| |
|
Nach Zurücknahme der Klage gegen den Beklagten Nr. 1 ist das Verfahren insoweit einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
|
|
|
Die Klage gegen die Beklagte Nr. 2 ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig (1.) und begründet (2.).
|
|
|
1. Nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO spricht das Gericht im Falle der Erledigung des angefochtenen Verwaltungsakts nach Klageerhebung auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Erledigt sich der Verwaltungsakt bereits vor Klageerhebung - vorliegend trat die Erledigung am 23.08.2003, dem Tag der geplanten Kundgebung vor dem Gebäude ..., um 16.00 Uhr ein -, findet § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nach ganz herrschender Rechtsprechung entsprechende Anwendung (vgl. BVerwG, Urte. v. 24.02.1961 - IV C 111.60 -, BVerwGE 12, 87, v. 09.02.1967 - 1 C 49.64 -, BVerwGE 26, 161 u. 20.01.1989 - 8 C 30.87 -, BVerwGE 81, 226; neuerdings vom BVerwG ausdrücklich offen gelassen unter Hinweis auf die Möglichkeit der allgemeinen Feststellungsklage: Urt. v. 14.07.1999 - 6 C 7.98 -, BVerwGE 109, 203, 208 f. = VBlBW 2000, 22; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 18.12.2003 - 1 S 2211/02 -, VBlBW 2004, 214). Diese so genannte nachgezogene Fortsetzungsfeststellungsklage ist nicht an die Klagefristen der §§ 74 Abs. 1, 58 Abs. 2 VwGO gebunden und in zeitlicher Hinsicht nur durch eine Verwirkung - wofür hier nichts spricht - begrenzt (BVerwG, Urt. v. 14.07.1999, a. a. O.). Ferner ist ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung des erledigten Verwaltungsakts erforderlich; die diesbezüglichen Anforderungen entsprechen weitgehend jenen der allgemeinen Feststellungsklage nach § 43 VwGO (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.07.1999, a. a. O.).
|
|
|
Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse besteht in Fällen einer Wiederholungsgefahr (vgl. Kuntze, in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, 2. Aufl., § 113 RdNr. 67), zur Rehabilitierung bei - vorrangig polizeilichen - Eingriffen in geschützte Grundrechtspositionen (vgl. BVerwG, Urte. v. 17.10.1990 - 1 C 12.88 -, BVerwGE 87, 23 u. 23.03.1999 - 1 C 12/97 -, NVwZ 1999, 991) und nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, NJW 2004, 2510 = DVBl. 2004, 822) im Versammlungsrecht, wenn die angegriffene Maßnahme die Versammlungsfreiheit schwer beeinträchtigt. Es kann offen bleiben, ob hier die Voraussetzungen einer Wiederholungsgefahr oder Gründe der Rehabilitierung vorliegen. Die Versagung des vom Kläger vorgesehenen Versammlungsortes zur Durchführung der Kundgebung am 23.08.2003 ist jedenfalls eine schwere Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht bejaht die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes (in Gestalt einer Fortsetzungsfeststellungsklage) in Fällen des Verbots oder der Auflösung einer Versammlung sowie bei Durchführung von Versammlungen unter versammlungsbehördlichen Auflagen gem. § 15 Abs. 1 VersG in einer Weise, die den spezifischen Charakter der Versammlung verändern, insbesondere die Verwirklichung des kommunikativen Anliegens wesentlich erschweren. Dagegen ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu verneinen, wenn die Abweichungen bloße Modalitäten der Versammlungsdurchführung betroffen haben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a. a. O.). Die Versagung des vorgesehenen Kundgebungsortes und die Zuweisung des Schlossplatzes als Versammlungsort - der Schlossplatz ist ca. 300 m vom Gebäude ... entfernt und ermöglicht keinen Sichtkontakt zu diesem Gebäude - erweist sich als gewichtiges teilweises Verbot der Kundgebung und nicht lediglich als bloße Modalität der Versammlungsdurchführung in Gestalt einer Auflage (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.11.1978 - I 3429/77 -; VG Sigmaringen, Urt. v. 15.02.1989 - 5 K 1305/87 -, VBlBW 1990, 117; Schörnig, NVwZ 2001, 1246). Denn Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet als Abwehrrecht den Grundrechtsträgern das Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985 - 1 BvR 233, 341/81 -, BVerfGE 69, 315, 343 = NJW 1985, 2395 = DVBl. 1985, 1006 = DÖV 1985, 778). Soweit die Beklagte im Bescheid vom 08.08.2003 das teilweise Verbot der Kundgebung bezüglich des Versammlungsortes lediglich unter der im Fettdruck hervorgehobenen Überschrift „Auflagen erlassen und Genehmigungen erteilt“behandelt hat, widerspiegelt dies unzutreffend das Gewicht des versammlungsrechtlichen Eingriffs. Von einem teilweisen Verbot ist im Bescheid nicht die Rede. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, als ob es sich bei der Zuweisung des Schlossplatzes als Kundgebungsort um einen zu genehmigenden Akt handelt. Die „Genehmigung“ einer Versammlung unter freiem Himmel mit der Auflage, die Versammlung an einen bestimmten anderen Ort zu verlegen, ist unter Würdigung der nach dem Versammlungsgesetz in Betracht kommenden versammlungsbehördlichen Handlungsformen - Verbot, Auflagen, Auflösung (§ 15 VersG) - jedenfalls bei Verlegung an einen Ort ohne jeglichen Sichtkontakt zum angemeldeten Versammlungsort rechtlich nur als ein mit einer bestimmten Zusicherung verbundenes Verbot zu bewerten (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 27.11.1978, a. a. O.; VG Sigmaringen, Urt. v. 15.02.1989, a. a. O.; Schörnig, a. a. O.; offen gelassen: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.11.1995 - 23 B 3068/95 -; a. A. - Auflage -: Dietel/Gintzel/Kniesel, Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, 12. Aufl., § 15 VersG RdNr. 36; Gusy, JuS 1986, 608, 613; Kniesel, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl., H RdNr. 532). Der Kläger braucht sich auch nicht auf vorläufigen Rechtsschutz in künftigen Fällen verweisen zu lassen (BVerfG, Beschl. v. 03.03.2004, a. a. O.).
|
|
|
2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 08.08.2003 ist insoweit rechtswidrig gewesen, als dem Kläger die Durchführung der Kundgebung am 23.08.2003 vor dem Gebäude ... untersagt wurde. Die Rechtswidrigkeit folgt bereits aus einem Verfahrensfehler in Folge eines unterbliebenen Kooperationsgesprächs mit dem Kläger (a.). Die Untersagung der Kundgebung am angemeldeten Versammlungsort verletzt den Kläger aber auch materiell in seinem Recht auf Meinungsäußerung- und Versammlungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 8 Abs. 1 GG (b.).
|
|
|
a.) Das Bundesverfassungsgericht hat in der grundlegenden Entscheidung zum Versammlungsrecht anlässlich einer gegen den Bau des Atomkraftwerks Brokdorf gerichteten Großdemonstration (Beschl. v. 14.05.1985, a. a. O.; vgl. hierzu auch die Anm. von Götz, DVBl. 1985, 1347; Gusy, JuS 1986, 608; Schenke, JZ 1986, 35; Schneider, DÖV 1985, 783) aus der Bedeutung der Grundrechte auch für die Organisations- und Verfahrensgestaltung die Pflicht der Versammlungsbehörden zu versammlungsfreundlichem Verhalten hergeleitet. Mit der Anmeldung einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzugs (§ 14 VersG) wird die zuständige Versammlungsbehörde über Gegenstand, Zeitpunkt und Ort der Versammlung informiert. Dies ermöglicht ihr die Prüfung der Voraussetzungen versammlungsbezogener Verwaltungsakte (Verbot und Erlass von Auflagen, § 15 Abs. 1 VersG). Die Anmeldung leitet ein Verwaltungsverfahren im Sinne des § 9 LVwVfG ein (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 14 VersG RdNr. 26) und ermöglicht der Versammlungsbehörde auch „einen Dialog und eine Kooperation, zu denen die Behörde ... bereit sein muss“ (BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, BVerfGE 69, 314, 358). Diese vom Bundesverfassungsgericht mit verbindlicher Wirkung (die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden, vgl. § 31 Abs. 1 BVerfGG) entwickelte Verfahrenspflicht der Versammlungsbehörde (vgl. auch P. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 9 RdNr. 35) beginnt unmittelbar nach der Anmeldung einer Versammlung und nicht erst - wovon die Beklagte mit dem Einwand ausgeht, der Kläger habe erst am 21.08.2003 und damit nur zwei Tage vor der geplanten Kundgebung Widerspruch erhoben - nach Erlass des versammlungsrechtlichen Bescheids. Die Kooperationspflicht der Versammlungsbehörde besteht in erster Linie während der Zeit der Vorbereitung einer Versammlung, aber auch während der Durchführung (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 14 VersG RdNrn. 31 f.).
|
|
|
Der Kläger hat die Kundgebung für den 23.08.2003 bereits am 06.08.2003 und daher mit einer mehr als ausreichend bemessenen „Vorlaufzeit“ bei der Beklagten angemeldet (nach § 14 Abs. 1 VersG hat die Anmeldung spätestens 48 Stunden vor Bekanntgabe, d. h. Beginn der Versammlung oder des Aufzugs, zu erfolgen). Für ein Kooperationsgespräch zwischen dem Kläger und der Beklagten vor dem Beginn der Kundgebung wäre somit ausreichend Zeit geblieben. Dass der Kläger zu einem derartigen Gespräch nicht bereit gewesen wäre und deswegen ein Kooperationsgespräch von vornherein keinen Sinn gemacht hätte, ist weder ersichtlich noch von der Beklagten geltend gemacht worden. Der Kläger war schon in der Vergangenheit zu kooperativem Verhalten bereit. Dies ergibt sich aus den von der Beklagten vorgelegten versammlungsrechtlichen Akten zur Versammlung in Gestalt einer einstündigen Mahnwache mit Transparenten, Flugblattverteilung, Kostümen und Tafeln am 10.02.2001 (einem Samstag) in der Zeit von 14.15 Uhr bis 15.15 Uhr ebenfalls in der ... Straße vor dem Gebäude .... Diesbezüglich hat die Beklagte mit Bescheid vom 07.02.2001 gegenüber dem Kläger durch Erlass einer Auflage verfügt, vor dem Gebäude ... einen Abstand von 10 m einzuhalten. Aus dem Bericht der Landespolizeidirektion S II - Polizeirevier Innenstadt - vom 10.02.2001 geht hervor, dass mit der Hilfe von Polizeivollzugsbeamten (des Landes Baden-Württemberg) vor Ort der genaue Bereich gefunden wurde, um einerseits der genannten Auflage Rechnung zu tragen, und andererseits das Interesse von Geschäftsinhabern in der ... Straße zu wahren, den jeweiligen Eingangsbereich ihrer Geschäfte von Versammlungsteilnehmern (deren Zahl belief sich auf höchstens 20 Personen) freizuhalten. Die Versammlung am 10.02.2001 wurde daher letztlich durch „vertrauensvolle Kooperation“ (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, BVerfGE 69, 315, 355) in der „Durchführungsphase“ (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 14 VersG RdNr. 32) ermöglicht. Im Übrigen hat der Kläger vor dem 10.02.2001 bereits schon einmal - am 08.02.1996 (einem Donnerstag) - auf dem Gehweg vor dem Gebäude ... (Fußgängerzone) eine zweistündige Mahnwache mit Transparenten und Flugblattverteilung durchgeführt (vgl. Bescheid der Beklagten v. 05.02.1996). Im Gegensatz zur Versammlungsbehörde ist der Veranstalter einer Versammlung nicht zur Kooperation verpflichtet, sondern für ihn besteht hierzu nur eine Obliegenheit (vgl. BVerfG,
Beschle
. v. 14.07.2000 - 1 BvR 1245/00 -, NJW 2000, 3051, v. 26.01.2001 - 1 BvQ 8/01 -, NJW 2001, 1407, v. 01.05.2001 - 1 BvQ 21/01 -, NJW 2001, 2078, v. 01.03.2002 - 1 BvQ 5/02 -, NVwZ 2002, 982; BVerwG, Beschl. v. 05.01.1996 - 1 B 151.95 -, Buchholz 11 Art. 8 GG Nr 7; Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 14 VersG RdNr. 54; Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 8 RdNr. 50; Leist, BayVBl. 2004, 489; Roth, VBlBW 2003, 41, 46; a. A. - Kooperationspflicht -: OVG Lüneburg, Beschl. v. 07.05.1996 - 13 M 2716/96 -, NuR 1997, 202). Ein Fall fehlender Kooperationsfähigkeit oder mangelnder Kooperationsbereitschaft des Klägers, was zu seinen Lasten als Veranstalter einer Versammlung gehen würde mit der Folge, dass die Eingriffsschwelle der Behörde absänke (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 14 VersG RdNr. 54), liegt daher nicht vor.
|
|
|
Der Verfahrensfehler aufgrund des unterbliebenen Kooperationsgesprächs führt grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit der Versagung der Kundgebung am angemeldeten Versammlungsort vor dem Gebäude .... Dies folgt aus dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein Kooperationsgespräch ist das mildere Mittel gegenüber einem sogleich verfügten (Teil-)Verbot einer Versammlung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, BVerfGE 69, 315, 356). Hätte die Beklagte mit dem Kläger vor Erlass des Bescheids vom 08.08.2003 ein Gespräch geführt, wäre vor dem Hintergrund der beiden früheren Versammlungen am 10.02.2001 und 08.02.1996 im unmittelbaren Bereich des Gebäudes ... eine Einigung zwischen den Beteiligten - gegebenenfalls unter Beschränkung auf wiederum eine Mahnwache anstelle einer Kundgebung sowie möglicherweise zusätzlich einer zeitlichen Beschränkung - nahe liegend gewesen. Das Verbot der Kundgebung am angemeldeten Versammlungsort erweist sich daher als nicht erforderlich und somit als rechtswidrig (vgl. auch Hoffmann-Riem, a. a. O., Art. 8 RdNr. 50; Kniesel, in: Lisken/Denninger, a. a. O., H RdNr. 304; Kniesel, NJW 2000, 2857, 2863; Zeitler, Allgemeines und Besonderes Polizeirecht für Baden-Württemberg, 1998, RdNr. 1083).
|
|
|
b.) Das Verbot der Kundgebung am angemeldeten Ort verstößt aber auch unabhängig von der verletzten Kooperationspflicht gegen das Recht des Klägers auf Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 8 Abs. 1 GG. Das teilweise oder völlige Verbot einer Versammlung oder der Erlass einer Auflage kann nur ergehen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist (§ 15 Abs. 1 VersG). Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids der Beklagten vom 08.08.2003 nicht vor.
|
|
|
aa.) Soweit die Beklagte den angemeldeten Versammlungsort dem Kläger wegen der dortigen geringen Breite der ... Straße unter dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung des Verkehrsflusses der Fußgänger gerade an einem Samstag in Abrede gestellt hat verkennt sie, dass bloße Beeinträchtigungen von Verkehrsteilnehmern schon nicht die Merkmale einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erfüllen. Reine Belästigungen oder Unbequemlichkeiten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nur einen geringen Grad der Beeinträchtigung der Normallage zur Folge haben, welche durch den Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gewährleistet werden soll (vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 5. Aufl., RdNr. 413). Belästigungen, die sich zwangsläufig aus der vielfach typischen, mehr oder weniger großen Massenhaftigkeit der Ausübung der Versammlungsfreiheit ergeben und sich ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeiden lassen, müssen Dritte - hier die Fußgänger einer Fußgängerzone - im Allgemeinen ertragen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.05.1985, BVerfGE 69, 315, 353). Die Versammlungsfreiheit ist aus dem Kreis der politisch-kommunikativen Grundrechte dasjenige mit der begriffsnotwendig größten Außenrelevanz und findet deshalb auf den öffentlichen Wegen mit ihrer Erschließungsfunktion (sowohl räumlich-gegenständlich als auch im Sinne von Transportwegen menschlicher Ideen und Meinungen) ihren natürlichen Platz, zumal in größeren Innenstädten wie hier, die außerhalb der Wege kaum noch freie Flächen aufweisen (vgl. Burgi, DÖV 1993, 633, 638; vgl. grundlegend zum Versammlungsort BVerwG, Urt. v. 29.10.1992 - 7 C 34/91 -, NJW 1993, 609 = DÖV 1993, 203; siehe jüngst auch BVerfG, Beschl. v. 05.09.2003 - 1 BvQ 32/03 -, DVBl. 2004, 235, 239). Dies hat zur Folge, dass gerade in Fußgängerzonen die Interessen an einem ungehinderten Fußgängerverkehr zu Gunsten der Verwirklichung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich zurückzustellen sind (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 15 VersG RdNr. 111). Die Einnahme eines Augenscheins am Versammlungsort ... Straße ergab, dass eine Versammlung in der geplanten Größenordnung zu keinen nennenswerten Behinderungen des Fußgängerverkehrs geführt hätte, die nach den dargestellten Grundsätzen nicht hinzunehmen gewesen wären.
|
|
|
bb.) Die Beklagte hat die Untersagung des angemeldeten Versammlungsortes auch mit der Erwägung begründet, Rettungswege müssten freigehalten und eine ungehinderte Zufahrt durch Einsatz- und Rettungskräfte müsse gewährleistet werden. Auch dieses Argument kann vor den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 VersG nicht Stand halten. Diese Vorschrift erfordert, wie bereits genannt, eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, wofür erkennbare Umstände vorhanden sein müssen. Der prognostizierte Einsatz von Feuerwehr-, Polizei- und Krankenfahrzeugen mit den entsprechenden Kräften bei - nicht durch Versammlungsteilnehmer verursachten - Bränden, öffentlichen Notständen oder anderen Notlagen umschreibt eine abstrakte Gefahrenlage, die nach § 15 Abs. 1 VersG kein Verbot oder eine Auflage rechtfertigt und die im Übrigen auch nach allgemeinem Polizeirecht nicht Grundlage einer Polizeiverfügung sein kann. Der Abwehr abstrakter Gefahren dient etwa eine Polizeiverordnung (§ 10 PolG), nicht aber eine Polizeiverfügung (vgl. Würtenberger/Heckmann/Riggert, a. a. O., RdNrn. 411 u. 714). Hinzu kommt, dass es sich bei der von der Beklagten aufgezeigten abstrakten Gefahrenlage, die im Falle einer Konkretisierung wegen der dann hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Personen- und/oder Sachschäden den Einsatz entsprechender Kräfte und Fahrzeuge notwendig erscheinen lässt, um eine konkrete Gefahr handelt, die nicht durch das Versammlungsgeschehen bedingt ist und keinen versammlungsrechtlichen Auflösungsgrund nach § 15 Abs. 2 VersG darstellt (Gleiches gälte für eine öffentliche Versammlung in geschlossenen Räumen). Derartigen Gefahrenlagen ist durch den Erlass von Betretensverboten oder Platzverweisen nach allgemeinem Polizeirecht oder durch Konkretisierung von Duldungspflichten nach dem Feuerwehrrecht (§ 33 FwG) zu begegnen, wobei die damit einhergehende Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit zwangsläufige Nebenfolge, nicht aber Haupt- oder Teilzweck ist (vgl. Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 13 VersG RdNr. 17).
|
|
|
cc.) Das weitere Argument zur Rechtfertigung der Versagung der Kundgebung am angemeldeten Versammlungsort, in der ... Straße seien zahlreiche Außenbewirtschaftungen, will die Beklagte offenbar dahingehend verstanden wissen, dass der Kundgebung des Klägers vorrangige Befugnisse von Inhabern gaststättenrechtlicher Erlaubnisse zum Verabreichen von Getränken und zubereiteten Speisen (§ 1 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 GaststättenG) nicht nur in Räumen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 GaststättenG), sondern auch im Freien in der Fußgängerzone der... Straße in Gestalt von Stühlen und Tischen auf der Grundlage wegerechtlicher Sondernutzungserlaubnisse (§ 16 Abs. 1 StrG, vgl. Nagel, Straßengesetz für Baden-Württemberg, 3. Aufl., § 13 RdNr. 14; Schnebelt/Sigel, Straßenrecht Baden-Württemberg, 2. Aufl., RdNr. 287) entgegenstehen. Es kann offen bleiben, ob der räumliche Bereich in einer Fußgängerzone, für den eine Sondernutzungserlaubnis erteilt wurde, als Versammlungsort nur dann in Betracht kommen kann, wenn der Inhaber der Sondernutzungserlaubnis dem Veranstalter die Nutzung gestattet (ebenso wie im Falle der Nutzung von privatem Eigentum für Versammlungszwecke, vgl. Burgi, DÖV 1993, 633, 642), oder ob der Träger der Straßenbaulast (§ 16 Abs. 2 StrG) die gesetzlich ohnehin nur widerruflich zu erteilende Sondernutzungserlaubnis (§ 16 Abs. 1 Satz 2 StrG) zur Ermöglichung der Versammlung widerrufen müsste. Denn unmittelbar vor dem Gebäude ... besteht jedenfalls nach der zeichnerischen Darstellung zur Außenbewirtschaftung in der Anlage 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 04.11.2004 keine durchgehende Außenbewirtschaftung bis zur Kreuzung ....
|
|
|
dd.) Soweit die Beklagte in der Antragserwiderung vom 22.08.2003 zum Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (5 K 3403/03) schließlich als Grund für die Versagung der Kundgebung am angemeldeten Versammlungsort geltend gemacht hat, die Versammlung richte sich gegen ein bestimmtes Pelzhaus (Firma ... ), was geradezu willkürlich und damit gegen die wirtschaftliche Existenz eines bestimmten Geschäftes abziele, verfängt auch diese Begründung nicht. Geht man zu Gunsten der Beklagten davon aus, dass sie diesen erstmals in der Antragserwiderung geltend gemachten Grund als Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen im Bescheid vom 08.08.2003 nach § 114 Satz 2 VwGO verstanden wissen will - der Bescheid selbst stützt die Versagung der Kundgebung am angemeldeten Versammlungsort nicht (auch) auf diese Erwägung -, wäre der Bescheid noch vor seiner Erledigung am 23.08.2003 ab 16.00 Uhr in formeller Hinsicht um diesen materiellen Gesichtspunkt ergänzt und damit ebenfalls Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Diese Erwägung lässt sich jedenfalls materiell-rechtlich nicht aufrecht erhalten.
|
|
|
Kundgebungen in der Form, wie sie der Kläger mit der Anmeldung vom 06.08.2003 konkretisiert hat, bewegen sich wegen ihrer Nähe zu einem bewusst ausgewählten Geschäft naturgemäß im Spannungsfeld von einerseits Meinungsäußerungs- und Demonstrationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 GG) und andererseits Gewerbefreiheit (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG, eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb). Ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb als solcher Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist, lässt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen. Der Schutz eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs könnte jedoch nicht weitergehen als der Schutz, den seine wirtschaftliche Grundlage genießt. Vom Schutz umfasst sind jedenfalls nicht bloße Umsatz- und Gewinnchancen sowie tatsächliche Gegebenheiten wie die bestehenden Geschäftsverbindungen, den erworbenen Kundenstamm oder die Marktstellung (vgl. BVerfG,
Beschle
. v. 22.05.1979 - BvL 9/75 -, BVerfGE 51, 193, 221 f., v. 15.07.1981 - 1 BvL 77/78 -, BVerfGE 58, 300, 353, v. 06.10.1987 - 1 BvR 1086, 1468, 1623/82 -, BVerfGE 77, 84, 118, v. 04.10.1991 - 1 BvR -, NJW 1992, 1878). Vor diesem Hintergrund ist etwa auch der Boykottaufruf, dem eine bestimmte Meinungskundgabe zugrunde liegt, durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dann geschützt, wenn er als Mittel des geistigen Meinungskampfes in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage eingesetzt wird und er von der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit getragen wird (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.01.1958 - 1 BvR 400/51 -, BVerfGE 7, 198, 212 f.; Beschl. v. 15.11.1982 - 1 BvR 108, 438, 437/80 -, BVerfGE 62, 230, 244; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 09.11.1995 - 23 B 3068/95 -; Bethge, in: Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 5 RdNrn. 37 f.; vgl. auch Dietel/Gintzel/Kniesel, a. a. O., § 15 VersG RdNrn. 117 ff., zu Blockaden). Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung finden ihre Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken auch dann, wenn die Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.06.2004 - 1 BvQ 19/04 -, NJW 2004, 2814 = DVBl. 2004, 1230). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger überhaupt zum Boykott des genannten Pelzgeschäftes vor Erlass des Bescheids der Beklagten vom 08.08.2003 aufgerufen hat oder dass er hierzu vor Beginn der Kundgebung oder während deren Durchführung gezielt aufrufen wird, ergeben sich weder aus den Akten noch aus dem Vorbringen der Beklagten.
|
|
|
Dass der hier vom Kläger gewählte Versammlungsort auch nicht von vornherein wegen eindeutig vorrangiger privater Rechte des genannten Pelzgeschäftes unter jedem denkbaren Gesichtspunkt ausscheidet, zeigen die beiden früheren Versammlungen des Klägers in Gestalt von ein- bis zweistündigen Mahnwachen am 08.02.1996 und 10.02.2001. Es spricht alles dafür, dass sich die Beklagte bei der Konkretisierung der entsprechenden Auflagen für diese beiden Versammlungen in den Bescheiden vom 05.02.1996 und 07.02.2001 in zutreffender Weise vom Grundsatz der praktischen Konkordanz bei der Güterabwägung widerstreitender Interessen hat leiten lassen (zum Vorgang vom 08.02.1996 hat die Beklagte allerdings keine Akten vorgelegt und insoweit in ihrem Schriftsatz vom 04.11.2004 unzutreffend vorgetragen, aus ihren Unterlagen ergebe sich zum Bereich der ... Straße ... hinsichtlich von Versammlungen des Klägers nur die Versammlung vom 10.02.2001; auf die Versammlung vom 08.02.1996 hat schließlich der Kläger mit Schriftsatz vom 05.11.2004 unter Vorlage einer Ablichtung des Bescheids vom 05.02.1996 hingewiesen). Dass der Bereich unmittelbar vor dem Gebäude ... und auch der Bereich in der ... Straße nördlich der Kreuzung ... auf der Höhe der Gebäude ... - mit Blickkontakt zum Gebäude ... - grundsätzlich für eine Versammlung mit einer Teilnehmerzahl von bis zu 10 Personen (wie vom Kläger in der Anmeldung vom 06.08.2003 beziffert) geeignet ist, hat der von der Kammer im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingenommene Augenschein - an ihm haben 10 Personen teilgenommen (zwei Vertreter des Klägers, zwei Mitarbeiterinnen der Beklagten sowie eine auszubildende Person, fünf Richter) - deutlich gezeigt. Der Augenschein hat ferner ergeben, dass auch im Bereich der Fußgängerzone der
...straße
beim
...brunnen
auf Höhe der Einmündung der
...straße
in die
...straße
eine Sichtverbindung zu dem vom Brunnen aus etwa 30 m entfernten Gebäude ... besteht. Der Kläger hätte hilfsweise auch diesen Standort, wäre er im Rahmen eines Kooperationsgesprächs zwischen den Beteiligten konkretisiert worden, akzeptiert; dies hat der Vertreter des Klägers während der Einnahme des Augenscheins ausdrücklich bestätigt. Die Durchführung eines Kooperationsgesprächs wäre daher außer unter dem Gesichtspunkt des Versammlungsortes auch zur Erörterung schützenswerter Rechtspositionen des betroffenen Pelzgeschäftes (vgl. hierzu allgemein Grooterhorst/Schmidt, DÖV 1996, 355) die rechtlich zwingend gebotene Verfahrensweise gewesen, um anstatt eines sogleich verfügten Teilverbots mit Blick auf den Versammlungsort in Betracht kommende inhaltliche und zeitliche Auflagen zu konkretisieren.
|
|
|
|