Kündigung wegen gefälschter Pfandbons
Besteht der dringende Verdacht, ein Kassierer habe manuell Pfandbons erstellt, ohne dass dem ein tatsächlicher Kassiervorgang gegenübergestanden hätte, und den Gegenwert an sich genommen, so dass die Kasse bei Kassenabschluss kein Plussaldo aufwies, so ist dies "an sich" ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB.
Auch eine 17-jährige beanstandungsfreie Betriebszugehörigkeit und ein in Frage stehender Schaden von lediglich 6,06 EUR können im Einzelfall angesichts des Umstands, dass sich der Verdacht auf eine Straftat im Kernbereich der Tätigkeit als Kassierer sowie auf eine erst durch eine gezielte Manipulation geschaffene Möglichkeit zur Schädigung des Arbeitgebers richtet, die Interessenabwägung nicht zugunsten des Arbeitnehmers ausfallen lassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über eine fristlose, hilfsweise ordentliche Verdachtskündigung sowie über Weiterbeschäftigung.
Der am … 1963 geborene Kläger ist geschieden. Er ist seit dem 01.07.1993 bei der Beklagten als Verkäufer mit Kassentätigkeit bei einem monatlichen Bruttoentgelt von 1.775,29 EUR in einer 37-Stunden-Woche beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer.
Bei der Beklagten existiert für die Rückgabe von Leergut ein Automat. Zu den dort erstellten Pfandbons existiert eine Kassieranweisung, zu der der Kläger geschult wurde und die am Schwarzen Brett bei der Beklagten aushängt. Danach sind Pfandbons an der Kasse einzuscannen, anschließend zu entwerten und in hierfür vorgesehenen besonderen Beuteln zu sammeln, die im Rahmen der Kassenabrechnung an die Führungskraft zu übergeben sind. Von Kunden zurückgelassene Bons sind zu vernichten.
Zusätzlich existiert in der Kassensoftware die Möglichkeit, sog. manuelle Leergutbons herzustellen. Hierfür wird die entsprechende Summe manuell über die Tastatur der Kasse eingegeben, anschließend wird die oben in der Mitte der Tastatur befindliche Taste „Leergut“ gedrückt, danach die Taste „Zwischensumme“ und schließlich die Taste „bar“. Auf diese Weise wird eine Minusbuchung erzeugt.
Reklamiert ein Kunde eine zu niedrige Wechselgeldrückgabe, so ist ausweislich der Kassenanweisung sofort die Kassenaufsicht zu informieren und ein Kassensturz durchzuführen.
Bei sog. Retouren, also der Rückgabe von Ware durch Kunden, hat sich nach Einführung einer neuen Kassensoftware im Juli 2009 die zu beachtende Tastenfolge wie folgt verändert:
Nach der alten Software waren folgende Schritte vorzunehmen:
1. mit dem Stornoschlüssel auf „MGR 2“-Stellung schließen
2. auf die Taste „Retoure“ drücken
3. den Betrag in Zahlen in die Tastatur eingeben
4. die „Kolo“-Taste drücken
5. die Tasten „Zwischensumme“ und „bar“ nacheinander drücken.
Nach der neuen Kassensoftware erscheint nach dem 2. Bedienerschritt ein Menü mit mehreren Auswahlmöglichkeiten zum Grund der Retoure, wie etwa „Ware gefällt nicht“, „Ware defekt“, „MHD abgelaufen“ u. ä. An dieser Stelle muss der Kassierer sich nunmehr zusätzlich für eine Menüauswahl entscheiden. Anschließend ist als weiterer neuer Schritt die Kassenbonnummer einzugeben. Danach verbleibt es bei den bisherigen Schritten ab Ziffer 3., also als nächstes der Eingabe des Betrages als Zahl in die Tastatur.
Die Zentrale der Beklagten stellte in der Filiale, in der der Kläger beschäftigt war, bei insgesamt 3 Kassierernummern, darunter der dem Kläger zugeordneten Nummer 12, eine auffällige Häufung manuell hergestellter statt eingescannter Pfandbons fest. Wegen dieser Auffälligkeiten richtete die Beklagte an den Kassen 3 und 4 ab dem 05.03.2010 eine Videoüberwachungsanlage ein und setzte die 3 verdächtigen Mitarbeiter, darunter den Kläger, schwerpunktmäßig an diesen beiden überwachten Kassen ein. Am 19.03.2010 wertete sie die Videoaufzeichnung sowie die dazugehörigen Kassenunterlagen betreffend den Kläger für den Zeitraum ab dem 06.03.2010 aus. Dabei ergaben sich aus Sicht der Beklagten am 14.03.2010 sowie am 16.03.2010 Auffälligkeiten im Zusammenhang mit an diesen beiden Tagen vom Kläger manuell erstellten Negativbons über 2,00 EUR bzw. 4,06 EUR. Wegen der Einzelheiten des Bonbackups für die Kassierernummer des Klägers für diese beiden Tage und den fraglichen Zeitraum wird auf die Anlage 9/2 sowie auf die Anlage 9/1 Bezug genommen. Am 14.03.2010 ist zu Beginn der Kassentätigkeit des Klägers auf dem Überwachungsvideo zu sehen, wie er ein Geldstück vom Fußboden aufhebt und in die Kasse legt. Ferner ist jedenfalls am 14.03.2010 zum Zeitpunkt der Erstellung des Negativbons über 2,00 EUR kein Kunde, der Leergut abgäbe, auf dem Video zu verzeichnen. Die beiden streitgegenständlichen manuell erstellten Leergutbons warf der Kläger unverzüglich nach Abriss von der Bonrolle in den Mülleimer. Auf den Überwachungsvideos ist nicht zu erkennen, dass der Kläger Geld aus der Geldschublade entnommen hätte. Zum Kassenschluss des Klägers war die Kasse sowohl am 14. als auch am 16.03.2010 jeweils stimmig.
Die Beklagte hörte den Kläger am 24.03.2010 zu ihrem Verdacht, er habe manuell Pfandbons ohne dahinter stehenden Kassiervorgang erstellt und Geld in dieser Höhe selbst an sich genommen, an. Hierzu befragte sie ihn zunächst, wie er Leergutbons bearbeite. Der Kläger erwiderte, er scanne diese stets entsprechend der Anweisung ein. Mit dem Vorwurf einer Manipulation von Leergutbons konfrontiert, erklärte der Kläger, jedenfalls kein Geld genommen und die Minusbons lediglich zum Ausgleich von Kassierfehlern erstellt zu haben.
In dieser Anhörung wurde dem Kläger das erstellte Überwachungsvideo in Ausschnitten vorgespielt.
Die beiden Kollegen des Klägers, bei denen ebenfalls Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der manuellen Erstellung von Leergutbons festgestellt worden waren, räumten in ihren Anhörungen ebenfalls am 24.03.2010 die Vorwürfe der Manipulation ein.
Mit Schreiben vom 24.03.2010, das der Kläger am selben Tage erhielt, kündigte die Beklagte fristlos, hilfsweise ordentlich zum 30.09.2010.
Mit seiner am 03.04.2010 bei Gericht eingegangenen, der Beklagten am 04.05.2010 zugestellten Klageschrift wendet sich der Kläger gegen diese Kündigungen und begehrt seine Weiterbeschäftigung. Er bestreitet das Vorliegen eines wichtigen Grundes bzw. die soziale Rechtfertigung der Kündigung und rügt die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB.
Im Gütetermin am 01.06.2010 hat der Kläger erklärt, er habe nach der Reklamation eines Kunden Beträge ausgleichen wollen und daher manuelle Bons erstellt.
Mit Schriftsatz vom 06.07.2010 behauptet der Kläger, die fiktiven Leergutbons hätten zum Ausgleich von Retouren gedient. Er habe den Kunden die Ware abgenommen und unter der Kassentheke verstaut, bei geöffneter Kasse habe der Kunde den Betrag für die Ware ausgezahlt erhalten. Erst wenn etwas Ruhe an der Kasse gewesen sei, habe er einen fiktiven Leergutbon in Höhe der entgegengenommenen Ware erstellt, um die Kasse auszugleichen; diesen Weg habe er gewählt, weil ihm die Bedienerschritte für eine Retoure mit der neuen Software nicht geläufig gewesen seien. Gleichzeitig habe er dabei anweisungsgemäß Trinkgelder in Centhöhe mit eingebucht. Der Kläger behauptet, er habe diese Erklärung auch bereits im Anhörungsgespräch am 24.03.2010 geliefert.
Mit Schriftsatz vom 09.09.2010 behauptet der Kläger, am 14.03.2010 sei es wie folgt zur Erstellung des manuellen Minusbons im Wert von 2,00 EUR um 18.36 Uhr gekommen: Er habe zuvor um 18.33 Uhr einem Kunden, der lediglich 2 Artikel, darunter einmal Erdbeeren, gekauft habe, versehentlich 3 Artikel, nämlich 2 x Erdbeeren, abkassiert. Zum Zwecke der Korrektur habe er daher anschließend einen manuellen Leergutbon erstellt, wobei er gleichzeitig das zu Beginn seiner Kassiertätigkeit in die Kasse gelegte vom Fußboden aufgehobene Geld mitberücksichtigt habe. Zum 16.03.2010 und dem an diesem Tag um 9.05 Uhr erstellten Leergutbon über 4,06 EUR behauptet der Kläger in diesem Schriftsatz, er habe zuvor nach dem Abkassieren eines Kunden um 9.01 Uhr mit 3 Artikeln (Kaugummi, Getränk nebst Pfand und 3 Schrippen) tatsächlich einen Pfandbon im Wert von 4,06 EUR von einem Kunden entgegengenommen, diesen zwar nicht über den Scanner gezogen, jedoch dem Kunden sofort das Pfandgeld aus der Kasse gegeben. Zum Ausgleich der Kasse habe er daher nachfolgend um 9.05 Uhr den entsprechenden Pfandbon manuell im Kassensystem erstellt. Der Kläger behauptet, die Entgegennahme eines Pfandbons ohne dessen Einscannen sei auf dem Video zu erkennen und bietet hierfür als Beweis die Videoaufzeichnung für den 16.03.2010 an.
Im Kammertermin am 28.09.2010 hat der Kläger erklärt, die schriftsätzlich vorgetragene Erklärung einer Retoure durch einen Kunden für die erstellten manuellen Minusbons sei lediglich als theoretisches Erklärungsmodell gemeint gewesen, wie es generell zur Erstellung manueller Leergutbons kommen könne, habe sich jedoch nicht auf die fraglichen Vorgänge am 14. und 16.03.2010 bezogen. Erstmals in diesem Termin hat der Kläger ferner behauptet, die manuell erstellten Pfandbons seien stets sofort weggeworfen und nicht aufbewahrt worden.
Der Kläger beantragt zuletzt unter Rücknahme eines allgemeinen Feststellungsantrages
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 24.03.2010 aufgelöst worden ist,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 24.03.2010 aufgelöst worden ist,
im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagte zu verurteilen, ihn als Verkäufer mit Kassentätigkeit bei einer 37-Stunden-Woche und einem monatlichen Bruttogehalt von 1.775,29 EUR bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, weder eine Reklamation noch eine Warenrückgabe oder die Abgabe eines Leergutbons seien im Zusammenhang mit der Erstellung der beiden fraglichen Leergutbons auf dem Video zu sehen. Die wechselnden Erklärungen des Klägers seien nicht glaubhaft; es bestehe jedenfalls der dringende Verdacht, dass der Kläger gezielt manuelle Pfandbons erstellt habe, ohne dass dem tatsächliche Vorgänge gegenüberstünden und, da die Kasse jeweils bei Kassenabschluss stimmig gewesen sei, die entsprechenden Beträge im Verlauf oder zu Ende seines Einsatzes aus der Kasse ent- und an sich genommen habe.
Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die in den Sitzungsniederschriften protokollierten Erklärungen der Parteien Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der die fristlose Kündigung betreffende Feststellungsantrag unterliegt der Abweisung, weil diese Kündigung wirksam ist und das Arbeitsverhältnis der Parteien daher mit Ablauf des 24.03.2010 aufgelöst hat.
Die Wirksamkeit der Kündigung wird allerdings nicht bereits gem. §§ 7 Halbsatz 1, 4 Satz 1, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG vermutet, weil der Kläger unter Berücksichtigung von § 167 ZPO rechtzeitig innerhalb der 3-Wochen-Frist Klage erhoben hat.
Es liegt ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung vor.
Nach der Rechtsprechung des BAG, der sich die erkennende Kammer insoweit anschließt, vermag nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern bereits der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen schwerwiegenden Pflichtverletzung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen. Für eine solche Kündigung müssen starke Verdachtsmomente, die sich auf objektive Tatsachen gründen, vorliegen, der Arbeitgeber muss alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes, insbesondere in Form der Anhörung des Arbeitnehmers, unternehmen und gerade der Verdacht des strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens muss das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstören. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Die Kammer ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Inhaltes der Schriftsätze gem. § 286 Abs. 1 ZPO auch ohne Beweisaufnahme davon überzeugt, dass jedenfalls dringende Verdachtsmomente dafür vorliegen, der Kläger habe manuell Pfandbons erstellt, ohne dass dem ein tatsächlicher Kassiervorgang gegenübergestanden hätte, und das Geld an sich genommen, so dass die Kasse bei Kassenabschluss wieder stimmig war.
Zunächst ist der Kläger dem unstreitig gebliebenen Vortrag der Beklagten, es sei rein zahlenmäßig zu einer Häufung manuell hergestellter Pfandbons an seiner und den beiden Kassierernummern der geständigen Kollegen gekommen, nicht entgegengetreten, hat insbesondere keinerlei Erklärung für diese Häufung geliefert.
Was die konkreten Vorfälle am 14. und 16.03.2010 angeht, so vermag weiter bereits keine der vom Kläger gegebenen Erklärungen für sich betrachtet schlüssig das Erstellen der manuellen Pfandbons zu erklären.
Dies gilt zunächst für die Einlassung in der Anhörung, er habe Kassierfehler ausgleichen wollen. Diese Angabe ist so allgemein geblieben, dass sie sich keinem konkreten Vorgang zuordnen lässt. Auch die Erläuterung im Gütetermin, der Kläger habe im Hinblick auf Kundenreklamationen Beträge ausgleichen wollen, überzeugt nicht. Denn für den Fall einer Reklamation durch einen Kunden wegen einer zu geringen Wechselgeldrückgabe sieht die Kassieranweisung vor, wie zu verfahren ist, nämlich durch Hinzuziehung der Kassenaufsicht und die Vornahme eines Kassensturzes. Warum der Kläger sich insoweit anweisungswidrig verhalten haben will, erläutert er nicht. Auch seine weitere schriftsätzlich vorgenommene Erläuterung, die Pfandbons seien anlässlich der Retoure von Waren erstellt worden, vermochte die Kammer nicht nachzuvollziehen. Zum einen bleibt die Angabe zu der Art der Ware, die entgegengenommen worden sein soll, völlig vage, zum anderen überzeugt insbesondere nicht die Einlassung des Klägers, die Bedienerschritte bei der neuen Kassensoftware, die an sich bei einem Retourvorgang zu beachten gewesen wären, seien ihm nicht präsent gewesen. Denn wie eine Gegenüberstellung der alten und neuen Tastenfolge ergibt, sind lediglich 2 Zwischenschritte, die von der Kasse abgefragt werden, eingefügt worden, während die Bedienerschritte im Übrigen unverändertem Muster folgen.
Schließlich überzeugen auch nicht die Erläuterungen des Klägers in seinem letzten Schriftsatz. Soweit es um den Vorgang am 14.03.2010 geht, vermag die Kammer bereits nicht nachzuvollziehen, wie es zu einem versehentlichen doppelten Abkassieren der angeblich lediglich einmal gekauften Erdbeeren mit unterschiedlichen Preisen gekommen sein soll. Bei einer versehentlichen Doppelabkassierung wäre vielmehr zu erwarten, dass ein- und derselbe Betrag zweimal ausgeworfen wird. Es kommt hinzu, dass der nach den Angaben des Klägers nachfolgend erstellte manuelle Leergutbon sich nicht auf die nach den Ausführungen des Klägers zu viel abkassierten 1,99 EUR, sondern auf 2,00 EUR beläuft. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang anführt, die Differenz von 0,01 EUR sei auf den - unstreitigen - Vorgang des Einlegens von Geld vom Fußboden in die Kasse zu Beginn seiner Kassentätigkeit zurückzuführen, überzeugt auch dies nicht. Denn wenn der Kläger zu Beginn seiner Tätigkeit einen Centbetrag in die Kasse hineingelegt hätte, diese also zunächst eine Plusdifferenz aufgewiesen haben soll, so hätte der Kläger nach seinen Einlassungen einen Leergutbon vermindert um diesen Plusdifferenzbetrag, also über einen niedrigeren Betrag als 1,99 EUR erstellen müssen. Stattdessen hat er jedoch den Minusbetrag auf 2,00 EUR aufgerundet. Insbesondere überzeugt die Kammer jedoch nicht, dass der Kläger diesen manuellen Korrekturbon erst 5 Kassiervorgänge später erstellt hat. Ein derart langes Zuwarten und das vorherige Abkassieren von 5 weiteren Kunden birgt nämlich die große Gefahr, den zu korrigierenden Vorgang nicht mehr in allen Einzelheiten präsent zu haben und weitere Fehler zu produzieren. Nahegelegen hätte es vielmehr, den Vorgang unmittelbar im Nachgang zu dem behaupteten versehentlichen Doppelabkassieren zu korrigieren.
Dieser Einwand gilt auch für die Einlassungen des Klägers zu dem Geschehen am 16.03.2010. Auch hier vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, warum der Kläger nach seiner Erläuterung die Erstellung des zur Herausgabe von Leergutgeld gehörigen Pfandbons wiederum erst 5 Kunden später vorgenommen haben will.
Vermögen die Einlassungen des Klägers bereits isoliert betrachtet die beiden Leergutbonerstellungen kaum nachvollziehbar zu erläutern, so wird der dringende Verdacht weiter insbesondere dadurch erhärtet, dass der Kläger seine Erklärungsversuche mehrfach im Verlaufe des Prozesses gewechselt und zum Teil einander widersprechende Erläuterungen abgegeben hat. So steht seine ursprüngliche Einlassung in der Anhörung, er habe sich stets anweisungskonform bei der Entgegennahme von Pfandbons verhalten und diese über den Scanner gezogen, in diametralem Gegensatz zu seiner letzten Erläuterung, am 16.03.2010 habe er Leergutgeld herausgegeben, ohne den dazugehörigen Bon über den Scanner zu ziehen.
Hat der Kläger ferner zunächst in der Anhörung darauf hingewiesen, er habe Kassierfehler ausgleichen wollen und mag die fehlende Präzisierung dieser Behauptung noch dem Eindruck der ersten Anhörungssituation geschuldet sein, so hat der Kläger nachfolgend zunächst im Gütetermin von Kundenreklamationen gesprochen, wiederum ohne diese präzisieren zu können und damit eine weitere Erklärung geliefert, wie er im Übrigen erneut unter Verstoß gegen Kassieranweisungen gehandelt haben will. Diesen Vortrag hat er nochmals schriftsätzlich geändert, indem er nunmehr zunächst auf die Retoure von Waren und sein Verbuchen wiederum unter Verstoß gegen Anweisungen und Nichteinhaltung der hierfür vorgesehenen Bedienerschritte verwiesen hat. Diesen Vortrag wiederum hat der Kläger im Kammertermin am 28.09.2010 so dargestellt, dass es sich dabei lediglich um eine potentielle Erklärung für das Zustandekommen von Pfandgutbons gehandelt haben soll, die jedoch nicht auf den konkreten Vorgang am 14. bzw. 16.03.2010 bezogen gewesen sein soll. Dies steht im Widerspruch zu den Ausführungen im Schriftsatz vom 06.07.2010, wo es auf Seite 3 oben ausdrücklich heißt, der Kläger habe fiktive Leergutbons zum Ausgleich von Retouren erstellt. Auch seine streitige Behauptung, er habe diese Erläuterung bereits in der Anhörung gegeben, spricht dafür, dass es sich nicht lediglich um eine abstrakte Erklärungsmöglichkeit, sondern um die Rechtfertigung für die konkreten beiden Vorgänge gehandelt hat.
Schließlich hat der Kläger nochmals einen neuen Erklärungsanlauf unternommen, wenn er nunmehr für den 14.03.2010 die Korrektur eines Kassierfehlers und für den 16.03.2010 die tatsächliche Entgegennahme eines Leergutbons ohne Scannereinsatz angibt.
Weiter ist die Einlassung des Klägers widersprüchlich und wenig glaubhaft, wenn er erstmals im Kammertermin am 28.09.2010 behauptet, die erstellten Pfandgutbons seien nie aufbewahrt, sondern stets weggeworfen worden. Denn nach sämtlichen Einlassungen des Klägers dienten die manuell erstellten Leergutbons gerade dazu, die Kasse wider stimmig zu machen, also der Entnahme oder Herausgabe von Bargeld einen entsprechenden Kassiervorgang gegenüberzustellen. Damit sind die Bons jedoch wesentlich und für die Kassenabrechnung aufzubewahren, wie es im Übrigen auch aus der Kassieranweisung und der dort vorgesehenen Aufbewahrungspflicht für Leergutbons hervorgeht.
Nach einer Gesamtschau der objektiven Tatsachen einerseits, der Einlassungen des Klägers hierzu andererseits ist die Kammer daher auch ohne Beweisaufnahme davon überzeugt, dass jedenfalls der dringende Verdacht besteht, der Kläger habe manuelle Pfandgutbons erstellt, denen kein entsprechender Kassiervorgang gegenüberstand und das Geld an sich genommen, so dass die Kasse wieder stimmig war.
Die formale Voraussetzung der Anhörung des Klägers hat die Beklagte gewahrt.
Auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist eingehalten.
Diese Ausschlussfrist beginnt, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht. Hat der Kündigungsberechtigte Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann er zunächst Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist zu laufen beginnt. Solange er diese zur Aufklärung des Sachverhalts nach pflichtgemäßem Ermessen notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführt, läuft die Ausschlussfrist nicht an, wobei die Ermittlungen mit der gebotenen Eile vorzunehmen sind.
Legt man diese Grundsätze zugrunde, so hat die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist hier gewahrt.
Die Mitteilung seitens der Zentrale, es sei eine auffällige Häufung von manuell hergestellten Pfandgutbons bei bestimmten Kassierern festzustellen, stellte lediglich einen Anfangsverdacht dar. In Form der Auswertung der daraufhin vorgenommenen Videoüberwachung nebst Bonbackups nach einem 2-wöchigen Überwachungszeitraum hat die Beklagte mit der gebotenen Eile weitere Ermittlungsmaßnahmen angestellt. Ein Überwachungszeitraum von 2 Wochen erscheint noch angemessen, um bloße Zufälligkeiten auszuschließen. Zeitnah zu der Auswertung durch die Beklagte selbst, nämlich 5 Tage später, hat die Beklagte die weitere Voraussetzung und Aufklärungsmaßnahme in Form der Anhörung des Klägers selbst durchgeführt und noch am selben Tage den Zugang der Kündigung bewirkt.
Auch die stets vorzunehmende abschließende Interessenabwägung vermag nicht zugunsten des Klägers auszufallen.
Zwar hat das BAG in seinem Urteil vom 10.06.2010 (2 AZR 541/09) im Fall der Einlösung von Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 EUR durch eine Kassiererin insbesondere im Hinblick auf deren 30-jährige beanstandungsfreie Beschäftigungsdauer mit dem Argument, das dadurch erworbene Vertrauen sei durch einen in vielerlei Hinsicht atypischen und einmaligen Kündigungssachverhalt nicht vollständig zerstört worden, eine darauf gestützte fristlose Kündigung für unwirksam erklärt.
Selbst wenn man diesen Grundsätzen folgen wollte, liegt der vorliegende Fall anders. Zwar hat auch der Kläger mit 17 Jahren beanstandungsfreier Kassiertätigkeit eine beachtliche Betriebszugehörigkeit und nach dem Duktus des BAG ein vor diesem Hintergrund erhebliches Vertrauenskapital aufzuweisen. Der ihm im Rahmen der Verdachtskündigung zur Last gelegte Vorwurf stellt sich jedoch gerade nicht als atypische und einmalige Verfehlung dar. Vielmehr ist der Verdacht darauf gerichtet, dass es an der Kasse des Klägers zu einer Häufung manuell hergestellter Pfandbons kam, von denen allein in einer 2-wöchigen Videoüberwachung nach dem oben Ausgeführten in 2 Fällen der dringende Verdacht einer Kassenmanipulation erhärtet werden konnte. Weiter berücksichtigt die Kammer zulasten des Klägers, dass sich der dringende Verdacht auf einen gezielten Manipulationsvorwurf, der eine gewisse kriminelle Energie zum Ausdruck bringt, richtet, während es in der oben zitierten Entscheidung des BAG letztlich nur um das offene Einlösen ohnehin bereits vorhandener Pfandbons ging. Kann man in dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall daher möglicherweise auch noch zugunsten der dortigen Klägerin annehmen, sie habe sich angesichts der ihr zur Aufbewahrung überlassenen Pfandgutbons wegen der Gunst der Situation hinreißen lassen, diese selber einzulösen, liegt eine vergleichbarer Ausgangssituation hier nicht vor, vielmehr steht der Kläger im dringenden Verdacht, selber erst durch seine Initiative die Möglichkeit geschaffen zu haben, Geld aus der Kasse zu nehmen, ohne dass es zu einem Minussaldo gekommen wäre. Da er als Verkäufer mit Kassiertätigkeit im Rahmen seiner originären Kerntätigkeit eine Straftat begangen haben soll, vermag auch der relativ geringe Schadensbetrag nicht zu seinen Gunsten bewertet zu werden. Auch hier unterscheidet sich der vorliegende im Übrigen von dem der Entscheidung des BAG zugrunde liegenden Fall. Während nämlich im dortigen Fall potentiell auch der berechtigte Kunde noch hätte auftauchen und die ihm gehörenden Pfandgutbons hätte einlösen können, sich die dortige Arbeitgeberin in diesem Fall also wirtschaftlich genauso gestellt hätte wie beim Einlösen der Pfandgutbons durch die Klägerin, ist dies hier nicht der Fall. Vielmehr soll der Kläger erst durch Manipulation von Kassenbuchungen die Möglichkeit geschaffen haben, Geld aus der Kasse zu entnehmen, denen keine Kassiervorgänge und eben auch gerade keine Rückgabe von Leergut gegenüberstanden. Ein potentiell anderer Geschehensablauf, der die Beklagte wirtschaftlich genauso gestellt hätte, kommt hier daher gerade nicht in Betracht.
Ist das Arbeitsverhältnis daher bereits durch die fristlose Kündigung mit Zugang am 24.03.2010 aufgelöst worden, so unterlag der weitere Feststellungsantrag, der sich gegen die hilfsweise ordentliche Kündigung richtet, bereits deshalb der Abweisung, weil zum Zeitpunkt des Beendigungstermins bereits kein Arbeitsverhältnis mehr zwischen den Parteien bestand.
Der unechte Hilfsantrag fiel nicht zur Entscheidung an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 91 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO, wonach der Kläger wegen seines Unterliegens und der teilweisen Klagerücknahme die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
Der gem. § 61 Abs. 1 ArbGG stets im Urteil festzusetzende Wert des (verbleibenden) Streitgegenstandes beläuft sich gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i. V. m. §§ 3 Halbsatz 1, 5 Halbsatz 1 ZPO, § 42 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 GKG für den Antrag zu 1. und 2. zusammen auf 3 Bruttomonatsentgelte. Für den Kostenstreitwert hinzuzusetzen war ferner der zurückgenommene Antrag zu 3. mit 1/10 hiervon.
Rechtsmittelbelehrung
Gegen dieses Urteil kann von d. Kläger Berufung eingelegt werden.
Die Berufungsschrift muss von einem Rechtsanwalt oder einem Vertreter einer Gewerkschaft bzw. einer Arbeitgebervereinigung oder eines Zusammenschlusses solcher Verbände eingereicht werden.
Die Berufungsschrift muss innerhalb einer Notfrist von einem Monat bei dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin, eingegangen sein.
Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird, sowie die Erklärung enthalten, dass Berufung gegen dieses Urteil eingelegt werde.
Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb einer Frist von zwei Monaten in gleicher Form schriftlich zu begründen.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments im Sinne des § 46 c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite unter www.b...de/e...
Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgesetzten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
Dabei ist zu beachten, dass das Urteil mit der Einlegung in den Briefkasten oder einer ähnlichen Vorrichtung für den Postempfang als zugestellt gilt. Wird bei der Partei eine schriftliche Mitteilung abgegeben, dass das Urteil auf der Geschäftsstelle eines Amtsgerichts oder einer von der Post bestimmten Stelle niedergelegt ist, gilt das Schriftstück mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt, also nicht erst mit der Abholung der Sendung.
Das Zustellungsdatum ist auf dem Umschlag der Sendung vermerkt.
Für d. Beklagte/n ist keine Berufung gegeben.
Von der Begründungsschrift werden zwei zusätzliche Abschriften zur Unterrichtung der ehrenamtlichen Richter erbeten.
Weitere Statthaftigkeitsvoraussetzungen ergeben sich aus § 64 Abs. 2 ArbGG:
„Die Berufung kann nur eingelegt werden,
a) wenn sie in dem Urteil zugelassen worden ist,
b) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c) in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d) wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall schuldhafter Versäumung nicht vorgelegen habe.“
SOWEIT DIE KOSTEN FÜR DEN ZURÜCKGENOMMENEN TEIL DER KLAGE d. Kläger auferlegt worden sind kann von d. Kläger sofortige Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt.
Die Beschwerde muss innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung bei dem Arbeitsgericht Berlin oder dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Magdeburger Platz 1, 10785 Berlin, schriftlich eingegangen sein oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen sie eingelegt werde. Die Beschwerde soll begründet werden.
Der Schriftform wird auch durch Einreichung eines elektronischen Dokuments im Sinne des § 46 c ArbGG genügt. Nähere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite unter www.b...de/e...
Alle Fristen beginnen mit der Zustellung der Entscheidung, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach ihrer Verkündung.
Dabei ist zu beachten, dass das Urteil mit der Einlegung in den Briefkasten oder einer ähnlichen Vorrichtung für den Postempfang als zugestellt gilt.
Wird bei der Partei eine schriftliche Mitteilung abgegeben, dass das Urteil auf der Geschäftsstelle eines Amtsgerichts oder einer von der Post bestimmten Stelle niedergelegt ist, gilt das Schriftstück mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt, also nicht erst mit der Abholung der Sendung. Das Zustellungsdatum ist auf dem Umschlag der Sendung vermerkt.
Für d. Beklagte ist keine sofortige Beschwerde gegeben.
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
-
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. Februar 2009 - 7 Sa 2017/08 - aufgehoben.
-
2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21. August 2008 - 2 Ca 3632/08 - abgeändert:
-
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist.
-
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
- 1
-
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
- 2
-
Die 1958 geborene Klägerin war seit April 1977 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerinnen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt.
- 3
-
Die Beklagte ist ein überregional vertretenes Einzelhandelsunternehmen. In einigen ihrer Filialen, so auch in der Beschäftigungsfiliale der Klägerin, besteht die Möglichkeit, Leergut an einem Automaten gegen Ausstellung eines Leergutbons zurückzugeben. Wird ein solcher Bon an der Kasse eingelöst, ist er von der Kassiererin/dem Kassierer abzuzeichnen. Mitarbeiter der Filiale sind angewiesen, mitgebrachtes Leergut beim Betreten des Markts dem Filialleiter vorzuzeigen und einen am Automaten erstellten Leergutbon durch den Leiter gesondert abzeichnen zu lassen, bevor sie den Bon an der Kasse einlösen. Dort wird er wie ein Kundenbon ein weiteres Mal abgezeichnet. Diese Regelungen, die Manipulationen beim Umgang mit Leergut ausschließen sollen, sind der Klägerin bekannt.
- 4
-
Im Herbst 2007 beteiligte sich die Klägerin mit weiteren sieben von insgesamt 36 Beschäftigten ihrer Filiale an einem gewerkschaftlich getragenen Streik. Während die Streikbereitschaft anderer Arbeitnehmer mit der Zeit nachließ, nahm die Klägerin bis zuletzt an den Maßnahmen teil. Im Januar 2008 lud der Filialleiter Beschäftigte, die sich nicht am Arbeitskampf beteiligt hatten, zu einer Feier außer Hause ein. Aus diesem Grund wurde er später von der Beklagten abgemahnt und in eine andere Filiale versetzt.
- 5
-
Am 12. Januar 2008 fand eine Mitarbeiterin im Kassenbereich einer separaten Backtheke zwei nicht abgezeichnete Leergutbons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro. Sie trugen das Datum des Tages und waren im Abstand von ca. einer Dreiviertelstunde am Automaten erstellt worden. Die Mitarbeiterin legte die Bons dem Filialleiter vor. Dieser reichte sie an die Klägerin mit der Maßgabe weiter, sie im Kassenbüro aufzubewahren für den Fall, dass sich noch ein Kunde melden und Anspruch darauf erheben würde; andernfalls sollten sie als „Fehlbons“ verbucht werden. Die Klägerin legte die Bons auf eine - für alle Mitarbeiter zugängliche und einsehbare - Ablage im Kassenbüro.
- 6
-
Am 22. Januar 2008 kaufte die Klägerin in der Filiale außerhalb ihrer Arbeitszeit privat ein. An der Kasse überreichte sie ihrer Kollegin zwei nicht abgezeichnete Leergutbons. Laut Kassenjournal wurden diese mit Werten von 0,48 Euro und 0,82 Euro registriert. Beim Kassieren war auch die Kassenleiterin und Vorgesetzte der Klägerin anwesend.
- 7
-
Zur Klärung der Herkunft der eingereichten Bons führte die Beklagte mit der Klägerin ab dem 25. Januar 2008 insgesamt vier Gespräche, an denen - außer am ersten Gespräch - jeweils zwei Mitglieder des Betriebsrats teilnahmen. Sie hielt ihr vor, die eingelösten Bons seien nicht abgezeichnet gewesen und stimmten hinsichtlich Wert und Ausgabedatum mit den im Kassenbüro aufbewahrten Bons überein. Es bestehe der dringende Verdacht, dass sie - die Klägerin - die dort abgelegten „Kundenbons“ an sich genommen und zu ihrem Vorteil verwendet habe. Die Klägerin bestritt dies und erklärte, selbst wenn die Bons übereinstimmten, bestehe die Möglichkeit, dass ihr entsprechende Bons durch eine ihrer Töchter oder durch Dritte zugesteckt worden seien. Beispielsweise habe sie am 21. oder 22. Januar 2008 einer Arbeitskollegin ihre Geldbörse ausgehändigt mit der Bitte, diese in ihren Spind zu legen. Die Beklagte legte der Klägerin nahe, zur Untermauerung ihrer Behauptung eine eidesstattliche Erklärung einer Tochter beizubringen. Außerdem befragte sie die benannte Kollegin, die die Angaben der Klägerin bestritt. Beim letzten, am 15. Februar 2008 geführten Gespräch überreichte die Klägerin eine schriftliche Erklärung, mit der eine ihrer Töchter bestätigte, bei der Beklagten hin und wieder für ihre Mutter einzukaufen, dabei auch Leergut einzulösen und „Umgang“ mit der Geldbörse ihrer Mutter „pflegen zu dürfen“.
- 8
-
Mit Schreiben vom 18. Februar 2008 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, gestützt auf den Verdacht der Einlösung der Bons, an. Der Betriebsrat äußerte Bedenken gegen die fristlose Kündigung, einer ordentlichen Kündigung widersprach er und verwies auf die Möglichkeit einer gegen die Klägerin gerichteten Intrige.
- 9
-
Mit Schreiben vom 22. Februar 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 30. September 2008.
- 10
-
Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hat behauptet, sie habe jedenfalls nicht bewusst Leergutbons eingelöst, die ihr nicht gehörten. Sollte es sich bei den registrierten Bons tatsächlich um die im Kassenbüro abgelegten Bons gehandelt haben, müsse auch die Möglichkeit eines Austauschs der Bons während des Kassiervorgangs in Betracht gezogen werden. Denkbares Motiv hierfür sei ihre Streikteilnahme, die ohnehin der wahre Grund für die Kündigung sei. Anders sei nicht zu erklären, weshalb ihre Kollegin und die Vorgesetzte sie - unstreitig - nicht bereits beim Kassieren oder unmittelbar anschließend auf die fehlende Abzeichnung der überreichten Leergutbons angesprochen hätten. Angesichts der streikbedingt aufgetretenen Spannungen unter den Filialmitarbeitern sei es lebensfremd anzunehmen, sie habe ausgerechnet bei einer Kollegin, mit der sie im Streit gestanden habe, und in Anwesenheit ihrer Vorgesetzten die im Kassenbüro verwahrten, nicht abgezeichneten Bons eingelöst. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, eine Verdachtskündigung sei wegen der in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung ohnehin unzulässig. Das gelte in besonderem Maße, wenn sich der Verdacht auf die Entwendung einer nur geringwertigen Sache beziehe. Selbst bei nachgewiesener Tat sei in einem solchen Fall ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht gegeben. Zumindest sei in ihrem Fall die Kündigung in Anbetracht der Einmaligkeit des Vorfalls und ihrer langen Betriebszugehörigkeit unangemessen, zumal der Beklagten kein Schaden entstanden sei.
-
Die Klägerin hat beantragt
-
1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die fristlose, noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden ist;
2.
die Beklagte zu verurteilen, sie entsprechend den arbeitsvertraglichen Bedingungen als Verkäuferin mit Kassentätigkeit zu beschäftigen.
- 12
-
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin die im Kassenbüro hinterlegten Leergutbons für sich verwendet habe. Dafür sprächen die in der Anhörung angeführten Tatsachen sowie der Umstand, dass diese Bons bei einer unmittelbar nach dem Einkauf der Klägerin durchgeführten Suche nicht mehr auffindbar gewesen seien. Es sei auch das mehrfach geänderte Verteidigungsvorbringen der Klägerin zu berücksichtigen, das sich in keinem Punkt als haltbar erwiesen habe. Damit sei das Vertrauen in die redliche Ausführung der Arbeitsaufgaben durch die Klägerin unwiederbringlich zerstört. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht unbelastet verlaufen. Sie habe die Klägerin im Jahr 2005 wegen ungebührlichen Verhaltens gegenüber einem Arbeitskollegen abgemahnt. Außerdem habe die Klägerin, wie ihr erst nachträglich bekannt geworden sei, am 22. November 2007 bei einem privaten Einkauf einen Sondercoupon aus einem Bonussystem eingelöst, obwohl die Einkaufssumme den dafür erforderlichen Betrag nicht erreicht habe. Derselbe Coupon sei dreimal „über die Kasse gezogen“ worden. Dadurch seien der Klägerin zu Unrecht Punkte im Wert von 3,00 Euro gutgeschrieben worden. Deren Behauptung, ihre Vorgesetzte habe sie zu einer derartigen Manipulation - vergeblich - verleiten wollen, sei nicht plausibel; die Vorgesetzte habe an dem betreffenden Tag - wie zuletzt unstreitig - nicht gearbeitet.
-
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer durch das Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
- 14
-
Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die außerordentliche noch durch die ordentliche Kündigung vom 22. Februar 2008 aufgelöst worden. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts war deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedurfte es nicht. Die Sache war nach dem festgestellten Sachverhältnis zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
- 15
-
A. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB.
- 16
-
I. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., Senat 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220; 27. April 2006 - 2 AZR 386/05 - Rn. 19, BAGE 118, 104).
- 17
-
II. Die Prüfung der Voraussetzungen des wichtigen Grundes ist in erster Linie Sache der Tatsacheninstanzen. Dennoch geht es um Rechtsanwendung, nicht um Tatsachenfeststellung. Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz darauf hin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (st. Rspr., Senat 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219; 6. September 2007 - 2 AZR 722/06 - Rn. 40, BAGE 124, 59).
- 18
-
III. Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zwar liegt nach dem festgestellten Sachverhalt „an sich“ ein wichtiger Grund zur Kündigung vor. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch bei der vorzunehmenden Einzelfallprüfung und Interessenabwägung nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte einbezogen und zutreffend abgewogen.
- 19
-
1. Entgegen der Auffassung der Revision ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht deshalb zu beanstanden, weil dieses seiner rechtlichen Würdigung die fragliche Pflichtverletzung im Sinne einer erwiesenen Tat und nicht nur - wie die Beklagte selbst - einen entsprechenden Verdacht zugrunde gelegt hat.
- 20
-
a) Das Landesarbeitsgericht ist vom Fund zweier Leergutbons am 12. Januar 2008 und deren Aushändigung an die Klägerin durch den Marktleiter ausgegangen. Nach Beweisaufnahme hat es zudem für wahr erachtet, dass die Klägerin die beiden zunächst im Kassenbüro abgelegten Bons im Wert von 0,48 Euro und 0,82 Euro zu einem unbestimmten Zeitpunkt an sich nahm und am 22. Januar 2008 bei einem Einkauf zu ihren Gunsten einlöste; dadurch ermäßigte sich die Kaufsumme für sie um 1,30 Euro. Darin hat es ein vorsätzliches, pflichtwidriges Verhalten der Klägerin erblickt.
- 21
-
b) An die vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist der Senat gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die Klägerin hat - auch wenn sie vorsätzliches Fehlverhalten weiterhin in Abrede stellt - von Angriffen gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts ausdrücklich abgesehen.
- 22
-
c) Einer Würdigung des Geschehens unter der Annahme, die Klägerin habe sich nachweislich pflichtwidrig verhalten, steht nicht entgegen, dass die Beklagte sich zur Rechtfertigung der Kündigung nur auf einen entsprechenden Verdacht berufen und den Betriebsrat auch nur zu einer Verdachtskündigung angehört hat.
- 23
-
aa) Das Landesarbeitsgericht hat auf diese Weise nicht etwa Vortrag berücksichtigt, den die Beklagte nicht gehalten hätte. Der Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens stellt zwar gegenüber dem Tatvorwurf einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (st. Rspr., Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 55 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Beide Gründe stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Wird die Kündigung mit dem Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens begründet, steht indessen zur Überzeugung des Gerichts die Pflichtwidrigkeit tatsächlich fest, lässt dies die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Kündigung unberührt. Maßgebend ist allein der objektive Sachverhalt, wie er sich dem Gericht nach Parteivorbringen und ggf. Beweisaufnahme darstellt. Ergibt sich daraus nach tatrichterlicher Würdigung das Vorliegen einer Pflichtwidrigkeit, ist das Gericht nicht gehindert, dies seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber sich während des Prozesses darauf berufen hat, er stütze die Kündigung auch auf die erwiesene Tat (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - aaO mwN).
- 24
-
bb) Der Umstand, dass der Betriebsrat ausschließlich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung gehört wurde, steht dem nicht entgegen. Die gerichtliche Berücksichtigung des Geschehens als erwiesene Tat setzt voraus, dass dem Betriebsrat - ggf. im Rahmen zulässigen „Nachschiebens“ - diejenigen Umstände mitgeteilt worden sind, welche nicht nur den Tatverdacht, sondern zur Überzeugung des Gerichts auch den Tatvorwurf begründen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 474/07 - Rn. 59 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 47 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 8). Bei dieser Sachlage ist dem Normzweck des § 102 Abs. 1 BetrVG auch durch eine Anhörung nur zur Verdachtskündigung genüge getan. Dem Betriebsrat wird dadurch nichts vorenthalten. Die Mitteilung des Arbeitgebers, einem Arbeitnehmer solle schon und allein wegen des Verdachts einer pflichtwidrigen Handlung gekündigt werden, gibt ihm sogar weit stärkeren Anlass für ein umfassendes Tätigwerden als eine Anhörung wegen einer als erwiesen behaupteten Tat (Senat 3. April 1986 - 2 AZR 324/85 - zu II 1 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 18 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 63; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 217). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Das Landesarbeitsgericht hat seiner Entscheidung ausschließlich solche - aus seiner Sicht bewiesene - Tatsachen zugrunde gelegt, die Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren.
- 25
-
2. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise - unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe eines eingetretenen Schadens - als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht.
- 26
-
a) Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche - ggf. strafbare - Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Ein solches Verhalten kann auch dann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat(Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 16, 17, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 12. August 1999 - 2 AZR 923/98 - zu II 2 b aa der Gründe, BAGE 92, 184; 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - zu II 1 der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 14 = EzA BGB § 626 nF Nr. 90).
- 27
-
b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen will(so LAG Köln 30. September 1999 - 5 Sa 872/99 - zu 2 der Gründe, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg 8. Juli 1998 - 4 Sa 38/97 - zu II 3 a aa der Gründe, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen 4. Juni 1996 - 1 Ca 73/96 - RzK I 6 d Nr. 12; Däubler Das Arbeitsrecht 2 12. Aufl. Rn. 1128; eingeschränkt Gerhards BB 1996, 794, 796), überzeugt nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind. Aus diesem Grund ist die Festlegung einer nach dem Wert bestimmten Relevanzschwelle mit dem offen gestalteten Tatbestand des § 626 Abs. 1 BGB nicht zu vereinbaren. Sie würfe im Übrigen mannigfache Folgeprobleme auf - etwa das einer exakten Wertberechnung, das der Folgen mehrfacher, für sich betrachtet „irrelevanter“ Verstöße sowie das der Behandlung nur marginaler Grenzüberschreitungen - und vermöchte schon deshalb einem angemessenen Interessenausgleich schwerlich zu dienen.
- 28
-
c) Mit seiner Auffassung setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zu der in § 248a StGB getroffenen Wertung. Nach dieser Bestimmung werden Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen nur auf Antrag oder bei besonderem öffentlichem Interesse verfolgt. Der Vorschrift liegt eine Einschätzung des Gesetzgebers darüber zugrunde, ab welcher Grenze staatliche Sanktionen für Rechtsverstöße in diesem Bereich zwingend geboten sind. Ein solcher Ansatz ist dem Schuldrecht fremd. Hier geht es um störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese - vergleichbar einer staatlichen Maßnahme - als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., Senat 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - Rn. 10, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 61 = EzA BGB 2002 § 611 Abmahnung Nr. 5; 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 32, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17).
- 29
-
d) Ebenso wenig besteht ein Wertungswiderspruch zwischen der Auffassung des Senats und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses erkennt zwar bei der disziplinarrechtlichen Beurteilung vergleichbarer Dienstvergehen eines Beamten die Geringwertigkeit der betroffenen Vermögensobjekte als Milderungsgrund an (BVerwG 13. Februar 2008 - 2 WD 9/07 - DÖV 2008, 1056; 24. November 1992 - 1 D 66/91 - zu 3 der Gründe, BVerwGE 93, 314; bei kassenverwaltender Tätigkeit: BVerwG 11. November 2003 - 1 D 5/03 - zu 4 b der Gründe). Dies geschieht jedoch vor dem Hintergrund einer abgestuften Reihe von disziplinarischen Reaktionsmöglichkeiten des Dienstherrn. Diese reichen von der Anordnung einer Geldbuße (§ 7 BDG) über die Kürzung von Dienstbezügen (§ 8 BDG) und die Zurückstufung (§ 9 BDG) bis zur Entfernung aus dem Dienst (§ 13 Abs. 2 BDG). Eine solche Reaktionsbreite kennt das Arbeitsrecht nicht. Der Arbeitgeber könnte auf die „Entfernung aus dem Dienst“ nicht zugunsten einer Kürzung der Vergütung verzichten. Wertungen, wie sie für das in der Regel auf Lebenszeit angelegte, durch besondere Treue- und Fürsorgepflichten geprägte Dienstverhältnis der Beamten und Soldaten getroffen werden, lassen sich deshalb auf eine privatrechtliche Leistungsbeziehung regelmäßig nicht übertragen (Keiser JR 2010, 55, 57 ff.; Reuter NZA 2009, 594, 595).
- 30
-
e) Das Landesarbeitsgericht hat das Verhalten der Klägerin als „Vermögensdelikt“ zulasten der Beklagten gewürdigt, hat aber offen gelassen, welchen straf- und/oder zivilrechtlichen Deliktstatbestand es als erfüllt ansieht. Das ist im Ergebnis unschädlich. Das Verhalten der Klägerin kommt auch dann als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht, wenn es - wie die Revision im Anschluss an Äußerungen in der Literatur (Hüpers Jura 2010, 52 ff.; Schlösser HRRS 2009, 509 ff.) meint - nicht strafbar sein sollte, jedenfalls nicht im Sinne eines Vermögensdelikts zum Nachteil der Beklagten. Für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend. Entscheidend ist der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - Rn. 28, AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 8; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - Rn. 29, AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; 21. April 2005 - 2 AZR 255/04 - zu B II 1 der Gründe, BAGE 114, 264; Preis AuR 2010, 242 f.). Auch eine nicht strafbare, gleichwohl erhebliche Verletzung der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Pflichten kann deshalb ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB sein. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die Pflichtverletzung mit einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine den unmittelbaren Vermögensinteressen des Arbeitgebers dienende Weisung einhergeht (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 459).
- 31
-
f) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Die Klägerin hat sich mit dem Einlösen der Leergutbons gegenüber der Beklagten einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Ihr Verhalten wiegt umso schwerer, als sie eine konkrete Anordnung des Marktleiters zum Umgang mit den Bons missachtet hat. Es kommt nicht darauf an, ob sie damit schon gegen ihre Hauptleistungspflichten als Kassiererin oder gegen ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen hat. In jedem Fall gehört die Pflicht zur einschränkungslosen Wahrung der Vermögensinteressen der Beklagten zum Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Die Schwere der Pflichtverletzung hängt von einer exakten Zuordnung nicht ab. Die Vorgabe des Marktleiters, die Bons nach einer gewissen Zeit als „Fehlbons“ zu verbuchen, sollte sicherstellen, dass die Beklagte insoweit nicht mehr in Anspruch genommen würde. Ob damit den Interessen der Kunden ausreichend Rechnung getragen wurde, ist im Verhältnis der Parteien ohne Bedeutung. Die Klägerin jedenfalls durfte die Bons nicht zum eigenen Vorteil einlösen.
- 32
-
3. Die fristlose Kündigung ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten der Klägerin hätte eine Abmahnung ausgereicht. Dies vermag der Senat selbst zu entscheiden.
- 33
-
a) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung zwar ein Beurteilungsspielraum zu(Senat 11. Dezember 2003 - 2 AZR 36/03 - zu II 1 f der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 179 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 5). Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 36, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 61, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Ein solcher Fall liegt hier vor.
- 34
-
b) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (Senat 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, DB 2010, 1709; 10. November 2005 - 2 AZR 623/04 - Rn. 38 mwN, AP BGB § 626 Nr. 196 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 11). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (st. Rspr., Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 45, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7). Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck - die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen - zu erreichen (KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 251 mwN).
- 35
-
c) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 47 f., AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7; 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 55 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (Senat 4. Juni 1997 - 2 AZR 526/96 - zu II 1 b der Gründe, BAGE 86, 95).
- 36
-
aa) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (Schlachter NZA 2005, 433, 436). Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 283/08 - Rn. 14 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Abmahnung Nr. 5 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 75; Staudinger/Preis <2002> § 626 BGB Rn. 109). Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (Senat 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82).
- 37
-
bb) Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB iVm. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren(Senat 12. Januar 2006 - 2 AZR 179/05 - Rn. 56 mwN, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 54 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Einer Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (vgl. Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 19. April 2007 - 2 AZR 180/06 - Rn. 48 mwN, AP BGB § 174 Nr. 20 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 7).
- 38
-
cc) Diese Grundsätze gelten uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (Senat 23. Juni 2009 - 2 AZR 103/08 - Rn. 33, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59 = EzTöD 100 TVöD-AT § 34 Abs. 2 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 17; 27. April 2006 - 2 AZR 415/05 - Rn. 19, AP BGB § 626 Nr. 203 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 17). Auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (vgl. auch Erman/Belling BGB 12. Aufl. § 626 Rn. 62; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 264; Preis AuR 2010, 242, 244; Reichel AuR 2004, 252; Schlachter NZA 2005, 433, 437).
- 39
-
d) Danach war eine Abmahnung hier nicht entbehrlich.
- 40
-
aa) Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass es einer Abmahnung nicht deshalb bedurfte, um bei der Klägerin die mögliche Annahme zu beseitigen, die Beklagte könnte mit der eigennützigen Verwendung der Bons einverstanden sein. Einer mutmaßlichen Einwilligung - die in anderen Fällen, etwa der Verwendung wertloser, als Abfall deklarierter Gegenstände zum Eigenverbrauch oder zur Weitergabe an Hilfsbedürftige oder dem Aufladen eines Mobiltelefons im Stromnetz des Arbeitgebers, naheliegend sein mag - stand im Streitfall die Weisung des Filialleiters entgegen, die keine Zweifel über den von der Beklagten gewünschten Umgang mit den Bons aufkommen ließ. Auf mögliche Unklarheiten in den allgemeinen Anweisungen der Beklagten zur Behandlung von Fundsachen und Fundgeld kommt es deshalb nicht an.
- 41
-
bb) Mit Recht hat das Landesarbeitsgericht zudem angenommen, das Verhalten der Klägerin stelle eine objektiv schwerwiegende, das Vertrauensverhältnis der Parteien erheblich belastende Pflichtverletzung dar.
- 42
-
(1) Mit der eigennützigen Verwendung der Leergutbons hat sich die Klägerin bewusst gegen die Anordnung des Filialleiters gestellt. Schon dies ist geeignet, das Vertrauen der Beklagten in die zuverlässige Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben als Kassiererin zu erschüttern. Erschwerend kommt hinzu, dass die Bons gerade ihr zur Verwahrung und ggf. Buchung als „Fehlbons“ übergeben worden waren. Das Fehlverhalten der Klägerin berührt damit den Kernbereich ihrer Arbeitsaufgaben. Sie war als Verkäuferin mit Kassentätigkeit beschäftigt. Als solche hat sie den weisungsgemäßen Umgang mit Leergutbons gleichermaßen sicher zu stellen wie den mit ihr anvertrautem Geld. Die Beklagte muss sich auf die Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einer mit Kassentätigkeiten betrauten Arbeitnehmerin in besonderem Maße verlassen dürfen. Sie muss davon ausgehen können, dass ihre Weisungen zum Umgang mit Sach- und Vermögenswerten unabhängig von deren Wert und den jeweiligen Eigentumsverhältnissen korrekt eingehalten werden. Als Einzelhandelsunternehmen ist die Beklagte besonders anfällig dafür, in der Summe hohe Einbußen durch eine Vielzahl für sich genommen geringfügiger Schädigungen zu erleiden. Verstößt eine Arbeitnehmerin, deren originäre Aufgabe es ist, Einnahmen zu sichern und zu verbuchen, vorsätzlich und zur persönlichen Bereicherung gegen eine Pflicht, die gerade dem Schutz des Eigentums und Vermögens des Arbeitgebers oder eines Kunden dient, liegt darin regelmäßig ein erheblicher, das Vertrauen in ihre Redlichkeit beeinträchtigender Vertragsverstoß.
- 43
-
(2) Der Einwand der Klägerin, ein Vertrauen auf Seiten der Beklagten bestehe ohnehin nicht, wie die in den Märkten praktizierte Videoüberwachung zeige, geht fehl. Jeder Arbeitnehmer hat die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedürfte. Erweist sich ein zunächst unspezifisches, nicht auf konkrete Personen bezogenes, generelles „Misstrauen“ des Arbeitgebers schließlich im Hinblick auf einen bestimmten Mitarbeiter als berechtigt, wird erst und nur dadurch das Vertrauen in dessen Redlichkeit tatsächlich erschüttert.
- 44
-
cc) Auch wenn deshalb das Verhalten der Klägerin das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet hat, so hat das Landesarbeitsgericht doch den für die Klägerin sprechenden Besonderheiten nicht hinreichend Rechnung getragen.
- 45
-
(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe nicht damit rechnen können, die Beklagte werde ihr Verhalten auch nur einmalig hinnehmen, ohne eine Kündigung auszusprechen. Die Klägerin habe ihre Pflichten als Kassiererin „auf das Schwerste“ verletzt. Mit dieser Würdigung ist es den Besonderheiten des Streitfalls nicht ausreichend gerecht geworden. Die Klägerin hat an der Kasse in unmittelbarer Anwesenheit ihrer Vorgesetzten bei einer nicht befreundeten Kollegin unabgezeichnete Leergutbons eingelöst. Dass sie mangels Abzeichnung nach den betrieblichen Regelungen keinen Anspruch auf eine Gutschrift hatte, war für die Kassenmitarbeiterin und die Vorgesetzte offenkundig und nicht zu übersehen. Das wusste auch die Klägerin, die deshalb aus ihrer Sicht unweigerlich würde Aufmerksamkeit erregen und Nachfragen auslösen müssen. Das zeigt, dass sie ihr Verhalten - fälschlich - als notfalls tolerabel oder jedenfalls korrigierbar eingeschätzt haben mag und sich eines gravierenden Unrechts offenbar nicht bewusst war. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht.
- 46
-
(2) Das Landesarbeitsgericht hat die Einmaligkeit der Pflichtverletzung und die als beanstandungsfrei unterstellte Betriebszugehörigkeit der Klägerin von gut drei Jahrzehnten zwar erwähnt, ihnen aber kein ausreichendes Gewicht beigemessen.
- 47
-
(a) Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben. Das gilt auch bei Pflichtverstößen im unmittelbaren Vermögensbereich (Senat 13. Dezember 1984 - 2 AZR 454/83 - zu III 3 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 81 = EzA BGB § 626 nF Nr. 94). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist.
- 48
-
(b) Die Klägerin hat durch eine beanstandungsfreie Tätigkeit als Verkäuferin und Kassiererin über dreißig Jahre hinweg Loyalität zur Beklagten gezeigt.
- 49
-
(aa) Der Senat hatte davon auszugehen, dass diese Zeit ohne rechtlich relevante Beanstandungen verlaufen ist. Gegenstand einer der Klägerin erteilten Abmahnung war eine vor Kunden abgegebene, abfällige Äußerung gegenüber einem Arbeitskollegen. Dieses Verhalten steht mit dem Kündigungsvorwurf in keinerlei Zusammenhang; im Übrigen wurde die Abmahnung ein Jahr später aus der Personalakte entfernt. Schon aus tatsächlichen Gründen unbeachtlich ist das Geschehen im Zusammenhang mit der Einlösung eines Sondercoupons im November 2007. Die Klägerin hat im Einzelnen und plausibel dargelegt, weshalb ihr dabei im Ergebnis keine Bonuspunkte zugeschrieben worden seien, die ihr nicht zugestanden hätten. Dem ist die Beklagte nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten.
- 50
-
(bb) Das in dieser Beschäftigungszeit von der Klägerin erworbene Maß an Vertrauen in die Korrektheit ihrer Aufgabenerfüllung und in die Achtung der Vermögensinteressen der Beklagten schlägt hoch zu Buche. Angesichts des Umstands, dass nach zehn Tagen Wartezeit mit einer Nachfrage der in Wahrheit berechtigten Kunden nach dem Verbleib von Leergutbons über Cent-Beträge aller Erfahrung nach nicht mehr zu rechnen war, und der wirtschaftlichen Geringfügigkeit eines der Beklagten entstandenen Nachteils ist es höher zu bewerten als deren Wunsch, nur eine solche Mitarbeiterin weiterzubeschäftigen, die in jeder Hinsicht und ausnahmslos ohne Fehl und Tadel ist. Dieser als solcher berechtigte Wunsch macht der Beklagten die Weiterbeschäftigung der Klägerin trotz ihres Pflichtenverstoßes mit Blick auf die bisherige Zusammenarbeit nicht unzumutbar. Objektiv ist das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Klägerin nicht derart erschüttert, dass dessen vollständige Wiederherstellung und ein künftig erneut störungsfreies Miteinander der Parteien nicht in Frage käme.
- 51
-
(3) Das prozessuale Verteidigungsvorbringen der Klägerin steht dieser Würdigung nicht entgegen.
- 52
-
(a) Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen(Senat 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245).
- 53
-
(b) Nachträglich eingetretene Umstände können nach der Rechtsprechung des Senats für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (Senat 13. Oktober 1977 - 2 AZR 387/76 - zu III 3 d der Gründe, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 74 Nr. 3; 28. Oktober 1971 - 2 AZR 15/71 - zu II 2 d der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 62 = EzA BGB § 626 nF Nr. 9; 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - zu III der Gründe, BAGE 2, 245). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO; ErfK/Müller-Glöge 10. Aufl. § 626 Rn. 54; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 177; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 551; vgl. auch Walker NZA 2009, 921, 922). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (Senat 15. Dezember 1955 - 2 AZR 228/54 - aaO). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (vgl. Senatsentscheidungen vom 24. November 2005 - 2 AZR 39/05 - AP BGB § 626 Nr. 197 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 12 und 3. Juli 2003 - 2 AZR 437/02 - AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 38 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2)gilt nichts anderes.
- 54
-
(c) Danach kommt dem Prozessverhalten der Klägerin keine ihre Pflichtverletzung verstärkende Bedeutung zu. Es ist nicht geeignet, den Kündigungssachverhalt als solchen zu erhellen. Der besteht darin, dass die Klägerin unberechtigterweise ihr nicht gehörende Leergutbons zweier Kunden zum eigenen Vorteil eingelöst hat.
- 55
-
(aa) Dieser Vorgang erscheint insbesondere im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr nicht dadurch in einem anderen, für die Klägerin ungünstigeren Licht, dass diese zunächst die Identität der von ihr eingelösten und der im Kassenbüro aufbewahrten Bons bestritten hat. Das Gleiche gilt im Hinblick darauf, dass die Klägerin auch noch im Prozessverlauf die Möglichkeit bestimmter Geschehensabläufe ins Spiel gebracht hat, die erklären könnten, weshalb sie - wie sie stets behauptet hat - selbst bei Identität der Bons nicht wusste, dass sie ihr nicht gehörende Bons einlöste. Die von der Klägerin aufgezeigten Möglichkeiten einschließlich der einer gegen sie geführten Intrige mögen sich wegen der erforderlich gewordenen Befragungen der betroffenen Arbeitnehmer nachteilig auf den Betriebsfrieden ausgewirkt haben. Dies war aber nicht Kündigungsgrund. Unabhängig davon zielte das Verteidigungsvorbringen der Klägerin erkennbar nicht darauf, Dritte einer konkreten Pflichtverletzung zu bezichtigen. Der Kündigungsgrund wird auch nicht dadurch klarer, dass die Klägerin die Rechtsauffassung vertreten hat, erstmalige Vermögensdelikte zulasten des Arbeitgebers könnten bei geringem wirtschaftlichem Schaden eine außerordentliche Kündigung ohne vorausgegangene Abmahnung nicht rechtfertigen. Damit hat sie lediglich in einer rechtlich umstrittenen Frage einen für sie günstigen Standpunkt eingenommen. Daraus kann nicht abgeleitet werden, sie werde sich künftig bei Gelegenheit in gleicher Weise vertragswidrig verhalten.
- 56
-
(bb) Das Prozessverhalten der Klägerin mindert ebenso wenig das bei der Interessenabwägung zu berücksichtigende Maß des verbliebenen Vertrauens. Auch für dessen Ermittlung ist auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs abzustellen. Aus dieser Perspektive und im Hinblick auf den bis dahin verwirklichten Kündigungssachverhalt ist zu fragen, ob mit der Wiederherstellung des Vertrauens in eine künftig korrekte Vertragserfüllung gerechnet werden kann. In dieser Hinsicht ist das Verteidigungsvorbringen der Klägerin ohne Aussagekraft. Ihr wechselnder Vortrag und beharrliches Leugnen einer vorsätzlichen Pflichtwidrigkeit lassen keine Rückschlüsse auf ihre künftige Zuverlässigkeit als Kassiererin zu. Das gilt gleichermaßen für mögliche, während des Prozesses aufgestellte Behauptungen der Klägerin über eine ihr angeblich von der Kassenleiterin angetragene Manipulation im Zusammenhang mit der Einlösung von Sondercoupons im November 2007 und mögliche Äußerungen gegenüber Pressevertretern.
- 57
-
(cc) Anders als die Beklagte meint, wird dadurch nicht Verstößen gegen die prozessuale Wahrheitspflicht „Tür und Tor geöffnet“. Im Fall eines bewusst wahrheitswidrigen Vorbringens besteht die Möglichkeit, eine weitere Kündigung auszusprechen oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG anzubringen. Dabei kann nicht jeder unzutreffende Parteivortrag als „Lüge“ bezeichnet werden. Die Wahrnehmung eines Geschehens ist generell nicht unbeeinflusst vom äußeren und inneren Standpunkt des Wahrnehmenden. Gleiches gilt für Erinnerung und Wiedergabe, zumal in einem von starker Polarität geprägten Verhältnis, wie es zwischen Prozessparteien häufig besteht. Wenn sich das Gericht nach den Regeln des Prozessrechts in §§ 138, 286 ZPO die - rechtlich bindende, aber um deswillen nicht der Gefahr des Irrtums enthobene - Überzeugung bildet, ein bestimmter Sachverhalt habe sich so und nicht anders zugetragen, ist damit die frühere, möglicherweise abweichende Darstellung einer Partei nicht zugleich als gezielte Irreführung des Gerichts oder der Gegenpartei ausgewiesen. Es bedarf vielmehr besonderer Anhaltspunkte, um einen solchen - schweren - Vorwurf zu begründen.
- 58
-
B. Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30. September 2008 ist unwirksam. Auch dies vermag der Senat selbst zu entscheiden. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin iSv. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Sie ist auf denselben Lebenssachverhalt gestützt wie die außerordentliche Kündigung. Der Beklagten war es aus den dargelegten Gründen zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.
-
C. Der Antrag auf Beschäftigung, der sich ersichtlich auf die Dauer des Kündigungsrechtsstreits beschränkte, kommt wegen der Beendigung des Verfahrens nicht mehr zum Tragen.
-
Kreft
Schmitz-Scholemann
Berger
Torsten Falke
Bartz
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
(1) Den Wert des Streitgegenstands setzt das Arbeitsgericht im Urteil fest.
(2) Spricht das Urteil die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung aus, so ist der Beklagte auf Antrag des Klägers zugleich für den Fall, daß die Handlung nicht binnen einer bestimmten Frist vorgenommen ist, zur Zahlung einer vom Arbeitsgericht nach freiem Ermessen festzusetzenden Entschädigung zu verurteilen. Die Zwangsvollstreckung nach §§ 887 und 888 der Zivilprozeßordnung ist in diesem Fall ausgeschlossen.
(3) Ein über den Grund des Anspruchs vorab entscheidendes Zwischenurteil ist wegen der Rechtsmittel nicht als Endurteil anzusehen.
(1) Das Urteilsverfahren findet in den in § 2 Abs. 1 bis 4 bezeichneten bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten Anwendung.
(2) Für das Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Verfahren vor den Amtsgerichten entsprechend, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt. Die Vorschriften über den frühen ersten Termin zur mündlichen Verhandlung und das schriftliche Vorverfahren (§§ 275 bis 277 der Zivilprozeßordnung), über das vereinfachte Verfahren (§ 495a der Zivilprozeßordnung), über den Urkunden- und Wechselprozeß (§§ 592 bis 605a der Zivilprozeßordnung), über die Musterfeststellungsklage (§§ 606 bis 613 der Zivilprozessordnung), über die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung) und über die Verlegung von Terminen in der Zeit vom 1. Juli bis 31. August (§ 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung) finden keine Anwendung. § 127 Abs. 2 der Zivilprozessordnung findet mit der Maßgabe Anwendung, dass die sofortige Beschwerde bei Bestandsschutzstreitigkeiten unabhängig von dem Streitwert zulässig ist.
(1) Gegen die Urteile der Arbeitsgerichte findet, soweit nicht nach § 78 das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben ist, die Berufung an die Landesarbeitsgerichte statt.
(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,
- a)
wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist, - b)
wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt, - c)
in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder - d)
wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.
(3) Das Arbeitsgericht hat die Berufung zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Rechtssache Rechtsstreitigkeiten betrifft - a)
zwischen Tarifvertragsparteien aus Tarifverträgen oder über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen, - b)
über die Auslegung eines Tarifvertrags, dessen Geltungsbereich sich über den Bezirk eines Arbeitsgerichts hinaus erstreckt, oder - c)
zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfs oder um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt, oder
- 3.
das Arbeitsgericht in der Auslegung einer Rechtsvorschrift von einem ihm im Verfahren vorgelegten Urteil, das für oder gegen eine Partei des Rechtsstreits ergangen ist, oder von einem Urteil des im Rechtszug übergeordneten Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
(3a) Die Entscheidung des Arbeitsgerichts, ob die Berufung zugelassen oder nicht zugelassen wird, ist in den Urteilstenor aufzunehmen. Ist dies unterblieben, kann binnen zwei Wochen ab Verkündung des Urteils eine entsprechende Ergänzung beantragt werden. Über den Antrag kann die Kammer ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(4) Das Landesarbeitsgericht ist an die Zulassung gebunden.
(5) Ist die Berufung nicht zugelassen worden, hat der Berufungskläger den Wert des Beschwerdegegenstands glaubhaft zu machen; zur Versicherung an Eides Statt darf er nicht zugelassen werden.
(6) Für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Berufung entsprechend. Die Vorschriften über das Verfahren vor dem Einzelrichter finden keine Anwendung.
(7) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1 und 3, des § 50, des § 51 Abs. 1, der §§ 52, 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 bis 9, Abs. 2 und 4, des § 54 Absatz 6, des § 54a, der §§ 56 bis 59, 61 Abs. 2 und 3 und der §§ 62 und 63 über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellungen, persönliches Erscheinen der Parteien, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, Güterichter, Mediation und außergerichtliche Konfliktbeilegung, Vorbereitung der streitigen Verhandlung, Verhandlung vor der Kammer, Beweisaufnahme, Versäumnisverfahren, Inhalt des Urteils, Zwangsvollstreckung und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen gelten entsprechend.
(8) Berufungen in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind vorrangig zu erledigen.