktenzeichen S 33 U 100/12 bzw. L 3 U 233/13 verwiesen.

Gründe

Der Senat kann die Berufung vorliegend durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG zurückweisen. Nach § 153 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGG kann das Landessozialgericht, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Ein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, in dem das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, liegt hier nicht vor. Das SG hat mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden. Die Klägerin war bei der mündlichen Verhandlung persönlich anwesend sowie durch ihren Bevollmächtigten vertreten. Beide hatten ausreichend Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Nach der Sitzungsniederschrift hat die Verhandlung insgesamt zwei Stunden gedauert. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine (erneute) mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt worden. Die Beteiligten sind hierzu mit Schreiben vom 06.12.2016 gehört worden.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen sowie Gewährung einer Verletztenrente ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 17 m.w.N.) bzw. kombinierte Anfechtungs- und unechte Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2012 - B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 17 m.w.N.) zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Anspruch auf eine Verletztenrente haben nach § 56 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).

Vorliegend wird eine Verletztenrente infolge eines Arbeitsunfalls begehrt. Anhaltspunkte für einen Stützrententatbestand liegen nicht vor und sind auch nicht vorgetragen. Namentlich bei dem dritten Autounfall der Klägerin im April 2013 (wohl am 07.04.2013) handelte es sich um einen privaten, nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Unfall. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an. Denn der Senat kann nach Ablauf von sechs Monaten nach dem hier streitgegenständlichen Arbeitsunfall vom 26.02.2009 auch keine Unfallfolgen mehr feststellen, die eine MdE von zumindest 10 v.H. bedingen könnten.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 und juris Rn. 9 m.w.N.; BSG, Urteil vom 04.12.2014 - B 2 U 18/13 R -, BSGE 118, 18 und juris Rn. 16 m.w.N.), wohl aber Voraussetzung für einen Leistungsanspruch auf Verletztenrente.

Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden und die Unfallfolgen im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden bzw. Unfallfolgen gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2009 - B 2 U 29/07 R - juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 und juris Rn. 12 m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 18.01.2011 - B 2 U 5/10 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 3 und juris Rn. 20).

Die Feststellung der notwendigen Ursachenzusammenhänge richtet sich im Sozialrecht nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 und juris Rn. 13 m.w.N.).

Nach dieser Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 14 m.w.N.).

Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.).

Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.).

Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang nicht zu berücksichtigen oder entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 17 ff.).

Beweisrechtlich ist außerdem zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 20). Allein ein (ggf. enger) örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten bestimmter Symptome und Beschwerden genügt insoweit jedoch nicht (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 39; BSG, Urteil vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44 und juris Rn. 60).

Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen sich der Senat vollumfänglich anschließt und die bereits auch das SG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hat die Klägerin weder einen Anspruch auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen noch einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.

Die Beklagte ist bei ihrer Entscheidung mit Bescheid vom 05.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 davon ausgegangen, dass die Klägerin bei dem von der Beklagten bestandskräftig anerkannten Arbeitsunfall vom 26.02.2009 eine Schädelprellung sowie diverse Körperprellungen erlitten hat; diese wesentlich ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführenden Gesundheitserstschäden sind jedoch folgenlos verheilt. Außerdem hat die Beklagte zugrunde gelegt, dass es bei der Klägerin infolge des Unfalls zu einer vorübergehenden Verschlimmerung sowohl einer vorbestehenden depressiven Erkrankung als auch einer vorbestehenden Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates gekommen ist. Die Verschlimmerung dieser vorbestehenden Erkrankungen hat nach Ansicht der Beklagten eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von sechs Monaten ab dem Unfall begründet. Ein Anspruch auf Verletztenrente hat anschließend zu keinem Zeitpunkt bestanden, weil eine MdE in einem Umfang von mindestens 20 v.H. nicht besteht.

Diese Entscheidung der Beklagten ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Der Senat kann sich weder davon überzeugen, dass die Klägerin an weiteren andauernden Gesundheitsstörungen (Unfallfolgen) leidet, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden können, noch, dass die unfallbedingte Verschlimmerung der o.g. vorbestehenden Erkrankungen über einen Zeitraum von sechs Monaten nach dem Unfall hinaus vorgelegen hat. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass bei der Klägerin - jedenfalls nach Ablauf von sechs Monaten - keine Unfallfolgen mehr vorgelegen haben, so dass ein Anspruch auf Rente ebenfalls ausscheidet.

Das SG hat in seinem Urteil vom 25.11.2015 die vorliegenden Unterlagen und eingeholten Sachverständigengutachten bereits eingehend und zutreffend auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG gewürdigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Zusammenfassend bzw. ergänzend ist aus Sicht des Senats folgendes auszuführen:

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin bei dem Arbeitsunfall am 26.02.2009 lediglich leichtere Verletzungen in Form einer Kopfplatzwunde, oberflächlichen Weichteilverletzungen, Prellungen und ggf. Zerrungen erlitten hat. Derartige Verletzungen heilen in der Regel binnen weniger Wochen bis allenfalls Monaten folgenlos aus und sind nicht geeignet, zu länger andauernden gesundheitlichen Folgen zu führen. Dass dies bei der Klägerin anders gewesen sein könnte, vermag der Senat nicht festzustellen. Die Beklagte ist hier von einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin von sechs Monaten ausgegangen; Verletztengeld wurde von der Beklagten sogar tatsächlich bis 15.08.2010 gezahlt (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zum Beginn von Renten). Ausgehend von den Gutachten des Sachverständigen Sch. (welches im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird), des Dr. B., des Dr. L. und des Dr. B., aber auch des Prof. Dr. B. sowie in Teilen auch des Gutachtens des Dr. P. ist der Senat davon überzeugt, dass bei der Klägerin spätestens sechs Monate nach dem Unfall keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr vorgelegen haben, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden können. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich zu betonen, dass auch den Ausführungen des Sachverständigen Sch. letztlich nur eine vorübergehende Verschlechterung einer vorbestehenden psychischen Erkrankung entnommen werden kann. Soweit der Sachverständige Sch. die Dauer mit sechs bis zwölf Monaten einschätzt, erscheint dem Senat die Schätzung bezüglich der sechs Monate plausibel. In Anbetracht der nur geringen körperlichen Verletzungen der Klägerin bei dem Unfall vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass nach Ablauf von sechs Monaten noch eine unfallbedingte Verschlimmerung vorgelegen hat. Der Sachverständige Sch. selbst kann für die Dauer des von ihm gewählten Zeitraumes seinerseits keinen konkreten Beleg benennen. Auch eine konkrete Differenzierung zwischen den vorbestehenden Einschränkungen und dem unfallbedingten Verschlimmerungsanteil kann er nicht vornehmen. Hinzu kommt, dass die aus der Zeit vor dem Arbeitsunfall dokumentierten Beschwerden der Klägerin grundsätzlich in Art und Umfang mit denjenigen übereinstimmen, die danach angegeben werden.

Demgegenüber ist für den Senat im Vollbeweis erwiesen, dass die Klägerin bereits vor dem Arbeitsunfall an Gesundheitsstörungen im Sinne einer depressiven Erkrankung sowie einer Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates gelitten hat. Bereits seit 1995 befand sich die Klägerin wegen rezidivierender Phasen der psychovegetativen Erschöpfung und rezidivierenden Verspannungen im HWS-Bereich in Behandlung. 1999 kam es zu Verschlechterungen mit Angstzuständen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen und intermittierendem Herzrasen. Diagnostiziert wurde eine mittelgradige depressive Episode. Später (noch vor dem Arbeitsunfall vom 26.02.2009) wurde eine Panikstörung diagnostiziert. 2004 kam es im Rahmen eines Arbeitsplatzkonfliktes und einer innerbetrieblichen Umsetzung erneut zu einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik und der somatoformen Beschwerden, die zu einer stationären rehabilitativen Behandlung führte. In diesem Zusammenhang hat die behandelnde W.-Klinik A. ausdrücklich auf Panikattacken im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin in der Notaufnahme und dem Kontakt mit (Unfall-)Verletzten und Schwerkranken hingewiesen. Noch kurz vor dem Unfall wurde anlässlich einer stationären Rehabilitationsbehandlung wegen eines Asthma bronchiale bis 10.02.2009 die depressive Störung beschrieben, wenn auch damals nur als leicht ausgeprägt.

Die Krankheitsvorgeschichte der Klägerin zeigt aus Sicht des Senats zudem deutlich auf, dass die Klägerin bereits vor dem Arbeitsunfall vom 26.02.2009 psychisch belastet gewesen ist und außerdem alltägliche Ereignisse geeignet gewesen sind, bei ihr Symptome einer depressiven Erkrankung auszulösen, die denjenigen entsprechend, wie sie von der Klägerin auch nach dem Unfall weiter vorgetragen werden (z.B. Depression, Angst, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Schwindel). Als alltägliche Ereignisse sind hier zum Einen Arbeitsplatzkonflikte zu nennen; die Klägerin fühlte sich außerdem durch ihre Tätigkeit in einer Notaufnahme belastet und schilderte bereits vor ihrem Arbeitsunfall z.B. eine Angst vor Unfällen. Zum anderen kam es bei der Klägerin 1999 sogar nach einem grippalen Infekt zu einer Verschlimmerung der depressiven Symptomatik. Bereits am 20. September 2002 wurden CT-Aufnahmen der oberen HWS und des cranio-cervikalen Überganges zur Abklärung von bereits damals bestehenden Schwindelbeschwerden angefertigt. Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen, dass erfahrungsgemäß eine langdauernde juristische Auseinandersetzung meist störungsaufrechterhaltend wirkt bzw. die Symptomatik verschlimmern kann.

Soweit bei der Klägerin bildgebend Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule, insbesondere im Bereich der HWS, festgestellt worden sind, werden diese übereinstimmend von allen Sachverständigen als degenerative, nicht mit dem Unfall im Zusammenhang stehende Veränderungen eingeschätzt. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Beurteilung anzuschließen. Relevante Traumatisierungen im Bereich der Wirbelsäule, durch die ein Gesundheitserstschaden in diesem Bereich belegt werden könnte, werden von keinem Sachverständigen festgestellt. Ein Schmerzsyndrom der HWS wurde überdies bereits anlässlich einer Rehabilitationsmaßnahme in R. aus dem Jahr 2000 als Diagnose genannt.

Die Klägerin macht namentlich die Anerkennung folgender, von Dr. P. genannter Unfallfolgen geltend: 1. Posttraumatisches Psychosyndrom und ein Z.n. Commotio cerebri mit kognitiven Defiziten und Gleichgewichtsstörungen. 2. Somatoforme Schmerzerkrankung mit depressiven und ängstlichen Komponenten auf dem Boden einer psychovegetativen gesteigerten Erregbarkeit und der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. 3. Posttraumatische Belastungsstörung.

Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen kann sich der Senat ebenso wenig wie das SG davon überzeugen, dass diese Gesundheitsstörungen bei der Klägerin überhaupt vorliegen (dies gilt insbesondere für die Nrn. 1. und 3., die von den Sachverständigen Sch. und Prof. Dr. B. ausdrücklich verneint werden) bzw. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden können (dies gilt insbesondere für die Beschwerden im Sinne der Nr. 2., die Ausdruck vorbestehender Erkrankungen sind). Dr. P. begründet seine Diagnosestellung im Wesentlichen mit allgemeingültigen Erwägungen. Mit der individuellen Situation der Klägerin und den bei ihr einschlägigen Vorerkrankungen setzt er sich nicht ausreichend auseinander. Einen objektivierbaren Gesundheitserstschaden, auf den weitere Unfallfolgen zurückgeführt werden könnten, benennt auch er nicht. Eine bloße Schädelprellung kann hingegen keine kognitiven Störungen auslösen. Hinweise auf cerebrale Funktionsstörungen haben sich zu keinem Zeitpunkt ergeben und wurden auch von Dr. P. nicht dargelegt. Auf den Umstand, dass Dr. P. seine Diagnosen nicht anhand der Kriterien eines international anerkannten Diagnosesystems bezeichnet hat, kommt es im Ergebnis nicht an. Soweit sich Dr. P. in seinen Ausführungen teilweise auf einen dritten Autounfall der Klägerin am 07.04.2013 bezieht, ergeben sich hieraus keine entscheidungserheblichen Konsequenzen für das hiesige Verfahren. Zum einen handelt es sich um einen privaten Unfall, zum anderen grenzt Dr. P. die von ihm angenommen Folgen der getrennt zu betrachteten Unfälle nicht voneinander ab.

Soweit das SG in seinem Urteil Bezug nimmt auf die unfallversicherungsrechtliche Begutachtungsliteratur (hier: Schönberger/ Mehrtens/ Valentin - Sch/M/V -, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010) liegt hierzu zwar zwischenzeitlich die neue, 9. Auflage mit dem Erscheinungsjahr 2017 vor. Entscheidungserhebliche Änderungen ergeben sich daraus jedoch nicht.

Weitere Ermittlungen von Amts wegen mussten sich dem Senat nicht aufdrängen. Auch soweit der Bevollmächtigte der Klägerin nach § 109 SGG weitere Ermittlungen beantragt hat, brauchte der Senat dem nicht nachzukommen.

Soweit der Bevollmächtigte beantragt hat, „ein MRT unter Verwendung von Kontrastmitteln durchzuführen“, ist nicht ersichtlich, mit welchem Ziel eine derartige Bildgebung veranlasst werden sollte. Es liegen bereits verschiedene Bildgebungen vor, die von den Sachverständigen (insbesondere auch von Dr. P.) ausgewertet worden sind. Dabei hat keiner der Sachverständigen die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen gesehen. Außerdem hat die Klägerin 2013 einen weiteren Autounfall erlitten. Es ist somit nicht ersichtlich, welche Erkenntnisse eine aktuelle MRT-Aufnahme für die Bewertung der Folgen des Unfalles vom 26.02.2009 bringen könnte. Ermittlungen ins Blaue hinein sind nicht veranlasst. Soweit der Bevollmächtigte im weiteren Verlauf „eine sogenannte Upright-MRT-Untersuchung“ beantragt hat, gelten dieselben Erwägungen.

Der Bevollmächtigte der Klägerin hat zudem die Einholung von Gutachten auf psychiatrischem und auf radiologischem Fachgebiet für notwendig erachtet und deren Einholung sowohl nach § 106 SGG angeregt als auch nach § 109 SGG beantragt. Der Senat sieht sich nicht veranlasst, dem nachzukommen. Denn es haben einerseits bereits Begutachtungen unter psychiatrischen, psychologischen, traumatherapeutischen und neuropsychologischen Gesichtspunkten stattgefunden (Sachverständiger Sch. und Dr. B. sowie - auf Antrag nach § 109 SGG - Prof. Dr. B./ Dipl.-Psych. F. und Dr. P., der nicht nur Arzt, sondern auch Dipl.-Psych. ist). Weitere Ermittlungen von Amts wegen mussten sich vor diesem Hintergrund nicht aufdrängen und auch ein Grund, einem weiteren Antrag nach § 109 SGG auf Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet stattzugeben, besteht nicht. Ein Sachverständiger ist überdies gar nicht genannt worden. Die Bildgebung wurde andererseits insbesondere bereits eingehend durch den neurochirurgischen Sachverständigen Dr. P. ausgewertet. Dieser bezieht sich in seinem Gutachten insbesondere auf Nativaufnahmen der HWS aus dem Jahr 2001 und 2003, CT-Aufnahmen der HWS, die unmittelbar nach dem Unfall angefertigt worden sind, sowie MRT-Aufnahmen der HWS aus den Jahren 2009, 2013 und 2014. Eingegangen ist der Sachverständige auch auf die Bildgebung zur BWS und LWS. Zudem wurden neurologische Untersuchungen (z.B. Messungen der Nervenleitgeschwindigkeiten sowie ein EEG) durchgeführt. Welche entscheidungserheblichen Fragen hier offen geblieben sein könnten, ist nicht ersichtlich. Dem weiteren Antrag nach § 109 SGG auf Einholung eines radiologischen Gutachtens ist ebenfalls nicht zu entsprechen. Insbesondere liegen keine neuen Gesichtspunkte vor, zu denen sich die in erster Instanz nach § 109 SGG genannten und gehörten Sachverständigen noch nicht haben äußern können. Dass die Begutachtungen nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis geführt haben bzw. der Senat ihnen nicht in vollem Umfang zu folgen vermag, begründet keinen Anspruch auf eine weitere Begutachtung.

Schließlich muss der Senat dem Antrag des Bevollmächtigten der Klägerin auf Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens nicht nachkommen. Es kann zugunsten der Klägerin vorliegend unterstellt werden, dass ein schwerer Unfall vorgelegen hat, der seinerseits grundsätzlich geeignet gewesen wäre, auch schwere Verletzungen zu verursachen. Im Fall der Klägerin ist jedoch der Nachweis entsprechender schwerer bzw. weiterer Verletzungen nicht gelungen. Dieser Nachweis obliegt jedoch medizinischen, nicht unfallanalytischen Sachverständigen. Ist demnach kein unfallanalytisches Gutachten einzuholen besteht auch keine Notwendigkeit, ein darauf aufbauendes weiteres orthopädisches Gutachten einzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).

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Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 17. Aug. 2017 - L 3 U 3/16 zitiert 19 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 160


(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

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(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt. (2) Das Landessozialgericht

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

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Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 2 Versicherung kraft Gesetzes


(1) Kraft Gesetzes sind versichert 1. Beschäftigte,2. Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,3. Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnliche

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 109


(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschieß

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 8 Arbeitsunfall


(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem G

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(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 6 Freiwillige Versicherung


(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern 1. Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfisch

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 3 Versicherung kraft Satzung


(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf1.Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,2.Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

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(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versich

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(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. (2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

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(1) Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem 1. der Anspruch auf Verletztengeld endet,2. der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist. (2) Renten an Hinterbl

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Referenzen

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 05.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2011 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Streitig ist, ob bei der Klägerin wegen eines anerkannten Arbeitsunfalls i. S. d. § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) weitere Unfallfolgen anzuerkennen sind und ob eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII zu gewähren ist.

Die 1953 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter einer Tochter. Seit 1993 war die Klägerin in den St. E. Kliniken in C-Stadt als Leitstellensekretärin in Vollzeit beschäftigt.

Seit 1995 leidet die Klägerin an rezidivierenden Phasen der psychovegetativen Erschöpfung mit Verschlechterung ab 1999 mit Angstzuständen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen, intermittierendem Herzrasen und konsekutiv deutlich überhöhten Blutdruckwerten. Nach einem Autounfall Juli 1995 wurden eine HWS-Distorsion und eine Rückenprellung diagnostiziert, seither bestanden rezidivierende Verspannungen im Halswirbelsäulenbereich.

Ab 1999 befand sich die Klägerin mit Intervallen in fachärztlicher Behandlung bei der Psychiaterin L. Neben einer mittelgradigen depressiven Episode wurde im Verlauf eine Panikstörung diagnostiziert. Im Zeitraum vom 25.04.2000 bis 23.05.2000 befand sich die Klägerin in den medizinischen Rehaeinrichtungen R-Stadt. Die Entlassungsdiagnosen lauteten auf psychovegetative Erschöpfung, arterielle Hypertonie, musculotendinöses Schmerzsyndrom der Halswirbelsäule und Struma diffusa.

Bei der Psychiaterin Frau L. wurde die Therapie nach guter Remission im Januar 2004 beendet, ab Juni 2004 wegen eines Arbeitsplatzkonfliktes und innerbetrieblicher Umsetzung mit Verschlechterung der depressiven Symptomatik und somatoformen Beschwerden wieder fortgeführt und eine weitere stationäre rehabilitative Behandlung eingeleitet. Diese erfolgte in der W-Klinik in I. vom 16.11.2004 bis 21.12.2004. Dort wurden eine Anpassungsstörung, eine Panikstörung, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradiger Ausprägung, eine benigne essentielle Hypertonie und Adipositas diagnostiziert. Im Vorfeld habe es berufliche Konflikte und Anspannungen gegeben, der Blutdruck der Klägerin sei entgleist und diese habe sich nicht mehr belastbar gefühlt. Nach dem Urlaub sei die Klägerin in einen anderen Arbeitsbereich versetzt worden. In der Notaufnahme sei es durch die Konfrontation mit Verletzten und Schwerkranken zu einer Verschlechterung ihres psychischen Befindens gekommen, sie habe zunehmende Angstattacken entwickelt. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig. Eine Wiedereingliederung erfolgte im Herbst 2005.

Im Zeitraum vom 06.01.2009 bis 10.02.2009 befand sich die Klägerin in einer Rehabilitationsbehandlung in T-Stadt wegen eines Asthmas bronchiale. Die depressive Störung wurde als gegenwärtig leicht ausgeprägt beschrieben.

Am 26.02.2009, gegen 08:00 Uhr, hatte die Klägerin auf der Fahrt von ihrer Wohnung in A-Stadt zu ihrer Arbeitsstelle in C-Stadt einen Unfall, als sie bei einem Überholmanöver auf freier Landstraße mit ihrem Kleinwagen wegen Eisglätte ins Schleudern geriet, von der Fahrbahn abkam und sich mit dem Wagen mehrfach überschlug, der schließlich auf der Beifahrerseite auf einem Acker zum Liegen kam.

Die Klägerin hing zunächst halb kopfüber im Fahrersitz, konnte schließlich den Gurt lösen und mit Hilfe eines Ersthelfers durch das Cabriodach das Fahrzeug verlassen. Die Klägerin wurde dann mit einem Rettungshubschrauber in das Klinikum D-Stadt gebracht. Im Notarztprotokoll wurde unter anderem berichtet:

„Bewusstseinslage orientiert. (…) Psychischer Zustand verwirrt. Erstdiagnose: Mehrfachverletzung stumpf, PKW-Insasse, mäßig bis ernste Verletzung Schädel/Hirn, HWS und Thorax. Akute Lebensgefahr nicht auszuschließen. Schädelhirn-Trauma Grad I, Thoraxprellung. Nebendiagnose: Hochrasanztrauma.“

Im Klinikum D-Stadt wurde als Erstbefund erhoben:

„Patientin wach, orientiert, Pupillen ohne Befund, Hirnnerven soweit ohne Befund, es zeigt sich an der Ohrmuschel eine 1,5 cm Risswunde, sowie auch retroaurikulär eine 2 cm Wunde, sowie eine Prellmarke links parieto-occipital. Stiff-Neck anliegend (nach Abnahme keine Nackenschmerzen), insgesamt leicht diffuser Druckschmerz am Thorax, aber keine Instabilität, keine Crepitatio, Lunge seitengleich belüftet, Bauch völlig weich, Becken stabil, Extremitäten völlig frei beweglich, gute Pulse. Es zeigt sich lediglich eine Prellmarke am rechten Unterarm ulnarseitig mit kleiner Schürfung, aber hier völlig frei beweglich, keine Frakturzeichen.“

Ein Polytrauma-Spiral-CT Kopf bis Becken ergab ein Galea-Hämatom links temporoparietal, hypostatische, nicht entzündliche Infiltrate im Bereich des Thorax beidseits; nebenbefundlich wurden eine Spondylosis deformans HWK 3 bis HWK 7, eine multisegmentale Osteochondrose, eine kyphotische Knickbildung HWK 3/ HWK 4, eine kleine subpleurale Bulla im Lungensegment 6 rechts, ein großes Uterusmyom sowie Nierenzysten beidseits beschrieben. Die Diagnosen lauteten: „Schädelprellung, Kopfplatzwunde retroaurikulär, Risswunde linke Ohrmuschel, Thoraxprellung, Prellung rechter Unterarm, Schürfung Unterarm rechts“. Nachdem sich im neurochirurgischen Konsil (vermerkt: „keine Bewusstlosigkeit“; Diagnose: „Commotio cerebri“) keine Interventionsindikation ergeben hatte, wurde die Wunde im Bereich des Ohres versorgt und die Klägerin zur Überwachung wegen des „Hochrasanztraumas“ stationär aufgenommen. Ein neurologisches Konsil (vermerkt: „keine primäre Bewusstlosigkeit“) am 27.02.2009 ergab einen Verdacht auf einen peripheren vestibulären Schwindel („z. B. eine Commotio labyrinthi“). Am 28.02.2009 wurde die Klägerin entlassen.

Am 10.03.2009 stellte sich die Klägerin wegen Schwindelbeschwerden bei dem HNO-Arzt Dr. E. vor, der eine Untererregbarkeit des linken Gleichgewichtsorgans feststellte und einen Zustand nach Schleudertrauma, Vertigo, HWS-Syndrom diagnostizierte. Am 16.03.2009 begab sich die Klägerin in Behandlung bei dem Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen Dr. F., der bei Ausschluss einer Fraktur eine Kontusion des linken Kiefergelenkes diagnostizierte.

In der Folgezeit befand sich die Klägerin in physiotherapeutischer und krankengymnastischer Übungsbehandlung. Wegen anhaltender Nackenschmerzen wurde ein Kernspintomogramm der Halswirbelsäule vom 05.05.2009 angefertigt. Dieses ergab multisegmentale degenerative Veränderungen ohne Zeichen einer frischen Gewebeverletzung. Ein weiteres Kernspintomogramm der Lendenwirbelsäule vom 12.05.2009 zeigte degenerative Veränderungen ohne Unterschied zu einer kernspintomographischen Voruntersuchung vom 20.09.2007.

Außerdem suchte die Klägerin am 21.04.2009 die Psychiaterin Frau L. auf. Diese attestierte, dass die Klägerin über einen Autounfall vom 26.02.2009 berichtet habe (Befundbericht an das Versorgungsamt vom 23.04.2009). Zum Zeitpunkt des Gesprächs sei die Klägerin noch schmerzbelastet gewesen, wodurch sich die psychische Situation etwas verschlechtert habe. Den psychischen Befund beschrieb Frau L. unter anderem als im Affekt eingeschränkt schwingungsfähig, Stimmung gedrückt, ernst, Antrieb etwas reduziert erscheinend, keine formalen Denkstörungen, inhaltlich Schilderung somatischer Probleme, insbesondere Schmerzbelastung. Kognitive oder mnestische Defizite stellte sie nicht fest.

Am 20.07.2009 wurde die Klägerin von der BG-Sprechstunde in D-Stadt in die klinikinterne „Schmerzambulanz“ des Instituts für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Klinikums D-Stadt weitergeleitet (Behandlung durch Dr. G.), wo ein „Chronisches Schmerzsyndrom bei Zustand nach Verkehrsüberfall mit Überschlag, Verdacht auf HWS-Distorsion“ bei bekannter vorbestehender depressiver Problematik diagnostiziert und eine Behandlung mit einem TENS-Gerät verordnet sowie weiterer Physiotherapie angeraten wurde. Es sei davon auszugehen, dass die depressive Problematik das vorhandene Schmerzproblem negativ beeinflusse, diese sei jedoch nicht als krankheitsbestimmend zu betrachten (Bericht vom 23.07.2009).

Bei einer weiteren Vorstellung in der Unfallchirurgischen Abteilung des Klinikums D-Stadt klagte die Klägerin weiterhin über Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule und psychologische Probleme (Bericht vom 18.08.2009). In der Schmerzambulanz wurde am 21.10.2009 trotz Beschwerdebesserung eine „posttraumatische Anpassungsstörung“ diagnostiziert und eine psychotherapeutische Unterstützung für sinnvoll erachtet.

Am 15.12.2009 berichtete Dr. D. unter anderem über eine neuropsychologische Testung der Klägerin und führte aus, dass sich bei den in der Anfangsphase der Behandlung erhobenen Testergebnissen deutliche kognitive Defizite in Aufmerksamkeit und Gedächtnisfunktionen gezeigt hätten, die mit der subjektiven Beschwerdeschilderung der Betroffenen gut übereingestimmt hätten. Anfang Dezember 2009 habe die Klägerin angegeben, dass sich die Kopfschmerzsymptomatik und die Merkfähigkeit deutlich gebessert hätten. Insgesamt bestehe eine unfallbedingte lang anhaltende psychisch belastende Schmerzsymptomatik, insbesondere mit Nacken- und Kopfschmerzen. Auch die zu Beginn der Behandlung erkennbaren kognitiven Defizite seien mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen. Es bestünden längerfristige Probleme bei der psychischen Verarbeitung des Unfalls mit nachdenklich besorgter Stimmungslage und häufiger gedanklicher Beschäftigung mit dem Unfall. Neben der aktuellen psychischen Belastung durch die Unfallfolgen sei auch eine länger bestehende Depression vorhanden.

Bei einer weiteren Vorstellung der Klägerin in der Unfallchirurgischen Abteilung vom 13.01.2010 gab die Klägerin eine starke Zunahme der Beschwerden nach längerer Physiotherapiepause während der Feiertage an, woraufhin weiterer physiotherapeutische Behandlung verordnet wurde. Eine Änderung der Beschwerdesymptomatik ergab sich nicht (Bericht der Unfallchirurgischen Abteilung vom 12.07.2010). Der einmalig aufgesuchte Orthopäde Dr. H. gab in einem Bericht vom 13.08.2010 an, dass wohl eher ein psychisches Problem vorliege.

Auf Veranlassung der Beklagten begutachtete der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie J. die Klägerin und kam in seinem Fachgutachten auf dem Gebiet der Psychiatrie vom 12.03.2010 zum Ergebnis, dass es bei der Klägerin unfallbedingt zu einer psychiatrischen und psychosomatischen Dekompensation gekommen sei, die eine MdE von 40 v. H. bedinge. Im aktuellen Befund zeigten sich neben den depressiven Symptomen auch eine Vermehrung von Ängstlichkeit, eine Verminderung der psychophysischen Belastbarkeit und der Anpassungsfähigkeit sowie neuropsychologische Einbußen der Konzentration, der Ausdauer und der Aufmerksamkeit. Die Diagnose einer Commotio cerebri könne bei fehlender initialer Bewusstlosigkeit und fehlender retrobzw. anterograder Amnesie nicht gestellt werden. Vorbekannt seien über Jahre bestehende degenerative Veränderungen der HWS und LWS, wobei sich durch den Unfall keine wesentliche Veränderung ergeben habe. Es bestünden keine radikulären Reiz- oder Ausfallzeichen, keine peripheren Paresen oder Sensibilitätsstörungen. Dessen ungeachtet müsse von einem chronifizierten Schmerzsyndrom und Schmerzfixierung nach stattgehabter Distorsion mit links betontem Schulter-Arm-Syndrom ausgegangen werden. Die im Zusammenhang mit dem Unfallereignis aufgetretenen affektiven, kognitiven und somatischen Einschränkungen hätten bei der Klägerin zu einer chronifizierten Einbuße der psychophysischen Belastbarkeit und der Leistungsfähigkeit mit konsekutivem Insuffizienzerleben geführt. Eine Beeinflussung des geschilderten Beschwerdekomplexes und der depressiven Symptomatik sei höchst wahrscheinlich. Es sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es ohne das Unfallereignis vom Februar 2009 nicht zu der psychiatrischen und psychosomatischen Dekompensation bei der Klägerin gekommen wäre. Strukturelle Schädigungen intracerebral als Ursache für die subjektiven und objektiven neuropsychologischen kognitiven Einbußen ließen sich nicht verifizieren, andererseits sei bekannt, dass entsprechende Einbußen auch ohne entsprechenden Nachweis eines organpathologischen Befundes auftreten können. Eine Differenzierung zwischen primären kognitiven Einbußen im Rahmen der rezidivierenden depressiven Störung und der Einschränkungen, die unfallassoziiert zu werten seien, sei nicht möglich. Eine zusätzliche somatoforme Komponente sowohl hinsichtlich des Schmerzes als auch des Schwindels sei aus psychiatrischer Sicht anzunehmen.

Diesem Ergebnis schloss sich der Beratungsarzt Dr. K. nicht an (Stellungnahme vom 12.07.2010). Der Gutachter J. trenne nicht zwischen den erheblichen vorbestehenden Gesundheitsstörungen auf neuropsychiatrischem Fachgebiet und den Unfallfolgen. Die von der Klägerin vorgebrachten Beschwerden seien identisch mit den dokumentierten Beschwerden früherer Jahre. Ein objektivierbarer „Erstschaden“ fehle. Eine Schädelprellung könne keine Gedächtnisstörungen hervorbringen.

Herr J. hielt in einer ergänzenden Stellungnahme vom 17.08.2010 an seiner Einschätzung fest. Er habe die neuropsychologischen Einschränkungen nicht als Folgen der auch von ihm diagnostizierten Schädelprellung - nicht Commotio cerebri - eingestuft, sondern in Zusammenhang mit der vorbestehenden Vulnerabilität der Klägerin angenommen, wodurch es durch die Verschlechterung des affektiven Zustands zu negativer Beeinflussung der Neurokognition und der Testergebnisse gekommen sei. Die auch aktuell von der Klägerin noch beklagten Nackenschmerzen verbunden mit Spontan- und Druckschmerzhaftigkeit der HWS und des Nackens würden auch von ihm nicht als direkte Folge der HWS-Distorsion diskutiert, sondern im Zusammenhang mit über Jahre bestehenden degenerativen Veränderungen der HWS eingestuft. Im Dezember 2009 seien sowohl die Kopfschmerzsymptomatik als auch die Merkfähigkeit von Dr. D. als gebessert eingestuft worden, allerdings ohne dezidierte Kontrolltestung. Er gehe somit davon aus, dass für etwa ein halbes Jahr nach dem Unfallereignis die vorbekannte depressive Symptomatik und damit verbunden neurokognitive Einbußen bestanden hätten. Die Schwierigkeiten mit der Verarbeitung des Unfallereignisses und der damit verbundenen Leistungseinbußen dauerten an. Unfallunabhängig bestünde eine Neigung zu depressiven Dekompensationen, Anpassungsstörungen und Angstsymptomen. Für die vorübergehende Verschlechterung sei das Unfallereignis anzuschuldigen. Die bestehenden Nackenschmerzen und das linksbetonte Schulter-Arm-Syndrom würden im Zusammenhang eines chronifizierten Schmerzsyndroms bei vorbekannten polysegmentalen degenerativen Veränderungen des Stützapparates eingestuft, bei denen es zu einer vorübergehenden Akzentuierung für drei bis sechs Monate gekommen sei. Für die Dauer von sechs bis zwölf Monaten sei der Unfall mit seinem Folgen als wesentliche Teilursache für die bestehende Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit anzusehen, der weitere Verlauf sei in erster Linie der zugrunde liegenden psychiatrischen Vorerkrankung inklusive der primärpersönlichen Reaktionsmuster und Anpassungsmöglichkeiten geschuldet. Die MdE werde weiterhin mit 40 v. H. einstuft.

Auf unfallchirurgischem Fachgebiet stellte der Chirurg und Unfallchirurg Dr. L. keine fortbestehenden Unfallfolgen mehr fest (Gutachten vom 26.08.2010). Die Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule seien auf die röntgenologisch nachgewiesenen degenerativen Veränderungen zurückzuführen, die bereits vor dem Unfall bestanden hätten. Auch die Schädelprellung habe keine Folgen hinterlassen.

Die Beklagte erkannte daraufhin mit Bescheid vom 05.10.2010 den Unfall vom 26.02.2009 als Arbeitsunfall mit den Unfallfolgen „Vorübergehende Verschlimmerung einer depressiven Erkrankung und einer vorbestehenden Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates“ an. Die Schädelprellung und die Körperprellungen seien folgenlos ausgeheilt. Arbeits- und Behandlungsbedürftigkeit hätten längstens für 6 Monate bestanden. Nicht als Unfallfolgen wurden anerkannt eine „Rezidivierende depressive Störung, Neigung zu Kopfschmerzen und chronisches Schmerzsyndrom des Stütz- und Bewegungsapparates.“ Ein Rentenanspruch wurde abgelehnt, da eine rentenberechtigte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v. H. über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus nicht vorliege. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurden außerdem auch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben abgelehnt.

Mit ihrem Widerspruch vom 22.10.2010 machte die Klägerin die die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE mind. 40 v. H. sowie von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben geltend.

Die Beklagte wies beide Widersprüche jeweils mit Widerspruchsbescheiden vom 17.02.2011 zurück.

Mit ihrer am 18.03.2011 beim Sozialgericht München eingelegten Klage begehrt die Klägerin die Festsetzung einer „adäquaten“ MdE. Sie sei durch die Unfallfolgen erheblicher beeinträchtigt, als in der Entscheidung zugrunde gelegt werde. Auf die in der Ergänzung vom 17.8.2010 zum psychiatrischen Fachgutachten vom 12.03.2010 ausführlich beschriebenen Unfallfolgen weise sie hin.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Beiziehung eines Befundberichts des Neuropsychologen Dr. R. D. (Klinikum D-Stadt) vom 17.06.2011 über die Behandlung von April 2009 bis September 2010, der Akte der Polizeidirektion C-Stadt sowie durch Einholung zweier Sachverständigengutachten auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet von Dr. M. vom 30.08.2011 (mit ergänzender Stellungnahme vom 24.09.2011) und auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. N. vom 06.02.2012.

Dr. M. führte aus, dass im erstbehandelnden Krankenhaus ein im Hinblick auf die biomechanischen Gegebenheiten des Unfalls ein erstaunlich undramatischer Befund erhoben werden konnte. Als gesicherte Unfallverletzungen seien ausweislich der vorliegenden bildgebenden Befunde lediglich ein kleines und umschriebenes Kopfschwartenhämatom im Bereich des behaarten Schädels der linken Schädelkalotte, eine oberflächliche Weichteilverletzung im Sinne einer Riss- und Platzwunde an der linken Ohrmuschel retroaurikulär, eine Thoraxprellung durch den Sicherheitsgurt, eine Prellung des linken Unterarms durch Anstoß an der Fahrertür sowie eine leichte Halswirbelsäulendistorsion anzunehmen. Eine über diese reversiblen Verletzungen hinausgehende, wie auch immer geartete strukturelle Gewebeverletzung sei aufgrund der vorliegenden Bilddokumente ohne vernünftigen Zweifel auszuschließen. Der protrahierte Krankheitsverlauf ab der zweiten oder dritten Woche nach dem Unfall mit einem Entgleisen des normalen Heilungsverlaufs leichtgradiger Prellungen und der Distorsion erschließe sich nur vor der Annahme einer somatoformen Störung, deren Unfallzusammenhang auf neurogisch-psychiatrischem Fachgebiet abzuklären sei. Unfallfolgen seien lediglich diverse Prellungen und Kontusionen und eine vorübergehende Verschlimmerung der statischen Wirbelsäulenbeschwerden und der psychischen Erkrankung. Unfallunabhängig bestünden altersvorauseilende multisegmentale degenerative Veränderungen an der Halswirbelsäule, an Brust- und Lendenwirbelsäule eher geringgrade Veränderungen ohne echten Krankheitswert. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten für maximal drei Monate bestanden.

Dr. N. führte aus, dass bei der Klägerin eine chronisch rezidivierende Störung vorliege, bei der sich ein Unfallzusammenhang unter Berücksichtigung der bis ins Jahr 1995 zurückreichenden Vorgeschichte mit rezidivierenden depressiven Störungen, Angst und Panikzuständen und insbesondere auch einer im Entlassungsbericht des Rehazentrums T-Stadt, Klinik O-Stadt (stationärer Aufenthalt vom 06.01.2009 bis 23.03.2009, Bericht vom 23.03.2009) noch unmittelbar vor dem Unfall beschriebenen depressiven Symptomatik nicht begründen lasse. Gleiches gelte für eine Angststörung, die ebenfalls offensichtlich bereits vor dem Unfall bestanden habe. Bei der von der Klägerin kurz nach dem Unfall aufgetretenen Schwindelsymptomatik handele es sich vermutlich um einen unfallbedingten benignen paroxysmalen Lagerungsschwindel bzw. Otolithenschwindel, deren Symptomatik nicht selten im Gefolge von Schädeltraumata aufträte. Die Symptomatik habe sich damals offensichtlich rasch wieder zurückgebildet. Eine Commotio cerebri sei im Zusammenhang mit der erlittenen Schädelprellung wohl nicht aufgetreten. Selbst wenn im Zusammenhang mit dem Schädeltrauma doch eine kurzzeitige Bewusstlosigkeit aufgetreten sein und somit eine Commotio cerebri vorgelegen haben sollte, könne man davon ausgehen, dass sich die damit in Zusammenhang aufgetretenen Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit) nach sechs Wochen wieder zurückgebildet hätten. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit hätten maximal für sechs Wochen vorgelegen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wurde anschließend der Sachverständige Prof. Dr. P. auf psychologischem Fachgebiet gehört (Gutachten vom 18.09.2012 nach Untersuchung am selben Tag). Prof. Dr. P. diagnostizierte eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig remittiert, und einen Verdacht auf eine generalisierte Angststörung. Im Rahmen der Exploration, gestützt durch Testergebnisse, sei recht schnell der Eindruck entstanden, dass die Klägerin schwierige und belastende Erlebnisse depressiv verarbeite. In den einzelnen Lebenssituationen, in denen die Klägerin in für sie schwierige Situationen gekommen sei (Versetzung am Arbeitsplatz) oder mit somatischen Krankheiten konfrontiert worden sei (Operation, Virusinfektion) habe diese mit typischen depressiven Symptomen (Schlafstörungen, Verlust von Lebensfreude etc.) reagiert. Hinzu seien jeweils Symptome von Angst gekommen, die den Verdacht einer generalisierten Angststörung nahelegten. Diese Symptomatik bzw. dieses pathologische Verarbeitungsmuster habe bereits vor dem Unfall bestanden und sei als unfallunabhängig zu betrachten. In den Wochen und Monaten nach dem Unfall habe die Klägerin mit typischen Symptomen reagiert, die für eine Belastungsreaktion sprächen (Angst, Depression, gedankliche Fixierung auf den Unfall und seine möglichen Folgen, Schlafstörungen). Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung wie Wiedererleben, Vermeidung, Übererregung hätten nicht vorgelegen. Die psychische Störung sei weder durch den Unfall verursacht worden, noch liege eine wesentliche Mitursache vor. Die MdE betrage 30 v. H.

In auf Veranlassung der Klägerin eingeholten ergänzenden Stellungnahmen vom 31.05.2013 und vom 05.11.2013 führte Prof. Dr. P. aus, dass die kognitive Leistungsfähigkeit der Klägerin für klinisch unauffällig erachtet und die Durchführung von Tests zu kognitiven Defiziten - auch im Hinblick auf den MRT-Befund vom 07.05.2009 („kleine Signalanhebung rechts in der Pons am oberen Bildrand; eine gliotische Läsion lässt sich nicht ausschließen.“) - deshalb für entbehrlich erachtet würden. Dass vom Notarzt ein „Hochrasanztrauma“ festgestellt worden sei, habe für die Feststellung eines Psychotraumas keine Bedeutung.

Der außerdem auf Antrag der Klägerin auf neurochirurgischem Fachgebiet gehörte Sachverständige Dr. Q. (Gutachten vom 22.10.2014, Untersuchung am 04.07.2014) stellte folgende Diagnosen:

1. Degeneratives HWS-Syndrom mit spondylotischen Veränderungen, Osteochondrosen HWK3 bis HWK 7 und kypothischer Knickbildung HWK 3 / HWK 4; Spinalkanalstenose, Radikulopathie und Myelopathie-Zeichen: mittelgradige Funktionseinschränkung.

2. Degeneratives BWS-Syndrom mit vermehrter Kyphosebildung und geringer Funktionseinschränkung.

3. Degeneratives LWS-Syndrom mit Lumboischialgien beidseits bei Osteochondrose LWK 4 / LWK 5 und LWK 5 /SWK 1 und ISG-Veränderungen mit mittelgradiger Funktionseinschränkung.

4. Somatoforme Schmerzerkrankung mit depressiver und angstbesetzter Ausprägung: mittelschwere Ausprägung und entsprechende mittelstarke Leistungseinschränkung.

5. Posttraumatisches Psychosyndrom mit kognitiven mittelschweren Funktionseinbußen.

6. Posttraumatische Belastungsstörung mittelgrader Schwere mit mittelstarken Leistungseinschränkungen.

7. Rezidivierende depressive Episoden, z. Zt. Mittelgradig mit leichten Leistungseinschränkungen.

8. Schwindel und Gleichgewichtsstörungen mit leichter bis mittlerer Ausprägung.

9. Hypertonie.

10. Asthma bronchiale, COPD.

11. Übergewicht.

Aufgrund des Autounfalls vom 26.02.2009 sei es bei der Klägerin zu einer Commotio cerebri mit nachfolgend psychischen und kognitiven Störungen sowie zum Teilbild einer posttraumatischen Belastungsstörung in Kombination mit einer chronischen somatoformen Schmerzstörung mit depressiven und ängstlichen Komponenten gekommen, die sich nach einem erneuten Autounfall 2013 zum Vollbild einer posttraumatischen Belastungsstörung entwickelt habe. Bezüglich der degenerativen Veränderungen im HWS-Bereich und im LWS-Bereich müsse davon ausgegangen werden, dass es durch den Unfall zu keinen strukturellen Verletzungen gekommen sei, sondern dass die schon vorher bestehenden degenerativen Veränderungen durch entsprechend stumpfe Traumata nach dem Unfall zu Schmerzen geführt hätten, welche aufgrund vorbestehender gebahnter Verarbeitungsprozesse nicht mehr adäquat hätten bewältigt werden können. Das schwere Unfallerlebnis in Kombination mit vorbestehenden degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule und einer, wenngleich geringen, psychischen Komorbidität der bestehenden stabilisierten Depressionserkrankung hätten letztlich zu einem protrahierten Verlauf, in dem vor allem auch die durch den Unfall entstandenen kognitiven Störungen den adäquaten Verarbeitungsmechanismus einer gesunden Person nicht hätten erreichen lassen. Da bereits vor dem Unfall die degenerativen Veränderungen über mindestens fünf Jahre in ihrem Schweregrad bestanden hätten, bereits auch während der schweren depressiven Episoden 2004, und dies nicht zu einem chronischen somatoformen Schmerzbild geführt habe, sei in keiner Weise davon auszugehen, dass bei einer leichten depressiven Episode dies als wesentliche Ursache für die jetzt bestehende chronische Schmerzerkrankung heranzuziehen sei. Als wesentliche Ursache der somatoformen Schmerzstörung sei unter Berücksichtigung aller Aspekte des Verlaufs und Würdigung der vorbestehenden Teilkomponente das in vielfacherweise traumatischen Unfallgeschehens von 2009 zu sehen. Eine zusätzliche Verschärfung sei durch den weiteren Unfall 2013 eingetreten, der als Teilkomponente bei der MdE-Bewertung mit berücksichtigt werde.

Als Unfallfolgen anzuerkennen seien:

1. Posttraumatisches Psychosyndrom und ein Zustand nach Commotio cerebri mit kognitiven Defiziten und Gleichgewichtsstörungen.

2. Somatoforme Schmerzerkrankung mit depressiven und ängstlichen Komponenten auf dem Boden einer psychovegetativen gesteigerten Erregbarkeit und der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen.

3. Posttraumatische Belastungsstörung.

Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum Jahresende 2010 bestanden; darüber hinaus sei nicht bewertbar, ob Arbeitsunfähigkeit bestanden habe. Unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit habe für die psychisch-kognitiven Veränderungen sicher über September 2010 hinaus, für die somatoforme Schmerzerkrankung und die posttraumatische Belastungsstörung bis zum Jahre 2013 bestanden. Die Gesamt-MdE sei für den Zeitraum ab dem Unfall bis Dezember 2010 mit einer MdE von 60 v. H., ab 2011 mit einer MdE von 40 v. H. zu bewerten.

Im Einzelnen:

* Vor dem Unfall:

> MdE von 30 v. H. für die chronisch-degenerativ veränderte Wirbelsäule,

> MdE von 10 v. H. für die rezidivierenden depressiven Episoden.

* Nach dem Unfall:

– Vom 26.02.2009 bis Ende 2010:

> MdE von 40 v. H. für das posttraumatische Psychosyndrom mit kognitiven Störungen,

> MdE von 10 v. H. für die Gleichgewichtsstörungen,

> MdE von 30 v. H. für die somatoformen Schmerzen,

> MdE von 0 v. H. für die posttraumatischen Belastungsstörungen.

– 2011 bis April 2013:

> MdE von 20 v. H. für das posttraumatische Psychosyndrom mit kognitiven Störungen,

> MdE von 10 v. H. für die Gleichgewichtsstörungen,

> MdE von 30 v. H. für die somatoformen Schmerzen,

> MdE von 0 v. H. für die posttraumatischen Belastungsstörungen

– Ab April 2013:

> MdE von 40 v. H. für das posttraumatische Psychosyndrom mit kognitiven Störungen,

> MdE von 10 v. H. für Schwindel und Gleichgewichtsstörungen,

> MdE von 40 v. H. für die somatoformen Schmerzen,

> MdE von 20 v. H. für die posttraumatischen Belastungsstörungen.

Die Klägerin bezog zunächst eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, zwischenzeitlich steht sie in Rentenbezug wegen voller Erwerbsminderung (bis 31.01.2016) von der Deutschen Rentenversicherung Bund (Bescheid vom 02.05.2014).

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 05.10.2010 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 17.02.2011 zu verurteilen, die im Gutachten von Dr. Q. auf Blatt 135/136 unter „Ad 2“ als „1.“ bis „3.“ bezeichneten Unfallfolgen als Folgen des Arbeitsunfalls vom 26.02.2009 anzuerkennen und eine Verletztenrente im Anschluss an das Verletztengeld nach einer MdE von 60 v. H. bis Dezember 2010 und nach einer MdE von 40 v. H. bis auf Weiteres weiter zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat die Akten der Beklagten sowie die Akten der Polizeidirektion C-Stadt beigezogen. Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 SGG) beim zuständigen Sozialgericht München eingelegt und ist zulässig, soweit es um die Anerkennung weiterer Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente geht. Soweit die Klägerin außerdem die Weiterzahlung von Verletztengeld begehrt, ist die Klage unzulässig, weil hierüber in dem angefochtenen Bescheid keine Entscheidung getroffen wird. Die Verletztengeldzahlung wurde mit gesondertem Bescheid nach Anhörung im August 2010 eingestellt.

Die Klage erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.10.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.02.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Beklagte hat die Unfallfolgen in der angegriffenen Entscheidung vollständig erfasst und die Gewährung einer Verletztenrente zu Recht abgelehnt.

Vorliegend bestehen keine Zweifel daran, dass die Klägerin am 26.02.2009 gegen 08:00 Uhr einen Arbeitsunfall i. S. d. §§ 7, 8 Abs. 1, 2 Nr. 1 SGB VII erlitten hat, als sie auf der Fahrt von ihrer Wohnung zu ihrer Arbeitsstelle in C-Stadt bei einem Überholmanöver auf freier Landstraße mit ihrem Kleinwagen wegen Eisglätte ins Schleudern geriet, von der Fahrbahn abkam und sich mit dem Wagen mehrfach überschlug, der schließlich auf der Beifahrerseite auf einem Acker zum Liegen kam.

Weiter steht für die Kammer unzweifelhaft fest, dass sich die Klägerin dabei als Gesundheitserstschäden (mindestens) eine Schädelprellung, eine Kopfplatzwunde retroaurikulär, eine Risswunde an der linken Ohrmuschel, eine Thoraxprellung, eine Prellung am rechten Unterarm sowie eine Schürfung am rechten Unterarm erlitten hat.

Über die im Bescheid vom 05.10.2010 anerkannten Unfallfolgen „Vorübergehende Verschlimmerung einer depressiven Erkrankung und einer vorbestehenden Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates“ sowie einer folgenlos verheilten Schädelprellung und der Körperprellungen hinaus sind zur Überzeugung der Kammer jedoch keine weiteren Unfallfolgen anzuerkennen.

Diese Überzeugung gewinnt die Kammer aufgrund der eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. M. und Dr. N., dem Gutachten des Dr. Q., soweit diesem gefolgt werden kann, und insbesondere dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten des Neurologen und Psychiaters J.

Die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles i. S. d. § 8 SGB VII und gegebenenfalls die Entschädigung durch Zahlung einer Verletztenrente nach § 56 SGB VII setzt voraus, dass die Gesundheitsstörung Folge eines Versicherungsfalles, d.h. eines Arbeitsunfalles, ist. Der Arbeitsunfall muss also wesentlich an der Entstehung der Gesundheitsstörung mitgewirkt haben. Davon ist auszugehen, wenn er neben anderen Bedingungen bei wertender Betrachtung diejenige ist, die wegen ihrer besonderen qualitativen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen hat (Theorie der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 28.06.1988, BSGE 63, 277). Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, d.h. neben dem Arbeitsunfall auch die Gesundheitsstörung, mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (Vollbeweis). Ein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch darf keinen Zweifel mehr haben (BSG, Urteil vom 27.03.1958, BSGE 7, 103, 106). Für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Gesundheitsschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie Folgeschäden (haftungsausfüllende Kausalität) ist demgegenüber hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend.

Um eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges zu bejahen, muss absolut mehr für als gegen die jeweilige Tatsache sprechen (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, Juris Rn 4). Es muss sich also unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, das ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden und nach der geltenden ärztlichen wissenschaftlichen Lehrmeinung deutlich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az. B 9 V 23/01 B, a. a. O, m. w. N.). Was die hinreichende Wahrscheinlichkeit betrifft, sind die diesbezüglichen Anforderungen grundsätzlich höher als diejenigen an die überwiegende Wahrscheinlichkeit (Glaubhaftmachung im Sinne eines Beweismaßes, vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az. B 9 V 23/01 B, Juris, Rn 5, zum BVG; BSG, Urteil vom 14.12.2006, Az. B 4 R 29/06 R, Juris, Rn 116, BSGE 45, 1, 9 f.; zum Zivilrecht: BGH vom 11.09.2003, Az. IX ZB 37/03, Juris, Rn. 8 = BGHZ 156, 139; vom 15.06.1994, IV ZB 6/94 = NJW 1994, 2898). Überwiegende Wahrscheinlichkeit bedeutet die gute Möglichkeit, dass der Vorgang sich so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können; dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet (vgl. BSG, Urteil vom 08.08.2001, Az. B 9 V 23/01 B, Juris Orientierungssatz; Urteil vom 14.12.2006, Az. B 4 R 29/06, Juris, Rn 116). Der sogenannte Vollbeweis ist auf der anderen Seite erst erfüllt, wenn eine Tatsache in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung, die eben bei an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben ist, zu begründen (vgl. BSG, Urteil vom 29.03.1963, Az. 2 RU 75/61 = BSGE 19, 52; BSG, Urteil vom 22.09.1977, Az. 10 RV 15/77 = BSGE 45, 1; Urteil vom 01.08.1978, Az. 7 RAr 37/77; Urteil vom 15.12.1999, Az. B 9 VS 2/98 R = Breithaupt 2000, 390 f.; BSG, Beschluss vom 08.08.2001, Az. B 9 V 23/01 B und Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 128 Rn 3b m. w. N.).

Mit in diesem Sinne hinreichender Wahrscheinlichkeit liegt ein Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 26.02.2009 und den von der Beklagten im angefochtenen Bescheid vom 05.10.2010 anerkannten Unfallfolgen auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet im Sinne einer Verschlimmerung einer vorbestehenden Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates sowie folgenlos verheilter Prellungen vor. Ausweislich der am Unfalltag und wenige Wochen später angefertigten bildgebenden Befunde (Polytrauma-Spiral-CT Kopf bis Becken vom 26.02.2009, Kernspintomogramm der HWS vom 05.05.2009 und der LWS vom 12.05.2009) lassen sich keine frischen, strukturellen Verletzungen, insbesondere keine Frakturen, Luxationen oder anderweitige Verletzungen, entnehmen. Radikulären Reiz- oder Ausfallzeichen, periphere Paresen oder Sensibilitätsstörungen liegen nicht vor. Alle (unfall- / neurochirurgischen) Gutachter (Dr. L. im Verwaltungsverfahren, Dr. M.), insbesondere auch Dr. Q., stimmen darüber ein, dass bei der Klägerin ausschließlich chronisch-degenerative, keine traumatischen, Veränderungen der HWS, BWS und LWS vorliegen. Diese vorbestehenden degenerativen Veränderungen und das bereits vor dem Arbeitsunfall vom 26.02.2009 bestehende chronische Schmerzsyndrom (vgl. Dr. J.) sind durch das Unfallereignis vorübergehend verstärkt, jedoch nicht richtungweisend verschlimmert worden. Die unfallbedingte Verschlimmerung ist aufgrund der übereinstimmenden Einschätzung von Herrn J. und Dr. M. für maximal drei Monate anzunehmen.

Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hält die Kammer die Beurteilung von Herrn J. und Dr. N. für schlüssig und überzeugend, wonach es lediglich zu einer vorübergehenden Verschlimmerung einer vorbestehenden depressiven Erkrankung gekommen ist. Die Zusammenhangsbeurteilung zwischen einem Unfallereignis und einer psychischen Gesundheitsstörung muss den Schweregrad des Unfallereignisses und des Unfallerlebnisses, die Persönlichkeitsstruktur und die individuellen Erlebnisressourcen, nachgewiesene Vorschäden und mögliche sekundäre Motive berücksichtigen sowie die Frage behandeln, ob anlagebedingte Faktoren die Entstehung derart beeinflusst haben, dass sich das Unfallereignis als bloße Gelegenheitsursache darstellt (vgl. Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, 5.1). Unter Berücksichtigung vorgenannter Kriterien sind die Sachverständigen Herr J. und Herr N. nachvollziehbar zu ihrer Beurteilung gelangt. Dass die Klägerin bereits vor dem Unfall an einer rezidivierenden depressiven Erkrankung gelitten hat, steht ausweislich der vorliegenden ärztlichen Berichte, unter anderem von der Psychiaterin L., der Rehaeinrichtungen R-Stadt, der W-Klinik und der gerade kurz vor dem Unfall erfolgten Rehabilitationsbehandlung in T-Stadt, bei der die depressive Störung als gegenwärtig leicht ausgeprägt beschrieben worden war, fest. Auch insoweit besteht zwischen sämtlichen Sachverständigen (Herrn J., Dr. N., Prof. Dr. P., Dr. Q.) Einigkeit. Einhergehend mit vorübergehend unfallbedingt aufgetretenen affektiven, kognitiven und somatischen Einschränkungen kam es bei der Klägerin zu einer chronifizierten Einbuße der psychologischen Belastbarkeit und der Leistungsfähigkeit mit konsekutivem Insuffizienzerleben. Die Klägerin litt unter einer unfallbedingten psychisch belastenden Schmerzsituation und unter erheblichen Schwierigkeiten in der Verarbeitung des Unfalls bzw. der Unfallfolgen. Dieser geschilderte Beschwerdekomplex und die vorbestehende depressive Symptomatik haben sich gegenseitig beeinflusst. Außerdem lag eine zusätzliche somatoforme Komponente sowohl hinsichtlich des Schmerzes als auch des Schwindels vor. Auf dem Boden einer vorbestehenden Vulnerabilität ist es zur Überzeugung der Kammer zweifelsfrei unfallbedingt zu einer Verschlimmerung der depressiven Symptomatik in der beschriebenen Ausprägung gekommen. Diese vorübergehende Verschlimmerung ist etwa für einen Zeitraum von sechs Monaten, wie von der Beklagten anerkannt, gegeben gewesen, nachdem sich bereits im Dezember 2009 sowohl die Kopfschmerzsymptomatik als auch die Merkfähigkeit als gebessert gezeigt hatten. Der von Dr. N. angenommene Verschlimmerungszeitraum von nur sechs Wochen erscheint jedoch als zu knapp bemessen.

Die über den Zeitraum von sechs Monaten hinaus anhaltende Neigung zu depressiver Dekompensation mit wiederholten Episoden von Erschöpfung, Überforderung und Niedergeschlagenheit, zu Anpassungsstörungen und Angstsymptomen ist dagegen als unfallunabhängig anzusehen, die lediglich aus Anlass des Arbeitsunfalls vom 26.02.2009 symptomatisch geworden ist. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Gelegenheitsursache zwar durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist; daraus kann jedoch nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, Juris, Rn. 15). Die konkrete Abwägung in vorliegendem Fall führt zur vorgenommenen Beurteilung. Dabei beweist zur Überzeugung der Kammer das dritte von der Klägerin erlebte Unfallereignis vom April 2013 eindrucksvoll, dass die Klägerin - wie Prof. Dr. P. es ausdrückte - schwierige und belastende Erlebnisse depressiv verarbeitet und in Lebenssituationen, in denen diese in für sie schwierige Situationen gekommen ist, mit typischen depressiven Symptomen (Schlafstörungen, Verlust von Lebensfreude etc.) und mit für eine Belastungsreaktion typischen Symptomen (Angst, Depression, gedankliche Fixierung auf den Unfall und seine möglichen Folgen, Schlafstörungen) sowie mit somatischen Erscheinungen (Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule, Schwindel, Wortfindungsprobleme, Vergesslichkeit und Konzentrationsschwierigkeiten) reagiert (alle Symptome so geschildert in der Anamnese im Rahmen der Begutachtung bei Dr. Q., S. 67 / S. 88).

An dieser Beurteilung ändert sich auch nichts, wenn man, wie Dr. Q., von einer stattgehabten Commotio cerebri, anstelle einer bloßen Schädelprellung, ausgeht. Die Diagnose einer Commotio cerebri wurde von den Sachverständigen Dr. N. und Herrn J. im Einklang mit der unfallmedizinischen Fachliteratur abgelehnt, da nicht sicher feststeht, ob es bei der Klägerin durch den Unfall vom 26.02.2009 zu einer Bewusstlosigkeit gekommen ist, wie es diese Diagnose voraussetzt. Die Klägerin hat bei Dr. N. selbst angegeben, dass sie nicht mehr wisse, ob sie bewusstlos gewesen sei oder nicht. Selbst wenn man aber eine Bewusstlosigkeit, wie Dr. Q. ausführte, nicht als zwingendes Kriterium ansieht und berücksichtigt, dass im Erstbefund unmittelbar nach dem Unfall (im neurochirurgischen Konsil) ebenfalls trotz Vermerk „keine Bewusstlosigkeit“ eine Commotio cerebri diagnostiziert wurde, sind über den anerkannten Zeitraum von sechs Monaten bei neurologisch unauffälligem Befund keine bleibenden Beeinträchtigungen wahrscheinlich zu machen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., 5.3.8, S. 180; 5.3.11.1, S. 185).

Ein Rentenanspruch nach § 56 SGB VII besteht nicht, da die Klägerin nicht über die 26. Woche hinaus nach dem Versicherungsfall unfallbedingt in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Soweit Herr J. und Prof. Dr. P. eine MdE von 40 v. H. bzw. 30 v. H. veranschlagt haben, ist diese daher ohnehin irrelevant. Selbst wenn man aber den von Herrn J. vorgeschlagenen Rahmen zur Anerkennung der unfallbedingten Verschlimmerung auf die Dauer von einem Jahr ausschöpfen und eine rentenberechtigende Höhe der MdE annehmen würde, würde sich kein Zahlungsanspruch ergeben, da die Rentenzahlung gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII erst im Anschluss an die Verletztengeldzahlung erfolgen könnte, die erst im August 2010 und damit mehr als ein Jahr nach dem Arbeitsunfall geendet hat. Darüber hinaus hat Herr J. bei der Bestimmung der Höhe der MdE klargestellt, dass sich die MdE aus den unfallbedingten als auch den unfallunabhängigen Beeinträchtigungen generiert. Auch bei Prof. Dr. P. ist davon auszugehen, dass er eine MdE-Bewertung ohne Rücksicht auf deren Ursache vorgenommen hat, denn dieser hatte in seinem Gutachten überhaupt keine Unfallfolgen festgestellt.

Darüber hinausgehende Unfallfolgen, wie von Dr. Q. festgestellt, lassen sich dagegen nach Auffassung der Kammer nicht nachweisen bzw. nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen.

Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge - unabhängig davon, ob als Primärschaden oder im Sinne der Verschlimmerung - ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (ICD-10= Zehnte Revision der internationalen statischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahre 1989, vom Deutschen Institut für medizinische Dokumentation und Information - DIMDI - ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM-IV = Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahr 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Auflage 2001) erforderlich unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, Az. B 2 U 1/05 R, Juris). Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl. BSG, Urteil vom 15.09.2011, Az. B 2 U 25/10 R).

Die Diagnosekriterien für eine posttraumatische Belastungsstörung, wie sie von Dr. Q. als Unfallfolge festgestellt worden ist, nach den Diagnosesystemen ICD-10 und DSM-IV / DSM-V (vgl. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, Deutsche Ausgabe herausgegeben von Peter Falkai und Hans-Ullrich Wittche, 2015 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG) sind unterschiedlich konzipiert, und zwar insbesondere hinsichtlich des Traumakriteriums, des sog. A-Kriteriums. Die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung ist sowohl nach dem ICD 10 als auch dem DSM-IV bzw. DSM-V möglich. Alle Diagnosesysteme stellen bezüglich der posttraumatischen Belastungsstörung unter anderem auf die Schwere des ihr zu Grunde liegenden Ereignisses ab. Allerdings weisen die Kriterien der Diagnosesysteme Unterschiede auf. Das DSM-IV fordert den Nachweis eines Ereignisses, welches unabhängig vom Erleben des Betroffenen objektiv schwer bedrohlich ist, während der ICD 10 nicht so deutlich zwischen dem subjektiven und objektiven Aspekt der Bedrohungssituation unterscheidet, wenn er eine Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß verlangt, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Dieser Unterschied relativiert sich wieder dadurch, dass das DSM-IV neben dem objektiv bedrohlichen Ereignis auch eine Reaktion der betroffenen Person in Form von intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen fordert und damit nicht allein dem funktionellen Unfallmechanismus bei physikalischer Betrachtung, sondern auch dem subjektiven Erleben als Reaktion des Betroffenen auf ein Unfallgeschehen entscheidende Bedeutung beimisst. Der DSM-V hat demgegenüber das Kriterium A (Stressor-Kriterium) in Bezug darauf, wie ein Betroffener das traumatisierende Ereignis erlebte, deutlich ausgearbeitet, während das Kriterium A2 (subjektive Reaktion auf das Ereignis) gestrichen wurde (vgl. zu Vorstehendem: Landessozialgericht Hamburg, Urteil vom 18.08.2015, Az. L 3 U 106/10, Juris, Rn. 17). Es kann hier unentschieden bleiben, welches der Diagnosesysteme anzuwenden ist und ob der von der Klägerin erlebte Arbeitsunfall vom 26.02.2009 den Voraussetzungen des A-Kriteriums entspricht. Denn jedenfalls fehlt es nämlich an den typischen Reaktionen der Klägerin im Sinne des sogenannten B-Kriterium“. Dieses setzt ein beharrliches Wiedererleben des Ereignisses auf mindestens eine der folgenden Weisen voraus:

„1. Wiederkehrende und eindringliche belastende Erinnerungen an das Ereignis, die Bilder, Gedanken oder Wahrnehmungen umfassen können.

2. Wiederkehrende belastende Träume von dem Ereignis.

3. Handeln oder Fühlen, als ob das traumatische Ereignis wiederkehrt (beinhaltet das Gefühl, das Ereignis wieder zu erleben, Illusionen, Halluzinationen und dissoziative Flashback-Episoden, einschließlich solcher, die beim Aufwachen oder bei Intoxikation auftreten).

4. Intensive psychische Belastung bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.

5. Körperliche Reaktionen bei der Konfrontation mit internalen oder externalen Hinweisreizen, die einen Aspekt des traumatischen Ereignisses symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern.“

Wie Herr J. ausführte, schilderte die Klägerin im Rahmen seiner Untersuchung keine flashback-artigen Ereignisse oder Intrusionen oder andere Phänomene einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch Dr. N. konnte keine entsprechenden Symptome feststellen. Die von der Klägerin bei Dr. Q. geschilderten Erinnerungen, Bilder und Alpträume beziehen sich auf den Autounfall vom April 2013 (Bl. 67: „Erinnerungen und Bilder, wie diese Frau ihr ungebremst ins Auto gefahren sei“; „Aufwachen durch Träume von dem Unfall“).

Im Übrigen erscheint es nach Auffassung der Kammer höchst problematisch, dass Dr. Q. die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung „im Vollbild“ erst unter Berücksichtigung des weiteren (nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten) Unfalls der Klägerin vom April 2013 stellt.

Die Diagnose eines Psychosyndroms ist ebenfalls nicht schlüssig. Bezeichnenderweise hat Dr. Q. hier den Zusatz eines (früher: „hirnorganischen“, heute) „organischen“ Psychosyndroms (ICD 10: F.07.2) nicht angeführt. Denn eine organische Schädigung des Gehirns, wie sie die Diagnosen im Bereich F.00 bis F.09 voraussetzen, durch den Arbeitsunfall vom 26.02.2009 ist nicht erwiesen, selbst wenn man, wie oben bereits dargelegt, von einer Commotio cerebri, und nicht nur von einer Schädelprellung, ausgeht. Zudem fehlt es nach Auffassung der Kammer jedenfalls an einer eingehenden Differenzierung, inwieweit die von Dr. Q. festgestellten kognitiven Leistungsdefizite auf den anerkannten Arbeitsunfall vom 26.02.2009 und inwieweit diese auf den dritten Autounfall der Klägerin vom April 2013 zurückzuführen sind. Denn Prof. Dr. P. hatte im Rahmen seiner Begutachtung im September 2012 die kognitive Leistungsfähigkeit der Klägerin für klinisch unauffällig erachtet. Wenn Dr. Q. knapp zwei Jahre später und nach einem für die Klägerin traumatischen Ereignis kognitive Leistungsdefizite feststellt, ist eine entsprechende Differenzierung erforderlich.

Nach alledem konnte die Klage keinen Erfolg haben und war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Die Vorschriften über Urteile gelten entsprechend.

(2) Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Ist die Berufung nicht gegeben, kann mündliche Verhandlung beantragt werden. Wird sowohl ein Rechtsmittel eingelegt als auch mündliche Verhandlung beantragt, findet mündliche Verhandlung statt.

(3) Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil; wird rechtzeitig mündliche Verhandlung beantragt, gilt er als nicht ergangen.

(4) Wird mündliche Verhandlung beantragt, kann das Gericht in dem Urteil von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Gerichtsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger unter Anerkennung einer "mittelgradigen depressiven Störung" als Unfallfolge ab 1.3.1998 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen ist.

2

Der Kläger war ab August 1995 als Gepäckabfertiger bei der damaligen Flughafen AG beschäftigt. Am 13.1.1997 wurde er bei der Ausübung der Beschäftigung zwischen einem Containertransporter sowie einem Gepäckcontainer-Anhänger eingeklemmt. Dadurch wurden sein dritter Finger links und sein Kniegelenk links gequetscht. Folgen dieser Verletzungen lagen über den 18.7.1997 hinaus nicht mehr vor.

3

Der Kläger wurde wegen des Unfalls zunächst ambulant, wegen anhaltender Beschwerden im linken Kniegelenk ab April 1997 in einer Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik stationär behandelt. Danach wurde eine Arbeitserprobung durchgeführt, die wegen gesundheitlicher Beschwerden abgebrochen wurde.

4

Anschließend fand eine Vielzahl von Behandlungen statt, die bis November 1999 überwiegend durch Durchgangsärzte erfolgten und im Auftrag und zulasten der Beklagten durchgeführt wurden. Diese Maßnahmen zur Diagnose und zur Heilbehandlung waren aber rückwirkend betrachtet nur zum Teil durch die Unfallfolgen bedingt. Zum anderen Teil beruhten sie auf unfallunabhängigen Vorschäden am linken Kniegelenk.

5

Der Kläger befand sich unter der Diagnose einer chronifizierten Depression ab März 1998 bei einer Diplom-Psychologin und ab April 1998 bei einem Psychiater in Behandlung. Vom 8.9. bis 3.10.1998 fand eine stationäre Behandlung in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie statt, wo eine Angstneurose mit Panikattacken sowie eine Störung der Impulskontrolle diagnostiziert wurden.

6

Die Beklagte bewilligte dem Kläger einen ersten Vorschuss auf die voraussichtlich zu zahlende Verletztenrente (Vorschussbescheid vom 8.9.1998). Weitere Vorschusszahlungen folgten. Die Beklagte lehnte zunächst dennoch die "Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung über den 18.7.1997 hinaus" ab (Bescheid vom 27.9.2002). Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 11.3.2005 zurück. Später bewilligte und zahlte die Beklagte dem Kläger rückwirkend und durchgängig vom Unfalltag bis zum 30.9.2002 Verletztengeld.

7

Das SG Gießen hat die Beklagte durch Urteil vom 3.7.2008 verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung einer mittelgradigen depressiven Störung als Folge des Arbeitsunfalls ab 19.7.1997 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zu zahlen.

8

Das Hessische LSG hat der Berufung der Beklagten insoweit stattgegeben, als die Verletztenrente erst am 1.3.1998 beginne, und sie im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 26.9.2011). Bei dem Kläger liege eine dauerhafte psychische Erkrankung im Sinne einer chronifizierten depressiven Episode vor. Diese sei in "rechtlich-wesentlichem Umfang" durch den Verlauf der Heilbehandlung der unmittelbaren körperlichen Verletzungen aufgrund des Arbeitsunfalls verursacht worden. Die Heilbehandlung sei zwar rückwirkend betrachtet durch erhebliche degenerative Vorschäden bedingt gewesen. Für die Zurechnung mittelbarer Unfallfolgen komme es aber nicht darauf an, dass die Maßnahmen der Heilbehandlung von der Beklagten angeordnet worden seien. Vielmehr reiche es für die Zurechnung im Rahmen des § 11 Abs 1 SGB VII aus, wenn der Unfallversicherungsträger oder der ihm rechtlich zuzuordnende Durchgangsarzt bei seinem Handeln den objektivierbaren Anschein oder den Rechtsschein gesetzt habe, dass die Behandlung oder Untersuchung zur berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung oder zur Untersuchung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet werde und der Versicherte der Auffassung sein könne, dass die Heilbehandlung geeignet sei, die Unfallfolgen zu bessern oder zu beseitigen.

9

Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt und rügt die Verletzung der §§ 11 Abs 1, 56 Abs 1, 72 Abs 1 sowie 74 Abs 2 SGB VII. Das LSG habe durch seine Auslegung § 11 Abs 1 SGB VII verletzt, da als Ursache der Erkrankung letztlich nicht die Durchführung einer Heilbehandlung oder eine Untersuchung zur Klärung des Versicherungsfalls gesehen werde, sondern vielmehr die Art und Weise des Ablaufs der Heilbehandlung, die - jedenfalls aus Sicht des Klägers - zu Problemen geführt habe. Die Zurechnung zu den Unfallfolgen dürfe nicht aufgrund der subjektiven Einschätzung des Klägers erfolgen, weil dieser die Maßnahmen aus seiner Sicht für undurchschaubar halte und sich durch Zuständigkeitsfragen zwischen Ärzten oder Trägern belastet fühle. Unsicherheiten, die aus dem Wechsel der behandelnden Ärzte oder deren Diagnosestellung herrührten, seien aber durch § 11 SGB VII nicht geschützt. Das LSG habe auch weder festgestellt, dass die Maßnahmen zulasten des Unfallversicherungsträgers angeordnet worden seien, noch festgestellt, dass es sich um die Behandlung von Unfallfolgen gehandelt habe, noch dass diese durchgangsärztlich zu ihren Lasten angeordnet worden seien. Darüber hinaus verletze die Festlegung des Rentenbeginns durch das LSG §§ 72 Abs 1, 74 Abs 2 SGB VII, da dem Kläger rückwirkend bis einschließlich 30.9.2002 Verletztengeld gezahlt worden sei. Das Urteil beruhe zudem auf Verfahrensfehlern (Verletzung von §§ 62, 103 SGG).

10

Die Beklagte beantragt,

        

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 26. September 2011 und des Sozialgerichts Gießen vom 3. Juli 2008 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

11

Der Kläger beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Insbesondere handele es sich bei der diagnostizierten mittelgradigen Depression um eine mittelbare Unfallfolge iS des § 11 SGB VII.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

In dem Rechtsstreit wegen Feststellung einer Unfallfolge und Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH (1.) kann der Senat auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen gemäß § 8 Abs 1 SGB VII unmittelbar durch den Arbeitsunfall wesentlich verursacht worden sind (2. a>) oder ob und ggf welche psychischen Gesundheitsstörungen als mittelbare Unfallfolgen iSd § 11 Abs 1 SGB VII festzustellen sind (2. b>). Es kann auch nicht abschließend beurteilt werden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente iSd § 56 Abs 1 SGB VII besteht (3. a>). Soweit das LSG erneut zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass ein Anspruch auf Verletztenrente gegeben ist, kann ein solcher gemäß § 72 Abs 1 SGB VII nicht für Zeiten vor dem 1.10.2002 bestehen (3. b>).

15

1. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Urteil des LSG, mit dem dieses die Berufung gegen das den Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), den Klagen auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG) sowie auf Zahlung einer Verletztenrente (§ 54 Abs 4 SGG)nach einer MdE um 30 vH stattgebende Urteil des SG im Wesentlichen bestätigt hat. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob das LSG Bundesrecht verletzt hat, da dessen tatsächliche Feststellungen keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

16

Die Beklagte hat (spätestens) in dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides festgestellt, dass der Kläger am 13.1.1997 einen Arbeitsunfall mit den Gesundheitserstschäden am dritten Finger links und am Kniegelenk links erlitten hat. Daher richten sich dessen Anfechtungsklagen gegen die Ablehnung eines Anspruchs auf Feststellung einer chronifizierten depressiven Episode als Unfallfolge und die Ablehnung eines Rechts auf Verletztenrente.

17

Mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann der Kläger den behaupteten materiellen Anspruch auf Feststellung der Unfallfolge durchsetzen, ohne dass er daran durch seine Befugnis zur Erhebung einer Verpflichtungsklage gehindert wäre. Denn er kann zwischen beiden Rechtsschutzformen wählen, weil sie, soweit um Ansprüche auf Feststellung von Unfallfolgen (oder Versicherungsfällen) gestritten wird, grundsätzlich gleich rechtsschutzintensiv sind (vgl BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 12 f). Für das Begehren auf Verletztenrente hat er die Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG zulässig mit der unechten Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente kombiniert.

18

2. Nach § 102 SGB VII haben die Versicherten gegen den zuständigen Unfallversicherungsträger einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge (oder eines Versicherungsfalls), wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls oder infolge der Erfüllung eines Tatbestandes des § 11 SGB VII rechtlich wesentlich verursacht wird. Der Gesundheitsschaden muss sicher feststehen (Vollbeweis) und durch Einordnung in eines der gängigen Diagnosesysteme (zB ICD-10, DSM IV) unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden.

19

a) Es steht schon nicht sicher fest, welche Gesundheitsstörung bei dem Kläger genau vorliegt.

20

Zwar steht aufgrund der Feststellungen des LSG fest, dass auf "orthopädisch/chirurgischem und neurologischem" Fachgebiet über den 18.7.1997 hinaus keine Folgen des Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 vorliegen. Das LSG hat aber nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit festgestellt, welche psychische Gesundheitsstörung beim Kläger vorliegt, denn die Bezeichnung der Erkran-kung im Tenor weicht von derjenigen in den Gründen ab. Nach den Gründen der Entscheidung liegt beim Kläger eine mittelgradige depressive Episode nach "F 33.1" des ICD-10 vor. Im Tenor hat das LSG dagegen als Unfallfolge eine "mittelgradige depressive Störung" festgestellt.

21

b) Der Senat kann auch nicht abschließend beurteilen, ob eine ggf vorliegende mittelgradige depressive Episode iSv F 33.1 ICD-10 "infolge" des Versicherungsfalls besteht.

22

Das LSG hat nicht geprüft, ob die psychische Gesundheitsstörung eine solche iSd § 8 Abs 1 SGB VII ist. Das wäre anzunehmen, wenn sie unmittelbar durch den beim Versicherungsfall ausgelösten Gesundheitserstschaden verursacht worden ist. Die genau zu bezeichnende Gesundheitsstörung ist also als Unfallfolge festzustellen, wenn im wieder eröffneten Berufungsverfahren festzustellen ist, dass zwischen dem beim Arbeitsunfall vom 13.1.1997 eingetretenen Erstschaden und der psychischen Gesundheitsstörung ein unmittelbarer und rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang besteht (haftungsausfüllende Kausalität).

23

c) Der Senat kann schon mangels Klarheit über das Vorliegen einer unmittelbaren Unfallfolge auch nicht abschließend entscheiden, ob die psychische Störung dem Versicherungsfall vom 13.1.1997 nach § 11 SGB VII als mittelbare Unfallfolge zuzurechnen ist. Das wird das LSG bei Verneinung einer unmittelbaren Unfallfolge aber zu prüfen haben.

24

Nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII sind Folgen eines Versicherungsfalls auch solche Gesundheitsschäden oder der Tod eines Versicherten, die durch die Durchführung einer Heilbehandlung nach dem SGB VII oder durch Maßnahmen wesentlich verursacht wurden, welche zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls angeordnet wurden. Diese Vorschrift regelt, dass auch solche Gesundheitsschäden, die durch die Erfüllung der in ihr umschriebenen Tatbestände wesentlich verursacht werden, dem Versicherungsfall rechtlich zugerechnet werden. Diese mittelbaren Folgen müssen - anders als nach § 8 Abs 1 SGB VII - nicht durch den Gesundheitserstschaden verursacht worden sein(vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 mwN).

25

Mit dieser Entscheidung hat der Senat seine Rechtsprechung zum früheren Recht fortgeführt. Bereits für die Bejahung des nach § 555 Abs 1 RVO erforderlichen ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und der Heilbehandlung genügte es, dass der Verletzte, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, von seinem Standpunkt aus der Auffassung sein konnte, dass die Heilbehandlung, zu deren Durchführung er sich begeben hat, geeignet ist, der Beseitigung oder Besserung der durch den Arbeitsunfall verursachten Gesundheitsstörungen zu dienen. Schon zu jener Vorschrift hat das BSG entschieden, dass es nicht erforderlich ist, dass die Heilbehandlung wegen Folgen des Arbeitsunfalls objektiv geboten war (BSG vom 24.6.1981 - 2 RU 87/80 - BSGE 52, 57, 58 = SozR 2200 § 555 Nr 5).

26

Hieran ist mit der Maßgabe festzuhalten, dass § 11 Abs 1 SGB VII nun darauf abstellt, dass die Mitwirkung an einer vom Träger angeordneten ärztlichen Maßnahme sich auch dann als versichert erweist, wenn sich später herausstellt, dass in Wirklichkeit kein Versicherungsfall vorlag. Allerdings setzt die Zurechnung eines Gesundheitsschadens, der rechtlich wesentlich durch eine iSv § 11 Abs 1 SGB VII vom Unfallversicherungsträger angeordnete Maßnahme verursacht wurde, die bisherige Rechtsprechung eingrenzend voraus, dass der Träger oder seine Leistungserbringer gegenüber dem durch die Verrichtung einer bestimmten versicherten Tätigkeit Versicherten durch (festgestellte) Handlungen den Anschein begründet haben, die Behandlungs- oder Untersuchungsmaßnahme erfolge zur Behandlung von Unfallfolgen (oder zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalles oder einer Unfallfolge). Hieran hält der Senat auch im Hinblick auf die an seiner Rechtsprechung geäußerte Kritik (vgl Gundolf Wagner in juris PraxisReport 9/12 Anm 2) fest (wie der Senat wohl auch Krasney, in Becker ua, Kommentar zum SGB VII, § 11 RdNr 15; aA auch Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 11 RdNr 3; G. Wagner in jurisPK-SGB VII, § 11 RdNr 15; Holtstraeter in K/S/W, Kommentar zum Sozialrecht, § 11 SGB VII RdNr 2; Rapp in LPK-SGB VII, § 11 RdNr 1; Schmitt, SGB VII, 4. Aufl 2009, § 11 RdNr 4; Schwerdtfeger in Lauterbach, UV-SGB VII, Stand April 2007, § 11 SGB VII RdNr 4).

27

Auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs zwischen einer Gesundheitsstörung und einer der nach § 11 Abs 1 SGB VII tatbestandlichen Maßnahmen erfolgt nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Dabei ist auf einer ersten Prüfungsstufe zu fragen, ob der Versicherungsfall eine naturwissenschaftlich-philosophische Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörung ist. Dabei ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nach den einschlägigen Erfahrungssätzen nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (aa). Wenn festzustellen ist, dass der Versicherungsfall eine (von möglicherweise vielen) Bedingungen für den Erfolg - hier die psychische Störung - ist, ist auf der ersten Prüfungsstufe weiter zu fragen, ob es für den Eintritt des Erfolgs noch andere Ursachen iS der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie gibt (bb); das können Bedingungen aus dem nicht versicherten Lebensbereich wie zB Vorerkrankungen, Anlagen, nicht versicherte Betätigungen oder Verhaltensweisen sein (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Erst wenn sowohl der Versicherungsfall als auch andere Umstände als Ursachen des Gesundheitsschadens feststehen, ist auf einer zweiten Prüfungsstufe rechtlich wertend zu entscheiden, welche der positiv festzustellenden adäquaten Ursachen für die Gesundheitsstörung die rechtlich "Wesentliche" ist (cc). Dasselbe gilt für die Frage, ob eine MdE vorliegt und im Wesentlichen durch Unfallfolgen verursacht wurde.

28

aa) Der Senat kann nicht entscheiden, ob die Erkrankung des Klägers eine mittelbare Unfallfolge nach § 11 Abs 1 Nr 1 oder Nr 3 SGB VII ist oder keine Unfallfolge war.

29

Ob sich eine medizinische Maßnahme als Durchführung einer Heilbehandlung (§ 11 Abs 1 Nr 1 SGB VII) oder als Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls (§ 11 Abs 1 Nr 3 SGB VII)durch die Beklagte darstellt, beurteilt sich danach, wie der Versicherte ein der Beklagten zuzurechnendes Verhalten bei verständiger Würdigung der objektiven Gegebenheiten zum Zeitpunkt ihrer Durchführung verstehen kann und darf (vgl BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274, RdNr 43).

30

Ob der Kläger zum Zeitpunkt der jeweiligen ärztlichen Behandlungen diese nach den objektiven Gegebenheiten als solche der Beklagten verstehen musste, steht nicht sicher fest. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs 1 SGB VII spricht zwar, dass die fraglichen Maßnahmen durch D-Ärzte und BG-Kliniken veranlasst wurden und die Beklagte deren Kosten trug. Das LSG hat aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit festgestellt, dass die verschiedenen von Ärzten veranlassten Maßnahmen sich nicht nur nach der subjektiven Wahrnehmung des Klägers zur Zeit ihrer Erbringung, sondern auch nach den objektiven Gegebenheiten für den Kläger als Heilbehandlung der Beklagten oder als deren Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts eines Versicherungsfalls darstellten.

31

bb) Das LSG hat auch keine hinreichenden Feststellungen dazu getroffen, ob und ggf welche anderen Ursachen als der Versicherungsfall das Vorliegen der psychischen Erkrankung naturwissenschaftlich-philosophisch verursacht haben.

32

Aus dem Fehlen solcher Feststellungen kann andererseits nicht gefolgert werden, dass die Verwirklichung eines Tatbestands nach § 11 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VII die einzige Ursache der bestehenden Gesundheitsstörung war. Denn das LSG hat bei der Abwägung der Beiträge, die verschiedene Ursachen für das Entstehen der MdE haben, also auf der (zweiten) Stufe zur Prüfung der "Wesentlichkeit" von (verschiedenen) Ursachen, Vorerkrankungen des Klägers auf psychischem Gebiet sowie das Bestehen weiterer, nicht mit dem Arbeitsunfall in Verbindung stehender Faktoren, zB familiäre Probleme, bejaht. Ohne (ausdrückliche) Feststellung dazu, ob und inwieweit diese nicht dem versicherten Risiko zuzurechnenden Ursachen naturwissenschaftlich-philosophisch wirksam geworden sind, ist das LSG sogleich in die rechtliche Wertung eingetreten und hat den Versicherungsfall als die wesentliche Ursache für das Bestehen der Erkrankung bezeichnet.

33

cc) Falls bei erneuter Prüfung des Klagebegehrens festgestellt werden sollte, dass für die Erkrankung sowohl der Versicherungsfall als auch andere Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne vorliegen, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung (zweite Stufe) zu prüfen, ob der Versicherungsfall die psychische Störung "wesentlich" verursacht hat. Unter Berücksichtigung der verschiedenen nach Erfahrungssätzen notwendigen oder hinreichenden Ursachen ist abzuwägen, welche von ihnen die rechtlich Wesentliche ist.

34

Bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts genügt für die Feststellung des naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachenzusammenhangs der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Dieser ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht; allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 20; BSG vom 18.1.2011 - B 2 U 5/10 R - SozR 4-2700 § 200 Nr 3).

35

3. a) Aus den gleichen Gründen kann der Senat nicht entscheiden, ob der Kläger einen Anspruch auf Verletztenrente hat.

36

Gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier des anerkannten Arbeitsunfalls vom 13.1.1997 - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert (MdE) ist, Anspruch auf Rente. Die Höhe der Rente richtet sich ua nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII).

37

Auch insoweit wird das LSG zu prüfen haben, ob eine MdE "infolge" des Arbeitsunfalls besteht. Hierfür gelten die oben zu 2. dargelegten Grundsätze entsprechend.

38

b) Sollte das LSG in dem erneuten Berufungsverfahren einen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 SGB VII bejahen, wird zu beachten sein, dass dieser erst am Tag nach Erlöschen des dem Kläger bewilligten Rechts auf Verletztengeld beginnen kann.

39

Zwar kann der Anspruch auf Verletztenrente - anders als das LSG meint - grundsätzlich bereits am Tag nach dem Versicherungsfall beginnen, wenn bereits zu diesem Zeitpunkt feststeht, dass eine MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus vorliegen wird (zB bei Verlust eines Körperteils) und ein gesetzlich vorrangiger Anspruch nicht besteht.

40

Hier hat das LSG seine Entscheidung aber unter Verletzung von § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII getroffen. Nach dieser Vorschrift beginnt ein Rentenanspruch erst, nachdem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Renten werden danach an Versicherte erst von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld geendet hat. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt worden ist, sondern darauf, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestand. Die Regelung verfolgt den Zweck, Doppelleistungen aus dem System der GUV, insbesondere den zeitgleichen Bezug von Verletztengeld und Verletztenrente, zu vermeiden.

41

Für die vom Kläger geführte Anfechtungs- und Leistungsklage wegen Verletztenrente ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblich. Zu diesem Zeitpunkt stand und steht zwischen den Beteiligten durch Verwaltungsakt bindend fest, dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld vom Unfalltag durchgehend bis 30.9.2002 hat. Eine mögliche Verletztenrente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII) kann daher erst nach dem 30.9.2002, also nach dem Ende des Zeitraums beginnen, für den Verletztengeld zustand (§ 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII; § 74 Abs 2 SGB VII ist nicht anwendbar, da der Anspruch auf Verletztengeld nicht aufgrund einer erneuten Arbeitsunfähigkeit infolge Wiedererkrankung eingetreten ist; siehe dazu Kranig in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 74 RdNr 13).

42

4. Da das Urteil des LSG aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen worden ist, bedarf es keiner Entscheidung mehr über die Frage, ob die Beklagte zulässige und begründete Verfahrensrügen gegen das Urteil des LSG erhoben hat.

43

5. Das LSG hat mit der im wiedereröffneten Berufungsverfahren zu treffenden Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden. Dabei wird ggf zu berücksichtigen sein, dass dem Kläger eine Verletztenrente nicht - wie begehrt - ab Juli 1997, sondern erst ab 1.10.2002 zusteht.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten.

(2) Verbotswidriges Handeln schließt einen Versicherungsfall nicht aus.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

(1) Kraft Gesetzes sind versichert

1.
Beschäftigte,
2.
Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen,
3.
Personen, die sich Untersuchungen, Prüfungen oder ähnlichen Maßnahmen unterziehen, die aufgrund von Rechtsvorschriften zur Aufnahme einer versicherten Tätigkeit oder infolge einer abgeschlossenen versicherten Tätigkeit erforderlich sind, soweit diese Maßnahmen vom Unternehmen oder einer Behörde veranlaßt worden sind,
4.
behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen, bei einem anderen Leistungsanbieter nach § 60 des Neunten Buches oder in Blindenwerkstätten im Sinne des § 226 des Neunten Buches oder für diese Einrichtungen in Heimarbeit tätig sind,
5.
Personen, die
a)
Unternehmer eines landwirtschaftlichen Unternehmens sind und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
b)
im landwirtschaftlichen Unternehmen nicht nur vorübergehend mitarbeitende Familienangehörige sind,
c)
in landwirtschaftlichen Unternehmen in der Rechtsform von Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
d)
ehrenamtlich in Unternehmen tätig sind, die unmittelbar der Sicherung, Überwachung oder Förderung der Landwirtschaft überwiegend dienen,
e)
ehrenamtlich in den Berufsverbänden der Landwirtschaft tätig sind,
wenn für das Unternehmen die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft zuständig ist.
6.
Hausgewerbetreibende und Zwischenmeister sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
7.
selbständig tätige Küstenschiffer und Küstenfischer, die zur Besatzung ihres Fahrzeugs gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und regelmäßig nicht mehr als vier Arbeitnehmer beschäftigen, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
8.
a)
Kinder während des Besuchs von Tageseinrichtungen, deren Träger für den Betrieb der Einrichtungen der Erlaubnis nach § 45 des Achten Buches oder einer Erlaubnis aufgrund einer entsprechenden landesrechtlichen Regelung bedürfen, während der Betreuung durch geeignete Tagespflegepersonen im Sinne von § 23 des Achten Buches sowie während der Teilnahme an vorschulischen Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt,
b)
Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen,
c)
Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen,
9.
Personen, die selbständig oder unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich im Gesundheitswesen oder in der Wohlfahrtspflege tätig sind,
10.
Personen, die
a)
für Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts oder deren Verbände oder Arbeitsgemeinschaften, für die in den Nummern 2 und 8 genannten Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von Gebietskörperschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
b)
für öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen oder für privatrechtliche Organisationen im Auftrag oder mit ausdrücklicher Einwilligung, in besonderen Fällen mit schriftlicher Genehmigung von öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
11.
Personen, die
a)
von einer Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts zur Unterstützung einer Diensthandlung herangezogen werden,
b)
von einer dazu berechtigten öffentlichen Stelle als Zeugen zur Beweiserhebung herangezogen werden,
12.
Personen, die in Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der satzungsmäßigen Veranstaltungen, die der Nachwuchsförderung dienen, teilnehmen,
13.
Personen, die
a)
bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten,
b)
Blut oder körpereigene Organe, Organteile oder Gewebe spenden oder bei denen Voruntersuchungen oder Nachsorgemaßnahmen anlässlich der Spende vorgenommen werden,
c)
sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen,
d)
Tätigkeiten als Notärztin oder Notarzt im Rettungsdienst ausüben, wenn diese Tätigkeiten neben
aa)
einer Beschäftigung mit einem Umfang von regelmäßig mindestens 15 Stunden wöchentlich außerhalb des Rettungsdienstes oder
bb)
einer Tätigkeit als zugelassener Vertragsarzt oder als Arzt in privater Niederlassung
ausgeübt werden,
14.
Personen, die
a)
nach den Vorschriften des Zweiten oder des Dritten Buches der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit, des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers oder eines nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen,
b)
an einer Maßnahme teilnehmen, wenn die Person selbst oder die Maßnahme über die Bundesagentur für Arbeit, einen nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Zweiten Buches zuständigen Träger oder einen nach § 6a des Zweiten Buches zugelassenen kommunalen Träger gefördert wird,
15.
Personen, die
a)
auf Kosten einer Krankenkasse oder eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre oder teilstationäre Behandlung oder stationäre, teilstationäre oder ambulante Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten,
b)
zur Vorbereitung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben auf Aufforderung eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit einen dieser Träger oder eine andere Stelle aufsuchen,
c)
auf Kosten eines Unfallversicherungsträgers an vorbeugenden Maßnahmen nach § 3 der Berufskrankheiten-Verordnung teilnehmen,
d)
auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskasse oder eines Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung an Präventionsmaßnahmen teilnehmen,
16.
Personen, die bei der Schaffung öffentlich geförderten Wohnraums im Sinne des Zweiten Wohnungsbaugesetzes oder im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung bei der Schaffung von Wohnraum im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 des Wohnraumförderungsgesetzes oder entsprechender landesrechtlicher Regelungen im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind,
17.
Pflegepersonen im Sinne des § 19 Satz 1 und 2 des Elften Buches bei der Pflege eines Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne der §§ 14 und 15 Absatz 3 des Elften Buches; die versicherte Tätigkeit umfasst pflegerische Maßnahmen in den in § 14 Absatz 2 des Elften Buches genannten Bereichen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung nach § 18 Absatz 5a Satz 3 Nummer 2 des Elften Buches.

(1a) Versichert sind auch Personen, die nach Erfüllung der Schulpflicht auf der Grundlage einer schriftlichen Vereinbarung im Dienst eines geeigneten Trägers im Umfang von durchschnittlich mindestens acht Wochenstunden und für die Dauer von mindestens sechs Monaten als Freiwillige einen Freiwilligendienst aller Generationen unentgeltlich leisten. Als Träger des Freiwilligendienstes aller Generationen geeignet sind inländische juristische Personen des öffentlichen Rechts oder unter § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallende Einrichtungen zur Förderung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der Abgabenordnung), wenn sie die Haftpflichtversicherung und eine kontinuierliche Begleitung der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung im Umfang von mindestens durchschnittlich 60 Stunden je Jahr sicherstellen. Die Träger haben fortlaufende Aufzeichnungen zu führen über die bei ihnen nach Satz 1 tätigen Personen, die Art und den Umfang der Tätigkeiten und die Einsatzorte. Die Aufzeichnungen sind mindestens fünf Jahre lang aufzubewahren.

(2) Ferner sind Personen versichert, die wie nach Absatz 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden. Satz 1 gilt auch für Personen, die während einer aufgrund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder aufgrund einer strafrichterlichen, staatsanwaltlichen oder jugendbehördlichen Anordnung wie Beschäftigte tätig werden.

(3) Absatz 1 Nr. 1 gilt auch für

1.
Personen, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder der Länder oder bei deren Leitern, Mitgliedern oder Bediensteten beschäftigt und in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 4 Absatz 1 Satz 2 des Sechsten Buches pflichtversichert sind,
2.
Personen, die
a)
im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes Entwicklungsdienst oder Vorbereitungsdienst leisten,
b)
einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst „weltwärts” im Sinne der Richtlinie des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vom 1. August 2007 (BAnz. 2008 S. 1297) leisten,
c)
einen Internationalen Jugendfreiwilligendienst im Sinne der Richtlinie Internationaler Jugendfreiwilligendienst des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Dezember 2010 (GMBl S. 1778) leisten,
3.
Personen, die
a)
eine Tätigkeit bei einer zwischenstaatlichen oder überstaatlichen Organisation ausüben und deren Beschäftigungsverhältnis im öffentlichen Dienst während dieser Zeit ruht,
b)
als Lehrkräfte vom Auswärtigen Amt durch das Bundesverwaltungsamt an Schulen im Ausland vermittelt worden sind oder
c)
für ihre Tätigkeit bei internationalen Einsätzen zur zivilen Krisenprävention als Sekundierte nach dem Sekundierungsgesetz abgesichert werden.
Die Versicherung nach Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a und c erstreckt sich auch auf Unfälle oder Krankheiten, die infolge einer Verschleppung oder einer Gefangenschaft eintreten oder darauf beruhen, dass der Versicherte aus sonstigen mit seiner Tätigkeit zusammenhängenden Gründen, die er nicht zu vertreten hat, dem Einflussbereich seines Arbeitgebers oder der für die Durchführung seines Einsatzes verantwortlichen Einrichtung entzogen ist. Gleiches gilt, wenn Unfälle oder Krankheiten auf gesundheitsschädigende oder sonst vom Inland wesentlich abweichende Verhältnisse bei der Tätigkeit oder dem Einsatz im Ausland zurückzuführen sind. Soweit die Absätze 1 bis 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie abweichend von § 3 Nr. 2 des Vierten Buches für alle Personen, die die in diesen Absätzen genannten Tätigkeiten im Inland ausüben; § 4 des Vierten Buches gilt entsprechend. Absatz 1 Nr. 13 gilt auch für Personen, die im Ausland tätig werden, wenn sie im Inland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

(4) Familienangehörige im Sinne des Absatzes 1 Nr. 5 Buchstabe b sind

1.
Verwandte bis zum dritten Grade,
2.
Verschwägerte bis zum zweiten Grade,
3.
Pflegekinder (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 des Ersten Buches)
der Unternehmer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner.

(1) Die Satzung kann bestimmen, daß und unter welchen Voraussetzungen sich die Versicherung erstreckt auf

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
2.
Personen, die sich auf der Unternehmensstätte aufhalten; § 2 Absatz 3 Satz 4 erster Halbsatz gilt entsprechend,
3.
Personen, die
a)
im Ausland bei einer staatlichen deutschen Einrichtung beschäftigt werden,
b)
im Ausland von einer staatlichen deutschen Einrichtung anderen Staaten zur Arbeitsleistung zur Verfügung gestellt werden;
Versicherungsschutz besteht nur, soweit die Personen nach dem Recht des Beschäftigungsstaates nicht unfallversichert sind,
4.
ehrenamtlich Tätige und bürgerschaftlich Engagierte,
5.
Kinder und Jugendliche während der Teilnahme an Sprachförderungskursen, wenn die Teilnahme auf Grund landesrechtlicher Regelungen erfolgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht für

1.
Haushaltsführende,
2.
Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner,
3.
Personen, die aufgrund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten erteilten Erlaubnis als Fischerei- oder Jagdgast fischen oder jagen,
4.
Reeder, die nicht zur Besatzung des Fahrzeugs gehören, und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner.

(1) Auf schriftlichen oder elektronischen Antrag können sich versichern

1.
Unternehmer und ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder Lebenspartner; ausgenommen sind Haushaltsführende, Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien, von nicht gewerbsmäßig betriebenen Unternehmen nach § 123 Abs. 1 Nr. 2 und ihre Ehegatten oder Lebenspartner sowie Fischerei- und Jagdgäste,
2.
Personen, die in Kapital- oder Personenhandelsgesellschaften regelmäßig wie Unternehmer selbständig tätig sind,
3.
gewählte oder beauftragte Ehrenamtsträger in gemeinnützigen Organisationen,
4.
Personen, die in Verbandsgremien und Kommissionen für Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften sowie anderen selbständigen Arbeitnehmervereinigungen mit sozial- oder berufspolitischer Zielsetzung (sonstige Arbeitnehmervereinigungen) ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen,
5.
Personen, die ehrenamtlich für Parteien im Sinne des Parteiengesetzes tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen für diese Tätigkeit teilnehmen.
In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 kann auch die Organisation, für die die Ehrenamtsträger tätig sind, oder ein Verband, in dem die Organisation Mitglied ist, den Antrag stellen; eine namentliche Bezeichnung der Versicherten ist in diesen Fällen nicht erforderlich. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 4 und 5 gilt Satz 2 entsprechend.

(2) Die Versicherung beginnt mit dem Tag, der dem Eingang des Antrags folgt. Die Versicherung erlischt, wenn der Beitrag oder Beitragsvorschuß binnen zwei Monaten nach Fälligkeit nicht gezahlt worden ist. Eine Neuanmeldung bleibt so lange unwirksam, bis der rückständige Beitrag oder Beitragsvorschuß entrichtet worden ist.

(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.

(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch

1.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit,
2.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges, um
a)
Kinder von Versicherten (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wegen ihrer, ihrer Ehegatten oder ihrer Lebenspartner beruflichen Tätigkeit fremder Obhut anzuvertrauen oder
b)
mit anderen Berufstätigen oder Versicherten gemeinsam ein Fahrzeug zu benutzen,
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
3.
das Zurücklegen des von einem unmittelbaren Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit abweichenden Weges der Kinder von Personen (§ 56 des Ersten Buches), die mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt leben, wenn die Abweichung darauf beruht, daß die Kinder wegen der beruflichen Tätigkeit dieser Personen oder deren Ehegatten oder deren Lebenspartner fremder Obhut anvertraut werden,
4.
das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weges von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn die Versicherten wegen der Entfernung ihrer Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft haben,
5.
das mit einer versicherten Tätigkeit zusammenhängende Verwahren, Befördern, Instandhalten und Erneuern eines Arbeitsgeräts oder einer Schutzausrüstung sowie deren Erstbeschaffung, wenn diese auf Veranlassung der Unternehmer erfolgt.

(3) Als Gesundheitsschaden gilt auch die Beschädigung oder der Verlust eines Hilfsmittels.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. November 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Hinterbliebenenleistungen nach dem Tod ihres Ehemanns (Versicherter).

2

Der im Jahre 1943 geborene Versicherte war als Verwaltungsangestellter und Amtsbetreuer auch für eine Vielzahl von Koma-Patienten verantwortlich. Am 7.9.2006 wurde er auf dem Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause von einem herannahenden Motorrad erfasst und schlug mit dem Kopf ohne Helm auf der Bordsteinkante auf. Hierbei zog er sich ua ein schweres Schädelhirntrauma zu und verlor das Bewusstsein. Als Folge des Schädelhirntraumas bestand ein apallisches Syndrom (Wachkoma); willkürliche Reaktionen waren nicht mehr möglich. Der Versicherte war vollständig auf pflegerische Hilfe angewiesen. Die Extremitäten waren tetraplegisch. Wegen einer Dysphagie war der Versicherte seither mit einem Tracheostoma versorgt und wurde künstlich über eine Magensonde ernährt. Er war stuhl- und harninkontinent. Der Versicherte wurde Ende 2006 zur zustandserhaltenden Pflege in ein Wachkomazentrum verlegt und dort stationär pflegerisch, physiotherapeutisch, ergotherapeutisch und logopädisch behandelt; am fortbestehenden Wachkoma änderte sich nichts.

3

Die Klägerin wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bernau vom 19.3.2007 für alle Angelegenheiten des Versicherten zur Betreuerin bestellt. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 18.3.2008 das Ereignis vom 7.9.2006 als Arbeitsunfall an. Sie gewährte dem Versicherten eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 100 vH. In der Folgezeit setzte die Beklagte die Verletztenrente wegen des Zusammentreffens mit der Heimunterbringung auf die Hälfte herab (Bescheid vom 1.12.2009 und Widerspruchsbescheid vom 23.9.2010).

4

Das Unfallkrankenhaus B stellte in einem Bericht vom 29.3.2010 ua fest, dass eine positive Veränderung des Gesundheitszustands des Versicherten nicht mehr zu erwarten sei. In der Folgezeit reifte bei der Klägerin der Entschluss, bei dem Versicherten die Versorgung über die Magensonde einzustellen. Die Klägerin und ihre erwachsenen Söhne erstellten am 9.7.2010 einen von ihnen unterschriebenen Vermerk, in dem sie festhielten, dass der Versicherte, bei dem keine Patientenverfügung in schriftlicher Form vorlag, "zu Zeiten vor seinem Unfall wiederholt und ganz klar geäußert hat, niemals nur durch lebensverlängernde Maßnahmen weiterleben zu wollen". Die Klägerin und ihre Söhne hätten deshalb am 4.7.2010 einvernehmlich entschieden "sein Leiden nach fast vier Jahren zu beenden und ihn sterben zu lassen".

5

Die Klägerin durchtrennte nach Absprache mit der Heimleitung am 12.7.2010 die der Ernährung des Versicherten dienende Magensonde. Der Versicherte verstarb am 20.7.2010 an Unterernährung, ohne nach dem Unfall das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Als Todesursache wurde Marasmus infolge Beendigung der Nahrungszufuhr festgestellt. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26.8.2010 die von der Klägerin beantragte Hinterbliebenenrente und die Gewährung von Sterbegeld ab. Ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen den anerkannten Unfallfolgen und dem Tod des Versicherten lasse sich nicht feststellen. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom 23.2.2011).

6

Die Klägerin hat Klage zum SG Berlin erhoben und geltend gemacht, es sei ausgeschlossen gewesen, dass sich der Gesundheitszustand des Versicherten wieder bessern würde. Unter dem Eindruck des zur Straflosigkeit eines Behandlungsabbruchs ergangenen Urteils des BGH vom 25.6.2010 (2 StR 454/09) habe sie sich zusammen mit ihren Söhnen entschlossen, den Versicherten sterben zu lassen.

7

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat das strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin mangels hinreichenden Tatverdachts eines Tötungsdelikts mit Verfügung vom 26.11.2012 gemäß § 170 Abs 2 StPO eingestellt.

8

Das SG hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenrente und Sterbegeld zu zahlen (Urteil vom 16.1.2012). Das LSG hat durch Urteil vom 7.11.2013 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe als Witwe des Versicherten einen Anspruch auf Sterbegeld gemäß § 64 Abs 1 SGB VII und auf Witwenrente aus § 65 SGB VII iVm § 63 Abs 1 SGB VII, weil der Tod des Versicherten infolge des Versicherungsfalls eingetreten sei und kein Anspruchsausschluss nach § 101 Abs 1 SGB VII vorliege. Es liege ein Arbeitsunfall gemäß § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII vor, weil der Versicherte "im Wesentlichen" wegen der Folgen des Unfalls vom 7.9.2006 verstorben sei. In dem aufgrund des Unfallereignisses eingetretenen Gesundheitserstschaden, der zunächst zu einem Wachkoma geführt habe, liege eine wesentliche Ursache für den am 20.7.2010 eingetretenen Tod des Versicherten. Der Versicherte habe so schwere Verletzungen davongetragen, dass der Todeseintritt durch die intensivmedizinische Sofortbehandlung und die unmittelbar anschließende, ununterbrochene Intensivpflege letztlich nur aufgeschoben habe werden können. Der Versicherte sei unfallbedingt nicht mehr selbständig lebensfähig gewesen, sondern todgeweiht. Nach Ablauf von fast vier Jahren sei nach Meinung der behandelnden Ärzte eine funktionelle Erholung letztlich ausgeschlossen gewesen. Dementsprechend sei der Tod schließlich allein schon nach dem Unterlassen weiterer künstlicher Ernährung eingetreten. Dieses Unterlassen könne dem Unfall das Gepräge der alles überragenden Ursache für das Versterben des Versicherten nicht nehmen; es ebene dem nach dem Unfall natürlichen Sterbeprozess letztlich nur wieder den Weg. Hiernach könne dahinstehen, ob darin, dass die Klägerin die Magensonde durchtrennt habe, eine (weitere) wesentliche Ursache zu sehen sei, denn die Durchtrennung der Magensonde ändere nichts daran, dass wesentliche Todesursache die beim Unfall zugezogenen Verletzungen gewesen seien.

9

Der Anspruch sei auch nicht nach § 101 Abs 1 SGB VII ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift haben Personen, welche den Tod von Versicherten vorsätzlich herbeigeführt haben, keinen Anspruch auf Leistungen. Die Vorschrift regele einen Sonderfall der Verwirkung, nach der ein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten nicht durch eine Entschädigung aus der Sozialversicherung "belohnt" werden solle. Der Ausschluss setze mithin nicht nur strafrechtliche Vorwerfbarkeit voraus, sondern greife seinem Sinn und Zweck nach selbst dann nicht, wenn eine Tötung auf Verlangen iS von § 216 StGB vorliege. Strafrechtlich nicht sanktionierte Sterbehilfe für einen Schwerstverletzten durch Behandlungsabbruch mit seinem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen, die den Tod als mittelbare Unfallfolge herbeiführe, schließe daher Ansprüche nicht aus. Bei der von der Klägerin am Versicherten vorgenommenen Sterbehilfe sei kein von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten zu erkennen, welches nach dem Sinn und Zweck des § 101 SGB VII Hinterbliebenenansprüche ausschließen könne. Es liege kein strafbewehrtes Tötungsdelikt vor. Die Staatsanwaltschaft Berlin habe das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen eines Tötungsdelikts mangels hinreichenden Tatverdachts im Hinblick auf das Urteil des BGH vom 25.6.2010 - 2 StR 454/09 - nachvollziehbar eingestellt. Hiernach sei Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) gerechtfertigt, wenn dies dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen entspreche (vgl §§ 1901a ff BGB)und dazu diene, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen. Ebenso wie die Staatsanwaltschaft Berlin habe der Senat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Behandlungsabbruch dem mutmaßlichen Willen des Versicherten entsprochen habe. Nach der von der Klägerin und den gemeinsamen drei erwachsenen Söhnen unterschriebenen Erklärung habe der Versicherte keine bloß lebensverlängernden Maßnahmen über sich ergehen lassen wollen. Dass er sich zu Lebzeiten gegenüber seinen Angehörigen in diesem Sinne geäußert habe, erscheine angesichts seiner beruflichen Tätigkeit als Betreuer für Koma-Patienten ohne weiteres nachvollziehbar. Die Klägerin habe sich zu einem derart behaupteten Patientenwillen auch nicht selbst in Widerspruch gesetzt, indem sie noch kurz vor dem Tod des Versicherten der Durchführung einer Blasen- und einer Zahnoperation zugestimmt, auf der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der zwischenzeitlich nicht mehr durchlässigen Magensonde bestanden und ferner auf die weitere Durchführung von Ergotherapie und Logopädie Wert gelegt habe. Hierzu habe die Klägerin plausibel ausgeführt, dass sie, als diese Behandlungsmaßnahmen notwendig geworden seien, schnell auf den Behandlungsbedarf habe reagieren müssen und nicht unter dem Eindruck dieses Behandlungsbedarfs über eine etwaige Sterbehilfe habe entscheiden wollen. Dass der Entschluss zur Sterbehilfe letztlich erst durch das Urteil des BGH vom 25.6.2010 befördert worden sei, sei nachvollziehbar. Auch die zweite Voraussetzung einer straffreien Sterbehilfe, dass der Behandlungsabbruch dazu diente, einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess seinen Lauf zu lassen, liege vor.

10

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt insbesondere eine Verletzung des § 101 SGB VII. Anders als in § 101 Abs 2 SGB VII bedürfe es nach dem Wortlaut des § 101 Abs 1 SGB VII keiner Verurteilung wegen eines Verbrechens oder vorsätzlichen Vergehens. § 101 Abs 1 SGB VII setze für den Leistungsausschluss lediglich vorsätzliches Handeln voraus. Das LSG setze sich mit seiner Rechtsprechung insoweit in Widerspruch zu der Rechtsprechung des BSG zu § 105 SGB VI(Hinweis auf BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/10 B). Die vom LSG hinzugezogene Kommentarliteratur sei in ihrer Argumentation zirkulär, weil sie sich für ihre Rechtsansicht weitgehend auf das erstinstanzliche Urteil des SG Berlin beziehe. Es werde zudem "Aufklärungsrüge" erhoben. Das LSG hätte den "Patientenwillen" des Versicherten im Sinne der Patientenverfügung gemäß § 1901a BGB aufklären und hierzu die Klägerin und deren Söhne persönlich anhören müssen. Des Weiteren hätte sich das LSG gedrängt fühlen müssen, zu den Voraussetzungen des § 1904 Abs 2 und Abs 4 BGB Ermittlungen durchzuführen. Es sei unklar geblieben, ob zwischen den behandelnden Ärzten und der Klägerin Einvernehmen über den Patientenwillen bestanden habe. Wenn ein Einvernehmen bestanden hätte, dann hätte es eines Durchtrennens der Magensonde durch die Klägerin persönlich überhaupt nicht bedurft. Schließlich sei auch der Tod des Versicherten nicht infolge des Arbeitsunfalls eingetreten. Soweit das LSG davon ausgehe, dass der Versicherte infolge des unfallbedingten Wachkomas todgeweiht gewesen sei, widerspreche dies der herrschenden medizinischen Lehrmeinung, weil der Wachkomapatient gerade kein sterbender und damit todgeweihter Patient sei.

11

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 7. November 2013 und des Sozialgerichts Berlin vom 16. Januar 2012 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

13

Sie beruft sich auf die angefochtenen Entscheidungen. Ergänzend trägt sie vor, sie habe sich bei dem zuständigen Betreuungsgericht um eine Zustimmung zum Behandlungsabbruch bemüht. Dort habe man ihr mitgeteilt, einer Zustimmung des Gerichts bedürfe es nicht. Sie sei sich mit der Heimleitung und den behandelnden Ärzten einig gewesen, dass eine Unterbrechung der Magensonde dem Patientenwillen entspreche.

Entscheidungsgründe

14

Die statthafte und zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass der Klägerin Ansprüche auf Leistungen bei Tod gemäß § 63 Abs 1 SGB VII zustehen. Der Tod des Versicherten am 20.7.2010 ist infolge eines Arbeitsunfalls iS des § 8 Abs 1 SGB VII eingetreten(vgl unter 1.). Leistungen an die Klägerin aus diesem Versicherungsfall sind auch nicht gemäß § 101 Abs 1 SGB VII ausgeschlossen(iE unter 2.).

15

Wie der Senat bereits entschieden hat (vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 412; vom 12.1.2010 - B 2 U 5/08 R - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 26 ff), umfasst der von der Klägerin bestimmte Streitgegenstand das Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Witwenrente und von Sterbegeld unter jedem rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkt. Diesen Anspruch hat die Beklagte mit den Ablehnungsentscheidungen in ihren Bescheiden verneint. Nach § 63 Abs 1 SGB VII ist Voraussetzung eines jeden Hinterbliebenenrechts(§§ 64 bis 71 SGB VII), dass in der Person des Versicherten ein Versicherungsfall eingetreten war und er infolgedessen verstorben ist. Die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat und welcher es genau war, ist kein selbstständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens, über den durch Verwaltungsakt entschieden werden dürfte, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung des streitgegenständlichen Anspruchs. Wird dieser Anspruch durch negativ feststellenden Verwaltungsakt verneint, ist die Äußerung des Trägers, ein Versicherungsfall habe nicht vorgelegen, nur ein unselbstständiges Begründungselement des Verwaltungsakts. Der Hinterbliebene kann sich daher darauf beschränken vorzutragen, beim Versicherten habe ein Versicherungsfall vorgelegen, der dessen Tod herbeigeführt habe. Der Träger muss dann allein darüber entscheiden, ob das vom Hinterbliebenen verfolgte Recht auf Hinterbliebenenleistungen besteht oder nicht besteht.

16

1. Der Tod des Versicherten am 20.7.2010 ist infolge eines Arbeitsunfalls gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII eingetreten. Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb "Versicherter" ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R und B 2 U 7/13 R -; vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - BSGE 111, 52 = SozR 4-2700 § 2 Nr 21, RdNr 10 mwN; vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 26 f; vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 20; vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12; vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 RdNr 10 und B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49 RdNr 14).

17

Der Tod des Versicherten ist rechtlich wesentlich aufgrund des Arbeitsunfalls/Wegeunfalls vom 7.9.2006 eingetreten. An diesem Tag wurde der Ehemann der Klägerin auf dem versicherten Weg von seiner Arbeitsstelle nach Hause (§ 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII) von einem herannahenden Motorrad erfasst (äußeres Ereignis) und schlug mit dem Kopf auf der Bordsteinkante unbehelmt auf, wodurch er sich erhebliche Verletzungen zuzog und seitdem im Koma lag.

18

Der am 20.7.2010 eingetretene Tod des Versicherten hat seine rechtlich wesentliche Ursache in dieser durch den Sturz auf die Bordsteinkante bedingten Einwirkung auf den Körper des Versicherten und den dadurch verursachten Gesundheitsschäden "infolge" der Verrichtung der versicherten Tätigkeit (Heimweg von der Arbeitsstelle).

19

Bei der objektiven Verursachung kommt es darauf an, dass die versicherte Verrichtung für das Unfallereignis und dadurch für den Gesundheitserstschaden oder hier den Tod eine (Wirk-) Ursache war (BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R; vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 31 ff; hierzu auch Ricke, WzS 2013, 241). (Wirk-) Ursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die infrage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolgs gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Ob die versicherte Verrichtung eine Wirkursache in diesem Sinne war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht (ex post) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen (ggf unter Einholung von Sachverständigengutachten) beantwortet werden (grundlegend BSG vom 24.7.2012 - B 2 U 9/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 44 RdNr 55 ff; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 31 ff). Steht die versicherte Tätigkeit als eine der (Wirk-) Ursachen fest, muss sich auf der zweiten Stufe die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller weiteren auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestands fallenden Gefahr darstellen. Bei dieser reinen Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg der Einwirkung muss entschieden werden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37).

20

Hier trat zu dem Unfallereignis als weitere (Wirk-) Ursache des Todes der Behandlungsabbruch durch die Durchtrennung der Magensonde hinzu, der auf dem rechtlich geschützten Willen des Versicherten beruhte, keinen lebensverlängernden Maßnahmen ausgesetzt zu sein. Die Klägerin war durch Beschluss des Amtsgerichts Bernau vom 19.3.2007 zur Betreuerin des Versicherten bestellt worden. Dementsprechend war die Klägerin gemäß § 1901a Abs 1 Satz 2 BGB als Betreuerin verpflichtet, dem Willen des Betreuten in der medizinischen Behandlungssituation Ausdruck und Geltung zu verschaffen. Das LSG hat hierzu für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, dass der Behandlungsabbruch bzw die Durchtrennung der Magensonde dem mutmaßlichen Willen des Versicherten entsprach. Nach § 1901a Abs 2 Satz 1 BGB hat der Betreuer den mutmaßlichen Willen des Patienten zu ermitteln, wenn - wie im vorliegenden Fall - keine Patientenverfügung vorlag. Das LSG hat seinerseits im Einzelnen Feststellungen dazu getroffen, dass und warum die Klägerin und ihre erwachsenen Söhne den mutmaßlichen Willen des Versicherten zutreffend wiedergegeben haben. Soweit die Beklagte hiergegen Verfahrensrügen erhebt, greifen diese nicht durch. Die Beklagte macht insbesondere geltend, die Klägerin und ihre Söhne hätten vom LSG als Zeugen gehört werden bzw das LSG habe sich selbst einen persönlichen Eindruck von der Klägerin verschaffen müssen. Eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge setzt die Bezeichnung der Tatsachen voraus, die den behaupteten Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG) und aus denen die Möglichkeit folgt, dass das Gericht ohne die geltend gemachte Verfahrensverletzung anders entschieden hätte. Das Revisionsgericht muss in die Lage versetzt werden, sich allein anhand der Revisionsbegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann (BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - UV-Recht Aktuell 2012, 42, Juris RdNr 20 ff; BSG vom 23.8.2007 - B 4 RS 3/06 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 16 RdNr 31). Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. Sie hätte insoweit aufzeigen müssen, dass sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen. Dabei ist darzulegen, inwiefern nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen Sachverhalt aus seiner rechtlichen Sicht erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts zwingende Veranlassung bestanden hat und die so zu ermittelnden Tatsachen nach der Rechtsauffassung des LSG entscheidungserheblich sind. Außerdem ist anzugeben, wann und in welcher Form die zu ermittelnden Tatsachen in der Berufungsinstanz vorgebracht wurden (BSG vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, Juris RdNr 69 f).

21

(Wirk-) Ursachen für den Tod des Versicherten waren mithin der Unfall vom 7.9.2006 und die dabei erlittenen schwersten Verletzungen sowie das Durchtrennen der Magensonde aufgrund des rechtlich geschützten Willens des Verstorbenen, im Wachkoma keinen weiteren Behandlungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, den die Klägerin gemäß § 1901a Abs 1 Satz 2 BGB gehalten war, umzusetzen. Die reine Rechtsfrage nach der "Wesentlichkeit" der versicherten Verrichtung für den Erfolg ist hier - wie in jedem anderen Falle - danach zu entscheiden, ob sich durch das versicherte Handeln ein Risiko verwirklicht hat, gegen das der jeweils erfüllte Versicherungstatbestand gerade Schutz gewähren soll (BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46, RdNr 37). Der Senat geht hier davon aus, dass die rechtlich wesentliche Ursache für den Tod des Versicherten in dem Zurücklegen des nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit zu erblicken ist. Der dabei erlittene Unfall hat bei ihm so schwere Verletzungen ausgelöst, dass sein - vom LSG bindend festgestellter - bereits zuvor bestehender Wunsch, keinen lebensverlängernden Maßnahmen ausgesetzt zu sein, durch den Versicherungsfall maßgebend zum Tragen kam. Vom Schutzzweck der Beschäftigtenversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII (noch) mitumfasst ist ein Unfallversicherungsschutz für ein Verhalten des Versicherten, das durch Verletzungen bedingt ist, die - wie hier unproblematisch - im versicherten Schutzbereich der unfallbringenden Tätigkeit erlitten bzw zugefügt wurden. Die versicherte Tätigkeit in der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII iVm § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII umfasst nach dem im 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz vom 29.7.2009 (BGBI I 2286) insbesondere in § 1901a BGB zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers auch die durch die Autonomie und Menschenwürde(Art 1 GG) des einzelnen Versicherten getragene Entscheidung, keine lebensverlängernden Maßnahmen erdulden zu müssen, wenn aufgrund eines Arbeitsunfalls so schwere Verletzungen vorliegen wie im vorliegenden Fall. Rechtlich wesentliche und daher vom Schutzzweck des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII noch umfasste (Wirk-) Ursache für den Tod des Versicherten waren mithin seine Verletzungen aus dem Arbeitsunfall vom 7.9.2006.

22

Dem steht die frühere Rechtsprechung des Senats, wonach die Verweigerung einer Bluttransfusion durch ein Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas als rechtlich wesentliche Ursache den Unfallversicherungsschutz ausschließt (BSG vom 9.12.2003 - B 2 U 8/03 R - SozR 4-2200 § 589 Nr 1), nicht entgegen. Die Verweigerung der Bluttransfusion war dort gerade nicht durch den Arbeitsunfall, sondern einzig durch die individuelle Glaubensausrichtung des Verletzten bedingt. Demgegenüber realisiert sich der in der mutmaßlichen Patientenverfügung niedergelegte Wille des Versicherten hier nur und gerade deshalb, weil der Versicherte einen Arbeitsunfall (mit schweren Folgen) erlitten hat. Infolgedessen kommt es auch nicht darauf an, ob die Verletzungen aus dem Wegeunfall ohnehin tödlich verlaufen wären, was hier für das LSG offensichtlich von entscheidender Bedeutung war. Soweit das LSG die Wesentlichkeit der unfallbedingten Verletzungen für den Tod des Versicherten daraus ableiten will, dass die Behandlungsmaßnahmen den Tod lediglich aufgeschoben hätten, werden hier allerdings rechtlich problematische Erwägungen zur überholenden Kausalität angestellt. Maßgebend ist nicht, ob die Verletzungen aus dem Arbeitsunfall ohnehin tödlich verlaufen wären, sondern, dass durch einen Versicherungsfall so schwere Verletzungen eingetreten sind, dass gerade dadurch der (verfassungs-)rechtlich geschützte autonome Wunsch des Versicherten, sterben zu wollen, zum Tragen gekommen ist.

23

2. Die beantragten Hinterbliebenenleistungen der Klägerin gemäß §§ 63 ff SGB VII sind auch nicht gemäß § 101 Abs 1 SGB VII ausgeschlossen. Diese Vorschrift bestimmt: "Personen, die den Tod von Versicherten vorsätzlich herbeigeführt haben, haben keinen Anspruch auf Leistungen". Die Klägerin hat den Tod des Versicherten zwar vorsätzlich herbeigeführt (hierzu unter a). Allerdings ist die Norm des § 101 Abs 1 SGB VII einschränkend im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend auszulegen, dass jedenfalls bei einer strafrechtlich gerechtfertigten Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch iS der neueren Rechtsprechung des BGH(Urteil vom 25.6.2010 - 2 StR 454/09 - BGHSt 55, 191 = NJW 2010, 2963) ein Leistungsausschluss nicht in Betracht kommt. Dahinstehen kann insoweit, ob § 101 Abs 1 SGB VII generell dann nicht in Betracht kommt, wenn die zum Tode führende vorsätzliche Handlung straffrei ist(hierzu unter b). Schließlich hat das LSG auch zutreffend festgestellt und subsumiert, dass die vom BGH (aaO) im Einzelnen aufgestellten Kriterien für einen straffreien Behandlungsabbruch bei der Klägerin gegeben waren (vgl unter c).

24

a) Die Klägerin hat den Tod des Versicherten vorsätzlich herbeigeführt. Ein vorsätzliches Handeln liegt vor, wenn der Handelnde den Erfolg bewusst und gewollt herbeigeführt hat (vgl Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 15 RdNr 2 ff). Der Vorwurf der Rechtsordnung lautet bei vorsätzlichem Handeln: "Du hast gewusst und gewollt, was du tatest" (iE Sternberg-Lieben/Schuster in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl 2014, § 15 RdNr 8 ff). Nach dieser auch im Rahmen des § 101 Abs 1 SGB VII anwendbaren(vgl H. Becker in LPK-SGB VII, 4. Aufl 2014, § 101 RdNr 1b; Köhler in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 101 RdNr 5; XI/10) strafrechtlichen Definition hat die Klägerin vorsätzlich gehandelt. Sie hat die Magensonde bewusst und gewollt entfernt, um den Tod des Versicherten herbeizuführen.

25

b) § 101 Abs 1 SGB VII ist hingegen so auszulegen, dass er auch bei einem vorsätzlichen Herbeiführen des Todes im Falle einer gerechtfertigten Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch keine Anwendung findet. Die Leistungsausschlussnorm fordert für das Herbeiführen des Todes lediglich das vorsätzliche Handeln des Hinterbliebenen bzw der "Person", die Rechtsansprüche aus dem Tod ableiten möchte. Anders als § 101 Abs 2 SGB VII setzt § 101 Abs 1 SGB VII gerade nicht voraus, dass ein rechtskräftiges strafrechtliches Urteil hinsichtlich der Handlung vorliegt. § 101 Abs 1 SGB VII dürfte von daher einen engeren Begriff des Vorsatzes umfassen, der gerade nicht die strafrechtlichen Prüfungsschritte der Rechtswidrigkeit und Schuld umfasst. Demgegenüber wird vom LSG und einem Teil der Literatur in § 101 Abs 1 SGB VII entgegen dem Wortlaut der Norm das Erfordernis hineingelesen, dass auch die todbringende, vorsätzliche Handlung rechtswidrig und schuldhaft gewesen sein muss(vgl explizit Reyels in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 101 RdNr 21 ff; Lüdtke, SGb 2013, 309). Habe der Täter nicht rechtswidrig gehandelt (zB in Notwehr), so komme nach Sinn und Zweck der Vorschrift des § 101 Abs 1 SGB VII ein Leistungsausschluss nicht in Betracht. Das Gleiche gelte bei nicht schuldhaftem Handeln (Köhler in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 101 RdNr 5; XI/10). Darüber hinaus wird vereinzelt die Position vertreten, selbst bei strafbarem Verhalten, wie einer Tötung auf Verlangen gemäß § 216 StGB, sei der Geltungsbereich des § 101 Abs 1 SGB VII einzuschränken(Reyels in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl 2014, § 101 RdNr 25).

26

Der Senat hat Bedenken gegen eine so weitgehende Auslegung des § 101 Abs 1 SGB VII, ist doch zu unterstellen, dass der Gesetzgeber des § 101 SGB VII sich im Klaren über die strafrechtlichen Begriffe war, als er zum 1.1.1997 mit dem UVEG § 101 SGB VII in der Nachfolge des § 553 RVO schuf. Jedenfalls erhellen auch die Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 13/2204, S 99) und der dort enthaltene Hinweis auf eine Fortführung der geltenden Rechtslage zu § 553 RVO nicht, dass mit dem bloßen Verwenden des Erfordernisses des Vorsatzes zugleich ein Abweichen von der strafrechtsdogmatischen Begrifflichkeit gemeint gewesen sein könnte, nach der hier ausnahmsweise mit Vorsatz ein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln gemeint wäre. Auch soweit in der Literatur § 101 SGB VII als Verwirkungsvorschrift bezeichnet wird(Köhler in Hauck/Noftz, SGB VII, K § 101 RdNr 1; XI/10), findet sich hierfür keinerlei Beleg. Betrachtet man § 101 SGB VII hingegen als Ausfluss des allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatzes des venire contra factum proprium, nach dem wer einen Schaden durch eigenes vorsätzliches Tun herbeigeführt hat, nicht aus diesem Schaden Ansprüche ableiten dürfe(so Merten in Eichenhofer/Wenner, SGB VII, 2010, § 101 RdNr 3), so wäre unter einem solchen versicherungsrechtlichen Blickwinkel ein Leistungsausschluss bei bloß vorsätzlichem Herbeiführen des Erfolgs durchaus zu rechtfertigen (vgl auch Voelzke, Die Herbeiführung des Versicherungsfalls im Sozialversicherungsrecht, 2004, S 48).

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Letztlich kann dies jedoch dahinstehen, weil auch dann, wenn man das hier zweifelsohne vorliegende vorsätzliche Handeln der Klägerin ausreichen lassen würde, um den Tatbestand des § 101 Abs 1 SGB VII auszulösen, die Vorschrift einschränkend auszulegen ist. Dies gilt jedenfalls für Fälle der gerechtfertigten Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch iS der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 25.6.2010 - 2 StR 454/09 - BGHSt 55, 191 = NJW 2010, 2963), denn für diesen Regelungsbereich ist § 101 Abs 1 SGB VII einschränkend anzuwenden. Der Senat hat zuletzt die Grenzen einer teleologischen Reduktion von sozialrechtlichen Normen aufgezeigt (vgl BSG vom 19.12.2013 - B 2 U 17/12 R - SozR 4-2700 § 73 Nr 1 RdNr 20 ff). Die teleologische Reduktion gehört zu den anerkannten, verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Auslegungsgrundsätzen (BVerfG Beschluss vom 15.10.2004 - 2 BvR 1316/04 - NJW 2005, 352, 353; BVerfG Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BVerfG Beschluss vom 14.3.2011 - 1 BvL 13/07 - NZS 2011, 812). Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar hält, weil deren Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG Beschluss vom 7.4.1997 - 1 BvL 11/96 - NJW 1997, 2230, 2231; BSG vom 18.8.2011 - B 10 EG 7/10 R - BSGE 109, 42 = SozR 4-7837 § 2 Nr 10). Bei einem nach wortlautgetreuer Auslegung drohenden Grundrechtsverstoß kann eine zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung der Norm entgegen deren Wortlaut sogar geboten sein.

28
        

So liegen die Verhältnisse hier. Der Senat sieht sich durch die Neuregelungen des sog Patientenverfügungsgesetzes (3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz, aaO) , das sich auf eine breite, überparteiliche Parlamentsmehrheit stützten konnte (vgl die den Gesetzentwurf vom 6.3.2008 tragenden Abgeordneten, BT-Drucks 16/8442) und die strafgerichtliche Rechtsprechung des BGH zum Behandlungsabbruch (aaO) veranlasst, jedenfalls die vorsätzliche Herbeiführung des Todes eines Versicherten, die strafrechtlich die Kriterien einer gerechtfertigten Sterbehilfe erfüllt, aus dem Anwendungsbereich des § 101 Abs 1 SGB VII auszuschließen. Der BGH hat in seinem Urteil vom 25.6.2010 eingehend die Motive des Gesetzgebers des 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes referiert (aaO, RdNr 23 f ):

        

"a) Der Gesetzgeber hat den betreuungsrechtlichen Rahmen einer am Patientenwillen orientierten Behandlungsbegrenzung durch Gesetz vom 29. Juli 2009 - so genanntes Patientenverfügungsgesetz - (BGBl I 2286) festgelegt. Das am 1. September 2009 in Kraft getretene Gesetz hatte vor allem auch zum Ziel, Rechts- und Verhaltenssicherheit zu schaffen (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 16/13314 S. 3 f. und 7 f.). Maßstäbe für die gesetzliche Neuordnung waren zum einen das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Person, welches das Recht zur Ablehnung medizinischer Behandlungen und gegebenenfalls auch lebensverlängernder Maßnahmen ohne Rücksicht auf ihre Erforderlichkeit einschließt, zum anderen der ebenfalls von der Verfassung gebotene Schutz des menschlichen Lebens, der unter anderem in den strafrechtlichen Normen der §§ 212, 216 StGB seinen Ausdruck findet.

        

In Abwägung dieser Grundsätze hat der Gesetzgeber des Dritten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes nach umfassenden Beratungen und Anhörungen unter Einbeziehung einer Vielzahl von Erkenntnissen und Meinungen unterschiedlichster Art entschieden, dass der tatsächliche oder mutmaßliche, etwa in konkreten Behandlungswünschen zum Ausdruck gekommene Wille eines aktuell einwilligungsunfähigen Patienten unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung verbindlich sein und den Betreuer sowie den behandelnden Arzt binden soll (§ 1901a Abs. 3 BGB; vgl. dazu die Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drucks. 16/8442 S. 11 f.; Diederichsen in Palandt BGB 69. Aufl. § 1901a Rn. 16 ff. u. 29). Eine betreuungsgerichtliche Genehmigungsbedürftigkeit für Entscheidungen über die Vornahme, das Unterlassen oder den Abbruch medizinischer Maßnahmen ist auf Fälle von Meinungsdivergenzen zwischen Arzt und Betreuer oder Bevollmächtigtem über den Willen des nicht selbst äußerungsfähigen Patienten oder über die medizinische Indikation von Maßnahmen beschränkt (§ 1904 Abs. 2 und 4 BGB). Die Regelungen der §§ 1901a ff. BGB enthalten zudem betreuungsrechtliche Verfahrensregeln zur Ermittlung des wirklichen oder mutmaßlichen Willens des Betreuten (vgl. dazu Diederichsen aaO Rn. 4 ff. u. 21 ff.; Diehn/Rebhan NJW 2010, 326; Höfling NJW 2009, 2849, 2850 f.)."

29

Hieraus hat der BGH die Schlussfolgerung gezogen, dass diese Änderungen auch für das Strafrecht "Wirkung" zeigen müssten (aaO, RdNr 25) und ist bei ansonsten unveränderter Rechtslage im StGB zu einer Straffreiheit des Behandlungsabbruchs unter bestimmten Voraussetzungen gelangt. Dieses Urteil ist im Schrifttum weitgehend auf Zustimmung gestoßen (vgl nur Eidam, GA 2011, 232; Gaede, NJW 2010, 2925, Hirsch, JR 2011, 37; Lipp, FamRZ 2010, 1555; Rissing-van Saan, ZIS 2011, 544; Schumann, JR 2011, 142; Wolfslast/Weinrich, StV 2011, 286). Der Senat hält es daher auch mit Blick auf die dem Strafrecht immanente Legitimation staatlichen Strafens einerseits und das der Verwirklichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit dienende Leistungsrecht des Sozialgesetzbuchs andererseits für geboten, die vom Gesetzgeber gewollten, weitgehenden Änderungen in § 1901a BGB und die diesen gesetzgeberischen Willen im Strafrecht umsetzende Rechtsprechung des BGH auch im Sozialrecht zur Geltung zu bringen. Liegen mithin die vom BGH in seinem Urteil vom 25.6.2010 genannten Kriterien vor, so kann ein straffreier Behandlungsabbruch, der den Willen des Patienten zum Ausdruck brachte, auch im Sozialrecht nicht mehr zu leistungsrechtlich negativen Konsequenzen für Personen führen, die diesen von der Rechtsordnung gebilligten Willen des Versicherten durch ihr vorsätzliches Handeln verwirklicht haben.

30

Auch schließt der "objektive Zweck" des § 101 Abs 1 SGB VII eine solche teleologische Reduktion des Geltungsbereichs der Norm nicht aus(hierzu Lüdtke, SGb 2013, 309, 310). § 101 SGB VII entsprach - wie bereits ausgeführt - weitgehend § 553 RVO, der seinerseits durch das Unfallversicherungsneuregelungsgesetz(UVNG vom 30.4.1963, BGBl I 241) an die Stelle des zuvor geltenden § 556 RVO getreten ist, der seit Inkrafttreten der Reichversicherungsordnung 1911 weitgehend unverändert bestimmte, dass dem "Verletzten und seinen Hinterbliebenen ein Anspruch nicht zu (steht), wenn sie den Unfall vorsätzlich herbeigeführt haben". Der Norm liegt damit der vom Senat grundsätzlich für weiterhin beachtlich gehaltene objektive Zweck zugrunde, das vorsätzliche Herbeiführen des Versicherungsfalls als leistungsausschließend zu berücksichtigen. Allerdings darf sich Rechtsprechung auch nicht den sich fortentwickelnden Lebensverhältnissen verschließen. Das Gesetz ist insofern nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepasst weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist (Lüdtke, aaO unter Verweis auf BGH vom 29.1.1957 - 1 StR 333/56 - BGHSt 10, 157, 159). Das erst durch den medizinischen Fortschritt ermöglichte Überleben von schwerstverletzten Gehirngeschädigten durch die moderne Apparatemedizin mit seinen Implikationen für die Menschenwürde des behandelten Verunfallten war für den Gesetzgeber des Jahres 1911 ebenso wenig vorhersehbar wie für den Gesetzgeber des Jahres 1963 und auch partiell des Jahres 1996 (instruktiv zu den Problemen am Lebensende durch die Entwicklung der Apparatemedizin: Borasio, Über das Sterben, 2. Aufl 2012, insb S 107 ff und S 157 ff). Insofern geht der Senat - ebenso wie der BGH (aaO) - davon aus, dass dem 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz (aaO) der objektive Wille des Gesetzgebers zu entnehmen ist, die Patientenautonomie am Lebensende mit Ausstrahlungswirkung in alle Rechtsbereiche zu schützen. Eine strikt auf diesen Geltungsbereich des gerechtfertigten Behandlungsabbruchs beschränkte Reduktion des Geltungsbereichs des § 101 SGB VII entspricht mithin dem objektiven Willen des Gesetzgebers des 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes (aaO).

31

Schließlich kann gegen dieses Ergebnis auch nicht - wie von der Beklagten - die rentenrechtliche Parallelvorschrift des § 105 SGB VI und die hierzu ergangene Rechtsprechung des BSG ins Feld geführt werden. Soweit sich die Beklagte auf den Beschluss des 13. Senats des BSG vom 17.4.2012 (B 13 R 347/10 B - SozR 4-2600 § 105 Nr 1 = SGb 2013, 307 mit Anm Lüdtke) bezieht, lag der zugrunde liegende Sachverhalt dort mehrere Jahre vor dem Inkrafttreten des 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetzes aus dem Jahre 2009. Im Übrigen handelte es sich bei der dort vom 13. Senat entschiedenen Beschwerde um eine strafbare Tötung auf Verlangen iS des § 216 StGB (mit Strafurteil gegen die Rentenantragstellerin), die auch nach der Rechtsauffassung des Senats zu einer Anwendung des Leistungsausschlusses des § 101 SGB VII führen würde. Auch die früher zu § 1277 RVO - der Vorgängervorschrift des § 105 SGB VI - ergangene rentenrechtliche Rechtsprechung verhält sich ausschließlich zu Fallkonstellationen, in denen ein rechtswidriges und schuldhaftes Handeln mit strafgerichtlicher Verurteilung des Hinterbliebenen vorlag(BSG vom 26.11.1981 - 5b/5 RJ 138/80 - SozR 2200 § 1277 Nr 3, vom 1.6.1982 - 1 RA 45/81 - SozR 2200 § 1277 Nr 5). Liegt hingegen eine gerechtfertigte Sterbehilfe durch Behandlungsabbruch vor (sogleich noch unter c), so ist der Anwendungsbereich des § 101 Abs 1 SGB VII dahingehend einzuschränken, dass auch eine vorsätzliche Herbeiführung des Todes des Versicherten nicht zu einem Leistungsausschluss führt.

32

c) Das LSG hat auch zutreffend entschieden, dass bei der Klägerin die Voraussetzungen eines straffreien Behandlungsabbruchs iS der neuen Rechtsprechung des BGH (aaO) vorlagen. Es hat insofern die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Berlin über die Einstellung des Strafverfahrens gegen die Klägerin nach § 170 Abs 2 StPO aufgrund eigener Feststellungen nochmals strafrechtlich nachvollzogen. Anders als in § 101 Abs 2 SGB VII besteht im Rahmen des § 101 Abs 1 SGB VII keine Bindungswirkung an die Entscheidungen der Strafgerichte. Das LSG hat hierbei die beiden Voraussetzungen für einen straffreien Behandlungsabbruch für den Senat gemäß § 163 SGG bindend festgestellt. Bei der Krankheit des Versicherten handelte es sich um einen ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess und der Patientenwille des Versicherten iS des § 1901a Abs 1 und Abs 2 BGB war auf einen Behandlungsabbruch im Sinne des nicht mehr Weiter-Ernährens gerichtet. Soweit die Beklagte rügt, der Sterbeprozess bei dem Versicherten sei nicht in der vom BGH geforderten Intensität festgestellt, weil der Wachkomapatient grundsätzlich kein sterbender Patient sei, so unterlässt sie es, im Einzelnen darzulegen, welcher medizinische Erfahrungssatz dieser von ihr behaupteten Aussage zugrunde liegt. Die Beklagte hat nicht konkret aufgezeigt, aufgrund welcher Erfahrungssätze das LSG davon ausgehen hätte müssen, dass aus der herrschenden medizinischen Lehrmeinung der einzig mögliche Schluss gezogen werden könne, dass der Versicherte kein sterbender Patient gewesen sei (vgl hierzu BSG vom 15.9.2011 - B 2 U 22/10 R - Juris RdNr 25 f). Insofern ist die für den Einzelfall des verstorbenen Versicherten getroffene tatsächliche Feststellung des LSG, dass dieser "todgeweiht" gewesen ist, nicht mit hinreichenden Verfahrensrügen angegriffen.

33

Soweit die Beklagte gegen die Feststellung des Willens des Versicherten durch eine unterlassene persönliche Einvernahme der Klägerin durch das LSG Verfahrensrügen erhoben hat, greifen diese, wie bereits oben unter 1. ausgeführt, nicht durch. Allerdings weist der Senat in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch unter Berücksichtigung neuerer Entscheidungen des BGH (insbesondere vom 17.9.2014 - XII ZB 202/13) für die Feststellung des behandlungsbezogenen Patientenwillens strenge Beweismaßstäbe gelten, insbesondere, wenn eine sog Patientenverfügung nicht vorliegt. Dabei mag in zukünftigen Fallkonstellationen auch eine Rolle spielen, dass mittlerweile das Erfordernis und die Möglichkeit einer Patientenverfügung in der Bevölkerung weitgehend bekannt sein dürften und das Internet zahlreiche Formulare leicht zugängig zur Verfügung hält. Da sich der hier ausschlaggebende Unfall jedoch 2006 ereignete, bleiben diese Gesichtspunkte vorliegend unberücksichtigt.

34

Soweit die Beklagte schließlich eine Zurückverweisung an das LSG anregt, um Feststellungen nachzuholen, ob eine Genehmigung des Betreuungsgerichts gemäß § 1904 BGB eingeholt wurde, so ist bereits zweifelhaft, welche rechtlichen Schlüsse aus einer solchen fehlenden Genehmigung überhaupt zu ziehen wären. Der Senat hat hier jedoch von einer weiteren Prüfung abgesehen, weil aus der Entscheidung der Berliner Staatsanwaltschaft über die Einstellung des Strafverfahrens nach § 170 Abs 2 StPO vom 26.11.2012, die vom LSG in Bezug genommen worden ist, hervorgeht, dass die Klägerin beim zuständigen Amtsgericht um eine solche Genehmigung nach § 1904 BGB nachgesucht hat, von dort aber von einem namentlich genannten Richter die Auskunft erhalten hat, einer solchen Genehmigung bedürfe es in ihrem Falle nicht.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Tenor

Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vH zu zahlen.

2

Die Klägerin befand sich am 15.5.2000 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, dem Amt für Landwirtschaft in G, zu ihrer Wohnung. Aufgrund eines Staus musste sie anhalten. Ein Ford Transit fuhr auf ihr stehendes Kraftfahrzeug (Kfz) auf und schob es auf das davor stehende Kfz. Die angeschnallte Klägerin wurde bei dem Unfall nach vorne und wieder zurück geschleudert. Sie konnte am Unfallort mit dem Unfallgegner und der Polizei die Formalitäten abwickeln und fuhr mit dem Pkw nach Hause. Wegen starker Schmerzen an der Wirbelsäule musste sie sich drei Stunden später in die ambulante Notfallbehandlung im Kreiskrankenhaus Meißen begeben. Die Erstdiagnose der dortigen Ärzte lautete: "HWS - Schleudertrauma, Schädelprellung". Vom 19. bis 27.5.2000 schloss sich eine stationäre Krankenhausbehandlung an. In der Folge weiteten sich die Beschwerden aus. Die Beklagte zahlte der Klägerin bis 4.4.2002 Verletztengeld.

3

Mit Schreiben vom 25.1.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige die Einholung eines unfallchirurgischen Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens. Sie schlug drei namentlich benannte Haupt- sowie einen namentlich benannten Zusatzgutachter, sonst solche der jeweiligen Einrichtung, vor und wies die Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht hin. Die Klägerin widersprach den Vorschlägen der Beklagten und schlug vor, das Evangelische Stift St. M. in K. solle mit der Begutachtung beauftragt werden, da sie dort bereits behandelt wurde. Die Beklagte ernannte Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. zum Hauptgutachter. Auf dessen Veranlassung wurde bei Dr. S. (Dr S) das neurologische Gutachten vom 18.3.2001 eingeholt.

4

Mit Bescheid vom 4.3.2002 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. In dem Bescheid regelte sie weiter: "Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls besteht kein Anspruch auf Rente." Zur Begründung führte sie aus, Unfallfolgen lägen nach ausgeheilter "Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) und der Halsweichteile“ nicht mehr vor. Unfallunabhängig bestehe eine Konversionsneurose mit dadurch bedingter Bewegungseinschränkung der HWS, der Schultergelenke sowie Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb im Widerspruchsbescheid vom 2.7.2002 ohne Erfolg.

5

Die Klägerin hat beim SG Dresden Klage erhoben. Sie hat Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Mit Schriftsatz vom 13.2.2004 hat die Beklagte dem SG die "Beratungsärztliche Stellungnahme" der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (Dr H) vom 29.12.2003 vorgelegt, die das SG der klägerischen Seite übersandt hat. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.7.2006 abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den umfangreichen Beschwerden und dem Unfall bestehe nicht. Der Unfall habe über den Zeitpunkt der Zahlung von Verletztengeld hinaus keine objektivierbaren Folgen hinterlassen.

6

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Sie hat ihr Begehren dahingehend erweitert, dass ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH zu zahlen sei. Das LSG müsse ein Unfallrekonstruktions- und ein biomechanisches Gutachten einholen, um die Kräfte festzustellen, die auf ihre HWS eingewirkt hätten. Die Diagnose einer Konversionsneurose sei abzulehnen, da sie von einem Orthopäden gestellt worden sei.

7

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20.5.2009 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Unfall habe sich nicht wahrscheinlich machen lassen. Das Unfallgeschehen sei an sich in der Lage gewesen, ein whiplash-syndrome zu verursachen. Die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall nicht näher bezeichnete Gesundheitserstschäden erlitten, denn sie sei bei der Kollision erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt gewesen. Ein solches Trauma bewirke "in der Regel" eine Zerrung im Hirnstamm, was sich in messbaren Versagungszuständen äußern könne. Die Klägerin weise aber nur zum Teil eine spezifische Symptomatik auf. Daneben bestehe eine damit verwandte Symptomatik, welche keineswegs dem Unfallgeschehen zuzuordnen sei. Über die Ursachen des vorhandenen eher untypischen Beschwerdebilds könne nur spekuliert werden. In der Urteilsbegründung hat sich das LSG überwiegend auf eigene Recherchen gestützt und ist den Gerichtsgutachtern, zB Prof. St., ausdrücklich nicht gefolgt. Es sei wahrscheinlich, dass die bestehenden Beschwerden in den Zusammenhang mit den von Dr H dokumentierten gesundheitlichen Auffälligkeiten einzuordnen seien.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 iVm § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Der Wegeunfall habe zu Gesundheitsfolgeschäden geführt, die eine Verletztenrente nach einer MdE mit wenigstens 50 vH bedingten. Das LSG habe bei der Klägerin Gesundheitsschäden festgestellt. Dagegen habe es eine Konkurrenzursache, also einen Vorschaden, nicht bejaht. Ausdrücklich habe das LSG ein pseudoneurasthenisches Syndrom, eine Konversionsneurose, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und einen psychischen Konflikt verneint und den Unfall als Gelegenheitsursache ausgeschlossen. Damit seien die Voraussetzungen einer Rentengewährung zu bejahen.

9

Des Weiteren erhebt die Klägerin Verfahrensrügen. Das LSG habe die Berufung nicht aufgrund eigener Auswertung medizinischer Fachliteratur und aufgrund eigenen Erfahrungswissens zurückweisen dürfen. Dies sei aber geschehen, da das Gericht sich weder auf eines der eingeholten gerichtlichen Gutachten gestützt noch ein weiteres ärztliches Zusammenhangsgutachten auf aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eingeholt habe. Wenn das LSG sich auf eigene Sachkunde und selbst ausgewertete Veröffentlichungen stützen wolle, müsse es die Klägerin auf seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die herangezogene Literatur hinweisen. Da dies nicht geschehen sei, verletze das Urteil das rechtliche Gehör der Klägerin. Das LSG habe ein Beweisverwertungsverbot nicht beachtet. Es habe sich auf die Stellungnahme der Dr H vom 29.12.2003 gestützt, die aber nicht verwertbar sei. Es könne dahin stehen, ob es sich um eine beratungsärztliche Stellungnahme oder ein Gutachten handele, denn auch als Stellungnahme nehme die Äußerung Bezug auf das Zusatzgutachten des Dr S vom 18.3.2001, das unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingeholt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe deshalb bezüglich des Gutachtens Dr S ein Beweisverwertungsverbot, das sich auf alle weiteren Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen erstrecke, die hierauf aufbauten.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2009, das Urteil des SG Dresden vom 19. Juli 2006 sowie den ablehnenden Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 4. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH seit 5. April 2002 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Ausgehend von einer Vielzahl in Betracht kommender Erkrankungen fehle es an der Feststellung konkreter Gesundheitsstörungen auf der Grundlage eines üblichen Diagnosesystems und unter Verwendung der dortigen Begriffe und Bezeichnungen. Im Recht der Versicherungsfälle nach dem SGB VII gebe es keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte Ursache automatisch die wesentliche Ursache sei (unter Hinweis auf BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R). Die beratungsfachärztliche Stellungnahme der Dr H sei verwertbar, da die Klägerin von ihrem höchstpersönlichen Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Die Stellungnahme sei beim SG in den Rechtsstreit eingeführt worden. Die Klägerin habe die Nichtverwertbarkeit der Stellungnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist sowohl wegen Verletzung von materiellem Bundesrecht (dazu 1.) als auch wegen durchgreifender Verfahrensrügen (dazu 2.) im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der darin getroffenen Feststellungen und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

1. Über die mit der Revision weiterverfolgten Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten und die Leistungsklage auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

15

a) Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.

16

Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(stRspr zB BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

17

Vorliegend würde die Einschätzung der MdE der Klägerin voraussetzen, dass der als Arbeitsunfall anerkannte Verkehrsunfall bei der Klägerin eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (BSG 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22)die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (vgl BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 50/02 R - Juris RdNr 23; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22).

18

Nach diesen Maßstäben kann der Senat über das Bestehen eines Rentenanspruchs der Klägerin nicht entscheiden, da das LSG keine Feststellungen über die bei der Klägerin bestehende MdE getroffen hat. Es verneint zwar eine Reihe von Gesundheitsstörungen der Klägerin und diskutiert eine Reihe anderer als möglicherweise gegeben, stellt aber nicht positiv fest, welche Funktionseinschränkungen aufgrund welcher Gesundheitsstörungen aktuell vorliegen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt ist.

19

b) Der Senat kann auch nicht dahingestellt lassen, ob und ggf welche Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens vorliegen. Auf die Feststellung dieser Tatsachen könnte nur verzichtet werden, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer vorliegenden MdE sicher auszuschließen wäre. Auch hierzu hat das LSG die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

20

Voraussetzung eines Rentenanspruchs ist ua, dass der Versicherungsfall die Arbeitsmöglichkeiten von Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert, bei dem jeweiligen Versicherten also eine MdE verursacht (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; Burchardt in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 56 RdNr 11). Zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist zunächst zu prüfen, ob die MdE durch einen nachgewiesenen Versicherungsfall im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht worden ist. Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob auch andere - ebenfalls sicher feststehende - Faktoren, wie Vorerkrankung, Nacherkrankung, innere Ursache usw, im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne kausal für das Bestehen einer MdE geworden sind. Wird die MdE sowohl durch den Versicherungsfall als auch durch andere Faktoren verursacht, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen, ob die MdE "wesentlich" durch den Versicherungsfall (mit)verursacht worden ist. Für diese Feststellung genügt bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 20).

21

Zwar hat das LSG vorliegend den Arbeitsunfall sowie andere Umstände als Ursachen diskutiert, es hat aber nicht festgestellt, dass entweder der Arbeitsunfall oder eine andere Ursache (zB Vorerkrankungen) oder beide Umstände für eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens eine Ursache gesetzt haben.

22

Mithin fehlt es für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Rente nach § 56 SGB VII neben der Feststellung einer MdE (oben a) auch daran, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Versicherungsfall und einer möglichen MdE weder festgestellt noch auszuschließen ist (oben b). Daher kann der Senat nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII besteht oder nicht besteht.

23

3. Das Urteil des LSG und die darin getroffenen Feststellungen sind auch wegen zulässig und begründet erhobener Verfahrensrügen aufzuheben.

24

a) Das LSG hat, wie von der Klägerin im Einzelnen dargelegt wurde, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

25

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (zur Gehörsverletzung bei Unterlassung dieses Hinweises: BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - Juris RdNr 20 f mwN).

26

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, da es nicht den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gefolgt ist, sondern seine Zusammenhangsbeurteilung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung der unfallmedizinischen Literatur entwickelte Beurteilung, also auf eigene Sachkunde, gestützt hat. Vor der Entscheidung hat es die Beteiligten nicht auf das Bestehen eigener medizinischer Sachkunde hingewiesen und ihnen nicht erläutert, was diese beinhaltet. Damit liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin, hätte sie Kenntnis von der Sachkunde des LSG und deren Inhalten erhalten, die von ihr aufgezeigten Einwendungen vorgebracht und dadurch das LSG zu einer anderen Entscheidung gebracht hätte.

27

b) Das LSG hat die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt.

28

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang - zB zwischen beruflichen Einwirkungen und einer Erkrankung - zu bejahen ist, vom Tatsachengericht unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt bestehenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten ist (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 21). Nichts anderes kann gelten, wenn es bei einem geltend gemachten Rentenanspruch um die Beurteilung geht, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Versicherungsfall und einer geltend gemachten MdE besteht.

29

Diesen Anforderungen an die Sachaufklärung ist das LSG nicht gerecht geworden. Zwar hat es medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, ist diesen aber nicht gefolgt. Da das LSG nach seiner Rechtsauffassung kein Gutachten eingeholt hatte, das den Ursachenzusammenhang dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend beurteilte, hätte es (weitere) medizinische Ermittlungen durchführen müssen, die diesen Anforderungen entsprechen. Zwar können die Gerichte zur Entscheidungsfindung auch einschlägige wissenschaftliche Publikationen heranziehen (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21). Diese dienen aber regelmäßig nicht der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs durch das Gericht selbst, sondern der kritischen Überprüfung eingeholter Gutachten daraufhin, ob sie dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

30

c) Demgegenüber wird das LSG die Stellungnahme der Dr H bei seiner erneuten Beweiswürdigung verwerten dürfen. Denn die weitere von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, diese Stellungnahme sei wegen eines Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB VII nicht verwertbar, ist unbegründet.

31

Die Klägerin rügt, das LSG habe die Äußerung der Ärztin Dr H vom 29.12.2003 nicht verwerten dürfen, da diese einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Auch wenn es sich bei dieser Äußerung um eine beratungsärztliche Stellungnahme handele, sei sie nicht verwertbar, da darin auf das Gutachten des Dr S abgestellt werde, das seinerseits unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften eingeholt worden sei. Aufgrund der Fernwirkung des Beweisverwertungsgebots bezüglich des Gutachtens Dr S sei auch die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr H unverwertbar, was sie rechtzeitig gerügt habe.

32

Das LSG durfte und darf die ärztliche Stellungnahme der Dr H verwerten, denn weder hat die Beklagte die Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht (§ 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII; dazu aa) noch hat sie das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII; dazu bb) verletzt.

33

aa) Die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X kann ein Beweisverwertungsverbot auslösen (BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 50 f). Zwar besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (vgl BVerfG vom 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, BVerfGK 9, 174, 196). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG vom 12.4.2005, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61). Ein solches unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitetes Beweisverwertungsverbot ist allerdings nur anzunehmen, wenn der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl BVerfG vom 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 320; BVerfG vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09).

34

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Recht, Widerspruch gegen die Weitergabe von Sozialdaten einlegen zu können, den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG; dazu zuletzt BVerfG vom 21.9.2010, 1 BvR 1865/10) berührt. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten lassen, die Betroffenen ausdrücklich über ihr gesetzliches Widerspruchsrecht belehren zu müssen. Auch außerhalb des SGB VII können Betroffene der Weitergabe von Sozialdaten widersprechen, wenn diese besonders schutzwürdig sind (§ 76 Abs 2 SGB X). Eine Belehrungspflicht bei jeder Weitergabe von Sozialdaten ist außerhalb des SGB VII nicht geregelt. Verletzungen des Sozialdatenschutzes führen dort vielmehr in erster Linie zu den in §§ 81 f SGB X normierten Rechtsfolgen. Die Regelung des § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII dürfte daher eine spezifisch verfahrensrechtliche Belehrungspflicht im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Eine Verletzung der Belehrungspflicht könnte danach als einfachrechtlicher Verfahrenfehler zu qualifizieren sein (vgl auch Köhler ZFSH/SGB 2009, 451, 455).

35

Vor diesem Hintergrund ist weiter fraglich, ob die Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen ggf nur zum Verbot der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels führt, oder ob dies Beweisverwertungsverbot - kraft Fernwirkung - sogar auf später erhobene Beweismittel durchschlägt, die auf das unter Verletzung von Datenschutz- oder Verfahrensrechten eingeholte Gutachten Bezug nehmen (so BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 62 f).

36

Die Annahme einer solchen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (kritisch Bieresborn, Anm zu B 2 U 8/07 R, SGb 2009, 49, 51; Behrens/Froede, NZS 2009, 129, 134; zum Vergleich mit fehlender Belehrungspflicht im Strafrecht: Köhler in ZFSH/SGB 2009, 451, 460 f; "schwer erträglich" Kunze, VSSR 2009, 205, 216; "nicht überzeugend" C. Wagner in jurisPR-SozR 25/2008 Anm 6). Diese Kritik führt vor allem an, dass in der Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in aller Regel abgelehnt wird (vgl BVerfG vom 8.12.2005 - 2 BvR 1686/04 - BVerfGK 7, 61; BGH vom 28.4.1987 - 5 StR 666/86 - BGHSt 34, 362; BGH vom 24.8.1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68, 71; BGH vom 6.8.1987 - 4 StR 333/87 - BGHSt 35, 32). Diese Kritik sowie die ständige Rechtsprechung dieser Gerichte werden bei erneuter Prüfung der Problematik zu bedenken sein.

37

Vorliegend kommt es auf diese grundsätzlichen Erwägungen nicht an. Das LSG durfte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr H vielmehr schon deshalb verwerten, weil eine Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht vorliegt.

38

Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht besteht nach dem Tatbestand des § 200 Abs 2 SGB VII nur für ärztliche "Gutachten". Auf ärztliche Stellungnahmen von Beteiligten ist die Regelung nicht anwendbar. Dr H hat aber für die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte hat die Ärztin nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur ihre fachliche Bewertung des Gutachtens eines bestellten Sachverständigen eingeholt. Dr H hat ihre Stellungnahme als beratungsärztliche Äußerung bezeichnet. Auch ihrem Inhalt nach hat sie die Klägerin nicht untersucht und kein Gutachten nach Aktenlage abgegeben. Jeder Beteiligte ist nach dem SGG vielmehr berechtigt, sein Vorbringen auch auf Äußerungen von Beratungsärzten, Hausärzten oder behandelnde Fachärzte zu stützen.

39

Die Stellungnahme der Dr H, in der auf das Gutachten des Dr S hingewiesen wird, ist auch schon deshalb nicht unverwertbar, weil dieses Gutachten seinerseits nicht unter Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht eingeholt wurde.

40

Der Senat hatte auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt und dabei festgestellt, dass die Klägerin vor Einholung des Gutachtens Dr S mit Schreiben vom 25.1.2001 nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden war. Die Beklagte schlug der Klägerin mit Schreiben vom 25.1.2001 Gutachter zur Auswahl vor und belehrte sie in demselben Schreiben über ihr Widerspruchsrecht. Diese Belehrung erfolgte zwar nicht in Bezug auf einen namentlich benannten Arzt, hier zB Dr S. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift aber auch nicht geboten, denn diese fordert eine im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Gutachtern oder deren Beauftragung zu erteilende Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X. Diesen Anforderungen genügte die Beklagte, als sie die Klägerin allgemein, rechtzeitig und vollständig darüber belehrt hat, dass ihre Sozialdaten an die zu beauftragenden Gutachter weitergegeben werde und sie der Weitergabe der Daten widersprechen kann.

41

bb) Die Beklagte hat auch nicht das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) verletzt.

42

Der Senat ließ in der Entscheidung vom 5.2.2008 (B 2 U 8/07 R, BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1) offen, ob die Verletzung des Auswahlrechts (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (BSG aaO, RdNr 57). Inzwischen hat er entschieden, dass die Verletzung des Auswahlrechts nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der Betroffene die Verletzung des Auswahlrechts nicht rechtzeitig rügt (Rügeobliegenheit). Durch die Rüge wird der Unfallversicherungsträger in die Lage versetzt, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen sowie zeitnah und nach Maßgabe der §§ 20, 67 ff SGB X, 200 f SGB VII neue Ermittlungen durchzuführen, um dem Beschleunigungsgebot aus § 9 Satz 2 SGB X entsprechend zügig über geltend gemachte Ansprüche zu entscheiden(§ 2 Abs 2 SGB I). Hier kann aber dahingestellt bleiben, ob die anwaltlich vertretene Klägerin rechtzeitig die Verletzung des Auswahlrechts bei Einholung des Gutachtens Dr S gerügt und der Begutachtung durch diesen Arzt widersprochen hätte (vgl auch BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - Juris RdNr 33 f; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), denn die Beklagte hat schon das Auswahlrecht der Klägerin nicht verletzt.

43

Zwar dürfte das Auswahlrecht der Versicherten nach § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII auch bezüglich der Zusatzgutachter zu beachten sein(vgl Dahm in Lauterbach, UV , Stand August 2009, § 200 RdNr 17 mwN). Die Verletzung kommt in Betracht, denn die Beklagte hat der Klägerin nicht mehrere namentlich benannte Zusatzgutachter vorgeschlagen. Das Auswahlrecht der Klägerin ist dennoch nicht verletzt, denn der Vorschlag mehrerer Zusatzgutachter zur Auswahl war im vorliegenden Fall entbehrlich ("soll").

44

Der Verzicht der Beklagten auf Benennung von mehreren Zusatzgutachtern zur Auswahl war nicht rechtswidrig, denn es lag ein atypischer Fall vor. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass die Einholung eines orthopädischen und eines Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens beabsichtigt sei. Hierzu schlug sie der Klägerin drei Hauptgutachter und einen Zusatzgutachter zur Auswahl vor. Die Klägerin wandte sich gegen die Begutachtung durch einen der vorgeschlagenen Gutachter und teilte mit, sie wolle durch einen Arzt des Evangelischen Stifts St. M. in K. begutachtet werden. Die Beklagte folgte dem Vorschlag der Klägerin und beauftragte Chefarzt Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. mit dem Hauptgutachten. Sie bat ihn, bei einem namentlich nicht benannten Arzt ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Hauptgutachter wählte Dr S als Zusatzgutachter aus und beauftragte ihn.

45

Zur Erreichung der mit der Vorschlagspflicht verfolgten Zwecke war es vorliegend nicht geboten, der Klägerin mehrere Zusatzgutachter zur Auswahl zu benennen. § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII bezweckt die Gewährleistung eines transparenten Verfahrens, die Bereitstellung eines Pools von Gutachtern und die Sicherung des Datenschutzes(BT-Drucks 13/4853, S 22). Möglicherweise dient die Regelung, ohne dass dies allerdings Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden hätte, auch der Verhinderung einer Übermacht des Unfallversicherungsträgers im Verfahren (so der Senat im Urteil vom 5.2.2008 aaO, RdNr 37 bis 39; kritisch dazu Kunze, VSSR 2009, 205, 209 f).

46

Die Versicherte schlug der Beklagten selbst vor, die Begutachtung solle in einer von ihr gewählten Einrichtung erfolgen. Die Beklagte folgte dem Vorschlag. Sie musste, da die Einrichtung weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lag, dort keinen Pool von zur Begutachtung kompetenten Ärzten vorhalten. Die Beklagte nahm auch keinen Einfluss auf die Auswahl der Person des Zusatzgutachters, denn sie überließ die Auswahl dem von der Klägerin gewünschten Hauptgutachter und griff nicht in die Auswahl des Zusatzgutachters ein (vgl auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2011, § 200 SGB VII Anm 4.3; kritisch C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII § 200 RdNr 39). Vorliegend kommt hinzu, dass Dr S kein Hauptgutachten erstattet hat, sondern als Zusatzgutachter für den Hauptgutachter tätig geworden ist. Die Beauftragung eines vom Versicherten gewünschten Arztes löst auch kein weiteres/neues Auswahlverfahren aus.

47

Nach allem ist die Verfahrensrüge der Klägerin unbegründet; das LSG durfte und darf die Stellungnahme der Dr H verwerten.

48

4. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG aktuelle medizinische Gutachten zu der Frage einzuholen haben, ob konkret zu bezeichnende Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu bestimmten Funktionseinschränkungen führen, die bei der Klägerin eine MdE verursachen. Soweit dies zu bejahen ist, ist weiter gutachtlich zu klären, ob zwischen Versicherungsfall und der MdE ein Ursachenzusammenhang besteht und ob daneben andere Ursachen die MdE begründen. Falls mehrere Ursachen für die MdE festgestellt werden, wird zu beurteilen sein, ob der Arbeitsunfall für den Eintritt der MdE eine rechtlich wesentliche Ursache war. Dabei ist das LSG nicht gehindert, die von der Beklagten erhobenen Gutachten und die von ihr vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen zu verwerten.

49

5. Das LSG hat in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird der Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass sein Bandscheibenvorfall im Bereich C 6/7 seiner Halswirbelsäule (HWS) ein weiterer Gesundheitserstschaden seines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 3.7.2005 ist.

2

Der Kläger absolvierte an diesem Tag als Arbeitnehmer eines Automobilherstellers aufgabengemäß eine Testfahrt auf einer Hochgeschwindigkeitsstrecke in Italien. Dabei platzte bei einer Geschwindigkeit von 295 km/h ein Hinterreifen seines Fahrzeugs. Es kam von der Fahrbahn ab, durchbrach die Leitplanke und kam in einem Wäldchen zum Stehen.

3

Bei der Erstuntersuchung des Klägers erbrachten die Röntgenaufnahmen keinen Anhalt für Frakturen. Am 6.7.2005 diagnostizierte ein Facharzt für Chirurgie ua eine Halswirbelsäulen-Distorsion (Verstauchung, Zerrung). In der Kernspintomographie der HWS vom 4.8.2005 wurden erhebliche degenerative Veränderungen bei multisegmentaler Osteochondrose sowie für den Bereich von C 6/7 eine fast normal hohe Bandscheibe mit normal weiten Neuroforamina (Wurzelkanälen) beschrieben. Eine weitere Kernspintomographie der HWS vom 30.8.2005 ergab zwischen den Halswirbelkörpern C 6/7 einen links gelegenen Bandscheibenvorfall mit intraforaminaler Vorfallskomponente. Eine Begleitverletzung wurde nicht benannt.

4

Im Bescheid vom 18.10.2007 anerkannte die Beklagte den Unfall vom 3.7.2005 als Arbeitsunfall. Als "Unfallfolgen" wurden "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers" anerkannt.

5

Ferner wurde festgestellt, der Bandscheibenvorfall zwischen dem 6. und 7. Halswirbelkörper sei keine "Folge des Arbeitsunfalls", weder im Sinne der Entstehung noch im Sinne der Verschlimmerung. Ein traumatischer Bandscheibenvorfall sei angesichts des MRT-Befundes vom 4.8.2005, in dem eine Traumatisierung des Segments C 6/7 nicht beschrieben sei, zu verneinen. Der dagegen eingelegte Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 28.2.2008).

6

Das SG Karlsruhe hat mit Urteil vom 14.7.2010 festgestellt, dass "die Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei.

7

Die Beklagte hat mit ihrer Berufung geltend gemacht, das Urteil sei in seiner Kausalitätsbeurteilung mit dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht vereinbar. Im Standardwerk der gesetzlichen Unfallversicherung von Schönberger/Mehrtens/Valentin, das den anerkannten neuesten medizinischen Kenntnisstand dokumentiere, werde seit der 7. Auflage ausgeführt, dass die traumatische Verursachung eines isolierten Bandscheibenschadens ohne Begleitverletzung nicht möglich sei. Dazu sei Beweis zu erheben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.

8

Das LSG hat die Berufung durch Beschluss vom 22.12.2010 zurückgewiesen. Es sei vorliegend zumindest wahrscheinlich, dass der Unfall vom 3.7.2005 naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7 gewesen sei. Hierfür sprächen vor allem jene Indizien, die auf eine akute Schädigung im Bereich des Bewegungssegments C 6/7 und damit eine Substanzschädigung der betreffenden Bandscheibe in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem Unfallereignis hinwiesen. Vor dem Unfall sei der Kläger trotz bestehender degenerativer Veränderungen gerade auch im Bereich der HWS beschwerdefrei gewesen. Der Unfall habe zu einer Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule geführt. Umstände, die üblicherweise gegen einen naturwissenschaftlichen Zusammenhang sprächen, hätten im vorliegenden Fall keine durchgreifende Bedeutung.

9

Zu Unrecht berufe sich die Beklagte auf das Werk von Schönberger/Mehrtens/Valentin und meine, es sei dort dokumentierter neuester medizinischer Kenntnisstand, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall immer mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen einhergehe. Diesen Ausführungen könne aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Denn dieses Standardwerk der unfallmedizinischen Literatur vermenge die Prüfung der naturwissenschaftlichen Kausalität auf der ersten Stufe mit der wertenden Entscheidung der zweiten Stufe der Kausalitätsprüfung (Wesentlichkeit). Bei der Prüfung der Wesentlichkeit handele es sich um eine wertende Entscheidung, die dem juristischen Betrachter vorbehalten sei.

10

Der Antrag der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens werde abgelehnt. Selbst wenn die von Schönberger/Mehrtens/Valentin vertretene Auffassung den herrschenden medizinischen Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung wiedergeben sollte, ändere dies nichts daran, dass dieser Kenntnisstand der Kausalitätsbetrachtung nicht zugrunde gelegt werden dürfe, weil er die maßgebenden rechtlichen Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG vernachlässige.

11

Lägen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall "örtlich-zeitlich in Rede" stehe, sei ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

12

Sei der naturwissenschaftliche Zusammenhang zu bejahen, stelle sich die Frage (zweite Stufe der Kausalitätsprüfung), ob das Unfallereignis auch wesentlich gewesen sei. Hierbei sei vor dem Hintergrund der Schwere des Unfalltraumas mit einer plötzlichen unphysiologischen Belastung der HWS den bereits vorliegenden degenerativen Veränderungen im Hinblick auf den aufgetretenen Bandscheibenvorfall keine überragende Bedeutung beizumessen gewesen. Demnach sei das Unfallereignis wesentliche Mitursache des erlittenen Bandscheibenvorfalls und die beim Kläger in der Folge erforderlich gewordene Versteifung im Bewegungssegment einschließlich der fortbestehenden Schmerzsymptomatik als Unfallfolge festzustellen.

13

Mit der vom BSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII und einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung(§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Der erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Bandscheibenvorfall liege nicht vor. Das LSG habe nicht den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ermittelt.

14

Die Beklagte beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. Dezember 2010 und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. Juli 2010 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

15

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Beschlusses des LSG und der Zurückverweisung der Sache an das LSG (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG) begründet.

17

1. Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG kann das BSG nicht abschließend darüber befinden, ob die Verrichtung der versicherten Tätigkeit, die die Verbandszuständigkeit der Beklagten begründet und eine Einwirkung auf die HWS des Klägers wesentlich mitverursacht hat (dazu unter 3.), dadurch auch eine objektive und zudem rechtlich wesentliche Mitursache des Bandscheibenvorfalls auf der Höhe des 6./7. Halswirbelkörpers geworden ist. Nur dann wäre dieser ein Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls.

18

Das LSG hat nicht festgestellt, ob dieser Schaden nach Maßgabe des derzeit anerkannten Standes der medizinischen Wissenschaft durch die verrichtungsbedingte und deshalb versicherte Einwirkung unmittelbar objektiv mitverursacht wurde (dazu unter 4.). Seine Ansicht, dies könne durch "eine wertende Entscheidung …, die … dem juristischen Betrachter vorbehalten" sei, im Rahmen der rechtlichen "Wesentlichkeitsbeurteilung" ersetzt werden, verfehlt den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache für eine bestimmte Wirkung (dazu unter 3. und 5.).

19

2. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Revision gegen die Zurückweisung ihrer zulässigen Berufung durch das LSG. Mit ihr wandte sie sich erstens gegen die Aufhebung ihres Verwaltungsakts durch das SG, der Kläger habe gegen sie keinen Anspruch auf Feststellung seines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als "Folge des Arbeitsunfalls". Zweitens begehrte sie die Aufhebung des Feststellungsurteils des SG, dass die "Versteifung im Bewegungssegment C 6/7 mit daraus resultierender Schmerzsymptomatik … Folge des Arbeitsunfalls vom 03.07.2005" sei. Der Erfolg ihrer Rechtsmittel hängt davon ab, ob die zulässige Kombination der zulässigen Anfechtungs- mit der zulässigen Feststellungsklage des Klägers begründet ist. Das wäre dann der Fall, wenn sie durch ihren negativ feststellenden Verwaltungsakt einen Anspruch des Klägers auf die Feststellung eines Bandscheibenvorfalls C 6/7 als Gesundheitserstschaden zu Unrecht abgelehnt hätte. Dann wäre dieser (insoweit unter klarstellender Änderung des bisherigen Ausspruchs des SG) durch Feststellungsurteil als weiterer Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls festzustellen. Andernfalls hätte ihre Revision durchgreifenden Erfolg.

20

Wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG zwischen den Beteiligten klargestellt werden konnte, richtete sich das Begehren des Klägers von Anfang an nicht auf die Feststellung seines Bandscheibenvorfalls als eine (unmittelbare) Unfallfolge. Ihm kam es vielmehr stets auf die Feststellung dieses Gesundheitsschadens als weiteren Erstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls an. Eine unmittelbare Unfallfolge kann sich hingegen nur infolge eines Gesundheitserstschadens einstellen, der selbst als Tatbestandsvoraussetzung des Unfallbegriffs iS des § 8 Abs 1 Satz 2 SGB VII dem Begriff des Arbeitsunfalls unterfällt. Der Bandscheibenvorfall war zudem ersichtlich keine Wirkung eines bereits anerkannten Erstschadens. Bei sachgerechter Auslegung war auch die angefochtene negative Feststellung der Beklagten auf die Ablehnung der Anerkennung eines Erstschadens gerichtet.

21

3. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen des LSG ist nicht abschließend beurteilbar, aber möglich, dass dem Kläger der erhobene Feststellungsanspruch gegen die Beklagte zusteht. Jeder Versicherte hat nämlich das Recht, vom zuständigen Unfallversicherungsträger gemäß § 102 SGB VII die Feststellung aller Erstschäden (Gesundheitserstschäden oder Tod) eines Arbeitsunfalls iS von § 8 Abs 1 SGB VII zu verlangen, wenn ein solcher eingetreten ist(vgl BSG vom 31.1.2012 - B 2 U 2/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 8 Nr 43 vorgesehen, Juris RdNr 15 sowie BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - SozR 4-2700 § 11 Nr 1 RdNr 15 f).

22

a) Der Anspruch scheitert nicht schon daran, dass die Beklagte eine insoweit unanfechtbar gewordene Feststellung getroffen hat, der Kläger habe infolge seiner versicherten Testfahrt einen Arbeitsunfall mit folgenden Gesundheitserstschäden erlitten: "Druck- und Klopfschmerz über der oberen Brustwirbelsäule nach unter keilförmiger Deformierung knöchern verheilter Deckplattenimpressionsfraktur des 2. Brustwirbelkörpers".

23

Die rechtliche Bindungswirkung dieses Verwaltungsakts erstreckt sich nicht auf die hier umstrittene Frage, ob die infolge der Testfahrt eingetretene Einwirkung auf den Körper des Klägers weitere Gesundheitserstschäden (objektiv und unfallversicherungsrechtlich wesentlich) mitverursacht hat. Werden die Erstschäden anfangs nur unvollständig anerkannt, hat der Versicherte Anspruch auf eine vollständige Feststellung aller objektiv vom Arbeitsunfall umfassten Gesundheitserstschäden. Entscheidet der Versicherungsträgerbei seiner Feststellung eines Arbeitsunfalls, wie hier, dass der Versicherte keinen Anspruch auf Feststellung bestimmter weiterer Erstschäden habe, oder stellt er die Gesundheitserstschäden ausdrücklich abschließend (positiv oder negativ) fest, ist dagegen der Widerspruch gegeben (nach Fristablauf allein §§ 44 f SGB X). Da hier erstmals um einen weiteren, von der Beklagten abgelehnten Gesundheitserstschaden gestritten wird, erfasst die rechtliche Bindungswirkung des den Arbeitsunfall feststellenden Verwaltungsakts den hier rechtshängigen Streitgegenstand nicht.

24

b) Die Feststellungen des LSG lassen erkennen, dass der Kläger möglicherweise einen Anspruch auf Feststellung der umstrittenen Gesundheitserstschäden hat. Denn danach hat er eine versicherte Tätigkeit als Beschäftigter verrichtet und infolge dessen ein Unfallereignis erlitten (dazu sogleich).

25

Nach § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 (oder 8 Abs 2) SGB VII begründenden Tätigkeit(versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Abs 1 Satz 2).

26

Daher muss eine Verrichtung des Verletzten vor dem fraglichen Unfallereignis, das "infolge" also ua nach dieser Verrichtung eingetreten sein muss, den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt haben. Nur dies begründet seine Versichertenstellung in und seinen Versicherungsschutz aus der jeweiligen Versicherung.

27

Diese (versicherte) Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis), kurz gesagt: eine Einwirkung, objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität). Diese (versicherte) Einwirkung muss einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität).

28

Die den Versicherungsschutz in der jeweiligen Versicherung begründende "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" müssen (vom Richter im Überzeugungsgrad des Vollbeweises) festgestellt sein.

29

aa) § 8 Abs 1 Satz 1 SGB VII setzt voraus, dass der Verletzte eine "den Versicherungsschutz" begründende "Tätigkeit (versicherte Tätigkeit)" verrichtet hat und dass der Unfall (iS von Satz 2 aaO) "infolge" dieser versicherten Tätigkeit eingetreten ist.

30

Diese gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen umschreiben den Rechtsgrund, aufgrund dessen der wegen einer Verrichtung einer versicherten Tätigkeit durch den Verletzten verbandszuständige Unfallversicherungsträger überhaupt versicherungsrechtlich für die Schäden, Nachteile und Bedarfe des verunfallten Verletzten einstehen soll. Er soll nur verpflichtet sein, soweit der Versicherungsschutz durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit in der jeweiligen Versicherung begründet ist. Er soll deshalb (grundsätzlich) nur einstehen müssen für Gesundheitsschäden (oder Tod und ggf wirtschaftliche Folgen etc), die "infolge" der versicherten Verrichtung eingetreten sind und ein Risiko realisieren, gegen das die jeweils begründete Versicherung schützen soll. Zurechnungsvoraussetzungen sind somit auf der ersten Stufe die (faktisch-objektive) Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung des Verletzten für den Schaden und auf der darauf aufbauenden zweiten Stufe dessen rechtliche Erfassung vom jeweiligen Schutzzweck der begründeten Versicherung.

31

bb) Die Zurechnung setzt somit erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) objektiv mitverursacht hat. Denn für Einbußen des Verletzten, für welche die versicherte Verrichtung keine Wirkursache war, ist schlechthin kein Versicherungsschutz begründet, hat also der Versicherungsträger nicht einzustehen. Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln eines Verletzten, das (objektiv) seiner Art nach von Dritten beobachtbar (BSG vom 9.11.2010 - B 2 U 14/10 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 39 RdNr 22) und (subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht) - zumindest auch - auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist (innere Tatsache). Als (objektives) Handeln des Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder iS von § 11 SGB VII, der für die zweite Stufe andere Zurechnungsgründe als die "Wesentlichkeit" regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie ua zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zu den Bedarfen reichen, derentwegen das SGB VII Leistungsrechte vorsieht.

32

Erst dann, wenn die "Verrichtung", die (möglicherweise dadurch verursachte) "Einwirkung" und der (möglicherweise dadurch verursachte) "Erstschaden" festgestellt sind, kann und darf (auf der ersten Stufe der Zurechnung) über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung (objektive Verursachung) zwischen der Verrichtung und der Einwirkung (mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit) entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und ggf mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung (ggf neben anderen konkret festgestellten unversicherten Wirkursachen) eine Wirkursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper des Versicherten war.

33

cc) Zweitens muss der (letztlich) durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll.

34

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage (so schon BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17), ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfallversicherungsrechtlich rechtserheblich, "wesentlich", war. Denn die unfallversicherungsrechtliche Wesentlichkeit der Wirkursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung (etc) muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden.

35

Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstatbestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl hierzu BSG vom 15.5.2012 - B 2 U 16/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2700 § 2 Nr 21 vorgesehen - RdNr 21 ff - Lebendnierenspende).

36

Bei der folgenden Subsumtion muss vorab entschieden werden, ob die versicherte Verrichtung durch ihren auf der ersten Stufe festgestellten Verursachungsbeitrag überhaupt ein Risiko verwirklicht hat, das in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fällt. Nur wenn dies, wie zumeist, zu bejahen ist, kommt es darauf an, ob ggf konkret festgestellte unversicherte Mitursachen, die selbst die Zurechnung zum Unfallversicherungsträger nie begründen können, gleichwohl die Zurechnung ausschließen. Das ist der Fall, wenn die unversicherten Wirkursachen das gesamte Unfallgeschehen derart geprägt haben, dass die Wirkung insgesamt trotz des Mitwirkungsanteils der versicherten Verrichtung nicht mehr unter den Schutzbereich der jeweiligen Versicherung fällt. Bei dieser Subsumtion sind alle auf der ersten Stufe im Einzelfall konkret festgestellten versicherten und unversicherten Wirkursachen mit ihren ggf festgestellten Mitwirkungsanteilen in einer rechtlichen Gesamtabwägung nach Maßgabe des jeweilig festgestellten Schutzzwecks des Versicherungstatbestandes zu bewerten.

37

Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als "wesentliche Ursache" (vgl schon RVA vom 24.5.1912, AN 1912, 930 = Breithaupt 1912, 212; GS RVA vom 26.2.1914, AN 1914, 411 <2690>; vgl BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 26/10 R -; BSG vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 = SozR 4-2700 § 11 Nr 1; BSG vom 17.2.2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 31; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17; BSG vom 12.4.2005 - B 2 U 11/04 R - BSGE 94, 262 = SozR 4-2700 § 8 Nr 14, RdNr 17).

38

dd) In gleicher Weise muss zum Vorliegen eines Arbeitsunfalls ggf die versicherte Einwirkung den Erstschaden (ggf den Tod) a) objektiv und b) rechtlich wesentlich verursacht haben. Dabei kommt es schon wegen der Einheit des jeweiligen Versicherungsfalls stets auch darauf an, dass die Zurechnungskette auf ein- und dieselbe versicherte und den Versicherungsschutz bei dem Unfallversicherungsträger begründende Verrichtung zurückzuführen ist.

39

ee) Diese Voraussetzungen müssen für jeden einzelnen Gesundheitserstschaden erfüllt sein. "Gesundheitserstschaden" ist jeder abgrenzbare Gesundheitsschaden, der unmittelbar durch eine versicherte Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde, die durch ein- und dieselbe versicherte Verrichtung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht wurde. Es handelt sich also um die ersten voneinander medizinisch abgrenzbaren Gesundheitsschäden (oder den Tod), die "infolge" ein- und derselben versicherten Verrichtung eintreten.

40

c) Nach den Feststellungen des LSG liegt eine versicherte Verrichtung des Klägers vor, die eine Einwirkung objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat.

41

aa) Der Kläger hat durch seine Testfahrt den Tatbestand der versicherten Tätigkeit als "Beschäftigter" iS des § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII erfüllt(zu den Voraussetzungen dieses Tatbestandes näher BSG Urteil vom 15.5.2012 - B 2 U 8/11 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2700 § 2 Nr 20 vorgesehen). Denn er hat dadurch zur Erfüllung einer Hauptpflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis mit dem Automobilhersteller zumindest angesetzt, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem BSG auch in tatsächlicher Hinsicht abschließend außer Streit gestellt werden konnte. Er war daher in der Beschäftigtenversicherung grundsätzlich gegen alle Gefahren unfallversichert, die sich "infolge" der versicherten Testfahrt verwirklichten.

42

bb) Das LSG hat ferner bindend festgestellt, dass es infolge der Testfahrt zu einer "Einwirkung auf den oberen Bereich der Wirbelsäule" gekommen ist. Unter "Einwirkung" (als Kurzbezeichnung für das von außen kommende, zeitlich begrenzt einwirkende Unfallereignis) ist die durch einen solchen Vorgang ausgelöste Änderung des physiologischen Körperzustandes zu verstehen, die von dem (möglicherweise zeitnah danach eintretenden) Gesundheitserstschaden zu unterscheiden ist. Das LSG hat zur Natur der körperlichen Veränderung festgestellt, dass ein Chirurg am 6.7.2005 beim Kläger eine "HWS-Distorsion" diagnostiziert habe. Nach dem Gesamtzusammenhang des Beschlusses des LSG hat es sich diese Diagnose zu eigen gemacht. Eine solche HWS-Verstauchung genügt jedenfalls dem (weiten) Einwirkungsbegriff.

43

cc) Das LSG hat auch noch festgestellt, dass die versicherte Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit, das Platzen des Autoreifens, das Abkommen von der Testbahn, das Durchbrechen der Leitplanke und das Abstoppen im Wäldchen diese Einwirkung auf die HWS objektiv mitverursacht haben. Auch wenn das LSG keine näheren Feststellungen zur Ursache des Platzens des Reifens (ua Materialfehler, äußere Ursache) und auch nicht dazu getroffen hat, ob es bei der Testfahrt gerade um die Prüfung der Belastbarkeit der Reifen ging, ist seine Feststellung rechtlich nicht zu beanstanden, dass die versicherte Testfahrt als Grundvoraussetzung des Unfallhergangs eine mitwirkende Ursache für die Einwirkung war. Wie zudem vor dem BSG zur Gehörsgewährung eingeführt und von den Beteiligten bestätigt wurde, entspricht es dem heutigen allgemeinkundigen Stand der Erfahrung, dass ein solcher Ablauf einer Autofahrt Ursache eines starken Aufpralls mit der Wirkung ua einer Verstauchung der HWS sein kann und nach den konkreten Umständen des Falles hier auch war. Weitere Mitursachen wurden vom LSG nicht festgestellt und von der Beklagten nicht behauptet.

44

dd) Das LSG hat sinngemäß auch die rechtliche Beurteilung geäußert, dass das versicherte Handeln des Klägers eine mit der Erfüllung dieser Pflicht aus seinem Beschäftigungsverhältnis verbundene Gefahr für seine Gesundheit verwirklicht hat. Das trifft bundesrechtlich zu. Denn die Beschäftigtenversicherung soll grundsätzlich in allen Lebens- und Gesundheitsgefahren schützen, die sich aus dem Handeln zur Erfüllung von Pflichten oder zur Wahrnehmung unternehmensbezogener Rechte aus dem Beschäftigungsverhältnis unter Eingliederung in einen vom Unternehmer bestimmten Gefahrenbereich ergeben. Der Kläger hat infolge der ihm aufgetragenen Testfahrt mit äußerst hoher Geschwindigkeit Gesundheitsgefahren eingehen müssen, die sich in der Einwirkung realisiert haben. Damit fällt die durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Einwirkung auf die HWS unter den Schutzbereich der hier begründeten Beschäftigtenversicherung. Die konkret festgestellten Mitursachen der Einwirkung, das Platzen des Reifens, der Widerstand der durchbrochenen Leitplanke schließen in der gebotenen rechtlichen Gesamtabwägung die Zuordnung der HWS-Verstauchung zum Schutzbereich der Beschäftigtenversicherung nicht aus. Denn in ihnen hat sich gerade die besondere Gefahr verwirklicht, die mit der vom Kläger zu erfüllenden Pflicht verbunden war.

45

ee) Das LSG hat schließlich bindend festgestellt, dass der vom Kläger als Gesundheitserstschaden geltend gemachte Bandscheibenvorfall C 6/7 vorliegt.

46

d) Damit sind die Voraussetzungen für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung dieses Vorfalls C 6/7 als weiteren Gesundheitserstschaden des anerkannten Arbeitsunfalls mit der Ausnahme erfüllt, dass das BSG noch nicht entscheiden kann, ob die Testfahrt mit der durch sie rechtlich wesentlich mitverursachten Einwirkung auf die HWS des Klägers auch rechtserhebliche (Mit-)Wirkursache dieses Bandscheibenvorfalls war.

47

4. Das LSG hat zwar ausgeführt, die versicherte Einwirkung und letztlich die versicherte Testfahrt hätten auch den Bandscheibenvorfall objektiv und wesentlich verursacht. Dies ist jedoch für das BSG nicht bindend. Es darf dies seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.

48

a) Dies folgt für die Rechtsfrage der unfallversicherungsrechtlichen Wesentlichkeit schon daraus, dass es hier allein um Rechtsanwendung, also um die rechtliche Subsumtion der auf der ersten Stufe der Zurechnung festgestellten Tatsachen unter den Schutzbereich der für die konkrete Beschäftigung begründeten Beschäftigtenversicherung geht. Hier muss das Revisionsgericht in vollem Umfang die Beachtung des Bundesrechts überprüfen. Das LSG hat hierbei den Rechtsbegriff der unfallversicherungsrechtlichen "Wesentlichkeit" einer Ursache unzutreffend angewandt (dazu unter 5.).

49

b) Auf der ersten Stufe der Zurechnung hat das LSG keine das BSG bindenden tatsächlichen Feststellungen zur objektiven Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Einwirkung/versicherte Verrichtung getroffen.

50

Allerdings hat das LSG ausdrücklich festgestellt, dass die (versicherte) Einwirkung auf die HWS des Klägers "naturwissenschaftliche Ursache des beim Kläger aufgetretenen Bandscheibenvorfalls im Bewegungssegment C 6/7" gewesen ist.

51

aa) Grundsätzlich ist das Revisionsgericht an eine solche Tatsachenfeststellung, zu der auch der konkrete objektive Kausalzusammenhang im Einzelfall gehört, gebunden (§ 163 SGG). Hier tritt diese Bindung jedoch nicht ein, weil das LSG zum einen von einem unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven ("wissenschaftlich-philosophischen") Kausalität ausgegangen ist. Zum anderen hat es, wie die Beklagte zulässig und begründet rügt, die Grenzen der Befugnis zur freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) überschritten. Es hat seinem Beschluss einen nicht existierenden Erfahrungssatz zugrunde gelegt und deshalb davon abgesehen aufzuklären, ob es einen nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft anerkannten Erfahrungssatz gibt, nach dem isolierte Bandscheibenvorfälle durch Unfalleinwirkungen nur verursacht werden können, wenn ein unfallbedingter Begleitschaden vorliegt.

52

bb) Das LSG hat seine Kausalitätsbeurteilung auch auf folgenden nicht existierenden Erfahrungssatz gestützt: Liegen - wie hier - Hinweise auf eine traumatische Schädigung vor, ohne dass eine andere Schädigung als der Arbeitsunfall örtlich-zeitlich in Rede steht, ist ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang regelmäßig als wahrscheinlich anzusehen.

53

Daran ist das BSG nicht gebunden. Ein solcher Erfahrungssatz ist nicht allgemeinkundig oder dem BSG gerichtsbekannt. Die Revisionsführerin bestreitet seine Existenz. Das LSG hat nicht mitgeteilt, woher es diese Erkenntnis gewonnen hat. Soweit die Formulierung auch als generelle weitere "Beweiserleichterung" bei der richterlichen Überzeugungsbildung zum Grad der (juristischen) Wahrscheinlichkeit gemeint sein könnte, wäre sie bundesrechtswidrig. Denn der juristische Überzeugungsgrad der Wahrscheinlichkeit knüpft an die Würdigung der Einzelfallumstände nach Maßgabe der im jeweiligen Lebensbereich vorhandenen aktuell anerkannten wissenschaftlichen Erfahrung, hilfsweise der sonstigen einschlägigen Fachkunde, und deren ggf vorhandene Unsicherheiten an. Er erlaubt es aber nicht, an dem vorhandenen Erfahrungswissen durch "juristische Betrachtungen" vorbeizugehen.

54

c) Das LSG hat auch im Übrigen einen unzutreffenden Rechtsbegriff der objektiven Verursachung (der "philosophisch-wissenschaftlichen Kausalität") zugrunde gelegt.

55

Objektive Verursachung bedeutet einen nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand der einschlägigen Erfahrung (insbesondere der Wissenschaft, hilfsweise der sonstigen Fachkunde) geprüften und festgestellten Wirkungszusammenhang zwischen einer bestimmten Wirkursache und ihrer Wirkung. Dabei gibt es keine Ursache ohne Wirkung und keine Wirkung ohne Ursache.

56

Die versicherte Verrichtung muss also eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) der Einwirkung, die Einwirkung eine Wirkursache (ggf neben anderen Wirkursachen) des Gesundheitserstschadens sein. Ob die Verrichtung Wirkursache der Einwirkung (etc) war, ist eine Frage, die nur auf der Grundlage von Erfahrung über Kausalbeziehungen beantwortet werden kann.

57

Auch der Satz der Bedingungstheorie, ein tatsächlicher Umstand sei "notwendige Bedingung" (nicht: Ursache) eines anderen Umstandes, wenn der erste nicht "hinweggedacht" werden könne, ohne dass der zweite (der "Erfolg") entfiele ("conditio sine qua non"), ist kein logischer Schluss. Er verlangt eine hypothetische, dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung grundsätzlich fremde, alternative Zusammenhangserwägung ohne Berücksichtigung eines in Wirklichkeit vorhandenen Umstandes und mit Unterstellung eines in Wirklichkeit nicht erfolgten Geschehensablaufs. Darüber hinaus verweist er auf Erfahrungswissen über den Zusammenhang von Bedingungen.

58

Die Erwägung nach dieser Formel führt zur Unbeachtlichkeit von Bedingungen, die nach Erfahrung die Wirkung nicht mitverursacht haben können. Insoweit kann sie zur ersten negativen Vorklärung, dem Ausscheiden von als Ursachen von vornherein nicht in Betracht kommender Bedingungen, beitragen. Sie erfasst aber alle Bedingungen, die nach Erfahrung möglicherweise die fragliche Wirkung (den "Erfolg") verursacht haben könnten. Aus sich heraus gibt sie aber keinen Maßstab dafür, ob ein solcher als für das Geschehen erforderliche (und nur in diesem Sinne "notwendige") Bedingung erkannter Umstand den "Erfolg" wirklich bewirkt, also die Wirkung mitverursacht hat, worauf schon der große Senat des RVA (aaO) hingewiesen hat. Eine solche Bedingung kann Wirkursache sein, muss es aber nicht. Sie kann auch bloße Randbedingung sein. Die Formel schließt nur "Bedingungen" aus, die nach Erfahrung unmöglich Wirkursachen sein können.

59

Entscheidend ist aber, ob die versicherte Verrichtung die Einwirkung und ob diese den Erstschaden bewirkt hat. Wenn die festgestellte versicherte Verrichtung nach Erfahrung eine "Bedingung eines Erfolgs", also einer Einwirkung und des Gesundheitserstschadens (etc) ist, wären diese (hypothetisch) ohne sie nicht eingetreten. Gleiches gilt für eine kaum abzählbare Menge anderer Bedingungen für den konkreten Unfall. Die Verrichtung war aber nur dann eine Wirkursache der Einwirkung/des Gesundheitserstschadens, wenn sie das Unfallereignis hervorgerufen oder in Gang gehalten und dadurch die Einwirkung herbeigeführt hat, welche den Körper des Verletzten, seinen physiologischen Zustand verändert und dadurch den Gesundheitsschaden mitbewirkt hat. Ob dies der Fall war, ist nach dem neuesten anerkannten Stand des einschlägigen Fachwissens zu beurteilen.

60

aa) Dies gilt auch für die Beantwortung der Frage, ob der festgestellte Bandscheibenvorfall des Klägers Wirkung der festgestellten versicherten Einwirkung/versicherten Testfahrt als Ursache war. Dafür kommt es, weil es sich um eine in den Fachbereich der medizinischen Wissenschaft fallende Frage handelt, allein darauf an, ob ein Wirkungszusammenhang zwischen dieser Testfahrt und dieser Einwirkung auf die HWS des Klägers und diesem Bandscheibenvorfall nach dem aktuellen Stand des anerkannten medizinischen Erfahrungswissens vorliegt. Dafür reicht ein bloßer örtlicher und zeitlicher Zusammenhang nicht aus.

61

Vielmehr ist der jeweils neueste anerkannte Stand des einschlägigen Erfahrungswissens zugrunde zu legen. Dies wird in der Regel die Auffassung der Mehrheit der im jeweiligen Fragenbereich veröffentlichenden Wissenschaftler/Fachkundigen eines Fachgebiets sein. Lässt sich eine solche "herrschende Meinung" nicht feststellen, so darf der Richter nicht gleichsam als Schiedsrichter im Streit einer Wissenschaft fungieren und selbst eine (von ihm anerkannte) Ansicht zur maßgeblichen des jeweiligen für ihn fachfremden Wissenschaftsgebietes erklären. Vielmehr kommt, falls auch durch staatliche Merkblätter, Empfehlungen der Fachverbände etc kein von den Fachkreisen mehrheitlich anerkannter neuester Erfahrungsstand festgestellt werden kann, eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen in Betracht (anders offenbar noch BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 18).

62

Dazu muss dieser Erfahrungsstand inhaltlich festgestellt und so rechtzeitig mit seiner Erkenntnisquelle (zB medizinisches Fachbuch) in das Gerichtsverfahren eingeführt werden, dass die Beteiligten sich darüber fachkundig machen und ggf konkrete Beweiserhebungen beantragen können. Das gilt auch dann, wenn das Gericht meint, der Stand des einschlägigen Erfahrungswissens sei gerichtsbekannt, allgemeinkundig oder könne vom Gericht aus eigener, stets rechtzeitig offenzulegender Fachkompetenz beurteilt werden.

63

bb) Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

64

Gegenstand solcher Erfahrungssätze und ihrer generellen Anwendungsbedingungen ist, ob Vorgänge der Art des vorderen Kausalgliedes - hier: die Einwirkung auf den HWS-Bereich durch den Aufprall unter Absehung von bloßen Randbedingungen des konkreten Falles - allein oder im Zusammenwirken mit anderen nach dieser Erfahrung ursächlichen Bedingungen Vorgänge der Art des zweiten Kausalgliedes - hier: Bandscheibenvorfall C 6/7 als Gesundheitserstschaden - bewirken. Sofern diese Kausalbeziehung zwischen den beiden Arten der Kausalglieder besteht, ist das vordere eine hinreichende Ursache des folgenden Kausalgliedes. Tritt das zweite Kausalglied (hier: der Gesundheitserstschaden) immer und nur dann auf, wenn das vordere Kausalglied vorliegt, handelt es sich bei diesem um eine notwendige Ursache, bei dem zweiten um eine notwendige Wirkung. Bedingungen im Sinne der Bedingungstheorie, die erfahrungsgemäß keine solchen hinreichenden oder sogar notwendigen Wirkursachen sind, bleiben schon deshalb bei der Zurechnung außer Betracht.

65

cc) Allerdings darf das Gericht die jeweils einschlägige Wissenschaft (oder Fachkunde) auch nicht mit gebietsfremden Anforderungen überfordern, welchen dieser Erfahrungsbereich nicht genügen kann. Das Rechtssystem knüpft in den Grenzen der Rechtslogik an den jeweiligen aktuell anerkannten Stand der einschlägigen empirischen Wissenschaft (oder Fachkunde) an.

66

Es sind - gerade auch im Bereich der Medizin - nicht immer deterministische Erfahrungssätze vorhanden oder anerkannt. Sehr häufig werden nur wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeitssätze (die nichts mit dem juristischen Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit zu tun haben) festgestellt werden können. Dabei gibt es in den verschiedenen Wissenschaften unterschiedliche Begriffe von empirischer Wahrscheinlichkeit bis hin zu probabilistischen Erfahrungssätzen. Sie werden nach entsprechenden Untersuchungen gelegentlich mathematisch formuliert, häufig aber allein durch tradierte Erfahrung im jeweiligen Fachkreis mit geringer Überprüfungsdichte gelehrt und/oder bloß unausgesprochen in der Praxis vorausgesetzt (begründete Vermutungen). Hier sind Unterschiede ferner zwischen Fachbereichen zu beachten, in denen es wissenschaftliche Fachdisziplinen gibt, und solchen, in denen es überwiegend nur die tradierte Erfahrung des Kreises der professionell im jeweiligen Gebiet Tätigen gibt.

67

dd) Maßstab für die objektive Kausalitätsbeurteilung ist also der neueste anerkannte Stand des Erfahrungswissens (vgl hierzu zuletzt auch BSG Urteil vom 15.9.2011 - B 2 U 25/10 R - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4111 Nr 3 RdNr 23 f "in der Regel 100 Feinstaubjahre"). Als Maßstäbe sind jeweils, soweit vorhanden, die aktuell anerkannten Erfahrungssätze festzustellen und anzuwenden. Dies ist eine reine Tatsachenfeststellung bei der der Richter der Hilfe des Sachverständigen bedarf. Hinsichtlich der richterlichen Feststellung des Inhalts der Erfahrungssätze genügt der richterliche Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit. Der Sachverständige muss bei seiner Begutachtung also gerade verdeutlichen, welche Erfahrungssätze er seiner Begutachtung zugrunde legt und dass dieses Erfahrungswissen in der einschlägigen Wissenschaft (oder Fachkunde) aktuell als neuester Stand anerkannt ist.

68

ee) Die Feststellung des jeweils aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes ist für eine objektive Urteilsfindung unerlässlich (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 24 ff). Ausgangsbasis der richterlichen Erkenntnisbildung über wissenschaftliche Erfahrungssätze sind auch bei Fragen der objektiven Verursachung die Fachbücher und Standardwerke insbesondere zur Begutachtung im jeweiligen Bereich. Außerdem sind die jeweiligen Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) zu berücksichtigen. Hinzu kommen andere aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Quellen hat der Richter jeweils kritisch zu würdigen.

69

Eine bloße Literaturauswertung durch auf dem einschlägigen Gebiet nicht fachgerecht ausgebildete Richter genügt zur Feststellung des (nicht allgemeinkundigen oder gerichtsbekannten) aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über Kausalbeziehungen in der Regel nicht. Vielmehr wird dessen Klärung im Rahmen des ohnehin benötigten Gutachtens erfolgen. Dieser Erkenntnisstand ist aber die Basis für die Beurteilung durch den Sachverständigen, die er stets zugrunde legen muss und von der er nur durch zusätzliche Ausführungen, weshalb er ihr nicht folgt, mit wissenschaftlicher Begründung abweichen darf.

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Bestreitet nach rechtzeitiger Einführung eines solchen Erfahrungssatzes in den Prozess einer der Beteiligten dessen Vorliegen oder Tragweite mit nicht offenkundig fernliegenden Sachargumenten, so wird das Gericht im Regelfall diesem Vorbingen durch (zumindest schriftliche) Befragung eines Sachverständigen nachzugehen haben (vgl BSG Beschluss vom 24.7.2012 - B 2 U 100/12 B - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).

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d) Das LSG hat hinsichtlich der strittigen Verursachung des Bandscheibenvorfalls schon keinen neuesten anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft festgestellt, sondern einen anderen Verursachungsbegriff zugrunde gelegt.

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aa) Die Beklagte hatte unter Zitierung des Werks von Schönberger/Mehrtens/Valentin dargelegt, dass es dem dort dokumentierten Stand der medizinischen Wissenschaft entspreche, dass ein traumatischer Bandscheibenvorfall nur mit knöchernen oder ligamentären Begleitverletzungen vorkommen könne. Das LSG hätte hierauf selbst die Existenz oder Nichtexistenz dieses oder eines anderen anerkannten Erfahrungssatzes in der medizinischen Wissenschaft feststellen müssen.

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bb) Dies war nicht etwa deshalb gerechtfertigt, weil das LSG davon ausgegangen ist, dass sich eine Feststellung des einschlägigen medizinischen Erfahrungssatzes erübrige, weil die Autoren Schönberger/Mehrtens/Valentin von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab bei der Kausalitätsbetrachtung ausgegangen seien. Sie hätten Aspekte der rechtlichen Wesentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit naturwissenschaftlichen Aussagen verquickt.

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Es ist hier nicht darauf einzugehen, ob diese Behauptungen zutreffen. Beiläufig ist darauf hinzuweisen, dass nicht jeder Gebrauch des Wortes "wesentlich" zugleich eine Äußerung zur "Theorie der wesentlichen Bedingung" sein muss. Soweit Nichtjuristen sich zu solchen juristischen Problemen äußern, liegen keine Stellungnahmen eines Sachverständigen, möglicherweise aber dennoch bedenkenswerte oder richtige Argumente vor. In keinem Fall durfte das LSG davon absehen, den aktuellen Stand der anerkannten medizinischen Erfahrung über durch Unfälle verursachte Bandscheibenvorfälle festzustellen.

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e) Es ist nicht tunlich (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG), dass das BSG das Bestehen und den Inhalt des von der Beklagten behaupteten oder eines sonstigen aktuell anerkannten medizinischen Erfahrungssatzes über die Verursachung von Bandscheibenvorfällen durch Unfalleinwirkungen und dessen generelle Anwendungsbedingungen selbst feststellt. Zwar gehören solche generellen Erfahrungssätze dem revisiblen Bundesrecht (§ 162 SGG) an. Jedoch bedürfte es zu einer Entscheidung darüber, ob im Fall des Klägers die Vorgaben eines solchen Erfahrungssatzes erfüllt sind, der Feststellung von Einzelfalltatsachen und deren fachgerechte Zuordnung zum generellen medizinischen Erfahrungssatz. Das BSG müsste daher voraussichtlich nach Klärung des generellen Standes der anerkannten Erfahrung die Sache dennoch an das LSG zurückverweisen, dem die Feststellung von Tatsachen des Einzelfalles grundsätzlich vorbehalten ist.

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Das LSG wird folglich nach der Zurückverweisung durch Einholung von Sachverständigengutachten und die anderen aufgezeigten Ermittlungsmöglichkeiten festzustellen haben, ob der von der Beklagten behauptete wissenschaftliche Erfahrungssatz oder ein anderer von der Mehrheit der Wissenschaftler des einschlägigen medizinischen Wissenschaftszweiges vertreten wird.

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Lässt sich dies zur vollen richterlichen Überzeugung bejahen, so ist er nebst seinen in gleicher Weise wissenschaftlich anerkannten generellen Anwendungsbedingungen der (mindestens im richterlichen Beweisgrad der juristischen Wahrscheinlichkeit zu treffenden) Feststellung zwingend zugrunde zu legen, ob im vorliegenden Fall die versicherte Einwirkung faktische Mitursache des Bandscheibenvorfalls C 6/7 war. Stellt das LSG hingegen fest, dass nicht dieser Erfahrungssatz, sondern ein anderer entsprechend anerkannt ist, ist dieser zwingend maßgeblich. In jedem Fall ist dann über die Mitursächlichkeit der Testfahrt und der durch sie verursachten Einwirkung für den Vorfall C 6/7 und dabei auch der Mitverursachungsanteil anderer Wirkursachen zu entscheiden.

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5. Von diesen Feststellungen darf das LSG nicht wegen der zweiten Zurechnungsstufe, der rechtlichen "Wesentlichkeit" der Wirkursache für den Schaden, absehen. Das LSG hat nämlich in seinem Beschluss den dargelegten bundesrechtlichen Begriff der Wesentlichkeit unzutreffend auf den Bereich der objektiven Verursachung angewandt. Er betrifft aber allein die zweite Stufe der Zurechnung. Auf ihr geht es ausschließlich um die Rechtsfrage, ob die auf der ersten Stufe abschließend festzustellende faktische Mitverursachung des Gesundheitsschadens durch die versicherte Verrichtung/versicherte Einwirkung überhaupt ein versichertes Risiko der Beschäftigtenversicherung verwirklicht hat. Ggf hängt - wie oben gezeigt - diese Rechtserheblichkeit davon ab, ob unversicherte Mitursachen und ihr Mitwirkungsanteil nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweiligen Versicherung in einer Gesamtabwägung dieser Umstände des Einzelfalls die Schadensverursachung derart prägen, dass dieser nicht mehr dem Schutzbereich der Versicherung, sondern dem allgemeinen Lebensrisiko unterfällt.

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Hierbei geht es ausschließlich um rechtliche Bewertungen (Auslegung und Subsumtion). Die Wirkursachen und ihre Mitwirkungsanteile (Tatsachenfrage) sind bereits auf der ersten Stufe der objektiven Verursachung abschließend festzustellen. Insbesondere kann die ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung auf der ersten Stufe nicht durch Wertungen auf der zweiten ersetzt werden.

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Das LSG wird daher, falls es auf der ersten Stufe die objektive Verursachung des Bandscheibenvorfalls durch die versicherte Verrichtung/Einwirkung nach neuer Prüfung bejahen wird, auf der zweiten Stufe erstmals die vorgenannte Rechtsfrage beantworten müssen.

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6. Das LSG wird auch abschließend über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden haben.

(1) Für das Verfahren vor den Landessozialgerichten gelten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt nichts anderes ergibt.

(2) Das Landessozialgericht kann in dem Urteil über die Berufung von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.

(3) Das Urteil ist von den Mitgliedern des Senats zu unterschreiben. Ist ein Mitglied verhindert, so vermerkt der Vorsitzende, bei dessen Verhinderung der dienstälteste beisitzende Berufsrichter, dies unter dem Urteil mit Angabe des Hinderungsgrunds.

(4) Das Landessozialgericht kann, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1, die Berufung durch Beschluß zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. § 158 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5) Der Senat kann in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 durch Beschluss die Berufung dem Berichterstatter übertragen, der zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet.

(1) Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem

1.
der Anspruch auf Verletztengeld endet,
2.
der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist.

(2) Renten an Hinterbliebene werden vom Todestag an gezahlt. Hinterbliebenenrenten, die auf Antrag geleistet werden, werden vom Beginn des Monats an gezahlt, der der Antragstellung folgt.

(3) Die Satzung kann bestimmen, daß für Unternehmer, ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder mitarbeitenden Lebenspartner und für den Unternehmern im Versicherungsschutz Gleichgestellte Rente für die ersten 13 Wochen nach dem sich aus § 46 Abs. 1 ergebenden Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht gezahlt wird. Die Rente beginnt spätestens am Tag nach Ablauf der 13. Woche, sofern Verletztengeld nicht zu zahlen ist.

(4) (weggefallen)

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Auf Antrag des Versicherten, des behinderten Menschen, des Versorgungsberechtigten oder Hinterbliebenen muß ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Die Anhörung kann davon abhängig gemacht werden, daß der Antragsteller die Kosten vorschießt und vorbehaltlich einer anderen Entscheidung des Gerichts endgültig trägt.

(2) Das Gericht kann einen Antrag ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.