Urteils-Kommentar zu Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 27. Okt. 2023 - 1 L 1303/23 von Dirk Streifler

published on 17/07/2024 20:12
Urteils-Kommentar zu Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 27. Okt. 2023 - 1 L 1303/23 von Dirk Streifler
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Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 27. Okt. 2023 - 1 L 1303/23

I. Hintergrund

Im vorliegenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Oktober 2023 ging es um die Frage, ob die Sicherstellungsanordnung der Geschäftskonten einer Tochtergesellschaft, deren Muttergesellschaft in der Sanktionsliste gemäß der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 aufgeführt ist, rechtmäßig ist. Die Antragstellerin, eine GmbH, deren Anteile zu 100 % von einer in der Sanktionsliste gelisteten Muttergesellschaft gehalten werden, begehrte die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Sicherstellungsanordnung.

 

II. Zentrale Aussagen des Beschlusses

1. Unklare Definition der Begriffe "Halten" und "Kontrolle":

Das Gericht stellte fest, dass die Begriffe „Halten“ und „Kontrolle“ in Art. 2 Abs. 1 VO (EU) Nr. 269/2014 unionsrechtlich bislang nicht eindeutig geklärt sind. Diese Unklarheit ist wesentlich, da die Sicherstellung von Vermögenswerten davon abhängt, ob die gelistete Muttergesellschaft tatsächlich Kontrolle über die Vermögenswerte der Tochtergesellschaft ausübt.

2. Folgenabwägung und öffentliches Interesse:

Aufgrund der unklaren Rechtslage entschied das Gericht anhand einer Folgenabwägung. Es wurde festgestellt, dass das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Sicherstellungsanordnung das gegenläufige Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Anordnung überwiegt. Die massive Beschränkung der Geschäftstätigkeit der Antragstellerin wurde angesichts der überragend wichtigen Ziele der Sanktionsverordnung als gerechtfertigt angesehen.

 

III. Rechtliche Erwägungen

Der Beschluss beruht auf mehreren rechtlichen Erwägungen, die im Folgenden näher erläutert werden:

1. Zulässigkeit des Antrags

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft und zulässig. Da der Widerspruch gegen die Sicherstellungsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 13 SanktDG keine aufschiebende Wirkung hat, ist der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes der richtige Rechtsbehelf.

2. Begründetheit des Antrags

In der Begründetheit des Antrags wurde eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Aussetzungsinteresse der Antragstellerin vorgenommen. Dabei orientierte sich das Gericht an den Erfolgsaussichten des Widerspruchs im Hauptsacheverfahren, die aufgrund der unklaren Begriffe "Halten" und "Kontrolle" als offen eingestuft wurden.

3. Unionsrechtliche Aspekte und Vorabentscheidungsverfahren

Das Gericht stellte fest, dass die Frage, ob die streitgegenständlichen Konten der Antragstellerin einer Verfügungsbeschränkung gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 SanktDG unterliegen, entscheidungserheblich ist. Da die Begriffe „Halten“ und „Kontrolle“ in der VO (EU) 269/2014 unklar sind, könnte es im Hauptsacheverfahren notwendig sein, eine Vorabentscheidung des EuGH gemäß Art. 267 AEUV einzuholen. Dies betont die Unsicherheit in der rechtlichen Beurteilung und unterstreicht die Notwendigkeit einer präzisen Auslegung dieser Begriffe durch den EuGH.

4. Verhältnismäßigkeit und Grundrechte

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Sicherstellungsanordnung verhältnismäßig ist. Die Sicherstellung dient dem legitimen Zweck, Verstöße gegen die VO (EU) 269/2014 zu verhindern und die Wirksamkeit der Sanktionen zu gewährleisten. Angesichts der überragend wichtigen Ziele der Sanktionsverordnung, die den Schutz der territorialen Unversehrtheit und Souveränität der Ukraine zum Ziel hat, wurde der Eingriff in die Grundrechte der Antragstellerin als gerechtfertigt angesehen.

 

IV. Fazit

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln zeigt die komplexen rechtlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Durchsetzung von EU-Sanktionsverordnungen auf. Die unklare Definition der Begriffe „Halten“ und „Kontrolle“ in der VO (EU) 269/2014 erfordert eine genaue Prüfung und möglicherweise eine Klärung durch den EuGH. Die Entscheidung betont das überragende öffentliche Interesse an der Wirksamkeit der Sanktionen gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der betroffenen Unternehmen und stellt die Bedeutung der Verhältnismäßigkeit und des Grundrechtsschutzes in den Vordergrund.

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Annotations

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung kann Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen bestimmter Personen oder Personengesellschaften, die nach einem im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, einer Verfügungsbeschränkung unterliegen, sicherstellen, um zu verhindern, dass über diese unter Verstoß gegen einen solchen Rechtsakt verfügt wird oder dass diese entgegen einem solchen Rechtsakt genutzt werden. Dies gilt entsprechend, wenn eine vorläufige Beschränkung nach § 5a des Außenwirtschaftsgesetzes oder ein Verfügungsverbot aufgrund einer vollziehbaren Anordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 2 des Außenwirtschaftsgesetzes besteht. Die Anordnung nach Satz 1 ist unverzüglich aufzuheben, sobald die Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 nicht mehr vorliegen.

(2) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen bestimmter Personen oder Personengesellschaften nach einem im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union veröffentlichten unmittelbar geltenden Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder der Europäischen Union, der der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, einer Verfügungsbeschränkung unterliegen, so kann die Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung diese vorläufig sicherstellen, bis die Ermittlungsmaßnahmen nach § 2 abgeschlossen sind, längstens aber für die Dauer von zwölf Monaten. Dies gilt entsprechend, wenn eine vorläufige Beschränkung nach § 5a des Außenwirtschaftsgesetzes oder ein Verfügungsverbot aufgrund einer vollziehbaren Anordnung nach § 6 Absatz 1 Satz 2 des Außenwirtschaftsgesetzes besteht. Die Anordnung nach Satz 1 kann nach Ablauf der dort genannten Höchstfrist verlängert werden, längstens aber für die Dauer von weiteren sechs Monaten, wenn besondere Umstände die Ermittlungsmaßnahmen nach § 2 erschweren. Die vorläufige Sicherstellung ist unverzüglich aufzuheben, sobald das Bestehen einer Verfügungsbeschränkung abschließend geprüft wurde. Hat die Prüfung ergeben, dass eine Verfügungsbeschränkung besteht, ist eine Sicherstellung nach Absatz 1 Satz 1 zu prüfen.

(3) Sobald die Sicherstellung aufgehoben wurde, sind die Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen an diejenige Person herauszugeben, bei der sie sichergestellt worden sind. Ist die Herausgabe an sie nicht möglich, können sie an jede andere Person herausgegeben werden, die ihre Berechtigung glaubhaft macht. Die Herausgabe ist ausgeschlossen, wenn dadurch erneut die Voraussetzungen für eine Sicherstellung eintreten würden.