Kommentar zu Zivilprozessordnung - ZPO | § 110 Prozesskostensicherheit von Dirk Streifler
Zivilprozessordnung - ZPO | § 110 Prozesskostensicherheit
(1) Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, leisten auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit.
(2) Diese Verpflichtung tritt nicht ein:
- 1.
wenn auf Grund völkerrechtlicher Verträge keine Sicherheit verlangt werden kann; - 2.
wenn die Entscheidung über die Erstattung der Prozesskosten an den Beklagten auf Grund völkerrechtlicher Verträge vollstreckt würde; - 3.
wenn der Kläger im Inland ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen besitzt; - 4.
bei Widerklagen; - 5.
bei Klagen, die auf Grund einer öffentlichen Aufforderung erhoben werden.
1. Stellung der Norm, Systematik, Zweck
Rn. 1
§ 110 ZPO steht im 1. Buch der ZPO („Allgemeine Vorschriften“), Abschnitt „Parteien“, und gehört systematisch zu den Vorschriften über Sicherheitsleistungen (§§ 108–113 ZPO). Er regelt eine besondere, prozessuale Sicherheitsleistung für die Kostenerstattungsansprüche des Beklagten und knüpft an die Person des Klägers an.
Rn. 2
Die Norm verfolgt einen typisierenden Schutzgedanken: Der in Deutschland obsiegende Beklagte soll nicht auf einem Kostenerstattungsanspruch „sitzen bleiben“, dessen Vollstreckung im Drittstaat ungewiss oder mit erheblichem Aufwand verbunden ist. Das ist auch in der Gesetzesbegründung (BT‑Drs. 13/10871) ausdrücklich so angelegt.
Rn. 3
Die Reform 1998 hat die frühere „Ausländersicherheit“ von der Staatsangehörigkeit entkoppelt und auf den gewöhnlichen Aufenthalt abgestellt, um unionsrechtliche Diskriminierungen zu vermeiden. Kläger aus EU/EWR‑Staaten werden durch das Unionsrecht geschützt und sind von der Pflicht ausgenommen.
Rn. 4
§ 110 Abs. 2 ZPO enthält eine enumerative Liste von Ausnahmegründen (völkerrechtliche Verträge, gesicherte Vollstreckung im Aufenthaltsstaat, inländisches Grundvermögen, Widerklage, Klagen nach öffentlicher Aufforderung). Diese Ausnahmen konkretisieren, wann der Beklagte aus Sicht des Gesetzgebers keinen zusätzlichen Schutz mehr braucht.
Rn. 5
§ 110 greift nur, wenn der Beklagte sich darauf beruft. Die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit ist eine verzichtbare Zulässigkeitseinrede, die grundsätzlich früh erhoben werden muss.
Rn. 6
Rechtsdogmatisch ist § 110 ZPO eine „kostengerichtete“ Prozessvoraussetzung: Die Klage bleibt zulässig, wenn die Sicherheit fristgerecht geleistet wird; wird sie nicht geleistet, kommt es zu prozessualen Sanktionen nach § 113 ZPO (Klage gilt als zurückgenommen, Rechtsmittel werden verworfen).
Rn. 7
Für die Praxis ist wichtig: § 110 ZPO ist kein „Abwehrinstrument“ gegen unliebsame Klagen aus dem Ausland um jeden Preis. Ist die Vollstreckung der Kostenentscheidung im Aufenthaltsstaat des Klägers gesichert, entfällt die Sicherungspflicht – etwa bei Anwendbarkeit der Brüssel‑Ia‑VO, des Lugano‑Übereinkommens oder des Brexit‑Abkommens.
2. Persönlicher Anwendungsbereich
Rn. 8
Kläger i.S.d. § 110 Abs. 1 ZPO ist die Partei, die in erster Instanz klagend auftritt. An dieser Zuordnung ändert sich im Rechtsmittelverfahren nichts: Der Kläger bleibt Kläger, auch wenn er in der Berufung oder Revision als „Rechtsmittelbeklagter“ bezeichnet wird.
Rn. 9
Die Rechtsprechung überträgt diesen Klägerbegriff auf Antragsverfahren mit klageähnlicher Struktur. Der BGH hat mit Beschluss vom 12.01.2023 – I ZB 33/22 entschieden, dass im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung in- und ausländischer Schiedssprüche der Antragsteller einem Kläger i.S.d. § 110 Abs. 1 ZPO gleichsteht.
Rn. 10
Die Sicherungspflicht trifft natürliche Personen, juristische Personen und rechtsfähige Personengesellschaften gleichermaßen. Bei natürlichen Personen ist auf den gewöhnlichen Aufenthalt abzustellen, bei juristischen Personen auf den Unternehmenssitz (dazu sogleich).
Rn. 11
„Gewöhnlicher Aufenthalt“ ist der tatsächliche Lebensmittelpunkt; entscheidend sind Dauer und Schwerpunkt der Bindungen, nicht lediglich eine Meldeadresse. In der Literatur werden als Richtwert mindestens sechs Monate angenommen.
Rn. 12
Bei juristischen Personen ist – nach h.M. und Rechtsprechung – auf den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen, also den Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden.
Rn. 13
Der BGH hat in der Entscheidung „Prozesskostensicherheit“ (Urteil vom 21.06.2016 – X ZR 41/15) klargestellt, dass es für die Befreiung genügt, wenn satzungsmäßiger und tatsächlicher Verwaltungssitz in EU/EWR liegen; die Frage, welcher Anknüpfungspunkt maßgeblich ist, konnte er offenlassen, weil in keinem Szenario ein Drittstaatensitz im Raum stand.
Rn. 14
Die Rechtsprechung der Instanzgerichte (etwa OLG München, Urteil vom 22.02.2018 – 6 U 2594/17) arbeitet mit der oben genannten Definition des Verwaltungssitzes und grenzt diesen von bloßen Briefkasten‑Sitzen ab. Entscheidend ist, wo die Geschäftsführung tatsächlich tätig wird, nicht wo die Holding sitzt.
Rn. 15
Zur Darlegungs- und Beweislast: Der Beklagte, der Sicherung verlangt, muss grundsätzlich darlegen und beweisen, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Sitz außerhalb von EU/EWR hat. Kommt der Kläger einer sekundären Darlegungslast nach (z.B. durch Vorlage von Registerauszügen, Mietverträgen, Organisationsunterlagen), gelten wieder die üblichen Beweislastregeln.
Rn. 16
Für die Befreiungstatbestände des § 110 Abs. 2 ZPO trägt dagegen grundsätzlich der Kläger die Darlegungs- und Beweislast, etwa für das Vorliegen völkerrechtlicher Verträge oder inländischen Grundvermögens.
Rn. 17
In der Praxis führt das häufig zu einem „Ping‑Pong“ aus Vortrag und Gegenvortrag über Sitz, Struktur und Vermögenslage des klagenden Unternehmens. Wer als ausländischer Kläger in Deutschland klagen will, sollte diese Fragen vorab klären und belegen können – sonst droht ein teurer Stillstand des Verfahrens.
Rn. 18
Für Kläger mit EU/EWR‑Sitz ist die Lage deutlich entspannter: Von einer Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz innerhalb der EU/EWR hat, kann Prozesskostensicherheit nicht verlangt werden (BGH, Beschluss vom 23.08.2017 – IV ZR 93/17).
3. Sachlicher Anwendungsbereich
Rn. 19
§ 110 ZPO gilt für streitige Zivilverfahren im Erkenntnisverfahren aller Instanzen. Erfasst werden also Klagen vor Amts‑ und Landgerichten ebenso wie Berufung, Revision, Nichtzulassungsbeschwerde und entsprechende Rechtsmittelverfahren.
Rn. 20
Der BGH hat die Vorschriften der §§ 110 ff. ZPO auf Verfahren zur Vollstreckbarerklärung inländischer und ausländischer Schiedssprüche entsprechend angewendet (BGH, Beschluss vom 12.01.2023 – I ZB 33/22). Der Antragsteller steht dort einem Kläger gleich.
Rn. 21
Für einstweilige Verfügungen und Arreste ist streitig, ob § 110 ZPO Anwendung findet. Teile der Literatur verneinen dies wegen der besonderen Eilbedürftigkeit; Teile befürworten zumindest eine eingeschränkte Anwendung. Eine höchstrichterliche Klärung für alle Konstellationen steht noch aus; einzelne OLG‑Entscheidungen bejahen die Einrede aber auch im einstweiligen Rechtsschutz.
Rn. 22
Nicht einschlägig ist § 110 ZPO in Verfahren ohne klageähnliche Struktur (z.B. überwiegend in selbständigen Beschwerdeverfahren), soweit die Rechtsprechung keine Analogie bejaht.
Rn. 23
Spezialgesetze (PatG, MarkenG, VwGO, SGG etc.) verweisen teilweise ausdrücklich auf §§ 110 ff. ZPO oder übernehmen das Institut in eigener Fassung; insoweit gelten die nachfolgenden Grundsätze entsprechend.
4. Tatbestandsvoraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO
Rn. 24
Die Verpflichtung zur Prozesskostensicherheit besteht, wenn
-
der Kläger i.S.d. § 110 auftritt,
-
er seinen gewöhnlichen Aufenthalt / Sitz nicht in einem EU/EWR‑Staat hat,
-
kein Ausnahmetatbestand nach § 110 Abs. 2 ZPO greift und
-
der Beklagte rechtzeitig Sicherheit verlangt und die Einrede erhebt.
Rn. 25
Die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit ist eine verzichtbare Rüge der Zulässigkeit. Sie muss grundsätzlich vor der ersten mündlichen Verhandlung zur Hauptsache erhoben werden; im schriftlichen Vorverfahren gehört sie in die Klageerwiderung (§ 282 Abs. 3, § 532 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 01.03.2021 – X ZR 54/19).
Rn. 26
In höheren Instanzen ist die Einrede nur zulässig, wenn die Voraussetzungen der Sicherungspflicht erst dort eintreten oder wenn sie in den Vorinstanzen ohne Verschulden nicht erhoben wurde (BGH, Beschluss vom 27.09.2022 – VI ZR 68/21).
Rn. 27
§ 111 ZPO ermöglicht es, Prozesskostensicherheit auch dann zu verlangen, wenn die Sicherungsvoraussetzungen erst im Laufe des Prozesses eintreten (z.B. Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in einen Drittstaat). Der BGH betont insoweit, dass nachträgliche Tatsachen zu berücksichtigen sind.
Rn. 28
Die Rechtsprechung stellt klar, dass über die Verpflichtung zur Sicherheitsleistung nur einmal entschieden werden soll. Die Einrede kann daher nicht beliebig in jeder Instanz erneut „aufgerollt“ werden. Das dient der Verfahrensökonomie und verhindert taktische Überraschungen.
Rn. 29
Hinsichtlich der Höhe der Sicherheit wird auf die voraussichtlichen Prozesskosten der Beklagtenseite abgestellt (Gerichts- und Anwaltskosten) in den typischerweise in Betracht kommenden Instanzen. Das Gericht entscheidet nach billigem Ermessen (§ 112 ZPO).
Rn. 30
In der Praxis bedeutet das: Wer als Beklagter an Prozesskostensicherheit denkt, sollte die voraussichtlichen Kosten realistisch kalkulieren und konkret beantragen. Zu hoch angesetzte Sicherheitsbeträge werden korrigiert, können aber die Glaubwürdigkeit der Einrede beeinträchtigen.
Rn. 31
Die Form der Sicherheit bestimmt sich nach § 108 ZPO (Bargeld, Bankbürgschaft etc.). Wichtig ist, dass der Beklagte im Obsiegensfall tatsächlich Zugriff auf die Sicherheit erhält.
Rn. 32
Die Anordnung erfolgt in der Praxis durch Beschluss oder Zwischenurteil. Zwischenurteile sind regelmäßig nicht isoliert anfechtbar und werden erst mit dem Endurteil überprüft (BGH, Beschluss vom 21.12.2005 – III ZB 73/05).
Rn. 33
Wenn sich die Verhältnisse des Klägers später ändern (z.B. Umzug in die EU, Erwerb eines inländischen Grundstücks), kann nach § 109 ZPO die Rückgabe der Sicherheit verlangt werden. Der BGH hat die Anwendung von § 109 ZPO auch für nach § 110 angeordnete Sicherheiten bestätigt.
Rn. 34
Für Mandanten heißt das: Prozesskostensicherheit ist kein „Schicksal für alle Ewigkeit“. Wenn sich die Ausgangslage relevant verändert, sollte aktiv geprüft werden, ob ein Rückgabeantrag sinnvoll ist.
Rn. 35
Leistet der Kläger die ordnungsgemäß angeordnete Sicherheit nicht fristgerecht, greifen § 113 ZPO: Die Klage gilt als zurückgenommen; Rechtsmittel des Klägers werden verworfen. Das ist eine harte Sanktion – in der Praxis aber kein theoretisches Gespenst, sondern gelebter Alltag.
5. Ausnahmen nach § 110 Abs. 2 ZPO
Rn. 36
§ 110 Abs. 2 ZPO zählt fünf Fallgruppen auf, in denen die Sicherungspflicht entfällt:
-
völkerrechtliche Verträge mit Sicherheitsverbot (Nr. 1),
-
völkerrechtliche Verträge, die die Vollstreckung sichern (Nr. 2),
-
hinreichendes inländisches Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen (Nr. 3),
-
Widerklagen (Nr. 4),
-
Klagen aufgrund öffentlicher Aufforderung (Nr. 5).
Rn. 37 (Nr. 1 – Sicherheitsverbot)
Völkerrechtliche Verträge im Sinne der Nr. 1 sind insbesondere solche, die die Erhebung einer Sicherheit ausdrücklich untersagen. Ein Beispiel ist das Europäische Niederlassungsabkommen vom 13.12.1955 (im Folgenden: EuNiederlAbk). Der BGH hat im Beschluss vom 27.09.2022 – VI ZR 68/21 – für Kläger mit britischer Staatsangehörigkeit (und gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich) nach dem Brexit die Befreiung über Art. 9 Abs. 1 EuNiederlAbk i.V.m. § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestätigt.
Rn. 38 (Nr. 2 – Vollstreckungsverträge)
§ 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO greift, wenn die Kostenentscheidung auf Grund eines völkerrechtlichen Vertrages im Aufenthaltsstaat des Klägers vollstreckt werden kann. Typische Beispiele sind das Lugano‑Übereinkommen und – in Übergangsfällen des Brexit – die Brüssel‑Ia‑Verordnung (VO (EU) Nr. 1215/2012) i.V.m. Art. 67 Abs. 2 Brexit‑Abkommen. Der BGH (Urt. v. 21.12.2023 – IX ZR 143/22) qualifiziert das Brexit‑Abkommen als völkerrechtlichen Vertrag i.S.v. § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
Rn. 39
Für Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz führt das Lugano‑Übereinkommen regelmäßig zur Befreiung nach Nr. 2, weil auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse als „Entscheidungen“ im Sinne des Übereinkommens gelten.
Rn. 40 (Nr. 3 – inländisches Grundvermögen)
Nr. 3 setzt ein zur Deckung der Prozesskosten hinreichendes inländisches Grundvermögen oder dinglich gesicherte Forderungen voraus. „Hinreichend“ ist das Vermögen, wenn bei realistischer Betrachtung die zu erwartenden Kosten bei einer Zwangsvollstreckung gedeckt wären. Die Rechtsprechung verlangt keine werthaltigen Objekte im Gerichtsbezirk, aber eine praktikable Vollstreckungsmöglichkeit im Inland.
Rn. 41
Die Darlegungslast liegt beim Kläger: Grundbuchauszüge, Verkehrswertgutachten, Angaben zur Belastungssituation etc. sollten vorgelegt werden. Für eine Beratungspraxis mit internationaler Klientel gehört diese Prüfung vor Klageerhebung zur Standard‑Checkliste.
Rn. 42 (Nr. 4 – Widerklagen)
Für Widerklagen besteht grundsätzlich keine Sicherungspflicht. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass der Widerkläger durch den Angriff des Klägers zum Gegenangriff veranlasst wird (BT‑Drs. 13/10871, S. 18).
Rn. 43
Der BGH hat diese Privilegierung in der Schiedsrechtsprechung ausdrücklich aufgegriffen: In BGH, Beschluss vom 12.01.2023 – I ZB 33/22, stellt der Senat klar, dass der Antragsteller, der im Vollstreckbarerklärungsverfahren zugleich Widerklage erhebt, als Widerkläger nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO von der Sicherungspflicht befreit ist.
Rn. 44
Die Begründung des BGH: Wer einen inländischen Beklagten in Deutschland verklagt, akzeptiert das Risiko einer erschwerten Vollstreckung im Ausland. Dann ist er weniger schutzwürdig, wenn der Beklagte seinerseits im Wege der Widerklage Ansprüche verfolgt – auch im Schiedsverfahren.
Rn. 45 (Nr. 5 – öffentliche Aufforderung)
Klagen auf Grund öffentlicher Aufforderungen (häufig in spezialgesetzlichen Konstellationen, etwa im Kapitalmarktbereich) sind von der Sicherungspflicht ausgenommen, um die vom Gesetzgeber gewollte Rechtsverfolgung nicht zu behindern.
Rn. 46
In der Praxis spielen Nr. 1–3 und (im Schieds‑ und Widerklagekontext) Nr. 4 die Hauptrolle; Nr. 5 hat eher Ausnahmecharakter.
Rn. 47
In der Praxis wird bei Klägern aus Staaten mit erheblichen politischen Spannungen gelegentlich diskutiert, ob und wie weit bestehende Vollstreckungsregime „faktisch“ noch tragen. Maßgeblich ist jedoch nicht die politische Großwetterlage, sondern die Rechtslage: Gilt ein völkerrechtlicher Vertrag fort und ermöglicht er die Vollstreckung von Kostenentscheidungen bzw. verbietet er eine Sicherheitsleistung, greift § 110 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO – andernfalls nicht.
Rn. 48
Für die Beratung bedeutet das: Die Prüfung von Befreiungstatbeständen ist nicht nur Formalie, sondern kann die Prozessfinanzierung entscheiden – und eröffnet mitunter Verhandlungsspielräume (z.B. Vergleich gegen Verzicht auf Einrede).
6. Verfahren, Fristen und Sanktionen (§§ 111–113 ZPO)
Rn. 49
Der Beklagte muss die Einrede rechtzeitig erheben (s.o. Rn. 25 ff.) und zugleich die Anordnung von Prozesskostensicherheit beantragen. Das Gericht entscheidet dann über das „Ob“ und die Höhe der Sicherheit.
Rn. 50
Die Entscheidung ergeht meist durch Beschluss oder Zwischenurteil. Ein Zwischenurteil ist regelmäßig nicht isoliert anfechtbar; Fehler werden erst mit dem Endurteil überprüft. Für Fragen der Rückgabe der Sicherheit verweist der BGH auf § 109 ZPO (Beschluss vom 21.12.2005 – III ZB 73/05).
Rn. 51
§ 112 ZPO erlaubt die Anordnung ergänzender Sicherheit, wenn sich im Laufe des Verfahrens zeigt, dass die ursprüngliche Sicherheit nicht ausreicht (z.B. durch Erweiterung des Streitstoffs oder Eintritt höherer Instanzen). Ein aktuelles Beispiel für eine weitere Prozesskostensicherheit nach § 112 Abs. 3 ZPO ist BGH, Beschl. v. 16.01.2024 – XI ZR 49/23 (weitere Sicherheit wegen der Kosten dritter Instanz/Nichtzulassungsbeschwerde).
Rn. 52
§ 113 ZPO verpflichtet das Gericht, dem Kläger eine Frist zur Leistung der Sicherheit zu setzen. Wird die Sicherheit bis zur Entscheidung nicht geleistet, gilt die Klage als zurückgenommen bzw. ein Rechtsmittel des Klägers als verworfen – allerdings nur auf entsprechenden Antrag des Beklagten.
Rn. 53
Praktisch sollte der Beklagte daher nicht nur die Einrede erheben, sondern im Blick behalten, ob die Sicherheit fristgerecht eingeht – und ggf. rechtzeitig den Antrag auf Feststellung der Rücknahme bzw. Verwerfung stellen.
Rn. 54
Aus Klägerperspektive ist die Frist zur Sicherheitsleistung „brandgefährlich“: Wer hier nicht sauber organisiert ist (Bankbürgschaft, Hinterlegung, Nachweis gegenüber Gericht), riskiert, dass über die materiell‑rechtlichen Ansprüche nie entschieden wird.
Rn. 55
Ändern sich die Umstände später so, dass die Sicherungspflicht entfällt (z.B. Umzug in die EU, Erwerb inländischen Grundvermögens), kann das Verfahren nach § 109 ZPO zur Rückgabe der Sicherheit beschritten werden. Der BGH erkennt ausdrücklich an, dass nachträgliche Tatsachen hier zu berücksichtigen sind.
Rn. 56
In meiner Praxis hat es sich bewährt, solche Änderungen aktiv zu dokumentieren (Meldebescheinigungen, Grundbuchauszüge etc.) und frühzeitig mit dem Gericht und der Gegenseite zu kommunizieren, statt darauf zu hoffen, dass die Sicherheitsfrage „von selbst“ verschwindet.
7. Europarechtliche und völkerrechtliche Bezüge (insb. Brexit)
Rn. 57
Für Kläger mit Bezug zum Vereinigten Königreich nach dem Brexit ist entscheidend, ob noch EU‑Recht über Übergangsregelungen (Art. 67 Brexit‑Abkommen) fortgilt oder ob nur noch völkerrechtliche Verträge (Europäisches Niederlassungsabkommen, ggf. LugÜ) greifen.
Rn. 58
Der BGH (Beschluss vom 27.09.2022 – VI ZR 68/21) hat die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit in der Nichtzulassungsbeschwerde als verspätet angesehen und zugleich klargestellt, dass Kläger mit britischer Staatsangehörigkeit über Art. 9 EuNiederlAbk nach § 110 Abs. 2 Nr. 1 ZPO privilegiert sind – unabhängig von Gegenseitigkeit.
Rn. 59
Im Urteil vom 21.12.2023 – IX ZR 143/22 – bejaht der BGH zudem die Einordnung des Brexit‑Abkommens als völkerrechtlichen Vertrag i.S.v. § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Kostenfestsetzungsbeschlüsse deutscher Gerichte können danach unter den dortigen Voraussetzungen weiterhin im Vereinigten Königreich vollstreckt werden.
Rn. 60
Für Kläger aus der Schweiz kommt regelmäßig eine Befreiung nach § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO i.V.m. dem Lugano‑Übereinkommen in Betracht. Der BGH betont, dass auch Kostenfestsetzungsbeschlüsse „Entscheidungen“ im Sinne des LugÜ sind.
Rn. 61
Im Ergebnis ist § 110 ZPO heute stark „vernetzt“ mit europäischem und völkerrechtlichem Vollstreckungsrecht. Bei jeder internationalen Konstellation ist daher zuerst zu fragen: Gibt es ein einschlägiges Abkommen, das die Kostenvollstreckung sichert oder eine Sicherheitsleistung untersagt?
Rn. 62
Aktuelle Diskussionen – etwa zur Behandlung russischer Kläger vor dem Hintergrund des Ukraine‑Krieges – zeigen, dass politische Spannungen allein die Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge nicht suspendieren. Die Rechtsprechung bleibt hier bislang bemerkenswert nüchtern.
8. Typische Streitpunkte und Rechtsprechung
Rn. 63 – Streitpunkt: Sitz von Gesellschaften
Streit gibt es häufig zur Frage, ob bei juristischen Personen auf den satzungsmäßigen Sitz oder den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen ist. Der BGH lässt diese Frage in X ZR 41/15 offen, weil in beiden Varianten ein EU‑Sitz vorlag; die Instanzrechtsprechung (u.a. OLG München 6 U 2594/17) stellt überwiegend auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ab.
Rn. 64
In der Tendenz gilt: Ein reiner Briefkasten‑Sitz in der EU reicht nicht, wenn das operative Geschäft ausschließlich von Drittstaaten aus geführt wird. Umgekehrt kann ein EU‑Verwaltungssitz die Sicherungspflicht ausschließen, auch wenn die Konzernmutter außerhalb der EU sitzt.
Rn. 65 – Streitpunkt: Zeitpunkt der Einrede
Ein weiterer Dauerbrenner betrifft die Frage, bis wann die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit erhoben werden kann. Der BGH verlangt grundsätzlich eine Erhebung vor der ersten Verhandlung zur Hauptsache, und zwar „für alle Rechtszüge“ (BGH, Beschl. v. 01.03.2021 – X ZR 54/19). In höheren Instanzen ist sie nur zulässig, wenn die Voraussetzungen der Sicherungspflicht erst dort eintreten oder die Verspätung entschuldbar ist (BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – VI ZR 68/21).
Rn. 66
In der Praxis versuchen Parteien immer wieder, die Einrede „nachzuschieben“, wenn sich die wirtschaftliche Lage des Klägers ändert oder neue politische Konstellationen (Brexit, Sanktionen) auftreten. Die Gerichte sind hier sehr streng.
Rn. 67 – Streitpunkt: Sicherheitsfreiheit aufgrund von Abkommen
Nicht selten wird darüber gestritten, ob ein konkreter völkerrechtlicher Vertrag die Vollstreckung von Kostentiteln sichert oder eine Sicherheitsleistung verbietet. Die Brexit‑Konstellationen zeigen das besonders plastisch: BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – VI ZR 68/21 (Sicherheitsverbot über Art. 9 Abs. 1 EuNiederlAbk) und BGH, Urt. v. 21.12.2023 – IX ZR 143/22 (Brexit‑Abkommen als Vertrag i.S.d. § 110 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) illustrieren die Abgrenzung zwischen Nr. 1 und Nr. 2.
Rn. 68
Die Rechtsprechung tendiert dazu, den Schutzbereich eher großzügig zu fassen, solange der Vollstreckungszugriff ernsthaft gesichert ist. Das ist aus Sicht des Zugangs zum Recht für Kläger nachvollziehbar – für Beklagte bedeutet es, dass die Einrede sorgfältig vorbereitet sein muss.
Rn. 69 – Streitpunkt: Schiedsverfahren
Mit BGH, Beschl. v. 12.01.2023 – I ZB 33/22 hat der BGH eine frühere, restriktive Linie aufgegeben und die §§ 110 ff. ZPO auf Vollstreckbarerklärungsverfahren für Schiedssprüche entsprechend angewendet. Zugleich hat er klargestellt, dass der Antragsteller, der zugleich Widerklage erhebt, als Widerkläger nach § 110 Abs. 2 Nr. 4 ZPO privilegiert ist.
Rn. 70
Damit ist klar: Internationale Schiedsverfahren sind kein „Ausweg“ aus der Prozesskostensicherheit. Wer einen Schiedsspruch in Deutschland vollstrecken will, muss mit entsprechenden Sicherungsanordnungen rechnen, wenn er seinen Aufenthalt im Drittstaat hat.
Rn. 71 – Streitpunkt: Anwendbarkeit im einstweiligen Rechtsschutz
Uneinigkeit besteht weiterhin bei der Anwendung des § 110 ZPO im einstweiligen Rechtsschutz. Teile der Rechtsprechung bejahen die Einrede auch im Verfügungsverfahren, andere lehnen sie mit Hinweis auf das Beschleunigungsgebot ab. Eine höchstrichterliche Klärung steht hier noch aus.
Rn. 72
Für die Praxis bedeutet das: In einstweiligen Verfahren sollte die Einrede jedenfalls geprüft und – abhängig von der Spruchpraxis des angerufenen Gerichts – überlegt erhoben werden.
9. Praxisfolgen und strategische Hinweise
Rn. 73
Für Beklagte mit Sitz in Deutschland oder EU/EWR ist § 110 ZPO ein wichtiges Instrument, um sich vor „Papiersiegen“ gegen Kläger aus Drittstaaten zu schützen. Die Einrede sollte früh und substantiiert erhoben werden; bloße Vermutungen zur Auslandsansässigkeit reichen nicht.
Rn. 74
Für Kläger mit Drittstaatenbezug ist § 110 ZPO vor allem ein Kosten‑ und Liquiditätsrisiko. Insbesondere in technischen Großverfahren (Patente, internationale Handelsstreitigkeiten) können die Sicherheitsbeträge schnell sechsstellige Größenordnungen erreichen.
Rn. 75
In der Mandatsarbeit hat es sich bewährt, vor Klageerhebung systematisch zu prüfen:
-
gewöhnlicher Aufenthalt/Sitz,
-
Anwendbarkeit von EU‑Verordnungen und völkerrechtlichen Verträgen,
-
inländisches Grundvermögen,
-
mögliche Widerklageszenarien.
Rn. 76
Wer als ausländischer Kläger gut vorbereitet in ein deutsches Verfahren geht, kann das Risiko von Prozesskostensicherheit oft begrenzen oder ganz vermeiden.
Rn. 77
Aus Sicht eines Beklagten lohnt es sich, die Prozessökonomie im Blick zu behalten: Die Einrede ist kein Selbstzweck. Sie ist vor allem dann sinnvoll, wenn das Vollstreckungsrisiko real erscheint und die zu erwartenden Kosten erheblich sind. In kleineren Verfahren kann der „Verhandlungswert“ der Einrede wichtiger sein als die tatsächliche Sicherheitsleistung.
Rn. 78
Als Rechtsanwalt mit Schwerpunkt im internationalen Zivilprozessrecht und Schiedsrecht übernehme ich regelmäßig Mandate in genau diesen Konstellationen – sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite. Häufig lassen sich durch frühzeitige Klärung der Prozesskostensicherheitsfrage unnötige Verzögerungen und Kosten vermeiden.
10. FAQ zu § 110 ZPO
Rn. 79 – Muss jeder ausländische Kläger Sicherheit leisten?
Nein. Entscheidend ist nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der gewöhnliche Aufenthalt bzw. Sitz. Kläger aus EU/EWR‑Staaten sind generell privilegiert. Drittstaaten‑Kläger können über völkerrechtliche Verträge oder inländisches Vermögen ebenfalls befreit sein.
Rn. 80 – Kann die Einrede auch noch in der Berufung erhoben werden?
Nur ausnahmsweise. In höheren Instanzen ist die Einrede nach der Rechtsprechung des BGH nur zulässig, wenn die Sicherungsvoraussetzungen erst in dieser Instanz eingetreten sind oder die Verspätung entschuldbar ist (BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – VI ZR 68/21).
Rn. 81 – Was passiert, wenn die Sicherheit nicht rechtzeitig geleistet wird?
Wird eine nach § 110 angeordnete Sicherheit trotz Fristsetzung nicht geleistet, gilt die Klage als zurückgenommen bzw. ein Rechtsmittel des Klägers als verworfen (§ 113 ZPO). Das Gericht prüft dann nicht mehr in der Sache.
Rn. 82 – Kann eine einmal geleistete Sicherheit zurückgefordert werden?
Ja. Wenn die Voraussetzungen der Sicherungspflicht nachträglich wegfallen (z.B. Umzug in die EU, Erwerb inländischen Grundvermögens, neue Abkommen), kann nach § 109 ZPO die Rückgabe der Sicherheit verlangt werden. Der BGH hat dies für Prozesskostensicherheiten ausdrücklich anerkannt (III ZB 73/05).
Rn. 83 – Gilt § 110 ZPO auch im Schiedsverfahren?
In Schiedsverfahren selbst nicht, wohl aber in gerichtlichen Verfahren auf Vollstreckbarerklärung von Schiedssprüchen. Der BGH (Beschl. v. 12.01.2023 – I ZB 33/22) wendet §§ 110 ff. ZPO dort analog an und stellt den Antragsteller einem Kläger gleich.
Rn. 84 – Spielt der Brexit für § 110 ZPO eine Rolle?
Ja. Durch den Brexit sind Kläger mit gewöhnlichem Aufenthalt im Vereinigten Königreich grundsätzlich Drittstaaten‑Kläger. Sie können aber über das Europäische Niederlassungsabkommen (Nr. 1) und – je nach Übergangskonstellation – über Art. 67 Brexit‑Abkommen i.V.m. der Brüssel‑Ia‑VO (Nr. 2) privilegiert sein. Der BGH hat dies näher konkretisiert (BGH, Beschl. v. 27.09.2022 – VI ZR 68/21; BGH, Urt. v. 21.12.2023 – IX ZR 143/22).
11. Ausblick
Rn. 85
§ 110 ZPO bleibt ein Spannungsfeld zwischen Zugang zum Recht für ausländische Kläger und Schutz der inländischen Beklagten vor Vollstreckungsrisiken. Mit der fortschreitenden Vernetzung der Vollstreckungsregime (Brüssel‑Ia‑VO, LugÜ, Brexit‑Abkommen, künftige Abkommen) wird der Anwendungsbereich tendenziell eher enger werden – jedenfalls für „klassische“ Industriestaaten.
Rn. 86
Gleichzeitig gewinnen Drittstaatenverfahren mit unsicheren Vollstreckungsaussichten an Bedeutung (etwa in bestimmten Emerging Markets). Hier wird § 110 ZPO aus Sicht der Beklagten weiter eine wichtige Rolle spielen.
Rn. 87
Die jüngere Rechtsprechung des BGH – insbesondere I ZB 33/22 (Schiedsverfahren) und IX ZR 143/22 (Brexit) – zeigt, dass der Senat bereit ist, die Norm flexibel, aber konsequent am Schutzzweck auszurichten. Weitere Entscheidungen zu Krisenstaaten und Sanktionsregimen sind zu erwarten.
Rn. 88
Für die anwaltliche Praxis gilt: Prozesskostensicherheit ist kein „Nebenschauplatz“, sondern kann über die strategische Ausrichtung des gesamten Verfahrens entscheiden. Wer hier sauber arbeitet, erspart sich und seinen Mandanten später teure Überraschungen – etwa dann, wenn das Gericht kurz vor der mündlichen Verhandlung eine sechsstellige Sicherheitsleistung anordnet.
Rn. 89
Wenn Sie ein Verfahren mit Auslandsbezug planen – sei es als Kläger oder als Beklagter –, sollten Fragen der Prozesskostensicherheit von Anfang an mitgedacht werden. Gerne unterstütze ich Sie dabei, die Risiken einzuordnen, Befreiungstatbestände zu prüfen und die richtige prozessuale Strategie zu finden.
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Annotations
BUNDESGERICHTSHOF
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Dr. Bacher, die Richterin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin, die die Beklagte wegen Patentverletzung in Anspruch nimmt, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten hat.
- 2
- Die Klägerin ist Tochter einer US-amerikanischen Muttergesellschaft mit Sitz in Reno (Nevada) und im irischen Handelsregister als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach irischem Recht eingetragen. Im Jahr 2012 verkaufte die Muttergesellschaft das operative Geschäft der Klägerin. Im Jahr darauf erwarb sie ein etwa 1000 Schutzrechte umfassendes Patentportfolio, das sie im Februar 2014 auf die Klägerin übertrug. Diese ist seither mit der Verwaltung, Lizenzierung und - soweit erforderlich - klageweisen Durchsetzung des Patentportfolios , zu dem auch das Klagepatent gehört, in Europa und Korea betraut.
- 3
- Als satzungsmäßiger Sitz der Klägerin ist die Adresse einer Rechtsanwaltskanzlei in Dublin registriert. Als Geschäftssitz hat die Klägerin vor dem Landgericht eine hiervon abweichende Adresse in Dublin angegeben, wo sie ein Büro bei einem Office-Dienstleister angemietet hatte, der für die Mieter Lieferungen und Postsendungen annimmt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Mietvertrag über Geschäftsräume unter der im Urteilsrubrum angegebenen Adresse in Dublin abgeschlossen.
- 4
- Das vertretungsberechtigte Organ der Klägerin (board of directors) besteht aus den Geschäftsführern S. S. und P. R. . Der Geschäftsführer S. arbeitet hauptsächlich in einem in seiner Privatwohnung in Turku (Finnland) eingerichteten Büro. Er ist gleichzeitig Vizepräsident der Muttergesellschaft der Klägerin und bei dieser für den Bereich Lizenzen und Standards zuständig. Der Geschäftsführer R. , der seinen Wohnsitz in Dublin hat und seit dem 24. Juni 2014 bei der Klägerin beschäftigt ist, war für diese zunächst als unternehmensinterner Rechtsberater (legal counsel) tätig. Ende 2014 wurde er anstelle des bisherigen zweiten Geschäftsführers der Klägerin E. V. , der als in Reno ansässiges Mitglied des Vorstands der Muttergesellschaft bei der Klägerin tatsächlich keine Geschäftsführungsaufgaben wahrgenommen hatte , zum Geschäftsführer (director) der Klägerin bestellt. Seit August 2014 beschäftigt die Klägerin in Dublin außerdem eine Buchhalterin.
- 5
- Das Landgericht hat den Antrag der Beklagten, der Klägerin die Leistung einer Prozesskostensicherheit aufzugeben, mit Zwischenurteil zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
- 7
- I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
- 8
- Die Voraussetzungen für eine Verpflichtung der Klägerin, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten, seien nicht gegeben. Nachdem die gesetzliche Regelung hierfür an den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers anknüpfe, komme es dementsprechend bei einer juristischen Person wie der Klägerin auf den Sitz des Unternehmens an. Prozesskostensicherheit sei danach nur zu leisten , wenn sich der Sitz des klagenden Unternehmens nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) befinde, wobei nicht der satzungsmäßige , sondern der tatsächliche Verwaltungssitz maßgebend sei. Dieser sei an dem Ort anzunehmen, an dem zum einen die Möglichkeit für Zustellungen an den Kläger gegeben sei und zum anderen der geschäftsführende Entscheidungsträger des Klägers tätig werde. Die Existenz einer zustellungsfähigen Anschrift in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens sei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines Verwaltungssitzes in einem dieser Staaten. Auch wenn die Prozesskostensicherheit nicht davor schütze, dass der Vollstreckungszugriff mangels werthaltiger Vollstreckungsobjekte des Klägers scheitere, verknüpfe das Gesetz - in einer rein typisierenden Betrachtung - mit dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung doch die angenommene Anwesenheit von Vermögenswerten, die dem obsiegenden Beklagten bei der Realisierung seines Kostenerstattungsanspruchs als Vollstreckungsobjekt dienen könnten. Ließe man bereits eine Zustellmöglichkeit für die Annahme eines Ver- waltungssitzes ausreichen, wäre nicht einmal die theoretische Aussicht auf ein Zugriffsobjekt für eine Zwangsvollstreckung in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum gegeben und der Beklagte wäre von vorneherein auf eine Zwangsvollstreckung außerhalb Europas angewiesen. Umgekehrt könne ein Verwaltungssitz auch nicht an der Wirkungsstätte des Geschäftsführers angenommen werden, wenn dort keine Zustellmöglichkeit bestehe, so wenn der Geschäftsführer beispielsweise in seiner privaten Unterkunft ein Büro unterhalte. Fielen der Ort der Zustellmöglichkeit und der Tätigkeitsort des geschäftsführenden Entscheidungsträgers auseinander, lasse sich kein tatsächlicher Verwaltungssitz ausmachen. In diesem Fall sei der Kläger, auch wenn sich beide Orte in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum befänden, ebenso zur Leistung von Prozesskostensicherheit verpflichtet, wie wenn er seinen Verwaltungssitz in einem Drittstaat hätte. Seien mehrere Geschäftsführer vorhanden, die das operative Geschäft gemeinschaftlich oder arbeitsteilig erledigten, genüge es, wenn der Tätigkeitsort nur eines von ihnen mit dem Zustellungsort zusammenfalle. Dadurch sei dem Zweck der Prozesskostensicherheit gedient, weil zu erwarten sei, dass sich dort, wo auch nur einer von mehreren Geschäftsführern residiere und die Voraussetzungen für eine Zustellmöglichkeit gegeben seien, typischerweise Vermögenswerte befänden, die als Vollstreckungsobjekte für den Beklagten taugten. Unerheblich sei, welches Gewicht die Beiträge des am Zustellungsort residierenden Geschäftsführers im Vergleich zu denen eines oder mehrerer weiterer Mitgeschäftsführer hätten; es genüge, dass der Geschäftsführer am Zustellungsort überhaupt in das operative Geschäft des Klägers verantwortlich eingebunden sei.
- 9
- Die Klägerin habe ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Dublin, weil dort Zustellungen an die Klägerin wirksam vorgenommen werden könnten und - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - der Mitgeschäftsführer R. an diesem Ort das operative Geschäft der Klägerin verantwortlich und weisungsfrei betreibe.
- 10
- II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO für eine Verpflichtung der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit nicht vorliegen.
- 11
- 1. Nach dieser Bestimmung müssen Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten. Bei einer juristischen Person wie der Klägerin richtet sich - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - die Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit dementsprechend danach, ob sich der Sitz des Unternehmens in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens befindet.
- 12
- 2. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob es für die Verpflichtung zur Prozesskostensicherheit, wie das Berufungsgericht angenommen hat, nicht auf den satzungsmäßigen, sondern auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ankommt. Denn sowohl als satzungsmäßiger wie auch als tatsächlicher Verwaltungssitz der Klägerin kommt nur ein Ort in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in Betracht.
- 13
- a) Ob im Rahmen des § 110 Abs. 1 ZPO auf den satzungsmäßigen Sitz oder auf den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen ist, ist vom Bundesgerichtshof bisher offen gelassen worden. In den zu beurteilenden Fällen war die Frage nicht entscheidungserheblich, weil sich entweder sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch der Verwaltungssitz des Klägers in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union befanden (BGH, Urteil vom 1. Juli 2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, 208 f.) oder die als Unternehmenssitz in Betracht kommenden Orte sämtlich in Drittstaaten belegen waren (BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148, 149).
- 14
- b) Auch im Streitfall kann diese Frage offen bleiben, da die Klägerin in keinem denkbaren Fall zur Leistung von Prozesskostensicherheit verpflichtet ist. Stellt man auf den satzungsmäßigen Sitz ab, kann von der Klägerin Prozesskostensicherheit nicht verlangt werden, weil dieser in Dublin und damit in einem Unionsmitgliedstaat liegt. Sieht man den Verwaltungssitz als maßgeblich an, ist eine Pflicht der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit ebenfalls zu verneinen, da ein Verwaltungssitz außerhalb der Europäischen Union im Streitfall nicht in Betracht kommt.
- 15
- aa) Maßgebend dafür, wo eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane , also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGH, Urteil vom 21. März 1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272; Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610).
- 16
- bb) Im Streitfall liegen alle entscheidenden Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des Verwaltungssitzes im Bereich der Europäischen Union.
- 17
- (1) Die Klägerin hat die Führung ihrer Geschäfte zweiGeschäftsführern übertragen, wobei der Geschäftsführer S. seine Tätigkeit vornehmlich in Turku ausübt und der Geschäftsführer R. in Dublin tätig ist. Die Geschäftsführertätigkeit für die Klägerin wird danach ausschließlich in Irland und Finnland und damit in Mitgliedstaaten der Europäischen Union wahrgenommen, so dass unabhängig davon, wie das Verhältnis und die Beiträge der Geschäftsführer S.
- 18
- (2) Zustellungen an die Klägerin können zumindest in ihren Büroräumen in Dublin und damit ebenfalls in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union vorgenommen werden.
- 19
- cc) Unter diesen Umständen ist es weder - wie die Revision meint - erforderlich , zunächst den Schwerpunkt der Geschäftsführertätigkeit festzustellen und danach den effektiven Verwaltungssitz der Klägerin zu bestimmen, noch kommt es - wie das Berufungsgericht angenommen hat - darauf an, ob die Zustellungsmöglichkeit gerade an dem Ort besteht, an dem ein geschäftsführender Entscheidungsträger der Klägerin seine Tätigkeit ausübt. Dementsprechend spielt auch weder eine Rolle, wie die Beiträge der beiden Geschäftsführer der Klägerin im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, noch, ob am Tätigkeitsort des Geschäftsführers S. in Turku die Möglichkeit besteht, der Klägerin Schriftstücke zuzustellen.
- 20
- (1) Sinn und Zweck der Prozesskostensicherheit ist es, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der Europäischen Union oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) bzw. der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel -I-VO) und des Luganer Übereinkommens auftreten (vgl. BT-Drucks.
- 21
- (2) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfordert der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO keine andere Beurteilung. Zwar ist dort vom gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rede. Angesichts des Zwecks des § 110 Abs. 1 ZPO, den Beklagten vor den Schwierigkeiten einer Vollstreckung in einem Drittstaat zu bewahren, ist dies jedoch nicht dahin zu verstehen, dass alle relevanten Anknüpfungspunkte in einem einzigen Mitgliedstaat gegeben sein müssten. Entscheidend ist vielmehr, dass sich Unternehmenssitz und Zustellmöglichkeit auf dem Gebiet der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums befinden und kein Ort in einem Drittstaat als möglicher Unternehmenssitz in Betracht kommt.
- 22
- III. Als in den Rechtsmittelinstanzen unterlegene Partei hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht davon abgesehen hat, die Kosten des Berufungsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 2 ZPO der Klägerin aufzuerlegen.
- 23
- 1. Nach § 97 Abs. 2 ZPO hat die obsiegende Partei die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen, wenn sie aufgrund eines neuen Vorbringens obsiegt hat, das sie schon in der ersten Instanz hätte geltend machen können. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift kommt - wie auch die Revision nicht in Frage stellt - nicht in Betracht, da die Veränderung in der Geschäftsleitung der Klägerin, die dieser nach der Begründung des Berufungsurteils zum Erfolg verholfen hat, erst im Berufungsverfahren eingetreten ist und daher im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorgetragen werden konnte.
- 24
- 2. Aber auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet entgegen der Auffassung der Revision aus.
- 25
- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bringt § 97 Abs. 2 ZPO einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck und ist daher entsprechend anwendbar, wenn eine Partei erst in der Rechtsmittelinstanz infolge eines in der Rechtsmittelinstanz eingetretenen Umstands obsiegt, der nicht dem Bereich der Gegenpartei, sondern ihrem Bereich zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1959 - IV ZR 103/59, BGHZ 31, 342, 350).
- 26
- b) Für einen Umstand in diesem Sinne genügt jedoch nicht jedes tatsächliche Geschehen, das sich im Einflussbereich einer Partei ereignet. § 97 Abs. 2 ZPO liegt vielmehr der Gedanke zugrunde, dass derjenige mit den Kosten des Rechtsmittelverfahrens belastet werden soll, der ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel unter Verstoß gegen seine Prozessförderungspflicht verspätet geltend macht und damit den Prozess nachlässig führt (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2005 - VIII ZR 174/04, NJW-RR 2005, 866, 867). In dem Fall, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1959 (BGHZ 31, 342) zugrunde lag, konnte der Umstand, der zum Obsiegen des Klägers in der Rechtsmittelinstanz führte (Beitritt des Staatsanwalts als Streitgenosse), nur eintreten, weil der Kläger zuvor die Frist zur Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes seiner Frau versäumt hatte und nach der damaligen Rechtslage dadurch erst die Voraussetzung dafür entstanden war, dass der Staatsanwalt dem Verfahren beitreten und seinerseits das Anfechtungsrecht ausüben konnte.
- 27
- c) Im Streitfall kann der Klägerin nicht vorgehalten werden, den Prozess nachlässig geführt zu haben. Aus der Prozessförderungspflicht einer Partei lassen sich keine Anforderungen an die personelle Besetzung ihres Vertretungsorgans ableiten. Im Übrigen wäre es der Beklagten unbenommen gewesen, nach dem Wechsel in der Geschäftsführung der Klägerin den Zwischenstreit über die Prozesskostensicherheit für erledigt zu erklären. Meier-Beck Bacher Schuster Deichfuß Kober-Dehm
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.07.2014 - 4b O 54/14 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.02.2015 - I-2 U 56/14 -
BUNDESGERICHTSHOF
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, den Richter Felsch, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, den Richter Lehmann und die Richterin Dr. Bußmann
am 23. August 2017
beschlossen:
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerin ist eine auf den S. ansässige Ltd., die gegen die Beklagte als Mitversicherer einen Anspruch aus einer Yachtkaskoversicherung verfolgt. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
- 2
- Durch Zwischenurteil vom 6. November 2014 hat das Landgericht der Klägerin eine Prozesskostensicherheit aufgegeben, die nur die Kosten der ersten beiden Instanzen abdeckte. Im vorliegenden Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde begehrt die Beklagte nunmehr die Anord- nung einer ergänzenden Prozesskostensicherheit für die Kosten der dritten Instanz.
- 3
- Die Klägerin tritt diesem Antrag mit der Behauptung entgegen, dass sie jedenfalls seit 2014 einen Verwaltungssitz am Wohnsitz ihres gesetzlichen Vertreters in Österreich unterhalte. Dagegen unterhalte sie auf den S. keine Geschäftsräume.
- 4
- II. Die Einrede der mangelnden Prozesskostensicherheit ist unbegründet. Zwar kommt die Anordnung einer weiteren Prozesskostensicherheit nach § 112 Abs. 3 ZPO in Betracht, wenn die geleistete Sicherheit nicht ausreicht. Die Klägerin ist aber bereits dem Grunde nach nicht zur Sicherheitsleistung gemäß § 110 ZPO verpflichtet.
- 5
- 1. Insoweit hat der Senat selbständig zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO (noch) gegeben sind. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten keine Bindungswirkung des Zwischenurteils des Landgerichts entgegen, weil darin über eine Prozesskostensicherheit , die auch die dritte Instanz abdeckt, nicht entschieden worden ist (vgl. auch BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148, wo die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO in einem gleichgelagerten Fall ebenfalls selbständig geprüft worden sind).
- 6
- 2. Von einer Gesellschaft, die einen Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum unterhält, kann Prozesskostensicherheit gemäß §§ 110 ff. ZPO nicht verlangt werden.
- 7
- a) Als Ort des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne von § 110 ZPO ist bei Kapitalgesellschaften deren Sitz anzusehen (BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148 unter 2a, juris Rn. 9). Umstritten und in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher nicht abschließend geklärt ist allerdings, ob insoweit auf den Gründungssitz oder den Verwaltungssitz abzustellen ist. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage zuletzt in zwei Entscheidungen ausdrücklich offen gelassen (BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03 aaO; Urteil vom 21. Juni 2016 - X ZR 41/15 ZIP 2016, 1703 Rn. 12 ff.).
- 8
- aa) In einem früheren Urteil hatte der Bundesgerichtshof allerdings bereits ausgeführt, dass die Anwendbarkeit des § 110 ZPO jedenfalls bei einem Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union ausscheide (Urteil vom 1. Juli 2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 unter III, juris Rn. 12). Auch die herrschende Auffassung in der Rechtsprechung der Instanzgerichte (OLG Düsseldorf, Urteil vom 25. Februar 2015 - 2 U 57/14, juris Rn. 20; OLG München IPrax 2011, 267; OLG Karlsruhe NJW-RR 2008, 944; LG Berlin ZIP 2010, 903 f. juris Rn. 19) und in der Literatur (Stein/Jonas/Muthorst, ZPO 23. Aufl. § 110 Rn. 9; Baumbach/ Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 75. Aufl. § 110 Rn. 4; Zöller/Herget, ZPO 31. Aufl. § 110 Rn. 2; Musielak/Voit/Foerste, ZPO 14. Aufl. § 110 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Schulz, 5. Aufl. § 110 Rn. 13; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht 7. Aufl. Rn. 2004 d; Schütze, IPrax 2014, 272, 273 m.w.N. in Fn. 9; ders. IPrax 2011, 245, 246) stellt generell auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ab.
- 9
- bb) Anderer Auffassung ist - außer dem Landgericht im hiesigen Rechtsstreit - das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht. Nach dessen Ansicht soll es auf den Gründungssitz ankommen, weil die Ge- sellschaft ohne größeren Aufwand ihren Verwaltungssitz verlegen und sich hierdurch dem Vollstreckungszugriff im Falle des Unterliegens entziehen könnte (OLG Schleswig IPrax 2014,289, juris Rn. 16).
- 10
- b) Zutreffend ist jedenfalls für die Fälle, in denen die Gesellschaft einen Verwaltungssitz in der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat, die erstgenannte Auffassung.
- 11
- Für die Anknüpfung an den Verwaltungssitz spricht bereits die Parallele zwischen dem Verwaltungssitz und dem "gewöhnlichen Aufenthalt" , auf den der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO für natürliche Personen abstellt. Darüber hinaus besteht der Sinn und Zweck der Vorschrift darin, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der Europäischen Union oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 und des Luganer Übereinkommens auftreten (BGH, Urteil vom 21. Juni 2016 - X ZR 41/15, ZIP 2016, 1703 Rn. 20; BT-Drucks. 13/10871 S. 17). Für die Durchsetzbarkeit des Kostenerstattungsanspruchs kommt es aber eher auf den Verwaltungssitz als auf den Gründungs- oder satzungsmäßigen Sitz einer Gesellschaft an, weil sich das Betriebsvermögen der Gesellschaft regelmäßig an ihrem Verwaltungssitz befindet, wo die Geschäfte geführt werden; der statutarische Sitz kann eine "leere Hülle" sein. Darauf, dass im Einzelfall auch eine Vollstreckung am Verwaltungssitz gefährdet sein kann, kommt es nicht an, weil dieses Risiko nicht höher als bei inländischen Klägern ist (zutreffend Schütze, IPRax 2014, 272, 273).
- 12
- Europarechtliche Gründe stehen einer Anknüpfung an den Verwaltungssitz jedenfalls bei Gesellschaften mit Verwaltungssitz innerhalb der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum nicht entgegen, weil diese Anknüpfung gerade dazu führt, dass diese Gesellschaften keine Prozesskostensicherheit zu leisten haben und damit nicht anders als inländische Gesellschaften behandelt werden.
- 13
- Ob an den Verwaltungssitz auch dann anzuknüpfen wäre, wenn eine innerhalb der Europäischen Union gegründete Gesellschaft ihren Verwaltungssitz in ein Land verlegt, das weder der Europäischen Union noch einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum angehört, braucht im Streitfall nicht entschieden zu werden.
- 14
- 3. Für den Streitfall ist zugrunde zu legen, dass die Klägerin ihren Verwaltungssitz in Österreich hat.
- 15
- a) Maßgebend dafür, wo eine juristische Person ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane, also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGH, Urteile vom 21. Juni 2016 - X ZR 41/15, ZIP 2016, 1703 Rn. 15; vom 15. März 2010 - II ZR 27/09, ZIP 2010, 1003 Rn. 16; vom 21. März 1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 un- ter II, juris Rn. 9; Beschlüsse vom 10. November 2009 - VI ZB 25/09, VersR 2010, 275 Rn. 8; vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07, ZIP 2009, 987 Rn. 11; vom 21. Januar 2009 - Xa ARZ 273/08, juris Rn. 18). Hat die Gesellschaft nur einen organschaftlichen Vertreter und unterhält sie an keinem anderen Ort Geschäftsräume, in denen dieser tätig ist, ist danach für ihren Verwaltungssitz der Aufenthaltsort ihres einzigen organschaftlichen Vertreters maßgebend.
- 16
- b) So liegt es nach dem Vorbringen der Klägerin hier. Diese hat schlüssig dargelegt, dass sich ihr Verwaltungssitz in Österreich und damit innerhalb der Europäischen Union befindet, indem sie vorgetragen hat, dass ihr einziger organschaftlicher Vertreter ("sole director") in Österreich wohnt sowie dass sie auf den S. keine Geschäftsräume unterhält, weil alleiniger Gesellschaftszweck Erwerb und Halten der streitgegenständlichen Yacht sei und sie über keinen anderweitigen Geschäftsbetrieb verfüge.
- 17
- Für ihre gegenteilige Behauptung, dass sich der Verwaltungssitz der Klägerin nicht in der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum befindet, ist die Beklagte beweispflichtig (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2005 - III ZB 73/05, NJW-RR 2006, 710, juris Rn. 13; Stein/Jonas/Muthorst , 23. Aufl. § 110 Rn. 46; Zöller/Herget, 31. Aufl. § 110 Rn. 7), weil dies eine Voraussetzung der für sie günstigen Bestimmung des § 110 Abs. 1 ZPO ist. Insoweit fehlt es jedoch an einem ausreichend substantiierten Vorbringen unter Beweisantritt.
Mayen Felsch Harsdorf-Gebhardt
Lehmann Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 05.08.2016- 14 HKO 25260/13 -
OLG München, Entscheidung vom 13.02.2017- 7 U 3659/16 -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 110.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger - nach der übereinstimmenden Angabe in seiner Klage und in seiner Rechtsbeschwerdeschrift mit Aufenthalt in Beirut/Libanon - nimmt das beklagte Land auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen eines behaupteten Fehlverhaltens von Betriebsprüfern des Finanzamts in Anspruch. Auf Verlangen des beklagten Landes ist dem Kläger durch Zwischenurteil des Landgerichts vom 2. Oktober 2003 die Stellung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 Abs. 1 ZPO in Höhe von 110.000 € aufgegeben worden. Eine entsprechende Sicherheit hat der Kläger in Form einer Prozessbürgschaft der Sparkasse D. gestellt. In dem Verfahren vor dem Landgericht hatte der Kläger zuvor geltend gemacht, sein Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt befinde sich in M. /Spanien. Dort habe er sich von 1997 bis 2000 weit überwiegend aufgehalten. Lediglich ein gegen ihn verhängter internationaler Haftbefehl hindere ihn derzeit, dorthin zurückzukehren. Demgegenüber ist das Landgericht bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, der Lebensmittelpunkt sei zwar nicht schon durch das Bestehen des Haftbefehls als solchen, dessen Aufhebung oder Außervollzugsetzung nicht absehbar sei, wohl aber durch dessen mit den Jahren fortwirkende Verdrängungswirkung zunehmend von M. und damit weg aus dem Gebiet der Europäischen Union verlagert worden.
- 2
- Nach Aufhebung des Haftbefehls durch Beschluss vom 1. März 2004 hat der Kläger unter Beweisantritt vorgetragen, er habe zumindest jetzt einen gewöhnlichen Aufenthalt in M. begründet, und nach § 109 Abs. 1 ZPO beantragt , eine Frist zu bestimmen, binnen der das beklagte Land die Prozesskostensicherheit zurückzugeben habe. Das Landgericht (Rechtspflegerin) hat diesen Antrag zurückgewiesen. Zwar könne der Kläger nach § 109 Abs. 1 ZPO die Aufhebung der Sicherheit verlangen, wenn deren Veranlassung nachträglich wegfalle. Hier bestehe aber die Gefahr einer fruchtlosen Zwangsvollstreckung nach Abschluss des Verfahrens fort. Der bloße nachträgliche Aufenthalt des Klägers in einem der in § 110 Abs. 1 ZPO erwähnten Staaten begründe den Wegfall der Veranlassung der Prozesskostensicherheit nicht. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
- 3
- Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
- 4
- 1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Rechtspflegerin habe über den Antrag nach § 109 Abs. 1 ZPO nicht in der Sache entscheiden dürfen. Denn die Anordnung der Prozesskostensicherheit durch Zwischenurteil des Landgerichts könne nicht im Wege des Verfahrens nach § 109 ZPO rückgängig gemacht werden. Das Zwischenurteil selbst sei nicht selbständig anfechtbar. Würden selbständige Rechtsmittel hiergegen zugelassen, könnte das zu einer unter prozessökonomischen Gesichtspunkten nicht hinnehmbaren beträchtlichen Erschwerung und Verlängerung des Verfahrens führen. Deswegen sei es auch nicht zulässig, die Abänderung der Anordnung einer Prozesskostensicherheit im Verfahren der für (sonstige) prozessuale Sicherheitsleistungen geltenden Bestimmung des § 109 ZPO vorzunehmen. Hierdurch würde das Verfahren zur Hauptsache noch stärker beeinträchtigt, wenn man bedenke, dass der Gesetzgeber Entscheidungen nach § 109 ZPO gemäß § 20 Nr. 3 RPflG dem Rechtspfleger übertragen habe, der der vom Prozessgericht bejahten Hürde für die Zulässigkeit der Klage während des laufenden Hauptverfahrens - wenn auch aufgrund neuer Tatsachen - "den Boden entziehen" könne. Anschließend komme wieder ein Antrag der Beklagtenseite nach § 110 ZPO in Betracht. Die darin liegende Gefahr wiederholter divergierender Entscheidungen von Prozessgericht und Rechtspfleger über eine für die Zulässigkeit der Klage wesentliche Voraussetzung erscheine nicht hinnehmbar. Das gelte jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - über die Frage, ob die Veranlassung für ei- ne Sicherheitsleistung weggefallen sei, nicht ohne weiteres anhand unstreitiger oder offenkundiger Tatsachen entschieden werden könne.
- 5
- 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 6
- a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass das Zwischenurteil des Landgerichts, mit dem dem Kläger eine Sicherheitsleistung aufgegeben wurde, nicht selbständig anfechtbar ist, weil es nicht - wie es für seine Anfechtbarkeit nach § 280 ZPO erforderlich wäre - über die Zulässigkeit der Klage befindet, sondern die Entscheidung hierüber noch offen lässt und gemäß § 113 Satz 2 ZPO einem nachfolgenden Verfahrensabschnitt vorbehält (vgl. BGHZ 102, 232, 234 ff). Da es in der ersten Instanz noch zu keiner Sachentscheidung gekommen ist, kann der Kläger daher zur Zeit die Anordnung der von ihm gestellten Sicherheitsleistung im Rechtsmittelweg nicht überprüfen lassen (vgl. BGHZ aaO S. 236).
- 7
- b) Hieraus folgt indessen nicht, dass der Kläger einen - wie hier mangels Feststellungen für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen ist - möglichen Wegfall der Voraussetzungen, unter denen das beklagte Land eine Sicherstellung wegen der Prozesskosten verlangen kann, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hinnehmen müsste. Wie § 111 ZPO zu entnehmen ist, kann die Berechtigung, eine Sicherheitsleistung zu verlangen, zu einem späteren Zeitpunkt eintreten, sei es, dass erstmals die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums vorliegen, sei es, dass Befreiungen nach § 110 Abs. 2 ZPO in Wegfall geraten. Es kann sich auch nach § 112 Abs. 3 ZPO die Situation ergeben, dass eine einmal geleistete Sicherheit nicht ausreicht und der Kläger auf Verlangen eine weitere Sicherheit zu leisten hat (vgl. Senatsurteil vom 21. Dezember 2005 - III ZR 451/04 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Für die jeweils umgekehrte Situation kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Für ein selbständiges Klageverfahren auf Rückgabe der Sicherheit, die das Verfahren zur Hauptsache unberührt lässt (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93 - NJW 1994, 1351), ist dies ohne weiteres anzunehmen. Seine prozessuale Durchführung steht nur unter dem Vorbehalt, dass der Kläger grundsätzlich gehalten ist, das einfachere Verfahren nach § 109 ZPO zur Rückerlangung der Sicherheit zu wählen (vgl. Wieczorek /Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 109 Rn. 7; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 2; MünchKommZPO-Belz, 2. Aufl. 2000, § 109 Rn. 4; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 109 Rn. 4; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 109 Rn. 1).
- 8
- c) Nach Auffassung des Senats ist auch das Verfahren nach § 109 ZPO zulässig, um dem Anliegen des Klägers zu entsprechen.
- 9
- Soweit aa) das Beschwerdegericht seine Entscheidung darauf stützt, § 109 ZPO betreffe nur Verfahren für sonstige prozessuale Sicherheitsleistungen , kann ihm nicht gefolgt werden. Im Grundsatz hat die nach § 110 ZPO verlangte Sicherheitsleistung bezogen auf die Prozesskosten dieselbe Aufgabe wie eine sonstige prozessuale Sicherheitsleistung. Es ist daher einhellige Meinung, dass das Verfahren nach § 109 ZPO auch in Fällen des § 110 ZPO anwendbar ist, etwa wenn der Kläger nach rechtskräftiger Verurteilung des Beklagten in die Prozesskosten geltend macht, die Veranlassung für die Sicherheitsleistung sei weggefallen (vgl. OLG Stuttgart MDR 1985, 1033; Zöller/Herget, § 109 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005, § 109 Rn. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27.Aufl. 2005, §109 Rn.1a; Musielak/Foerste, § 109 Rn. 7; MünchKommZPO-Belz, § 110 Rn. 6).
- 10
- bb) Für die Anwendung des § 109 ZPO ist es entscheidend, ob die Veranlassung für eine Sicherheitsleistung weggefallen ist. Dies ist nach dem jeweiligen Zweck der Sicherheitsleistung zu bestimmen, mit der ein Schwebezustand überbrückt werden soll. Nimmt man allein in den Blick, dass der Zweck der Sicherheitsleistung nach § 110 ZPO darin besteht, einen möglichen Kostenerstattungsanspruch der beklagten Partei zu sichern, besteht der Schwebezustand fort, weil in der Hauptsache noch keine Entscheidung ergangen ist. Das Begehren des Klägers, den Schwebezustand gleichwohl zu beenden, beruht aber auf der Überlegung, infolge einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse fehle es an einer rechtlichen Grundlage, für einen möglichen Kostenerstattungsanspruch überhaupt eine Sicherstellung verlangen zu dürfen. Auch dann bestehe für eine Sicherheitsleistung keine Veranlassung mehr.
- 11
- Der Senat sieht keinen Anlass, eine solche Fallkonstellation aus dem Anwendungsbereich des § 109 ZPO auszunehmen. Das Verfahren nach § 109 ZPO soll die Rückgabe der Sicherheit erleichtern und beschleunigen (vgl. RGZ 156, 164, 167; Wieczorek/Schütze/Steiner, § 109 Rn. 4; Thomas/Putzo/ Hüßtege, § 109 Rn. 1; Musielak/Foerste, § 109 Rn. 1; MünchKommZPO-Belz, § 109 Rn. 3; Stein/Jonas/Bork, § 109 Rn. 4). Der Bundesgerichtshof hat daher auch keine Bedenken gesehen, dieses Verfahren auf die Rückgabe einer einzelnen Sicherheitsleistung anzuwenden, wenn an deren Stelle aufgrund eines abändernden Beschlusses nach § 108 ZPO eine andere Sicherheit getreten ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93 - NJW 1994, 1351 f). Darüber hinaus hat die obergerichtliche Rechtsprechung das erleichterte Verfahren nach § 109 ZPO auch in Fällen für anwendbar gehalten, in denen die Pflicht, eine Sicherheit zu leisten, infolge eines Abkommens (vgl. OLG Karlsruhe JW 1928, 1238) oder wegen einer bekannt gewordenen Befreiung von der Kostensicher- heit (vgl. OLG Hamburg WM 1991, 925) nachträglich weggefallen ist. Dieser Auffassung ist das Schrifttum weitgehend gefolgt (vgl. Hk-ZPO/Wöstmann, 2006, § 110 Rn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 110 Rn. 4; Stein/Jonas/ Bork, § 111 Rn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 109 Rn. 9 - Wegfall der Sicherungspflicht -; Musielak/Foerste, § 109 Rn. 7 - Entstehung eines Befreiungsgrundes -; für eine entsprechende Anwendung von § 111 ZPO MünchKommZPO-Belz, § 111 Rn. 14; Wieczorek/Schütze, § 111 Rn. 10). Auch der Senat hielte es für nicht angemessen, Fälle dieser Art grundsätzlich auf den Klageweg zu verweisen, zumal dann auch für dieses Verfahren ein belastender und verzögernder Streit über die Prozesskostenvorschusspflicht vorprogrammiert wäre. Andererseits wäre der im Schrifttum vereinzelt vorgeschlagene Weg einer entsprechenden Anwendung von § 111 ZPO nicht ohne Rechtsfortbildung gangbar, für die angesichts des zur Verfügung stehenden Verfahrens nach § 109 ZPO kein Bedürfnis besteht.
- 12
- cc) Dass das Verfahren nach § 109 ZPO nach § 20 Nr. 3 RPflG dem Rechtspfleger zugewiesen ist, spricht nicht entscheidend gegen seine Anwendung auf die hier vorliegende Fallkonstellation. Der Beschwerdeerwiderung ist zwar darin zuzustimmen, dass sich der Wegfall der Veranlassung für eine Sicherheitsleistung im Allgemeinen ohne einen besonderen Aufwand feststellen lässt, weil er - etwa bei nachträglichem Eintritt von Befreiungsvoraussetzungen nach § 110 Abs. 2 ZPO - mehr oder weniger offenkundig ist. Dem Rechtspfleger , der nach § 4 Abs. 1 RPflG in den Grenzen des Absatzes 2 alle Maßnahmen trifft, die zur Erledigung des ihm übertragenen Geschäfts erforderlich sind, ist die Erhebung von Beweisen aber nicht verschlossen (vgl. Arnold/MeyerStolte /Herrmann, RPflG, 6. Aufl. 2002, § 4 Rn. 11; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 10. Aufl. 2004, § 4 RPflG Rn. 3), wobei auch insoweit kein Anwaltszwang besteht (§ 13 RPflG). Dass das nach Maßgabe des § 109 Abs. 4 ZPO zuständige Beschwerdegericht die erforderlichen Beweise erheben kann, steht außer Frage.
- 13
- dd) Schließlich steht die vom Beschwerdegericht gesehene Gefahr divergierender Entscheidungen des Rechtspflegers und des Prozessgerichts mit den hiermit verbundenen Auswirkungen auf das Verfahren zur Hauptsache dem Verfahren nach § 109 ZPO nicht entgegen. Grundsätzlich gilt, dass das Verfahren zur Hauptsache nach Stellung der Sicherheit durch den Kläger durchzuführen ist. Die Prüfung des Antrags nach § 109 Abs. 1 ZPO berührt das Verfahren zur Hauptsache nicht. Bei richtiger Behandlung eines solchen Antrags, insbesondere durch Bildung eines Sonderhefts für die hiervon betroffenen Vorgänge , ist der Fortgang des Verfahrens zur Hauptsache ungestört. Die Befürchtung , es könne nach einem erfolgreichen Verfahren nach § 109 ZPO zu einem erneuten Streit über die Prozesskostenvorschusspflicht nach § 110 ZPO kommen - gegebenenfalls, wie das Beschwerdegericht andeutet, durch wiederholte divergierende Entscheidungen -, ist eher theoretischer Natur. Im anhängigen Verfahren nach § 109 ZPO geht es nicht um eine Überprüfung des landgerichtlichen Zwischenurteils, sondern um die Frage, ob der Kläger nach Aufhebung des Haftbefehls einen gewöhnlichen Aufenthalt in M. begründet hat. Hierfür trägt der Kläger die Beweislast (vgl. MünchKommZPO-Belz, § 109 Rn. 11; Stein/Jonas/Bork, § 109 Rn. 12). Sollte sich dies herausstellen, ist nicht ersichtlich , weshalb ohne eine Änderung der maßgebenden Verhältnisse dem beklagten Land, das für das erneute Verlangen nach § 110 Abs. 1 ZPO beweispflichtig wäre (vgl. Musielak/Foerste, § 110 Rn. 9; Zöller/Herget, § 110 Rn. 7), erneut ein Anspruch auf Stellung einer Prozesskostensicherheit zustehen sollte, noch weniger , weshalb es unter solchen Umständen sogleich wieder einen entsprechenden Antrag stellen würde. Für ein Zurückbehaltungsrecht des beklagten Landes, wie die Beschwerdeerwiderung dies geltend macht, ist daher kein Raum. Soweit hinter der Entscheidung des Beschwerdegerichts die Vorstellung stehen sollte, das von einem Rechtspfleger geführte Verfahren dürfe nicht zu einer vom Prozessgericht abweichenden Entscheidung führen, werden die Selbständigkeit dieses Verfahrens und die mit ihm verbundenen Verfahrensgarantien nicht hinreichend berücksichtigt.
- 14
- 3. Im weiteren Verfahren muss daher geprüft werden, ob der Kläger jetzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat.
Dörr Galke
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 22.07.2004 - 2 O 4/04 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 03.05.2005 - 12 W 125/04 -
BUNDESGERICHTSHOF
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, den Richter Dr. Bacher, die Richterin Schuster, den Richter Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin, die die Beklagte wegen Patentverletzung in Anspruch nimmt, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten hat.
- 2
- Die Klägerin ist Tochter einer US-amerikanischen Muttergesellschaft mit Sitz in Reno (Nevada) und im irischen Handelsregister als Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach irischem Recht eingetragen. Im Jahr 2012 verkaufte die Muttergesellschaft das operative Geschäft der Klägerin. Im Jahr darauf erwarb sie ein etwa 1000 Schutzrechte umfassendes Patentportfolio, das sie im Februar 2014 auf die Klägerin übertrug. Diese ist seither mit der Verwaltung, Lizenzierung und - soweit erforderlich - klageweisen Durchsetzung des Patentportfolios , zu dem auch das Klagepatent gehört, in Europa und Korea betraut.
- 3
- Als satzungsmäßiger Sitz der Klägerin ist die Adresse einer Rechtsanwaltskanzlei in Dublin registriert. Als Geschäftssitz hat die Klägerin vor dem Landgericht eine hiervon abweichende Adresse in Dublin angegeben, wo sie ein Büro bei einem Office-Dienstleister angemietet hatte, der für die Mieter Lieferungen und Postsendungen annimmt. Im Laufe des Berufungsverfahrens hat die Klägerin einen Mietvertrag über Geschäftsräume unter der im Urteilsrubrum angegebenen Adresse in Dublin abgeschlossen.
- 4
- Das vertretungsberechtigte Organ der Klägerin (board of directors) besteht aus den Geschäftsführern S. S. und P. R. . Der Geschäftsführer S. arbeitet hauptsächlich in einem in seiner Privatwohnung in Turku (Finnland) eingerichteten Büro. Er ist gleichzeitig Vizepräsident der Muttergesellschaft der Klägerin und bei dieser für den Bereich Lizenzen und Standards zuständig. Der Geschäftsführer R. , der seinen Wohnsitz in Dublin hat und seit dem 24. Juni 2014 bei der Klägerin beschäftigt ist, war für diese zunächst als unternehmensinterner Rechtsberater (legal counsel) tätig. Ende 2014 wurde er anstelle des bisherigen zweiten Geschäftsführers der Klägerin E. V. , der als in Reno ansässiges Mitglied des Vorstands der Muttergesellschaft bei der Klägerin tatsächlich keine Geschäftsführungsaufgaben wahrgenommen hatte , zum Geschäftsführer (director) der Klägerin bestellt. Seit August 2014 beschäftigt die Klägerin in Dublin außerdem eine Buchhalterin.
- 5
- Das Landgericht hat den Antrag der Beklagten, der Klägerin die Leistung einer Prozesskostensicherheit aufzugeben, mit Zwischenurteil zurückgewiesen. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
- 7
- I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
- 8
- Die Voraussetzungen für eine Verpflichtung der Klägerin, Sicherheit wegen der Prozesskosten zu leisten, seien nicht gegeben. Nachdem die gesetzliche Regelung hierfür an den gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers anknüpfe, komme es dementsprechend bei einer juristischen Person wie der Klägerin auf den Sitz des Unternehmens an. Prozesskostensicherheit sei danach nur zu leisten , wenn sich der Sitz des klagenden Unternehmens nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) befinde, wobei nicht der satzungsmäßige , sondern der tatsächliche Verwaltungssitz maßgebend sei. Dieser sei an dem Ort anzunehmen, an dem zum einen die Möglichkeit für Zustellungen an den Kläger gegeben sei und zum anderen der geschäftsführende Entscheidungsträger des Klägers tätig werde. Die Existenz einer zustellungsfähigen Anschrift in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens sei eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines Verwaltungssitzes in einem dieser Staaten. Auch wenn die Prozesskostensicherheit nicht davor schütze, dass der Vollstreckungszugriff mangels werthaltiger Vollstreckungsobjekte des Klägers scheitere, verknüpfe das Gesetz - in einer rein typisierenden Betrachtung - mit dem tatsächlichen Sitz der Hauptverwaltung doch die angenommene Anwesenheit von Vermögenswerten, die dem obsiegenden Beklagten bei der Realisierung seines Kostenerstattungsanspruchs als Vollstreckungsobjekt dienen könnten. Ließe man bereits eine Zustellmöglichkeit für die Annahme eines Ver- waltungssitzes ausreichen, wäre nicht einmal die theoretische Aussicht auf ein Zugriffsobjekt für eine Zwangsvollstreckung in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum gegeben und der Beklagte wäre von vorneherein auf eine Zwangsvollstreckung außerhalb Europas angewiesen. Umgekehrt könne ein Verwaltungssitz auch nicht an der Wirkungsstätte des Geschäftsführers angenommen werden, wenn dort keine Zustellmöglichkeit bestehe, so wenn der Geschäftsführer beispielsweise in seiner privaten Unterkunft ein Büro unterhalte. Fielen der Ort der Zustellmöglichkeit und der Tätigkeitsort des geschäftsführenden Entscheidungsträgers auseinander, lasse sich kein tatsächlicher Verwaltungssitz ausmachen. In diesem Fall sei der Kläger, auch wenn sich beide Orte in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum befänden, ebenso zur Leistung von Prozesskostensicherheit verpflichtet, wie wenn er seinen Verwaltungssitz in einem Drittstaat hätte. Seien mehrere Geschäftsführer vorhanden, die das operative Geschäft gemeinschaftlich oder arbeitsteilig erledigten, genüge es, wenn der Tätigkeitsort nur eines von ihnen mit dem Zustellungsort zusammenfalle. Dadurch sei dem Zweck der Prozesskostensicherheit gedient, weil zu erwarten sei, dass sich dort, wo auch nur einer von mehreren Geschäftsführern residiere und die Voraussetzungen für eine Zustellmöglichkeit gegeben seien, typischerweise Vermögenswerte befänden, die als Vollstreckungsobjekte für den Beklagten taugten. Unerheblich sei, welches Gewicht die Beiträge des am Zustellungsort residierenden Geschäftsführers im Vergleich zu denen eines oder mehrerer weiterer Mitgeschäftsführer hätten; es genüge, dass der Geschäftsführer am Zustellungsort überhaupt in das operative Geschäft des Klägers verantwortlich eingebunden sei.
- 9
- Die Klägerin habe ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Dublin, weil dort Zustellungen an die Klägerin wirksam vorgenommen werden könnten und - nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - der Mitgeschäftsführer R. an diesem Ort das operative Geschäft der Klägerin verantwortlich und weisungsfrei betreibe.
- 10
- II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 ZPO für eine Verpflichtung der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit nicht vorliegen.
- 11
- 1. Nach dieser Bestimmung müssen Kläger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum haben, auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit leisten. Bei einer juristischen Person wie der Klägerin richtet sich - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - die Verpflichtung zur Leistung von Prozesskostensicherheit dementsprechend danach, ob sich der Sitz des Unternehmens in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens befindet.
- 12
- 2. Es bedarf im Streitfall keiner Entscheidung, ob es für die Verpflichtung zur Prozesskostensicherheit, wie das Berufungsgericht angenommen hat, nicht auf den satzungsmäßigen, sondern auf den tatsächlichen Verwaltungssitz ankommt. Denn sowohl als satzungsmäßiger wie auch als tatsächlicher Verwaltungssitz der Klägerin kommt nur ein Ort in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in Betracht.
- 13
- a) Ob im Rahmen des § 110 Abs. 1 ZPO auf den satzungsmäßigen Sitz oder auf den tatsächlichen Verwaltungssitz abzustellen ist, ist vom Bundesgerichtshof bisher offen gelassen worden. In den zu beurteilenden Fällen war die Frage nicht entscheidungserheblich, weil sich entweder sowohl der satzungsmäßige Sitz als auch der Verwaltungssitz des Klägers in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union befanden (BGH, Urteil vom 1. Juli 2002 - II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, 208 f.) oder die als Unternehmenssitz in Betracht kommenden Orte sämtlich in Drittstaaten belegen waren (BGH, Zwischenurteil vom 30. Juni 2004 - VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 148, 149).
- 14
- b) Auch im Streitfall kann diese Frage offen bleiben, da die Klägerin in keinem denkbaren Fall zur Leistung von Prozesskostensicherheit verpflichtet ist. Stellt man auf den satzungsmäßigen Sitz ab, kann von der Klägerin Prozesskostensicherheit nicht verlangt werden, weil dieser in Dublin und damit in einem Unionsmitgliedstaat liegt. Sieht man den Verwaltungssitz als maßgeblich an, ist eine Pflicht der Klägerin zur Leistung von Prozesskostensicherheit ebenfalls zu verneinen, da ein Verwaltungssitz außerhalb der Europäischen Union im Streitfall nicht in Betracht kommt.
- 15
- aa) Maßgebend dafür, wo eine Gesellschaft ihren Verwaltungssitz hat, ist der Tätigkeitsort der Geschäftsführung und der dazu berufenen Vertretungsorgane , also der Ort, wo die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden (BGH, Urteil vom 21. März 1986 - V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272; Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610).
- 16
- bb) Im Streitfall liegen alle entscheidenden Anknüpfungspunkte für die Bestimmung des Verwaltungssitzes im Bereich der Europäischen Union.
- 17
- (1) Die Klägerin hat die Führung ihrer Geschäfte zweiGeschäftsführern übertragen, wobei der Geschäftsführer S. seine Tätigkeit vornehmlich in Turku ausübt und der Geschäftsführer R. in Dublin tätig ist. Die Geschäftsführertätigkeit für die Klägerin wird danach ausschließlich in Irland und Finnland und damit in Mitgliedstaaten der Europäischen Union wahrgenommen, so dass unabhängig davon, wie das Verhältnis und die Beiträge der Geschäftsführer S.
- 18
- (2) Zustellungen an die Klägerin können zumindest in ihren Büroräumen in Dublin und damit ebenfalls in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union vorgenommen werden.
- 19
- cc) Unter diesen Umständen ist es weder - wie die Revision meint - erforderlich , zunächst den Schwerpunkt der Geschäftsführertätigkeit festzustellen und danach den effektiven Verwaltungssitz der Klägerin zu bestimmen, noch kommt es - wie das Berufungsgericht angenommen hat - darauf an, ob die Zustellungsmöglichkeit gerade an dem Ort besteht, an dem ein geschäftsführender Entscheidungsträger der Klägerin seine Tätigkeit ausübt. Dementsprechend spielt auch weder eine Rolle, wie die Beiträge der beiden Geschäftsführer der Klägerin im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, noch, ob am Tätigkeitsort des Geschäftsführers S. in Turku die Möglichkeit besteht, der Klägerin Schriftstücke zuzustellen.
- 20
- (1) Sinn und Zweck der Prozesskostensicherheit ist es, den obsiegenden Beklagten vor Schwierigkeiten bei der Durchsetzung seines Kostenerstattungsanspruchs zu bewahren, die typischerweise bei einer Vollstreckung außerhalb der Europäischen Union oder des Gebietes der Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und damit außerhalb der Anwendungsbereiche der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen (Brüssel-Ia-VO) bzw. der für vor dem 10. Januar 2015 eingeleitete Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (Brüssel -I-VO) und des Luganer Übereinkommens auftreten (vgl. BT-Drucks.
- 21
- (2) Entgegen der Auffassung der Beklagten erfordert der Wortlaut des § 110 Abs. 1 ZPO keine andere Beurteilung. Zwar ist dort vom gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rede. Angesichts des Zwecks des § 110 Abs. 1 ZPO, den Beklagten vor den Schwierigkeiten einer Vollstreckung in einem Drittstaat zu bewahren, ist dies jedoch nicht dahin zu verstehen, dass alle relevanten Anknüpfungspunkte in einem einzigen Mitgliedstaat gegeben sein müssten. Entscheidend ist vielmehr, dass sich Unternehmenssitz und Zustellmöglichkeit auf dem Gebiet der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums befinden und kein Ort in einem Drittstaat als möglicher Unternehmenssitz in Betracht kommt.
- 22
- III. Als in den Rechtsmittelinstanzen unterlegene Partei hat die Beklagte nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht davon abgesehen hat, die Kosten des Berufungsverfahrens in entsprechender Anwendung von § 97 Abs. 2 ZPO der Klägerin aufzuerlegen.
- 23
- 1. Nach § 97 Abs. 2 ZPO hat die obsiegende Partei die Kosten der Berufungsinstanz zu tragen, wenn sie aufgrund eines neuen Vorbringens obsiegt hat, das sie schon in der ersten Instanz hätte geltend machen können. Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift kommt - wie auch die Revision nicht in Frage stellt - nicht in Betracht, da die Veränderung in der Geschäftsleitung der Klägerin, die dieser nach der Begründung des Berufungsurteils zum Erfolg verholfen hat, erst im Berufungsverfahren eingetreten ist und daher im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorgetragen werden konnte.
- 24
- 2. Aber auch eine entsprechende Anwendung der Vorschrift scheidet entgegen der Auffassung der Revision aus.
- 25
- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bringt § 97 Abs. 2 ZPO einen allgemeinen Grundsatz zum Ausdruck und ist daher entsprechend anwendbar, wenn eine Partei erst in der Rechtsmittelinstanz infolge eines in der Rechtsmittelinstanz eingetretenen Umstands obsiegt, der nicht dem Bereich der Gegenpartei, sondern ihrem Bereich zuzurechnen ist (BGH, Urteil vom 16. Dezember 1959 - IV ZR 103/59, BGHZ 31, 342, 350).
- 26
- b) Für einen Umstand in diesem Sinne genügt jedoch nicht jedes tatsächliche Geschehen, das sich im Einflussbereich einer Partei ereignet. § 97 Abs. 2 ZPO liegt vielmehr der Gedanke zugrunde, dass derjenige mit den Kosten des Rechtsmittelverfahrens belastet werden soll, der ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel unter Verstoß gegen seine Prozessförderungspflicht verspätet geltend macht und damit den Prozess nachlässig führt (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2005 - VIII ZR 174/04, NJW-RR 2005, 866, 867). In dem Fall, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 1959 (BGHZ 31, 342) zugrunde lag, konnte der Umstand, der zum Obsiegen des Klägers in der Rechtsmittelinstanz führte (Beitritt des Staatsanwalts als Streitgenosse), nur eintreten, weil der Kläger zuvor die Frist zur Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes seiner Frau versäumt hatte und nach der damaligen Rechtslage dadurch erst die Voraussetzung dafür entstanden war, dass der Staatsanwalt dem Verfahren beitreten und seinerseits das Anfechtungsrecht ausüben konnte.
- 27
- c) Im Streitfall kann der Klägerin nicht vorgehalten werden, den Prozess nachlässig geführt zu haben. Aus der Prozessförderungspflicht einer Partei lassen sich keine Anforderungen an die personelle Besetzung ihres Vertretungsorgans ableiten. Im Übrigen wäre es der Beklagten unbenommen gewesen, nach dem Wechsel in der Geschäftsführung der Klägerin den Zwischenstreit über die Prozesskostensicherheit für erledigt zu erklären. Meier-Beck Bacher Schuster Deichfuß Kober-Dehm
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 29.07.2014 - 4b O 54/14 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.02.2015 - I-2 U 56/14 -
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Zwischenurteil des Landgerichts München I vom 04.05.2017 (Az. 7 O 16818/16) in Ziff. 1. aufgehoben.
2. Der Klägerin wird aufgegeben, den Beklagten wegen der Prozesskosten eine Sicherheit in Höhe von 105.000,- € zu leisten.
3. Zur Beibringung der Sicherheit wird der Klägerin eine Frist bis zum 06.04.2018 gesetzt.
Gründe
I.
Das am 4. Mai 2017 verkündete Zwischenurteil des Landgerichts München I (Az.: 7 O 16818/16) wird abgeändert und der Klägerin gemäß § 110 ZPO aufgegeben, der Beklagten innerhalb einer vom erkennenden Gericht zu bestimmenden Frist die Prozesskostensicherheit in Höhe von jedenfalls € 102.248,40 zu leisten.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
(1.)
(3.)
(5.)
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Beschwerdewert wird auf 110.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
- 1
- Der Kläger - nach der übereinstimmenden Angabe in seiner Klage und in seiner Rechtsbeschwerdeschrift mit Aufenthalt in Beirut/Libanon - nimmt das beklagte Land auf Feststellung der Ersatzpflicht wegen eines behaupteten Fehlverhaltens von Betriebsprüfern des Finanzamts in Anspruch. Auf Verlangen des beklagten Landes ist dem Kläger durch Zwischenurteil des Landgerichts vom 2. Oktober 2003 die Stellung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 Abs. 1 ZPO in Höhe von 110.000 € aufgegeben worden. Eine entsprechende Sicherheit hat der Kläger in Form einer Prozessbürgschaft der Sparkasse D. gestellt. In dem Verfahren vor dem Landgericht hatte der Kläger zuvor geltend gemacht, sein Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt befinde sich in M. /Spanien. Dort habe er sich von 1997 bis 2000 weit überwiegend aufgehalten. Lediglich ein gegen ihn verhängter internationaler Haftbefehl hindere ihn derzeit, dorthin zurückzukehren. Demgegenüber ist das Landgericht bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, der Lebensmittelpunkt sei zwar nicht schon durch das Bestehen des Haftbefehls als solchen, dessen Aufhebung oder Außervollzugsetzung nicht absehbar sei, wohl aber durch dessen mit den Jahren fortwirkende Verdrängungswirkung zunehmend von M. und damit weg aus dem Gebiet der Europäischen Union verlagert worden.
- 2
- Nach Aufhebung des Haftbefehls durch Beschluss vom 1. März 2004 hat der Kläger unter Beweisantritt vorgetragen, er habe zumindest jetzt einen gewöhnlichen Aufenthalt in M. begründet, und nach § 109 Abs. 1 ZPO beantragt , eine Frist zu bestimmen, binnen der das beklagte Land die Prozesskostensicherheit zurückzugeben habe. Das Landgericht (Rechtspflegerin) hat diesen Antrag zurückgewiesen. Zwar könne der Kläger nach § 109 Abs. 1 ZPO die Aufhebung der Sicherheit verlangen, wenn deren Veranlassung nachträglich wegfalle. Hier bestehe aber die Gefahr einer fruchtlosen Zwangsvollstreckung nach Abschluss des Verfahrens fort. Der bloße nachträgliche Aufenthalt des Klägers in einem der in § 110 Abs. 1 ZPO erwähnten Staaten begründe den Wegfall der Veranlassung der Prozesskostensicherheit nicht. Das Oberlandesgericht hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
II.
- 3
- Die zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
- 4
- 1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, die Rechtspflegerin habe über den Antrag nach § 109 Abs. 1 ZPO nicht in der Sache entscheiden dürfen. Denn die Anordnung der Prozesskostensicherheit durch Zwischenurteil des Landgerichts könne nicht im Wege des Verfahrens nach § 109 ZPO rückgängig gemacht werden. Das Zwischenurteil selbst sei nicht selbständig anfechtbar. Würden selbständige Rechtsmittel hiergegen zugelassen, könnte das zu einer unter prozessökonomischen Gesichtspunkten nicht hinnehmbaren beträchtlichen Erschwerung und Verlängerung des Verfahrens führen. Deswegen sei es auch nicht zulässig, die Abänderung der Anordnung einer Prozesskostensicherheit im Verfahren der für (sonstige) prozessuale Sicherheitsleistungen geltenden Bestimmung des § 109 ZPO vorzunehmen. Hierdurch würde das Verfahren zur Hauptsache noch stärker beeinträchtigt, wenn man bedenke, dass der Gesetzgeber Entscheidungen nach § 109 ZPO gemäß § 20 Nr. 3 RPflG dem Rechtspfleger übertragen habe, der der vom Prozessgericht bejahten Hürde für die Zulässigkeit der Klage während des laufenden Hauptverfahrens - wenn auch aufgrund neuer Tatsachen - "den Boden entziehen" könne. Anschließend komme wieder ein Antrag der Beklagtenseite nach § 110 ZPO in Betracht. Die darin liegende Gefahr wiederholter divergierender Entscheidungen von Prozessgericht und Rechtspfleger über eine für die Zulässigkeit der Klage wesentliche Voraussetzung erscheine nicht hinnehmbar. Das gelte jedenfalls dann, wenn - wie im Streitfall - über die Frage, ob die Veranlassung für ei- ne Sicherheitsleistung weggefallen sei, nicht ohne weiteres anhand unstreitiger oder offenkundiger Tatsachen entschieden werden könne.
- 5
- 2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
- 6
- a) Zutreffend geht das Beschwerdegericht allerdings davon aus, dass das Zwischenurteil des Landgerichts, mit dem dem Kläger eine Sicherheitsleistung aufgegeben wurde, nicht selbständig anfechtbar ist, weil es nicht - wie es für seine Anfechtbarkeit nach § 280 ZPO erforderlich wäre - über die Zulässigkeit der Klage befindet, sondern die Entscheidung hierüber noch offen lässt und gemäß § 113 Satz 2 ZPO einem nachfolgenden Verfahrensabschnitt vorbehält (vgl. BGHZ 102, 232, 234 ff). Da es in der ersten Instanz noch zu keiner Sachentscheidung gekommen ist, kann der Kläger daher zur Zeit die Anordnung der von ihm gestellten Sicherheitsleistung im Rechtsmittelweg nicht überprüfen lassen (vgl. BGHZ aaO S. 236).
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- b) Hieraus folgt indessen nicht, dass der Kläger einen - wie hier mangels Feststellungen für das Rechtsbeschwerdeverfahren zu unterstellen ist - möglichen Wegfall der Voraussetzungen, unter denen das beklagte Land eine Sicherstellung wegen der Prozesskosten verlangen kann, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache hinnehmen müsste. Wie § 111 ZPO zu entnehmen ist, kann die Berechtigung, eine Sicherheitsleistung zu verlangen, zu einem späteren Zeitpunkt eintreten, sei es, dass erstmals die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthalts außerhalb der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums vorliegen, sei es, dass Befreiungen nach § 110 Abs. 2 ZPO in Wegfall geraten. Es kann sich auch nach § 112 Abs. 3 ZPO die Situation ergeben, dass eine einmal geleistete Sicherheit nicht ausreicht und der Kläger auf Verlangen eine weitere Sicherheit zu leisten hat (vgl. Senatsurteil vom 21. Dezember 2005 - III ZR 451/04 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Für die jeweils umgekehrte Situation kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Für ein selbständiges Klageverfahren auf Rückgabe der Sicherheit, die das Verfahren zur Hauptsache unberührt lässt (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93 - NJW 1994, 1351), ist dies ohne weiteres anzunehmen. Seine prozessuale Durchführung steht nur unter dem Vorbehalt, dass der Kläger grundsätzlich gehalten ist, das einfachere Verfahren nach § 109 ZPO zur Rückerlangung der Sicherheit zu wählen (vgl. Wieczorek /Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl. 1994, § 109 Rn. 7; Musielak/Foerste, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 109 Rn. 2; MünchKommZPO-Belz, 2. Aufl. 2000, § 109 Rn. 4; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl. 2004, § 109 Rn. 4; Zöller/Herget, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 109 Rn. 1).
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- c) Nach Auffassung des Senats ist auch das Verfahren nach § 109 ZPO zulässig, um dem Anliegen des Klägers zu entsprechen.
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- Soweit aa) das Beschwerdegericht seine Entscheidung darauf stützt, § 109 ZPO betreffe nur Verfahren für sonstige prozessuale Sicherheitsleistungen , kann ihm nicht gefolgt werden. Im Grundsatz hat die nach § 110 ZPO verlangte Sicherheitsleistung bezogen auf die Prozesskosten dieselbe Aufgabe wie eine sonstige prozessuale Sicherheitsleistung. Es ist daher einhellige Meinung, dass das Verfahren nach § 109 ZPO auch in Fällen des § 110 ZPO anwendbar ist, etwa wenn der Kläger nach rechtskräftiger Verurteilung des Beklagten in die Prozesskosten geltend macht, die Veranlassung für die Sicherheitsleistung sei weggefallen (vgl. OLG Stuttgart MDR 1985, 1033; Zöller/Herget, § 109 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 63. Aufl. 2005, § 109 Rn. 9; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 27.Aufl. 2005, §109 Rn.1a; Musielak/Foerste, § 109 Rn. 7; MünchKommZPO-Belz, § 110 Rn. 6).
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- bb) Für die Anwendung des § 109 ZPO ist es entscheidend, ob die Veranlassung für eine Sicherheitsleistung weggefallen ist. Dies ist nach dem jeweiligen Zweck der Sicherheitsleistung zu bestimmen, mit der ein Schwebezustand überbrückt werden soll. Nimmt man allein in den Blick, dass der Zweck der Sicherheitsleistung nach § 110 ZPO darin besteht, einen möglichen Kostenerstattungsanspruch der beklagten Partei zu sichern, besteht der Schwebezustand fort, weil in der Hauptsache noch keine Entscheidung ergangen ist. Das Begehren des Klägers, den Schwebezustand gleichwohl zu beenden, beruht aber auf der Überlegung, infolge einer Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse fehle es an einer rechtlichen Grundlage, für einen möglichen Kostenerstattungsanspruch überhaupt eine Sicherstellung verlangen zu dürfen. Auch dann bestehe für eine Sicherheitsleistung keine Veranlassung mehr.
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- Der Senat sieht keinen Anlass, eine solche Fallkonstellation aus dem Anwendungsbereich des § 109 ZPO auszunehmen. Das Verfahren nach § 109 ZPO soll die Rückgabe der Sicherheit erleichtern und beschleunigen (vgl. RGZ 156, 164, 167; Wieczorek/Schütze/Steiner, § 109 Rn. 4; Thomas/Putzo/ Hüßtege, § 109 Rn. 1; Musielak/Foerste, § 109 Rn. 1; MünchKommZPO-Belz, § 109 Rn. 3; Stein/Jonas/Bork, § 109 Rn. 4). Der Bundesgerichtshof hat daher auch keine Bedenken gesehen, dieses Verfahren auf die Rückgabe einer einzelnen Sicherheitsleistung anzuwenden, wenn an deren Stelle aufgrund eines abändernden Beschlusses nach § 108 ZPO eine andere Sicherheit getreten ist (vgl. Urteil vom 24. Februar 1994 - IX ZR 120/93 - NJW 1994, 1351 f). Darüber hinaus hat die obergerichtliche Rechtsprechung das erleichterte Verfahren nach § 109 ZPO auch in Fällen für anwendbar gehalten, in denen die Pflicht, eine Sicherheit zu leisten, infolge eines Abkommens (vgl. OLG Karlsruhe JW 1928, 1238) oder wegen einer bekannt gewordenen Befreiung von der Kostensicher- heit (vgl. OLG Hamburg WM 1991, 925) nachträglich weggefallen ist. Dieser Auffassung ist das Schrifttum weitgehend gefolgt (vgl. Hk-ZPO/Wöstmann, 2006, § 110 Rn. 1; Thomas/Putzo/Hüßtege, § 110 Rn. 4; Stein/Jonas/ Bork, § 111 Rn. 11; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 109 Rn. 9 - Wegfall der Sicherungspflicht -; Musielak/Foerste, § 109 Rn. 7 - Entstehung eines Befreiungsgrundes -; für eine entsprechende Anwendung von § 111 ZPO MünchKommZPO-Belz, § 111 Rn. 14; Wieczorek/Schütze, § 111 Rn. 10). Auch der Senat hielte es für nicht angemessen, Fälle dieser Art grundsätzlich auf den Klageweg zu verweisen, zumal dann auch für dieses Verfahren ein belastender und verzögernder Streit über die Prozesskostenvorschusspflicht vorprogrammiert wäre. Andererseits wäre der im Schrifttum vereinzelt vorgeschlagene Weg einer entsprechenden Anwendung von § 111 ZPO nicht ohne Rechtsfortbildung gangbar, für die angesichts des zur Verfügung stehenden Verfahrens nach § 109 ZPO kein Bedürfnis besteht.
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- cc) Dass das Verfahren nach § 109 ZPO nach § 20 Nr. 3 RPflG dem Rechtspfleger zugewiesen ist, spricht nicht entscheidend gegen seine Anwendung auf die hier vorliegende Fallkonstellation. Der Beschwerdeerwiderung ist zwar darin zuzustimmen, dass sich der Wegfall der Veranlassung für eine Sicherheitsleistung im Allgemeinen ohne einen besonderen Aufwand feststellen lässt, weil er - etwa bei nachträglichem Eintritt von Befreiungsvoraussetzungen nach § 110 Abs. 2 ZPO - mehr oder weniger offenkundig ist. Dem Rechtspfleger , der nach § 4 Abs. 1 RPflG in den Grenzen des Absatzes 2 alle Maßnahmen trifft, die zur Erledigung des ihm übertragenen Geschäfts erforderlich sind, ist die Erhebung von Beweisen aber nicht verschlossen (vgl. Arnold/MeyerStolte /Herrmann, RPflG, 6. Aufl. 2002, § 4 Rn. 11; Bassenge/Herbst/Roth, FGG/RPflG, 10. Aufl. 2004, § 4 RPflG Rn. 3), wobei auch insoweit kein Anwaltszwang besteht (§ 13 RPflG). Dass das nach Maßgabe des § 109 Abs. 4 ZPO zuständige Beschwerdegericht die erforderlichen Beweise erheben kann, steht außer Frage.
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- dd) Schließlich steht die vom Beschwerdegericht gesehene Gefahr divergierender Entscheidungen des Rechtspflegers und des Prozessgerichts mit den hiermit verbundenen Auswirkungen auf das Verfahren zur Hauptsache dem Verfahren nach § 109 ZPO nicht entgegen. Grundsätzlich gilt, dass das Verfahren zur Hauptsache nach Stellung der Sicherheit durch den Kläger durchzuführen ist. Die Prüfung des Antrags nach § 109 Abs. 1 ZPO berührt das Verfahren zur Hauptsache nicht. Bei richtiger Behandlung eines solchen Antrags, insbesondere durch Bildung eines Sonderhefts für die hiervon betroffenen Vorgänge , ist der Fortgang des Verfahrens zur Hauptsache ungestört. Die Befürchtung , es könne nach einem erfolgreichen Verfahren nach § 109 ZPO zu einem erneuten Streit über die Prozesskostenvorschusspflicht nach § 110 ZPO kommen - gegebenenfalls, wie das Beschwerdegericht andeutet, durch wiederholte divergierende Entscheidungen -, ist eher theoretischer Natur. Im anhängigen Verfahren nach § 109 ZPO geht es nicht um eine Überprüfung des landgerichtlichen Zwischenurteils, sondern um die Frage, ob der Kläger nach Aufhebung des Haftbefehls einen gewöhnlichen Aufenthalt in M. begründet hat. Hierfür trägt der Kläger die Beweislast (vgl. MünchKommZPO-Belz, § 109 Rn. 11; Stein/Jonas/Bork, § 109 Rn. 12). Sollte sich dies herausstellen, ist nicht ersichtlich , weshalb ohne eine Änderung der maßgebenden Verhältnisse dem beklagten Land, das für das erneute Verlangen nach § 110 Abs. 1 ZPO beweispflichtig wäre (vgl. Musielak/Foerste, § 110 Rn. 9; Zöller/Herget, § 110 Rn. 7), erneut ein Anspruch auf Stellung einer Prozesskostensicherheit zustehen sollte, noch weniger , weshalb es unter solchen Umständen sogleich wieder einen entsprechenden Antrag stellen würde. Für ein Zurückbehaltungsrecht des beklagten Landes, wie die Beschwerdeerwiderung dies geltend macht, ist daher kein Raum. Soweit hinter der Entscheidung des Beschwerdegerichts die Vorstellung stehen sollte, das von einem Rechtspfleger geführte Verfahren dürfe nicht zu einer vom Prozessgericht abweichenden Entscheidung führen, werden die Selbständigkeit dieses Verfahrens und die mit ihm verbundenen Verfahrensgarantien nicht hinreichend berücksichtigt.
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- 3. Im weiteren Verfahren muss daher geprüft werden, ob der Kläger jetzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum hat.
Dörr Galke
Vorinstanzen:
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 22.07.2004 - 2 O 4/04 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 03.05.2005 - 12 W 125/04 -


