Verwaltungsgericht Würzburg Urteil, 30. März 2016 - W 2 K 14.50204

bei uns veröffentlicht am30.03.2016

Gericht

Verwaltungsgericht Würzburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger, ein am ... ... 1978 geborener syrischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig sowie gegen die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn im Rahmen des sogenannten Dublin-Verfahrens.

Der Kläger reiste am 4. August 2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 23. September 2014 einen Asylantrag. Nach eigenen Angaben war er am 2. Februar 2013 von Syrien in die Türkei aufgebrochen, wo er ein Jahr gelebt habe. Im Anschluss daran sei er über Griechenland, Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Deutschland eingereist. Er sei in Griechenland, Serbien und Ungarn erkennungsdienstlich behandelt worden. Ein Eurodac-Abgleich seiner biometrischen Daten vom 26. September 2014 ergab, dass er am 27. Juli 2014 in Ungarn Asyl beantragt hatte.

Auf das Übernahmeersuchen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 14. November 2014 hin, erklärten die ungarischen Behörden mit Schreiben vom 24. November 2014 gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b) Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (sog. Dublin III-VO) ihre Bereitschaft den Kläger wiederaufzunehmen.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Ziffer 2). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG (nunmehr AslyG) unzulässig, da Ungarn aufgrund des dort gestellten Asylantrags für die Behandlung zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht auszuüben, seien nicht ersichtlich. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Ungarn durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG (nunmehr AsylG). Der Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 16. Dezember 2014 nach fehlgeschlagenem Übergabeversuch in der nächstgelegenen Postfiliale niedergelegt und die schriftliche Mitteilung darüber im Büro der Gemeinschaftsunterkunft abgegeben.

Mit Telefax seiner Bevollmächtigten vom 22. Dezember 2014, eingegangen bei Gericht am 23. Dezember 2014, ließ der Kläger Klage erheben. Ungarn erfülle die Voraussetzungen eines sicheren Drittstaats nicht. Die dort herrschende menschenunwürdige Behandlung von Asylsuchenden, einschließlich der Möglichkeit der Festnahme und Inhaftierung bis zur Entscheidung stelle einen systemischen Mangel dar. Unter Bezugnahme auf den UNHCR lässt er vortragen, die der Identitätsprüfung dienende Haftdauer sei unverhältnismäßig, die richterliche Überprüfung unzureichend. Auch die Aufnahmebedingungen vor und nach der Asylantragstellung seien menschenunwürdig. Es sei weder eine den Genfer Konventionen genügende Unterkunft, noch eine ärztliche Versorgung oder der Unterhalt des täglichen Lebens gewährleistet. In Ungarn registrierte Flüchtlinge hätten regelmäßig mit der Rückschiebung in nicht sichere Drittländer, insbesondere Serbien, zu rechnen.

Er lässt beantragen,

die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10.12.2014 die Flüchtlingseigenschaft des Klägers festzustellen.

Die Beklagt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.

Nachdem der Kläger sich in zwei Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfolglos gegen den Vollzug der Abschiebung gewendet hatte, wurde er am 16. April 2015 bundespolizeilich nach Ungarn überstellt.

Mit Beschluss vom 30. März 2015 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die Akten in den Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (W S 14.50205 und W 2 E 15.50080) sowie die beigezogene Bundesamtsakte verwiesen.

Gründe

Gem. § 101 Abs. 2 VwGO kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Seitens des Klägers wurde mit Schriftsatz vom 4. Februar 2015 das Einverständnis mit einem Urteil im schriftlichen Verfahren erklärt. Seitens der Beklagten wird auf die allgemeine Prozesserklärung des Bundesamts vom 25. Februar 2016 Bezug genommen.

Hinsichtlich der Verpflichtung auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage bereits unzulässig. Wird ein Asylantrag unter Verweis auf die Unzuständigkeit nach den unionsrechtlichen Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (Dublin VO) als unzulässig abgelehnt, ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015, Az. 1 C 32/14 - juris). Der Erhebung einer auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage steht entgegen dass die unionsrechtlichen Regelungen ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren zur Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (vgl. BVerwG, a. a. O.).

Im Übrigen ist die Klage zwar zulässig, jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Bescheid wurde dem Kläger gem. § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG persönlich zugestellt. Die Zustellung mittels Niederlegung war gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG i. V. m. §§ 181 Abs. 1 Satz 2, 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO rechtmäßig. An der formellen Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen keine Zweifel.

Er ist auch materiell rechtmäßig.

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht wegen der Zuständigkeit Ungarns gem. § 26a AsylG als unzulässig abgelehnt. Gem. § 26a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Auf den am 27. Juli 2014 in Ungarn gestellten Asylantrag des Klägers hin, leitete Ungarn ein Asylverfahren ein und begründete damit - unbeschadet einer ggf. zuvor bestehenden Zuständigkeit Griechenlands - jedenfalls gem. Art 17 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO seine alleinige Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers. Damit ist Ungarn für den Asylantrag des Klägers zuständig. Die Bundesrepublik hat nicht vor der Möglichkeit Gebrauch gemacht, im Wege des Selbsteintrittsrechts gem. Art 17 Abs. 1 Dublin III-VO eine vorrangige eigene Zuständigkeit zu begründen. Das Bundesamt ist zu Recht davon ausgegangen, dass keine außergewöhnlichen humanitären Gründe vorliegen, die einen Selbsteintritt im Wege der Ermessensentscheidung gem. Art 17 Abs. 1 Dublin III-VO gebieten. Außergewöhnliche Umstände, die möglicherweise für eine Selbsteintrittspflicht bzw. für Ermessensfehler bei Verzicht auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts und deshalb für ein Recht der Antragsteller (zumindest) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung sprechen könnten, liegen nicht vor. Da der Kläger weder bei den Anhörungen im Bundesamt noch im Rahmen der von ihm verwaltungsgerichtlich betriebenen Verfahren individuelle Belange angeführt hat, die Anhaltspunkte für gerade seine Person treffende humanitäre Gründe liefern könnten, wäre die Verzichtsentscheidung gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO nur dann ermessensfehlerhaft, wenn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für rücküberstellte Asylbewerber in Ungarn systemische Schwachstellen aufwiese, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich brächten. Denn nur für diesen Fall sieht Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO ein rechtliches Hindernis für die Überstellung vor, das im Rahmen einer Entscheidung gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO bereits bei der Zuständigkeitsentscheidung zu berücksichtigen wäre. Nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 ff.) sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, U.v. 03.07.2014 - 71932/12 - UA Rn. 68 ff.; U.v. 06.06. 2013 - 2283/12 - Asylmagazin 10/2013, 342 ff.) leidet das ungarische Asylsystem jedoch nicht an systemischen Mängeln.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - juris) gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat im Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Genfer Flüchtlingskonvention steht. An den - in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten und nunmehr in Art. 3 Ab.s 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten - Ausnahmefall des „systemischen Mangels“ sind deswegen strenge Anforderungen zu stellen. Die im jeweiligen nationalen Asylsystem festzustellenden Mängel müssen demnach so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig sind, sondern in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen. Dies kann einerseits darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind, andererseits aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Asylsystem - mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis - in weiten Teilen aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft defizitär ist und funktionslos wird (vgl. BVerwG, B.v. 06.06.2014, Az. 10 B 35/14 - juris). Bei Beachtung dieser Maßgaben bestehen im für die Entscheidung gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine systemischen Mängel des ungarischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen i. S.v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Dies gilt jedenfalls für Antragsteller, die - wie der Kläger - keinem Personenkreis angehören, der besonders schutzbedürftig wäre, wie bsp. Familien mit kleinen Kindern.

Dabei verkennt die Einzelrichterin nicht das Bestehen der in den vorliegenden Berichten dargestellten Missstände, insbesondere bei der Inhaftierungspraxis und den Unterbringungsbedingungen in Ungarn. Diese begründen jedoch für sich keine systemischen Mängel i. S. der oben dargestellten Kriterien.

Anders als bei Griechenland oder teilweise Bulgarien hat auch der UNHCR - trotz seiner kritischen Stellungnahme vom 3. Juli 2015 - bislang keine generelle Empfehlung ausgesprochen, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Angesichts der Rolle, die dem UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen wurde, kommen den Dokumenten des UNHCR bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-VO zu bestimmenden Drittstaat ein besonderer Stellenwert zu.

Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat sich zwar in einer Entscheidung vom 6. Juni 2013 (Nr. 2283/12, InfAuslR 2014, 197ff.) kritisch mit den Verhältnissen in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 auseinandergesetzt, in seiner neueren Entscheidung vom 3. Juli 2014 (NLMR 2014, 282ff.) jedoch ausdrücklich hervorgehoben, dass angesichts der festzustellenden Änderungen des Asylrechts wie auch der tatsächlichen Behandlung von Drittstaatsangehörigen in Ungarn zu Beginn des Jahren 2014 Art. 3 EMRK der Rückführung eines Aslysuchenden im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht entgegensteht.

Auch und gerade unter Einbeziehung der neuesten Berichte zur tatsächlichen Situation in Ungarn - vor allem im Hinblick auf die Inhaftierung von Dublin-Rückkehrern - ist festzustellen, dass die dort genannten Missstände nicht die Qualität systemischer Mängel erreichen. Insbesondere enthält die jüngste Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg keine Erkenntnisse, die auf eine neuerliche Verschlechterung der tatsächlichen Situation - im Vergleich zur von UNHCR und EGMR beurteilten Lage - schließen ließen. So sind laut Auskunft des AA vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg beispielsweise Erkrankungen in Ungarn in gleicher Weise behandelbar wie in Deutschland. Das ungarische Asylgesetz regelt detailliert, welche medizinische Versorgung Asylbewerber erhalten. Neben einer ärztlichen Grundversorgung, die in den jeweiligen Einrichtungen für Asylbewerber durch Bereitstellung von Ärzten und Medikamenten sichergestellt ist, beinhalten die Regelungen auch, dass in schwerwiegenderen Fällen, in denen die vor Ort bereitgestellten Möglichkeiten nicht ausreichen, eine Zuweisung in die Allgemein- oder Spezialeinrichtungen des Gesundheitssystems durch den behandelnden Arzt erfolgen kann, wenn dieses aus medizinischen Gründen für notwendig erachtet wird. Alle Krankenstationen der Aufnahme- und Asyleinrichtungen werden von der ungarischen Gesundheitsbehörde geprüft. Was die Inhaftierung von Asylbewerbern anbelangt, so wurde zwar die Praxis, Antragsteller aus bestimmten Herkunftsländern nicht in Asylhaft zu nehmen, aufgegeben, da vermehrt Staatsangehörigkeitstäuschungen festgestellt wurden. Jedoch darf die Asylhaft nicht nur deshalb angeordnet werden, weil ein Asylantrag gestellt wurde. Im Rahmen jeder Haftanordnung ist von der Asylbehörde zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann. Erstmalig kann die Asylhaft maximal für 72 Stunden angeordnet werden. Eine Haftverlängerung ist maximal um 60 Tage möglich. Sie ist zu begründen und wird gerichtlich überprüft. Die Haftdauer darf insgesamt sechs Monate nicht überschreiten. Für die Einzelheiten der aktuellen Haftbedingungen, insbesondere die medizinische Behandlung, die Möglichkeiten zur Beschwerde, die Überwachung der Einrichtungen durch die ungarische Staatsanwaltschaft, die räumliche Ausstattung, die Bewegungsmöglichkeiten der Insassen sowie die Betreuung der Asylbewerber wird ebenfalls auf Auskunft des AA vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg verwiesen. Zwar liegen keine offiziellen statistischen Informationen vor, ob „Dublin-Rückkehrer“ regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, da für sie die gleichen gesetzlichen Grundlage wie für Nicht-Dublin-Fälle gelten (vgl. Auskunft des AA vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg). Jedoch ist auch in diesen Fällen die Haftanordnung sowie eine etwaige Verlängerung im Einzelfall zu begründen und gerichtlich überprüfbar. Zudem ist gewährleistet, dass das Asylverfahren eines Dublin-Rückkehrers, dessen zuvor in Ungarn gestellter Asylantrag noch nicht in der Sache geprüft wurde, wieder aufgenommen und vollumfänglich geprüft wird (vgl. Auskunft des AA vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg). Sofern ein Antrag als unzulässig beschieden werden soll, weil ein sicherer Drittstaat für den Antragsteller qualifiziert werden kann, wird dem Antragsteller Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Ihm steht der Weg zu den Gerichten offen. Die Klage hat aufschiebende Wirkung.

Sofern der Kläger, der nach eigenen Angaben am 24. Juli 2014 in Serbien erkennungsdienstlich behandelt wurde und die serbischungarische Grenze am 27. Juli 2014 passierte, die Befürchtung einer Rückschiebung nach Serbien vorträgt, kann dies für seinen konkreten Fall aufgrund der ungarischserbischen Rückübernahmevereinbarungen ausgeschlossen werden. Denn danach ist eine Übernahme durch Serbien ausgeschlossen, wenn zwischen dem Grenzübertritt zwischen Serbien und Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (vgl. Auskunft des AA vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg).

Vor diesem Hintergrund folgt das Gericht nicht der vom Klägerbevollmächtigten teilweise zitierten Rechtsprechung, die das Vorliegen systemischer Mängel in Ungarn nunmehr für gegeben bzw. für überprüfungsbedürftig hält (vgl. so etwa VG Arnsberg, B.v. 4.11.2015 - 6 L 1171/15.A - juris; VG Oldenburg, U.v. 2.11.2015 - 12 A 2572/15 - juris; VG Freiburg, U.v. 13.10.2015 - A 5 K 1862/13 - juris; VG Minden, B.v. 2.10.2015 - 10 L 923/15.A - juris; VG Düsseldorf, GB v. 21.9.2015 - 8 K 5062/15.A - juris; VG Bayreuth, B.v. 18.9.2015 - B 3 S 15.50219 - juris; VG München, U.v. 11.9.2015 - M 23 K 15.50045 - juris; U.v. 26.8.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Lüneburg, B.v. 9.9.2015 - 4 B 153/15; VG Magdeburg, B.v. 8.9.2015 - 9 B 713/15 - juris; VG Köln, Ue.v. 8.9.2015 - 18 K 4584/15.A und 18 K 4368/15.A - jeweils juris; VG Potsdam, B.v. 4.9.2015 - 4 L 810/15.A - Asylmagazin 2015, 344; VG Saarland, B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15 - juris). Die Einzelrichterin schließt sich vielmehr der gegenteiligen Rechtsauffassung an (vgl. etwa VG Stade, B.v. 4.11.2015 - 1 B 1749/15 - juris; B.v. 15.10.2015 - 1 B 1605/15 - juris; VG Ansbach, B.v. 29.10.2015 - AN 3 S 15.50473 - juris; Be.v. 20.10.2015 - AN 3 S 15.50398 und AN 3 S 15.50425 - jeweils juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 22.9.2015 - 9a L 1873/15.A - juris; VG Dresden, B.v. 9.9.2015 - 2 L 719/15.A - juris; VG München, B.v. 28.8.2015 - M 3 S 15.50616 - juris; VG Würzburg, U.v. 25.02.2016, W 4 K 15.50401 - juris; VG Greifswald, B.v. 14.03.2016, Az. 4 B 649/16; VG Würzburg, U.v. 25.02.2016, Az. W 4 K 15.50414; VG Ansbach, B.v. 17.02.2016).

Nach der zuletzt genannten Rechtsprechung, auf die ausdrücklich Bezug genommen wird, und unter Berücksichtigung sonstiger Erkenntnisquellen ist festzustellen, dass die Inhaftierungsvorschriften in Ungarn und die Anwendung dieser Vorschriften für sich noch keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen von systemischen Mängeln belegen. Die ungarischen Inhaftierungsvorschriften entsprechen im Prinzip den Vorgaben des europäischen Rechts. Die immer wieder ins Feld geführten, auch neueren Inhaftierungsmöglichkeiten in Ungarn führen zur Überzeugung des Gerichts - angesichts der tatsächlich in Ungarn bislang praktizierten Inhaftierungen - nicht zur Annahme systemischer Mängel. Damit liegt kein rechtliches Hindernis für eine Überstellung des Klägers nach Ungarn i. S. von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO vor. Die Entscheidung des Bundesamts, vom Selbsteintrittsrecht des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO keinen Gebrauch zu machen, war nicht ermessensfehlerhaft. Damit bleibt es bei der durch die Dublin III-VO begründeten Zuständigkeit Ungarns. Die Ablehnung des in Deutschland gestellten Asylantrags als unzulässig gem. § 26a AsylG ist somit rechtmäßig.

Auch die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützte Abschiebungsanordnung ist rechtmäßig und verletzt den Klägern nicht in seinen Rechten.

Gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht, § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG. Sie ist dem Ausländer gem. § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylG zusammen mit der Ablehnungsentscheidung gem. § 27a AsylG selbst zuzustellen. Es liegen für den Kläger in Bezug auf das Abschiebungsland Ungarn keine rechtlichen oder tatsächlichen Abschiebungshindernisse vor. Mit der Wiederaufnahmebestätigung vom 24.11.2014 war die Abschiebung bei Erlass der Abschiebungsanordnung auch tatsächlich möglich, so dass auch die Abschiebungsanordnung gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG rechtmäßig ist.

Zwar ist das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Satz 4 Halbsatz 2 AufenthG spätestens bei der Abschiebung zu befristen. Das Fehlen dieser Befristung im verfahrensgegenständlichen Bescheid schadet der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung jedoch nicht, sondern führt lediglich zu einem Anspruch des Klägers auf nachträgliche Befristung - unter Berücksichtigung der seit seiner Überstellung bereits vergangenen Zeit.

Die Klage ist somit insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11 und 711 ZPO.

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


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Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34a Abschiebungsanordnung


(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 26a Sichere Drittstaaten


(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 31 Entscheidung des Bundesamtes über Asylanträge


(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine

Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG 2005 | § 3 Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde


(1) Soll durch die Post mit Zustellungsurkunde zugestellt werden, übergibt die Behörde der Post den Zustellungsauftrag, das zuzustellende Dokument in einem verschlossenen Umschlag und einen vorbereiteten Vordruck einer Zustellungsurkunde. (2) Für di

Zivilprozessordnung - ZPO | § 181 Ersatzzustellung durch Niederlegung


(1) Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 nicht ausführbar, kann das zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden. Wird die Post mit der Ausfüh

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Tenor Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juli 2015 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Di

Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 08. Sept. 2015 - 9 B 713/15

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Verwaltungsgericht Köln Urteil, 08. Sept. 2015 - 18 K 4584/15.A

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Tenor Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31.7.2015 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden. 1T a t b e s t a n d 2Der am 00.0.0000 in Vate im Kosovo gebor

Bundesverwaltungsgericht Beschluss, 06. Juni 2014 - 10 B 35/14

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Gründe I. 1 Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angab
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Verwaltungsgericht München Beschluss, 09. Jan. 2017 - M 9 S 16.51293

bei uns veröffentlicht am 09.01.2017

Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen. Gründe I. Der am ... geborene Antragsteller reiste wiederholt, zulet

Referenzen

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Tatbestand

1

Die Kläger, eine Mutter und ihr Sohn, sind pakistanische Staatsangehörige und gehören der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Sie wenden sich gegen einen Bescheid der Beklagten, durch den ihre Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden und ihre Abschiebung nach Spanien angeordnet wird.

2

Die Kläger reisten gemeinsam mit zwei weiteren Kindern der Klägerin zu 1 (BVerwG 1 C 33.14 und 1 C 34.14) Anfang Januar 2013 nach Deutschland ein und stellten hier am 14. Januar 2013 Asylanträge. Dabei gaben alle vier Familienmitglieder an, aus religiösen Gründen in Pakistan verfolgt zu werden. Ein noch im gleichen Monat durchgeführter Abgleich der Fingerabdrücke mit Daten aus Eurodac ergab, dass zwar nicht die Klägerin zu 1, wohl aber ihre drei Kinder bereits in Spanien Asylanträge gestellt hatten.

3

Im Mai 2013 wurde die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich angehört. Dabei gab sie - ohne ausdrücklich auch die Klägerin zu 1 einzubeziehen - an, bereits in Spanien einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie alle hätten sich im November 2012 für drei oder vier Tage in Spanien aufgehalten und seien dort am Flughafen kontrolliert worden. Es sei kein Dolmetscher zugegen gewesen, und am Ende hätten sie etwas unterschreiben müssen. Sie wisse nicht, was sie unterschrieben habe, aber sie denke, es sei ein Asylantrag gewesen. Ihr eigentliches Ziel sei bereits damals Deutschland gewesen. Von Spanien aus seien sie zunächst nach Pakistan zurückgekehrt. Im Januar 2013 seien sie dann mit dem Flugzeug von Islamabad kommend nach Frankfurt a.M. geflogen. Ein Flugticket habe sie nicht mehr.

4

Am 4. Dezember 2013 richtete die Beklagte unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO hinsichtlich sämtlicher vier Familienmitglieder Wiederaufnahmeersuchen an Spanien. Dabei gab sie an, dass es für die Klägerin zu 1 keinen Eurodac-Treffer gebe, diese aber gemeinsam mit ihrem Sohn gereist sei, der nach den aus Eurodac gewonnenen Daten am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt habe. Die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) habe ebenfalls am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt, der älteste Sohn (BVerwG 1 C 34.14) am 3. Dezember 2012. Das spanische Innenministerium teilte mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 33.14) und 19. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 32.14 und 1 C 34.14), gleichfalls unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO, mit, dass es die Wiederaufnahme sämtlicher vier Familienmitglieder akzeptiere.

5

Mit Bescheid vom 29. Januar 2014 stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind (Ziffer 1) und ordnete deren Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 2). Die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG (jetzt: AsylG) unzulässig, da Spanien aufgrund der dort gestellten Asylanträge gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.

6

Mit Beschluss vom 7. März 2014 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klagen gegen die Abschiebungsanordnung an. Mit Urteil vom 22. April 2014 hat es den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig und die Anordnung der Abschiebung der Kläger seien rechtswidrig. Denn Deutschland sei gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig, weil es die Wiederaufnahmegesuche an Spanien nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten gestellt habe. Hier habe bereits am 16. Januar 2013 aufgrund des Datenabgleichs mit Eurodac ein Hinweis für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU vorgelegen. Darüber hinaus habe die Tochter bei ihrer Anhörung auf einen Aufenthalt in Spanien und einen dort wahrscheinlich gestellten Asylantrag hingewiesen. Trotz dieser eindeutigen Hinweise habe die Beklagte erst am 4. Dezember 2013 Wiederaufnahmegesuche an Spanien gerichtet. Die in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO enthaltene Fristenregelung finde nicht nur in Verfahren auf Aufnahme eines Asylbewerbers Anwendung, sondern auch in Verfahren auf Wiederaufnahme.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss nach § 130a VwGO vom 25. August 2014 das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Deutschland sei nicht in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Zur Anwendung komme allein das Verfahren zur Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO, weil die Kläger vor ihrer Einreise nach Deutschland in Spanien um Asyl nachgesucht hätten. Art. 20 der Dublin II-VO enthalte keine dem Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO entsprechende Fristbestimmung. Insoweit sei auch keine Regelungslücke zu erkennen, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmungen zur Aufnahme zu schließen wäre. Unabhängig davon könnten sich die Kläger auch nicht auf die Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristenregelungen der Dublin II-VO berufen, denn sie dienten allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates.

8

Die Kläger wenden sich mit ihrer Revision gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zur Unzuständigkeit Deutschlands wie zur Abschiebungsanordnung. Das Verwaltungsgericht habe mit Recht die Fristenregelung für die Aufnahme auf das Verfahren der Wiederaufnahme übertragen, weil insoweit eine Regelungslücke vorliege. Damit sei Deutschland für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Andernfalls würden die Mitgliedstaaten für das Wiederaufnahmeverfahren keiner Fristbestimmung unterliegen. Dies würde der generellen Zielsetzung des Dublin-Regelwerks zuwiderlaufen, eine Beschleunigung der Asylverfahren zu erreichen. Es spreche zudem vieles dafür, dass die Kläger auch in ihren Grundrechten aus Art. 41 der GRC und Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt seien. Insoweit sei zu klären, ob sich ein Asylantragsteller in einem solchen Fall auf die Fristbestimmungen des Dublin-Regelungswerks berufen könne. Des Weiteren habe das Berufungsgericht verkannt, dass die gesetzliche Regelung des § 34a AsylG gegen Unionsrecht verstoße. Die Dublin II-VO sehe bei Unzuständigkeit eines Mitgliedstaates eine "Überstellung" vor. Damit habe das Unionsrecht eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung geschaffen, die hinter der Abschiebung im Sinne des deutschen Ausländer- und Asylrechts zurückbleibe. Sowohl die Dublin II-VO als auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verböten, eine Überstellung eines Asylbewerbers mit dem Zwangsmittel einer Abschiebung durchzuführen.

9

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Der Beschluss des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die erhobene Anfechtungsklage ist statthaft (1.). Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (2.). Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylG (3.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), beide Gesetze zuletzt geändert durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgebliche Dublin-Verordnung - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

13

1. Die Vorinstanzen haben mit Recht die Anfechtungsklage als die allein statthafte Klageart angesehen, wenn es - wie hier - um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung geht (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - ABl. L 50 S. 1).

14

Der Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO steht entgegen, dass die Dublin II-Verordnung - Dublin II-VO - ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 Buchst. e). Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet (so auch VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293 - juris Rn. 18). Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde - hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 33). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte (zur Notwendigkeit der Sicherung der dem Bundesamt zugewiesenen Steuerungsfunktion im Fall der gerichtlichen Überprüfung einer Einstellungsentscheidung nach §§ 32, 33 AsylG vgl. schon BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12).

15

Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auch eine rechtsgestaltende Regelung über die Zulässigkeit der beiden Asylanträge nach § 27a AsylG getroffen, deren Aufhebung mit der Anfechtungsklage begehrt werden kann. Ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Die Asylanträge sind unzulässig") liegt nicht lediglich eine Feststellung vor, sondern eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylG verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - juris Rn. 12). Auch für die Aufhebung der in Ziffer 2 des Bescheids getroffenen Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart.

16

2. Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

17

Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte bei Stellung ihres Ersuchens an Spanien in Bezug auf die Klägerin zu 1 die Frist nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO zu beachten hatte und im Falle einer durch Fristversäumnis begründeten Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zu 1 sich diese Zuständigkeit auch auf den Kläger zu 2 als mit der Klägerin zu 1 eingereistes minderjähriges Kind erstreckte (Art. 4 Abs. 3 Dublin II-VO). Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung von Fristen für die Aufnahme oder Wiederaufnahme können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

18

a) Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für Aufnahmegesuche gilt, nicht hingegen für Gesuche auf Wiederaufnahme von Asylantragstellern. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Fehlen einer Fristvorgabe für die Stellung eines Wiederaufnahmeersuchens in der Dublin II-VO keine Regelungslücke darstellt, die durch eine analoge Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre (BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 - juris Rn. 13; vgl. auch Beschluss vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 - juris Rn. 5). Es fehlt aber an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen, dass auch die Klägerin zu 1 - wie ihre Kinder - in Spanien einen Asylantrag gestellt hat und deshalb auch auf sie das Verfahren der Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO Anwendung findet. Hätte die Klägerin zu 1 in Spanien keinen Asylantrag gestellt, fänden auf sie die Dublin-Regeln über die Aufnahme Anwendung und die Beklagte hätte mit der Unterbreitung des Gesuchs an Spanien mehr als zehn Monate nach der Asylantragstellung die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO verstreichen lassen. Damit wäre Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

19

b) Die Frage, ob die Klägerin zu 1 in Spanien einen Asylantrag gestellt hat, erweist sich jedoch nicht als entscheidungserheblich. Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung der in diesem Fall zu beachtenden Drei-Monats-Frist für die Aufnahme nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

20

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil in der Rechtssache "Abdullahi" entschieden, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, der Betroffene der Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Asylbewerber in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GRC ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 [ECLI:EU:C:2013:813], Abdullahi - Rn. 60). Derartige systemische Mängel sind im vorliegenden Verfahren für Spanien weder gerichtlich festgestellt noch von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden. In diesem Fall kann sich ein Asylbewerber nicht auf einen Fristablauf berufen, weil die Fristbestimmungen des Dublin-Regimes für die (Wieder-)Aufnahme lediglich als zwischen den Mitgliedstaaten wirkende Organisationsvorschriften anzusehen sind. Sie dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats, ohne dem Antragsteller dadurch einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (so auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2015, § 27a AsylVfG Rn. 65; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: November 2014, § 27a AsylVfG Rn. 196.1.; Bergmann, ZAR 2015, 81 <84>). Ein erneuter Klärungsbedarf dieser Frage ergibt sich insoweit auch nicht aus zwei anhängigen Vorlageverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union, da sich diese nicht auf die Auslegung der hier maßgeblichen Dublin II-VO beziehen, sondern auf die Frage, ob die Rechtslage bei Anwendung der Dublin III-VO anders zu beurteilen ist (Vorlage der Rechtbank Den Haag/Niederlande vom 12. Februar 2015 - C-63/15 - Ghezelbash und Vorlage des Kammarrätten i Stockholm/Schweden vom 1. April 2015 - C-155/15 - Karim).

21

Unter welchen Voraussetzungen im Fall einer überlangen Verfahrensdauer eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO besteht (vgl. dazu EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. - Rn. 108 und vom 14. November 2013 - C-4/11 - Rn. 35), braucht nicht entschieden werden. Denn eine Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme weist jedenfalls keine solche Überlänge auf.

22

c) Die Kläger können auch aus dem Recht auf eine gute Verwaltung gemäß Art. 41 Abs. 1 der GRC keinen Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch Deutschland ableiten. Denn in der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass sich dieses Recht nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet und nicht an die Mitgliedstaaten, selbst wenn diese Unionsrecht anwenden (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - C-249/13 [ECLI:EU:C:2014:2431], Boudjlida - Rn. 32 m.w.N.).

23

d) Schließlich ergibt sich für die Kläger im Fall einer etwaigen Fristverletzung bei der Stellung eines Aufnahmegesuchs an Spanien auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kein Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch die Bundesrepublik Deutschland. Art. 6 Abs. 1 EMRK bezieht sich schon seinem Schutzbereich nach nicht auf das Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt, sondern enthält lediglich Verfahrensgarantien für Gerichtsverfahren und im Übrigen auch nur für solche Gerichtsverfahren, die zivilrechtliche Ansprüche oder strafrechtliche Anklagen betreffen. Hierzu gehören Streitigkeiten über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern nicht (EGMR, Urteil vom 17. Mai 2011 - Nr. 43408/08, Izevbekhai u.a./Irland - NVwZ 2012, 686 Rn. 83; Entscheidung vom 24. März 2015 - Nr. 37074/13, Kerkez/Deutschland - EuGRZ 2015, 464 Rn. 40).

24

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids zutreffend als rechtmäßig angesehen. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 AsylG. Diese Vorschrift ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - näher ausgeführt hat. Auf die Gründe dieses Urteils wird verwiesen.

25

4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

(1) Soll durch die Post mit Zustellungsurkunde zugestellt werden, übergibt die Behörde der Post den Zustellungsauftrag, das zuzustellende Dokument in einem verschlossenen Umschlag und einen vorbereiteten Vordruck einer Zustellungsurkunde.

(2) Für die Ausführung der Zustellung gelten die §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung entsprechend. Im Fall des § 181 Abs. 1 der Zivilprozessordnung kann das zuzustellende Dokument bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle am Ort der Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden oder bei der Behörde, die den Zustellungsauftrag erteilt hat, wenn sie ihren Sitz an einem der vorbezeichneten Orte hat. Für die Zustellungsurkunde, den Zustellungsauftrag, den verschlossenen Umschlag nach Absatz 1 und die schriftliche Mitteilung nach § 181 Abs. 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung sind die Vordrucke nach der Zustellungsvordruckverordnung zu verwenden.

(1) Ist die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 oder § 180 nicht ausführbar, kann das zuzustellende Schriftstück auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts, in dessen Bezirk der Ort der Zustellung liegt, niedergelegt werden. Wird die Post mit der Ausführung der Zustellung beauftragt, ist das zuzustellende Schriftstück am Ort der Zustellung oder am Ort des Amtsgerichts bei einer von der Post dafür bestimmten Stelle niederzulegen. Über die Niederlegung ist eine schriftliche Mitteilung auf dem vorgesehenen Formular unter der Anschrift der Person, der zugestellt werden soll, in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben oder, wenn das nicht möglich ist, an der Tür der Wohnung, des Geschäftsraums oder der Gemeinschaftseinrichtung anzuheften. Das Schriftstück gilt mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung als zugestellt. Der Zusteller vermerkt auf dem Umschlag des zuzustellenden Schriftstücks das Datum der Zustellung.

(2) Das niedergelegte Schriftstück ist drei Monate zur Abholung bereitzuhalten. Nicht abgeholte Schriftstücke sind danach an den Absender zurückzusenden.

(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Satz 1 gilt nicht, wenn

1.
der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland war,
2.
die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder
3.
der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist.

(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.

(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.

Gründe

I.

1

Der Kläger, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste nach eigenen Angaben im Jahr 2009 über den Seeweg nach Italien ein. Er lebte etwa einen Monat in einer Aufnahmeeinrichtung in Sizilien, wurde dort erkennungsdienstlich behandelt und reiste im Herbst 2009 nach Deutschland weiter, ohne in Italien Asyl beantragt zu haben. Im Oktober 2009 stellte er in Deutschland einen Asylantrag, den das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - im Hinblick auf die Zuständigkeit Italiens nach der Dublin-II-Verordnung als unzulässig ablehnte. Der Kläger wurde daraufhin im Dezember 2009 auf dem Luftweg über den Flughafen Rom-Fiumicino nach Italien überstellt. Im Januar 2011 wurde er erneut in Deutschland angetroffen und stellte wieder einen Asylantrag. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 27. April 2011 die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Italien an. Das Verwaltungsgericht hat seiner dagegen gerichteten Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Beschwerde.

II.

2

Die Beschwerde, mit der der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.

3

Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Frage auf,

"inwieweit bei der Prognoseentscheidung über beachtliche Wahrscheinlichkeit unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung bei Rückführung in den eigentlich zuständigen Mitgliedstaat individuelle Erfahrungen des Betroffenen im dortigen Mitgliedstaat in erheblichem Maße zu berücksichtigen sind."

4

Damit in Zusammenhang stehe die Frage,

"ob es der Feststellung systemischer Mängel bedarf, wenn einem Betroffenen schon einmal oder ggf. auch mehrmals erniedrigende und unmenschliche Behandlung widerfahren ist, insbesondere nach einer schon einmal erfolgten Überstellung."

5

Die aufgeworfenen Fragen rechtfertigen mangels Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Denn sie lassen sich, soweit sie nicht bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt sind, auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Der beschließende Senat hat dazu in seinem Beschluss vom 19. März 2014 - BVerwG 10 B 6.14 - (juris Rn. 5 ff.) ausgeführt:

"Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der im vorliegenden Verfahren (noch) maßgeblichen Verordnung Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl EU Nr. L 50 S. 1) - Dublin-II-Verordnung - wird ein Asylantrag von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird. Wie sich aus ihren Erwägungsgründen 3 und 4 ergibt, besteht einer der Hauptzwecke der Dublin-II-Verordnung in der Schaffung einer klaren und praktikablen Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zu gewährleisten. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10, N.S. u.a. - Slg. 2011, I-13905 Rn. 78 f. = NVwZ 2012, 417). Daraus hat der Gerichtshof die Vermutung abgeleitet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH a.a.O. Rn. 80).

Dabei hat der Gerichtshof nicht verkannt, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stoßen kann, so dass die ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung an den nach Unionsrecht zuständigen Mitgliedstaat auf unmenschliche oder erniedrigende Weise behandelt werden. Deshalb geht er davon aus, dass die Vermutung, die Rechte der Asylbewerber aus der Grundrechte-Charta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention würden in jedem Mitgliedstaat beachtet, widerlegt werden kann (EuGH a.a.O. Rn. 104). Eine Widerlegung der Vermutung hat er aber wegen der gewichtigen Zwecke des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems an hohe Hürden geknüpft: Nicht jede drohende Grundrechtsverletzung oder geringste Verstöße gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln (EuGH a.a.O. Rn. 81 ff.). Ist hingegen ernsthaft zu befürchten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 GR-Charta zur Folge haben, ist eine Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (EuGH a.a.O. Rn. 86 und 94).

Der Gerichtshof hat seine Überlegungen dahingehend zusammengefasst, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den 'zuständigen Mitgliedstaat' im Sinne der Dublin-II-Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden (EuGH a.a.O. Rn. 106 und LS 2; ebenso Urteil der Großen Kammer vom 14. November 2013 - Rs. C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129 Rn. 30). Schließlich hat er für den Fall, dass der zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme zustimmt, entschieden, dass der Asylbewerber mit dem in Art. 19 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf gegen die Überstellung der Heranziehung des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Zuständigkeitskriteriums nur mit dem o.g. Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (EuGH - Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 - Rs. C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 60). Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt auch Art. 3 Abs. 2 der Neufassung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L Nr. 180 S. 31) - Dublin-III-Verordnung - zugrunde.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat derartige systemische Mängel für das Asylverfahren wie für die Aufnahmebedingungen der Asylbewerber in Griechenland in Fällen der Überstellung von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Systems der Sache nach bejaht (EGMR - Große Kammer, Urteil vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413) und in Folgeentscheidungen insoweit ausdrücklich auf das Kriterium des systemischen Versagens ('systemic failure') abgestellt (EGMR, Entscheidungen vom 2. April 2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a./Niederlande und Italien - ZAR 2013, 336 Rn. 78; vom 4. Juni 2013 - Nr. 6198/12, Daytbegova u.a./Österreich - Rn. 66; vom 18. Juni 2013 - Nr. 53852/11, Halimi/Österreich und Italien - ZAR 2013, 338 Rn. 68; vom 27. August 2013 - Nr. 40524/10, Mohammed Hassan/Niederlande und Italien - Rn. 176 und vom 10. September 2013 - Nr. 2314/10, Hussein Diirshi/Niederlande und Italien - Rn. 138).

Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. = Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 39) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus."

6

Aus der zitierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten kann und es nicht darauf ankommt, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass derartige individuelle Erfahrungen vielmehr in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (hier: Italien) vorliegen (UA S. 26). In diesem begrenzten Umfang sind individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei ist allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie hier - einige Jahre zurückliegen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein können. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GR-Charta verstoßenden Behandlung führen hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel (so auch das Berufungsgericht UA S. 26 f.). Weiteren Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union bedarf es zur Beantwortung der von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen nicht.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

Tenor

Die aufschiebende Wirkung der Klage 6 K 2612/15.A gegen die in Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 29. Juli 2015 verfügte Abschiebungsanordnung nach Ungarn wird angeordnet.Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.


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Tenor

Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.

Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.07.2013 wird aufgehoben.

Die Kosten des - gerichtskostenfreien - Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Tatbestand

 
Der Kläger hat in Ungarn Flüchtlingsschutz erhalten und wendet sich gegen seine Abschiebung dorthin.
Der Kläger sprach am 10.01.2010 bei der Bundespolizei in Frankfurt/Main unter dem Namen X, geboren am X in Kandahar, vor und gab an, am selben Tag per Flugzeug aus Pakistan eingeschleust worden zu sein. Dafür habe er 12.000 US-Dollar gezahlt. Er fürchte um sein Leben.
Eine EURODAC-Anfrage ergab, dass er bereits am 16.10.2008 in Norwegen und am 29.06.2009 auf dem Flughafen Athen Asyl beantragt hatte. Er wurde in Abschiebungshaft genommen.
Am 27.01.2010 beantragte der Kläger Asyl. Mit Bescheid vom 12.02.2010 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass der Asylantrag unzulässig sei, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Griechenland an. Am 10.03.2010 wurde der Kläger nach Athen überstellt.
Am 15.3.2010 ging eine Klage des Klägers beim Verwaltungsgericht Frankfurt ein. Zur Begründung war darin ausgeführt, der Kläger wolle nicht nach Griechenland fliegen, da er große Probleme mit Leuten haben, die von ihm Geld wegen "schwarze fahren“ wollten. Wenn sein Asylantrag abgelehnt werde, wolle er nach Afghanistan zurückfliegen. Mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2010 wies das Verwaltungsgericht Frankfurt/Main die Klage ab, weil der Klageschrift nicht eindeutig zu entnehmen gewesen sei, dass sie vom Kläger selbst stamme.
Am 21.06.2013 wurde der Kläger in der Landesaufnahmestelle für Migration und Flüchtlinge in Karlsruhe überprüft. Er war im Besitz eines von Ungarn am 22.08.2012 ausgestellten Internationalen Flüchtlingsausweises. Darin ist als Geburtsort Kabulshar und als Geburtsdatum der 01.01.1980 eingetragen; vermerkt ist auch, dass der Kläger ein afghanisches Personaldokument aus dem Jahr 2007 vorgelegt habe.
Am 20.06.2013 nahm das Bundesamt einen Asylfolgeantrag des Klägers auf. Dieser gab an, Pashtune und ledig zu sein und Dari und Englisch zu sprechen; eingereist sei er am 12.06.2013. Später gab er außerdem an, er sei über Österreich nach Deutschland gekommen.
Das Bundesamt stellte an Ungarn ein Aufnahmeersuchen und führte darin aus, der Kläger habe am 30.04.2010 schon einmal in Ungarn Asyl beantragt.
Die zuständige ungarische Stelle antwortete am 10.07.2013, eine Übernahme könne nicht erfolgen, weil der Kläger am 27.08.2010 in Ungarn Asyl beantragt und am 04.05.2012 eine Flüchtlingsanerkennung erhalten habe. Deshalb sei ihm am 29.08.2012 ein Reiseausweis nach der Genfer Flüchtlingskonvention ausgestellt worden. Das Bundesamt vermerkte, dass deshalb eine Überstellung im Dublin-Verfahren nicht möglich sei. Der Kläger könne aber jederzeit nach dem Rücküberführungsabkommen zwischen Ungarn und der Bundesrepublik Deutschland nach Ungarn überstellt werden.
10 
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.8.2013 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger aufgrund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe, und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 05.09.2013 zugestellt.
11 
Der Kläger hat am 19.09.2013 Klage erhoben und zugleich vorläufigen Rechtsschutz beantragt.
12 
Mit Beschluss vom 11.10.2013 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet (A 5 K 1863/13).
13 
Der Kläger trägt vor: Aufgrund der Umstände habe er in Ungarn kein menschenwürdiges Leben führen können. Er sei Hardware-Spezialist. Als er ein Jahr alt gewesen sei, habe seine Familie Afghanistan verlassen und sei in den Iran gezogen. Im Jahr 2003 sei er nach dem Sturz der Taliban zurückgekehrt. Er habe sich politisch betätigt und sei dabei in Lebensgefahr geraten. Deshalb sei er 2008 nach Griechenland geflohen. Dort habe er ohne staatliche Unterstützung gelebt, sei obdachlos und einen Monat in Haft gewesen. Er sei nach Norwegen gegangen, jedoch nach Griechenland zurückgeschoben worden. Dort sei er wieder einen Monat in Haft gewesen und dabei schwer erkrankt. Danach habe er wieder nach Norwegen reisen wollen. Auf dem Weg dorthin habe er in Deutschland aus Angst vor einem erneuten Zurückschicken nach Griechenland einen falschen Namen angegeben. Erneut sei er nach Griechenland abgeschoben worden. Dort hätten ihn Freunde und Bekannte unterstützt. Als dies nicht mehr möglich gewesen sei, habe er sich zum dritten Mal nach Norwegen aufgemacht. Er sei auf dem Landweg nach Ungarn gereist und dort sechs Monate lang inhaftiert gewesen. Sein Gesundheitszustand habe sich verschlechtert. Er habe unter Depressionen gelitten. Von Ungarn sei er erneut nach Griechenland abgeschoben worden. Dort sei er wiederum sechs Monate lang in Haft gewesen. Bei einem erneuten Versuch, nach Norwegen zu reisen, sei er in den Niederlanden verhaftet und für sechs Monate in Haft gewesen. Dort habe er einen Asylantrag gestellt. Ende 2011 sei er aber nochmals nach Ungarn zurückgeschoben worden. Dort sei er als politischer Flüchtling anerkannt worden. Er habe etwa fünf Monate in der Sammel-Unterkunft Dirsen (phon.), anschließend in der Sammel-Unterkunft Bicske gelebt. Man habe ihm gesagt, dass er nur sechs Monate bleiben könne und anschließend sich selbst eine Wohnung suchen müsse. Eine Verlängerung der Bleibezeit käme bei Schwierigkeiten mit der Wohnungssuche allenfalls für weitere sechs Monate in Betracht. Er habe aber weder Arbeit noch eine Wohnung gefunden. Wohnungskosten hätte er nur zur Hälfte von staatlichen Stellen erstattet bekommen können. Er habe erfahren, dass die große Mehrheit der ungarischen Bevölkerung Flüchtlingen gegenüber sehr negativ eingestellt sei. Die drohende Obdachlosigkeit habe ihn seelisch erheblich belastet. Nach dem Ablauf der Bleibezeit im Lager habe er weder Geld noch Medikamente erhalten, nicht einmal ein Busticket für Fahrten in die Stadt. Er sei auch nicht mehr krankenversichert gewesen. Er habe sich um Arbeit bemüht, beim Arbeitsamt aber keine Stelle vermittelt erhalten. In der Sammel-Unterkunft Bicske seien verschiedene Krankheiten ausgebrochen. Er habe unter Schlaflosigkeit und Fieber gelitten. Er habe sich nur eine Mahlzeit täglich leisten können. Ein Freund habe ihm auf eigene Kosten Medikamente besorgt, danach sei es ihm besser gegangen. Mitte 2013 habe er Ungarn mit einer Gruppe anderer afghanischer Flüchtlinge mit ähnlichen Erfahrungen verlassen. Asylsuchende, die nach Ungarn im Dublin-Verfahren abgeschoben würden, würden fast ausnahmslos inhaftiert. Das gelte selbst für psychisch schwer belastete Schutzsuchende, sogar wenn deren Erkrankung durch Gutachten bestätigt sei. Ungarn habe in der Vergangenheit zudem regelmäßig Asylbewerber nach Serbien abgeschoben; von dort aus seien Kettenabschiebungen nach Griechenland erfolgt. Seine Erfahrungen in Ungarn als anerkannter Flüchtling deckten sich mit der Erkenntnismittellage. Ihm drohe in Ungarn nicht nur erneut die Obdachlosigkeit, sondern deshalb auch Strafverfolgung. Zum 01.07.2013 habe Ungarn zudem die Vorschriften über die Inhaftierung von Asylsuchenden zu deren Nachteil geändert. Es sei zu befürchten, dass Asylsuchende künftig quasi automatisch inhaftiert würden. Inhaftierungen würden nur im 60-Tage-Rhythmus kontrolliert. Insbesondere obdachlose Flüchtlinge seien bedroht, aus rassistischen Motiven körperlich angegriffen zu werden. Ungarn sei auch kein sicherer Drittstaat. Dort bestünden systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber. Ihm könne nicht zugemutet werden, weiter in Ungarn zu leben, weil er inzwischen seit sieben Jahren in Europa auf der Flucht sei und wiederholt längerdauernde Haft, u. a. in Griechenland und Ungarn, habe hinnehmen müssen. In einem ärztlichen Attest vom 23.9.2013 werde ihm bescheinigt, dass er an Depressionen, Albträumen und Schlaflosigkeit leide und erhöhte Leberwerte habe.
14 
Hinsichtlich Nr. 1 des angefochtenen Bescheids hat der Kläger die Klage am 18.09.2015 zurückgenommen.
15 
Der Kläger beantragt,
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Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30.08.2013 aufzuheben.
17 
Die Beklagte beantragt,
18 
die Klage abzuweisen.
19 
Sie trägt vor: Anerkannte Flüchtlinge seien ungarischen Staatsbürgern im Wesentlichen gleichgestellt. Für eine Übergangszeit von zwölf Monaten erhielten sie sogar kostenlos Zugang zu allen notwendigen Gesundheitsleistungen, soweit sie nicht einer Sozialversicherung angehörten. Nach der Anerkennung als Flüchtling oder Schutzberechtigter hätten sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine sechs bis 12 Monate dauernde Unterbringung in einer Integrationseinrichtung. In Ausnahmefällen (älter als 60 Jahre, Erkrankung) könne die Unterbringung auf Dauer bestehen bleiben. Nach Ablauf der Unterbringung könnten verschiedene Unterstützungsleistungen beantragt werden, die in der Ausführungsverordnung zum ungarischen Asylgesetz geregelt seien. Es gebe beispielsweise eine finanzielle Starthilfe, Mietbeihilfen für sechs Monate, in einem Zeitraum von vier Jahren dreimal um jeweils sechs Monate verlängerbar, Renovierungszuschüsse und diverse andere Leistungen wie z.B. Arbeitslosenbeihilfe, Starthilfe und Sprachunterricht. Die Leistungen erfolgten nach dem Prinzip des Förderns und Forderns, sie seien zum Teil daran gekoppelt, dass der Berechtigte beispielsweise an Sprachkursen teilnehme und dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehe und sich auch arbeitssuchend gemeldet habe. Erforderlich sei eigene Initiative, auch bei der Suche nach Wohnraum. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe in Bezug auf Italien geklärt, dass eine Überstellung auch in einen Staat erfolgen könne, in dem die wirtschaftliche Stellung der Person schlechter sei als im überstellenden Staat. Es bestehe auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Hilfe zu bieten, um es ihnen zu ermöglichen, einen gewissen Lebensstandard aufrechtzuerhalten. In Ungarn bestünden keine systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. Weder der UNHCR noch das ungarische Helsinki-Komitee würden allgemein empfehlen, Asylbewerber im Rahmen des Dublin-Verfahrens nicht nach Ungarn zu überstellen. Bei Inhaftierungen hielten sich die ungarischen Stellen an das ultima-ratio-Gebot. Fälle, in denen Familien verhaftet worden seien, seien nicht bekannt. Obdachlose würden nicht verhaftet, sondern in eine Notunterkunft eingewiesen.
20 
In Ungarn hielten sich gegenwärtig (Stand Mitte Oktober 2014) etwa 2500 Personen auf, denen der Flüchtlings- oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden sei. Der starke Zustrom an Asylsuchenden habe im Sommer 2013 zu erheblicher Überbelegung der Aufnahmeeinrichtungen sowie zur Verschlechterung der hygienischen Bedingungen und der Sicherheitslage geführt. Anerkannte Flüchtlinge hätten wegen der verzögerten Ausstellung von Dokumenten erst nach mehreren Monaten Zugang zur Unterstützung und zu Integrationsleistungen. Wegen fehlender Dolmetscher und fehlender Informationen seien die Gesundheitsleistungen unzureichend. Psychologische und psychotherapeutische Gesundheitsleistungen für traumatisierte Asylsuchende würden ausschließlich von einer Nichtregierungsorganisation erbracht. Seit dem 01.01.14 sei die auf maximal ein Jahr befristete Unterbringung von Schutzberechtigten in der Zentralen Vorintegrationseinrichtung Bicske aufgegeben worden. Stattdessen erfolge mit Unterstützung örtlicher Behörden und kirchlicher Organisationen eine dezentrale Unterbringung der Schutzberechtigten in Gemeinden nach in der Regel zwei Monaten.
21 
Die Beklagte wurde unter dem 02.09.2015 - erfolglos - gebeten, eine Reihe von Fragen zur Überstellungspraxis nach Ungarn zu beantworten, und mitzuteilen, wie sich nach Auskunft des Verbindungsbeamten des Bundesamts bei der ungarischen Asylbehörde die Verhältnisse für anerkannte Flüchtlinge bzw. Schutzberechtigte entwickelt habe, auch unter Berücksichtigung der zur Zeit sehr starken Belastung der ungarischen Stellen insoweit.
22 
Der Kammer liegen die Ausdrucke der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für den Kläger elektronisch geführten Akten (zwei Hefte) vor.

Entscheidungsgründe

 
23 
Soweit der Kläger die Klage - hinsichtlich der Feststellung, dass ihm auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und allein noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
24 
Über die Klage im Übrigen kann die Kammer entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn auf diese Möglichkeit ist die Beklagte in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25 
Im Übrigen hat die Klage Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), weil dem Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auch für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in seinem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
26 
Zu den rechtlichen Grundlagen insoweit und zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Ungarn hat die Kammer im Urteil vom gleichen Tag im Verfahren A 5 K 2328/13 ausgeführt:
27 
„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin-II-Verordnung (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417, vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129, v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) und dem folgend des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris sowie Urt. v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris) hat ein Asylbewerber - sofern spezialgesetzlich keine besonderen Ausnahmen geregelt sind (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO) - grundsätzlich kein subjektives Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Mitglied- oder Vertragsstaat, so dass Fehler bei der Auslegung und bei der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung grundsätzlich unerheblich sind. Grundsätzlich kann ein Antragsteller mit Aussicht auf Erfolg nur einwenden, dass in dem in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gegeben sind, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - a.a.O.)
28 
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht eine - allerdings - widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und diese zur absehbaren Folge haben, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
29 
Insoweit stellt nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO (bzw. nunmehr der Dublin III-VO) und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts, wie von Art. 4 GRCh, durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Denn dann stünde nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. jetzt auch Art. 3 Abs. 2 UA. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 = Dublin III-VO) des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O. und v. 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1093, und v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von An-tragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77).
31 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien - NVwZ 2011, 413, v. 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz - juris, und E. v. 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande - juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (so nunmehr Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936; Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
32 
Anhand dieser Grundsätze sind hinreichende Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland angenommen worden (EGMR - Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413 und weitere, vgl. dazu, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschl. v. v. 19.03.2014 a.a.O. und v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 - juris).
33 
Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
34 
Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert (Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - a.a.O.): Aus der dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten könne und es nicht darauf ankomme, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen könne und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt gewesen sei. Derartige individuelle Erfahrungen seien vielmehr (allein) in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (dort: Italien) vorliegen. In diesem begrenzten Umfang seien individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegenden Fall - einige Jahre zurücklägen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein könnten. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung führten hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
35 
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (zu Italien) ist dabei stets auch zu fragen, ob die gesetzliche Vermutung des Fehlens systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen zumindest für einzelne Gruppen besonders verletzlicher Antragsteller erschüttert bzw. widerlegt ist. Eine Überstellung sogenannter vulnerabler Personen kommt nur in Betracht, wenn der Aufnahme-Mitgliedschaft eine entsprechende individuelle Garantieerklärung abgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 - m.w.N.)
36 
Die Kammer hat allerdings in mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. etwa VG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2014 - A 5 K 418/14 - juris) zu Grunde gelegt, dass eine Beweislastumkehr ausnahmsweise dann angezeigt ist, wenn erwiesen ist, dass in einem Mitgliedstaat systemimmanente Schwachstellen bestanden haben, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des jeweiligen Klägers als beachtlich wahrscheinlich haben erscheinen lassen (das dürfte in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 der Fall gewesen sein). In einem solchen Fall sollte ein durchgreifender Wandel der Verhältnisse erst dann zu Grunde gelegt werden können, wenn er nachgewiesen ist. Mit anderen Worten: Eine Verbesserung der Verhältnisse hinsichtlich der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen, etwa durch Änderungen der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften oder durch Bereitstellung weiterer personeller und sächlicher Mittel, sollte erst dann zu Lasten des jeweiligen Schutzsuchenden angenommen werden, wenn die angestrebten Verbesserungen in der Anwendung der verbesserten Vorschriften auch nachweislich eingetreten sind; dass in den Monaten nach der Verbesserung der rechtlichen Grundlagen noch keine aktuellen Beschwerden oder keine aktuelle Kritik des UNHCR oder anderer Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden ist, sollte für die Annahme einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse nicht ohne Weiteres ausreichen. Dem entspräche es im Übrigen auch, dass die Mitgliedstaaten bei Griechenland tatsächlich wohl so verfahren und mit einer Wiederaufnahme von Überstellungen nach Griechenland erst wieder begonnen werden dürfte, wenn dort entsprechende Verfahren und Aufnahmebedingungen gewährleistet sind.
37 
Weiter erscheint der Kammer fraglich, ob bei der Feststellung systemischer Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen eine vom jeweiligen Asylbewerber selbst erfahrene menschenrechtswidrige Behandlung, etwa eine längere, unbegründete Haft, eine längere unfreiwillige Obdachlosigkeit oder ein langjähriges Fernhalten vom Asylverfahren, erst dann von Bedeutung sein soll, wenn sich hieraus eine anhaltende, im Aufnahmestaat nicht zu behandelnde Gesundheitsstörung (insbesondere posttraumatische Belastungsstörung) ergeben hat.
38 
Denn auch wenn solche Erfahrungen Einzelner für sich noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen begründen können, es sei denn, sie sind zahlreich und repräsentativ für eine (vulnerable) Gruppe, der der jeweilige Antragsteller angehört, könnte eine selbst erlittene menschenrechtswidrige Behandlung doch bei der Frage, ob die Beklagte in das Asylverfahren als zuständiger Staat eintritt, jedenfalls aber bei der Prüfung, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen wird, zu berücksichtigen sein (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh). Davon scheint etwa das Schweizerische Bundesgericht auszugehen, das auch Umstände berücksichtigt, welche die Schutzsuchenden bei ihrem Aufenthalt im Erstaufnahmestaat individuell erlitten haben (z.B. sexuelle Übergriffe, Suizidversuch, Therapiebedürftigkeit). (vgl. Urt. v. 09.10.2013 - E 2093/2012 - und v. 30.10.2013 - E 3837/2012 -; zuletzt auch Urt. v. 23.07.2015 - D 2408/2015).
39 
Unabhängig davon steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass jedenfalls gegenwärtig in Ungarn systembedingte Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, welche jeden Schutzsuchenden, der dorthin zurücküberstellt wird, der beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzt. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:
40 
Die Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden ist zuletzt sehr stark angestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch 2.155 Asylbewerber, im Jahr 2013 18.900 und im Jahr 2014 42.777 Schutzsuchende registriert. Im Jahr 2015 war zunächst von 150.000 nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden bis zum 01.09.2015 die Rede (bei einer Gesamtbevölkerung Ungarns von etwa 10 Millionen Einwohnern); zuletzt wurden Zahlen von weit mehr als 300.000 Schutzsuchenden genannt, von denen die meisten, nur zum wohl geringeren Teil registriert, nach Österreich weiterreisten. Ob die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Serbien und nun auch zu Kroatien und überhaupt die restriktiv wirkende Flüchtlingspolitik Ungarns jetzt zu einer Minderung der Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden führen, ist unklar.
41 
Im März 2015 verfügte Ungarn über 2500 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen (vgl., auch zum Folgenden: EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015); das Auswärtige Amt hatte in seiner Auskunft an die Kammer vom 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13 noch von 1.500 Plätzen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und von weiteren 400 Plätzen in Asylhafteinrichtungen und der geplanten Eröffnung einer weiteren Aufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas gesprochen. Zur Anhörung von Schutzsuchenden und zur Entscheidung über ihre Schutzanträge standen 56 Sachbearbeiter in ganz Ungarn bereit. Neue Mitarbeiter waren eingestellt, aber noch nicht geschult. Schutzsuchende werden an der Grenze registriert und einem der vier Empfangszentren zugewiesen; sie können auch auf eigene Kosten im ganzen Land Unterkunft suchen, erhalten dafür aber keine Unterstützung. Wenn sie an einer ihnen bezeichneten Stelle zur Stellung des Asylantrags oder zur später angeordneten Anhörung nicht erscheinen, wird das Schutzgesuch entweder, auf der Grundlage von hinreichenden Angaben bei der Registrierung abgelehnt, oder das Verfahren wird wegen angenommener Rücknahme des Schutzgesuchs eingestellt. Für einen Schutzsuchenden, der später sein Schutzgesuch erneuert, wird ein nichtbeendetes Verfahren fortgesetzt, ein durch Ablehnung des Schutzgesuchs beendetes Verfahren kann innerhalb der Rechtsmittelfrist von acht Tagen im Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt werden. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat der Schutzsuchende das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Nach den Angaben des ungarischen Büros für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (OIN) werden auch Dublin-Rückkehrer stets als Schutzsuchende behandelt. Gibt der Schutzsuchende aber im Folgeverfahren die gleichen Gründe an wie im ersten Verfahren, kann der Folgeantrag als unzulässig behandelt werden.
42 
Zur Rücküberstellung nach Ungarn hat das Auswärtige gegenüber der Kammer (Auskunft v. 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13) erläutert: Die per Flug Überstellten würden zur Zentrale des ungarischen Amts für Staatsbürgerschaft und Einwanderung gebracht und informiert, dass sie als Asylbewerber behandelt würden. Wenn ein erstes Asylverfahren in Ungarn ohne Entscheidung in der Sache oder durch Rücknahme beendet worden sei, werde es fortgesetzt, sonst werde ein Zweitantrag angenommen. Bei einem Zweitantrag würden (nur) nachträglich entstandene Umstände berücksichtigt. Die Klagefrist betrage drei Tage nach Bekanntgabe/Zustellung der Entscheidung. Bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren hätten Asylbewerber Anspruch auf Sozialleistungen, es sei denn, der Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt worden. Ausgeschlossen von den im Asylgesetz geregelten Sozialleistungen seien auch Zweitantragsteller, deren Erstverfahren eingestellt oder abgelehnt worden sei oder bei denen das refoulement-Verbot einer Abschiebung nicht entgegen stehe. Ausreisepflichtige müssten die Unterkunft verlassen, der Aufenthalt sei auf einen bestimmten Regierungsbezirk (Komitat) beschränkt. Sie könnten in öffentlichen Notunterkunftsplätzen des jeweiligen Regierungsbezirks unterkommen und eine kostenlose medizinische Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Bei Zuerkennung eines Schutzstatus könnten sie Integrationsleistungen beanspruchen. Seit Januar 2014 würden diese auf örtlicher Ebene (dezentral) durchgeführt. Dabei wirke ein örtlich zuständiger Dienst für Familienförderung mit (auch für Personen ohne Schutzstatus). Es würden individuelle Integrationsvereinbarungen geschlossen. Bei der Förderung der sozialen Integration leiste der Dienst neben finanziellen Hilfen u.a. auch Hilfe bei der Arbeitssuche. In der Flüchtlingshilfe engagierten sich u.a. die Flüchtlingsmission der Reformierten Kirche, die Ungarische Gesellschaft für Migranten und das Helsinki-Komitee. In den Jahren von 2012 bis 2014 habe es 335, 850 bzw. 827 Rücküberstellungen im Dublin-Verfahren gegeben.
43 
Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 30.09.2014 im Verfahren A 5 K 2328/13 weitgehend entsprechende Angaben gemacht. Die am 01.07.2013 in Kraft gesetzten neuen Bestimmungen zur Inhaftierung von Schutzsuchenden bis zu sechs Monaten hat er kritisch beurteilt. Nach seiner Ansicht würden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Haft genommen, ausgenommen Familien oder besonders vulnerable Asylsuchende. Beim damaligen Stand hat der UNHCR für den August 2014 dank Unterstützung der Europäischen Union eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge gesehen. Anerkannte Flüchtlinge müssten mehrere Monate warten, bis sie Integrationshilfen beanspruchen könnten. Hinsichtlich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen gebe es aus allen Aufnahmeeinrichtungen Beschwerden. Drogen- und andere Abhängige hätten keinen Zugang zu medizinischen Diensten. Ein psychisches Problem seien auch fehlende tägliche Beschäftigung und Abwechslung. Wer keine permanente Adresskarte habe, habe Probleme beim Zugang zu medizinischen Diensten. Zum 01.01.2014 seien Regelungen zur Integration von Personen mit Schutzstatus eingeführt worden. Es gebe systemische Probleme, die einer Integration von Flüchtlingen entgegen stünden. Das System der gesetzlichen Hilfen sei unter anderem bei weitem nicht genügend finanziert. Obdachlose, die auf öffentlichen Plätzen nächtigten, würden kriminalisiert. Im Juni 2013 seien unter Hinweis auf diese Bedingungen etwa 70 und im August 2013 nochmals etwa 20 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland weitergereist. Pro Asyl und bordermonitoring hätten berichtet, dass Inhaber eines Schutzstatus nach der Rückkehr nach Ungarn sich in einer besonders verletzlichen Lage befunden hätten. Deren finanzielle Unterstützung sei zu gering gewesen, um eine Wohnung zu finden. Auch in Obdachlosenunterkünften habe es nicht genügend Plätze für Flüchtlinge gegeben. Eine im Jahr 2012 erfolgte Befragung habe ergeben, dass fast die Hälfte der Personen mit Schutzstatus keine Arbeit gehabt hätten, was u.a. auf den Mangel an Ausbildung und Berufserfahrung und den Mangel an ungarischen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden könne. Die Inhaftierungspraxis und deren gerichtliche Kontrolle sei mangelhaft. Die Ernährung der Flüchtlinge in Haft sei nach deren Angaben unzureichend, seitens des Personals in den Haftanstalten gebe es Rassismus und Missbrauch. Neu eingestelltes Personal in den Aufnahmeeinrichtungen habe keine Berufserfahrung und auch keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Es gebe keine Vorkehrungen, verletzliche Personen zu erkennen. Die Hygiene-Einrichtungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien unzureichend. Über private Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen und dabei vom ungarischen Staat unterstützt würden, lägen keine Auskünfte vor.
44 
Am 23.09.2015 hat die Europäische Kommission gegen Ungarn zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen ausstehender Berichte zur Einhaltung von Asylverfahrensbestimmungen und zur Einhaltung der Standards für Aufnahmebedingungen anerkannter Flüchtlinge eingeleitet. Auch gegen zahlreiche andere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zugleich hat die Kommission umfangreiche unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, wozu auch eine Ausweitung der finanziellen und personellen Unterstützung der am stärksten von der Flüchtlingsmigration betroffenen Mitgliedstaaten gehören.
45 
Wegen der im Lauf des ersten Halbjahres 2015 stark angestiegenen Zahl an Schutzsuchenden hat Ungarn im Juli 2015 entlang der 174 km langen Grenze zu Serbien einen festen bzw. aus übereinander liegenden Rollen von sogenanntem Nato-Draht gefertigten durchgehenden Zaun errichtet, um die Schutzsuchenden zu veranlassen, die serbisch-ungarische Grenzen nur an den Grenzübergängen zu überschreiten und um diese nahe der Grenze registrieren zu können. Geplant war (und noch nicht verwirklicht ist), Schutzsuchende nicht weiter ins Land einreisen zu lassen, und grenznahe Unterkünfte und Einrichtungen zur Aufnahme zu errichten. Um auch das Militär einsetzen zu können, wurde an die Ausrufung eines "Migrationsnotstands‘“ gedacht.
46 
Die ungarische Bevölkerung ist nach vielen Pressemeldungen gegenüber den Schutzsuchenden überwiegend ablehnend eingestellt. Die Regierung greift diese Stimmung nicht nur auf, sondern befördert sie. Laut Pester Lloyd vom 12.06.2015 hat der ungarische Ministerpräsident etwa geäußert: „Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Kulturen zu ersparen“. Im Juli 2015 beharrte er darauf, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben solle. Bei einer vom UNHCR deutlich kritisierten landesweiten Regierungskampagne wurde plakatiert: "Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen!“ (Spiegel-online v. 02.09.2015). Auch empfindet die ungarische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Einmischung und behindert deren Arbeit (Spiegel-online v. 12.09.2014).
47 
In einem Interview (FAZ vom 03.09.2015, S. 10) hat der ungarische Ministerpräsident geäußert, Europa müsse verstehen, dass man nicht aufnehmen könne, wenn man überrannt werde. Deshalb sei der Zaun, den Umgarn baue, wichtig. Er folge aus dem Schengener Abkommen. Das ungarische Volk sei konsultiert worden. Von acht Millionen Wählern hätten eine Million geantwortet. 85 % von ihnen meinten, die Union sei bei der Bewältigung der Einwanderung gescheitert. Europa könne nicht gegen den Willen der Bürger sein. Nur wenn die Grenzen beschützt würden, könnten Fragen gestellt werden nach der Anzahl der Menschen, die Europa aufnehmen wolle oder ob es Quoten geben solle. Die Menschen, die kämen, seien meistens keine Christen, sondern Muslime. Wenn das aus den Augen verloren würde, könne der europäische Gedanke auf dem eigenen Kontinent in die Minderheit geraten. Die erwähnte Umfrage hatte die Mitteleuropa-Vertretung des UNHCR zum Anlass genommen, ihre „zutiefste“ Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass die ungarische Regierung Flüchtlinge als Gefahr für das Land darstelle (Salzburger Nachrichten v. 08.05.2015 - online), und eine Gegenkampagne gestartet, in deren Rahmen ab dem 01.07.2015 500 Plakate im ganzen Land aufgehängt werden sollten. Eine Sprecherin des UNHCR habe dazu gesagt, die Lage in Ungarn sei eine besondere, weil nicht, wie in kleinen Ländern, kleine Gruppen Fremdenhass schürten, sondern die Regierung; ein positives Zeichen sei, dass die Reaktionen in der ungarischen Öffentlichkeit gespalten seien (euronews v. 17.06.2015). Die ungarische Regierung sieht, wie auch die Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien zeigt, die ein- und durchreisenden Flüchtlinge ausdrücklich als Gefahr an (Handelsblatt v. 02.10.2015: Orban: „Das Land ist von einer Flüchtlingsarmee bedroht“). Gemeldet wurde auch, ein Sprecher der Partei Fidesz habe gesagt, das größte Aufnahmelager Debrecen (das Platz für 930 Menschen bietet, aber nur mit derzeit 260 Menschen belegt sei), solle mit Rücksicht auf die Bewohner der Umgebung geschlossen werden; der UNHCR habe das Vorgehen Ungarns gegenüber den Flüchtlingen u.a. deshalb als sehr besorgniserregend bezeichnet (DLF v. 02.10.2015).
48 
Es gibt nur wenige Hilfsorganisationen, welche sich um Schutzsuchende bzw. anerkannte Schutzsuchende kümmern. Über bürgerschaftliche Hilfe wird berichtet. Wie wirksam diese bei der großen Zahl der Schutzsuchenden sein kann, lässt sich nicht einschätzen.
49 
Insbesondere hinsichtlich der jüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetze und sonstiger neuerer Entwicklungen hat die Beklagte in keinem der am 13.10.2015 verhandelten Verfahren substantiiert dargelegt, wie sich die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren rechtlich und tatsächlich in den letzten Monaten entwickelt haben.
50 
Die Kammer konnte auch nicht unmittelbar von dem Verbindungsbeamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei der ungarischen Asylbehörde Erkenntnisse erhalten. Dieser hat auf eine - außerhalb dieses Verfahrens erfolgte - Anfrage per E-Mail nach den letzten Änderungen im ungarischen Asylrecht mitgeteilt, er könne nicht (mehr) unmittelbar Auskunft erteilen, Auskünfte erteilten die Dublin-Referate des Bundesamts. Der Informationsaustausch der Dublin-Referate des Bundesamts mit den Vertretern des Bundesamts vor den Verwaltungsgerichten scheint allerdings zur Zeit nicht gewährleistet zu sein; denn diese haben sich nicht in der Lage gesehen, aktuelle Erkenntnisse mitzuteilen.
51 
Die Kammer stützt sich daher, was die Entwicklung in den letzten Monaten betrifft, in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie auf den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) im Anschluss an eine Bereisung vom 16. bis 20.03.2015 sowie auf zahlreiche Internet-Veröffentlichungen des Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles etc. sowie insbesondere auf die in der Rechtsprechung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts umfassend wiedergegebenen und laufend aktualisierten Berichte des österreichischen Verbindungsbeamten bei der ungarischen Asylbehörde (vgl. zuletzt öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 - W 1442114716-1/3 E -, Internet-Seite des österreichischen Bundeskanzleramts, dort Rechtsinformationssystem -RIS-; dort finden sich im Einzelnen insbesondere Ausführungen zum Asylverfahren allgemein (2.), zur Haft (3.), zur Lage von Dublin-Rückkehrern (4.), zu vulnerablen Gruppen (5.), zur Versorgung, insbesondere Unterbringung (7.) und zur Lage von Schutzberechtigten (8.), auf die die Kammer Bezug nimmt).
52 
Danach hat Ungarn im Juli 2015 mit Wirkung ab dem 01.08.2015 das Asylrechtsgesetz in erheblichem Umfang geändert und eine entsprechende Durchführungsverordnung erlassen. Als sicherer Drittstaat wurden u.a. auch die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union benannt, also auch Serbien. Zahlreiche Beschleunigungs- und Darlegungspflichten wurden eingeführt bzw. verschärft. 160 ungarische Rechtsanwälte haben daraufhin die neuen Regelungen, darunter auch Behandlung Minderjähriger ab 14 Jahren als Grenzverletzer mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren, keine zwingende Übersetzung von Anklage und Urteil, als Verstoß gegen Völkerrecht gewertet (spiegel-online v. 03.10.2015: „Ungarn urteilt Flüchtlinge im Schnellverfahren ab“). Für die Inhaftierung von Asylsuchenden gibt es seit dem 01.07.2015 geänderte Bestimmungen. Asylhaft wird insbesondere verhängt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Antragsteller das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird. Dann bleibt die Haft für die Dauer des gesamten Asylverfahrens aufrecht erhalten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 4.806 Personen in Asylhaft genommen, am häufigsten Asylsuchende aus dem Kosovo und aus Afghanistan (1.038). Im Jahr 2015 gingen die Zahlen möglicherweise zurück. Ab September 2014 wurden wieder Familien mit Kindern in Asylhaft genommen. Mitte März 2015 soll diese Praxis aufgrund eines Berichts des ungarischen Ombudsmanns für Menschenrechte wieder eingestellt worden sein; aktuelle Informationen dazu gibt es nicht.
53 
Für das Vorliegen systembedingter Mängel mit der Folge, dass aktuell jeder Asylbewerber in Ungarn Gefahr liefe, dort menschenrechtswidrig behandelt zu werden, spricht bereits der Umstand, dass seit September 2015 die Bundesrepublik Deutschland wie auch Österreich davon ausgehen, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die große Zahl an einreisenden Flüchtlingen nach den unionsrechtlichen Regeln durch ein Asylverfahren zu führen und - bei Erreichen eines Schutzstatus - auch auf Dauer hinreichende Aufnahmebedingungen zur Verfügung zu stellen.
54 
Dem entspricht es, dass eine zunehmende Zahl von Verwaltungsgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie auch in Urteilen aus unterschiedlichen Erwägungen zur Auffassung gelangt, dass Ungarn zur Zeit nicht als zuständiger Staat betrachtet werden darf (u.a. VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2015 - 8 L 2811/15.A -; VG München, Beschl. v. 21.05.2015 - M 16 S 15.50329 -; VG Köln, Urt. v. 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A - und v. 08.09.2015 - 18 K 4584/15.A -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2015 - 3 K 296/15 -; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 - 3 L 776/15; VG Münster, Beschl. v. 07.07.2015 - 2 L 858/15.A -, alle juris).
55 
In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist die Frage nicht geklärt. Wenigen ablehnenden Entscheidungen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29 OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Bayer.VGH, Beschl. v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; alle juris) steht gegenüber, dass etwa das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen eine klagabweisende Entscheidung zugelassen hat (Beschl. v. 15.05.2015 - 8 LA 85/15 - a.a.O.).
56 
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 (E. v. 03.07.2014 - Nr. 71932/12 - gestützt auf Stellungnahmen des UNHCR, des Ungarischen Helsinki-Kommitees und des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, die sich mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst hat, entschieden, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2014 mit Blick auf die signifikanten Änderungen der ungarischen Asylgesetze weder die Inhaftierungspraxis noch die Haftbedingungen den dortigen Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Ungarn als Asylsuchender aussetzen würde; gleiches gelte für die Gefahr einer Überstellung des Klägers nach Serbien. Auch der Europäische Gerichtshof hatte noch im Jahr 2013 (Urt. v. 10.12.2013 a.a.O.) systemische Mängel im ungarischen Asylsystem verneint.
57 
Demgegenüber haben sich die Verhältnisse aber - auch für sog. Dublin-Rückkehrer - in Folge der sehr stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und der hierauf erlassenen Gesetzesverschärfungen in Ungarn aber in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht wesentlich verschlechtert (vgl., insbesondere zur Inhaftierungspraxis, zu den Haftbedingungen und zur gerichtlichen Kontrolle, VG Köln, Urt. v. 30.07.2015 a.a.O.; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 a.a.O.; vgl. auch schon VG Berlin, Beschl. v. 23.01.2015 – 23 L 717.14 A – juris; auch VG München, Urt. v. 29.08.2014 - M 24 K 13.31294 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2014 - 14 L 1786/14.A - juris). Zudem sieht Ungarn seit dem 01.09.2015 Serbien wieder als sicheren Drittstaat an, wobei noch nicht klar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen es tatsächlich zu Überstellungen nach Serbien kommen wird, insbesondere auch von Personen, welche nach den Dublin-Regeln nach Ungarn zurücküberstellt werden und die dort möglicherweise als Folgeantragsteller behandelt würden (vgl. öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
58 
Ob die neuen Vorschriften zur Beschleunigung der Asylverfahren in jeder Hinsicht dem Unionsrecht genügen, ist zumindest sehr zweifelhaft. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und in welchen Fällen Dublin-Rückkehrer bei Fortsetzung des Asylverfahrens bzw. in einem Zweitverfahren in ihrem Vorbringen beschränkt sind, ferner auch für die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Asylverfahren eingestellt wird, wenn der Antragsteller für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung angetroffen werden kann, der er zugewiesen ist (so VG Köln a.a.O.).
59 
Schließlich kann es nicht zu Lasten der Betroffenen ausschlagen, dass es aktuell keine verlässlichen Berichte über die tatsächliche Lage von Asylbewerbern und Inhabern von internationalem Schutz in Ungarn gibt und dass Ungarn selbst gegenüber der Europäischen Kommission nicht berichtet, inwieweit es - unter der augenscheinlichen Überlastung - die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben bewältigen kann.
60 
Vielmehr muss bei der Beurteilung einer Gefahrenlage für nach Ungarn rücküberstellte Asylbewerber vor allem das oben geschilderte innenpolitische Klima berücksichtigt werden. Indem die Regierung in der öffentlichen Debatte einseitig die Abwehr von Flüchtlingen betont und Ängste in der Bevölkerung schürt, trägt sie erheblich dazu bei, dass bei es der Anwendung der gesetzlichen Regelungen, auch soweit diese dem europäischen Flüchtlingsrecht zweifellos entsprechen, zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.
61 
Insbesondere lässt die ungarische Politik keine hinreichende Bereitschaft erkennen, von Ungarn als schutzbedürftig anerkannten Personen bei der Integration in die Gesellschaft beizustehen. Die dafür geschaffenen Regeln und die dafür bereit gestellten Mittel sind nach der Auskunft des UNHCR offensichtlich unzureichend. So erscheint als nicht gesichert, dass Menschen, die in Ungarn internationalen Schutz erhalten haben, insbesondere auch Dublin-Rückkehrer, in den Genuss der ohnehin deutlich unterfinanzierten gesetzlichen Integrationsangebote kommen können. Für die zuletzt genannte Gruppe dürfte dies schon an den verstrichenen Antragsfristen scheitern. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für diesen Personenkreis ist völlig ungewiss. Eine Verweisung in die staatlichen bzw. kommunalen Obdachlosenunterkünfte scheitert an den Kapazitäten und für Familien auch daran, dass dort keine Kinder aufgenommen werden; in zahlreichen Verfahren ist der Kammer von den Klägern überzeugend vorgetragen worden, dass es ihnen nicht gelungen ist, Wohnung und Arbeit zu finden.
62 
Aus diesen Gründen ordnet das österreichische Bundesverwaltungsgericht seit September 2015 in Dublin-Ungarn-Fällen die aufschiebende Wirkung der Klagen regelmäßig an. Von ihm gibt es auch schon stattgebende Hauptsachentscheidungen. Diese sind allerdings - wohl mangels einer Pflicht, Spruchreife selbst herbeizuführen - damit begründet, dass die Veränderung der Sachlage weiterer Aufklärung durch die österreichische Asylbehörde bedarf (vgl. Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
63 
Der Feststellung von systembedingten Mängeln des ungarischen Asylsystems im oben dargelegten Sinn lässt sich nicht - wie dies die Beklagte tut - entgegen halten, dass weitaus die meisten Schutzsuchenden gar nicht in Ungarn bleiben, sondern, entgegen dem ungarischen Flüchtlingsrecht auf allen möglichen Wegen nach Österreich und von dort insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch weiter nach Schweden, reisen wollen. Denn der Andrang von Flüchtlingen auch an den ungarischen Grenzen dauert weiter an. Außerdem wäre Ungarn jedenfalls dann, wenn, wie im Fall des Klägers, die anderen Dublin-Staaten auf einer Rücküberstellung dorthin bestehen würden, wiederum mit der Zahl der Antragsteller überfordert.
64 
Soweit in zahlreichen Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte darauf abgehoben wird, dass der UNHCR, anders als bei Griechenland und - eingeschränkt - Bulgarien, aktuell keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Ungarn zu überstellen, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Der UNHCR selbst hält einer solchen Interpretation entgegen, dass das Fehlen einer solchen generellen Empfehlung keineswegs bedeute, er sei der Auffassung, dass keine solchen einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Aus seiner Sicht ist es Sache der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschlössen. Der UNHCR weist insoweit auch darauf hin, dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs diese Auffassung ausdrücklich bestätigt habe (vgl. UNHCR an VG Bremen v. 30.09.2014). Auch hat der UNHCR angesichts der jüngsten Entwicklung wiederholt vor einer „weiteren Verschlechterung der Lage“ gewarnt und betont, es sei wichtig, dass die Umsetzung der neuen asyl- und haftrechtlichen Vorschriften gut durchdacht werde, andernfalls „das zu Chaos“ führen würde (heute.de v. 05.10.2015). Im Übrigen bedürfte es gegenwärtig entsprechender Warnungen des UNHCR nicht, weil Überstellungen nach Ungarn wohl seit einigen Monaten gar nicht mehr stattfinden. Das ergibt sich aus Folgendem:
65 
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom 18.08.2015 (BT-Drucksache 18/5785, S. 18 ff., noch mit dem Vermerk "Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt") ergibt sich, dass das Bundesamt im ersten Quartal 2015 2952 und im zweiten Quartal 2015 3565 Übernahmeersuchen an Ungarn gerichtet hatte. Etwa 80 % der Ersuchen (2.304 bzw. 2.665 akzeptierte Ungarn. Im ersten Quartal 2015 gab es 30 Selbsteintritte oder faktische Überstellungshindernisse in Bezug auf Ungarn, im zweiten Quartal 2015 171. Tatsächlich überstellt wurden nach Ungarn (nach der Dublin-Verordnung) im ersten Quartal 2015 aber nur 42 Personen und im zweiten Quartal 2015 nur 61 Personen, also nur etwa 2 Prozent bezogen auf die Zahl der akzeptierten Übernahmeersuchen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt und auch auf Nachfrage vom Bundesamt nicht zu erfahren. Sie dürften einerseits in einer begrenzten Aufnahmebereitschaft Ungarns (Kontingentierung der Aufnahme), andererseits aber auch in der beschränkten Kapazität der zuständigen deutschen Behörden liegen. Ein ähnliches Bild bietet die schweizerische Asylstatistik. Die Schweiz hatte im ersten Halbjahr 2015 407 Ersuchen an Ungarn gestellt, die Ungarn in 333 Fällen akzeptierte; tatsächlich überstellt wurden im gleichen Zeitraum nur 54 Personen, also etwa 16 % der akzeptierten Übernahmeersuchen.
66 
Seit mehreren Monaten finden auf Bitten Ungarns wohl überhaupt keine Rücküberstellungen von Deutschland aus mehr statt (vgl. die Nachweise bei VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 - juris). Nachfragen der Kammer dazu hat das Bundesamt nicht beantwortet.
67 
Auch deshalb ist die angefochtene Abschiebungsanordnung rechtswidrig. Denn § 34a Abs. 1 AsylVfG erfordert, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Dafür reicht eine Übernahmeerklärung Ungarns aber nicht aus, wenn anschließend seitens des ungarischen Staats keine oder nur eine ganz geringe Bereitschaft und so gut wie keine Kapazität besteht, Erst- und Folgeantragsteller sowie überstellte Schutzsuchende und Inhaber internationalen Schutzes tatsächlich aufzunehmen. Zumindest erscheint es als völlig fernliegend, dass bei einer evtl. Wiederaufnahme von Überstellungen nach Ungarn in einigen Monaten oder einem Jahr ausgerechnet diejenigen Schutzsuchenden zurücküberstellt würden, welche sich nun schon seit mehreren Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt umso mehr für Schutzsuchende, die in Ungarn oder nach Zurückschiebung nach Serbien bzw. Griechenland Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang, insbesondere eine langdauernde Asylhaft, erfahren haben, wenn dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Daraus kann sich - wie oben dargelegt - sogar ein Abschiebungsverbot in rechtlicher Hinsicht ergeben (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).“
68 
Inzwischen sind weitere entsprechende Entscheidungen in Hauptsacheverfahren bekannt geworden (VG München, Urt. v. 26.08.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Augsburg, Urt. v. 18.08.2015 - Au 6 K 15.50155 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.2015 - A 2 K 168/14 -), die allerdings nicht Schutzsuchende betreffen, welche bereits einen Schutzstatus in Ungarn erlangt hatten.
69 
Aus den oben genannten Gründen ist die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Kläger rechtswidrig.
70 
Es erscheint zwar als zweifelhaft, dass er im Zuge einer Überstellung nach Ungarn dort in Haft genommen würde, wenn er seinen von Ungarn ausgestellten Flüchtlingsausweis vorzeigen kann.
71 
Es ist aber, angesichts der oben getroffenen Feststellungen und der der Beklagten anzulastenden Unmöglichkeit, aktuelle Informationen aus Ungarn diesbezüglich zu erhalten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn zum jetzigen Zeitpunkt dort in die Obdachlosigkeit fallen, keinen Notschlafplatz finden, keine ausreichende Unterstützung erhalten und auch keine Hilfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit erhalten würde. Dies ist ihm umso weniger zuzumuten, als er - nach seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Grund hat zu zweifeln - bei früheren Aufenthalten in Ungarn nicht nur Solches erfahren hat, sondern dort auch über sechs Monate als Asylsuchender inhaftiert und überdies rechtswidrig nach Griechenland überstellt worden war, wo nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung damals systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestanden.
72 
Rechtswidrig ist die Abschiebungsanordnung auch deshalb, weil die Abschiebung auf unabsehbare Frist nicht ausgeführt werden kann, weil - wie oben ausgeführt - ausgeschlossen erscheint, dass Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit Schutzsuchende wieder übernimmt; das gilt auch für Menschen, die wie der Kläger in Ungarn internationalen Schutz gefunden haben.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Gründe

 
23 
Soweit der Kläger die Klage - hinsichtlich der Feststellung, dass ihm auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zustehe - zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen und allein noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden.
24 
Über die Klage im Übrigen kann die Kammer entscheiden, obwohl die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war; denn auf diese Möglichkeit ist die Beklagte in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
25 
Im Übrigen hat die Klage Erfolg. Sie ist als Anfechtungsklage statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Denn die auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützte Anordnung der Abschiebung des Klägers nach Ungarn ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), weil dem Kläger aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auch für anerkannte Flüchtlinge mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh bzw. in seinem Menschenrecht aus Art. 3 EMRK verletzt zu werden.
26 
Zu den rechtlichen Grundlagen insoweit und zu den aktuellen tatsächlichen Verhältnissen in Ungarn hat die Kammer im Urteil vom gleichen Tag im Verfahren A 5 K 2328/13 ausgeführt:
27 
„Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Dublin-II-Verordnung (Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417, vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129, v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - NVwZ 2014, 208) und dem folgend des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.04.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris sowie Urt. v. 18.03.2015 - A 11 S 2042/14 - juris) hat ein Asylbewerber - sofern spezialgesetzlich keine besonderen Ausnahmen geregelt sind (vgl. etwa Art. 7 Dublin II-VO) - grundsätzlich kein subjektives Recht auf Prüfung seines Antrags in einem bestimmten Mitglied- oder Vertragsstaat, so dass Fehler bei der Auslegung und bei der Anwendung der Zuständigkeitsregelungen der Verordnung grundsätzlich unerheblich sind. Grundsätzlich kann ein Antragsteller mit Aussicht auf Erfolg nur einwenden, dass in dem in der Abschiebungsanordnung bezeichneten Staat systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gegeben sind, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (EuGH, Urt. v. 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi - a.a.O.)
28 
Dabei kann jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Auf dieser Grundlage besteht eine - allerdings - widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Diese Vermutung ist widerlegt, wenn in der Rechtsanwendungspraxis in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und diese zur absehbaren Folge haben, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
29 
Insoweit stellt nicht jeder vereinzelte Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO (bzw. nunmehr der Dublin III-VO) und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts, wie von Art. 4 GRCh, durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Denn dann stünde nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. jetzt auch Art. 3 Abs. 2 UA. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 = Dublin III-VO) des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (EuGH, Urt. v. 21.12.2011, a.a.O. und v. 14.11.2013 - C-4/11, Puid - NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1093, und v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677). Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von An-tragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77).
31 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien - NVwZ 2011, 413, v. 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tarakhel/Schweiz - juris, und E. v. 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande - juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 - InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (so nunmehr Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. - NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Europäischen Gerichtshofs gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 - 10 C 23.12 - NVwZ 2013, 936; Beschl. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris).
32 
Anhand dieser Grundsätze sind hinreichende Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Griechenland angenommen worden (EGMR - Große Kammer, Urt. v. 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien und Griechenland - NVwZ 2011, 413 und weitere, vgl. dazu, auch zum Folgenden, BVerwG, Beschl. v. v. 19.03.2014 a.a.O. und v. 06.06.2014 - 10 B 35/14 - juris).
33 
Für das in Deutschland - im Unterschied zu anderen Rechtssystemen - durch den Untersuchungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) geprägte verwaltungsgerichtliche Verfahren hat das Kriterium der systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union Bedeutung für die Gefahrenprognose im Rahmen des Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 22 m.w.N. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Fokussierung der Prognose auf systemische Mängel ist dabei, wie sich aus den Erwägungen des Gerichtshofs zur Erkennbarkeit der Mängel für andere Mitgliedstaaten ergibt (EuGH, Urt. v. 21.12.2011 - Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 - a.a.O. Rn. 88 bis 94), Ausdruck der Vorhersehbarkeit solcher Defizite, weil sie im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen. Solche Mängel treffen den Einzelnen in dem zuständigen Mitgliedstaat nicht unvorhersehbar oder schicksalhaft, sondern lassen sich aus Sicht der deutschen Behörden und Gerichte wegen ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit verlässlich prognostizieren. Die Widerlegung der o.g. Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus.
34 
Das Bundesverwaltungsgericht hat daraus gefolgert (Beschl. v. 06.06.2014 - 10 B 35.14 - a.a.O.): Aus der dargelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebe sich, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin-II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat mit Blick auf unzureichende Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegentreten könne und es nicht darauf ankomme, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommen könne und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt gewesen sei. Derartige individuelle Erfahrungen seien vielmehr (allein) in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob systemische Mängel im Zielland der Abschiebung des Antragstellers (dort: Italien) vorliegen. In diesem begrenzten Umfang seien individuelle Erfahrungen des Betroffenen zu berücksichtigen. Dabei sei allerdings zu beachten, dass persönliche Erlebnisse Betroffener, die - wie in dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zu Grunde liegenden Fall - einige Jahre zurücklägen, durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein könnten. Individuelle Erfahrungen einer gegen Art. 4 GRCh verstoßenden Behandlung führten hingegen nicht zu einer Beweislastumkehr für die Frage des Vorliegens systemischer Mängel.
35 
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (zu Italien) ist dabei stets auch zu fragen, ob die gesetzliche Vermutung des Fehlens systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen zumindest für einzelne Gruppen besonders verletzlicher Antragsteller erschüttert bzw. widerlegt ist. Eine Überstellung sogenannter vulnerabler Personen kommt nur in Betracht, wenn der Aufnahme-Mitgliedschaft eine entsprechende individuelle Garantieerklärung abgibt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.07.2015 - 2 BvR 746/15 - m.w.N.)
36 
Die Kammer hat allerdings in mehreren Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl. etwa VG Freiburg, Beschl. v. 30.07.2014 - A 5 K 418/14 - juris) zu Grunde gelegt, dass eine Beweislastumkehr ausnahmsweise dann angezeigt ist, wenn erwiesen ist, dass in einem Mitgliedstaat systemimmanente Schwachstellen bestanden haben, welche die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung des jeweiligen Klägers als beachtlich wahrscheinlich haben erscheinen lassen (das dürfte in Ungarn in den Jahren 2011 und 2012 der Fall gewesen sein). In einem solchen Fall sollte ein durchgreifender Wandel der Verhältnisse erst dann zu Grunde gelegt werden können, wenn er nachgewiesen ist. Mit anderen Worten: Eine Verbesserung der Verhältnisse hinsichtlich der Asylverfahren und der Aufnahmebedingungen, etwa durch Änderungen der einschlägigen mitgliedstaatlichen Vorschriften oder durch Bereitstellung weiterer personeller und sächlicher Mittel, sollte erst dann zu Lasten des jeweiligen Schutzsuchenden angenommen werden, wenn die angestrebten Verbesserungen in der Anwendung der verbesserten Vorschriften auch nachweislich eingetreten sind; dass in den Monaten nach der Verbesserung der rechtlichen Grundlagen noch keine aktuellen Beschwerden oder keine aktuelle Kritik des UNHCR oder anderer Menschenrechtsorganisationen bekannt geworden ist, sollte für die Annahme einer nachhaltigen Verbesserung der Verhältnisse nicht ohne Weiteres ausreichen. Dem entspräche es im Übrigen auch, dass die Mitgliedstaaten bei Griechenland tatsächlich wohl so verfahren und mit einer Wiederaufnahme von Überstellungen nach Griechenland erst wieder begonnen werden dürfte, wenn dort entsprechende Verfahren und Aufnahmebedingungen gewährleistet sind.
37 
Weiter erscheint der Kammer fraglich, ob bei der Feststellung systemischer Mängel im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen eine vom jeweiligen Asylbewerber selbst erfahrene menschenrechtswidrige Behandlung, etwa eine längere, unbegründete Haft, eine längere unfreiwillige Obdachlosigkeit oder ein langjähriges Fernhalten vom Asylverfahren, erst dann von Bedeutung sein soll, wenn sich hieraus eine anhaltende, im Aufnahmestaat nicht zu behandelnde Gesundheitsstörung (insbesondere posttraumatische Belastungsstörung) ergeben hat.
38 
Denn auch wenn solche Erfahrungen Einzelner für sich noch keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen begründen können, es sei denn, sie sind zahlreich und repräsentativ für eine (vulnerable) Gruppe, der der jeweilige Antragsteller angehört, könnte eine selbst erlittene menschenrechtswidrige Behandlung doch bei der Frage, ob die Beklagte in das Asylverfahren als zuständiger Staat eintritt, jedenfalls aber bei der Prüfung, ob eine Abschiebungsanordnung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlassen wird, zu berücksichtigen sein (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK, Art. 4 GRCh). Davon scheint etwa das Schweizerische Bundesgericht auszugehen, das auch Umstände berücksichtigt, welche die Schutzsuchenden bei ihrem Aufenthalt im Erstaufnahmestaat individuell erlitten haben (z.B. sexuelle Übergriffe, Suizidversuch, Therapiebedürftigkeit). (vgl. Urt. v. 09.10.2013 - E 2093/2012 - und v. 30.10.2013 - E 3837/2012 -; zuletzt auch Urt. v. 23.07.2015 - D 2408/2015).
39 
Unabhängig davon steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass jedenfalls gegenwärtig in Ungarn systembedingte Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestehen, welche jeden Schutzsuchenden, der dorthin zurücküberstellt wird, der beachtlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung aussetzt. Dabei geht die Kammer von Folgendem aus:
40 
Die Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden ist zuletzt sehr stark angestiegen. Im Jahr 2012 wurden noch 2.155 Asylbewerber, im Jahr 2013 18.900 und im Jahr 2014 42.777 Schutzsuchende registriert. Im Jahr 2015 war zunächst von 150.000 nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden bis zum 01.09.2015 die Rede (bei einer Gesamtbevölkerung Ungarns von etwa 10 Millionen Einwohnern); zuletzt wurden Zahlen von weit mehr als 300.000 Schutzsuchenden genannt, von denen die meisten, nur zum wohl geringeren Teil registriert, nach Österreich weiterreisten. Ob die Errichtung eines Zauns an der Grenze zu Serbien und nun auch zu Kroatien und überhaupt die restriktiv wirkende Flüchtlingspolitik Ungarns jetzt zu einer Minderung der Zahl der nach Ungarn einreisenden Schutzsuchenden führen, ist unklar.
41 
Im März 2015 verfügte Ungarn über 2500 Plätze zur Aufnahme von Flüchtlingen (vgl., auch zum Folgenden: EASO, Beschreibungen des ungarischen Asylsystems, Stand März 2015); das Auswärtige Amt hatte in seiner Auskunft an die Kammer vom 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13 noch von 1.500 Plätzen in offenen Aufnahmeeinrichtungen und von weiteren 400 Plätzen in Asylhafteinrichtungen und der geplanten Eröffnung einer weiteren Aufnahmeeinrichtung in Kiskunhalas gesprochen. Zur Anhörung von Schutzsuchenden und zur Entscheidung über ihre Schutzanträge standen 56 Sachbearbeiter in ganz Ungarn bereit. Neue Mitarbeiter waren eingestellt, aber noch nicht geschult. Schutzsuchende werden an der Grenze registriert und einem der vier Empfangszentren zugewiesen; sie können auch auf eigene Kosten im ganzen Land Unterkunft suchen, erhalten dafür aber keine Unterstützung. Wenn sie an einer ihnen bezeichneten Stelle zur Stellung des Asylantrags oder zur später angeordneten Anhörung nicht erscheinen, wird das Schutzgesuch entweder, auf der Grundlage von hinreichenden Angaben bei der Registrierung abgelehnt, oder das Verfahren wird wegen angenommener Rücknahme des Schutzgesuchs eingestellt. Für einen Schutzsuchenden, der später sein Schutzgesuch erneuert, wird ein nichtbeendetes Verfahren fortgesetzt, ein durch Ablehnung des Schutzgesuchs beendetes Verfahren kann innerhalb der Rechtsmittelfrist von acht Tagen im Rechtsbehelfsverfahren fortgesetzt werden. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist hat der Schutzsuchende das Recht, einen Folgeantrag zu stellen. Nach den Angaben des ungarischen Büros für Einwanderung und Staatsangehörigkeit (OIN) werden auch Dublin-Rückkehrer stets als Schutzsuchende behandelt. Gibt der Schutzsuchende aber im Folgeverfahren die gleichen Gründe an wie im ersten Verfahren, kann der Folgeantrag als unzulässig behandelt werden.
42 
Zur Rücküberstellung nach Ungarn hat das Auswärtige gegenüber der Kammer (Auskunft v. 12.03.2015 im Verfahren A 5 K 2328/13) erläutert: Die per Flug Überstellten würden zur Zentrale des ungarischen Amts für Staatsbürgerschaft und Einwanderung gebracht und informiert, dass sie als Asylbewerber behandelt würden. Wenn ein erstes Asylverfahren in Ungarn ohne Entscheidung in der Sache oder durch Rücknahme beendet worden sei, werde es fortgesetzt, sonst werde ein Zweitantrag angenommen. Bei einem Zweitantrag würden (nur) nachträglich entstandene Umstände berücksichtigt. Die Klagefrist betrage drei Tage nach Bekanntgabe/Zustellung der Entscheidung. Bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Asylverfahren hätten Asylbewerber Anspruch auf Sozialleistungen, es sei denn, der Asylantrag sei als offensichtlich unbegründet oder unzulässig abgelehnt worden. Ausgeschlossen von den im Asylgesetz geregelten Sozialleistungen seien auch Zweitantragsteller, deren Erstverfahren eingestellt oder abgelehnt worden sei oder bei denen das refoulement-Verbot einer Abschiebung nicht entgegen stehe. Ausreisepflichtige müssten die Unterkunft verlassen, der Aufenthalt sei auf einen bestimmten Regierungsbezirk (Komitat) beschränkt. Sie könnten in öffentlichen Notunterkunftsplätzen des jeweiligen Regierungsbezirks unterkommen und eine kostenlose medizinische Notfallversorgung in Anspruch nehmen. Bei Zuerkennung eines Schutzstatus könnten sie Integrationsleistungen beanspruchen. Seit Januar 2014 würden diese auf örtlicher Ebene (dezentral) durchgeführt. Dabei wirke ein örtlich zuständiger Dienst für Familienförderung mit (auch für Personen ohne Schutzstatus). Es würden individuelle Integrationsvereinbarungen geschlossen. Bei der Förderung der sozialen Integration leiste der Dienst neben finanziellen Hilfen u.a. auch Hilfe bei der Arbeitssuche. In der Flüchtlingshilfe engagierten sich u.a. die Flüchtlingsmission der Reformierten Kirche, die Ungarische Gesellschaft für Migranten und das Helsinki-Komitee. In den Jahren von 2012 bis 2014 habe es 335, 850 bzw. 827 Rücküberstellungen im Dublin-Verfahren gegeben.
43 
Der UNHCR hat in seiner Auskunft an die Kammer vom 30.09.2014 im Verfahren A 5 K 2328/13 weitgehend entsprechende Angaben gemacht. Die am 01.07.2013 in Kraft gesetzten neuen Bestimmungen zur Inhaftierung von Schutzsuchenden bis zu sechs Monaten hat er kritisch beurteilt. Nach seiner Ansicht würden praktisch alle Dublin-Rückkehrer in Haft genommen, ausgenommen Familien oder besonders vulnerable Asylsuchende. Beim damaligen Stand hat der UNHCR für den August 2014 dank Unterstützung der Europäischen Union eine Verbesserung der Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge gesehen. Anerkannte Flüchtlinge müssten mehrere Monate warten, bis sie Integrationshilfen beanspruchen könnten. Hinsichtlich der medizinischen, psychologischen und psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen gebe es aus allen Aufnahmeeinrichtungen Beschwerden. Drogen- und andere Abhängige hätten keinen Zugang zu medizinischen Diensten. Ein psychisches Problem seien auch fehlende tägliche Beschäftigung und Abwechslung. Wer keine permanente Adresskarte habe, habe Probleme beim Zugang zu medizinischen Diensten. Zum 01.01.2014 seien Regelungen zur Integration von Personen mit Schutzstatus eingeführt worden. Es gebe systemische Probleme, die einer Integration von Flüchtlingen entgegen stünden. Das System der gesetzlichen Hilfen sei unter anderem bei weitem nicht genügend finanziert. Obdachlose, die auf öffentlichen Plätzen nächtigten, würden kriminalisiert. Im Juni 2013 seien unter Hinweis auf diese Bedingungen etwa 70 und im August 2013 nochmals etwa 20 afghanische Staatsangehörige nach Deutschland weitergereist. Pro Asyl und bordermonitoring hätten berichtet, dass Inhaber eines Schutzstatus nach der Rückkehr nach Ungarn sich in einer besonders verletzlichen Lage befunden hätten. Deren finanzielle Unterstützung sei zu gering gewesen, um eine Wohnung zu finden. Auch in Obdachlosenunterkünften habe es nicht genügend Plätze für Flüchtlinge gegeben. Eine im Jahr 2012 erfolgte Befragung habe ergeben, dass fast die Hälfte der Personen mit Schutzstatus keine Arbeit gehabt hätten, was u.a. auf den Mangel an Ausbildung und Berufserfahrung und den Mangel an ungarischen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden könne. Die Inhaftierungspraxis und deren gerichtliche Kontrolle sei mangelhaft. Die Ernährung der Flüchtlinge in Haft sei nach deren Angaben unzureichend, seitens des Personals in den Haftanstalten gebe es Rassismus und Missbrauch. Neu eingestelltes Personal in den Aufnahmeeinrichtungen habe keine Berufserfahrung und auch keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Es gebe keine Vorkehrungen, verletzliche Personen zu erkennen. Die Hygiene-Einrichtungen in den Aufnahmeeinrichtungen seien unzureichend. Über private Organisationen, die Flüchtlinge unterstützen und dabei vom ungarischen Staat unterstützt würden, lägen keine Auskünfte vor.
44 
Am 23.09.2015 hat die Europäische Kommission gegen Ungarn zwei Vertragsverletzungsverfahren wegen ausstehender Berichte zur Einhaltung von Asylverfahrensbestimmungen und zur Einhaltung der Standards für Aufnahmebedingungen anerkannter Flüchtlinge eingeleitet. Auch gegen zahlreiche andere Mitgliedstaaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland, wurden Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Zugleich hat die Kommission umfangreiche unmittelbare, operative, budgetäre und rechtliche Maßnahmen im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda angekündigt, wozu auch eine Ausweitung der finanziellen und personellen Unterstützung der am stärksten von der Flüchtlingsmigration betroffenen Mitgliedstaaten gehören.
45 
Wegen der im Lauf des ersten Halbjahres 2015 stark angestiegenen Zahl an Schutzsuchenden hat Ungarn im Juli 2015 entlang der 174 km langen Grenze zu Serbien einen festen bzw. aus übereinander liegenden Rollen von sogenanntem Nato-Draht gefertigten durchgehenden Zaun errichtet, um die Schutzsuchenden zu veranlassen, die serbisch-ungarische Grenzen nur an den Grenzübergängen zu überschreiten und um diese nahe der Grenze registrieren zu können. Geplant war (und noch nicht verwirklicht ist), Schutzsuchende nicht weiter ins Land einreisen zu lassen, und grenznahe Unterkünfte und Einrichtungen zur Aufnahme zu errichten. Um auch das Militär einsetzen zu können, wurde an die Ausrufung eines "Migrationsnotstands‘“ gedacht.
46 
Die ungarische Bevölkerung ist nach vielen Pressemeldungen gegenüber den Schutzsuchenden überwiegend ablehnend eingestellt. Die Regierung greift diese Stimmung nicht nur auf, sondern befördert sie. Laut Pester Lloyd vom 12.06.2015 hat der ungarische Ministerpräsident etwa geäußert: „Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das Zusammenleben mit Menschen verschiedener Kulturen zu ersparen“. Im Juli 2015 beharrte er darauf, dass Ungarn ein ungarisches Land bleiben solle. Bei einer vom UNHCR deutlich kritisierten landesweiten Regierungskampagne wurde plakatiert: "Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen!“ (Spiegel-online v. 02.09.2015). Auch empfindet die ungarische Regierung die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen als Einmischung und behindert deren Arbeit (Spiegel-online v. 12.09.2014).
47 
In einem Interview (FAZ vom 03.09.2015, S. 10) hat der ungarische Ministerpräsident geäußert, Europa müsse verstehen, dass man nicht aufnehmen könne, wenn man überrannt werde. Deshalb sei der Zaun, den Umgarn baue, wichtig. Er folge aus dem Schengener Abkommen. Das ungarische Volk sei konsultiert worden. Von acht Millionen Wählern hätten eine Million geantwortet. 85 % von ihnen meinten, die Union sei bei der Bewältigung der Einwanderung gescheitert. Europa könne nicht gegen den Willen der Bürger sein. Nur wenn die Grenzen beschützt würden, könnten Fragen gestellt werden nach der Anzahl der Menschen, die Europa aufnehmen wolle oder ob es Quoten geben solle. Die Menschen, die kämen, seien meistens keine Christen, sondern Muslime. Wenn das aus den Augen verloren würde, könne der europäische Gedanke auf dem eigenen Kontinent in die Minderheit geraten. Die erwähnte Umfrage hatte die Mitteleuropa-Vertretung des UNHCR zum Anlass genommen, ihre „zutiefste“ Besorgnis zum Ausdruck zu bringen, dass die ungarische Regierung Flüchtlinge als Gefahr für das Land darstelle (Salzburger Nachrichten v. 08.05.2015 - online), und eine Gegenkampagne gestartet, in deren Rahmen ab dem 01.07.2015 500 Plakate im ganzen Land aufgehängt werden sollten. Eine Sprecherin des UNHCR habe dazu gesagt, die Lage in Ungarn sei eine besondere, weil nicht, wie in kleinen Ländern, kleine Gruppen Fremdenhass schürten, sondern die Regierung; ein positives Zeichen sei, dass die Reaktionen in der ungarischen Öffentlichkeit gespalten seien (euronews v. 17.06.2015). Die ungarische Regierung sieht, wie auch die Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien zeigt, die ein- und durchreisenden Flüchtlinge ausdrücklich als Gefahr an (Handelsblatt v. 02.10.2015: Orban: „Das Land ist von einer Flüchtlingsarmee bedroht“). Gemeldet wurde auch, ein Sprecher der Partei Fidesz habe gesagt, das größte Aufnahmelager Debrecen (das Platz für 930 Menschen bietet, aber nur mit derzeit 260 Menschen belegt sei), solle mit Rücksicht auf die Bewohner der Umgebung geschlossen werden; der UNHCR habe das Vorgehen Ungarns gegenüber den Flüchtlingen u.a. deshalb als sehr besorgniserregend bezeichnet (DLF v. 02.10.2015).
48 
Es gibt nur wenige Hilfsorganisationen, welche sich um Schutzsuchende bzw. anerkannte Schutzsuchende kümmern. Über bürgerschaftliche Hilfe wird berichtet. Wie wirksam diese bei der großen Zahl der Schutzsuchenden sein kann, lässt sich nicht einschätzen.
49 
Insbesondere hinsichtlich der jüngsten Änderungen der ungarischen Asylgesetze und sonstiger neuerer Entwicklungen hat die Beklagte in keinem der am 13.10.2015 verhandelten Verfahren substantiiert dargelegt, wie sich die Aufnahmebedingungen und das Asylverfahren rechtlich und tatsächlich in den letzten Monaten entwickelt haben.
50 
Die Kammer konnte auch nicht unmittelbar von dem Verbindungsbeamten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge bei der ungarischen Asylbehörde Erkenntnisse erhalten. Dieser hat auf eine - außerhalb dieses Verfahrens erfolgte - Anfrage per E-Mail nach den letzten Änderungen im ungarischen Asylrecht mitgeteilt, er könne nicht (mehr) unmittelbar Auskunft erteilen, Auskünfte erteilten die Dublin-Referate des Bundesamts. Der Informationsaustausch der Dublin-Referate des Bundesamts mit den Vertretern des Bundesamts vor den Verwaltungsgerichten scheint allerdings zur Zeit nicht gewährleistet zu sein; denn diese haben sich nicht in der Lage gesehen, aktuelle Erkenntnisse mitzuteilen.
51 
Die Kammer stützt sich daher, was die Entwicklung in den letzten Monaten betrifft, in tatsächlicher Hinsicht in erster Linie auf den Bericht des European Asylum Support Office (EASO) im Anschluss an eine Bereisung vom 16. bis 20.03.2015 sowie auf zahlreiche Internet-Veröffentlichungen des Asylum Information Database of the European Council on Refugees and Exiles etc. sowie insbesondere auf die in der Rechtsprechung des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts umfassend wiedergegebenen und laufend aktualisierten Berichte des österreichischen Verbindungsbeamten bei der ungarischen Asylbehörde (vgl. zuletzt öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 - W 1442114716-1/3 E -, Internet-Seite des österreichischen Bundeskanzleramts, dort Rechtsinformationssystem -RIS-; dort finden sich im Einzelnen insbesondere Ausführungen zum Asylverfahren allgemein (2.), zur Haft (3.), zur Lage von Dublin-Rückkehrern (4.), zu vulnerablen Gruppen (5.), zur Versorgung, insbesondere Unterbringung (7.) und zur Lage von Schutzberechtigten (8.), auf die die Kammer Bezug nimmt).
52 
Danach hat Ungarn im Juli 2015 mit Wirkung ab dem 01.08.2015 das Asylrechtsgesetz in erheblichem Umfang geändert und eine entsprechende Durchführungsverordnung erlassen. Als sicherer Drittstaat wurden u.a. auch die Beitrittskandidaten zur Europäischen Union benannt, also auch Serbien. Zahlreiche Beschleunigungs- und Darlegungspflichten wurden eingeführt bzw. verschärft. 160 ungarische Rechtsanwälte haben daraufhin die neuen Regelungen, darunter auch Behandlung Minderjähriger ab 14 Jahren als Grenzverletzer mit einer Strafdrohung von bis zu drei Jahren, keine zwingende Übersetzung von Anklage und Urteil, als Verstoß gegen Völkerrecht gewertet (spiegel-online v. 03.10.2015: „Ungarn urteilt Flüchtlinge im Schnellverfahren ab“). Für die Inhaftierung von Asylsuchenden gibt es seit dem 01.07.2015 geänderte Bestimmungen. Asylhaft wird insbesondere verhängt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass der Antragsteller das Asylverfahren verzögern oder sich diesem entziehen wird. Dann bleibt die Haft für die Dauer des gesamten Asylverfahrens aufrecht erhalten. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 4.806 Personen in Asylhaft genommen, am häufigsten Asylsuchende aus dem Kosovo und aus Afghanistan (1.038). Im Jahr 2015 gingen die Zahlen möglicherweise zurück. Ab September 2014 wurden wieder Familien mit Kindern in Asylhaft genommen. Mitte März 2015 soll diese Praxis aufgrund eines Berichts des ungarischen Ombudsmanns für Menschenrechte wieder eingestellt worden sein; aktuelle Informationen dazu gibt es nicht.
53 
Für das Vorliegen systembedingter Mängel mit der Folge, dass aktuell jeder Asylbewerber in Ungarn Gefahr liefe, dort menschenrechtswidrig behandelt zu werden, spricht bereits der Umstand, dass seit September 2015 die Bundesrepublik Deutschland wie auch Österreich davon ausgehen, dass Ungarn nicht in der Lage ist, die große Zahl an einreisenden Flüchtlingen nach den unionsrechtlichen Regeln durch ein Asylverfahren zu führen und - bei Erreichen eines Schutzstatus - auch auf Dauer hinreichende Aufnahmebedingungen zur Verfügung zu stellen.
54 
Dem entspricht es, dass eine zunehmende Zahl von Verwaltungsgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wie auch in Urteilen aus unterschiedlichen Erwägungen zur Auffassung gelangt, dass Ungarn zur Zeit nicht als zuständiger Staat betrachtet werden darf (u.a. VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 21.08.2015 - 8 L 2811/15.A -; VG München, Beschl. v. 21.05.2015 - M 16 S 15.50329 -; VG Köln, Urt. v. 15.07.2015 - 3 K 2005/15.A - und v. 08.09.2015 - 18 K 4584/15.A -; VG Bremen, Urt. v. 30.06.2015 - 3 K 296/15 -; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 - 3 L 776/15; VG Münster, Beschl. v. 07.07.2015 - 2 L 858/15.A -, alle juris).
55 
In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte ist die Frage nicht geklärt. Wenigen ablehnenden Entscheidungen (VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 06.08.2013 - 12 S 675/13 - InfAuslR 2014, 29 OVG Sachs.-Anh., Beschl. v. 31.05.2013 - 4 L 169/12 -, Bayer.VGH, Beschl. v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; alle juris) steht gegenüber, dass etwa das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen eine klagabweisende Entscheidung zugelassen hat (Beschl. v. 15.05.2015 - 8 LA 85/15 - a.a.O.).
56 
Zwar hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2014 (E. v. 03.07.2014 - Nr. 71932/12 - gestützt auf Stellungnahmen des UNHCR, des Ungarischen Helsinki-Kommitees und des Berichts einer UN-Arbeitsgruppe, die sich mit den Haftbedingungen in Ungarn befasst hat, entschieden, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 03.07.2014 mit Blick auf die signifikanten Änderungen der ungarischen Asylgesetze weder die Inhaftierungspraxis noch die Haftbedingungen den dortigen Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit („real risk“) einer menschenrechtswidrigen Behandlung in Ungarn als Asylsuchender aussetzen würde; gleiches gelte für die Gefahr einer Überstellung des Klägers nach Serbien. Auch der Europäische Gerichtshof hatte noch im Jahr 2013 (Urt. v. 10.12.2013 a.a.O.) systemische Mängel im ungarischen Asylsystem verneint.
57 
Demgegenüber haben sich die Verhältnisse aber - auch für sog. Dublin-Rückkehrer - in Folge der sehr stark gestiegenen Zahl der Flüchtlinge und der hierauf erlassenen Gesetzesverschärfungen in Ungarn aber in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht wesentlich verschlechtert (vgl., insbesondere zur Inhaftierungspraxis, zu den Haftbedingungen und zur gerichtlichen Kontrolle, VG Köln, Urt. v. 30.07.2015 a.a.O.; VG Saarland, Beschl. v. 12.08.2015 a.a.O.; vgl. auch schon VG Berlin, Beschl. v. 23.01.2015 – 23 L 717.14 A – juris; auch VG München, Urt. v. 29.08.2014 - M 24 K 13.31294 -; VG Düsseldorf, Beschl. v. 27.08.2014 - 14 L 1786/14.A - juris). Zudem sieht Ungarn seit dem 01.09.2015 Serbien wieder als sicheren Drittstaat an, wobei noch nicht klar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen es tatsächlich zu Überstellungen nach Serbien kommen wird, insbesondere auch von Personen, welche nach den Dublin-Regeln nach Ungarn zurücküberstellt werden und die dort möglicherweise als Folgeantragsteller behandelt würden (vgl. öster. BVwG, Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
58 
Ob die neuen Vorschriften zur Beschleunigung der Asylverfahren in jeder Hinsicht dem Unionsrecht genügen, ist zumindest sehr zweifelhaft. Das gilt insbesondere für die Frage, ob und in welchen Fällen Dublin-Rückkehrer bei Fortsetzung des Asylverfahrens bzw. in einem Zweitverfahren in ihrem Vorbringen beschränkt sind, ferner auch für die Frage, ob es zulässig ist, dass ein Asylverfahren eingestellt wird, wenn der Antragsteller für die Dauer von 48 Stunden nicht in der Aufnahmeeinrichtung angetroffen werden kann, der er zugewiesen ist (so VG Köln a.a.O.).
59 
Schließlich kann es nicht zu Lasten der Betroffenen ausschlagen, dass es aktuell keine verlässlichen Berichte über die tatsächliche Lage von Asylbewerbern und Inhabern von internationalem Schutz in Ungarn gibt und dass Ungarn selbst gegenüber der Europäischen Kommission nicht berichtet, inwieweit es - unter der augenscheinlichen Überlastung - die Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben bewältigen kann.
60 
Vielmehr muss bei der Beurteilung einer Gefahrenlage für nach Ungarn rücküberstellte Asylbewerber vor allem das oben geschilderte innenpolitische Klima berücksichtigt werden. Indem die Regierung in der öffentlichen Debatte einseitig die Abwehr von Flüchtlingen betont und Ängste in der Bevölkerung schürt, trägt sie erheblich dazu bei, dass bei es der Anwendung der gesetzlichen Regelungen, auch soweit diese dem europäischen Flüchtlingsrecht zweifellos entsprechen, zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann.
61 
Insbesondere lässt die ungarische Politik keine hinreichende Bereitschaft erkennen, von Ungarn als schutzbedürftig anerkannten Personen bei der Integration in die Gesellschaft beizustehen. Die dafür geschaffenen Regeln und die dafür bereit gestellten Mittel sind nach der Auskunft des UNHCR offensichtlich unzureichend. So erscheint als nicht gesichert, dass Menschen, die in Ungarn internationalen Schutz erhalten haben, insbesondere auch Dublin-Rückkehrer, in den Genuss der ohnehin deutlich unterfinanzierten gesetzlichen Integrationsangebote kommen können. Für die zuletzt genannte Gruppe dürfte dies schon an den verstrichenen Antragsfristen scheitern. Auch die Bereitstellung von Wohnraum für diesen Personenkreis ist völlig ungewiss. Eine Verweisung in die staatlichen bzw. kommunalen Obdachlosenunterkünfte scheitert an den Kapazitäten und für Familien auch daran, dass dort keine Kinder aufgenommen werden; in zahlreichen Verfahren ist der Kammer von den Klägern überzeugend vorgetragen worden, dass es ihnen nicht gelungen ist, Wohnung und Arbeit zu finden.
62 
Aus diesen Gründen ordnet das österreichische Bundesverwaltungsgericht seit September 2015 in Dublin-Ungarn-Fällen die aufschiebende Wirkung der Klagen regelmäßig an. Von ihm gibt es auch schon stattgebende Hauptsachentscheidungen. Diese sind allerdings - wohl mangels einer Pflicht, Spruchreife selbst herbeizuführen - damit begründet, dass die Veränderung der Sachlage weiterer Aufklärung durch die österreichische Asylbehörde bedarf (vgl. Urt. v. 24.09.2015 a.a.O.).
63 
Der Feststellung von systembedingten Mängeln des ungarischen Asylsystems im oben dargelegten Sinn lässt sich nicht - wie dies die Beklagte tut - entgegen halten, dass weitaus die meisten Schutzsuchenden gar nicht in Ungarn bleiben, sondern, entgegen dem ungarischen Flüchtlingsrecht auf allen möglichen Wegen nach Österreich und von dort insbesondere in die Bundesrepublik Deutschland, aber etwa auch weiter nach Schweden, reisen wollen. Denn der Andrang von Flüchtlingen auch an den ungarischen Grenzen dauert weiter an. Außerdem wäre Ungarn jedenfalls dann, wenn, wie im Fall des Klägers, die anderen Dublin-Staaten auf einer Rücküberstellung dorthin bestehen würden, wiederum mit der Zahl der Antragsteller überfordert.
64 
Soweit in zahlreichen Entscheidungen anderer Verwaltungsgerichte darauf abgehoben wird, dass der UNHCR, anders als bei Griechenland und - eingeschränkt - Bulgarien, aktuell keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, Asylsuchende nicht nach Ungarn zu überstellen, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Der UNHCR selbst hält einer solchen Interpretation entgegen, dass das Fehlen einer solchen generellen Empfehlung keineswegs bedeute, er sei der Auffassung, dass keine solchen einer Überstellung entgegenstehenden Umstände vorlägen oder im Einzelfall vorliegen könnten. Aus seiner Sicht ist es Sache der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu prüfen, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausschlössen. Der UNHCR weist insoweit auch darauf hin, dass der Supreme Court des Vereinigten Königreichs diese Auffassung ausdrücklich bestätigt habe (vgl. UNHCR an VG Bremen v. 30.09.2014). Auch hat der UNHCR angesichts der jüngsten Entwicklung wiederholt vor einer „weiteren Verschlechterung der Lage“ gewarnt und betont, es sei wichtig, dass die Umsetzung der neuen asyl- und haftrechtlichen Vorschriften gut durchdacht werde, andernfalls „das zu Chaos“ führen würde (heute.de v. 05.10.2015). Im Übrigen bedürfte es gegenwärtig entsprechender Warnungen des UNHCR nicht, weil Überstellungen nach Ungarn wohl seit einigen Monaten gar nicht mehr stattfinden. Das ergibt sich aus Folgendem:
65 
Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag vom 18.08.2015 (BT-Drucksache 18/5785, S. 18 ff., noch mit dem Vermerk "Vorabfassung - wird durch die lektorierte Version ersetzt") ergibt sich, dass das Bundesamt im ersten Quartal 2015 2952 und im zweiten Quartal 2015 3565 Übernahmeersuchen an Ungarn gerichtet hatte. Etwa 80 % der Ersuchen (2.304 bzw. 2.665 akzeptierte Ungarn. Im ersten Quartal 2015 gab es 30 Selbsteintritte oder faktische Überstellungshindernisse in Bezug auf Ungarn, im zweiten Quartal 2015 171. Tatsächlich überstellt wurden nach Ungarn (nach der Dublin-Verordnung) im ersten Quartal 2015 aber nur 42 Personen und im zweiten Quartal 2015 nur 61 Personen, also nur etwa 2 Prozent bezogen auf die Zahl der akzeptierten Übernahmeersuchen. Die Gründe dafür sind nicht bekannt und auch auf Nachfrage vom Bundesamt nicht zu erfahren. Sie dürften einerseits in einer begrenzten Aufnahmebereitschaft Ungarns (Kontingentierung der Aufnahme), andererseits aber auch in der beschränkten Kapazität der zuständigen deutschen Behörden liegen. Ein ähnliches Bild bietet die schweizerische Asylstatistik. Die Schweiz hatte im ersten Halbjahr 2015 407 Ersuchen an Ungarn gestellt, die Ungarn in 333 Fällen akzeptierte; tatsächlich überstellt wurden im gleichen Zeitraum nur 54 Personen, also etwa 16 % der akzeptierten Übernahmeersuchen.
66 
Seit mehreren Monaten finden auf Bitten Ungarns wohl überhaupt keine Rücküberstellungen von Deutschland aus mehr statt (vgl. die Nachweise bei VG Hannover, Beschl. v. 29.07.2015 - 10 B 2196/15 - juris). Nachfragen der Kammer dazu hat das Bundesamt nicht beantwortet.
67 
Auch deshalb ist die angefochtene Abschiebungsanordnung rechtswidrig. Denn § 34a Abs. 1 AsylVfG erfordert, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Dafür reicht eine Übernahmeerklärung Ungarns aber nicht aus, wenn anschließend seitens des ungarischen Staats keine oder nur eine ganz geringe Bereitschaft und so gut wie keine Kapazität besteht, Erst- und Folgeantragsteller sowie überstellte Schutzsuchende und Inhaber internationalen Schutzes tatsächlich aufzunehmen. Zumindest erscheint es als völlig fernliegend, dass bei einer evtl. Wiederaufnahme von Überstellungen nach Ungarn in einigen Monaten oder einem Jahr ausgerechnet diejenigen Schutzsuchenden zurücküberstellt würden, welche sich nun schon seit mehreren Jahren im Bundesgebiet aufhalten. Dies gilt umso mehr für Schutzsuchende, die in Ungarn oder nach Zurückschiebung nach Serbien bzw. Griechenland Menschenrechtsverletzungen in erheblichem Umfang, insbesondere eine langdauernde Asylhaft, erfahren haben, wenn dies zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Daraus kann sich - wie oben dargelegt - sogar ein Abschiebungsverbot in rechtlicher Hinsicht ergeben (§ 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).“
68 
Inzwischen sind weitere entsprechende Entscheidungen in Hauptsacheverfahren bekannt geworden (VG München, Urt. v. 26.08.2015 - M 24 K 15.50507 - juris; VG Augsburg, Urt. v. 18.08.2015 - Au 6 K 15.50155 -, beide juris; VG Karlsruhe, Urt. v. 24.09.2015 - A 2 K 168/14 -), die allerdings nicht Schutzsuchende betreffen, welche bereits einen Schutzstatus in Ungarn erlangt hatten.
69 
Aus den oben genannten Gründen ist die Abschiebungsanordnung gegenüber dem Kläger rechtswidrig.
70 
Es erscheint zwar als zweifelhaft, dass er im Zuge einer Überstellung nach Ungarn dort in Haft genommen würde, wenn er seinen von Ungarn ausgestellten Flüchtlingsausweis vorzeigen kann.
71 
Es ist aber, angesichts der oben getroffenen Feststellungen und der der Beklagten anzulastenden Unmöglichkeit, aktuelle Informationen aus Ungarn diesbezüglich zu erhalten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Ungarn zum jetzigen Zeitpunkt dort in die Obdachlosigkeit fallen, keinen Notschlafplatz finden, keine ausreichende Unterstützung erhalten und auch keine Hilfen bei der Suche nach Wohnung und Arbeit erhalten würde. Dies ist ihm umso weniger zuzumuten, als er - nach seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Grund hat zu zweifeln - bei früheren Aufenthalten in Ungarn nicht nur Solches erfahren hat, sondern dort auch über sechs Monate als Asylsuchender inhaftiert und überdies rechtswidrig nach Griechenland überstellt worden war, wo nach mittlerweile wohl allgemeiner Auffassung damals systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen bestanden.
72 
Rechtswidrig ist die Abschiebungsanordnung auch deshalb, weil die Abschiebung auf unabsehbare Frist nicht ausgeführt werden kann, weil - wie oben ausgeführt - ausgeschlossen erscheint, dass Ungarn gegenwärtig und auf absehbare Zeit Schutzsuchende wieder übernimmt; das gilt auch für Menschen, die wie der Kläger in Ungarn internationalen Schutz gefunden haben.
73 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG. Der Gegenstandswert folgt aus § 30 RVG.

Tenor

  • 1. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungspflicht bewilligt und Rechtsanwältin Dr. U.        , C.         , beigeordnet.

  • 2. Die aufschiebende Wirkung der Klage im Verfahren 10 K 2299/15.A gegen die im Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 22. August 2015 enthaltene Abschiebungsanordnung wird angeordnet.

  • 3. Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Antragsgegnerin.


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Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. Juli 2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.


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Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10.09.2015 gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 01.09.2015 wird angeordnet.

2. Die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens trägt die Beklagte.

Gründe

I.

Der Antragsteller, geb. ...1991, ist irakischer Staatsangehöriger mit yezidischer Glaubenszugehörigkeit. Er reiste eigenen Angaben zufolge am ...2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ...2015 einen Asylantrag. Er wehrt sich gegen seine Rückführung nach Ungarn.

Die Anfrage der Antragsgegnerin aufgrund eines Eurodac-Treffers vom ...2015 an die ungarischen Behörden, dass sie für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig seien und ob der Rückübernahme des Antragstellers zugestimmt werde, blieb unbeantwortet.

Daraufhin lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 01.09.2015 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an. Gründe für ein Selbsteintrittsrecht der Bundesrepublik Deutschland bestünden nicht, weil die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn keine systemischen Mängel aufwiesen.

Dieser Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 05.09.2015 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 10.09.2015, der am selben Tag bei Gericht einging, Klage gegen die Antragsgegnerin und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Bei dem Kläger bestehe seines Erachtens eine posttraumatische Belastungsstörung mit somatoformer Ausprägung verbunden mit massiven Schlafstörungen (ärztliches Gutachten werde nachgereicht). Aufgrund seines psychischen Zustandes sei er nicht reisefähig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird entsprechend § 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag hat Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage anordnen, wenn die Klage keine aufschiebende Wirkung hat. Bei seiner Entscheidung hat das Gericht insbesondere eine summarische Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache und bei offenen Erfolgsaussichten das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs mit dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides abzuwägen. Bei dieser Abwägung ist zu beachten, dass die dem Ausländer drohenden und im Falle einer Aufenthaltsbeendigung möglicherweise auch tatsächlich eintretenden Folgen unter Umständen nur schwer oder überhaupt nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Vor diesem Hintergrund geht bei offenen Erfolgsaussichten die Interessenabwägung regelmäßig zugunsten der Antragstellerseite aus (VG Kassel, B.v. 7. 8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A - juris Rn. 13).

Die Erfolgsaussichten der angegriffenen Abschiebungsanordnung erweisen sich im vorliegenden Eilverfahren als offen.

Die nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgebliche Sach- und Rechtslage bei der im Eilverfahren nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung lässt angesichts der aktuellen Entwicklungen und jüngsten Entscheidungen der Bundesrepublik Deutschland (z. B. zeitweilige Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge in Ungarn bzw. faktische Aussetzung des Dublin-Verfahrens für Syrer) keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Derzeit lässt sich nicht einschätzen, inwieweit diese Entscheidungen Rückschlüsse auf die bestehenden Prüfungsmaßstäbe im Dublin-Verfahren zulassen und ob noch eindeutige Entscheidungsmaßstäbe auch im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes aller Asylbewerber hinsichtlich einer beabsichtigten Rückführung nach Ungarn bestehen.

Aus diesem Grund hat das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers zurückzutreten.

Die Beteiligten werden vorsorglich darauf aufmerksam gemacht, dass die Überstellungsfrist von sechs Monaten gemäß Art. 29 Abs. 1 2. Alternative i. V. m. Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist) erst nach Entscheidung über die Klage zu laufen beginnt, da ihr aufgrund der vorliegenden Entscheidung gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin-III-VO aufschiebende Wirkung zukommt.

Hinweis:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht München

M 23 K 15.50045

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 11. September 2015

23. Kammer

Sachgebiets-Nr. 710

Hauptpunkte:

Dublin-III-Verfahren; Vorrangiges Asylverfahren in Ungarn; Änderung der ungarischen Asylgesetze zum 1. August 2015; Systemische Mängel (bejaht)

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

..., geb. ...1989 alias ..., geb. ... 1989 Gasthof ...

- Kläger -

bevollmächtigt: ...

gegen

...

vertreten durch:

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Außenstelle ...,

- Beklagte -

beteiligt:

Regierung von ..., Vertreter des öffentlichen Interesses B-str. ..., M.

wegen Asylrecht

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht München, 23. Kammer, durch die Richterin am Verwaltungsgericht ... als Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung

am 11. September 2015

folgendes Urteil:

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ... Januar 2015 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der nach seinen eigenen Angaben am ... 1989 in Aleppo geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Er reiste vermutlich am ... Oktober 2014 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... Dezember 2014 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am ... Dezember 2014 gab der Kläger gegenüber dem Bundesamt an, dass ihm in Ungarn Ende September 2014 Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Im Rahmen des beschleunigten schriftlichen Verfahrens verzichtete der Kläger auf die Prüfung seines Anspruchs auf Asyl.

Aufgrund eines Eurodac-Treffers der Kategorie I bezüglich des Klägers für Ungarn sandte das Bundesamt am ... Dezember 2014 ein Wiederaufnahmeersuchen an die ungarischen Behörden. Diese teilten am ... Dezember 2014 mit, dass das mit Antrag vom ... Oktober 2014 eingeleitete Asylverfahren wegen des Verschwindens des Klägers beendet worden sei. Weiter erklärten die ungarischen Behörden die Bereitschaft zur Wiederaufnahme des Klägers.

Mit Bescheid vom ... Januar 2015 - zugestellt am ... Januar 2015 - stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag gem. § 27a AsylVfG unzulässig sei, da Ungarn aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags gem. Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Das Bundesamt gehe davon aus, dass in Ungarn keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vorlägen. Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach Ungarn als zuständigem Mitgliedstaat innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Satz 1 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung nach Ungarn beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Mit Schreiben vom 23. Januar 2015 erhoben die Bevollmächtigten des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragten:

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom ...01.2015, Az. ..., wird aufgehoben.

Weiterhin beantragten sie, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (Az.: M 23 S 15.50047).

Zur Begründung trugen sie unter Verweis auf umfangreiche Rechtsprechung und Stellungnahmen insbesondere vor, dass in Ungarn systemische Mängel vorlägen und dem Kläger in Ungarn die Inhaftierung drohe.

Die Akten des Bundesamts wurden mit Schreiben vom 27. Januar 2015 vorab übersandt. Eine Antragsstellung erfolgte nicht.

Mit Beschluss vom 3. Februar 2015 ordnete das Gericht im Verfahren M 23 S 15.50047 die aufschiebende Wirkung der Klage an.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2015 beantragten die Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe für den Kläger.

Durch Beschluss der Kammer vom 1. Juni 2015 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 76 Abs. 1 AsylVfG).

Mit Schreiben vom 10. Juni 2015 verzichteten die Bevollmächtigten des Klägers auf mündliche Verhandlung und machten ergänzende Ausführungen zur Lage in Ungarn.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2015 verzichtete das Bundesamt auf mündliche Verhandlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren M 23 S 15.50047 sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Über die Klage konnte mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom ... Januar 2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er war daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Maßgeblich für die Entscheidung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).

Die isolierte Anfechtungsklage ist gegen den Bescheid des Bundesamts, mit dem der Asylantrag nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung angeordnet wird, die statthafte Klageart (vgl. BayVGH, U.v. 29.1.2015 - 13a B 14.50039 - juris m. w. N.).

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Unrecht gemäß § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.

Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Fall kann das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Vorliegend hat der Kläger zunächst in Ungarn Asyl beantragt; Ungarn hat auch mit Schreiben vom ... Dezember 2014 der Wiederaufnahme des Antragstellers gemäß § 18 Abs. 1 Ziff. b Dublin-III-VO zugestimmt. Damit wäre grundsätzlich Ungarn für die Durchführung des Asylverfahrens des Klägers zuständig.

Allerdings bestimmt Art. 3 Abs. 2 Unterabsätze 2 und 3 Dublin III-VO in Umsetzung des Urteils des EuGH vom 21. Dezember 2011 (EuGH, U.v. 21. Dezember 2011 - C-411/10, C-493/10 - juris), dass dann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen und entwürdigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, und der Betroffene folglich im zuständigen Mitgliedstaat den vorgenannten Gefahren ausgesetzt ist, der Mitgliedstaat zur Prüfung verpflichtet ist, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann oder, soweit dies nicht möglich ist, er selbst die Zuständigkeit zu übernehmen hat.

Nach der zur Rechtslage unter der Dublin-II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris Rn. 80) gilt eine widerlegbare Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedsstaat mit den Erfordernissen der EUGRCh sowie der Genfer Flüchtlingskonvention - GF - und der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - in Einklang steht. Die Vermutung ist dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsmängel regelhaft so defizitär sind, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.03.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 9). An diese Feststellung sind hohe Anforderungen zu stellen (OVG Lüneburg, B. v. 18.03.2014 - 13 LA 75/13 - juris Rn. 14). Einzelne Missstände stellen noch keine systemischen Schwachstellen dar. Diese liegen vielmehr erst dann vor, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedsstaat, in den er überstellt werden soll, der Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder wenn der Mitgliedsstaat während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NW, U. v. 07.03.2014 - 1 A 21/12.A - juris Rn. 126). Es besteht allerdings keine allgemeine Verpflichtung, jedermann mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (OVG NW, a. a. O., Rn. 118f. m. w. N.).

Die Rechtsprechung beurteilte die Frage des Vorliegens systemischer Mängel im oben beschriebenen Sinn im ungarischen Asylsystem bis zur letzten Änderung der ungarischen Asylgesetze unterschiedlich (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 15.5.2015 - 8 LA 85/15; zuletzt ablehnend VG München, U.v. 1.7.2015 - M 12 K 15. 50491, VG Augsburg, U.v. 20.7.2015 - Au 5 K 15.50316, VG Düsseldorf, U.v. 26.6.2015 - 13 K 787/14.A; zuletzt bejahend VG Köln, U.v. 15.7.2015 - 3 K 2005/15.A; VG Münster, B.v. 7.7.15 - 2 L 858/15.A; VG Bremen, B.v. 1.4.15 - 3 V 145/15 - jeweils juris m. w. N.).

Insbesondere aufgrund der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen - und damit bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigenden - Änderung des ungarischen Asylrechts gibt es nach Überzeugung des erkennenden Gerichts wesentliche Gründe für die Annahme, dass in Ungarn systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, vorliegen und folgt insoweit der soweit erkennbar überwiegenden Meinung in der Rechtsprechung (vgl. VG Augsburg, U.v. 18.8.2015 - Au 6 K 15.50155 - bisher unveröffentlicht; VG Düsseldorf, B.v. 20.8.2015 - 15 L 2556715.A; VG Saarland, B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15; VG Kassel, B.v. 7.8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A - jeweils juris). Obergerichtliche Rechtsprechung zu der seit 1. August 2015 geänderten ungarischen Rechtslage existiert hierzu soweit ersichtlich nicht.

Nach den vorliegenden aktuellen Erkenntnissen sind mit dieser Gesetzesänderung sowohl die Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit nach der Dublin-III-VO und zur Prüfung eines Asylgesuchs in Zuständigkeit des ungarischen States sowohl vor den ungarischen Behörden wie vor den ungarischen Gerichten etwa durch die Verkürzung von Fristen und die an Fristversäumnisse angeknüpften Sanktionen sowie neu gefasste Beweislastregeln in einer Weise verändert worden, die die Einhaltung der Mindestanforderungen nicht mehr gewährleisten (vgl. VG Düsseldorf, B.v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A - juris Rn. 27).

Das Verwaltungsgericht Augsburg (U.v. 18.8.2015 - Au 6 K 15.50155 - bisher unveröffentlicht), dem das erkennende Gericht vollumfänglich folgt, führt hierzu aus:

„Sowohl das Hungarian Helsinki Committee als auch der UNHCR erklären sich nach der Änderung der ungarischen Gesetzeslage zum 1. August 2015 und der tatsächlichen Aufnahmebedingungen zu tiefst besorgt („deeply concerned“) über die Entwicklung und Verschärfung des Asylrechts in Ungarn, und fordern Ungarn auf, ihr Asylrecht unter Beachtung der Flüchtlingsrechte, des EU-Rechts und des internationalen Rechts zu handhaben. Das Hungarian Helsinki Committee führt zu der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Änderung des ungarischen Asylrechts in seiner Stellungnahme vom 7. August 2015 (abrufbar unter: HYPERLINK http://he...pdf) aus, dass Ungarn eine Liste von sicheren Drittstaaten beschlossen habe, zu denen unter anderem auch Serbien zähle. Diese Einschätzung stehe in Widerspruch zu der aktuell gültigen Position des UNHCR, des Helsinki Committees selbst und Amnesty International. Kein anderes Land in der EU betrachte Serbien für Asylsuchende als sicheres Drittland. Aufgrund dieser Festlegung sei es der ungarischen Immigrationsbehörde (Office of Immigration and Nationality (OIN) möglich, alle Asylsuchenden, die über Serbien nach Ungarn einreisen, das seien ca. 99% der Asylbewerber, ohne Prüfung und Anhörung ihrer Fluchtsituation abzulehnen. Eine Ausnahme bestehe nur, wenn der Asylbewerber beweisen könne, dass es ihm in Serbien nicht möglich gewesen sei, Asyl zu beantragen. Ein Nachweis sei dem Asylbewerber in der Praxis jedoch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, zudem hätten Asylsuchende regelmäßig keinen Zugang zu professioneller Rechtsberatung, die jedoch für die Nachweisführung notwendig sei. Zudem existiere in Serbien in der Realität kein funktionierendes Asylsystem. Weiterhin werde auch Griechenland als sicheres Drittland angesehen, ein Land, in das die EU-Mitgliedstaaten seit 2011 wegen der dort herrschenden Verhältnisse keine Dublin-Überstellungen mehr durchführen. Mit dieser Haltung verstoße Ungarn in der Praxis gegen das Gebot des „non-refoulement“, das in der Flüchtlingskonvention von 1951, in Art. 3 der EMRK und in Art. 18 und 19 der EU-GRcharta verankert sei (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, a. a. O. S. 2). Gegen eine ablehnende Entscheidung als unzulässig, die z. B. bereits bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat (wie Serbien) erfolge, könne eine gerichtliche Überprüfung nur innerhalb einer Frist von drei Tagen erfolgen, eine Frist, die sowohl gegen EU-Recht, als auch gegen die gefestigte Rechtsprechung des EGMR verstoße, die beide eine Mindestfrist von einer Woche vorsähen (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, a. a. O. S. 4 m. w. N.). Auch die Möglichkeiten einer Inhaftierung insbesondere in den sog. Dublin-Fällen sei im Verhältnis zur vorherigen Rechtslage wieder verschärft worden. Zudem sollen Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens inhaftiert werden dürfen. Die neue Gesetzeslage entspricht somit in weiten Teilen der Rechtlage, die im Jahr 2012 den UNHCR zu seiner Empfehlung veranlasste, nach den Dublin-II-Bestimmungen keine Asylbewerber nach Ungarn zu überstellen.

Auch das UNHCR, dessen Wertungen im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO maßgebliches Gewicht zukommt (vgl. EuGH, U.v. 30.5.2013 - C-528/11, juris Rn. 44), hatte bereits in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2015 im Vorfeld der zwischenzeitlich beschlossenen Gesetzesänderungen Bedenken angemeldet und sich insoweit als „tief besorgt“ (deeply concerned) bezeichnet (abrufbar unter: http://www.u...org/...html). Das Asylsystem Ungarns sei bereits vor der Novelle immer restriktiver geworden und es werde befürchtet, dass die neuen Vorschläge es Flüchtlingen unmöglich machen wird, in diesem Land Sicherheit zu suchen. Rund 80% der Asylsuchenden kämen aus den Konfliktzonen Syrien, Afghanistan, Irak und bedürften internationalen Schutz. Hier ist anzufügen, dass nach österreichischen Angaben von den im Jahr 2013 in Ungarn gestellten 44.000 Asylanfragen nur 550 positiv verbeschieden worden sind (http://www.s...de/p...).“

Ergänzend hierzu führt das Gericht aus, dass das Hungarian Helsinki Committee in seiner Stellungnahme des Weitern bemängelt, dass in den meisten Fällen ein beschleunigtes Verfahren zulässig werde, in dem innerhalb von 15 Tagen eine Entscheidung erfolgen solle. Es bestehe ein hohes Risiko, dass dieses Verfahren aufgrund der benannten Voraussetzungen zum Regelfall würde. Die 15-Tage-Frist sei ein Verstoß gegen EU-Recht, da sie keinen effektiven Zugang zu Asylverfahren mehr gewähre (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, .a.aO., S. 3f). Auch der gerichtliche Schutz für diese - bis zu 99% aller Asylverfahren betreffenden - beschleunigten Verfahren sei, insbesondere auch durch die nicht mehr zwingend vorgesehene persönliche Anhörung, unzureichend und Verstoße gegen EU-Recht (HHC, Stellungnahme vom 7.8.2015, a. a. O., S. 4).

Darüber hinaus bestehen in Ungarn massive Kapazitätsprobleme aufgrund der enormen Zunahme von Flüchtlingszahlen. Während in Ungarn im Jahre 2012 lediglich 2.157 Asylanträge gestellt wurden, stieg die Anzahl der Asylbewerber im Jahre 2013 auf 18.900 an und verdoppelte sich im Jahre 2014 auf 42.777. Vom 1. Januar 2015 bis zum 1. März 2015 registrierten die ungarischen Behörden bereits eine Anzahl von 28.535 Personen (Vgl. Hungarian Helsinki Committee, Bericht vom 4. März 2015, abrufbar unter http://h...hu/wp-c...pdf.). Bis zu 72.000 Flüchtlinge sollen bereits in diesem Jahr nach Angaben der ungarischen Regierung in das Land gelangt sein. Demgegenüber stehen in ganz Ungarn weniger als 2.500 Aufnahmeplätze in staatlichen Unterbringungseinrichtungen zu Verfügung. Hinzu kommt die ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Dublin-System (vgl. hierzu VG Münster, B.v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A - juris), so dass auch mit einer entsprechend zügigen Erweiterung der Aufnahmekapazitäten mit zumutbarer Ausstattung nicht zu rechnen ist. Auch kann das Gericht keine Anhaltspunkte dafür erkennen, dass die ungarische behördliche und gerichtliche Praxis die verschärften gesetzlichen Vorgaben nicht befolgen wird.

Das Gericht macht sich ergänzend die Einschätzungen des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (B.v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A - juris), des Verwaltungsgerichts Saarland (B.v. 12.8.2015 - 3 L 816/15 - juris) sowie des Verwaltungsgerichts Kassel (B.v. 7.8.2015 - 3 L 1303/15.KS.A -juris) zu Eigen. Demnach bestehen (zumindest) bei der Zusammenschau der in jüngerer Zeit entstandenen Kapazitätsprobleme einerseits und der gegenüber der bisherigen Rechtslage zulasten der Asylbewerber im Asylverfahrensablauf sowie bei den Inhaftierungsmöglichkeiten vorgenommenen Verschlechterungen derzeit systemische Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen, die mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bergen.

Angesichts der somit wegen Art. 3 Abs. 2 Satz Unterabsatz 2 Dublin-III-VO anzunehmenden Unzuständigkeit Ungarns sind sowohl die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Ablehnung des Asylantrags als unzulässig als auch die Abschiebungsandrohung nach Ungarn in Nr. 2 des Bescheids rechtswidrig und aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil können die Beteiligten die Zulassung der Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

schriftlich beantragen. Dem Antrag sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Dem Kläger wird für das Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin ... beigeordnet.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 114 ZPO) und Beiordnung der bevollmächtigten Rechtsanwältin des Klägers (§ 121 Abs. 2 ZPO) hat Erfolg.

Gemäß § 166 VwGO i. V. m. § 114 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Diese Voraussetzungen sind im Fall der Kläger erfüllt.

Aus der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und den beigefügten Belegen (§ 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 S. 1 ZPO) ergibt sich, dass der Kläger die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hatte im maßgeblichen Zeitpunkt auch hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 176 VwGO i. V. m. § 114 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife der Prozesskostenhilfe-Sache. Im Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf Prozesskostenhilfe am 9. Februar 2015 waren die Erfolgsaussichten des Klageantrags zumindest offen. Insoweit wird auf die Ausführungen im Beschluss vom 3. Februar 2015 im Verfahren M 23 S 15.50047 verwiesen.

Dem Kläger war daher die beantragte Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die bevollmächtigte Rechtsanwältin beizuordnen.

Die Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag ist gerichtsgebührenfrei. Auslagen werden nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

I.

Der Bescheid der Beklagten vom ... Mai 2015 wird aufgehoben.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Rechtsstreit betrifft einen gegenüber dem Kläger (Kl.) verfügten Bescheid der Beklagten (Bekl.), mit dem aufgrund des sogenannten Dublin-Verfahrens ein Asylantrag des Kl. als unzulässig abgelehnt und die Abschiebung des Kl. nach Ungarn angeordnet wurde.

Der Kl. ist nach eigenen Angaben ein im Jahr 1998 geborener afghanischer Staatsangehöriger (Bl. 35; 51 der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - BAMF - vorgelegten Verwaltungsakte, d. A.), wobei im Verwaltungsverfahren 1996 als Geburtsjahr zugrunde gelegt wurde (Bl. 3; 55 d. A.).

Der Kl. meldete sich am 8. Dezember 2014 als Asylsuchender (Bl. 35 d. A.) und stellte am 20. Januar 2015 einen Asylantrag (Bl. 3 d. A.), woraufhin noch am gleichen Tag ein persönliches Gespräch des BAMF mit dem Kl. zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens stattfand (Bl. 20 d. A.). Dabei teilte der Kl. unter anderem mit, er könne keine Personalpapiere oder andere Dokumente über seiner Person vorlegen (Nr. 3 der Anhörungsniederschrift - AnhN), sei nicht verheiratet (Nr. 4 der AnhN), habe keine Kinder (Nr. 5 der AnhN) und habe ein Aufenthaltsdokument oder Visum für die Bundesrepublik Deutschland oder einen anderen Staat weder gehabt noch derzeit inne (Nr. 6 der AnhN). Er habe sein Herkunftsland vor dreieinhalb Jahren verlassen und sei über den Iran, die Türkei, Griechenland, Mazedonien (wo er sich 3 Monate in Haft befunden habe), Ungarn und Österreich nach Deutschland gekommen; er habe seither das Gebiet der Dublin-Mitgliedstaaten verlassen, habe aber keine Dokumente, die die Einreise, den Aufenthalt oder das Verlassen der Dublin-Mitgliedstaaten nachweisen (Nr. 7 der AnhN). Er habe in keinem anderen Staat Asyl beantragt oder zuerkannt bekommen (Nr. 8 der AnhN). In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden (Nr. 9 der AnhN). Er sei nicht auf die Unterstützung von - sich in einem Dublin-Mitgliedstaat aufhaltenden - Kindern, Geschwistern oder Eltern angewiesen (Nr. 10 der AnhN). Kinder, Geschwister oder Eltern, die auf seine Unterstützung angewiesen seien, hielten sich nicht in einem Dublin-Mitgliedstaat auf (Nr. 11 der AnhN). Er sei nicht von Personen, mit denen er verwandt sei, aufgrund eines Krieges oder einer bürgerkriegsähnlichen Situation oder durch die anschließende Flucht getrennt worden (Nr. 12 der AnhN). Im Hinblick auf seine Sicherheit und eine faire Durchführung seines Asylantrages solle dieser in keinem anderen Staat geprüft werden (Nr. 13 der AnhN).

Eine vom BAMF am 2. Februar 2015 durchgeführte Eurodac-Recherche ergab hinsichtlich des Kl. einen Treffer für Ungarn (Bl. 39 d. A.). Daraufhin ersuchte das BAMF am 2. April 2015 Ungarn im Rahmen einer DubliNet-Anfrage um Aufnahme des Kl. (Bl. 43-50 d. A.).

Ungarn gab dem Ersuchen des BAMF mit Schreiben vom 8. Mai 2015 im Hinblick auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 604/2013 statt und akzeptierte die Verantwortlichkeit für die Wiederaufnahme des Kl. (Bl. 54 d. A.); dabei wurde unter anderem mitgeteilt, der Kl. habe in Ungarn am 9. November 2014 einen Asylantrag gestellt

Daraufhin erließ das BAMF den streitgegenständlichen Bescheid (sgB) vom ... Mai 2015 (Bl. 55 d. A.), mit dem der Asylantrag des Kl. als unzulässig abgelehnt (Nr. 1) und die Abschiebung des Kl. nach Ungarn angeordnet (Nr. 2) wurde. Der sgB wurde mit gesondertem Zustellanschreiben vom 20. Mai 2015 bekannt gegeben (Bl. 63 d. A.) und dem Kl. am 21. Mai 2015 gegen Postzustellungsurkunde zugestellt (Bl. 68-69 d. A.).

Mit Klage- und Antragsschrift vom 27. Mai 2015, bei Gericht per Telefax eingegangen am gleichen Tag, beantragte der Bevollmächtigte des Kl. (nachfolgend: Bev.),

den sgB aufzuheben

und die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. In der Begründung wurde unter anderem vorgetragen, das ungarische Asylsystem leide unter systemischen Mängeln.

Die Bekl. legte mit Schreiben vom 28. Mai 2015, bei Gericht eingegangen am 1. Juni 2015, die Verwaltungsakte vor.

Mit Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 9. Juni 2015 verzichtete die Klagepartei auf mündliche Verhandlung.

Mit Schreiben vom 25. Juni 2015 beantragte die Bekl.,

die Klage abzuweisen und den Eilantrag abzulehnen. Gleichzeitig verzichtete die Bekl. auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Am 1. Juli 2015 ging die Berichterstattung unter anderem für die parallelen Verfahren M 24 K 15.50507 und M 24 S 15.50508 aufgrund einer Änderung der kammerinternen Geschäftsverteilung (Beschluss der 24. Kammer des Verwaltungsgerichts (VG) München vom 16.6.2015) auf den Unterzeichnenden über.

Mit Beschluss vom 17. Juli 2015 hat der Einzelrichter im parallelen Eilverfahren M 24 S 15.50508 die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet.

Mit Kammerbeschluss vom 17. Juli 2015 wurde auch im vorliegenden Klageverfahren der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Der Einzelrichter hat mit Schreiben vom 17. Juli 2015 unter anderem die im Beschluss vom 17. Juli 2015 im parallelen Eilverfahren M 24 S 15.50508 genannten Erkenntnismittel zum Gegenstand auch des vorliegenden Klageverfahrens gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten der parallelen Verfahren M 24 K 15.50507 und M 24 S 15.50508 sowie auf die vom BAMF vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

1. Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung im schriftlichen Verfahren entscheiden, weil alle Beteiligten klar, eindeutig und vorbehaltlos (vgl. BVerwG, B. v. 24.4.2013 - 8 B 91/12 - juris Rn. 3) auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 9. Juni 2015 und die Beklagtenpartei mit Schreiben vom 25. Juni 2015 auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Regierung von Oberbayern ist vorliegend zwar gemäß § 63 Nr. 4 VwGO als Vertreter des öffentlichen Interesses (VöI) Verfahrensbeteiligter aufgrund der generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 (vgl. zur Zulässigkeit sog. Generalbeteiligungserklärungen BVerwG, U. v. 27.6.1995 - 9 C 7 /95 - BVerwGE 99, 38, juris Rn. 11). In diesen Erklärungen hat der VöI allerdings darum gebeten, ihm ausschließlich die jeweilige Letzt- und Endentscheidung zu übersenden und damit unter anderem auch auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Das Verwaltungsgericht (VG) München ist entscheidungsbefugt, insbesondere örtlich zuständig nach § 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO, weil der Kl. im maßgeblichen Zeitpunkt der Klageerhebung (vgl. § 83 VwGO i. V. m. § 17 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG) seinen Aufenthalt im Gerichtsbezirk zu nehmen hatte.

Der Einzelrichter ist gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG zur Entscheidung berufen, nachdem die innerhalb des VG München zuständige Kammer den Rechtsstreit mit Beschluss vom 17. Juli 2015 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen hat.

Maßgeblich ist dabei gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG für das gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehende Urteil die Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, in dem die Entscheidung gefällt wird.

2. Die Anfechtungsklage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist zulässig, insbesondere innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 74 Abs. 1 Halbsatz 1 AsylVfG erhoben worden; § 74 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylVfG findet ausweislich des dortigen expliziten Klammerzusatzes ausschließlich in Fällen des § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG Anwendung (vgl. VG Lüneburg, B. v. 15.9.2014 - 5 B 47/14 - juris Rn. 4 m. w. N.).

3. Die Klage ist auch begründet - der streitgegenständliche Bescheid erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt als rechtswidrig und verletzt der Kl. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Ablehnung des Asylantrags als unzulässig ist § 27a AsylVfG; Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 AsylVfG.

Ein Asylantrag ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, wenn ein anderer Staat gemäß den Zuständigkeitskriterien der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) für die Behandlung des Asylantrags zuständig ist. Insbesondere bei Fällen des § 27a AsylVfG sieht § 34a Abs. 1 AsylVfG eine Befugnis des BAMF zur Abschiebungsanordnung in den jeweils zuständigen Staat vor, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.

Einschlägig ist dabei im vorliegenden Fall die Dublin-III-VO und nicht die frühere Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO), weil das Gesuch des BAMF nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde. Gemäß Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 Dublin-III-VO ist die Dublin-III-VO ungeachtet des Zeitpunkts der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ab dem 1. Januar 2014 auf alle Gesuche um Aufnahme oder Wiederaufnahme von Antragstellern anwendbar.

4. Nachdem Ungarn das Übernahmegesuch des BAMF ausdrücklich akzeptiert hat, und damit wiederaufnahmepflichtig geworden ist (Art. 18 Abs. 1, 23, 25 Dublin-III-VO), kann der Kl. einer Heranziehung dieses Zuständigkeitskriteriums nur damit entgegentreten, dass er systemische Mängel i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO geltend macht (vgl. EuGH, U. v. 10.12.2013 - C-394/12 - Rn. 60, NVwZ 2014, 208; VG München, U. v. 9.5.2014 - M 21 K 14.30300 - juris Rn. 41 m. w. N.; BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - NVwZ 2014, 208 Rn. 6).

Auf die Frage, ob sich im Ausgangspunkt eine Zuständigkeit Ungarns in der Sache aus Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO ergibt, weil eine vorrangige Zuständigkeit Griechenlands aufgrund Art. 13 Dublin-III-VO gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO aufgrund der dort bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems nicht in Betracht kommt (vgl. EuGH (Große Kammer), U. v. 14.11.2014 - C-4/11 - NVwZ 2014, 129; EGMR, Entsch. v. 6.9.2011 - 51599/08 - NVwZ 2012, 1233; EGMR (Große Kammer), U. v. 21.1.2011 - 30696/09 - NVwZ 2011, 413), kommt es deshalb vorliegend nicht an; ebenso nicht darauf, dass die Zuständigkeit Ungarns auch nicht erloschen wäre gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO, weil der Kl. in Ungarn spätestens am 9. November 2014 einen Asylantrag gestellt hat und zu diesem (gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin-III-VO maßgeblichen) Zeitpunkt die in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO vorgesehene Frist von 12 Monaten nicht abgelaufen war. Es ist dabei nicht ersichtlich, dass ein anderer Staat einen Selbsteintritt i. S. v. Art. 17 Dublin-III-VO erklärt hätte oder dass die Zuständigkeit Ungarns gemäß Art. 19 Abs. 2 oder 3 Dublin-III-VO erloschen wäre. Schließlich ist die Zuständigkeit Ungarns im Ausgangspunkt auch nicht schon aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland (oder einen anderen Mitgliedstaat) übergegangen - die 6-monatige Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO ist im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch nicht abgelaufen, so dass die Zuständigkeit bislang im Ausgangspunkt bei Ungarn verblieben und nicht gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen wäre. Auch im Übrigen sind keine Verfahrensfehler im Hinblick auf das Aufnahmegesuch des BAMF ersichtlich (vgl. Art. 20-29 Dublin-III-VO).

5. Die somit an sich anzunehmende Zuständigkeit Ungarns scheitert allerdings gleichwohl an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, weil das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn an systemischen Mängeln leiden und ernsthafte, durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Kl. tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) ausgesetzt zu werden.

Dabei können sich betroffene Asylantragsteller auch persönlich auf den Ausschlussgrund des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO berufen, weil dieser seinerseits auf die grundrechtliche Wertung des Art. 4 GRCh als eines subjektiven Schutzrechts auch gegen die (die unionsrechtliche Dublin-III-VO vollziehende) Bundesrepublik Deutschland zurückgeht (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GRCh; vgl. EuGH (Große Kammer), U. v. 14.11.2013 - C-4/11 - juris Rn. 36 f. - NVwZ 2014, 129). In dieser Verfahrensweise liegt eine Subsumtion der unmittelbar anwendbaren Dublin-III-VO selbst, nicht dagegen eine teleologische Reduktion oder gar eine inzidente Verwerfung der Dublin-III-VO.

Dabei hat das Gericht in erster Linie auf die jeweils (bezogen auf den nach Art. 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt) aktuelle Situation abzustellen, weswegen frühere Gerichtsentscheidungen, die spätere (aktuelle) Erkenntnismittel noch nicht berücksichtigen konnten, bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung nicht entscheidend herangezogen werden.

5.1. Das Gericht geht davon aus, dass das ungarische Asylsystem im maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung sowohl im Hinblick auf die Ausgestaltung des Asylverfahrens als auch im Hinblick auf die Unterbringungsbedingungen von Asylbewerbern derzeit an systemischen Schwachstellen i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO leidet.

Das Gericht legt seiner Einschätzung zum einen die verfügbaren Informationen über die stetig ansteigende Zahl von Asylbewerbern in Ungarn zugrunde. Ungarn hatte im Jahr 2014 einen relativen Anstieg der Asylbewerberzahlen von 126% zu verzeichnen (vgl. EASO-Jahresbericht 2014 über die Asylsituation in der EU, Annual Report on the Situation of Asylum in the European Union 2014 - S. 17 und 16; abrufbar im Internet unter:

https://easo.europa.eu/latest-news/annual-report-2014/).

Das Gericht geht davon aus, dass das ungarische Asylsystem bei der Aufnahme von Asylbewerbern unter erheblichen Kapazitätsproblemen leidet, die auch von der ungarischen Regierung selbst betont worden sind (vgl. beck-aktuell, „Ungarn verschärft Asylrecht“, becklink 2000486, wo unter anderem der ungarische Innenminister mit der Aussage zitiert wird, die ungarischen Flüchtlingsunterkünfte seien zu 130% belegt“).

Gleichzeitig liegen dem Gericht veröffentlichte Meldungen darüber vor, dass das ungarische Parlament am 6. Juli 2015 eine Verschärfung des ungarischen Asylrechts beschlossen hat (vgl. beck-aktuell, „Ungarn verschärft Asylrecht“ vom 7.7.2015, becklink 2000486). Danach soll unter anderem das Asylverfahren annulliert werden, wenn Asylsuchende die ihnen zugewiesenen Aufenthaltsorte länger als 48 Stunden verlassen; gleichzeitig sollen Flüchtlinge bis zum Ende ihres Asylverfahrens inhaftiert werden dürfen.

5.2. Das Gericht macht vor diesem Hintergrund die folgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Münster einschließlich des dortigen Rückgriffs auf im Internet verfügbare Erkenntnismittel zum Gegenstand der vorliegenden Entscheidung (VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A - im Internet abrufbar unter

http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/vg_muenster/j2015/2_L_858_15_A_Beschluss_20150707.html,

dort Rn. 9-27):

„[9] Allerdings kann nach Einschätzung des Gerichts unter Berücksichtigung des vorliegenden neueren Erkenntnismaterials sowie der geänderten Positionierung des ungarischen Staates zur Aufnahmebereitschaft von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Übereinkommens aktuell nicht mehr mit der erforderlichen Gewissheit davon ausgegangen werden, dass in Ungarn systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nicht anzunehmen sind. Vielmehr gibt die jüngste Entwicklung in Ungarn Anlass zu der Annahme, dass gravierende Anhaltspunkte für das Bestehen systemischer Mängel vorhanden sind, aufgrund derer der Antragsteller im Falle der Rückführung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.

Ausgangspunkt für diese Bewertung ist das in Ungarn sich in jüngster Zeit massiv zuspitzende Kapazitätsproblem bei der Aufnahme von Asylbewerbern bedingt durch die stetig ansteigende Zahl von Asylbewerbern. Während in Ungarn im Jahre 2012 lediglich 2.157 Asylanträge gestellt wurden, stieg die Anzahl der Asylbewerber im Jahre 2013 auf 18.900 an und verdoppelte sich im Jahre 2014 auf 42.777. Vom 1. Januar 2015 bis zum 1. März 2015 registrierten die ungarischen Behörden bereits eine Anzahl von 28.535 Personen.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015 (abrufbar unter http://helsinki.hu/wp-content/uploads/Asylum-2015-Hungary-press-info-4March2015.pdf.

Bis zu 72.000 Flüchtlinge sollen bereits in diesem Jahr nach Angaben der ungarischen Regierung in das Land gelangt sein.

Vgl. spiegelonline: Überlastetes Asylsystem, Ungarn verschärft Gesetz zur Aufnahme von Flüchtlingen, Bericht vom 6. Juli 2015, abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-verschaerft-gesetzzur-aufnahme-von-flüchtlingen.

Ungarn gehört damit in der EU zum drittgrößten Zuwanderungsland für Asylbewerber.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015,a. a. O..

Hinzu kommt noch, dass Ungarn nach der Dublin-VO verpflichtet ist, alle weitergereisten Personen, die erstmals in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, wiederaufzunehmen. Dieser großen Anzahl von Asylbewerbern steht demgegenüber nur eine geringe Zahl von Aufnahmeplätzen gegenüber. Wie dem jüngsten Bericht des European Asylum Support Office (EOS) vom 18. Mai 2015 zu entnehmen ist, der eine ausführliche aktuelle Berichterstattung über das ungarische Asylsystem enthält,

http://easo.europa.eu/wp-content/uploads/Description-of-the-Hungarian-asylum-system-18-May-final.pdf;

gibt es in ganz Ungarn weniger als 2.500 Aufnahmeplätze in staatlichen Unterbringungseinrichtungen. Die Plätze verteilen sich auf vier offene Aufnahmeeinrichtungen (Bicske 439, Debrecen 823, Vamaosszabadi 255, Nagyfa 300 sowie in Balassagyarmat 111) und drei geschlossene Lager (Debrecen 192, Bekescsabe 159, Nyirbator 105).

Bereits diese Zahlen verdeutlichen das bestehende massive Unterbringungsproblem in Ungarn. Es kann angesichts dieser Größenordnung bei einer Zuwanderung von mehr als 60.000 Flüchtlingen innerhalb eines halben Jahres ersichtlich nicht davon ausgegangen werden, dass die erheblich zu geringe Zahl an staatlichen Unterbringungsplätzen für Asylbewerber auch nur ansatzweise durch von Kirchen und sonstigen nichtstaatlichen caritativen Einrichtungen aufgefangen werden könnte.

Hinzu kommt, dass sich der ungarische Staat selbst weder willens noch in der Lage sieht, die Unterbringung und Versorgung der stetig ansteigenden Zahl von Asylbewerbern zu gewährleisten. Dass bereits seit einigen Monaten von den ungarischen Behörden die Situation der Flüchtlingsunterbringung als dramatisch eingestuft wird, zeigt der Umstand des bereits Ende Mai 2015 erklärten Aufnahmestopps von Asylbewerbern im Rahmen des Dublin-Transfers wegen ausgeschöpfter Aufnahmekapazitäten bis zum 5. August 2015.

S. E-Mail der Dublinet Hungary vom 29. Mai 2015 an die Europäischen Mitgliedsstaaten betr. INFO Transfer Stop.

Als erschwerend ist die ablehnende Haltung der ungarischen Regierung gegenüber dem Dublin-Übereinkommen anzusehen, die das gesamte Dublin-Konzept als ein Systemfehler bezeichnet. Seitens der ungarischen Regierung wird unmissverständlich deutlich gemacht, dass man eine nennenswerte Zuwanderung sog. Wirtschaftsflüchtlinge nicht wünsche und Ungarn keine multikulturelle Gesellschaft werden wolle.

Vgl. Hungarian Helsinki Committee (HHC), Bericht vom 4. März 2015, a. a. O.; Die Welt, Bericht vom 24. Juni 2015, Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat, abrufbar unter: http://www.welt.de/143027058; Süddeutsche Zeitung, Bericht vom 24. Juni 2015, Die ungarische Regierung will Flüchtlinge ab sofort aussperren.

Die mangelnde Bereitschaft der ungarischen Regierung zur Aufnahme von Dublin-Rückkehrern gipfelte schließlich in der am 23. Juni 2015 erfolgten Ankündigung des Regierungschef Orban, das EU Abkommen zur Aufnahme von Flüchtlingen auszusetzen. Begründet wurde diese Entscheidung mit dem Hinweis, dass die Kapazitäten ausgeschöpft seien („Das Boot ist voll“) und die ungarische Interessen sowie die ungarische Bevölkerung geschützt werden müssten.

Vgl. Die Welt, Bericht vom 24. Juni 2015, Flüchtlingskrise: Warum Ungarn Angst vor zu vielen Asylbewerbern hat; aa0; Süddeutsche Zeitung, Bericht vom 24. Juni 2015, a. a. O.

Wenn auch diese Ankündigung bereits einen Tag später zurückgenommen wurde, so macht sie doch auf der einen Seite die dramatische Unterbringungssituation für die Flüchtlinge in Ungarn deutlich wie auch auf der anderen Seite die fehlende Bereitschaft staatlicher Stellen, die Aufnahme von Flüchtlingen zu unterstützen und deren menschwürdige Unterbringung zu garantieren. Vielmehr ist zu konstatieren, dass die ungarische Regierung die Politik der Ausgrenzung weiter forciert. Ungeachtet internationaler Kritik hat Ungarn die Regeln für die Einwanderung verschärft. Am Montag, den 6. Juli 2015 verabschiedete das ungarische Parlament eine Verschärfung der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Der Zeitrahmen für Asylverfahren wird gekürzt werden. Mit der neuen Rechtslage wird ermöglicht, Asylanträge von Flüchtlingen abzulehnen, die über sichere Transitländer nach Ungarn gereist sind - selbst wenn sie aus Bürgerkriegsländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak stammen. Vorgesehen ist überdies, dass Asylbewerber zukünftig selbst für Kost und Unterbringung während der Antragsbearbeitung zahlen sollen.

Vgl. spiegelonline. Überlastetes Asylsystem, aa0; Die Welt, Bericht vom 6. Juli 2015 Zuwanderung: Ungarn zieht Grenzzaun gegen Flüchtlinge hoch, abrufbar unter: http://www.welt.de/143651657.“

5.3. Das Gericht geht vor diesem Hintergrund mit dem VG Münster beim ungarischen Asylsystem derzeit von einer Kombination sowohl äußerst restriktiver Asylverfahrensregelungen als auch von einer dramatischen Unterbringungssituation aus. Bei der Zusammenschau der in jüngerer Zeit entstandenen Kapazitätsprobleme einerseits und der gegenüber der bisherigen Rechtslage zulasten der Asylbewerber im Asylverfahrensablauf sowie bei den Inhaftierungsmöglichkeiten vorgenommenen Verschlechterungen bestehen nach Ansicht des Gerichts derzeit systemische Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens sowie der Aufnahmebedingungen, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) bergen.

Dabei ist zu sehen, dass der UNHCR, dessen Wertungen im Kontext der Prüfung des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO maßgebliches Gewicht zukommt (EuGH, U. v. 30.5.2013 - C-528/11 - Rn. 44, NVwZ-RR 2013, 660), bereits im Vorfeld der zwischenzeitlich beschlossenen Gesetzesänderungen Bedenken angemeldet und sich insoweit als „tief besorgt“ (deeply concerned) bezeichnet hatte (vgl. den im Internet veröffentlichten englischsprachigen Kommentar vom 3.7.2015: UNHCR urges Hungary not to amend asylum system in haste; abrufbar unter:

http://www.unhcr.org/559641846.html ).

Unter anderem hatte der UNHCR ausgeführt, dass das Asylsystem Ungarns bereits vor der Novelle immer restriktiver geworden war; es werde befürchtet, dass die neuen Vorschläge es Flüchtlingen unmöglich machen wird, in diesem Land Sicherheit zu suchen.

Letzteres ist aus Sicht des Gerichts infolge der zwischenzeitlichen Entwicklung derzeit anzunehmen. Nachdem der UNHCR selbst bemerkt, dass das ungarische Asylsystem vor der aktuellen Novelle zunehmend restriktiver geworden war, sieht das Gericht auch die jüngsten Verschärfungen der Haftbedingungen und insbesondere die neue Regelung zur Annullierung des Asylantrags bei über 48-stündiger Abwesenheit vom zugewiesenen Aufenthaltsort vor dem Hintergrund der vom UNHCR bereits zur früheren Rechtslage und Flüchtlingssituation geäußerten deutlichen Kritik - vgl. insoweit:

- Schreiben des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A (nachfolgend: UNHCR v. 9.5.2014; abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF);

- Schreiben des UNHCR vom 30. September 2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 K 501/14.A (nachfolgend: UNHCR v. 30.9.2014; abrufbar in der öffentlich zugänglichen Datenbank MILO des BAMF).

Daraus ergab sich bereits zur früheren Situation vor dem 6. Juli 2015 unter anderem, dass es Verwaltungsentscheidungen, mit denen die Asylhaft gegenüber Erstantragstellern angeordnet wird, regelmäßig an einer einzelfallbezogenen Begründung fehlte; der UNHCR ging davon aus, dass haftanordnende Entscheidungen weder den konkreten Haftgrund, noch Angaben dazu enthalten, warum die Inhaftierung aus Sicht der zuständigen Behörde im konkreten Einzelfall erforderlich und angemessen ist und keine anderen milderen Mittel in Betracht kommen, um eine Verfügbarkeit des Antragstellers im Asylverfahren sicherzustellen (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 3, S. 2; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 4, S. 2). Vielmehr sei vollkommen intransparent und daher nicht vorhersehbar, welche Asylbewerber in Ungarn verhaftet würden und welche nicht und warum (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 3, S. 2; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 4, S. 2). Dabei wurden die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Asylhaft als ineffektiv und im Ergebnis wirkungslos bewertet; selbstständige Rechtsbehelfe stünden gegen die behördliche Anordnung der Asylhaft nicht zur Verfügung (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 6-7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7). Die Überprüfung der Haftanordnungen erfolge vielmehr im Rahmen einer automatischen gerichtlichen Haftüberprüfung in einem 60-Tage-Rhythmus, wobei für den einzelnen Überprüfungstermin regelmäßig nur wenige Minuten zur Verfügung stünden (UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7). Hinzu komme, dass nach einer Untersuchung, die das höchste Gericht Ungarns (Kuria) in den Jahren 2011 und 2012 durchgeführt habe, die automatische Haftüberprüfung (durch dieselben Gerichte, die auch nach neuem Recht für die Überprüfung zuständig sind), lediglich in drei von 5.000 bzw. 8.000 Fällen tatsächlich zu einer Aufhebung der Haftanordnung geführt habe (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7). Hinzu komme, dass dem UNHCR hinsichtlich der vom ungarischen Asylrecht seinerzeit neben der automatischen Haftprüfung dem Asylbewerber eingeräumten Möglichkeit einer "objection", also einer Art Einspruch gegen die Anordnung der Asylhaft, seit der Wiedereinführung der Asylhaft zum 1. Juli 2013 kein einziger Fall bekannt geworden war, in dem ein solcher Einspruch tatsächlich erhoben worden sei; nach Einschätzung des UNHCR seien Asylbewerber in der Praxis überhaupt nicht über diesen Rechtsbehelf informiert bzw. seitens der zuständigen Behörden von einer Einlegung abgehalten worden mit dem Hinweis darauf, dass dieser Rechtsbehelf ungeeignet sei, die Rechtmäßigkeit der Haftentscheidung anzugreifen, (vgl. UNHCR v. 9.5.2014, zu Frage 7, S. 6-7; UNHCR v. 30.9.2014, zu Frage 11, S. 6-7).

Es kann dahinstehen, inwieweit bereits diese frühere Kritik des UNHCR für sich allein betrachtet hinreichte, um von systemischen Mängeln des ungarischen Asylverfahrens derart auszugehen, dass darin eine hinreichende Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO lag oder nicht. Denn jedenfalls in der Zusammenschau der jüngsten Verschärfung der Inhaftierungsmöglichkeiten und der gleichzeitigen Einführung einer Annullierungsregelung bei mehr als 48-stündiger Abwesenheit vom zugewiesenen Aufenthaltsort ist von einer derartigen Gefahr auszugehen, weil gleichzeitig - von der ungarischen Regierung selbst eingeräumt - in Ungarn erhebliche Kapazitätsengpässe bestehen. Wenn nämlich die Haft während des gesamten Asylverfahrens aufrechterhalten werden kann, gleichzeitig aber keine ausreichenden Kapazitäten für die Durchführung der enorm gestiegenen Verfahrenszahlen zur Verfügung stehen, ist angesichts der bereits in der Vergangenheit zu konstatierenden geringen Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen Asylhaft von einer in einer Vielzahl von Fällen systemisch-unverhältnismäßigen Inhaftierungspraxis auszugehen. Weil gleichzeitig angesichts der erheblichen Kapazitätsdefizite nicht von einer hinreichend effizienten Durchführung des Asylverfahrens ausgegangen werden kann, müssen auch tatsächlich verfolgte Asylantragsteller damit rechnen, ohne überwiegende Gründe mit einer zeitlich nicht hinreichend begrenzten Haftsituation konfrontiert zu werden, obwohl sie mit dem Asylantrag nur von ihrem Menschenrecht auf Asyl Gebrauch machen. Hierin liegt nicht nur im Hinblick auf die Asylhaft eine systemische Schwachstelle des ungarischen Asylverfahrens. Infolge der Kapazitätsengpässe ist auch nicht ersichtlich, dass diese Verfahrensweise den Zweck des Asylverfahrens, nämlich die Klärung der Frage, ob tatsächlich Asylgründe vorliegen oder nicht, maßgeblich befördern würde. Das ungarische Asylsystem in seiner aktuellen Ausgestaltung ist deshalb von erheblichen Verfahrensrestriktionen gekennzeichnet, gewährleistet aber gleichzeitig nicht die Erreichung des Zwecks des Asylverfahrens. Das gilt angesichts der Neuregelung auch in Fällen, in denen keine Asylhaft angeordnet wird, im Hinblick auf die Annullierungsregelung bei mehr als 48-stündiger Abwesenheit. Denn es ist nicht zu verkennen, dass eine formale Annullierungsregelung gerade bei solchen Personen, die tatsächlich Verfolgung erlitten haben, einen besonderen Druck erzeugt, von ihrer Bewegungsfreiheit keinen Gebrauch zu machen, wobei andererseits angesichts der beschriebenen erheblichen Kapazitätsengpässe auch insoweit nicht davon auszugehen ist, dass diese Einschränkung zeitlich überschaubar wäre oder ihrerseits den Zweck des Asylverfahrens befördern könnte. Auch insoweit ist von einer systemischen Schwachstelle des ungarischen Asylverfahrens auszugehen.

Hinzu kommt, dass die im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung veröffentlichten aktuellen Stellungnahmen der Non-Government-Organisationen zur aktuellen Lage der Asylbewerber in Ungarn nach der am 6. Juli 2015 beschlossenen Gesetzesnovelle keine andere Einschätzung nahelegen (vgl. die Stellungnahme von proasyl „Kein Schutz für niemanden: Ungarn verabschiedet sich vom Flüchtlingsrecht“ (abrufbar unter:

http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/kein_schutz_fuer_niemanden_ungarn_verabschiedet_sich_vom_fluechtlingsrecht/?cHash=768f0edf92619027d9b26d3c44fd17f2&no_cache=1&sword_list%5B0%5D=ungarn&sword_list%5B1%5D=kein&sword_list%5B2%5D=schutz&sword_list%5B3%5D=f%C3%BCr&sword_list%5B4%5D=niemanden ).

Zusammenfassend kommen derzeit angesichts der beschriebenen systemischen Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO Überstellungen von Asylbewerbern nach Ungarn nicht in Betracht.

6. Angesichts der somit wegen Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO anzunehmenden Unzuständigkeit Ungarns ist die in Nr. 1 des sgB ausgesprochene Ablehnung des Asylantrages als unzulässig und damit auch die Abschiebungsanordnung nach Ungarn in Nr. 2 des sgB rechtswidrig.

Dabei ist Nr. 1 des sgB (Ablehnung des Asylantrages als unzulässig) im Zusammenhang mit der explizit auf Ungarn bezogenen Nr. 2 des sgB (Abschiebungsanordnung) zu sehen, wobei zusätzlich auch die Begründung des Bescheides von der Unzulässigkeit nach § 27a AsylVfG deshalb ausgeht, weil Ungarn (wie gezeigt unrichtiger Weise - s. o.) für zuständig gehalten wird. Die Ablehnung des bei der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrages als unzulässig gerade wegen der Zuständigkeit Ungarns macht die eigentliche Regelung der Nr. 1 des sgB im konkreten Einzelfall aus (vgl. § 35 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG). Wegen des so zum Ausdruck gebrachten (wie gezeigt unrichtigen - s. o.) Bezugs zur Zuständigkeit Ungarns handelt es sich bei Nr. 1 des sgB auch nicht nur um einen bloß deklaratorischen Hinweis auf eine nach § 27a AsylVfG bestehende gesetzliche Rechtslage; vielmehr beinhaltet Nr. 1 des sgB eine echte (feststellende) Regelung und stellt mithin einen Verwaltungsakt i. S. v. § 35 VwVfG dar, der der (isolierten) Anfechtung zugänglich ist (vgl. BayVGH, U. v. 28.2.2014 - 13a B 13.30295 - juris Rn. 22; BayVGH, B. v. 11.3.2015 - 13a ZB 14.50043 - juris Rn. 6). Da somit Nr. 1 des sgB im Ergebnis ebenso wie auch die Abschiebungsanordnung eine auf die Zuständigkeit Ungarns bezogene Regelung darstellt, Ungarn aber - wie gezeigt - tatsächlich wegen Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO unzuständig ist (s.o.), ist auch Nr. 1 des Bescheides schon aus diesem Grund aufzuheben.

Dabei kommt es für den Erfolg der vorliegenden Anfechtungsklage hinsichtlich Nr. 1 des sgB auch nicht darauf an, ob eine Zuständigkeit anderer Dublin-Staaten - etwa gemäß Art. 13 Abs. 2 Dublin-III-VO - (noch) besteht oder nicht. Die gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO von der Bundesrepublik Deutschland in erster Linie geforderte Fortsetzung der Prüfung der Zuständigkeitskriterien der Dublin-III-VO ist nämlich nicht Gegenstand des vorliegend angefochtenen Bescheides, deshalb auch nicht Streitgegenstand der vorliegenden Anfechtungsklage und infolge dessen auch nicht vom Gericht, sondern außerhalb des vorliegenden Klageverfahrens vom BAMF durchzuführen. Denn ausweislich der Verwaltungsakte hat das BAMF die Zuständigkeit anderer Dublin-Staaten als Ungarn weder im Bescheid noch im Verwaltungsverfahren thematisiert und insbesondere keine entsprechenden (weiteren) Anfragen bei anderen Dublin-Staaten nach den hierfür vorgesehenen unionsrechtlich vorgesehenen Verfahren durchgeführt.

Auch der Anwendungsvorrang der Dublin-III-VO führt nicht dazu, dass das Gericht die in Nr. 1 des sgB (wegen im Ergebnis unrichtig angenommener Zuständigkeit Ungarns) verfügte Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nur dann aufheben dürfte, wenn gerichtlicherseits feststeht, dass außer der Bundesrepublik Deutschland kein anderer Dublin-Mitgliedstaat zuständig ist.

Es kann dabei dahinstehen, inwieweit unter der Geltung der früheren Dublin-II-Verordnung eine derartige Prüfung angezeigt war oder ob nicht vielmehr schon nach der Dublin-II-VO das BAMF (als die Bundesrepublik Deutschland vertretende Behörde) zunächst die Möglichkeit haben musste, einen anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, zu ersuchen. Schon zur Dublin-II-VO hat es - anders als zur (unbestrittenen) Statthaftigkeit der Anfechtungsklage (vgl. BayVGH, B. v. 11.3.2015 - 13a ZB 14.50043 - juris Rn. 6 m. w. N.) - für die Frage, inwieweit das Gericht (im Rahmen dieser Anfechtungsklage) anstelle des BAMF die Zuständigkeit weiterer (nachrangiger) Dublin-Staaten vorzunehmen hat, keine abschließende Klärung gegeben (vgl. zur Dublin-II-VO einerseits VGH BW, U. v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293, juris Rn. 18; andererseits OVG NRW, U. v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790, juris Rn. 31).

Jedenfalls seit der expliziten Einführung der Pflicht zur Fortsetzung der Prüfung in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, zu der es in der früheren Dublin-II-VO keine explizite Vorgängerregelung gab, kommen für eine solche fortgesetzte Prüfung ausschließlich die dort vorgesehenen Verfahrensabläufe in Betracht. Dabei spricht für die genannte Beschränkung der gerichtlichen Prüfung auf die im streitgegenständlichen Bescheid des BAMF vorgegebene Auswahl anderer Dublin-Staaten vor allem Art. 35 Dublin-III-VO. Denn Art. 35 Dublin-III-VO geht hinsichtlich der Durchführung der Dublin-III-VO von explizit gegenüber der Kommission zu benennenden „Behörden“ - also Stellen der Exekutive, nicht aber der Judikative - mit entsprechenden Veröffentlichungsverfahren aus. Für die Bundesrepublik Deutschland ist dies aber hinsichtlich der Übermittlung von Aus- und Wiederaufnahmeersuchen gerade das BAMF (vgl. auch § 2 Abs. 1 der Verordnung zur Neufassung der Asylzuständigkeitsbestimmungsverordnung - AsylZBV). Nur das BAMF als Verwaltungsstelle kann die nach der Dublin-III-VO vorgesehenen Fristläufe nach den dort (insbesondere in Art. 21 Abs. 3 und Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO) vorgesehenen Verfahrensweisen erfüllen und nur gegenüber dem BAMF können andere Dublin-Mitgliedstaaten die für sie geltenden Fristen wahren. Dafür spricht nicht zuletzt auch Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) 1560/2003 (EU-Asylantragszuständigkeits-DVO), wonach sämtliche Gesuche und Antworten zwischen Mitgliedstaaten über das dort näher geregelte „DubliNet“ übermittelt werden, wohingegen für das Gericht keine Nutzung des DubliNet vorgesehen ist. Soweit aber andere Dublin-Staaten nicht innerhalb der unionsrechtlich vorgesehenen (zwischenbehördlichen) Verfahren eingebunden sind und soweit deshalb auch die Regelungswirkung einer Feststellung nach § 27a AsylVfG sich darauf nicht erstreckt (s. o.), kommt vor diesem Hintergrund eine diesbezügliche gerichtliche Prüfung (mit entsprechenden Bindungswirkungen gegenüber der am Rechtsstreit beteiligten Bundesrepublik Deutschland - vgl. § 121 VwGO) nicht in Betracht.

7. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).

8. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Gründe

1

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO hat Erfolg. Dem steht die im Beschluss vom 09.06.2015 (9 B 374/15) wegen Verfristung entschiedene Unzulässigkeit des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht entgegen. Sinn und Zweck einer einstweiligen Regelung im Eilrechtschutzverfahren ist es, Zwischenentscheidungen zu treffen, die es vermeiden, dass während der Dauer des Rechtsstreites in der Hauptsache vollendete Tatschen geschaffen werden. Der dafür notwendige Anordnungsgrund und der Anordnungsanspruch sind gegeben. Die Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) ergibt sich aus der für den 09.09.2015 geplanten Abschiebung des Antragstellers. Ebenso ist ein Anordnungsanspruch gegeben. Denn im anhängigen gerichtlichen Verfahren hat sich eine Änderung der Sach- und Rechtslage ergeben. Nach der neuerlichen Richtlinie des Bundesamtes vom August 2015 werden Dublin-Verfahren syrischer Staatsangehöriger zum gegenwärtigen Zeitpunkt weitestgehend faktisch nicht weiter betrieben. Danach wird auch bei „vollziehbaren Abschiebungsandrohungen“ und „angestoßenen Überstellungen“ das „Dublin-Verfahren abgebrochen“ und das „Selbsteintrittsrecht sofort ausgeübt“ und die „Überstellung storniert“. Warum dies im vorliegenden Fall nicht geschieht, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. In einer E-Mail der Antragsgegnerin an die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers heißt es dazu, „dass das Verfahren des von Ihnen vertretenen jungen Syrers so weit vorangeschritten ist, dass die Überstellung durchgeführt wird.“ Dies stellt keine ordnungsgemäße Ermessensausübung bzw. Gleichbehandlung dar, worauf der Antragsteller einen Anspruch hat. Auch wenn es sich bei der „Richtlinie“ bzw. „Leitlinie“ um keine gesetzliche Regelung in Sinne eines formellen Gesetzes handelt, hat sich die Beklagte damit im Sinne einer Verwaltungsvorschrift eine (selbst)bindende Regelung gegeben, die gerade eine gleichmäßige Anwendung und damit eine Vereinfachung der Verfahren garantieren soll.

2

Vom rechtlichen Regelungsgehalt der „Leitlinie“ im Sinne eines einklagbaren Anspruchs abgesehen, hat der Antragsteller einen Anordnungsanspruch aufgrund veränderter Umstände. Zum Zeitpunkt der jetzigen gerichtlichen Entscheidung haben sich die politischen Ereignisse in Ungarn im Zusammenhang mit dem Dublin-Abkommen überschlagen. Wie die Kammer bereits in ständiger Rechtsprechung ausführt, verhält sich Ungarn nicht unionskonform und es ist anzunehmen, dass Ungarn wegen der Inhaftierung von Asylbewerbern und den Mängeln in den Unterbringungen systemische Mängel im Asylsystem aufweist. Zudem hat Ungarn unlängst Verschärfungen des nationalen Asylrechts beschlossen.

3

Unter diesen tatsächlichen Umständen kann es das Gericht nicht verantworten, den Antragsteller im Zeitpunkt dieser, innerhalb weniger Stunden unter den Gegebenheiten einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage zu treffenden, gerichtlichen Eilentscheidung nach Ungarn abzuschieben.

4

Dementsprechend ist dem Antrag des Antragstellers auf vorläufigen Rechtsschutz nachzukommen und zur weiteren Begründung darf auf den Vortrag des Antragstellers verwiesen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO analog).

5

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b Abs. 1 AsylVfG.


Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 31.7.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 17.7.2015 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


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Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

4. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1974 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 10. Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 22. Juli 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung). Mit E-Mail vom 23. Juli 2015 erhielt der Antragsgegner Mitteilung, dass für den Antragssteller ein EUROCAC-Treffer für Ungarn unter der Nummer ... vorliegt.

Am 21. September 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 7. September 2015 gab der Antragsteller an, ein Bruder befände sich in Deutschland. Er gab an, zunächst nach Bulgarien eingereist zu sein. In Ungarn seien ihm Fingerabdrücke abgenommen worden. Ehefrau und sieben Kinder sowie die Großfamilie lebten noch im Irak.

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2015, der dem Kläger am 13. Oktober 2015 mit Postzustellungsurkunde zugestellt wurde, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 19. Oktober 2015 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50474) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft. Es könne nicht hingenommen werden, dass vom IS bedrohte Yeziden im Dublin-Verfahren nach Ungarn zurückkehren müssten, obwohl es sich um Bürgerkriegsflüchtlinge handle. Im Vergleich zu den syrischen Staatsangehörigen, für die das Dublin-Verfahren keine Anwendung mehr finde, liege eine Ungleichbehandlung vor. Die Trennung des Antragstellers von seinen in Deutschland lebenden Verwandten stelle einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar.

Auch sei das Übernahmeverlangen Deutschlands an Ungarn zu spät gestellt worden. Maßgeblich für den Fristlauf sei der Zeitpunkt des Asylbegehrens.

Außerdem sei der Antragssteller nicht wie in Art. 4 und 5 der Dublin III-VO vorgeschrieben belehrt worden. Das in der Anlage X zur Dublin III-VO abgedruckte Informationsschreiben sei dem Antragsteller nicht in seiner Muttersprache ausgehändigt worden, weshalb die Informationsrechte des Antragstellers verletzt seien.

Es wurde verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Hannover 21.9.2015 - 2 B 4549/15

Verwaltungsgericht Minden 1.9.2015 - 10 L 285/15.A

VG Bayreuth 12.10.2015 B 3 S 15.50241

sowie auf eine Kurzstellungnahme des UNHCR zu Ungarn vom 17.9.2015.

Der Kläger habe sich in Ungarn zunächst geweigert, Fingerabdrücke nehmen zu lassen. Daraufhin sei er für zwei Tage inhaftiert worden, dann aber aus der Haft entlassen und ohne weitere Hinweise zur Durchführung seines Asylverfahrens sich selbst überlassen gewesen. Er habe sich nach Deutschland durchgeschlagen.

Die Antragsgegnerin hat bislang keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom9. Oktober 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 21. September 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Die Frist von zwei Monaten, die Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO der Bundesrepublik Deutschland für die Stellung eines Wiederaufnahmegesuchs einräumt, begann mit der Eurodac-Treffermeldung nach Art. 9 Absatz 5 der Dublin III-VO zu laufen. Diese erfolgte hier per E-Mail am 23. Juli 2015 (Blatt 42 der Behördenakte) und lief demzufolge am 23. September 2015 ab, §§ 31 VwVfG, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Das Wiederaufnahmegesuch erfolgte mit Schreiben vom 21. September und damit vor Ablauf der maßgeblichen Frist.

Der Bescheid des Bundesamtes begegnet in formeller Hinsicht keinen rechtlichen Bedenken. Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er sei nicht nach den Vorgaben der Art. 4 und 5 Dublin III-VO über deren Anwendung belehrt worden. Es liegt insoweit kein Verfahrensfehler vor.

Dem Antragsteller wurden ausweislich der Behördenakte am 22. Juli 2015 zwei Merkblätter für das Dublin-Verfahren ausgehändigt (Blatt 19 der Behördenakte). Dies haben sowohl der Antragsteller selbst als auch der kurdische Dolmetscher durch ihre Unterschrift bestätigt. Eine Rüge dahingehend, dass der Antragsteller deren Inhalt nicht hätte verstehen können, findet sich in der Behördenakte nicht. Außerdem fand am 7. September 2015 das persönliche Gespräch nach Art. 5 Dublin III-VO in Anwesenheit eines kurdischen Dolmetschers statt.

Auch wenn das vom Bundesamt verwendete (und dem Antragsteller in der Sprache „Arabisch“ ausgehändigte) Merkblatt nicht den Anforderungen der in Anlage X der Durchführungsverordnung (EU) vom 30. Januar 2014 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 abgedruckten Version entsprechen sollte, lässt sich daraus allein keine Rechtsverletzung des Klägers ableiten. Denn zum einen erscheint das von der Behörde verwendete Merkblatt inhaltlich ausreichend, um den Asylantragsteller das Dublin-Verfahren und die daraus für ihn entstehenden Folgen ausreichend näher zu bringen. Als Ergänzung der Information diente das vorliegend durchgeführte persönliche Gespräch (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO).

Zum anderen hat das Informationsrecht aus Art. 4 Dublin III-VO den Sinn, den Antragsteller über seine Rechte zu informieren, damit er diese wahren kann. Dass der Antragsteller über diese Informationen verfügt, zeigen der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung und die gleichzeitig erhobene Klage.

Auch hätte ein möglicher Verfahrensfehler keine Auswirkung auf die Entscheidung des BAMF gehabt. Denn bei der Entscheidung nach § 27 a AsylG handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe in Ungarn keinen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m...b...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://b...eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er einer Überstellung nach Ungarn nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Er beruft sich auch nicht darauf, dass in Deutschland Familienangehörige i. S. des Art. 2 Buchstabe g Dublin III-VO leben, was die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland zur Durchführung des Asylverfahrens nach Art. 9 Dublin III-VO begründen könnte, da es sich beim (volljährigen) Bruder nicht um einen Familienangehörigen nach der Definiton der Dublin III-VO handelt.

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 9. Oktober 2015 Bezug genommen.

Aus den oben genannten Gründen war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung abzulehnen, da der Antrag keine hinreichende Erfolgsaussicht hat, § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83 b AsylG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 EUR.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1989 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 12. April 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 28. Mai 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (EURODAC-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung).

Am 27. Juli 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Antragsteller an, er wolle nicht in einen anderen Mitgliedstaat überstellt werden. Er sei in Ungarn schlecht behandelt worden. Außerdem befänden sich ein Bruder und ein Onkel in Deutschland.

Mit Bescheid vom 7. September 2015, mit Schreiben vom 8. September 2015 zur Post gegeben, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG auf 0 Monate (Ziffer III).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 15. September 2015 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50399) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylsystem in Ungarn sei wegen der hohen Flüchtlingszahlen überlastet und es drohe Rückkehrern im Dublin-Verfahren Asylhaft.

Es wurde hierzu verwiesen auf folgende Berichte und Entscheidungen:

Helsinki-Committee Mai 2014

Antworten von M. S. (Vorstand von bordermonitoring) vom 30. Oktober 2014 an VGe Düsseldorf und München

ELENA Weekly Update zu The commissioner for Human Rights in Hungary

Aida 4. November 2014

UNHCR Auskunft an VG Düsseldorf vom 30. September 2014

UNHCR Stellungnahme an VG Minden vom 9. Mai 2014

VG Sigmaringen, B. v. 1.12.2014 - A 2 K 422/14

VG Düsseldorf, B. v. 28.5.2014 - 13 L 172/14 A.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 24. September 2015,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom7. September 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylVfG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 27. Juli 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe nicht wissentlich in Ungarn einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Denn bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o.g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen desEuropäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 undC-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von bordermonitoring.eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://b...eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weitgehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düssel-dorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v.15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris; ), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o.g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Auch der aktuellen Presseberichterstattung zur Verschärfung der Gesetzeslage für Asylbewerber in Ungarn und der Mitteilung der ungarischen Regierung, das Land stoße für die Aufnahme von Flüchtlingen an seine Kapazitätsgrenzen, lässt sich nicht entnehmen, dass das Asylverfahren an sich mit Mängeln behaftet wäre, die eine Gefahr in dem beschriebenen Ausmaß mit sich bringen würde. Von der Ankündigung, keine Rückkehrer im Dublin-Verfahren aufzunehmen, ist die ungarische Regierung nach Intervention der EU-Kommission wieder abgerückt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er sich einer Überstellung nach Ungarn somit nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 7. September 2015 Bezug genommen.

Aus der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ergibt sich keine abweichende Beurteilung. Die „Befristung“ auf 0 Monate beschwert den Antragsteller unabhängig von der Frage ihrer Rechtmäßigkeit jedenfalls nicht. Eine solche wird von ihm auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

3. Der Gegenstandswert beträgt 2.500,00 Euro.

Gründe

I.

Der nach eigenen Angaben 1990 geborene Antragsteller ist irakischer Staatsangehöriger und kurdischer Yezide. Er reiste seinen Angaben zufolge am 17. April 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 3. Juni 2015 seine Anerkennung als Flüchtling.

Den Erkenntnissen des Bundesamtes zufolge (Eurodac-Treffer) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin-III-Verordnung).

Am 31. Juli 2015 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin-III-Verordnung an Ungarn gerichtet. Die ungarischen Behörden haben hierauf keine Antwort erteilt.

Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gab der Antragsteller an, zwei Brüder und eine Schwester befänden sich in Deutschland. Er wolle auch Frau und Kind nach Deutschland holen. Er gab an, durch die Türkei und Ungarn gereist zu sein.

Mit Bescheid vom 15. September 2015, mit Schreiben vom 16. September 2015 zur Post gegeben, lehnte die Antragsgegnerin den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab (Ziffer I), und ordnete in Ziffer II die Abschiebung nach Ungarn an.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, in Ungarn lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor. Zur Begründung wird insgesamt auf den Bescheid Bezug genommen.

Mit einem am 24. September 2015 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten ließ der Antragsteller gegen den genannten Bescheid Klage erheben (AN 3 K 15.50399) und beantragte gleichzeitig,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf, insbesondere wegen der Anwendung von Asylhaft.

Es wurde hierzu verwiesen auf folgende Entscheidungen:

Verwaltungsgericht Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14

Verwaltungsgericht Köln, U. v. 11.9.2015 - 18 K 3279/15.A.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2015,

den Antrag abzulehnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom15. September 2015 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 AsylVfG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheides überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Klage des Antragstellers wird mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg haben. Die angefochtene Abschiebungsanordnung erweist sich unter Berücksichtigung der maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs.1 AsylVfG) aller Voraussicht nach als rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zu-ständigen Staat an, sobald fest steht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Antragsgegnerin ist zutreffend davon ausgegangen, dass Ungarn nach Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Antrages auf internationalen Schutz und für die Wiederaufnahme des Antragstellers zuständig ist. Denn Ungarn hat auf das am 31. Juli 2015 vom Bundesamt gestellte Ersuchen um Wiederaufnahme des Antragstellers, für den ein Eurodac-Treffer hinsichtlich Ungarn festgestellt worden war, nicht geantwortet.

Damit ist Ungarn gemäß Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-Verordnung verpflichtet, den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Frist ist vorliegend noch nicht abgelaufen und die Überstellung kann erfolgen.

Der Antragsteller kann nicht mit Erfolg geltend machen, er habe nicht wissentlich in Ungarn einen Antrag auf Zuerkennung internationalen Schutzes gestellt. Denn bei den Vorschriften der Dublin III-VO handelt es sich überwiegend um Normen, die die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens regeln und dem Antragsteller gerade kein subjektives Recht darauf einräumen, dass sein Asylverfahren in einem bestimmten Mitgliedstaat durchgeführt wird (vgl. Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 1. Mai 2015, Rn. 29 und 30 zu § 27 a AsylVfG). Entscheidend ist, dass Ungarn aufgrund der der o. g. Regelungen der Dublin III-VO für die Durchführung des Verfahrens des Antragstellers zuständig geworden ist.

Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO begründen oder zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Auslegung der Dublin III-Verordnung, die „einen der Bausteine des von der Europäischen Union errichteten Gemeinsamen Europäischen Asylsystems bildet“, und die sich daraus ergebenden Rechte der Asylbewerber sind durch neuere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs geklärt (EuGH, Urteil vom 21.12. 2011 - C-411/10 und C-493/10 - Slg. 2011, I-13905; EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - Pui, C-4/11; EuGH, Urteil vom 10.12.2013, C-394/12).

Das in dieser Verordnung und in weiteren Rechtsakten geregelte Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) stützt sich - ähnlich wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) - auf die Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und der Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist, ferner dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10, C-493/10, NVwZ 2012, 417; vgl. Hailbronner/Thym, NVwZ 2012, 406).

Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U. v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete nunmehr in Art. 3 Abs. 2 der Dublin III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird. An diesen nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO normierten Ausnahmefall sind daher strenge Anforderungen zu stellen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 ff.). Eine systemisch begründete, ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK muss im Sinne einer Selbstbetroffenheit speziell auch gerade für den jeweiligen Rechtsschutzsuchenden in seiner konkreten Situation bestehen. Sie liegt maßgeblich dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und das Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad von Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage belegte Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet, oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. OVG NRW a. a. O.).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14, juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mitgliedstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://m.b...de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand 30.4.2014, abrufbar unter http://www.a...org; Bericht von b...eu, Stand Oktober 2013, abrufbar unter http://bordermonitoring.eu) jedenfalls für die Person des Antragstellers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Zum 1. Juli 2013 wurde das Asylsystem Ungarns zwar dahingehend verändert, als erneut weit-gehende Inhaftierungsgründe für Asylbewerber geschaffen wurden. Diese Rechtsänderungen wurden hinsichtlich der Unbestimmtheit der Haftgründe sowie hinsichtlich der unzureichenden Rechtsbehelfe gegen die Inhaftierung verschiedentlich kritisiert (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittees a. a. O.; Ungarn Länderbericht des AIDA a. a. O.; UNHCR vom 9.5.2014 a. a. O.). Die genannten Berichte beruhen allerdings im Wesentlichen auf einer Auswertung der geänderten Rechtslage selbst, während Erkenntnisse zur konkreten Handhabung nicht verlässlich vorliegen. Es zu konstatieren, dass der UNHCR - abgesehen von seiner Stellungnahme vom 9. Mai 2014 an das Verwaltungsgericht Düsseldorf - bislang keine generellen Feststellungen zum Asylverfahren und den Aufnahmebedingungen in Ungarn getroffen und auch keine generelle Empfehlung ausgesprochen hat, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 25.8.2014 - W 6 S 14.50100 - juris). Unter Berücksichtigung der besonderen Relevanz des durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragenen Amtes des UNHCR für die Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens (vgl. EuGH, Urteil vom 30.5.2013 - C 528/11 - NVwZ-RR 2013, 660), kommt dem Fehlen einer solchen generellen Empfehlung des UNHCR besondere Bedeutung zu. Der Auffassung, die z. B. das Verwaltungsgericht des Saarlandes im Beschluss vom 7. August 2015 (3 L 672/15, juris Rn. 20) vertritt, wonach Äußerungen der Pressesprecherin des UNHCR zu entnehmen sei, dass der UNHCR über die fremdenfeindliche Gesinnung der ungarischen Regierung besorgt sei und dass diese Äußerungen wegen der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden sei, bei der Auslegung des unionsrechtlichen Asylverfahrens besonders zu beachten seien, schließt sich das Gericht nicht an. Abzustellen ist vielmehr auf Empfehlungen des UNHCR zur Beachtung der Aufnahme- und Verfahrensregelungen der Dublin-Verordnungen bei der Umsetzung in nationales Recht. An einer solchen Empfehlung fehlt es bislang, wie auch das VG des Saarlandes (a. a. O.) selbst feststellt.

Auch wenn die Inhaftierungsregelungen in Ungarn in der Rechtsprechung bisweilen zur Annahme systemischer Mängel geführt haben (vgl. VG München, U. v. 23.9.2014 - M 24 K 13.31329 -; VG Sigmaringen, B. v. 22.4.2014 - A 5 K 972/14 - juris; VG München, B. v. 26.6.2014 - M 24 S 14.50325; VG Düsseldorf, B. v. 27.8.2014 - 14 L 1786/14.A - VG Düsseldorf, B. v. 16.6.2014 - 13 L 141/14.A - jeweils juris; VG Münster, B. v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A; VG München, B. v. 5.3.2015 - M 15 S 15.50160 - juris; VG Berlin, B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - juris;), ist nach Überzeugung des Gerichts für den hier vorliegenden Einzelfall nicht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bei einer Rücküberstellung nach Ungarn zu befürchten. Denn ausweislich einer Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorates gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013 werden Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern, wozu auch der Nordirak zählen dürfte, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 2.9.2014 - 6 L 1235/14.A - juris). Entgegenstehende Erkenntnisse liegen derzeit nicht vor. Auch der UNHCR kann derzeit keine verlässlichen Angaben über den Umgang mit Asylantragstellern im Dublin-Verfahren in Ungarn machen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, Urteil vom 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch VG Dresden, B. v. 9.9. 2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Hinsichtlich der Anwendung der seit 1. August 2015 in Ungarn geltenden Rechtslage, wonach Serbien nun sicherer Drittstaat sei, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt würden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entferne, ergibt sich nichts anderes. Es liegen dem Gericht für die Behandlung von Rückkehrern im Dublin-Verfahren keinerlei auf Tatsachen gestützte Erkenntnisse vor, die Anlass dazu gäben, Mängel in o. g. Qualität im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen anzunehmen.

Es liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer von Ungarn nach Serbien abgeschoben würden. Der Antragsteller selbst trägt auch nicht vor, über Serbien nach Ungarn eingereist zu sein. Sofern teilweise darauf abgestellt wird, es könne angesichts der neuen Gesetzeslage nicht ausgeschlossen werden, dass auch Dublin-Rückkehrer nach Serbien abgeschoben werden und darauf die Annahme systemischer Mängel in Ungarn für diese Personengruppe gestützt werden (VG Düsseldorf, B. v. 20.8.2015 - 15 L 2556/15.A-, juris), folgt das Gericht dieser Auffassung nicht, da sich hierfür aus den Erkenntnisquellen keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der geänderten Gesetzeslage in Ungarn lässt sich vielmehr der Versuch erkennen, dem ungehinderten Zustrom von Flüchtlingen Herr zu werden. Die ungarische Regierung scheint bemüht, die Vorschriften der Dublin-Verordnung einzuhalten und für eine geregelte Einreise und Registrierung der Flüchtlinge zu sorgen, die gerade nicht in Ungarn Asyl beantragen wollen, sondern mit dem Ziel Deutschland oder Schweden in den Schengen-Raum einreisen. Daran ändert auch die als „fremdenfeindlich“ kritisierte Einstellung der ungarischen Regierung nichts. Neuerdings werden auch in Deutschland Einrichtungen wie „Transitzonen“ mit Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Asylbewerber zur ordnungsgemäßen Abwicklung der Verfahren und sogar die Errichtung von Zäunen zur Gewährleistung der kontrollierten Einreise diskutiert.

Hinsichtlich der vielfach kritisierten Asylhaft ist anzumerken, dass die meisten Asylbewerber, die wie der Antragsteller über die sogenannte Balkanroute in die EU einreisen, Ungarn erklärtermaßen als Transitland betrachten und dort keinen Asylantrag stellen wollen.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass sie im Falle einer Rückführung nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens dort in Asylhaft genommen werden, da die ungarischen Behörden ihre wiederholte Ausreise befürchten müssen und eine Inhaftierung zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens notwendig erscheint. Die im ungarischen Asylgesetz genannten Haftgründe sind insoweit auch nachvollziehbar.

Den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig im oben dargelegten Sinn wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde. Darauf, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-GRCh bzw. des Art. 3 EMRK kommen kann und ob ein Antragsteller dem in der Vergangenheit schon einmal ausgesetzt war, kommt es im Zusammenhang mit Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO nicht an (BVerwG, B. v. 6.6.2014 a. a. O.).

Auch die derzeit in vielen Ländern der EU anzutreffenden Kapazitätsengpässe bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge stellen für sich keinen systemischen Mangel im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin III-VO dar. Denn hierbei handelt es sich um rein tatsächliche Probleme, die der unerwartete Zustrom so vieler Menschen mit sich bringt.

Auch der aktuellen Presseberichterstattung zur Verschärfung der Gesetzeslage für Asylbewerber in Ungarn und der Mitteilung der ungarischen Regierung, das Land stoße für die Aufnahme von Flüchtlingen an seine Kapazitätsgrenzen, lässt sich nicht entnehmen, dass das Asylverfahren an sich mit Mängeln behaftet wäre, die eine Gefahr in dem beschriebenen Ausmaß mit sich bringen würde. Von der Ankündigung, keine Rückkehrer im Dublin-Verfahren aufzunehmen, ist die ungarische Regierung nach Intervention der EU-Kommission wieder abgerückt.

Da der Antragsteller auch keiner besonders schutzbedürftigen Personengruppe im Sinne des Art. 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Aufnahme-Richtlinie) angehört, kann er sich einer Überstellung nach Ungarn somit nicht damit entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für ihn in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtscharta mit sich bringen würde (vgl. VG Köln, B. v. 28.4.2015 - 17 L 1024/15.A - juris; VG Ansbach, B. v. 16.4.2015 - AN 4 K 14.30119).

Die Anordnung der Abschiebung nach § 34a AsylVfG erscheint somit rechtmäßig. Im Übrigen wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylVfG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 15. September 2015 Bezug genommen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der am ... geborene Antragsteller ist malischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 8. Februar 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo er am 19. März 2015 Asylantrag stellte.

Im Rahmen des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Antragsteller am 19. März 2015 an, dass er sein Heimatland im Juni 2012 verlassen habe und über Algerien (6 Monate), Türkei (2 Jahre), Griechenland (1 Monat), Mazedonien (15 Tage) sowie Serbien(1 Tag) und Ungarn (5 Tage) mit dem Pkw über Österreich nach Deutschland gelangt sei. In Griechenland im Dezember 2014 und in Ungarn im Februar 2015 seien von ihm Fingerabdrücke abgenommen worden.

Mit Blick auf die obigen Angaben und Treffern der Kategorie 1 und 2 bezüglich Ungarns im Eurodac-Fingerabdrucksystem wandte sich das Bundesamt am 5. Juni 2015 mit dem Ersuchen um Übernahme an die zuständigen ungarischen Behörden; diese erklärten mit Schreiben vom 10. Juni 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des dort am 26. Januar 2015 gestellten Asylantrags.

Mit Bescheid vom 18. Juni 2015, dem Antragsteller zugestellt am 25. Juni 2015, lehnte das Bundesamt den in Deutschland gestellten Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1) und ordnete die Abschiebung nach Ungarn an (Nr. 2). Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom ... Juli 2015, eingegangen am 2. Juli 2015, ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid vom 18. Juni 2015 (M 3 K 15.50615) zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und weiter beantragen,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, trotz der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs stehe nicht fest, dass die Abschiebung des Antragstellers nach Ungarn durchgeführt werden könne. Zudem sei nach den vorliegenden Erkenntnismitteln und aufgrund der erheblich gestiegenen Flüchtlingszahlen von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber i. S. v. Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-Verordnung in Ungarn auszugehen.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 7. Juli 2015 die Behördenakte vor und äußerte sich im Übrigen nicht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

II.

Der zulässige Eilantrag bleibt ohne Erfolg, weil er unbegründet ist.

Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylVfG), kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen, da kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheides besteht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, bleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.

Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides, da nach vorläufiger Prüfung derzeit davon auszugehen ist, dass der angefochtene Bescheid sich im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird und die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a i. V. m. § 27a AsylVfG sind nach der im Eilverfahren vorzunehmenden summarischen Überprüfung gegeben. Danach ist Ungarn aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

1. Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers rechtmäßig nach § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt.

Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich dabei vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin-III-VO), weil das an Ungarn gerichtete Gesuch des BAMF nach dem 1. Januar 2014 gestellt wurde (vgl. Art. 49 Absatz 2 Dublin-III-VO).

Nach den hiernach maßgeblichen Bestimmungen der Dublin-III-VO ist Ungarn und nicht Griechenland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Zwar hat sich der Antragsteller nach seinen Angaben einen Monat in Griechenland aufgehalten, doch verbietet sich eine Überstellung des Klägers dorthin aufgrund der dort weiterhin vorliegenden systemischen Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen (vgl. EUGH U. v. 21.12.2011 - C-411/10 sowie Entscheiderbrief 1/2015, wonach der Bundesinnenminister Überstellungen nach Griechenland mit Erlass vom 12.01.2015 für ein weiteres Jahr ausgesetzt hat), so dass die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Dublin-III-VO zu prüfen hatte, ob ein anderer Mitgliedsstaat als zuständig bestimmt werden kann. Diese Prüfung führt zur Zuständigkeit Ungarns, weil der Antragsteller in diesen Mitgliedsstaat nach seinem Aufenthalt in Griechenland über Mazedonien und Serbien kommend eingereist ist (vgl. Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO). Dass er dort tatsächlich einen Asylantrag gestellt hat - was von ihm bestritten wird -, ist nicht erforderlich. Bereits die illegale Einreise nach Ungarn von einem Drittstaat kommend wirkt nach Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO zuständigkeitsbegründend. Unabhängig hiervon spricht alles für eine Asylantragstellung des Antragstellers in Ungarn. So hat sich ein Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Ungarn ergeben. Die Ziffer “1“ nach dem Länderkürzel steht für Personen, die in Ungarn einen Asylantrag gestellt haben, vgl. Art. 2 Abs. 3 Satz 5 der VO (EG) Nr. 407/2002. Zudem haben die ungarischen Behörden der Überstellung des Antragstellers unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchstabe b Dublin-III-VO sowie den vom Antragsteller am 26. Januar 2015 gestellten Asylantrag zugestimmt.

Mit dieser Übernahmeerklärung steht grundsätzlich auch fest, dass die Abschiebung nach Ungarn durchgeführt werden kann.

Eine Überstellung an Ungarn als den grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat (vgl. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a Dublin-III-VO) hat auch nicht gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 Dublin-III-VO zu unterbleiben. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Ungarn infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GRCharta) ausgesetzt wäre:

Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der EU den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte i. S. v. Art. 6 Abs. 1 EUV entspricht. Zwar ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. v. Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG v. 19.3.2014 - 10 B 6.14).

Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist aus derzeitiger Sicht - jedenfalls soweit es sich nicht um besonders schutzbedürftige Personen wie Familien mit kleinen Kindern handelt - nicht davon auszugehen, dass Asylantragsteller in Ungarn aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein.

Insbesondere hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12. Juni 2015 - 13a ZB 15.50097, dem Ansatz, wonach die Anwendung der sog. Asylhaft auf die meisten „Dublin-Rückkehrer“ wegen Verstoßes gegen Art. 6 EU-Grundrechte-Charta zu einem Überstellungsverbot nach Ungarn führe (so z. B. VG Berlin v. 15.01.2015 - 23 L 899.14 A, Rn. 8 bei juris, ebenso VG München v. 20.02.2015 - M 24 S 15.50091, Rn. 45 ff. bei juris; VG München v. 16.04.2015 - M 24 K 15.50098; ähnlich VG Köln v. 28.04.2015, - 17 L 1024/15.A, Rn. 21 ff. bei juris) eine Absage erteilt. Denn der Gerichtshof der Europäischen Union (s.o.; exemplarisch EuGH v. 10.12.2013, Rs. C-394/12, Rn. 52 ff. bei juris) hat den Maßstab zur Überprüfung der Überstellungsentscheidung - der nunmehr in Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Dublin-III-VO positiv festgeschrieben wurde - ausschließlich dem Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung in Art. 4 EU-Grundrechte-Charta entnommen, das Recht auf Freiheit und Sicherheit gemäß Art. 6 EU-Grundrechte-Charta ist demnach nicht unmittelbarer Prüfmaßstab im Rahmen einer Entscheidung gem. §§ 27a, 34a AsylVfG im „Dublin-Verfahren“ (s. auch VG Hamburg v. 18.02.2015 - 2 AE 354/15). In BayVGH v. 12.06.2015 - 13a ZB 15.50097 heißt es insofern unter Rn. 4 der Beschlussausfertigung:

„(…) Abgesehen davon gehen sowohl das Verwaltungsgericht Berlin (B. v. 15.1.2015 - 23 L 899.14 A - Asylmagazin 2015, 80 = juris) wie das Verwaltungsgericht München (B. v. 20.2.2015 - M 24 S 15.50091 - juris) nicht von einem systemischen Verstoß gegen Art. 4 EU-Grundrechtscharta aus, wie in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO), bestimmt ist. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin III-VO festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta“) zugrunde gelegt haben (vgl. auch OVG SH, B. v. 13.4.2015 - 2 LA 39/15 - juris). Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die Dublin II-VO verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, U. v. 21.12.2011 - N.S. u. a., C-411/10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 82; vgl. auch BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677) Im Übrigen verneint auch der Großteil der nationalen Verwaltungsgerichte systemische Mängel bzw. Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn.“

In gleicher Zielrichtung argumentiert das Oberverwaltungsgericht für das Land Schleswig-Holstein (vgl. Beschl. v. 13.04.2015 - 2 LA 39/15, Rn. 3 bei juris):

„(…) Abgesehen davon erlaubt auch nach Auffassung des VG Berlin (Beschluss vom 15. Januar 2015 a. a. O., juris Rn. 8) die Auskunftslage nicht die Feststellung systemischer Mängel aufgrund unmenschlicher und erniedrigender Haftbedingungen in Ungarn; das VG Stuttgart (Beschluss vom 19. Februar 2015 a. a. O. juris Rn. 9) sieht es als offen an, ob die Asylhaftpraxis in Ungarn gegen Art. 6 EuGrCh verstößt. Bei beiden erstinstanzlichen Gerichten gilt, dass sie offenbar einen anderen als den in Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 der Dublin-III-Verordnung festgelegten Prüfungsmaßstab („Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta“) zugrunde gelegt haben. Diesen Maßstab hat der Gerichtshof der Europäischen Union bereits für die vorangehende Dublin-II-Verordnung verbindlich festgelegt, indem er ausgeführt hat, dass nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat genügt, um die Annahme systemischen Versagens zu tragen (EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C - 411/10 u. a.).“

Auch der EGMR (U. v. 3.7.2014 - 71932/12) geht - sowie andere deutsche Verwaltungsgerichte (z. B. VG Würzburg, B. v. 06.07.2015 - W 6 S 15.50224; VG Augsburg B. v. 17.06.2015 - Au 5 S 15.50317; VG Düsseldorf B. v. 05.06.2015 - 13 L 1253/15.A, VG Regensburg, U. v. 5. 12. 2014 - RN 6RN 6 K 14.50089; VG Bayreuth, B. v. 13.1.2015 - B 3 S 14.50129; VG Augsburg, B. v. 26. 1. 2015 - Au 7 S 15.50015; VG Regensburg, B. v. 4. 2. 2015 - RO 1 S 15.50021; VG München, B. v. 17. 5. 2015 - M 9 S 15.50457; VG München, B. v. 9.4.2015 - M 18 S 15.50119; VG München, B. v. 25.2.2015 - M 7 S7 15.50165; VG München, B. v. 13.4.2015 - M 2 S 15.50210) - davon aus, dass keine systematische Inhaftierung von Asylsuchenden mehr stattfindet, Alternativen zur Inhaftierung gesetzlich vorgesehen sind und insgesamt gesehen Verbesserungen festgestellt werden können.

Nach alledem vermag das Gericht keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Ungarn zu erkennen, die eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers rechtfertigen könnten.

2. Die Antragsgegnerin ist auch nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Ungarns den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.

Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO rechtfertigen würden, sind vom Antragsteller weder geltend gemacht noch ersichtlich.

3. Der Abschiebung des Antragstellers stehen auch keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegen, zu deren Prüfung das Bundesamt in Fällen der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG verpflichtet ist (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427).

Der Antrag war demnach mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylVfG unanfechtbar.

(1) Ein Ausländer, der aus einem Drittstaat im Sinne des Artikels 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (sicherer Drittstaat) eingereist ist, kann sich nicht auf Artikel 16a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Er wird nicht als Asylberechtigter anerkannt. Satz 1 gilt nicht, wenn

1.
der Ausländer im Zeitpunkt seiner Einreise in den sicheren Drittstaat im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland war,
2.
die Bundesrepublik Deutschland auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages mit dem sicheren Drittstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist oder
3.
der Ausländer auf Grund einer Anordnung nach § 18 Abs. 4 Nr. 2 nicht zurückgewiesen oder zurückgeschoben worden ist.

(2) Sichere Drittstaaten sind außer den Mitgliedstaaten der Europäischen Union die in Anlage I bezeichneten Staaten.

(3) Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates, dass ein in Anlage I bezeichneter Staat nicht mehr als sicherer Drittstaat gilt, wenn Veränderungen in den rechtlichen oder politischen Verhältnissen dieses Staates die Annahme begründen, dass die in Artikel 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes bezeichneten Voraussetzungen entfallen sind. Die Verordnung tritt spätestens sechs Monate nach ihrem Inkrafttreten außer Kraft.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

(1) Die Entscheidung des Bundesamtes ergeht schriftlich. Sie ist schriftlich zu begründen. Entscheidungen, die der Anfechtung unterliegen, sind den Beteiligten unverzüglich zuzustellen. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, ist eine Übersetzung der Entscheidungsformel und der Rechtsbehelfsbelehrung in einer Sprache beizufügen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann. Das Bundesamt informiert mit der Entscheidung über die Rechte und Pflichten, die sich aus ihr ergeben.

(2) In Entscheidungen über zulässige Asylanträge und nach § 30 Absatz 5 ist ausdrücklich festzustellen, ob dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz zuerkannt wird und ob er als Asylberechtigter anerkannt wird. In den Fällen des § 13 Absatz 2 Satz 2 ist nur über den beschränkten Antrag zu entscheiden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge ist festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen. Davon kann abgesehen werden, wenn der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt wird oder ihm internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt wird. Von der Feststellung nach Satz 1 kann auch abgesehen werden, wenn das Bundesamt in einem früheren Verfahren über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes entschieden hat und die Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht vorliegen.

(4) Wird der Asylantrag nur nach § 26a als unzulässig abgelehnt, bleibt § 26 Absatz 5 in den Fällen des § 26 Absatz 1 bis 4 unberührt.

(5) Wird ein Ausländer nach § 26 Absatz 1 bis 3 als Asylberechtigter anerkannt oder wird ihm nach § 26 Absatz 5 internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 zuerkannt, soll von der Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen werden.

(6) Wird der Asylantrag nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 als unzulässig abgelehnt, wird dem Ausländer in der Entscheidung mitgeteilt, welcher andere Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

(7) In der Entscheidung des Bundesamtes ist die AZR-Nummer nach § 3 Absatz 1 Nummer 2 des Gesetzes über das Ausländerzentralregister zu nennen.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.