Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 06. Feb. 2018 - 7 K 2223/16

bei uns veröffentlicht am06.02.2018

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland, die Androhung der Abschiebung in den Kosovo sowie die Ablehnung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
Der am 15.05.1972 geborene Kläger ist kosovarischer Staatsangehöriger und Vater einer am 16.09.2008 in Deutschland geborenen und lebenden Tochter, die ebenfalls kosovarische Staatsangehörige ist. Im Kosovo studierte er nach Abschluss seiner schulischen Ausbildung eigenen Angaben zufolge Rechtswissenschaften und arbeitete sodann für sechs Monate als Untersuchungsrichter. Im Januar 1994 reiste er erstmals ins Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 27.08.1996 abgelehnt wurde. Im Mai 1996 heiratete der Kläger eine deutsche Staatsangehörige und erhielt in der Folge befristete Aufenthaltserlaubnisse. Im Jahr 1999 hielt er sich für einige Zeit im Kosovo auf. Seine Ehe wurde am 12.10.2001 geschieden. Am 05.07.2002 heiratete der Kläger erneut eine deutsche Staatsangehörige; diese Ehe wurde am 28.11.2006 ebenfalls geschieden.
Im Jahr 2007 lernte der Kläger eigenen Angaben zufolge seine jetzige Lebensgefährtin, die Mutter seiner Tochter V. kennen. Diese ist ebenfalls kosovarische Staatsangehörige. Das Paar lebt nach zwischenzeitlicher Trennung derzeit wieder in einer Lebensgemeinschaft und plant zu heiraten. Die Tochter V. ist infolge einer Frühgeburt körperlich und geistig schwerbehindert und leidet an einer schweren Entwicklungsstörung. Sie lebt gemeinsam mit ihrer Mutter und deren weiterer, am 21.05.2011 geborener Tochter Vl., die deutsche Staatsangehörige ist, in Ulm und ist auf eine durchgängige, umfassende Betreuung durch Bezugspersonen angewiesen. Sie besucht derzeit eine Schule für Körperbehinderte.
Im Kosovo leben noch die Mutter und die Brüder des Klägers mit ihren Familien, der Vater des Klägers ist verstorben. Seit der Inhaftierung besteht nach Aussage des Klägers zu diesen Familienmitgliedern nur noch sporadischer Kontakt.
In der Zeit von 1996 bis 2007 arbeitete der Kläger eigenen Angaben zufolge im handwerklichen Bereich in insgesamt acht verschiedenen Betrieben, u.a. als Dachdecker, Autolackierer, in der Druckindustrie und im Straßenbau. Seit seiner Inhaftierung im März 2015 war er durchgängig in der Schreinerei der Justizvollzugsanstalt bzw. bei einem dortigen Unternehmensbetrieb beschäftigt und wurde auch als Reiniger eingesetzt.
Strafrechtlich ist der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland bislang wie folgt in Erscheinung getreten:
1. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm vom 19.03.1996, rechtskräftig seit dem 05.07.1996, wurde der Kläger wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen in Höhe von je 60,- DM verurteilt.
2. Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm vom 06.11.1996, rechtskräftig seit 23.11.1996, wurde der Kläger wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45,- DM verurteilt.
3. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm vom 15.07.1998, rechtskräftig seit 06.11.1998, wurde der Kläger wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 25,- DM verurteilt.
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4. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm vom 21.09.1998, rechtskräftig seit 07.10.1998, wurde der Kläger wegen vorsätzlichen Zulassens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen von je 50,- DM Geldstrafe verurteilt.
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Daraufhin wurde er durch das Landratsamt Alb-Donau-Kreis am 12.10.1999 mündlich ausländerrechtlich verwarnt.
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5. Mit Urteil des Amtsgerichts Ulm vom 25.01.2000, rechtskräftig seit diesem Tag, wurde der Kläger wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit vorsätzlichem Führen eines Kraftfahrzeugs ohne bestehenden Haftpflichtversicherungsvertrag zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt; die Strafe mit Wirkung vom 14.04.2006 erlassen.
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In dieser Sache befand sich der Kläger vom 28.10.1999 bis zum 25.01.2000 in Untersuchungshaft. Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 10.12.2001, bestandskräftig seit dem 29.08.2002 nach erfolglosen Eil- und Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen (Beschlüsse vom 16.04.2002 - A 7 K 62/02 - und vom 29.08.2002 - A 7 K 61/02 -) und erfolglosem Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschluss vom 04.06.2002 - 14 S 1190/02 -), wurde der Kläger erstmals aus der Bundesrepublik ausgewiesen; aufgrund seiner damals bestehenden Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen wurde sein Aufenthalt in der Folge geduldet.
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6. Mit Urteil des Amtsgerichts Augsburg vom 01.08.2002, rechtskräftig seit diesem Tag, wurde der Kläger erneut wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 25,- Euro Geldstrafe verurteilt.
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7. Mit Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 04.03.2004, rechtskräftig seit dem 12.03.2004, wurde der Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung in Tatmehrheit mit fahrlässigem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgesetzt; die Strafaussetzung widerrufen. Dem lag u.a. zugrunde, dass der Kläger gemeinsam mit einem Mitangeklagten den Ex-Partner seiner damaligen Frau ins Gesicht geschlagen hatte, um diesen von weiteren Besuchen abzuhalten.
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8. Mit weiterem Urteil des Amtsgerichts Dillingen vom 24.08.2006, rechtskräftig seit dem 24.11.2006, wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit einem Vergehen der unerlaubten Einreise nach Ausweisung in Tateinheit mit einem Vergehen des unerlaubten Aufenthalts ohne Pass rechtlich zusammentreffend mit einem Vergehen des unerlaubten Aufenthalts nach Ausweisung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Dem lag u.a. zugrunde, dass der Kläger nach Verlassen des Bundesgebiets am 01.03.2006 am 24.06.2006 aus dem Kosovo kommend wieder eingereist war. Bereits zuvor hatte er am 22.10.2005 einen Mann, welchen er im Verdacht hatte, seiner damaligen Frau „nachzustellen“, angegriffen und mit den Händen geschlagen. Im Rahmen der sich entwickelnden Schlägerei packte der Kläger das Opfer sodann am Hals, hob es hoch und drückte so zu, dass dieses zeitweise keine Luft mehr bekam.
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In dieser Sache befand sich der Kläger vom 03.07.2006 bis zum 30.01.2007 in Haft. Am 10.07.2007 wurde er in den Kosovo abgeschoben.
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9. Mit Urteil des Amtsgerichts Müllheim vom 09.06.2009, rechtskräftig seit dem 02.07.2009, wurde der Kläger wegen unerlaubter Einreise entgegen Widereinreiseverbots zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,- Euro verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Kläger am 20.03.2009 von Frankreich kommend festgenommen worden war, wo er einen weiteren Asylantrag gestellt hatte; am 08.07.2009 wurde er nach einem erfolglosen Eilverfahren gegen die Zurückschiebung zum Verwaltungsgericht Augsburg (Beschluss vom 22.09.2009 - Au 6 S 09.953 -) nach Frankreich zurückgeführt.
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10. Mit weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 28.01.2010, rechtskräftig seit dem 13.02.2010, wegen unerlaubter Einreise nach Zurückschiebung in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt nach Zurückschiebung wurde der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf zwei Jahre festgesetzt; die Strafe mit Wirkung vom 14.07.2012 erlassen. Dem lag zugrunde, dass der Kläger am 17.12.2009 bei einer Polizeikontrolle auf einer Rastanlage festgenommen worden war; er wurde sodann am 14.04.2010 abgeschoben, nachdem ein Eilantrag zum Verwaltungsgericht Regensburg gerichtet auf Aussetzung der Abschiebung (Beschluss vom 15.02.2010 - RN 9 E 10.211-) und eine Beschwerde zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (Beschluss vom 25.03.2010 - 19 CE 10.416 -) jeweils erfolglos blieben.
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11. Mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 20.10.2015, rechtskräftig seit dem 28.10.2015, wurde der Kläger wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf tatmehrheitlichen Fällen zu drei Jahren und sechs Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Kläger in der Zeit von Januar bis März 2015 ausländische Personen, die nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis waren, gegen Entgelt bei deren unerlaubter Einreise in das Bundesgebiet unterstützte. Auf diese Weise verbrachte der Kläger im Januar oder Februar 2015 vier Kosovaren ins Bundesgebiet, wobei in einem Fall eine Zahlung von 3.000,- Euro ermittelt werden konnte. Am 02./03.03.2015 schleuste der Kläger sieben Albaner ein. Dafür erhielt er 600,- Euro bzw. ließ sich die spätere Bezahlung versprechen, wenn die Barzahlung nicht möglich war. Am 06.03.2015 schleuste der Kläger wiederum acht Kosovaren ein und erhielt von einer vierköpfigen Familie 2.300,- Euro. Die weiteren Einnahmen konnten nicht mehr festgestellt werden. Am 07.03.2015 schleuste der Kläger sieben Personen, darunter Albaner, Kosovaren und Afghanen, ein. Eine fünfköpfige Familie bezahlte 400,- Euro und sollte noch weitere 2.300,- Euro bezahlen. Schließlich verbrachte der Kläger am 25.03.2015 weitere 10 Personen aus dem Kosovo bzw. Afghanistan ins Bundesgebiet und erhielt hierfür mindestens 3.000,- Euro. Bei dem Kläger und seiner Begleiterin konnten jeweils 1.650,- Euro sichergestellt werden. Aufgrund dieser Verurteilung befindet sich der Kläger seit dem 25.03.2015 in Untersuchungs- bzw. Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Ulm.
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Mit Bescheid vom 12.08.2009 befristete das Regierungspräsidium Tübingen nachträglich die Wirkungen der mit Bescheid vom 10.12.2001 verfügten Ausweisung unter der Bedingung der weiteren Straffreiheit auf vier Jahre ab dem Zeitpunkt der Zurückschiebung des Klägers nach Frankreich. Zugleich wurden die Wirkungen der am 10.07.2007 erfolgten Abschiebung unter der Bedingung der vollständigen Bezahlung der angefallenen Abschiebekosten nachträglich auf drei Jahre ebenfalls ab dem Zeitpunkt der Zurückschiebung nach Frankreich befristet. Die Wirkungen der Zurückschiebung vom 08.07.2009 wurden unter der Bedingung der vollständigen Bezahlung der Zurückschiebekosten nachträglich ab dem Zeitpunkt der Zurückschiebung auf drei Jahre befristet.
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Am 27.11.2013 erteilte die Stadt Ulm dem Kläger eine Betretenserlaubnis für 90 Tage ab Einreise, damit dieser seine Tochter V. besuchen und die Kindsmutter bei der Betreuung des Kindes anlässlich einer anstehenden Operation unterstützen könne. Daraufhin reiste der Kläger am 30.12.2013 aus dem Kosovo kommend im Besitz eines Visums für einen Aufenthalt bis zu 90 Tagen ins Bundesgebiet ein. Am 17.03.2014 verlängerte die Stadt Ulm das Visum und die Betretenserlaubnis bis zum 03.06.2014.
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Am 02.06.2014 beantragte der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. In der Folge wurden ihm Duldungen erteilt. Zudem befristete das Landratsamt Straubing-Bogen mit Bescheid vom 20.11.2014 auf Antrag des Klägers die Wirkungen der am 14.04.2010 erfolgten Abschiebung dergestalt, dass die Wiedereinreise ab sofort erlaubt sei. Bereits am 24.10.2014 hatte das Regierungspräsidium Tübingen mitgeteilt, dass die Frist für die Wirkungen der Ausweisung vom 10.12.2001 am 14.04.2014 abgelaufen sei.
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Das Regierungspräsidium Tübingen leitete aufgrund der letzten Verurteilung des Landgerichts Traunstein ein Ausweisungsverfahren ein. Nach erfolgter Anhörung des Klägers wies es diesen mit Bescheid vom 18.04.2016 aus der Bundesrepublik aus (Ziffer 1) und lehnte den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 2). Dem Kläger wurde die Abschiebung direkt aus der Strafhaft in den Kosovo angedroht, ohne dass eine Frist zur freiwilligen Ausreise gesetzt wurde; für den Fall der Entlassung aus der Haft ohne Abschiebung wurde der Kläger aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach der Haftentlassung zu verlassen, und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung in den Kosovo angedroht (Ziffer 3). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund der Ausweisung wurde unter der Bedingung des Nachweises der Straffreiheit ab dem Zeitpunkt der Ausreise auf drei Jahre befristet. Das Regierungspräsidium verfügte zudem für den Fall, dass die Bedingung der Straffreiheit bis zum Ablauf dieser Frist nicht eingetreten sei, eine Verlängerung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Ziffer 4). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufgrund einer möglichen Abschiebung wurde ab dem Zeitpunkt der Ausreise auf zwei Jahre befristet (Ziffer 5). Zur Begründung führte das Regierungspräsidium im Wesentlichen aus, dass das Ausweisungsinteresse im Fall des Klägers angesichts der erneuten, rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten besonders schwer wiege. Auch gehe von dem Kläger eine erhebliche konkrete Gefahr weiterer Straftaten aus. Die familiären Umstände könnten diese Gefahr nicht widerlegen. Zwar gebe der Kläger an, die Straftaten begangen zu haben, um an Geld für eine Operation und Pflegeleistungen für seine schwer behinderte Tochter zu gelangen. Allerdings seien ihm infolge seiner Vorgeschichte die strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Folgen der Straftaten bekannt gewesen. Er habe in Kauf genommen, von seiner Tochter getrennt zu werden und seiner Lebensgefährtin nicht als Unterstützung für die Pflege der gemeinsamen Tochter zur Verfügung zu stehen. Das Bleibeinteresse des Klägers wiege zwar schwer; Anhaltspunkte, die eine Abweichung der vom Gesetzgeber vorgegebenen Gewichtung des Ausweisungs- und Bleibeinteresses begründen könnten, seien jedoch nicht ersichtlich. Bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Kosovo geboren und aufgewachsen sei. Er sei erstmals im Alter von 22 Jahren in die Bundesrepublik gereist und habe sich während seines insgesamt zwölfjährigen Aufenthalts weder sozial noch wirtschaftlich noch in sonstiger Hinsicht nachhaltig integriert. Der Kläger sei nach wie vor stark im Kosovo verwurzelt und habe durch die Begehung von Straftaten die (erneute) Trennung von seiner Tochter in Kauf genommen. Diese sei über fünf Jahre hinweg ohne den Kläger bei der Mutter aufgewachsen. Bereits ca. 15 Monate nach der Einreise im Dezember 2013 sei der Kläger inhaftiert und zu einer langen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Angesichts dieser Umstände sei keine verantwortungsvoll gelebte Eltern-Kind-Gemeinschaft anzunehmen. Der Kontakt zwischen ihm und seinem Kind könne (vorübergehend) telefonisch, durch Briefe, über das Internet oder durch Besuche aufrechterhalten werden, auch wenn dies angesichts der Behinderung der Tochter mit Schwierigkeiten verbunden sei. In der Gesamtabwägung überwiege das Interesse an der Ausweisung des Klägers dessen Interesse an einem Verbleib im Bundesgebiet. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei abzulehnen. Aufgrund der verfügten Ausweisung dürfe nach § 11 Abs. 1 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Der Kläger sei zudem vollziehbar zur Ausreise verpflichtet, da sein Aufenthalt im Bundesgebiet nach Ablauf der Betretenserlaubnis nicht rechtmäßig gewesen sei und somit nicht bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als erlaubt gelte.
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Hiergegen hat der Kläger am 13.05.2016 Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben und das Gericht am 21.07.2016 um vorläufigen Rechtsschutz ersucht. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 16.02.2017 abgelehnt (Az. 7 K 2884/16); eine Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg blieb erfolglos (Beschluss vom 12.04.2017 - 11 S 719/17 -).
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Mit Beschluss vom 12.09.2016 (Az. 1 Ausl. 84/16) ordnete das Oberlandesgericht Stuttgart Auslieferungshaft gegen den Kläger wegen Fluchtgefahr an. Zugleich ordnete es für die Dauer des Vollzugs deutscher Haft Überhaft an. Dem Beschluss lag eine Ausschreibung im Schengener Informationssystem und ein Europäischer Haftbefehl eines Ermittlungsrichters in Triest/Italien vom 10.09.2015 zugrunde, wobei dem Kläger in Italien Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt vorgeworfen wird. Dabei soll der Kläger am 18.03.2015 neun pakistanische bzw. afghanische Staatsbürger gegen ein Entgelt in Höhe von 400,- Euro pro Person mit einem Fahrzeug aus Ungarn nach Italien gebracht haben. In der Folge widerrief die Leitung der Justizvollzugsanstalt Ulm mit Verfügung vom 19.09.2016 die kurzzeitige Unterbringung im offenen Vollzug und der Kläger wurde wieder in den geschlossenen Vollzug verlegt. Hiergegen gerichtete Beschwerden des Klägers wurden durch das Landgericht Ulm und das Oberlandesgericht Stuttgart jeweils verworfen.
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Mit weiterem Beschluss vom 23.11.2016 (Az. 1 Ausl. 84/16) stellte das Oberlandesgericht Stuttgart fest, dass die Auslieferung des Klägers mit der Maßgabe zulässig sei, dass die Italienische Republik ihm nach (möglicher) Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstiger Sanktionen anzubieten habe, ihn auf seinen Wunsch zur Strafvollstreckung in die Bundesrepublik zurück zu überstellen. Eine hiergegen gerichtete Gehörsrüge des Klägers blieb erfolgslos.
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Mit Beschluss vom 07.06.2017 (Az. Ausl. 301 AR 133/17) lehnte das Oberlandesgericht Stuttgart sodann einen Antrag des Klägers auf Außervollzugssetzung des Auslieferungshaftbefehls aufgrund seiner familiären Situation ab. Zur Begründung führte das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus, dass der Antrag unzulässig sei, da der Auslieferungshaftbefehl erst vollzogen werde, wenn die Strafhaft aus dem Urteil des Landgerichts Traunstein vollstreckt worden sei. Soweit der Antrag des Klägers als Antrag auf Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls auszulegen sein sollte, sei dieser unbegründet.
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Mit Beschluss vom 30.06.2017 hat das Landgericht Ulm - Strafvollstreckungskammer - den Antrag des Klägers auf Aussetzungen der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe abgelehnt. Eine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Klägers wurde mit Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 24.08.2017 verworfen (Az. 2 Ws 225/17).
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Zur Begründung seiner Klage beim Verwaltungsgericht trägt der Kläger unter Vorlage verschiedenster Atteste vor, dass seine Tochter V. und seine Lebensgefährtin dringend auf seine Unterstützung angewiesen seien. Derzeit könne der Kontakt zumindest durch regelmäßige Besuche in der Justizvollzugsanstalt aufrechterhalten werden. Es bestehe somit eine familiäre Lebensgemeinschaft. Da die weitere Tochter der Lebensgefährtin, Vl., die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, könne der Lebensgefährtin und V. ein Umzug ins Herkunftsland nicht zugemutet werden. Die familiäre Einheit könne nur im Bundesgebiet gelebt werden, andernfalls komme es zu einem Verstoß gegen Art. 20 AEUV. Auch sei im Kosovo eine angemessene medizinische Versorgung V.s nicht möglich. Darüber hinaus müsse Vl. stark vernachlässigt werden, wenn die Kindsmutter keine Entlastung in der Pflege der gemeinsamen, behinderten Tochter erfahre. All dies spreche jedenfalls für einen Duldungsanspruch, der im Antrag auf die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis als Minus mit enthalten sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18. April 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden,
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hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung von Ziffer 4 und 5 des Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18. April 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im Bescheid vom 18.04.2016.
37 
Die Kammer hat den Kläger und seine Lebensgefährtin in der mündlichen Verhandlung angehört. Hierbei hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, mit seinem Verdienst in der Haft verschiedene Verbindlichkeiten zu bedienen. Derzeit bestünden noch Schulden i.H.v. ca. 850,- Euro gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse und i.H.v. ca. 900,- Euro für Kosten des Strafverfahrens. Er habe noch einen Zahlungsanspruch wegen Haftentschädigung i.H.v. ca. 7.700,- Euro, der mit den Abschiebungskosten i.H.v. ca. 13.500,- Euro verrechnet werden könne. Das Überbrückungsgeldkonto sei bereits voll. Eine Schuldnerberatung habe er nicht in Anspruch genommen. Seine Familie lebe derzeit maßgeblich von staatlichen Leistungen; er trage zum Unterhalt bei, so gut es gehe. Befragt zu seinen strafrechtlichen Verurteilungen gab der Kläger an, zu der Verurteilung wegen Körperverletzung sei es nur gekommen, weil er seine Freundin mit einem anderen Mann erwischt und diesen rausgeworfen habe, er sei kein Schläger. Später habe er dann eine Schleuserfahrt durchgeführt, um Geld für eine Operation V.s in der Schweiz zu beschaffen, die von den deutschen Ärzten nicht befürwortet worden sei. Die Tat tue ihm leid, allerdings habe er allein zu diesem Zweck Geld beschaffen wollen. Er habe nicht arbeiten dürfen und das Verfahren zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis habe sich unangemessen lang hingezogen. Es treffe auch nicht zu, dass er über die Fahrt vom 25.03.2015 hinaus noch weitere Schleuserfahrten durchgeführt habe, vielmehr habe das Gericht in Traunstein ihm gesagt, er müsse alles gestehen, sonst komme es noch viel schlimmer für ihn. Alle seien damals wegen der toten Flüchtlinge im Kühllastwagen ganz erpicht darauf gewesen, Schleuser hart zu bestrafen, also habe er alles gestanden, was ihm vorgeworfen worden sei. Er habe aber nun mit der Vergangenheit abgeschlossen. In Italien werde am 05.03.2018 in seiner Abwesenheit ein Termin vor dem Strafgericht Udine stattfinden; er sei jedoch unschuldig. Befragt zu seiner familiären Situation führte der Kläger aus, sich bei V.s Geburt in der Klinik zunächst nicht als deren Vater zu erkennen gegeben zu haben, weil seine Lebensgefährtin zum damaligen Zeitpunkt auch mit anderen Männern intim gewesen sei. Aus diesem Grund habe er in seinem Asylverfahren in Frankreich auch angegeben, kinderlos zu sein. Der Kontakt zur Kindsmutter habe jedoch trotz der Trennung wenige Monate nach der Geburt fortbestanden. Als sich gewisse äußerliche Ähnlichkeiten zwischen ihm und V. gezeigt hätten, sei auf Initiative seiner Lebensgefährtin ein Vaterschaftstest durchgeführt worden. Seitdem habe er zusammen mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht für V. inne. Seine Lebensgefährtin habe sich dann ein halbes Jahr nach Vl.s Geburt im Jahr 2011 von deren Vater getrennt; seitdem habe Vl. keinen Kontakt mehr zu diesem. Er, der Kläger, sei daher auch für Vl. wie ein Vater. Seit Dezember 2017 sei seine Lebensgefährtin nunmehr auch von Vl.s Vater geschieden. Er strebe an, jetzt auch das Sorgerecht für Vl. zu erhalten. Derzeit sehe er seine Lebensgefährtin und die Kinder vier Mal im Monat für jeweils ca. eine Stunde bei Besuchen in der Justizvollzugsanstalt, u.a. im Rahmen des Vater-Kind-Projekts. In dieser Zeit suche er v.a. zu V. intensiven Körperkontakt, da diese sich so am besten beruhigen und auf ihn einlassen könne. Mit Vl. spiele er Spiele. Darüber hinaus telefoniere er mehrmals täglich mit seiner Familie, wobei auch V. an den Apparat komme und sich sicht- und hörbar freue. So lache und klatsche sie, wenn er mit ihr spreche. Sie könne den Hörer selbständig halten und auch einige Worte sprechen. V. sei ein „Papa-Kind“ und schon immer mehr auf ihn bezogen gewesen. In der Zeit ihres Zusammenlebens habe seine Lebensgefährtin gearbeitet und er habe sich um die Kinder gekümmert. Dabei habe er V. zu Hause vollständig versorgt und auch zu Arzt- und Therapieterminen begleitet. Seine Lebensgefährtin sei derzeit mit beiden Kindern völlig überfordert. Behördliche Hilfsangebote, z.B. von Seiten des Jugendamts, habe die Familie in der Vergangenheit immer abgelehnt, weil V. nicht mit Fremden zurechtkomme und diese sie nicht verstünden. So habe V. während eines Klinikaufenthalts eineinhalb Tage lang nichts zu trinken erhalten, weil die Mitarbeiter nicht erkannt hätten, dass sie nicht aus Gläsern trinke.
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Befragt zu Art und Häufigkeit seines Kontakts zu V. in der Zeit der Trennung von seiner Lebensgefährtin bis zu seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Ende 2013 gab der Kläger zunächst an, nach seiner Abschiebung bis zu seiner Rückkehr habe seine Lebensgefährtin ihn zunächst mit V., später auch mit Vl. vier oder fünf Mal im Kosovo besucht. Da V. bis zum Beginn epileptischer Anfälle im Jahr 2012 habe sprechen können, sei zudem ein telefonischer Kontakt möglich gewesen. Am Ende der mündlichen Verhandlung äußerte der Kläger demgegenüber, er lasse sich vom Beklagten nicht vorhalten, sich während mehrerer Jahre nicht intensiv um seine Tochter gekümmert zu haben. Vielmehr sei es so, dass er sich die ganze Zeit nach seiner Ausweisung und Abschiebung bei seiner Familie in Deutschland aufgehalten und V. umfassend betreut habe. Er sei mit einem Schengenvisum anlässlich des Todes seines Onkels nach Slowenien und von dort in die Bundesrepublik gereist. Lediglich zur Beantragung des Visums sei er 2013 in den Kosovo zurückgekehrt.
39 
Die Lebensgefährtin des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, sie und der Kläger hätten seit dem Vaterschaftstest das gemeinsame Sorgerecht für V. Der Umgang des Klägers mit V. sei gut, diese freue sich über die Telefonate und Besuche. V. liebe ihren Vater. Der Kläger habe viel geleistet; sie komme alleine kaum mit den Kindern zurecht. Fremde Hilfe zur Entlastung komme nicht in Betracht, da V. damit nicht zurechtkomme. Vl. wiederum benötige ausweislich ihrer Schule mehr Unterstützung und Hilfe seitens der Eltern vor allem beim Lesen- und Schreibenlernen, die sie als Mutter derzeit aber nicht leisten könne.
40 
Der Kammer liegen die Akten des Regierungspräsidiums Tübingen, die Ausländerakten der unteren Ausländerbehörde, die Strafakten des Landgerichts Traunstein einschließlich der Strafvollstreckungsakten im Verfahren 280 Js 10953/15 sowie die Gefangenenpersonalakte des Klägers vor. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vorliegenden Behördenakten und die Gerichtsakten, auch im Verfahren 7 K 2884/16, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
41 
Die Klage ist verfristet und damit unzulässig, soweit der Kläger die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt. Jedenfalls ist die Klage insoweit unbegründet (vgl. § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) (A.). Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 2 VwGO) (B.). Die Ausweisung des Klägers gemäß Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18.04.2016 ist rechtmäßig (I.). Es bestehen weiter keine rechtlichen Bedenken gegen die Entscheidungen zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (II.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig; dies gilt auch, soweit dem Kläger die Abschiebung aus der Haft heraus ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (III.).
42 
Maßgeblich für die Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist jeweils die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 3/16 -, juris Rn. 18, vom 14.05.2013 - 1 C 13/12 -, juris Rn. 9 und vom 04.10.2012 - 1 C 13/11 -, juris Rn. 16).
43 
A. Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt.
44 
Der anwaltlich vertretene Kläger hat im Klageschriftsatz vom 13.05.2016, bei Gericht eingegangen am selben Tag, beantragt, den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18.04.2016 (umfassend) aufzuheben. Einen Verpflichtungsantrag bezogen auf die Neubescheidung des Antrags auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat der damalige Prozessvertreter des Klägers allerdings nicht gestellt. Aus der in diesem Schriftsatz enthaltenen vorläufigen Klagebegründung ergibt sich zudem kein Hinweis darauf, dass der Kläger nicht nur die Aufhebung der Ausweisung und der daran anknüpfenden Folgeentscheidungen, sondern auch eine Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids und die Neubescheidung seines Antrags auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrte. Die Begründung setzt sich vielmehr mit der Frage der Aufenthaltserlaubnis nur insoweit auseinander, als deren Ablehnung in der kurzen Sachverhaltsdarstellung erwähnt wird. Auch die weitere - wenngleich erst am 24.06.2016 und damit nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangenen - Klagebegründung geht ausschließlich auf die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet ein, ohne die Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu thematisieren. Der fristgerecht erhobene Anfechtungsantrag im Schriftsatz vom 13.05.2016 ist daher dahingehend auszulegen, dass sich dieser nur auf die Ziffern 1 sowie 3 bis 5 des Bescheids vom 18.04.2016 bezieht.
45 
Soweit der Kläger nunmehr in der mündlichen Verhandlung die Aufhebung (auch) von Ziffer 2 und die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, ist dieser Antrag verfristet. Wird ein Verwaltungsakt, der wie vorliegend mehrere rechtlich selbständige Regelungen enthält, zunächst nur teilweise angefochten und werden später weitere Teile der gleichen Behördenentscheidung in das anhängige Klageverfahren einbezogen, tritt für die nicht angefochtenen Teile nach dem Ablauf der Rechtsbehelfsfrist die Bestandskraft ein; sie kann durch die nachträgliche Einbeziehung in ein schon anhängiges Klageverfahren nicht mehr beseitigt werden (vgl. Meissner in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EGL Juni 2017, § 74 Rn. 43 m.w.N.).
46 
Unabhängig hiervon ist die Klage bezogen auf die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber jedenfalls unbegründet. Die Ablehnung des Antrags erweist sich als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
47 
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf zudem einem Ausländer, der ausgewiesen ist, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Da die Ausweisung des Klägers rechtmäßig erfolgt ist (vgl. hierzu sogleich unter B.I.), war auch die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig.
48 
B. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
49 
I. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
50 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17.03.2016 geltenden Fassung gemäß Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11.03.2016 (BGBl. I, S. 394).
51 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 01.01.2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht hin zu einer gebundenen Entscheidung nicht mehr eingeräumt (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 22.02.2017, a.a.O., Rn. 23; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 19).
52 
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017, a.a.O., Rn. 26).
53 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1.). Vom Kläger geht nach wie vor eine sehr hohe Gefahr einer erneuten Straffälligkeit im Bereich Einreise- und Aufenthaltskriminalität aus (2.). Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie nach §§ 53 Abs. 1, 55 Abs. 2 AufenthG gegenüber (3.). Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führt zu dem Ergebnis, dass das Regierungspräsidium die Ausweisung des Klägers zu Recht verfügt hat (4.).
54 
1. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Ausreichend ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. StGB (Tanneberger, in: BeckOK AuslR, AufenthG, § 54 Rn. 11, Stand 01.08.2017; Bauer/Dollinger in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl., § 54 Rn. 8). Der Kläger erfüllt aufgrund der seit dem 28.10.2015 rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Traustein vom 20.10.2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf tatmehrheitlichen Fällen diesen Tatbestand. Unschädlich ist hierbei, dass die Einzelstrafen der jeweiligen Vorsatztaten der Gesamtfreiheitsstrafe jeweils unterhalb von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurden. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 17/12 -, juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017 – 11 S 2029/16 –, juris Rn. 40).
55 
2. Die Gefahr, dass der Kläger erneut insbesondere im Bereich der Einreise- und Aufenthaltskriminalität straffällig wird, ist sehr hoch. Sie folgt aus dem strafrechtlichen Werdegang des Klägers, der sich seit Jahren weitgehend unbeeindruckt von straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen zeigt.
56 
a) Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13/11 -, juris Rn. 18). Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind nicht allein das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat zu berücksichtigen, sondern alle Umstände des Einzelfalls einzustellen, wie etwa die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012, a.a.O., juris Rn. 12; Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl., § 53 Rn. 28 m.w.N.). Diese Prognoseentscheidung obliegt dem die Ausweisung überprüfenden Gericht. Es gibt im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa psychische Erkrankungen), die die Hinzuziehung eines Sachverständigen gebieten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39/15 -, juris Rn. 12 und vom 01.03.2016 - 1 B 30/16 -, juris Rn. 7).
57 
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts Traunstein beschloss der Kläger, der sich aufgrund der schweren Erkrankung seiner Tochter und der fehlenden Arbeitserlaubnis in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, Anfang des Jahres 2015, sich mit Schleuserfahrten ein regelmäßiges Einkommen zu verschaffen, indem er ausländische Personen, die nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis waren, bei deren unerlaubter Einreise ins Bundesgebiet unterstützte. Er verbrachte die Personen aus Ungarn bzw. Österreich mit seinem Pkw in Kenntnis von deren fehlenden Aufenthaltserlaubnissen ins Bundesgebiet und verlangte hierbei pro Person zwischen 600,- und 700,- Euro, wobei das Geld teilweise vollständig bar bezahlt, teilweise nur als Anzahlung geleistet wurde und die Geschleusten sich verpflichteten, das Geld ratenweise später bei ihm abzubezahlen. Am 25.03.2015 gegen 0.05 Uhr reisten insgesamt 10 kosovarische bzw. afghanische Staatsangehörige, darunter vier Kinder, ohne die erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse über den ehemaligen Grenzübergang Bad Reichenhall Autobahn in das Bundesgebiet ein. Diese Personen wurden von dem Kläger mit seinem Pkw von Ungarn über Österreich ins Bundesgebiet verbracht, wo sie sich bis zu ihrer vorläufigen Festnahme kurze Zeit nach der Einreise auf der Bundesautobahn A8 in Höhe von Anger aufhielten. Für diese Fahrt hatte der Kläger von den geschleusten Personen mindestens 3.000,- Euro erhalten, 1.650,- Euro Bargeld wurden in der Folge bei ihm sichergestellt und 1.650,- Euro bei seiner Begleiterin; dieses Geld hatte der Kläger ihr - um nicht aufzufallen - vor dem Überschreiten der Grenze ausgehändigt. Zwischen dem 02. und 03.03.2015 verbrachte der Kläger sieben albanische Staatsangehörige, die sämtlich nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse waren, über einen nicht näher bekannten Grenzübergang ins Bundesgebiet. Für diese Fahrt erhielt der Kläger 600,- Euro pro Person bzw. ließ sich - soweit sofortige Barzahlung nicht möglich war - diesen Schleuserlohn versprechen. Am 06.03.2015 reiste eine Gruppe von acht kosovarischen Staatsangehörigen, darunter vier Kinder, ohne die erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse von Ungarn her über Österreich ins Bundesgebiet ein. Der Kläger verbrachte auch in diesem Fall die Personen mit seinem Fahrzeug über die Grenze, wobei eine sechsköpfige Familie 2.300,- Euro bezahlen musste. Wie hoch der Schleuserlohn für die restlichen Personen war, konnte nicht mehr festgestellt werden. Am 07.03.2015 verbrachte der Kläger eine Gruppe von sieben Personen, darunter albanische, kosovarische und afghanische Staatsangehörige, mit seinem Fahrzeug über einen unbekannten Grenzübergang ins Bundesgebiet. Diese Schleuserfahrt wurde von einem zweiten Schleuserfahrzeug mit weiteren acht unerlaubt einreisenden Personen begleitet; es konnte allerdings nicht festgestellt werden, dass der Kläger für diese Schleusung verantwortlich war. Allein eine fünfköpfige Familie bezahlte einen Betrag von 400,- Euro und sollte in der Folge weitere 2.300,- Euro in Raten zurückbezahlen. Die erste Schleusungsfahrt fand im Januar oder Februar 2015 statt; der Kläger verbrachte als Fahrer eines Fahrzeugs eine Gruppe von vier kosovarischen Staatsangehörigen von Ungarn kommend über Österreich ins Bundesgebiet. Einer der Geschleusten bezahlte an den Kläger 3.000,- Euro.
58 
Im Strafverfahren vor dem Landgericht Traunstein räumte der Kläger diese Taten zwar ein, was die Strafkammer strafmildernd berücksichtigte. Jedoch hat der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hiervon wieder distanziert und geäußert, es treffe nicht zu, dass er mehrere Schleuserfahrten durchgeführt habe. Vielmehr habe er auf Anraten des Gerichts nur deshalb entsprechend dem Tatvorwurf gestanden, um eine härtere Strafe zu vermeiden. Aus der von der Kammer beigezogenen Strafakte ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu einem Geständnis gedrängt worden sein könnte. Aus einem Aktenvermerk des Vorsitzenden Richters der Strafkammer in der Strafakte über ein Telefonat mit dem damaligen Strafverteidiger des Klägers vom 17.09.2015 geht im Gegenteil hervor, dass die Initiative zur Abgabe eines Geständnisses vom Kläger selbst bzw. dessen Verteidiger ausging (Strafakte 280 Js 10953/15, Bl. 470). Aus der Strafakte ergibt sich zudem, dass mehrere, angesichts des bereits zuvor angekündigten Geständnisses des Klägers in der Hauptverhandlung nicht mehr vernommene Zeugen den Kläger im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung eindeutig als Fahrer des zu ihren Schleusungen jeweils genutzten Pkw identifiziert hatten (vgl. Aussagen des Zeugen S. Sh., Bl. 392ff., des Zeugen M. Z., Bl. 408ff. und des Zeugen R. H., Bl. 422), was mit ein Grund für die Abgabe des Geständnisses gewesen sein dürfte.
59 
c) Eine weitere Grundlage für die Prognose ist der Umstand, dass der Kläger bereits vor der Verurteilung durch das Landgericht Traunstein vom 20.10.2015 wegen Einreisedelikten vorbestraft war. Nachdem der Kläger mit Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 10.12.2001, bestandskräftig seit dem 29.08.2002, ausgewiesen worden war, reiste er nach den Feststellungen des Amtsgerichts Dillingen im Urteil vom 24.08.2006 am 24.06.2006 unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Wegen dieser Sache befand sich der Kläger vom 03.07.2006 bis zum 30.01.2007 in Haft und wurde anschließend in den Kosovo abgeschoben. Die Hafterfahrung beeindruckte den Kläger offensichtlich nicht. Ausweislich des Strafbefehls des Amtsgerichts Müllheim vom 09.06.2009 und weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 28.01.2010 reiste er am 20.03.2009 und 17.12.2009 erneut unerlaubt ins Bundesgebiet ein. In der beigezogenen Strafakte 280 Js 10953/15 findet sich weiter eine Mitteilung des ungarischen Verbindungsbüros, wonach der Kläger am 21.11.2011, am 26.11.2012 und am 18.12.2013 wegen unerlaubter Einreise aus Ungarn ausgewiesen worden ist. Dabei wurde er am 31.07.2012 zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt; seine Entlassung erfolgte am 26.11.2012 (Bl. 450f.). Darüber hinaus erließ das schweizerische Statthalteramt Bezirk Bülach am 17.03.2014 einen Strafbefehl gegen den Kläger, nachdem dieser am 20.02.2014 ohne das erforderliche Visum in die Schweiz eingereist war (Bl. 478ff.). Die in dem zur Schleusung genutzten Fahrzeug aufgefundenen Notizbücher mit umfangreichen Aufzeichnungen des Klägers, welche in der Strafakte 280 Js 10953/15 enthalten sind, deuten des Weiteren ebenso wie die in Italien gegen den Kläger laufenden Ermittlungen darauf hin, dass sich dieser möglicherweise in weit größerem und professionellerem Umfang als Schleuser betätigt hat, als von den deutschen Strafverfolgungsbehörden letztlich ermittelt werden konnte.
60 
d) Für die Kammer belegen die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er auch die Zeit in der (erneuten) Haft bislang nicht genutzt hat, um sich zu seinen Straftaten tatsächlich zu bekennen und sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. Vielmehr zeichnet sich der Kläger bislang nach dem persönlichen Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung durch eine fehlende Einsicht in die eigene Verantwortung für das Geschehene und eine unterbliebene Aufarbeitung seines strafrechtlichen Verhaltens aus. Seine Angaben bleiben diesbezüglich pauschal und phrasenhaft. Diese Einschätzung wird durch die Justizvollzugsanstalt Ulm gestützt, die am 10.12.2015 in einem Vermerk über das Erstgespräch unter anderem festgehalten hat, der Kläger trete fordernd und dominant sowie die eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit bagatellisierend auf. Anhaltspunkte für eine spätere Aufarbeitung der Taten, beispielsweise anlässlich weiterer Gespräche in der Justizvollzugsanstalt, ergeben sich aus der Gefangenenpersonalakte des Klägers nicht. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beklagte der Kläger vor allem die Situation seiner Familie, ohne sich jedoch glaubhaft und überzeugend zu seinem eigenen Fehlverhalten zu bekennen.
61 
Auch die Haltung der Strafvollstreckungskammer Ulm und des Oberlandesgerichts Stuttgart anlässlich des Antrags des Klägers auf Aussetzung des Strafrestes nach zwei Drittel verdeutlichen das Fortbestehen der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die Strafvollstreckungskammer hat im Beschluss vom 30.06.2017 ausgeführt, eine bedingte Entlassung des Klägers könne unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Dabei ist die Strafvollstreckungskammer zwar von einer Auseinandersetzung des Klägers mit seinen Taten ausgegangen und hat ihm zu Gute gehalten, dass er eine Arbeitsstelle sowie eine Wohnung in Aussicht habe und über feste Bezugspersonen verfüge. Sie hat weiter festgestellt, dass es in der Justizvollzugsanstalt zu keinen Beanstandungen gekommen sei und dass der Kläger angesichts seiner familiären Situation besonders haftempfindlich sei. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits mehrfach einschlägig vorbestraft und auch hafterfahren sei. Auch wenn er zwischen 2010 und 2015 keine weiteren Straftaten begangen habe, sei er trotz zahlreicher Verurteilungen und gewährter Bewährungen erneut straffällig geworden. Die schwierige familiäre Situation habe bereits zum Zeitpunkt der letzten Tatbegehung bestanden. Das Oberlandesgericht Stuttgart vermag dem Kläger im Beschluss vom 24.08.2017 ebenfalls keine positive Prognose zu stellen. Der Senat führt insoweit aus, dass durchgreifende Zweifel daran bestünden, dass der Kläger eine Bewährungszeit tatsächlich straffrei durchstehen und Tatanreizen erfolgreich widerstehen könne. Die früheren Verurteilungen zeigten, dass die kriminelle Neigung des Klägers tief verwurzelt sei. Sie beschränke sich auch keineswegs auf Einreise- und Aufenthaltsdelikte. Der Kläger sei trotz seiner familiären Verantwortung 2015 erneut erheblich straffällig geworden. Durch die ausgesprochen kurze Rückfalldauer seit dem neuerlichen Aufenthalt im Inland habe der Kläger gezeigt, dass die früheren Maßnahmen nicht zu einem Umdenken geführt hätten. Die aktuellen Straftaten seien schwerwiegend und durch hohe kriminelle Energie gekennzeichnet. Hiervon habe sich der Kläger auch nicht durch sein schon damals bestehenden soziales Umfeld, insbesondere die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und den Kindern, abhalten lassen. Er habe es auch in Kauf genommen, seiner Lebensgefährtin als Unterstützung für die Pflege der behinderten Tochter nicht mehr zur Verfügung stehen zu können. Auch habe er zum Zeitpunkt jedenfalls der letzten Schleuserfahrt bereits eine konkrete Aussicht auf eine legale Einkommensquelle ab April 2015 gehabt und trotzdem die Fahrt durchgeführt. Daher führe auch die Feststellung im Urteil des Landgerichts Traunstein, Motiv sei die Finanzierung von Pflegeleistungen und medizinischen Behandlungen für die Tochter gewesen, nicht zu einer geänderten prognostischen Beurteilung der kriminellen Neigung des Klägers. Zudem werde gegen den Kläger in Italien ein Strafverfahren wegen einer vergleichbaren Tat betrieben. Dieses Strafverfahren stehe ebenfalls der Feststellung einer positiven Prognose deutlich entgegen und liefere einen Anhaltspunkt dafür, dass die kriminellen Aktivitäten des Klägers ein größeres Ausmaß gehabt hätten und von internationaler Tragweite gewesen seien. Die Verwendung dieser Umstände sei im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB möglich und zulässig und verstoße insbesondere nicht gegen die Unschuldsvermutung. Nicht zuletzt bestehe beim Kläger u.a. angesichts des Auslieferungsverlangens der Italienischen Republik eine vollkommen ungewisse Zukunftsperspektive.
62 
Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer an. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht - der Kläger ist nach wie vor verschuldet - sondern auch mit Blick auf seine persönliche Situation lassen sich keine belastbaren stabilisierenden Faktoren erkennen. Die mit dem Urteil des Amtsgerichts Müllheim vom 09.06.2009 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 28.01.2010 abgeurteilten Taten hat der Kläger nach der Geburt seiner Tochter V. begangen. Bei den im Jahr 2015 begangenen Straftaten lebte er bereits in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und den beiden Kindern. Es sind somit trotz entsprechender Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung keine objektiven Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die familiären Beziehungen des Klägers diesen künftig von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnten.
63 
Die Tatsache, dass der Strafvollzug des Klägers entsprechend den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt beanstandungsfrei verläuft, relativiert die Gefahrenprognose angesichts des erheblichen Gewichts der zu Lasten des Klägers zu würdigenden Umstände nicht.
64 
3. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gegenüber.
65 
Nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG wiegt das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG insbesondere schwer, wenn der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt. Gleiches gilt nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, wenn die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind bzw. ist.
66 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, kurz nach dem positiven Vaterschaftstests gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht für V. erhalten zu haben. Diese Aussage wurde durch seine Lebensgefährtin bestätigt. Aus einem Aktenvermerk des Regierungspräsidiums Tübingen vom 17.03.2016 (Band III der Akten, AS 36) ergibt sich jedoch, dass der Kläger nach Erkenntnissen des Jugendamts der Stadt Ulm jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt kein Sorgerecht hatte. Entgegen der Annahme des Klägers ergibt sich auch aus der Geburtsurkunde seiner Tochter, in der er als Vater eingetragen ist, und aus der Urkunde über die Zustimmung der Kindsmutter zur Vaterschaftsanerkennung vom 28.06.2010 kein Sorgerecht des Klägers für V.; vielmehr weisen diese Dokumente lediglich seine Vaterschaft nach. Unabhängig hiervon übt der Kläger aber regelmäßigen Umgang mit seiner Tochter aus, so dass der Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG erfüllt ist. Darüber hinaus sind nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG das Wohl und die Belange sowohl V.s als auch Vl.s, für die der Kläger ebenfalls die Vaterrolle übernommen hat, zu berücksichtigen.
67 
4. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet.
68 
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für eine Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17.03.2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, juris Rn. 41f.) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.01.2016, a.a.O., Rn. 141 ff.; Beschluss vom 11.04.2016, a.a.O., Rn. 29 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2016 - 18 A 610/14 -, juris Rn. 76f.). Bei der erforderlichen Gesamtabwägung sind zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zudem ergänzend die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK hierzu entwickelten Kriterien heranzuziehen (vgl. zu den sog. „BoultifÜner-Kriterien“ insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, beide juris; ausführlich auch: Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., Vorb. §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95ff.; Fischer, HTK-AuslR/Ausweisungsschutz nach Art. 8 EMRK).
69 
Hiervon ausgehend ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er in den Jahren von 1994 bis jedenfalls 2007 und wieder ab Ende 2013 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hatte und sich bis zu seiner ersten Ausweisung im Jahr 2001 legal im Bundesgebiet aufgehalten hat. Er hat zwar keinen im Bundesgebiet allgemein anerkannten Bildungs- bzw. Berufsabschluss, ist hier jedoch immer wieder erwerbstätig gewesen. Der Kläger spricht - wovon sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können - ein alltagstaugliches Deutsch.
70 
Von besonderer Bedeutung sind die familiären Bindungen des Klägers. Wie insbesondere aus seinen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung und auch den Berichten der Justizvollzugsanstalt sowie der Lebensgefährtin des Klägers deutlich geworden ist, ist sein Verhältnis zu seiner Tochter V. und seiner Stieftochter Vl. von einer wechselseitigen innigen emotionalen Beziehung geprägt.
71 
Der Kläger nimmt - auch unter den erschwerten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs - aktiv am Leben der Kinder teil. Seine Lebensgefährtin schöpft mit den Kindern die in der Vollzugsanstalt zulässigen Besuche aus, es finden auch regelmäßige Telefonate statt. Der Kläger nutzt mit seinen Töchtern zudem das Vater-Kind-Projekt der Justizvollzugsanstalt, welches ihnen ermöglicht, mehr Zeit als bei einem Regelbesuch üblich miteinander zu verbringen. Die beiden Töchter haben ein außerordentlich hohes Interesse daran, dass der Kläger im Bundesgebiet verbleibt. Dem Kläger kommt das Recht und die Aufgabe zu, als Vater für seine Kinder - auch emotional - zu sorgen.
72 
Dabei ist insbesondere die Situation der Tochter V. in den Blickt zu nehmen. Diese leidet ausweislich des in der Ausländerakte der Stadt Ulm befindlichen Bescheids des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 10.01.2013 an einer psychomotorische Entwicklungsstörung, einer beidseitigen Hüftdysplasie sowie einer beidseitigen Sehminderung. Der Grad ihrer Behinderung liegt bei 100. Die St. Lukas-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie beschreibt V. in ihren Berichten vom 21.07.2017 und vom 07.08.2017 als schwerst mehrfachbehindertes Mädchen mit hohem Unterstützungsbedarf. Als Diagnosen werden u.a. eine tiefgreifende Entwicklungsstörung auf dem Boden einer frühkindlichen hirnorganischen Schädigung, Entwicklungsrückstände von Motorik und Sprache, eine spastische, diplegische Zerebralparese, Epilepsie mit generalisierten Anfällen (aktuell Anfallsfreiheit seit zwei Jahren) und Adipositas benannt. Zusätzlich zu ihrer schweren Entwicklungsstörung hätten sich in den letzten zweieinhalb Jahren massive Verhaltensauffälligkeiten bei V. gezeigt. Vor allem unter Anspannung reagiere V. mit Schreien, auto- und fremdaggressivem Verhalten. Zudem habe man bei V. ein großes Bedürfnis nach Ruhe und eine im Verlauf zunehmende Anspannung in unruhigen Situationen erlebt. Der Beginn dieser Verhaltensauffälligkeiten stehe (nach Schilderung der Kindsmutter) in zeitlichem Zusammenhang mit der Inhaftierung des Klägers. Aufgrund häufiger Infekte habe V. in den vergangenen Monaten nur wenige, vereinzelte Tage die Schule besuchen können und sei ansonsten jeden Tag rund um die Uhr zu Hause von der Mutter betreut worden. Unterstützung im Sinne einer Pflegekraft oder einer pädagogischen Familienhilfe bestehe bislang keine. Auch erfolge keine, aus Sicht der Klinik dringend notwendige Förderung des Kindes. Laut Schulbericht könne V. mit kurzen Unterbrechungen bis zu 20 Minuten konzentriert und aktiv mitarbeiten. Nach dem Klinischen Interview zur Erfassung des emotionalen Befundes habe sich V. für die meisten Bereiche zwischen Ebene 1 (Symbiose, 0-6 Monate) und Ebene 2 (Bindung, 6-18 Monate) befunden. Bei der Interpretation dieses Ergebnisses und den damit verbundenen Bedürfnissen müsse jedoch berücksichtigt werden, dass bei V. eine eindrückliche autistische Störung bestehe. V. habe von sich aus wenig Bezug zu anderen Personen aufgenommen und habe nur ein begrenztes Interesse an sozialer Gegenseitigkeit. Sie habe Schwierigkeiten gehabt, die Nähe anderer Personen auszuhalten und reagiere v.a. in (Versorgungs-)Situationen, die Nähe notwendig machten, angespannt und aggressiv. Während der regelmäßigen Besuche auf der Station habe zwischen Mutter und Tochter eine deutliche Interaktionsproblematik beobachtet werden können. Zudem sei beobachtet worden, dass durch den Umgang der Mutter mit V. verschiedene Verhaltensauffälligkeiten verstärkt bzw. aufrechterhalten worden seien. Zusammenfassend werde u.a. empfohlen, dass die Kindsmutter mehr Wissen über V.s Störung erfahre und Anleitung im Umgang mit den autistischen Verhaltensauffälligkeiten bekomme. Dazu und um die beobachteten maladaptiven Verhaltensmuster zwischen Mutter und Tochter aufzulösen, werde eine fachkompetente, sozialpädagogische Familienhilfe empfohlen. Daneben empfehle die Klinik ein regelmäßiges physiotherapeutisches Angebot unabhängig vom Schulbesuch sowie eine häusliche Kinderkrankenpflege. Wünschenswert sei vor dem Hintergrund von beginnenden Verhaltensauffälligkeiten Vl.s zudem die Installierung einer stundenweisen Fremdbetreuung für V. zu Hause durch familienunterstützende Dienste oder häusliche Krankenpflege, damit die Mutter Zeit mit ihrer zweiten Tochter verbringen könne. Auch sei ein regelmäßiges heilpädagogisches Angebot für Vl. vorstellbar. In den Schulferien könnten sowohl V. als auch die Familie von der Inanspruchnahme einer Kurzzeitpflege profitieren. Da zur Beziehung zwischen V. und dem Kläger keine Aussagen aus eigener Erfahrung gemacht werden könnten, könnten hier keine klaren Empfehlungen ausgesprochen werden. Möglicherweise könne die Anwesenheit des Klägers und dessen aktive Mithilfe bei der Versorgung V.s eine Entlastung für die Kindsmutter sein und damit die Interaktionsproblematik zwischen Mutter und Tochter entspannen. Ausweislich eines Attest des behandelnden Kinderarztes vom 12.01.2018 ist die Lebensgefährtin des Klägers nach wie vor mit der Situation überfordert. Vom Jugendamt und einer mobilen Pflege wolle sie sich aus Stolz nach wie vor nicht unterstützen lassen. Nach dem stationären Aufenthalt in der St. Lukas-Klinik und besserer Einstellung der Medikation habe sich der Kindsmutter zufolge V.s Verhalten und der Umgang mit ihr etwas verbessert. V. könne jetzt fast regelmäßig die Behindertenschule besuchen. Dadurch habe sich auch die Situation für Vl. verbessert. Nach wie vor wäre die Abschiebung des Klägers der Mutter zufolge für die Familie aber die „absolute Katastrophe“.
73 
Im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft haben gleichermaßen auch die Lebensgefährtin des Klägers und er selbst ein sehr hohes Interesse an einem Verbleib des Klägers in der Bundesrepublik. Seine Ausweisung - zumal sie zu seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern führt - ist vor diesem Hintergrund ein erheblicher Eingriff in das auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
74 
Zu Lasten des Klägers ist die Schwere der begangenen Straftaten, deren Aburteilung zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der bereits oben festgestellten sehr hohen Wiederholungsgefahr fällt auch seine fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Rechtstreue ins Gewicht. Hierbei ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger - ohne dass dies letztlich durch die Kammer überprüft werden konnte - eigenen Angaben zufolge über mehrere Jahre hinweg illegal in der Bundesrepublik aufgehalten haben will. Sollten diese sehr unvermittelt und emotional gemachten Angaben gegen Ende der mündlichen Verhandlung tatsächlich nicht der Wahrheit entsprechen, weil nämlich der Kläger hiermit lediglich den Stellenwert seines familiären Engagements hat stärken wollen, so träte hierdurch gleichwohl zutage, dass der Kläger zur Durchsetzung eigener Interessen auch bereit ist, die Tatsachen zu seinen Gunsten zu verdrehen und ohne weitere Skrupel vor Gericht die Unwahrheit zu sagen.
75 
Die Gesamtabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt vorliegend auch unter Berücksichtigung des sehr hohen Gewichts der familiären Bindungen und der besonderen Bedürfnisse der Tochter V. zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
76 
Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich - neben Straßenverkehrsdelikten und Körperverletzungen - maßgeblich um gewerbsmäßig begangenes Einschleusen von Ausländern in einer erheblichen Zahl von Fällen. Schleuserkriminalität ist dabei als extrem sozialschädlich einzustufen (vgl. auch VG Sigmaringen, Urteil vom 22.02.2000 - 2 K 1662/98 -, juris Rn. 18, 21). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich aus für sein Leben atypischen Situationen, etwa einer einmalig erlebten finanziellen Bedrängnis, zu solchen Taten hat hinreißen lassen. Dies gilt umso mehr, als die behandelnden Ärzte die vom Kläger angeblich angestrebte Operation der Tochter in der Schweiz nach dessen eigener Aussage nicht befürwortet haben und er zudem eine legale Erwerbsmöglichkeit konkret in Aussicht hatte. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass der Kläger der geltenden (Strafrechts-)Ordnung ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine Bedeutung beimisst, sondern allein so agiert, wie es ihm vorteilhaft erscheint. Hierbei ist er bereit, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle die Notlage anderer Menschen in äußerst prekärer Fluchtsituation auszunutzen und diese hierbei - beispielsweise durch unzureichende Sicherung im Transportfahrzeug (vgl. Strafakte 280 Js 10953/15, Bl. 19) - auch zu gefährden.
77 
Die vom Kläger ausgehende sehr hohe Wiederholungsgefahr (siehe oben I.2.) von Einreise- und Aufenthaltskriminalität rechtfertigt die durch die Ausweisung herbeigeführte Trennung von seinen Familienmitgliedern.
78 
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gravierende Gefahr neuer Straftaten des Klägers hingenommen werden müsste, weil sein Verbleib für die Kinder bzw. das Kindeswohl von überragender, gegebenenfalls existenzieller Bedeutung wäre. Das Leben der Tochter V. und der Stieftochter Vl. ist durch die Inhaftierung des Klägers davon geprägt, dass sie ihren Vater im Alltag schon seit längerer Zeit nicht um sich haben. Jedenfalls seinen bisherigen Schilderungen zufolge hat der Kläger auch erst seit Ende 2013 mit V. und Vl. in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt; ihr Zusammenwohnen beschränkte sich dabei auf den Zeitraum bis zur Verhaftung des Klägers am 25.03.2015. Dabei kann der Kläger entgegen seiner eigenen Darstellung jedenfalls in den ersten Monaten des Jahres 2015 nicht (mehr) hauptverantwortlich für die tägliche Betreuung speziell der Tochter V. gewesen sein, da er in diesem Zeitraum nachweislich Schleuserfahrten durchgeführt und sich auch im Ausland aufgehalten hat. In den Jahren nach V.s Geburt bestand nach eigenen Angaben des Klägers Kontakt über Besuche der Familie bei ihm im Kosovo und Telefongespräche. Soweit der Kläger nunmehr gegen Ende der mündlichen Verhandlung unvermittelt - und bezeichnenderweise nachdem seine Lebensgefährtin gemeinsam mit den Kindern die Verhandlung verlassen hatte und nicht mehr ergänzend hierzu befragt werden konnte - vorgetragen hat, sich nahezu in den gesamten Jahren seit der Vaterschaftsanerkennung illegal in Deutschland aufgehalten und sich intensiv um V. gekümmert zu haben, steht dies in diametralem Widerspruch zum bisherigen Vortrag und kann von der Kammer mangels objektiver Anhaltspunkte nicht nachvollzogen werden.
79 
Zwar ist bei einem Aufenthalt des Klägers im Kosovo die Aufrechterhaltung von familiären Beziehungen und Kontakten gegenüber der derzeitigen Situation deutlich erschwert, unmöglich ist dies jedoch auch mit Blick auf V.s Behinderung und das Alter der beiden Mädchen nicht. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass V. nach den vorliegenden Arztberichten, den Schilderungen der Familie und dem persönlichen Eindruck, der in der mündlichen Verhandlung von dem Mädchen gewonnen werden konnte, nicht in der Lage ist, ein Gespräch am Telefon zu führen. Gleichwohl haben beide Eltern dem Gericht übereinstimmend geschildert, dass V. auch derzeit mehrmals täglich mit dem Kläger telefoniere, diesen am Telefon erkenne und sich hör- und sichtbar über den Kontakt freue. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Kontaktaufnahme über Bildtelefonate mittels Internet durchaus vorstellbar und geeignet, die Beziehung des Klägers zu V. und Vl. für den Zeitraum der räumlichen Trennung aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass der Kläger die Möglichkeit hat, für Besuche bei seiner Familie eine Betretenserlaubnis zu beantragen. Der glaubhaft geschilderten Überlastungssituation der Lebensgefährtin des Klägers kann aus Sicht der Kammer primär durch die Inanspruchnahme der ärztlich bereits mehrfach und nachdrücklich empfohlenen Unterstützungs- und Hilfsangebote begegnet werden. Wie sich nach ärztlicher Darstellung durch den nun regelmäßigeren Schulbesuch V.s bereits ansatzweise gezeigt hat, kann hierdurch insbesondere auch sichergestellt werden, dass die Tochter Vl. mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit durch ihre Mutter erfährt. Hinzu kommt, dass durch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (siehe nachfolgend II.) und der Möglichkeit für den Kläger, danach zu seinen Kindern zurückzukehren, die Trennung perspektivisch begrenzt ist. Für den Fall, dass sich V.s Zustand und damit einhergehend die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Vater-Tochter-Beziehung über die räumliche Distanz hinweg maßgeblich verändert, bleibt es dem Kläger zudem unbenommen, einen Antrag auf Aufhebung bzw. Verkürzung des Einreise - und Aufenthaltsverbots zu stellen.
80 
Soweit der Prozessvertreter der Klägers vorgetragen hat, die familiäre Einheit könne nur im Bundesgebiet gelebt werden, andernfalls komme es im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit Vl.s zu einem Verstoß gegen Art. 20 AEUV, vermag die Kammer diese Einschätzung nicht zu teilen.
81 
Ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen ist aus der Unionsbürgerschaft (s)eines minderjährigen Kindes grundsätzlich nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteile vom 08.03.2011 - Rs. C-34/09, Ruiz Zambrano, juris Rn. 43 und 44; vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci u. a., juris Rn. 66 und 67; vom 08.11.2012 - Rs. C-40/11, Iida, juris Rn. 7; vom 08.05.2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga u. a., juris Rn. 36 und vom 10.10.2013 - Rs. C-86/12, Alokpa und Moudoulou, juris Rn. 32). Lebt das Kind hingegen mit einem weiteren sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen zusammen, der über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit hat, so spricht dies dagegen, dass eine aufenthaltsrechtliche Maßnahme gegen den anderen Drittstaatsangehörigen einen unionsrechtswidrigen Zwang zur Ausreise auslösen könnte. Lebt der schutzbedürftige minderjährige Unionsbürger - wie Vl. - in einer "Patchwork-Familie", so sind die sich aus den Besonderheiten dieser familiären Lebensgemeinschaft ergebenden Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem minderjährigen Unionsbürger eine biologische Beziehung besteht; maßgeblich ist vielmehr, ob der Unionsbürger von dem Drittstaatsangehörigen in finanzieller, rechtlicher oder affektiver Hinsicht abhängig ist. Auch ist es von erheblicher Bedeutung, ob ein faktischer Zwang zur Ausreise den minderjährigen Unionsbürger an der Fortführung eines bestehenden Kontakts zu einem leiblichen Vater oder einer leiblichen Mutter hindert, der bzw. die außerhalb der "Patchwork-Familie" lebt. Schließlich ist zu berücksichtigten, wer das Sorgerecht für den minderjährigen Unionsbürger innehat und ausübt (vgl. EuGH, Urteil vom 06.12.2012 - Rs. C-356/11, O. und S., juris Rn. 50ff.; BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 15/12 -, juris Rn. 31ff. bezogen auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels).Selbst wenn der minderjährige Unionsbürger infolge einer Ausweisung des Drittstaatsangehörigen faktisch gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen, kann diese jedoch unter außergewöhnlichen Umständen dennoch erfolgen, sofern die Ausweisung auf dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des jeweiligen Mitgliedstaats berührt (vgl. EuGH, Urteil vom 13.09.2016 - Rs. C-304/14, CS, juris Rn. 36ff.).
82 
Im konkreten Fall ist Vl. bereits nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Vielmehr kann sie zusammen mit ihrer allein sorgeberechtigten Mutter, die über eine bis zum 04.02.2021 befristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, die jedenfalls wegen ihrer Anknüpfung an die Minderjährigkeit Vl.s einem Daueraufenthaltsrecht gleichkommt, und ihrer Schwester V. in Deutschland bleiben. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 34 -; Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.11.2016 - 10 CS 16.2215 -, juris Rn. 7).
83 
Da der Kläger bis zum Alter von 22 Jahren im Kosovo gelebt, sich auch danach jedenfalls zeitweise erneut im Kosovo aufgehalten hat und Kosovarisch spricht, steht zu erwarten, dass er sich dort zurechtfinden wird. Dies gilt umso mehr, als er über eine Anlaufstelle bei seinen im Kosovo lebenden Familienangehörigen verfügt.
84 
II. Bedenken ergeben sich schließlich auch nicht hinsichtlich der Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung auf drei Jahre (bzw. fünf Jahre im Fall des fehlenden Nachweises der Straffreiheit) ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Ziffer 4 des Bescheids vom 18.04.2016) und der Wirkungen einer möglichen Abschiebung auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Ziffer 5 des Bescheids).
85 
1. Der Kläger hat eine - logisch vorrangige - (hilfsweise) Verpflichtung des Beklagten, über die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, nicht beantragt. Für einen solchen Antrag gibt es auch keine Veranlassung. Der Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung hierzu keine Entscheidung getroffen; dies ist nicht zu beanstanden.
86 
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung unter I. ergibt sich jedoch, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, deren Abwehr das Einreise- und Aufenthaltsverbot dient, fortbesteht und das öffentliche Interesse an der Ausreise schutzwürdige Belange des Ausländers überwiegt. Erweist sich eine Ausweisung als rechtmäßig, ist es nach den hierfür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen, dass zum gleichen Zeitpunkt, der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblich ist, Anlass für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu diesem Zeitpunkt bestehen könnte. Würde sich eine Ausweisung hingegen als rechtswidrig erweisen, beispielsweise wegen einer nach Erlass der Verfügung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage, wäre sie mit Wirkung ex tunc aufzuheben, so dass ebenfalls kein Raum für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass seit der zum 01.08.2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung bedarf, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 15), hatte für die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall kein Grund für eine solche Ermessensentscheidung bestanden. Im Übrigen liegt der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots - anders als der Befristung - keine Prognose zugrunde, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017, a.a.O., Rn. 67).
87 
2. Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 19 ff. und - 1 C 3/16 -, Rn. 65f.). Nach § 11 Abs. 3 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.
88 
Für die Festsetzung der allein unter präventiven Gesichtspunkten zu ermittelnden Frist sind das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 23ff. und - 1 C 3/16 -, Rn. 66).
89 
Davon ausgehend ist die Befristung auf drei Jahre vorliegend nicht zu beanstanden. Insbesondere wurde die Länge der Frist in zwei deutlich voneinander zu trennenden Schritten ermittelt: So wurde die Sperrfrist angesichts der begangenen Straftaten sowie der erheblichen konkreten Wiederholungsgefahr zunächst auf sechs Jahre festgesetzt, angesichts der durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützten familiären Bindungen des Klägers und der schweren Behinderung seiner Tochter in einem zweiten Schritt jedoch auf drei Jahre verkürzt. Diese Erwägungen tragen die vorliegende Befristungsentscheidung. Der Kläger wurde auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen; wie ausgeführt liegt eine sehr hohe Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten vor. Es sind insbesondere auch nach Erlass der Verfügung keine weiteren Änderungen tatsächlicher Art eingetreten, die zu Gunsten des Klägers wirken und Anlass für neue bzw. ergänzende Ermessenserwägungen des Beklagten sein könnten. Sollte dies künftig der Fall sein, beispielsweise im Fall einer Verschlechterung von V.s Gesundheitszustand, steht es dem Kläger jederzeit offen, einen Antrag auf Aufhebung oder Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu stellen. Auch hinsichtlich der Bedingung der Straffreiheit im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG bestehen keine rechtlichen Bedenken.
90 
Das Gericht weist in diesem Zusammenhang abschließend darauf hin, dass das Regierungspräsidium Tübingen auch für den Fall einer strafrechtlichen Verurteilung des Klägers in Italien gegebenenfalls eine Aufhebung bzw. Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erwägen haben wird. Nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23.11.2016 ist die Auslieferung des Klägers nur mit der Maßgabe zulässig, dass die Italienische Republik ihm nach (möglicher) Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstiger Sanktionen anzubieten hat, ihn auf seinen Wunsch zur Strafvollstreckung in die Bundesrepublik zurück zu überstellen. Dieser Gesichtspunkt wird maßgeblich im Rahmen einer künftigen Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen sein.
91 
3. Auch die Befristung der Wirkungen einer möglichen Abschiebung auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
92 
Soweit ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das an eine Abschiebung anknüpft, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie (ABl. L 348 S. 98) - allein aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung nicht wirksam eintreten kann, sondern es dafür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf, ist diese in unionsrechtskonformer Auslegung des Aufenthaltsgesetzes in der behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu sehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.07.2017 - 1 VR 3/17 - juris Rn. 71f.).
93 
III. Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
94 
Der Kläger war im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung bereits aufgrund des Ablaufs des ihm erteilten Visums und der Betretenserlaubnis zum 03.06.2014 vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. Beschluss der Kammer vom 16.02.2017 - 7 K 2884/16 -).
95 
Die dem Kläger für den Fall, dass eine Abschiebung bis zum Haftende nicht erfolgen kann, gesetzte Frist von einem Monat ist auszulegen als 31 Tage (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19/11 -, juris Rn. 44).
96 
Die Androhung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise beruht auf § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, das heißt unter anderem dann, wenn der Ausländer sich - wie hier - auf richterliche Anordnung in Haft befindet, keiner Setzung einer Ausreisefrist. Die Ausreisefrist dient dazu, eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise vermeiden zu können. Sie bezweckt ferner, dem Ausländer zu ermöglichen, seine Lebensverhältnisse in Deutschland abwickeln und gegebenenfalls ein Rechtsschutzverfahren betreiben zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1997 - 1 C 14/96 -, juris Rn. 15). Ausgehend hiervon wird § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als ein - gegenüber § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - spezieller Fall angesehen, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (so Bayrischer VGH, Beschluss vom 12.12.2016 - 10 C 16.2176 -, juris Rn. 8). Mit der Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll, wird der Ausländer in Haftfällen in die Lage versetzt, seine persönlichen, familiären, wirtschaftlichen und beruflichen Angelegenheiten zu ordnen und abwickeln oder hierfür vorbereiten zu können, bevor er abgeschoben wird (Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 59 Rn. 30). Eine solche Konkretisierung des Zeitpunkts der Abschiebung ist im vorliegenden Fall noch nicht erfolgt.
97 
Weiter steht es im vorliegenden Fall mit der Rückführungsrichtlinie im Einklang, dass dem Kläger auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht eingeräumt wird.
98 
Zwar ist § 59 Abs. 5 AufenthG nicht bereits deshalb mit Unionsrecht in Einklang zu bringen, weil die Bundesrepublik insoweit von der Möglichkeit des „Opt-Out“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) Rückführungsrichtlinie Gebrauch gemacht hätte (vgl. hierzu ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017, a.a.O., Rn. 82ff.). Die Kammer hält insoweit nicht mehr an ihrer gegenteiligen Auffassung fest (vgl. anders noch Urteil vom 22.03.2017 - 7 K 2395/16 -).
99 
Aufgrund der vom Kläger im vorliegenden Fall ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrt das in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorgesehene Absehen von einer Frist für die freiwillige Ausreise aber die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie. Nach Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - Rs. C-554/13 - Z. Zh. und I. O. -, juris Rn. 60). Hierzu bedarf es einer individuellen Prüfung des Einzelfalls; eine Gefahr für die öffentliche Ordnung kann nicht allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)Haft befindet (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 70 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.08.2016 - 11 S 1660/16 - InfAuslR 2016, 421 und Urteil vom 29.03.2017, a.a.O., Rn. 92 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union erfordert der Rückgriff auf die in Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie vorgesehene Möglichkeit, gar keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, keine erneute Prüfung der Kriterien, die bereits geprüft wurden, um das Bestehen dieser Gefahr festzustellen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 73). Im vorliegenden Fall tragen die für die Ausweisung maßgeblichen Gründe zugleich die Annahme einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies erschließt sich aus den Ausführungen oben unter I.
100 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht sieht in Anwendung von § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
101 
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO).

Gründe

 
41 
Die Klage ist verfristet und damit unzulässig, soweit der Kläger die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt. Jedenfalls ist die Klage insoweit unbegründet (vgl. § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO) (A.). Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet (vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 und Abs. 5 S. 2 VwGO) (B.). Die Ausweisung des Klägers gemäß Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18.04.2016 ist rechtmäßig (I.). Es bestehen weiter keine rechtlichen Bedenken gegen die Entscheidungen zur Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (II.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig; dies gilt auch, soweit dem Kläger die Abschiebung aus der Haft heraus ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (III.).
42 
Maßgeblich für die Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist jeweils die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 3/16 -, juris Rn. 18, vom 14.05.2013 - 1 C 13/12 -, juris Rn. 9 und vom 04.10.2012 - 1 C 13/11 -, juris Rn. 16).
43 
A. Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt.
44 
Der anwaltlich vertretene Kläger hat im Klageschriftsatz vom 13.05.2016, bei Gericht eingegangen am selben Tag, beantragt, den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 18.04.2016 (umfassend) aufzuheben. Einen Verpflichtungsantrag bezogen auf die Neubescheidung des Antrags auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat der damalige Prozessvertreter des Klägers allerdings nicht gestellt. Aus der in diesem Schriftsatz enthaltenen vorläufigen Klagebegründung ergibt sich zudem kein Hinweis darauf, dass der Kläger nicht nur die Aufhebung der Ausweisung und der daran anknüpfenden Folgeentscheidungen, sondern auch eine Aufhebung von Ziffer 2 des Bescheids und die Neubescheidung seines Antrags auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrte. Die Begründung setzt sich vielmehr mit der Frage der Aufenthaltserlaubnis nur insoweit auseinander, als deren Ablehnung in der kurzen Sachverhaltsdarstellung erwähnt wird. Auch die weitere - wenngleich erst am 24.06.2016 und damit nach Ablauf der Klagefrist bei Gericht eingegangenen - Klagebegründung geht ausschließlich auf die Ausweisung des Klägers aus dem Bundesgebiet ein, ohne die Ablehnung des Antrags auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zu thematisieren. Der fristgerecht erhobene Anfechtungsantrag im Schriftsatz vom 13.05.2016 ist daher dahingehend auszulegen, dass sich dieser nur auf die Ziffern 1 sowie 3 bis 5 des Bescheids vom 18.04.2016 bezieht.
45 
Soweit der Kläger nunmehr in der mündlichen Verhandlung die Aufhebung (auch) von Ziffer 2 und die Neubescheidung seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, ist dieser Antrag verfristet. Wird ein Verwaltungsakt, der wie vorliegend mehrere rechtlich selbständige Regelungen enthält, zunächst nur teilweise angefochten und werden später weitere Teile der gleichen Behördenentscheidung in das anhängige Klageverfahren einbezogen, tritt für die nicht angefochtenen Teile nach dem Ablauf der Rechtsbehelfsfrist die Bestandskraft ein; sie kann durch die nachträgliche Einbeziehung in ein schon anhängiges Klageverfahren nicht mehr beseitigt werden (vgl. Meissner in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EGL Juni 2017, § 74 Rn. 43 m.w.N.).
46 
Unabhängig hiervon ist die Klage bezogen auf die Verpflichtung des Beklagten zur Neubescheidung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aber jedenfalls unbegründet. Die Ablehnung des Antrags erweist sich als rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
47 
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass kein Ausweisungsinteresse besteht. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf zudem einem Ausländer, der ausgewiesen ist, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz kein Aufenthaltstitel erteilt werden. Da die Ausweisung des Klägers rechtmäßig erfolgt ist (vgl. hierzu sogleich unter B.I.), war auch die Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtmäßig.
48 
B. Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet.
49 
I. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
50 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17.03.2016 geltenden Fassung gemäß Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11.03.2016 (BGBl. I, S. 394).
51 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 01.01.2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht hin zu einer gebundenen Entscheidung nicht mehr eingeräumt (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 22.02.2017, a.a.O., Rn. 23; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 19).
52 
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017, a.a.O., Rn. 26).
53 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1.). Vom Kläger geht nach wie vor eine sehr hohe Gefahr einer erneuten Straffälligkeit im Bereich Einreise- und Aufenthaltskriminalität aus (2.). Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie nach §§ 53 Abs. 1, 55 Abs. 2 AufenthG gegenüber (3.). Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führt zu dem Ergebnis, dass das Regierungspräsidium die Ausweisung des Klägers zu Recht verfügt hat (4.).
54 
1. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Ausreichend ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. StGB (Tanneberger, in: BeckOK AuslR, AufenthG, § 54 Rn. 11, Stand 01.08.2017; Bauer/Dollinger in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl., § 54 Rn. 8). Der Kläger erfüllt aufgrund der seit dem 28.10.2015 rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Traustein vom 20.10.2015 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten wegen gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern in fünf tatmehrheitlichen Fällen diesen Tatbestand. Unschädlich ist hierbei, dass die Einzelstrafen der jeweiligen Vorsatztaten der Gesamtfreiheitsstrafe jeweils unterhalb von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurden. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 17/12 -, juris Rn. 12; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017 – 11 S 2029/16 –, juris Rn. 40).
55 
2. Die Gefahr, dass der Kläger erneut insbesondere im Bereich der Einreise- und Aufenthaltskriminalität straffällig wird, ist sehr hoch. Sie folgt aus dem strafrechtlichen Werdegang des Klägers, der sich seit Jahren weitgehend unbeeindruckt von straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen zeigt.
56 
a) Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13/11 -, juris Rn. 18). Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind nicht allein das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat zu berücksichtigen, sondern alle Umstände des Einzelfalls einzustellen, wie etwa die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012, a.a.O., juris Rn. 12; Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 12. Aufl., § 53 Rn. 28 m.w.N.). Diese Prognoseentscheidung obliegt dem die Ausweisung überprüfenden Gericht. Es gibt im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa psychische Erkrankungen), die die Hinzuziehung eines Sachverständigen gebieten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39/15 -, juris Rn. 12 und vom 01.03.2016 - 1 B 30/16 -, juris Rn. 7).
57 
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts Traunstein beschloss der Kläger, der sich aufgrund der schweren Erkrankung seiner Tochter und der fehlenden Arbeitserlaubnis in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befand, Anfang des Jahres 2015, sich mit Schleuserfahrten ein regelmäßiges Einkommen zu verschaffen, indem er ausländische Personen, die nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnis waren, bei deren unerlaubter Einreise ins Bundesgebiet unterstützte. Er verbrachte die Personen aus Ungarn bzw. Österreich mit seinem Pkw in Kenntnis von deren fehlenden Aufenthaltserlaubnissen ins Bundesgebiet und verlangte hierbei pro Person zwischen 600,- und 700,- Euro, wobei das Geld teilweise vollständig bar bezahlt, teilweise nur als Anzahlung geleistet wurde und die Geschleusten sich verpflichteten, das Geld ratenweise später bei ihm abzubezahlen. Am 25.03.2015 gegen 0.05 Uhr reisten insgesamt 10 kosovarische bzw. afghanische Staatsangehörige, darunter vier Kinder, ohne die erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse über den ehemaligen Grenzübergang Bad Reichenhall Autobahn in das Bundesgebiet ein. Diese Personen wurden von dem Kläger mit seinem Pkw von Ungarn über Österreich ins Bundesgebiet verbracht, wo sie sich bis zu ihrer vorläufigen Festnahme kurze Zeit nach der Einreise auf der Bundesautobahn A8 in Höhe von Anger aufhielten. Für diese Fahrt hatte der Kläger von den geschleusten Personen mindestens 3.000,- Euro erhalten, 1.650,- Euro Bargeld wurden in der Folge bei ihm sichergestellt und 1.650,- Euro bei seiner Begleiterin; dieses Geld hatte der Kläger ihr - um nicht aufzufallen - vor dem Überschreiten der Grenze ausgehändigt. Zwischen dem 02. und 03.03.2015 verbrachte der Kläger sieben albanische Staatsangehörige, die sämtlich nicht im Besitz der erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse waren, über einen nicht näher bekannten Grenzübergang ins Bundesgebiet. Für diese Fahrt erhielt der Kläger 600,- Euro pro Person bzw. ließ sich - soweit sofortige Barzahlung nicht möglich war - diesen Schleuserlohn versprechen. Am 06.03.2015 reiste eine Gruppe von acht kosovarischen Staatsangehörigen, darunter vier Kinder, ohne die erforderlichen Aufenthaltserlaubnisse von Ungarn her über Österreich ins Bundesgebiet ein. Der Kläger verbrachte auch in diesem Fall die Personen mit seinem Fahrzeug über die Grenze, wobei eine sechsköpfige Familie 2.300,- Euro bezahlen musste. Wie hoch der Schleuserlohn für die restlichen Personen war, konnte nicht mehr festgestellt werden. Am 07.03.2015 verbrachte der Kläger eine Gruppe von sieben Personen, darunter albanische, kosovarische und afghanische Staatsangehörige, mit seinem Fahrzeug über einen unbekannten Grenzübergang ins Bundesgebiet. Diese Schleuserfahrt wurde von einem zweiten Schleuserfahrzeug mit weiteren acht unerlaubt einreisenden Personen begleitet; es konnte allerdings nicht festgestellt werden, dass der Kläger für diese Schleusung verantwortlich war. Allein eine fünfköpfige Familie bezahlte einen Betrag von 400,- Euro und sollte in der Folge weitere 2.300,- Euro in Raten zurückbezahlen. Die erste Schleusungsfahrt fand im Januar oder Februar 2015 statt; der Kläger verbrachte als Fahrer eines Fahrzeugs eine Gruppe von vier kosovarischen Staatsangehörigen von Ungarn kommend über Österreich ins Bundesgebiet. Einer der Geschleusten bezahlte an den Kläger 3.000,- Euro.
58 
Im Strafverfahren vor dem Landgericht Traunstein räumte der Kläger diese Taten zwar ein, was die Strafkammer strafmildernd berücksichtigte. Jedoch hat der Kläger sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hiervon wieder distanziert und geäußert, es treffe nicht zu, dass er mehrere Schleuserfahrten durchgeführt habe. Vielmehr habe er auf Anraten des Gerichts nur deshalb entsprechend dem Tatvorwurf gestanden, um eine härtere Strafe zu vermeiden. Aus der von der Kammer beigezogenen Strafakte ergeben sich jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zu einem Geständnis gedrängt worden sein könnte. Aus einem Aktenvermerk des Vorsitzenden Richters der Strafkammer in der Strafakte über ein Telefonat mit dem damaligen Strafverteidiger des Klägers vom 17.09.2015 geht im Gegenteil hervor, dass die Initiative zur Abgabe eines Geständnisses vom Kläger selbst bzw. dessen Verteidiger ausging (Strafakte 280 Js 10953/15, Bl. 470). Aus der Strafakte ergibt sich zudem, dass mehrere, angesichts des bereits zuvor angekündigten Geständnisses des Klägers in der Hauptverhandlung nicht mehr vernommene Zeugen den Kläger im Rahmen ihrer polizeilichen Vernehmung eindeutig als Fahrer des zu ihren Schleusungen jeweils genutzten Pkw identifiziert hatten (vgl. Aussagen des Zeugen S. Sh., Bl. 392ff., des Zeugen M. Z., Bl. 408ff. und des Zeugen R. H., Bl. 422), was mit ein Grund für die Abgabe des Geständnisses gewesen sein dürfte.
59 
c) Eine weitere Grundlage für die Prognose ist der Umstand, dass der Kläger bereits vor der Verurteilung durch das Landgericht Traunstein vom 20.10.2015 wegen Einreisedelikten vorbestraft war. Nachdem der Kläger mit Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 10.12.2001, bestandskräftig seit dem 29.08.2002, ausgewiesen worden war, reiste er nach den Feststellungen des Amtsgerichts Dillingen im Urteil vom 24.08.2006 am 24.06.2006 unerlaubt in die Bundesrepublik ein. Wegen dieser Sache befand sich der Kläger vom 03.07.2006 bis zum 30.01.2007 in Haft und wurde anschließend in den Kosovo abgeschoben. Die Hafterfahrung beeindruckte den Kläger offensichtlich nicht. Ausweislich des Strafbefehls des Amtsgerichts Müllheim vom 09.06.2009 und weiterem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 28.01.2010 reiste er am 20.03.2009 und 17.12.2009 erneut unerlaubt ins Bundesgebiet ein. In der beigezogenen Strafakte 280 Js 10953/15 findet sich weiter eine Mitteilung des ungarischen Verbindungsbüros, wonach der Kläger am 21.11.2011, am 26.11.2012 und am 18.12.2013 wegen unerlaubter Einreise aus Ungarn ausgewiesen worden ist. Dabei wurde er am 31.07.2012 zu einer dreimonatigen Haftstrafe verurteilt; seine Entlassung erfolgte am 26.11.2012 (Bl. 450f.). Darüber hinaus erließ das schweizerische Statthalteramt Bezirk Bülach am 17.03.2014 einen Strafbefehl gegen den Kläger, nachdem dieser am 20.02.2014 ohne das erforderliche Visum in die Schweiz eingereist war (Bl. 478ff.). Die in dem zur Schleusung genutzten Fahrzeug aufgefundenen Notizbücher mit umfangreichen Aufzeichnungen des Klägers, welche in der Strafakte 280 Js 10953/15 enthalten sind, deuten des Weiteren ebenso wie die in Italien gegen den Kläger laufenden Ermittlungen darauf hin, dass sich dieser möglicherweise in weit größerem und professionellerem Umfang als Schleuser betätigt hat, als von den deutschen Strafverfolgungsbehörden letztlich ermittelt werden konnte.
60 
d) Für die Kammer belegen die Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er auch die Zeit in der (erneuten) Haft bislang nicht genutzt hat, um sich zu seinen Straftaten tatsächlich zu bekennen und sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. Vielmehr zeichnet sich der Kläger bislang nach dem persönlichen Eindruck der Kammer in der mündlichen Verhandlung durch eine fehlende Einsicht in die eigene Verantwortung für das Geschehene und eine unterbliebene Aufarbeitung seines strafrechtlichen Verhaltens aus. Seine Angaben bleiben diesbezüglich pauschal und phrasenhaft. Diese Einschätzung wird durch die Justizvollzugsanstalt Ulm gestützt, die am 10.12.2015 in einem Vermerk über das Erstgespräch unter anderem festgehalten hat, der Kläger trete fordernd und dominant sowie die eigene strafrechtliche Verantwortlichkeit bagatellisierend auf. Anhaltspunkte für eine spätere Aufarbeitung der Taten, beispielsweise anlässlich weiterer Gespräche in der Justizvollzugsanstalt, ergeben sich aus der Gefangenenpersonalakte des Klägers nicht. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beklagte der Kläger vor allem die Situation seiner Familie, ohne sich jedoch glaubhaft und überzeugend zu seinem eigenen Fehlverhalten zu bekennen.
61 
Auch die Haltung der Strafvollstreckungskammer Ulm und des Oberlandesgerichts Stuttgart anlässlich des Antrags des Klägers auf Aussetzung des Strafrestes nach zwei Drittel verdeutlichen das Fortbestehen der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die Strafvollstreckungskammer hat im Beschluss vom 30.06.2017 ausgeführt, eine bedingte Entlassung des Klägers könne unter Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht verantwortet werden. Dabei ist die Strafvollstreckungskammer zwar von einer Auseinandersetzung des Klägers mit seinen Taten ausgegangen und hat ihm zu Gute gehalten, dass er eine Arbeitsstelle sowie eine Wohnung in Aussicht habe und über feste Bezugspersonen verfüge. Sie hat weiter festgestellt, dass es in der Justizvollzugsanstalt zu keinen Beanstandungen gekommen sei und dass der Kläger angesichts seiner familiären Situation besonders haftempfindlich sei. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits mehrfach einschlägig vorbestraft und auch hafterfahren sei. Auch wenn er zwischen 2010 und 2015 keine weiteren Straftaten begangen habe, sei er trotz zahlreicher Verurteilungen und gewährter Bewährungen erneut straffällig geworden. Die schwierige familiäre Situation habe bereits zum Zeitpunkt der letzten Tatbegehung bestanden. Das Oberlandesgericht Stuttgart vermag dem Kläger im Beschluss vom 24.08.2017 ebenfalls keine positive Prognose zu stellen. Der Senat führt insoweit aus, dass durchgreifende Zweifel daran bestünden, dass der Kläger eine Bewährungszeit tatsächlich straffrei durchstehen und Tatanreizen erfolgreich widerstehen könne. Die früheren Verurteilungen zeigten, dass die kriminelle Neigung des Klägers tief verwurzelt sei. Sie beschränke sich auch keineswegs auf Einreise- und Aufenthaltsdelikte. Der Kläger sei trotz seiner familiären Verantwortung 2015 erneut erheblich straffällig geworden. Durch die ausgesprochen kurze Rückfalldauer seit dem neuerlichen Aufenthalt im Inland habe der Kläger gezeigt, dass die früheren Maßnahmen nicht zu einem Umdenken geführt hätten. Die aktuellen Straftaten seien schwerwiegend und durch hohe kriminelle Energie gekennzeichnet. Hiervon habe sich der Kläger auch nicht durch sein schon damals bestehenden soziales Umfeld, insbesondere die Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und den Kindern, abhalten lassen. Er habe es auch in Kauf genommen, seiner Lebensgefährtin als Unterstützung für die Pflege der behinderten Tochter nicht mehr zur Verfügung stehen zu können. Auch habe er zum Zeitpunkt jedenfalls der letzten Schleuserfahrt bereits eine konkrete Aussicht auf eine legale Einkommensquelle ab April 2015 gehabt und trotzdem die Fahrt durchgeführt. Daher führe auch die Feststellung im Urteil des Landgerichts Traunstein, Motiv sei die Finanzierung von Pflegeleistungen und medizinischen Behandlungen für die Tochter gewesen, nicht zu einer geänderten prognostischen Beurteilung der kriminellen Neigung des Klägers. Zudem werde gegen den Kläger in Italien ein Strafverfahren wegen einer vergleichbaren Tat betrieben. Dieses Strafverfahren stehe ebenfalls der Feststellung einer positiven Prognose deutlich entgegen und liefere einen Anhaltspunkt dafür, dass die kriminellen Aktivitäten des Klägers ein größeres Ausmaß gehabt hätten und von internationaler Tragweite gewesen seien. Die Verwendung dieser Umstände sei im Rahmen der Prognoseentscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB möglich und zulässig und verstoße insbesondere nicht gegen die Unschuldsvermutung. Nicht zuletzt bestehe beim Kläger u.a. angesichts des Auslieferungsverlangens der Italienischen Republik eine vollkommen ungewisse Zukunftsperspektive.
62 
Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer an. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht - der Kläger ist nach wie vor verschuldet - sondern auch mit Blick auf seine persönliche Situation lassen sich keine belastbaren stabilisierenden Faktoren erkennen. Die mit dem Urteil des Amtsgerichts Müllheim vom 09.06.2009 und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Regensburg vom 28.01.2010 abgeurteilten Taten hat der Kläger nach der Geburt seiner Tochter V. begangen. Bei den im Jahr 2015 begangenen Straftaten lebte er bereits in familiärer Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und den beiden Kindern. Es sind somit trotz entsprechender Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung keine objektiven Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die familiären Beziehungen des Klägers diesen künftig von der Begehung weiterer Straftaten abhalten könnten.
63 
Die Tatsache, dass der Strafvollzug des Klägers entsprechend den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt beanstandungsfrei verläuft, relativiert die Gefahrenprognose angesichts des erheblichen Gewichts der zu Lasten des Klägers zu würdigenden Umstände nicht.
64 
3. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gegenüber.
65 
Nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG wiegt das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG insbesondere schwer, wenn der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt. Gleiches gilt nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG, wenn die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind bzw. ist.
66 
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, kurz nach dem positiven Vaterschaftstests gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin das Sorgerecht für V. erhalten zu haben. Diese Aussage wurde durch seine Lebensgefährtin bestätigt. Aus einem Aktenvermerk des Regierungspräsidiums Tübingen vom 17.03.2016 (Band III der Akten, AS 36) ergibt sich jedoch, dass der Kläger nach Erkenntnissen des Jugendamts der Stadt Ulm jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt kein Sorgerecht hatte. Entgegen der Annahme des Klägers ergibt sich auch aus der Geburtsurkunde seiner Tochter, in der er als Vater eingetragen ist, und aus der Urkunde über die Zustimmung der Kindsmutter zur Vaterschaftsanerkennung vom 28.06.2010 kein Sorgerecht des Klägers für V.; vielmehr weisen diese Dokumente lediglich seine Vaterschaft nach. Unabhängig hiervon übt der Kläger aber regelmäßigen Umgang mit seiner Tochter aus, so dass der Tatbestand des § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG erfüllt ist. Darüber hinaus sind nach § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG das Wohl und die Belange sowohl V.s als auch Vl.s, für die der Kläger ebenfalls die Vaterrolle übernommen hat, zu berücksichtigen.
67 
4. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet.
68 
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für eine Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17.03.2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, juris Rn. 41f.) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.01.2016, a.a.O., Rn. 141 ff.; Beschluss vom 11.04.2016, a.a.O., Rn. 29 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.05.2016 - 18 A 610/14 -, juris Rn. 76f.). Bei der erforderlichen Gesamtabwägung sind zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zudem ergänzend die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK hierzu entwickelten Kriterien heranzuziehen (vgl. zu den sog. „BoultifÜner-Kriterien“ insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, beide juris; ausführlich auch: Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., Vorb. §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95ff.; Fischer, HTK-AuslR/Ausweisungsschutz nach Art. 8 EMRK).
69 
Hiervon ausgehend ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er in den Jahren von 1994 bis jedenfalls 2007 und wieder ab Ende 2013 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hatte und sich bis zu seiner ersten Ausweisung im Jahr 2001 legal im Bundesgebiet aufgehalten hat. Er hat zwar keinen im Bundesgebiet allgemein anerkannten Bildungs- bzw. Berufsabschluss, ist hier jedoch immer wieder erwerbstätig gewesen. Der Kläger spricht - wovon sich die Kammer in der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können - ein alltagstaugliches Deutsch.
70 
Von besonderer Bedeutung sind die familiären Bindungen des Klägers. Wie insbesondere aus seinen Erklärungen in der mündlichen Verhandlung und auch den Berichten der Justizvollzugsanstalt sowie der Lebensgefährtin des Klägers deutlich geworden ist, ist sein Verhältnis zu seiner Tochter V. und seiner Stieftochter Vl. von einer wechselseitigen innigen emotionalen Beziehung geprägt.
71 
Der Kläger nimmt - auch unter den erschwerten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs - aktiv am Leben der Kinder teil. Seine Lebensgefährtin schöpft mit den Kindern die in der Vollzugsanstalt zulässigen Besuche aus, es finden auch regelmäßige Telefonate statt. Der Kläger nutzt mit seinen Töchtern zudem das Vater-Kind-Projekt der Justizvollzugsanstalt, welches ihnen ermöglicht, mehr Zeit als bei einem Regelbesuch üblich miteinander zu verbringen. Die beiden Töchter haben ein außerordentlich hohes Interesse daran, dass der Kläger im Bundesgebiet verbleibt. Dem Kläger kommt das Recht und die Aufgabe zu, als Vater für seine Kinder - auch emotional - zu sorgen.
72 
Dabei ist insbesondere die Situation der Tochter V. in den Blickt zu nehmen. Diese leidet ausweislich des in der Ausländerakte der Stadt Ulm befindlichen Bescheids des Landratsamts Alb-Donau-Kreis vom 10.01.2013 an einer psychomotorische Entwicklungsstörung, einer beidseitigen Hüftdysplasie sowie einer beidseitigen Sehminderung. Der Grad ihrer Behinderung liegt bei 100. Die St. Lukas-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie beschreibt V. in ihren Berichten vom 21.07.2017 und vom 07.08.2017 als schwerst mehrfachbehindertes Mädchen mit hohem Unterstützungsbedarf. Als Diagnosen werden u.a. eine tiefgreifende Entwicklungsstörung auf dem Boden einer frühkindlichen hirnorganischen Schädigung, Entwicklungsrückstände von Motorik und Sprache, eine spastische, diplegische Zerebralparese, Epilepsie mit generalisierten Anfällen (aktuell Anfallsfreiheit seit zwei Jahren) und Adipositas benannt. Zusätzlich zu ihrer schweren Entwicklungsstörung hätten sich in den letzten zweieinhalb Jahren massive Verhaltensauffälligkeiten bei V. gezeigt. Vor allem unter Anspannung reagiere V. mit Schreien, auto- und fremdaggressivem Verhalten. Zudem habe man bei V. ein großes Bedürfnis nach Ruhe und eine im Verlauf zunehmende Anspannung in unruhigen Situationen erlebt. Der Beginn dieser Verhaltensauffälligkeiten stehe (nach Schilderung der Kindsmutter) in zeitlichem Zusammenhang mit der Inhaftierung des Klägers. Aufgrund häufiger Infekte habe V. in den vergangenen Monaten nur wenige, vereinzelte Tage die Schule besuchen können und sei ansonsten jeden Tag rund um die Uhr zu Hause von der Mutter betreut worden. Unterstützung im Sinne einer Pflegekraft oder einer pädagogischen Familienhilfe bestehe bislang keine. Auch erfolge keine, aus Sicht der Klinik dringend notwendige Förderung des Kindes. Laut Schulbericht könne V. mit kurzen Unterbrechungen bis zu 20 Minuten konzentriert und aktiv mitarbeiten. Nach dem Klinischen Interview zur Erfassung des emotionalen Befundes habe sich V. für die meisten Bereiche zwischen Ebene 1 (Symbiose, 0-6 Monate) und Ebene 2 (Bindung, 6-18 Monate) befunden. Bei der Interpretation dieses Ergebnisses und den damit verbundenen Bedürfnissen müsse jedoch berücksichtigt werden, dass bei V. eine eindrückliche autistische Störung bestehe. V. habe von sich aus wenig Bezug zu anderen Personen aufgenommen und habe nur ein begrenztes Interesse an sozialer Gegenseitigkeit. Sie habe Schwierigkeiten gehabt, die Nähe anderer Personen auszuhalten und reagiere v.a. in (Versorgungs-)Situationen, die Nähe notwendig machten, angespannt und aggressiv. Während der regelmäßigen Besuche auf der Station habe zwischen Mutter und Tochter eine deutliche Interaktionsproblematik beobachtet werden können. Zudem sei beobachtet worden, dass durch den Umgang der Mutter mit V. verschiedene Verhaltensauffälligkeiten verstärkt bzw. aufrechterhalten worden seien. Zusammenfassend werde u.a. empfohlen, dass die Kindsmutter mehr Wissen über V.s Störung erfahre und Anleitung im Umgang mit den autistischen Verhaltensauffälligkeiten bekomme. Dazu und um die beobachteten maladaptiven Verhaltensmuster zwischen Mutter und Tochter aufzulösen, werde eine fachkompetente, sozialpädagogische Familienhilfe empfohlen. Daneben empfehle die Klinik ein regelmäßiges physiotherapeutisches Angebot unabhängig vom Schulbesuch sowie eine häusliche Kinderkrankenpflege. Wünschenswert sei vor dem Hintergrund von beginnenden Verhaltensauffälligkeiten Vl.s zudem die Installierung einer stundenweisen Fremdbetreuung für V. zu Hause durch familienunterstützende Dienste oder häusliche Krankenpflege, damit die Mutter Zeit mit ihrer zweiten Tochter verbringen könne. Auch sei ein regelmäßiges heilpädagogisches Angebot für Vl. vorstellbar. In den Schulferien könnten sowohl V. als auch die Familie von der Inanspruchnahme einer Kurzzeitpflege profitieren. Da zur Beziehung zwischen V. und dem Kläger keine Aussagen aus eigener Erfahrung gemacht werden könnten, könnten hier keine klaren Empfehlungen ausgesprochen werden. Möglicherweise könne die Anwesenheit des Klägers und dessen aktive Mithilfe bei der Versorgung V.s eine Entlastung für die Kindsmutter sein und damit die Interaktionsproblematik zwischen Mutter und Tochter entspannen. Ausweislich eines Attest des behandelnden Kinderarztes vom 12.01.2018 ist die Lebensgefährtin des Klägers nach wie vor mit der Situation überfordert. Vom Jugendamt und einer mobilen Pflege wolle sie sich aus Stolz nach wie vor nicht unterstützen lassen. Nach dem stationären Aufenthalt in der St. Lukas-Klinik und besserer Einstellung der Medikation habe sich der Kindsmutter zufolge V.s Verhalten und der Umgang mit ihr etwas verbessert. V. könne jetzt fast regelmäßig die Behindertenschule besuchen. Dadurch habe sich auch die Situation für Vl. verbessert. Nach wie vor wäre die Abschiebung des Klägers der Mutter zufolge für die Familie aber die „absolute Katastrophe“.
73 
Im Hinblick auf die familiäre Lebensgemeinschaft haben gleichermaßen auch die Lebensgefährtin des Klägers und er selbst ein sehr hohes Interesse an einem Verbleib des Klägers in der Bundesrepublik. Seine Ausweisung - zumal sie zu seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern führt - ist vor diesem Hintergrund ein erheblicher Eingriff in das auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
74 
Zu Lasten des Klägers ist die Schwere der begangenen Straftaten, deren Aburteilung zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der bereits oben festgestellten sehr hohen Wiederholungsgefahr fällt auch seine fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Rechtstreue ins Gewicht. Hierbei ist schließlich auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger - ohne dass dies letztlich durch die Kammer überprüft werden konnte - eigenen Angaben zufolge über mehrere Jahre hinweg illegal in der Bundesrepublik aufgehalten haben will. Sollten diese sehr unvermittelt und emotional gemachten Angaben gegen Ende der mündlichen Verhandlung tatsächlich nicht der Wahrheit entsprechen, weil nämlich der Kläger hiermit lediglich den Stellenwert seines familiären Engagements hat stärken wollen, so träte hierdurch gleichwohl zutage, dass der Kläger zur Durchsetzung eigener Interessen auch bereit ist, die Tatsachen zu seinen Gunsten zu verdrehen und ohne weitere Skrupel vor Gericht die Unwahrheit zu sagen.
75 
Die Gesamtabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt vorliegend auch unter Berücksichtigung des sehr hohen Gewichts der familiären Bindungen und der besonderen Bedürfnisse der Tochter V. zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
76 
Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich - neben Straßenverkehrsdelikten und Körperverletzungen - maßgeblich um gewerbsmäßig begangenes Einschleusen von Ausländern in einer erheblichen Zahl von Fällen. Schleuserkriminalität ist dabei als extrem sozialschädlich einzustufen (vgl. auch VG Sigmaringen, Urteil vom 22.02.2000 - 2 K 1662/98 -, juris Rn. 18, 21). Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger sich aus für sein Leben atypischen Situationen, etwa einer einmalig erlebten finanziellen Bedrängnis, zu solchen Taten hat hinreißen lassen. Dies gilt umso mehr, als die behandelnden Ärzte die vom Kläger angeblich angestrebte Operation der Tochter in der Schweiz nach dessen eigener Aussage nicht befürwortet haben und er zudem eine legale Erwerbsmöglichkeit konkret in Aussicht hatte. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass der Kläger der geltenden (Strafrechts-)Ordnung ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet keine Bedeutung beimisst, sondern allein so agiert, wie es ihm vorteilhaft erscheint. Hierbei ist er bereit, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle die Notlage anderer Menschen in äußerst prekärer Fluchtsituation auszunutzen und diese hierbei - beispielsweise durch unzureichende Sicherung im Transportfahrzeug (vgl. Strafakte 280 Js 10953/15, Bl. 19) - auch zu gefährden.
77 
Die vom Kläger ausgehende sehr hohe Wiederholungsgefahr (siehe oben I.2.) von Einreise- und Aufenthaltskriminalität rechtfertigt die durch die Ausweisung herbeigeführte Trennung von seinen Familienmitgliedern.
78 
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gravierende Gefahr neuer Straftaten des Klägers hingenommen werden müsste, weil sein Verbleib für die Kinder bzw. das Kindeswohl von überragender, gegebenenfalls existenzieller Bedeutung wäre. Das Leben der Tochter V. und der Stieftochter Vl. ist durch die Inhaftierung des Klägers davon geprägt, dass sie ihren Vater im Alltag schon seit längerer Zeit nicht um sich haben. Jedenfalls seinen bisherigen Schilderungen zufolge hat der Kläger auch erst seit Ende 2013 mit V. und Vl. in familiärer Lebensgemeinschaft gelebt; ihr Zusammenwohnen beschränkte sich dabei auf den Zeitraum bis zur Verhaftung des Klägers am 25.03.2015. Dabei kann der Kläger entgegen seiner eigenen Darstellung jedenfalls in den ersten Monaten des Jahres 2015 nicht (mehr) hauptverantwortlich für die tägliche Betreuung speziell der Tochter V. gewesen sein, da er in diesem Zeitraum nachweislich Schleuserfahrten durchgeführt und sich auch im Ausland aufgehalten hat. In den Jahren nach V.s Geburt bestand nach eigenen Angaben des Klägers Kontakt über Besuche der Familie bei ihm im Kosovo und Telefongespräche. Soweit der Kläger nunmehr gegen Ende der mündlichen Verhandlung unvermittelt - und bezeichnenderweise nachdem seine Lebensgefährtin gemeinsam mit den Kindern die Verhandlung verlassen hatte und nicht mehr ergänzend hierzu befragt werden konnte - vorgetragen hat, sich nahezu in den gesamten Jahren seit der Vaterschaftsanerkennung illegal in Deutschland aufgehalten und sich intensiv um V. gekümmert zu haben, steht dies in diametralem Widerspruch zum bisherigen Vortrag und kann von der Kammer mangels objektiver Anhaltspunkte nicht nachvollzogen werden.
79 
Zwar ist bei einem Aufenthalt des Klägers im Kosovo die Aufrechterhaltung von familiären Beziehungen und Kontakten gegenüber der derzeitigen Situation deutlich erschwert, unmöglich ist dies jedoch auch mit Blick auf V.s Behinderung und das Alter der beiden Mädchen nicht. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass V. nach den vorliegenden Arztberichten, den Schilderungen der Familie und dem persönlichen Eindruck, der in der mündlichen Verhandlung von dem Mädchen gewonnen werden konnte, nicht in der Lage ist, ein Gespräch am Telefon zu führen. Gleichwohl haben beide Eltern dem Gericht übereinstimmend geschildert, dass V. auch derzeit mehrmals täglich mit dem Kläger telefoniere, diesen am Telefon erkenne und sich hör- und sichtbar über den Kontakt freue. Vor diesem Hintergrund ist auch eine Kontaktaufnahme über Bildtelefonate mittels Internet durchaus vorstellbar und geeignet, die Beziehung des Klägers zu V. und Vl. für den Zeitraum der räumlichen Trennung aufrechtzuerhalten. Hinzu kommt, dass der Kläger die Möglichkeit hat, für Besuche bei seiner Familie eine Betretenserlaubnis zu beantragen. Der glaubhaft geschilderten Überlastungssituation der Lebensgefährtin des Klägers kann aus Sicht der Kammer primär durch die Inanspruchnahme der ärztlich bereits mehrfach und nachdrücklich empfohlenen Unterstützungs- und Hilfsangebote begegnet werden. Wie sich nach ärztlicher Darstellung durch den nun regelmäßigeren Schulbesuch V.s bereits ansatzweise gezeigt hat, kann hierdurch insbesondere auch sichergestellt werden, dass die Tochter Vl. mehr Zuwendung und Aufmerksamkeit durch ihre Mutter erfährt. Hinzu kommt, dass durch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (siehe nachfolgend II.) und der Möglichkeit für den Kläger, danach zu seinen Kindern zurückzukehren, die Trennung perspektivisch begrenzt ist. Für den Fall, dass sich V.s Zustand und damit einhergehend die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der Vater-Tochter-Beziehung über die räumliche Distanz hinweg maßgeblich verändert, bleibt es dem Kläger zudem unbenommen, einen Antrag auf Aufhebung bzw. Verkürzung des Einreise - und Aufenthaltsverbots zu stellen.
80 
Soweit der Prozessvertreter der Klägers vorgetragen hat, die familiäre Einheit könne nur im Bundesgebiet gelebt werden, andernfalls komme es im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit Vl.s zu einem Verstoß gegen Art. 20 AEUV, vermag die Kammer diese Einschätzung nicht zu teilen.
81 
Ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen ist aus der Unionsbürgerschaft (s)eines minderjährigen Kindes grundsätzlich nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urteile vom 08.03.2011 - Rs. C-34/09, Ruiz Zambrano, juris Rn. 43 und 44; vom 15.11.2011 - Rs. C-256/11, Dereci u. a., juris Rn. 66 und 67; vom 08.11.2012 - Rs. C-40/11, Iida, juris Rn. 7; vom 08.05.2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga u. a., juris Rn. 36 und vom 10.10.2013 - Rs. C-86/12, Alokpa und Moudoulou, juris Rn. 32). Lebt das Kind hingegen mit einem weiteren sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen zusammen, der über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit hat, so spricht dies dagegen, dass eine aufenthaltsrechtliche Maßnahme gegen den anderen Drittstaatsangehörigen einen unionsrechtswidrigen Zwang zur Ausreise auslösen könnte. Lebt der schutzbedürftige minderjährige Unionsbürger - wie Vl. - in einer "Patchwork-Familie", so sind die sich aus den Besonderheiten dieser familiären Lebensgemeinschaft ergebenden Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob zwischen dem Drittstaatsangehörigen und dem minderjährigen Unionsbürger eine biologische Beziehung besteht; maßgeblich ist vielmehr, ob der Unionsbürger von dem Drittstaatsangehörigen in finanzieller, rechtlicher oder affektiver Hinsicht abhängig ist. Auch ist es von erheblicher Bedeutung, ob ein faktischer Zwang zur Ausreise den minderjährigen Unionsbürger an der Fortführung eines bestehenden Kontakts zu einem leiblichen Vater oder einer leiblichen Mutter hindert, der bzw. die außerhalb der "Patchwork-Familie" lebt. Schließlich ist zu berücksichtigten, wer das Sorgerecht für den minderjährigen Unionsbürger innehat und ausübt (vgl. EuGH, Urteil vom 06.12.2012 - Rs. C-356/11, O. und S., juris Rn. 50ff.; BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 15/12 -, juris Rn. 31ff. bezogen auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels).Selbst wenn der minderjährige Unionsbürger infolge einer Ausweisung des Drittstaatsangehörigen faktisch gezwungen wäre, das Unionsgebiet zu verlassen, kann diese jedoch unter außergewöhnlichen Umständen dennoch erfolgen, sofern die Ausweisung auf dem persönlichen Verhalten des Drittstaatsangehörigen beruht, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft des jeweiligen Mitgliedstaats berührt (vgl. EuGH, Urteil vom 13.09.2016 - Rs. C-304/14, CS, juris Rn. 36ff.).
82 
Im konkreten Fall ist Vl. bereits nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Vielmehr kann sie zusammen mit ihrer allein sorgeberechtigten Mutter, die über eine bis zum 04.02.2021 befristete Aufenthaltserlaubnis verfügt, die jedenfalls wegen ihrer Anknüpfung an die Minderjährigkeit Vl.s einem Daueraufenthaltsrecht gleichkommt, und ihrer Schwester V. in Deutschland bleiben. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten (vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 34 -; Bayerischer VGH, Beschluss vom 22.11.2016 - 10 CS 16.2215 -, juris Rn. 7).
83 
Da der Kläger bis zum Alter von 22 Jahren im Kosovo gelebt, sich auch danach jedenfalls zeitweise erneut im Kosovo aufgehalten hat und Kosovarisch spricht, steht zu erwarten, dass er sich dort zurechtfinden wird. Dies gilt umso mehr, als er über eine Anlaufstelle bei seinen im Kosovo lebenden Familienangehörigen verfügt.
84 
II. Bedenken ergeben sich schließlich auch nicht hinsichtlich der Befristung der Sperrwirkung der Ausweisung auf drei Jahre (bzw. fünf Jahre im Fall des fehlenden Nachweises der Straffreiheit) ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Ziffer 4 des Bescheids vom 18.04.2016) und der Wirkungen einer möglichen Abschiebung auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise (Ziffer 5 des Bescheids).
85 
1. Der Kläger hat eine - logisch vorrangige - (hilfsweise) Verpflichtung des Beklagten, über die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, nicht beantragt. Für einen solchen Antrag gibt es auch keine Veranlassung. Der Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung hierzu keine Entscheidung getroffen; dies ist nicht zu beanstanden.
86 
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung unter I. ergibt sich jedoch, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, deren Abwehr das Einreise- und Aufenthaltsverbot dient, fortbesteht und das öffentliche Interesse an der Ausreise schutzwürdige Belange des Ausländers überwiegt. Erweist sich eine Ausweisung als rechtmäßig, ist es nach den hierfür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen, dass zum gleichen Zeitpunkt, der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblich ist, Anlass für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu diesem Zeitpunkt bestehen könnte. Würde sich eine Ausweisung hingegen als rechtswidrig erweisen, beispielsweise wegen einer nach Erlass der Verfügung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage, wäre sie mit Wirkung ex tunc aufzuheben, so dass ebenfalls kein Raum für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass seit der zum 01.08.2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung bedarf, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 15), hatte für die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall kein Grund für eine solche Ermessensentscheidung bestanden. Im Übrigen liegt der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots - anders als der Befristung - keine Prognose zugrunde, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017, a.a.O., Rn. 67).
87 
2. Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 19 ff. und - 1 C 3/16 -, Rn. 65f.). Nach § 11 Abs. 3 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Diese Frist soll zehn Jahre nicht überschreiten.
88 
Für die Festsetzung der allein unter präventiven Gesichtspunkten zu ermittelnden Frist sind das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und gegebenenfalls relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 23ff. und - 1 C 3/16 -, Rn. 66).
89 
Davon ausgehend ist die Befristung auf drei Jahre vorliegend nicht zu beanstanden. Insbesondere wurde die Länge der Frist in zwei deutlich voneinander zu trennenden Schritten ermittelt: So wurde die Sperrfrist angesichts der begangenen Straftaten sowie der erheblichen konkreten Wiederholungsgefahr zunächst auf sechs Jahre festgesetzt, angesichts der durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK geschützten familiären Bindungen des Klägers und der schweren Behinderung seiner Tochter in einem zweiten Schritt jedoch auf drei Jahre verkürzt. Diese Erwägungen tragen die vorliegende Befristungsentscheidung. Der Kläger wurde auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen; wie ausgeführt liegt eine sehr hohe Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten vor. Es sind insbesondere auch nach Erlass der Verfügung keine weiteren Änderungen tatsächlicher Art eingetreten, die zu Gunsten des Klägers wirken und Anlass für neue bzw. ergänzende Ermessenserwägungen des Beklagten sein könnten. Sollte dies künftig der Fall sein, beispielsweise im Fall einer Verschlechterung von V.s Gesundheitszustand, steht es dem Kläger jederzeit offen, einen Antrag auf Aufhebung oder Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu stellen. Auch hinsichtlich der Bedingung der Straffreiheit im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 4 AufenthG bestehen keine rechtlichen Bedenken.
90 
Das Gericht weist in diesem Zusammenhang abschließend darauf hin, dass das Regierungspräsidium Tübingen auch für den Fall einer strafrechtlichen Verurteilung des Klägers in Italien gegebenenfalls eine Aufhebung bzw. Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erwägen haben wird. Nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 23.11.2016 ist die Auslieferung des Klägers nur mit der Maßgabe zulässig, dass die Italienische Republik ihm nach (möglicher) Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder sonstiger Sanktionen anzubieten hat, ihn auf seinen Wunsch zur Strafvollstreckung in die Bundesrepublik zurück zu überstellen. Dieser Gesichtspunkt wird maßgeblich im Rahmen einer künftigen Entscheidung über das Einreise- und Aufenthaltsverbot zu berücksichtigen sein.
91 
3. Auch die Befristung der Wirkungen einer möglichen Abschiebung auf zwei Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
92 
Soweit ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das an eine Abschiebung anknüpft, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gemäß der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie (ABl. L 348 S. 98) - allein aufgrund einer gesetzgeberischen Entscheidung nicht wirksam eintreten kann, sondern es dafür vielmehr einer behördlichen Entscheidung bedarf, ist diese in unionsrechtskonformer Auslegung des Aufenthaltsgesetzes in der behördlichen Befristungsentscheidung gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG zu sehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.07.2017 - 1 VR 3/17 - juris Rn. 71f.).
93 
III. Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
94 
Der Kläger war im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung bereits aufgrund des Ablaufs des ihm erteilten Visums und der Betretenserlaubnis zum 03.06.2014 vollziehbar ausreisepflichtig (vgl. Beschluss der Kammer vom 16.02.2017 - 7 K 2884/16 -).
95 
Die dem Kläger für den Fall, dass eine Abschiebung bis zum Haftende nicht erfolgen kann, gesetzte Frist von einem Monat ist auszulegen als 31 Tage (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19/11 -, juris Rn. 44).
96 
Die Androhung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise beruht auf § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG. Danach bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, das heißt unter anderem dann, wenn der Ausländer sich - wie hier - auf richterliche Anordnung in Haft befindet, keiner Setzung einer Ausreisefrist. Die Ausreisefrist dient dazu, eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise vermeiden zu können. Sie bezweckt ferner, dem Ausländer zu ermöglichen, seine Lebensverhältnisse in Deutschland abwickeln und gegebenenfalls ein Rechtsschutzverfahren betreiben zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1997 - 1 C 14/96 -, juris Rn. 15). Ausgehend hiervon wird § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als ein - gegenüber § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - spezieller Fall angesehen, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (so Bayrischer VGH, Beschluss vom 12.12.2016 - 10 C 16.2176 -, juris Rn. 8). Mit der Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll, wird der Ausländer in Haftfällen in die Lage versetzt, seine persönlichen, familiären, wirtschaftlichen und beruflichen Angelegenheiten zu ordnen und abwickeln oder hierfür vorbereiten zu können, bevor er abgeschoben wird (Bauer/Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl., § 59 Rn. 30). Eine solche Konkretisierung des Zeitpunkts der Abschiebung ist im vorliegenden Fall noch nicht erfolgt.
97 
Weiter steht es im vorliegenden Fall mit der Rückführungsrichtlinie im Einklang, dass dem Kläger auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht eingeräumt wird.
98 
Zwar ist § 59 Abs. 5 AufenthG nicht bereits deshalb mit Unionsrecht in Einklang zu bringen, weil die Bundesrepublik insoweit von der Möglichkeit des „Opt-Out“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) Rückführungsrichtlinie Gebrauch gemacht hätte (vgl. hierzu ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017, a.a.O., Rn. 82ff.). Die Kammer hält insoweit nicht mehr an ihrer gegenteiligen Auffassung fest (vgl. anders noch Urteil vom 22.03.2017 - 7 K 2395/16 -).
99 
Aufgrund der vom Kläger im vorliegenden Fall ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrt das in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorgesehene Absehen von einer Frist für die freiwillige Ausreise aber die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie. Nach Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - Rs. C-554/13 - Z. Zh. und I. O. -, juris Rn. 60). Hierzu bedarf es einer individuellen Prüfung des Einzelfalls; eine Gefahr für die öffentliche Ordnung kann nicht allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)Haft befindet (vgl. EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 70 ff.; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.08.2016 - 11 S 1660/16 - InfAuslR 2016, 421 und Urteil vom 29.03.2017, a.a.O., Rn. 92 m.w.N.). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Union erfordert der Rückgriff auf die in Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie vorgesehene Möglichkeit, gar keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, keine erneute Prüfung der Kriterien, die bereits geprüft wurden, um das Bestehen dieser Gefahr festzustellen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 73). Im vorliegenden Fall tragen die für die Ausweisung maßgeblichen Gründe zugleich die Annahme einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies erschließt sich aus den Ausführungen oben unter I.
100 
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Gericht sieht in Anwendung von § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
101 
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (vgl. § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO).

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 8


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(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer 1. eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,2. eine Aufenthaltserlaubnis besitzt

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(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung

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Tatbestand 1 Der 1973 geborene Kläger ist syrisch-orthodoxer Christ türkischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Alter von sechs Jahren in die Bundesrepublik Deutschland

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 04. Okt. 2012 - 1 C 13/11

bei uns veröffentlicht am 04.10.2012

Tatbestand 1 Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

Bundesverwaltungsgericht Urteil, 10. Juli 2012 - 1 C 19/11

bei uns veröffentlicht am 10.07.2012

Tatbestand 1 Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 07. Dez. 2011 - 11 S 897/11

bei uns veröffentlicht am 07.12.2011

Tenor Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - ist unwirksam, soweit dami

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

Tatbestand

1

Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Der Kläger wuchs bei seinen Eltern im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Förderschule und im Anschluss daran das Berufsgrundschuljahr, das er ohne Abschluss beendete. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete jeweils nur für kurze Zeiträume, war überwiegend arbeitslos. Ihm wurden mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt bis zum 20. Oktober 1999. Sein Verlängerungsantrag vom 12. Oktober 1999 wurde nicht mehr beschieden.

3

Der unverheiratete und kinderlose Kläger ist drogenabhängig. Er konsumierte nach eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr zunächst Haschisch und seit seinem sechzehnten Lebensjahr Heroin. Seit mehr als 20 Jahren ist er immer wieder straffällig geworden, überwiegend wegen Drogen- und Eigentumsdelikten. Er verbrachte viele Jahre in Strafhaft und begann mehrfach Drogentherapien, allerdings ohne Erfolg. Im Juni 2007 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wofür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verhängt wurde.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 16. September 2008 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des Klägers sei nach Ermessen zu entscheiden, weil er als Kind türkischer Arbeitnehmer ein aus dem Assoziationsratsbeschluss ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Zudem genieße er aufgrund seiner Geburt in Deutschland besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Sein in den begangenen Straftaten zum Ausdruck gekommenes Verhalten stelle eine hinreichend schwere Gefährdung dar. Er sei in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich dabei weder durch strafrechtliche Verurteilungen noch durch ausländerbehördliche Ermahnungen und Hinweise auf die Konsequenzen erneuten strafbaren Verhaltens von der Verübung weiterer Taten abhalten lassen. Zudem habe er in den letzten Jahren keine ernsthaften Bemühungen unternommen, um von seinem Drogenkonsum loszukommen.

5

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ausweisungsbescheid gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hält die Ausweisung auch ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für formell rechtmäßig, weil trotz der Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Richtlinie 64/221/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar sei. Wegen der fortbestehenden Gefahr der Betäubungsmittelkriminalität des Klägers sei die Ausweisung auch materiell rechtmäßig nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger habe neben dem Besitz sog. harter Drogen auch mit Heroin gehandelt, um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren. Von ihm gehe die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus. Er habe seit nunmehr über 22 Jahren immer wieder Straftaten begangen und sich davon durch Ermahnungen, Verurteilungen, Strafhaft und Anhörungen zur drohenden Ausweisung nicht abhalten lassen. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht zu beanstanden, dass der Kläger sein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe und hier seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister lebten. Die Ausweisung sei trotz Fehlens einer Befristung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar.

6

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er die Befristung ihrer Wirkungen auf maximal vier Jahre. Er begründet dies im Wesentlichen damit, die Ausweisung sei formell rechtswidrig, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Das verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 in der Sache Ziebell stehe dem nicht entgegen, denn es beziehe sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Ausweisung. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens verstoße zudem gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80. Die Fortgeltung der Verfahrensgarantien für türkische Staatsangehörige, die eine geschützte Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht besitzen, verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 12. September 1963, denn freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige hätten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch deshalb, weil es eine unbefristete Ausweisung bestätige. Das verstoße gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausländer, die aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen werden, grundsätzlich von der in der Richtlinie vorgegebenen Höchstfrist von fünf Jahren für die zu verhängende Einreisesperre auszunehmen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat sie mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers, befristet. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hält allenfalls eine Befristung von maximal vier Jahren für zulässig.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von weniger als sieben Jahren zu befristen (2.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

10

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80.

11

1.1 Der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Bundesgebiet bei seinen Eltern aufgewachsen, sein Vater war mindestens von 1969 bis 1990 türkischer Arbeitnehmer. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.

12

1.2 Der Kläger begeht seit vielen Jahren regelmäßig Drogenstraftaten, die ihre Ursache in seiner Drogenabhängigkeit haben. Dazu zählen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts neben Straftaten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auch solche des unerlaubten Handeltreibens mit Heroin (in zwei Fällen) und der unerlaubten Abgabe von Heroin (in einem Fall). Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die unerlaubte Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

13

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Die meisten der von ihm begangenen Drogenstraftaten beschränken sich zwar auf den unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum. Der Kläger hat sich aber auch am unerlaubten Handel und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte beteiligt, wobei es sich bei der gehandelten bzw. abgegebenen Droge überwiegend um das besonders gefährliche Heroin handelte.

14

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens sowohl im Bereich der Beschaffungskriminalität als auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bejaht. Seine Prognose hat das Berufungsgericht aus dem Fehlen einer grundlegenden Verhaltensänderung des Klägers abgeleitet, insbesondere aus dem Fehlen nachhaltiger Bemühungen, sich durch geeignete Therapiemaßnahmen aus der Betäubungsmittelabhängigkeit zu lösen. Die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten der beschriebenen Art stellt - wie ausgeführt - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Senat - nachdem der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen.

15

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt. Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine erwachsenen Geschwister berücksichtigt. Bei der Bewertung der Integration des Klägers in Deutschland war für das Berufungsgericht von Bedeutung, dass er hier keinen Schulabschluss erzielte, keine Berufsausbildung absolviert hat und einer Berufstätigkeit allenfalls kurzzeitig nachgegangen ist. Für die Möglichkeit eines Lebens in der Türkei spielte für das Gericht eine Rolle, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen über türkische Sprachkenntnisse verfügt und mit den Gepflogenheiten in der Türkei vertraut ist, was sich auch darin zeige, dass er in der Vergangenheit versucht habe, eine türkischsprachige Therapieeinrichtung zu finden, in der auf seine Suchtproblematik unter Berücksichtigung seiner kulturellen Herkunft eingegangen werden könne. Zudem lebten in der Türkei ihm bekannte Personen, die ihm jedenfalls in der ersten Zeit der Eingewöhnung zur Seite stehen könnten. Die unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffene Wertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger eine Ausreise in die Türkei zuzumuten sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

16

1.5 Die Ermessensausübung der Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 16. September 2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Sie erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich die Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe.

17

1.6 Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden.

18

Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 16. September 2008 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

19

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Das hat der Senat in dem mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteil vom 13. Dezember 2012 (BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 29 f.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.

20

Im Übrigen trifft die vom Kläger in der Revisionsbegründung vertretene Auffassung nicht zu, eine verfahrensmäßige Besserstellung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP, weil freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige gegenüber den assoziationsrechtlich Begünstigten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz besäßen. Denn soweit Unionsbürger nach der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber Berechtigten nach dem Assoziationsrecht EWG-Türkei einen erhöhten materiellen Ausweisungsschutz genießen, beruht dieser nicht auf dem wirtschaftlich begründeten Freizügigkeitsrecht von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, sondern auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2013, 422 Rn. 68 - 74). Dem stehen auch die durch das Assoziationsrecht getroffenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union zum Stillstandsgebot nicht entgegen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen (so schon Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Rn. 14). Einer von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten Klärung durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bedarf es insoweit nicht, da die Rechtslage aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ist ("acte clair").

21

Auch aus den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP ergibt sich nicht, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 ff.; vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 33 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 23 f.) und wurde ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 33) näher dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

22

Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bezogen hat, wonach die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der EuGH nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).

23

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln durch den Wegfall des nationalen Widerspruchsverfahrens gegen Ausweisungsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen seit 1. November 2007. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 34) - dort bezogen auf den Wegfall des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg - im Einzelnen dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

24

1.7 Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht bereits bei Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - haben Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche - rechtmäßige Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr ist in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39).

25

1.8 Schließlich verstößt die Ausweisung nicht gegen die Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie. Dabei kann dahinstehen, ob sie an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Ausweisung bejaht, verhilft das der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung nicht zum Erfolg. Da der Kläger mittels seines Hilfsantrags die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45).

26

2. Der Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von maximal vier Jahren begehrt, ist zulässig, aber nicht begründet.

27

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kann ein Kläger seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 auch noch in der Revisionsinstanz einen Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der von ihm angefochtenen Ausweisungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Er verfolgt damit nur den bereits in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisung für den Fall der Abweisung enthaltenen Hilfsantrag weiter, den das Berufungsgericht hier der Sache nach abgewiesen hat. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde im Rahmen des durch die Antragstellung begrenzten Streitgegenstandes vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 40).

28

2.2 Der Hilfsantrag ist aber unbegründet.

29

Nachdem die Beklagte während des Revisionsverfahrens eine Befristung für die Dauer von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers ausgesprochen hat, war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist von maximal vier Jahren hat. Dies ist nicht der Fall.

30

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

31

Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf weniger als die von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich festgesetzten sieben Jahre. Die allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre schon deshalb überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - einschließlich des Handels mit Heroin - und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung.

32

Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht es vorrangig um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch den Handel mit Heroin durch den Kläger. Dabei handelt es sich um hochrangige Rechtsgüter. Der Kläger ist drogenabhängig und hat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln über die Dauer von mehr als 20 Jahren regelmäßig Straftaten begangen. Dazu gehörten neben Eigentumsdelikten mehrere Straftaten wegen Erwerbs, Besitzes, Abgabe und Handels mit Betäubungsmitteln, vornehmlich mit Heroin. Im Juni 2007 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, was verdeutlicht, dass es sich nicht um Bagatellkriminalität handelte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht beim Kläger eine erhöhte Rückfallgefahr. Denn er ist seit vielen Jahren heroinabhängig, mehrere Therapieversuche blieben ohne Erfolg und er verfügt über keine Berufsausbildung, um sich eine Existenzgrundlage außerhalb der Kriminalität aufzubauen. In seinem Fall ist ein Ende der von ihm ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung infolge des Handels mit Drogen nicht absehbar. Die von der Beklagten zwischenzeitlich festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Rückfallgefahr nicht überhöht.

33

Allerdings muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen. Sie ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar in Deutschland geboren und hat hier nahezu sein ganzes Leben verbracht. Familiäre Bindungen hat er allerdings - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2012 entschiedenen Fall eines nach islamischem Ritus verheirateten Klägers, dessen Frau ein Kind von ihm erwartete (a.a.O. Rn. 42) - nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Zudem hat der Kläger sein Leben im Wesentlichen in Strafhaft, in verschiedenen Wohn- und Therapieeinrichtungen und in der Drogenszene verbracht, sodass das Maß seiner Integration in das legale gesellschaftliche Leben in Deutschland gering ist. Die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sieben Jahren kommt unter Zugrundelegung der vom Senat entwickelten Kriterien daher nicht in Betracht.

34

Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten, etwa weil sich seine Rückfallgefahr infolge einer erfolgreichen Drogentherapie deutlich vermindert hat.

35

3. Die Abschiebungsandrohung in der in der Berufungsverhandlung abgeänderten Fassung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend geltende Aufenthaltserlaubnis erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die von der Beklagten für den Fall der Haftentlassung getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und wurde am ... 1973 in ... (Türkei) geboren. Er ist verheiratet, reiste mit seiner Frau und seinen damals drei Kindern am ... 1997 in die Bundesrepublik ein und beantragte am folgenden Tag Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Oktober 1997 wurden die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und zugleich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt. Inzwischen hat der Kläger mit seiner Frau, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, sieben Kinder, von denen sechs die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Vier der Kinder studieren, zwei besuchen das Gymnasium und eines die Grundschule.
Der Kläger war zunächst im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen bis Mitte 2005. Ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom März 2006 nahm der Kläger mit Blick auf den Bezug von öffentlichen Leistungen zurück. Ende März 2009 beantragte er erneut die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. In diesem Zuge erfolgte eine Regelanfrage nach § 73 Abs. 2 und 3 AufenthG, die zu der Mitteilung führte, dass Erkenntnisse vorlägen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers erbat am 4. Juni 2009 von der Stadt ... die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, nachdem das Bundesamt am 13. März 2009 mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme nach § 73 Abs. 1 bzw. 2 AsylG nicht vorliegen würden. Unter dem 9. Juni 2009 teilte die Stadt ... dem Kläger mit, dass die Ermittlungen des Landeskriminalamts noch nicht abgeschlossen seien. Ausweislich eines in der Akte der Stadt ... befindlichen Vermerks vom 19. November 2009 ging die Stadt sodann davon aus, dass auf eine Rückantwort des Landeskriminalamts und auf die Regelanfrage verzichtet werden könne. Die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG wurde dem Kläger schließlich am 4. Dezember 2009 erteilt.
Das in der Akte der Stadt befindliche Schreiben des Regierungspräsidiums ... an die Stadt vom 22. September 2009, das per Mail an diese gegangen sein soll, findet sich in der Akte erstmals als Anhang einer Mail des Regierungspräsidiums, datierend vom 22. Mai 2010. In diesem bittet das Regierungspräsidium die Stadt um Durchführung einer Sicherheitsbefragung. Die Stadt teilte dem Regierungspräsidium mit, dass die Aufforderung zur Durchführung einer Sicherheitsbefragung nicht zu den Akten gekommen sei, was eventuell mit einer längeren Krankheitszeit der früheren Sachbearbeiterin zusammenhängen könne. Sie informierte das Regierungspräsidium darin im weiteren über die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 informierte die Stadt dem Kläger darüber, dass das Regierungspräsidium sie aufgefordert habe, mit ihm eine Sicherheitsbefragung durchzuführen. Das Regierungspräsidium teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis von Bedenken seitens der Sicherheitsbehörden gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers in Deutschland erteilt worden sei. Es prüfe derzeit eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Am 23. Februar 2011 fand eine Sicherheitsbefragung des Klägers statt. Am anschließenden Sicherheitsgespräch nahm der Kläger nicht teil.
Mit hier angegriffener Verfügung vom 10. Januar 2012 wurde der Kläger durch das Regierungspräsidium ausgewiesen und verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt ... begrenzt und die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.
In der Verfügung wurde im Wesentlichen zunächst in tatsächlicher Hinsicht auf Erkenntnisse über sicherheitsrelevante Aktivitäten des Klägers ab 2001 und bis Dezember 2010 abgestellt und im Übrigen darauf, dass er unverändert Vorstandsmitglied (nunmehr 2. Vorsitzender) der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) sei. Die Ausweisung beruhe auf § 55 AufenthG in Verbindung mit § 54 Nr. 5 AufenthG. Besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei bestehe nicht, da der Kläger nur über wenige Monate hinweg abhängig beschäftigt gewesen sei. Seit Januar 2005 stehe er mit seiner Familie im Leistungsbezug nach dem SGB II. Die vorliegenden Erkenntnisse wiesen ausreichend Tatsachen für die gerechtfertigte Annahme nach, dass der Kläger entsprechende Unterstützungshandlungen gegenüber einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, vorgenommen habe. Bei der PKK und deren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL handle sich um Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die vom Kläger genannten Veranstaltungen, an denen dieser teilweise maßgeblich mitgewirkt habe, hätten erkennbar dazu gedient, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, sondern jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu fördern. Insoweit sei die Freiheit der Meinungsäußerung beschränkt. Entscheidend sei zudem, dass der Kläger nicht bloß passiver Teilnehmer an denen vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen der unterstützenden Vereinigung gewesen sei, sondern in hervorgehobener Funktion, beispielsweise als Redner, diese tragend mitgestaltet und er sich auch nicht distanziert habe, wenn durch andere Teilnehmer der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen gehuldigt worden sei. Er habe damit auch durch den Anschein der Billigung den Terrorismus gefördert. Das Engagement des Klägers als Vorsitzender im kurdischen Kulturverein e.V. ... sei ebenfalls als Unterstützungshandlung zu werten, da dieser nach Erkenntnissen und Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz als KONGRA-GEL-nah einzustufen sei. In der Vergangenheit habe der Vereinssitz mehrfach zwischen ... und ... gewechselt, wobei die Vereine auch unter verschiedenen Namen im Vereinsregister eingetragen worden seien. Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen Vereinen um die Vorgängervereine des heutigen kurdischen Kulturvereins e.V. ... handle. Zum einen bestehe zwischen diesen Vereinen Personengleichheit der Vereinsbesucher und auch von einigen Vorstandsmitgliedern, die im Großraum .../... wohnhaft seien. Zum anderen hätten in allen Vereinen Vereinsfeierlichkeiten anlässlich bestimmter PKK-Gedenktage sowie „Märtyrergedenkveranstaltungen“ und „Volksversammlungen“ stattgefunden. Der Verein sei auch Mitglied in der YEK-KOM, die ein Dachverband von überwiegend KONGRA-GEL-nahen örtlichen Kurdenvereinen sei. Als 2. Vorstandsvorsitzendem seien dem Kläger deren Aktivitäten zuzurechnen. Von einer gegenwärtigen Gefährlichkeit des Klägers sei auszugehen. Die Ausweisung sei danach aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Ausweisung des Klägers sei auch nicht unverhältnismäßig mit Blick auf Art. 8 EMRK. Hinsichtlich der Integrationsleistung des Klägers sei zu beachten, dass er seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht selbst sichern könne und weitere Verwurzelungserfolge des Klägers nicht ersichtlich seien. Das öffentliche Ausweisungsinteresse überwiege hier sein Bleibeinteresse, dem im Übrigen durch seine Duldung Rechnung getragen werden könne. Es sei ihm daher zuzumuten, seinen weiteren Aufenthalt auf Grundlage der Aussetzung der Abschiebung auszugestalten. Auch sei einzustellen, dass die Ausweisung auf Antrag befristet werde.
Der Umstand, dass die Stadt ... als untere Ausländerbehörde am 4. Dezember 2009 eine Niederlassungserlaubnis erteilt habe, obwohl die Sicherheitsbehörden auch schon zu diesem Zeitpunkt Erkenntnisse über den Kläger gehabt hätten, welche zu Bedenken gegen seinen weiteren Aufenthalt führen könnten, sei hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unschädlich. Insbesondere handele es sich nicht um ein rechtsmissbräuchliches, widersprüchliches Behördenverhalten. Der Stadt ... sei lediglich ein Wissen dahingehend zurechenbar, dass überhaupt Erkenntnisse seitens der Sicherheitsbehörden vorgelegen hätten. Über deren Inhalt und Gegenstand sowie den Umstand, dass diese geeignet gewesen seien, Bedenken gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers zu begründen, habe die Stadt ... keine Kenntnis gehabt. Vor der Mitteilung der Sicherheitsbehörden seien entsprechende Ausweisungsgründe der Ausländerbehörde noch nicht bekannt gewesen und könnten daher auch nicht verbraucht sein. Es genüge nicht, dass die Ausländerbehörde Kenntnis darüber habe, dass die Sicherheitsbehörden entsprechende Erkenntnisse hätten. Entscheidend sei, dass weitere maßgebliche Erkenntnisse auch nach dem 4. Dezember 2009 erlangt worden seien, wie der Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 17. Juli 2011 sie darstelle.
Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk ... beruhten auf §§ 54a Absatz 1 Satz 1 AufenthG. Die Auflagen seien auch verhältnismäßig. Die Anordnung des Sofortvollzuges sei zum Schutz der öffentlichen Sicherheit geboten, dies insbesondere mit Blick auf die notwendige Kontrolle des Verhaltens des Klägers. Dies gelte insbesondere auch mit Blick darauf, dass die tatsächliche Beendigung des Aufenthalt des Klägers nicht möglich sei.
10 
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2012 erhob der Kläger Klage, mit dem Antrag, die Verfügung vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
11 
Das Verwaltungsgericht hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren persönlich zu den ihm vorgeworfenen Aktivitäten und seiner derzeitigen Funktion in der NAV-DEM und deren Zielrichtung an. Er räumte dabei die ihm vorgehaltenen Teilnahmen an den genannten Veranstaltungen in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich ein. Insbesondere treffe es zu, dass er am 8. September 2012 Versammlungsleiter des kurdischen Kulturfestivals 2012 in ... gewesen und dort eine Videobotschaft von Murat Karayilan ausgestrahlt worden sei. Derzeit sei er 2. Vorsitzender der NAV-DEM. Diese sei durch eine Namens- und Satzungsänderung der YEK-KOM im Juni 2014 entstanden. Ein Antrag auf Löschung im Vereinsregister oder ein Auflösungsbeschluss bezüglich des Vereins YEK-KOM sei nicht erfolgt. Neben ihm und dem 1. Vorsitzenden, die bereits bei der YEK-KOM im Vorstand gewesen seien, seien drei neue Mitglieder in den fünfköpfigen Vorstand gewählt worden. Die NAV-DEM halte, wie die YEK-KOM zuvor, jedes Jahr zwei große Veranstaltungen ab. Er gehe auch weiterhin zu genehmigten Veranstaltungen anderer kurdischer Organisationen, auch in seiner Funktion als 2. Vorsitzender der NAV-DEM trete er als Redner auf. Das Verwaltungsgericht hörte des Weiteren Frau ... als Mitarbeiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg informatorisch zu den Aktivitäten des Klägers und den Erkenntnissen des Landesamtes zu den Organisationen YEK-KOM und NAV-DEM an. Sie führte aus, dass sie die in den vorliegenden Berichten des Landesamtes zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der eindeutigen Nähe des Vereins YEK-KOM zur KONGRA-GEL, in dem der Verein der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen Raum zur Verbreitung ihrer Erklärungen und Äußerungen biete, teile. Dies gelte auch für die NAV-DEM, wie etwa eine Veranstaltung im Dezember 2014 gezeigt habe. Dem Landesamt lägen noch keine konkreten Erkenntnisse vor, dass zwischen YEK-KOM und NAV-DEM insoweit Unterschiede bestünden.
12 
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Januar 2015 den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen und im Übrigen die Klage abgewiesen.
13 
Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei nur teilweise begründet, soweit der Beklagte verpflichtet sei, die Wirkungen der Ausweisungsverfügung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Im Übrigen verletze diese den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein erhöhter Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) bestehe nicht, da der Kläger keine assoziationsrechtliche Rechtsposition erworben habe. Dies, da er selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, bei seinen Beschäftigungsverhältnissen jeweils kürzer als ein Jahr angestellt gewesen zu sein. Etwaige Rechtspositionen nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 wären daher durch den jeweils nächstfolgenden Arbeitgeberwechsel erloschen.
14 
Der Kläger sei in den Jahren von 2001 bis 2003 Vorsitzender des kurdischen Kulturvereins e.V. ... gewesen. Zwischen 2004 und Mitte 2014 sei er mit einer kurzen Unterbrechung Anfang des Jahres 2012 durchgehend Mitglied im Vorstand, zeitweise 2. Vorsitzender, der YEK-KOM gewesen. Im Mai 2012 sei er erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt worden, die inzwischen in die NAV-DEM übergegangen sei.
15 
Der Kläger erfülle die Tatbestandsvoraussetzung einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen seien nach ständiger Rechtsprechung terroristische Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die PKK werde nach wie vor auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen geführt. Soweit sich der Kläger darauf berufe, die PKK habe nunmehr eine geänderte Ausrichtung mit Blick auf die Verteidigung der kurdischen Bevölkerung und der Jesiden im Nordirak gegen den IS, handele es sich um ein temporäres Phänomen, das nicht mit einem dauerhaften Gewaltverzicht und Friedenskurs gegenüber der Türkei einhergehe. Dies ergebe sich auch aus einem Interview des stellvertretenden PKK-Chefs Cemil Bayik vom 10. Oktober 2014, in dem dieser damit gedroht habe, dass sie den Verteidigungskrieg zum Schutze des Volkes auch wieder aufnehmen könnten. Entsprechende Stellungnahmen gebe es auch vom Oberkommandierenden des bewaffneten Arms der PKK „Volksverteidigungskräfte“, der erklärt habe, dass der Friedensprozess mit der Türkei hinfällig sei und die gemeinsamen Übergriffe des türkischen Staates mit dem islamischen Staat einer Kriegserklärung gleichkämen, wie sich aus der Bundestagsdrucksache 18/3491, Seite 4, entnehmen lasse. Zu berücksichtigen sei auch, dass in der Vergangenheit entsprechende Kursänderungen nicht von Dauer gewesen seien.
16 
Der Kläger unterstütze die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen durch seine langjährige Tätigkeit als Vorstandsmitglied der YEK-KOM bzw. nunmehr der NAV-DEM. Er sei nahezu ununterbrochen seit 2004 im Vorstand beider Vereine gewesen, was er in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt habe. Er habe seine Vorstandstätigkeit aktiv ausgeübt, sei selbst auch als Redner und Versammlungsleiter aufgetreten und habe die Interessen des Dachverbandes gegenüber den Mitgliedsvereinen vertreten. Damit seien dem Kläger die von diesen Organisationen ausgehenden Unterstützungshandlungen zuzurechnen.
17 
YEK-KOM bzw. NAV-DEM unterstützten wiederum die PKK und deren Nachfolgeorganisationen. Die Vereinigungen schafften insbesondere eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK und gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Sie sicherten der PKK auf diesem Wege einen Raum für die Ansprache und die Sicherung von Unterstützung durch im Bundesgebiet lebende Kurden. Diese Einschätzung werde sowohl durch die Selbstdarstellung der YEK-KOM wie auch von der Gestaltung und dem Ablauf ihrer Veranstaltungen sowie der Veranstaltungen ihrer Mitgliedsvereine getragen. Im nach wie vor auf der Internetpräsenz der YEK-KOM abrufbaren Arbeitsprogramm werde auf das Selbstverständnis der in Europa lebenden Kurden als „logistische UnterstützerInnen des nationalen Befreiungskampfes“ verwiesen. Die Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem kurdischen Kulturfestival im Jahr 2012 greife dies ebenfalls auf und spreche davon, dass die PKK für Millionen Kurdinnen und Kurden eine legitime Vertretung sei und einen „gerechten Kampf gegen Krieg und Unterdrückung“ führe. Deswegen lasse sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen. Bei diesem Selbstverständnis der Kurden handle es sich letztlich um das Selbstverständnis der YEK-KOM selbst. Denn zum einen begreife sich diese gerade als Dachorganisation der Kurden in Deutschland und als deren Interessenvertretung. Zum anderen werde auf dieses Selbstverständnis ohne jegliche Distanzierung und im Gesamtkontext der Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Verbots Bezug genommen. Die YEK-KOM biete zudem eine Plattform für Äußerungen von Funktionären der PKK. Auf ihren Großveranstaltungen würden regelmäßig Grußbotschaften führender PKK-Funktionäre verlesen und als Videobotschaft gezeigt. Auf dem genannten Kulturfestival 2012, dessen Versammlungsleiter der Kläger gewesen sei, sei eine Videobotschaft des oben genannten Murat Karayilan und im Jahr 2013 eine solche des ebenfalls schon genannten Cemal Bayik gezeigt worden. Gleiches sei auf den jährlichen Newroz-Festivals geschehen. Die Veranstaltungen der Mitgliedsvereine der YEK-KOM, an denen der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied teilgenommen habe, seien jeweils durch die zeitliche Nähe zu für die PKK bedeutsamen Daten (PKK-Gründungsjahrestag; Tag der Festnahme Öcalans) und das regelmäßig stattfindende Märtyrergedenken gekennzeichnet, wie sich aus den Einschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 14. Januar 2015, 29. Januar 2014, 17. Oktober 2013 und 27. August 2012 ergebe. Das Gedenken an Märtyrer möge Teil der kurdischen Kultur sein, wie der Kläger meine, zugleich komme jedoch zum Ausdruck, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im „Befreiungskampf Kurdistans“ grundsätzlich gebilligt werde. Denn ein Gedenken an Märtyrer schließe eine positive Bewertung der mit den Märtyrertod verbundenen Überzeugung ein. Dies gelte erst recht, weil auf den Veranstaltungen von YEK-KOM und ihren Mitgliedsvereinen soweit ersichtlich keine entsprechende Distanzierung von diesem bewaffneten Kampf erfolgt sei. Es handele sich gerade nicht, wie der Kläger wohl geltend machen wolle, um ein bloßes Gedenken an die verstorbenen des eigenen Volkes, sondern um Verstorbene im „Befreiungskampf“ der kurdischen Bevölkerung und zwar insbesondere derer, die bewaffnete Auseinandersetzungen, beispielsweise als Guerillakämpfer, geführt hätten. Durch die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM sowie die damit einhergehenden Satzungsänderungen habe sich die Ausrichtung des Vereins nicht verändert. Bereits aus vereinsrechtlicher Sicht liege keine Neugründung sondern eine bloße Umfirmierung vor. Dies ergebe sich aus dem vom Kläger vorgelegten Protokoll der Delegiertenversammlung vom 22. Juni 2014. In der Pressemitteilung zu Umbenennung vom 18. Juli 2014 spreche die Organisation selbst davon, dass „die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland YEK-KOM e.V. […] ihre Arbeit fortan unter dem Namen NAV-DEM e.V. fortsetzen [wird]“. Dabei sei nicht in Abrede zu stellen, dass die NAV-DEM auf eine umfassendere Organisation kurdischer Vereine ausgerichtet sein möge und ihre satzungsmäßigen Ziele grundsätzlich legitime politische Anliegen beträfen. § 54 Nr. 5 AufenthG stelle jedoch auf tatsächliche Unterstützungshandlungen ab. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung des Aktivitätsspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM. Die NAV-DEM führe nach dem übereinstimmenden Bekunden des Klägers und des Landesamtes für Verfassungsschutz die beiden zentralen Großveranstaltungen (Newroz-Feier und kurdisches Kulturfestival) fort. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei bislang nicht erfolgt. Auch eine Distanzierung von den bisherigen Aktivitäten der YEK-KOM bzw. der Aktivitäten der PKK habe es nicht gegeben und gebe es auch jetzt nicht. Im Gegenteil führe die NAV-DEM die politischen Aktivitäten zur Aufhebung des PKK-Verbots fort. So führe eine Presseerklärung vom 24. November 2014 anlässlich des 21. Jahrestages des Verbots der PKK aus, dass das Betätigungsverbot für die PKK dazu geführt habe, dass „jegliches Engagement gegen den Krieg in Kurdistan und für die Rechte des kurdischen Volkes […] Repressionen und Kriminalisierung ausgesetzt [war]“.
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Der Kläger könne sich für seine Tätigkeit bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM nicht auf den Verbrauch der Ausweisungsgründe durch Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 berufen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes könne eine Ausweisung in der Regel nicht mehr auf solche Tatbestände gestützt werden, in deren Kenntnis die Ausländerbehörde zuvor vorbehaltlos eine Aufenthaltserlaubnis erteilt habe. Für den Vertrauensschutz des Ausländers sei maßgeblich, wie dieser bei verständiger Würdigung die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verstehen durfte. Insofern dürfe eine Ausweisung nicht mehr allein auf die Betätigung des Klägers vor der Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 gestützt werden, da er insoweit davon habe ausgehen dürfen, dass diese Betätigung im Verfahren zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis überprüft worden sei. Jedenfalls für den Zeitraum ab Erlass der angegriffenen Ausweisungsverfügung bis zum Tag der mündlichen Verhandlung, dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt, könne der Kläger jedoch keinen Vertrauensschutz geltend machen. Mit der Anhörung durch die Beklagte am 3. März 2011, spätestens jedoch mit Zustellung der Ausweisungsverfügung am 12. Januar 2012, habe dem Kläger die unterbliebene Prüfung von Ausweisungsgründen nach § 54 Nr. 5 AufenthG durch die Stadt... bewusst sein müssen. Schutzwürdiges Vertrauen auf seine weitere Betätigung für die YEK-KOM ohne entsprechende ausländerrechtliche Konsequenzen habe der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr entwickeln können. Der bis dahin bestehende Vertrauensschutz hindere aber nur die Neubewertung vergangener Ereignisse, nicht jedoch die Bewertung der fortgesetzten Tätigkeit des Klägers. Die erneute Wahl des Klägers in den Vorstand der YEK-KOM im Mai 2012 stelle die entscheidende Zäsur dar. Dieser habe sich in Kenntnis der Tatsachen, auf die der Beklagte seine Ausweisungsverfügung gestützt habe, dazu entschlossen, seine Tätigkeit im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM fortzusetzen und er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er von einer weiteren Betätigung nicht Abstand nehme.
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Als anerkannter Flüchtling und Besitzer einer Niederlassungserlaubnis, der sich länger als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, dürfe der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen insbesondere in den Fällen des §§ 54 Nr. 5 AufenthG vor. Ein Ausnahmefall von dieser Regel sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe trotz der im Raum stehenden Ausweisung nunmehr erneut über einen Zeitraum von knapp drei Jahren aktiv die Aktivitäten der PKK über seine Vorstandstätigkeit unterstützt. Dabei habe er durch die Übernahme der Versammlungsleitung beim 20. kurdischen Kulturfestival in ... und seine Rednertätigkeit eine besonders exponierte Rolle eingenommen. Es lägen daher die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers im Ermessenswege vor. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
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Die Ausweisung sei auch gemessen an Art. 21 und Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie rechtmäßig. Auf die Frage, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels Art. 21 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie geringer seien als die aus Art. 24 Abs. 1 komme es nicht an. Denn die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie seien erfüllt. Danach dürfe die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, jedenfalls wenn sie ein unbefristetes Aufenthaltsrechts ersatzlos zum Erlöschen bringe, nur erfolgen, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen sei. Dabei sei eine individuelle Prüfung des Einzelfalls erforderlich. In Anlehnung an das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG noch nicht aus. Vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Die Gründe müssten so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, dass Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das setze eine qualifizierte Unterstützung des Terrorismus voraus, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als aktiver Funktionär. Dies setze eine wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles voraus, unter anderem auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und eine Gewaltbereitschaft bestimmt werde. Eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sei auch durch Unterstützung einer Organisation gegeben, die im Bundesgebiet selbst keine Terrorakte verübe, denn es sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass sie die Gewalt auch als Mittel zur Lösung politischer Konflikte außerhalb ihres eigentlichen militärischen Aktionsgebiets einsetze. Zudem hätten Funktionäre der PKK auch Kurden in Deutschland zum bewaffneten Kampf in Syrien aufgerufen. Die Rückkehr solcher Kämpfer nach Deutschland stelle sich, wie bei Kämpfern anderer Organisation auch, als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar. Eine Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Aktivitäten der PKK bestehe aber auch dann, wenn die Verübung terroristischer Akte auf dem Bundesgebiet durch die PKK ausgeschlossen wäre und sich alleine auf die Türkei beschränkten. Denn die Türkei und Deutschland seien NATO-Bündnispartner und in ein System kollektiver Verteidigung im Sinne von Art. 24 GG eingebunden. Diese Sicherheitspartnerschaft wäre in Frage gestellt, würde ein Bündnispartner die Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Gebiet eines anderen Bündnispartners dulden. Die Duldung solcher Aktivitäten könne zu einer in Stabilisierung der Sicherheitslage im betroffenen Staat führen, die wiederum dessen Handlungs- und Beistandsfunktion gegenüber sein Bündnispartner beeinträchtigen könne.
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Der Kläger habe durch seine aktive Funktionärstätigkeit die PKK in diesem Sinne qualifiziert unterstützt. Die aktive Tätigkeit im Vorstand der Vereine sei einer direkten Einbindung in die PKK-Funktionärsebene gleichzusetzen. Ohne die entsprechenden Veranstaltungen der YEK-KOM bzw. NAV-DEM wäre die Organisation und die Sicherung des Zusammenhalts der Anhängerschaft der PKK in Deutschland nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen möglich. Die Aufrechterhaltung eines jahrelangen, bewaffneten Guerillakampfes könne nur aufrechterhalten werden, wenn im Hintergrund der kämpfenden Einheiten ein stabiles und ideologisch gefestigtes Umfeld der Unterstützung, sei es in finanzieller oder politischer Hinsicht, bestehe. Die Bedeutung der YEK-KOM bzw. NAV-DEM für die Aktivitäten der PKK sei als sehr hoch zu bewerten. Besonders deutlich werde dies an den organisierten Veranstaltungen der Vereinigungen. Sie ermöglichten der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen, unter dem Schirm der Vereine die jeweilige Parteilinie an eine große Zahl von Personen zu vermitteln und dabei das auf den Großveranstaltungen erzeugte Gemeinschaftsgefühl für ihr Anliegen zu nutzen. Eine stärkere Identifikation und Unterstützung der Anliegen einer verbotenen Organisation als die Präsentation der Videobotschaften ihrer Führer vor einem Massenpublikum sei schwerlich vorstellbar. Dies rechtfertige es, die Vorstandstätigkeit in diesen Vereinen, zumal wenn sie im Fall des Klägers ohne jegliche Distanzierung zu den Aktivitäten der PKK erfolge, einer Funktionärstätigkeit in der PKK gleichzusetzen.
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Die Anordnung der Meldepflichten und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54 a AufenthG sei ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger habe einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf eine Dauer von acht Jahren.
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Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen, da die Frage grundsätzliche Bedeutung habe, ob die Tätigkeit im Vorstand eines nicht verbotenen Vereins, der eine Vereinigung unterstütze, die den Terrorismus unterstützt, die Voraussetzung des Art. 21 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllen könne.
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Gegen das dem Kläger am 31. März 2015 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 20. April 2015, eingegangen am selben Tag, beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt.
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Er führt im Wesentlichen aus: Dem Verwaltungsgericht fehle die Sachkunde für die Feststellung, dass die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM nicht zu einer wesentlichen Änderung des Aktivitätenspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM geführt habe. Zudem könne aufgrund einer veränderten internationalen Entwicklung nicht mehr ohne weiteres mit Blick auf die PKK von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen werden. Einheiten der PKK hätten insbesondere ab August 2014 verfolgte Jesiden im Norden des Iraks vor dem IS geschützt, dies, nachdem die Peschmergas den Schutz verweigert hätten. Auch bei der Verteidigung von Kobane habe die PKK eine wichtige militärische Schutzfunktion für die schutzlose Zivilbevölkerung über ihren syrischen Zweig YPG übernommen. Diese sei dabei von der US-Luftwaffe unterstützt worden. Die PKK müsse nach Einschätzung westlicher Beobachter in den politischen Prozess eingebunden werden. Die US-Regierung weise ausdrücklich darauf hin, dass die YPG ungeachtet ihrer engen Verbindung zur PKK nicht als terroristische Organisation angesehen werde. Dies habe zu einer Überprüfung der Position der USA und westlicher Staaten im Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber der PKK geführt. Haupthindernis bei den Bemühungen um eine gemeinsame internationale Strategie gegen den IS sei die türkische Regierung, die völlig eigene Interessen verfolge. Jedenfalls bedürfe es einer sorgfältigen Aufklärung der aufgezeigten Entwicklung und der darauf beruhenden Einschätzung. Das von den Verfassungsschutzbehörden unterstellte separatistische Ziel bezogen auf die Türkei sei seit langem überholt. Von der PKK gebilligte und koordinierte militärische Einsätze gegen die Türkei würden seit zwei Jahren nicht mehr geführt. Entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK müssten dem nicht zwingend entgegenstehen, sondern könnten auch als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat bewertet werden. Terroristische Aktionen in europäischen Ländern seien seit 2005 nicht mehr unternommen worden. Die politische und militärische Strategie der PKK habe sich seit dem Aufkommen des IS nahezu ausschließlich auf eine Schutzfunktion zu Gunsten der jesidischen und kurdischen Bevölkerung in Syrien verändert. Es entspreche jedenfalls dem Willen der jetzigen Führung der PKK, den Kampf der Einheiten vollständig auf den Schutz der bedrohten Zivilbevölkerung in den bezeichneten Ländern zu konzentrieren.
26 
Das Verwaltungsgericht stelle auf die Vorstandstätigkeit des Klägers bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM ab, bezeichne jedoch keine einzige Aktivität des Klägers, die als individuelle Unterstützung der PKK ausgelegt werden könne. Der Unterstützungsbegriff werde unzutreffend ausgelegt, insbesondere soweit auf Aktivitäten „im Interessenbereich der PKK“, namentlich der Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots unter Freilassung Öcalans abgestellt werde. Von derartigen, politisch neutralen Forderungen könne nicht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. eines bewaffneten Kampfes der PKK geschlossen werden. Es handele sich nicht um den Aufruf zur Begehung terroristischer Taten. Soweit das Verwaltungsgericht anführe, dass in dem „Denken an Märtyrer“ zugleich zum Ausdruck komme, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im Befreiungskampf Kurdistans grundsätzlich gebilligt werde, habe der Kläger darauf hingewiesen, dass er insgesamt 13 nahestehenden Angehörigen in dem Kurdenkonflikt in der Türkei gedacht habe, die durch das türkische Militär getötet worden seien. Er sei gläubiger Muslim und bekunde so seine Trauer und seinen Respekt vor den Toten. Damit habe sich das Verwaltungsgericht in seiner Bewertung nicht auseinandergesetzt.
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Das Bundesverwaltungsgericht verlange für eine Unterstützung des Terrorismus aus rechtsstaatlichen Gründen eine engere Verbindung zu den terroristischen Aktivitäten, da dem Einzelnen anderenfalls ein Verhalten zugerechnet werde, dass weder von seinem Willen noch von der durch ihn unterstützten Vereinigung getragen werde. Lediglich die Befürwortung bestimmter spezifischer Ideologien oder Weltanschauungen, sofern daraus nicht Handlungsanleitungen zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele abgeleitet würden, reichten danach nicht aus. Eine Vereinigung könne nur dann als den Terrorismus unterstützende Vereinigung angesehen werden, wenn sie Dritte mit einer entsprechenden Einstellung für die militante Durchsetzung der Ideologie gewinnen wolle. Das Verwaltungsgericht wende § 54 Nr. 5 AufenthG indessen bereits dann an, wenn z.B. die Aufhebung des Vereinsverbots der PKK oder eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei gefordert werde. Es lasse bereits bloße Sympathiebekundungen für eine Organisation, die durch die Sicherheitsbehörden als terroristische eingestuft werde, für den Unterstützungsbegriff ausreichen, ohne dass zusätzliche Tatsachen festgestellt würden, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung auch auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet seien, etwa dadurch, dass gezielt bei Veranstaltungen Jugendliche für den bewaffneten Kampf in kurdischen Siedlungsgebieten angeworben oder durch konkrete Aktionen Kämpfer der PKK in diesen Gebieten unterstützt würden.
28 
Das Verwaltungsgericht verletze § 54 Nr. 5 AufenthG auch, indem es keinen subjektiven Tatbestand voraussetze. Es stelle auf die Vorstandsfunktionen des Klägers in PKK-nahen Vereinigungen ab, berücksichtige aber nicht, dass dieser an seine 13 verstorbenen Verwandten gedacht habe. Im Übrigen fehlten Feststellungen dazu, dass der Kläger bei seinen Aktivitäten bewusst und gewollt den internationalen Terrorismus unterstütze.
29 
Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zum Unterstützungsbegriff werde zudem verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Schon im objektiven Tatbestand sei darauf zu achten, dass der Unterstützungsbegriff nicht unverhältnismäßig namentlich in das Recht auf freie Meinungsäußerung eingreife. Der Organisationsbezug sei daher nicht schon immer dann zu bejahen, wenn in irgendeiner Form auf den verbotenen Verein und seine Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerungen die Tätigkeit des Vereins gefördert werden solle. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen Grundrechtsschutz und Gefahrenabwehr folge das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des Unterstützungsbegriffs. Unterstützungshandlungen müssten auf die Festigung vorhandener terroristischer Strukturen abzielen und der Ausländer selbst müsse einen den Unterstützungsbegriff gerecht werdenden Beitrag zur Unterstützung der Vereinigung leisten. Das Bundesverfassungsgericht weise ausdrücklich darauf hin, dass dem Einzelnen nicht verboten werde, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies durch Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Die Abwehr richte sich nicht gegen die Handlung des Einzelnen als solche, sondern gegen die mit ihr verbundene Stärkung der Organisation. Es reiche nicht aus, wenn der Außenstehende gleiche Ansichten wie die verbotene Partei vertrete. Einer Meinungsäußerung sei daher nur dann eine objektive Gefahr immanent, wenn zusätzlich äußere, sich nicht nur aus der Willensrichtung des Äußernden ergebende Umstände hinzuträten, die der Äußerung einen unmittelbaren Förderungseffekt geben. Es bedürfe einer auf die terroristische Tätigkeit der Vereinigung bezogene Zweckgerichtetheit und insoweit gelte auch das Regelbeweismaß für Tatsachenfeststellungen. Engagierte Sympathisanten im Umfeld einer terroristischen Organisation, die wie hier der Kläger nicht strukturell in diese eingebunden seien, erfüllten daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht den Begriff der Unterstützung einer Vereinigung, die ihrerseits den Terrorismus unterstütze.
30 
Es müssten die gleichen Maßstäbe gelten wie für den strafrechtlichen Unterstützungsbegriff. Daran fehle es regelmäßig, wenn die Betätigung sich auf Geldspenden, Verteilung von Zeitungen und Flugblättern, die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen, Hungerstreiks oder nicht gewalttätigen Besetzungsaktionen beschränke. Von terroristischem Aktivitäten im Einzelfall sei auszugehen, wenn der Betreffende aufgrund seiner hochrangigen Funktionärstätigkeit für die PKK eine qualifizierte Mitverantwortung für deren kriminelle und terroristische Aktivitäten in Deutschland trage. Dies werde auch durch die Rechtsprechung zur Anwendung von Art. 1 GFK, Art. 12 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2004/83/EG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylG bestätigt. Auch dort gehe es um eine Zurechnung nach verwaltungsrechtlichen und nicht strafrechtlichen Grundsätzen, wobei dort der Beweisstandard hinsichtlich der materiellen Zurechnungskriterien gegenüber dem Strafrecht nicht herabgesenkt sei. Hier wie dort gehe es um die Gefährdung wichtiger öffentlicher Schutzgüter durch terroristische Gefahren. Verlangt werde dort ein vorsätzlicher Beitrag mit dem Ziel, die kriminelle Tätigkeit oder die strafbare Absicht der Gruppe zu fördern. Die Beiträge müssten also ausreichend sein, die Fähigkeit der Organisation, terroristische Anschläge zu verüben, zu fördern. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union fordere in diesem Zusammenhang eine individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände. Er gehe davon aus, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit vermutet werden könne. Ob diese Vermutung gerechtfertigt sei, erfordere nach seiner Rechtsprechung aber eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände.
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In vorliegendem Fall sei zur Entlastung des Klägers zu berücksichtigen, dass er nicht in eine Organisation eingebunden sei, die sich terroristischer Mittel bediene. Zwar gehe das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass für den präventiven Gefahrenabwehrschutz gegenüber dem strafrechtlichen Maßstab der Begriff der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erweitert werden dürfe. Aus verfassungsrechtlichen Gründen setze aber eine präventive Gefahrenabwehrmaßnahme voraus, dass durch das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorgerufen werde. Es bedürfe stets einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die auf konkret umrissenen Tatsachen beruhe. Dass Sympathiebekundungen für eine terroristische Organisation, selbst Sympathiebekundungen für terroristische Aktivitäten, eine Gefahr begründeten, sei eher fern liegend, sofern keine konkreten Anhaltspunkte dafür geliefert werden könnten, dass durch diese die öffentliche Sicherheit gefährdet werde. Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad dürften nicht beliebig abgesenkt werden. Aufgrund des prognostischen Charakters des Gefahrenbegriffs und der Tatsache, dass nahezu jedes Gut mehr oder weniger risikogeneigt sei und mit Blick auf das Recht auf Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheiten müsse der Gesetzgeber in abstrakter Weise einen Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen erreichen. Dies könne dazu führen, dass Grundrechtseingriffe einer bestimmten Eingriffsintensität erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürften. Dies gelte auch für § 54 Nr. 5 AufenthG. Es genüge nicht, dass in irgendeiner Form auf die terroristische Organisation und deren Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerung deren terroristische geprägten Tätigkeiten im objektiven Sinne gefördert werden sollten. Gemessen hieran habe der Kläger durch seine Vereinsaktivitäten nicht den internationalen Terrorismus unterstützt. Für § 54 Nr. 5 AufenthG seien ein kognitives und ein voluntatives Element erforderlich. Hinsichtlich des voluntativen Elements des subjektiven Unterstützungsbegriffs fehle es indes an der verfassungsrechtlich gebotenen Eindeutigkeit. Nach der Rechtsprechung genüge es, dass der Einzelne in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst stehe, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringe und damit deren Stellung in der Gesellschaft, vor allem unter Landsleuten, begünstigend beeinflusse, deren Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitere und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefährdungspotenzials beitrage. Dies reiche aus verfassungsrechtlicher Sicht jedoch nicht aus. Auch eine bloße Stärkung eines latenten Gefährdungspotenzials genüge nicht den Anforderungen, die für die Eingriffsverwaltung an das Bestehen einer konkreten Gefahr zu fordern seien. Bei Äußerungen müsse eine vereinsfördernde Zielrichtung eindeutig erkennbar sein. Ob der Betroffene die Grenzen einer erlaubten Tätigkeit überschreite, sei davon abhängig, wie weit der grundrechtlich geschützte Freiheitsbereich reiche. Dies könne ohne voluntative Elemente nicht bestimmt werden. Es sei daher zu verlangen, dass der Einzelne sich mit den Zielvorstellungen und terroristischen Aktivitäten einer Organisation identifiziere. Dementsprechend genüge eine bloße politische Sympathiebekundung des Einzelnen für eine terroristische Organisation nicht. Die Schwelle sei erst überschritten, wenn Sympathie in Form der Verherrlichung des Guerillakampfes bekundet werde. Zwar könne danach auch der Personenkult für Öcalan berücksichtigt werden, weil diesem nach wie vor ein Symbolgehalt für den bewaffneten Kampf der PKK zukomme, es bedürfe aber zusätzlicher tatsächlicher Feststellungen für die Identifikation Einzelner mit dem Terrorismus, in dem Sinne, dass diese mit der Sympathiebekundungen für Personen oder Organisationen zugleich auch deren terroristisch geführten bewaffneten Kampf unterstützen wollten.
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Das Verwaltungsgericht habe auch keine schwerwiegenden Gründe im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz der Qualifikationsrichtlinie festgestellt. Eine Regelvermutung, wie das nationale Recht, kenne das Unionsrecht nicht. Es sei eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlich. Das Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK müsse hierbei beachtet werden. Daher sei eine eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder Bereitschaft hierzu oder eine strukturelle Einbindung in diese, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, erforderlich. Die bloße Mitgliedschaft des Klägers im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM sowie dessen Redebeiträge, die im Übrigen nicht dahingehend bewertet worden seien, ob der Kläger in diesen zu Gewaltanwendung aufgerufen habe, genügten nicht.
33 
Aus der Teilnahme an rechtmäßigen Versammlungen und an Veranstaltungen, in der sich die kulturelle Identität als Kurde manifestiert habe, folge nicht automatisch, dass der Betroffene selbst terroristische Handlungen unterstützt habe. Solche Veranstaltung seien auch nicht automatisch terroristische Handlungen.
34 
Zudem sei durch das neue Ausweisungsrecht dem bisherigen Automatismus eine klare Absage erteilt worden. Es sei danach eine ergebnisoffene Abwägung auf Tatbestandsseite erforderlich, die gerichtlich voll überprüfbar sei. Hier fehle es schon an einer konkreten Gefahr als Grundlage einer solchen Abwägung. Generalpräventiv motiviert sei die Ausweisung im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG, dessen Voraussetzungen auch im Übrigen nicht vorlägen, nicht zulässig. Es fehle an der Unerlässlichkeit der Maßnahme. Auch bei Annahme einer vom Kläger ausgehenden Gefahr gehe die Abwägung zu dessen Gunsten aus, da besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nicht bestünden und zugleich besonders schwerwiegende und schwerwiegende Bleibeinteressen vorlägen. Der langjährige rechtmäßige Aufenthalt des Klägers in Deutschland und die Interessen seiner Familie, mit der er zusammen lebe, seien umfassend zu berücksichtigen. Eine Nachreisen der Familie in die Türkei sei dieser nicht zuzumuten. Auch sei zu beachten, dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers aufgrund seines Flüchtlingsstatus nicht zulässig sei.
35 
Das Verhalten des Klägers erfülle auch deshalb nicht die Voraussetzungen der Art. 21 Abs. 2 und 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, da er selbst weder terroristische Handlungen begangen habe, noch solche geplant, entschieden oder andere dazu angeleitet bzw. finanziert oder er Mittel dazu beschafft habe. Eine dieser abschließend zu verstehenden Handlungen verlange der Gerichtshof der Europäischen in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ (Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 -, juris) jedoch. Auch betone dieser, dass eine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen keine solche Handlung sei und sich daraus nicht zwingend die Unterstützung solcher Taten ergebe.
36 
Der Kläger beantragt,
37 
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
38 
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
40 
Er führt im Wesentlichen aus: Die PKK sei auch nach wie vor als terroristische Organisation zu sehen. Sie sei weiterhin in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 sowie im bindenden Anhang zur Verordnung (EG) 2850/2001, zuletzt aktualisiert durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/513 vom 26. März 2015, aufgeführt. Zudem sei auf die Bundestagsdrucksache 18/3702 vom 7. Januar 2015 zu verweisen, in der die Bundesregierung deutlich mache, weshalb sie am Vereinsverbot bezüglich der PKK festhalte und diese als terroristische Organisation einstufe. Diese halte weiter an ihrem Standpunkt fest, nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Terroristen zu unterscheiden. Zwar gehe die Bundesregierung nicht von Angriffen der PKK in Deutschland oder gegen deutsche Ziele aus, dennoch stünden Angriffe gegen Ziele des Nato-Partners Türkei unverändert auf dem Plan der PKK. Dies werde weiterhin von der Bundesregierung missbilligt und im Rahmen der Möglichkeiten deutscher Sicherheitsbehörden verhindert. Die Bundesregierung weise zudem darauf hin, dass die PKK Europa als Rückzugsraum für finanzielle und politische Aktivitäten betrachte. Weiterhin sei der Friedenprozess zwischen der Türkei und den Kurden seit Juli 2015 beendet, da die Waffenruhe zerbrochen und es zu neuen Kämpfen und Anschlägen gekommen sei. Am 22. Juli 2015 seien in Ceylanpinar im Südosten der Türkei zwei Polizisten ermordet worden. Die PKK habe sich hierzu bekannt. Am 10. August 2015 seien mehrere Anschläge in Istanbul erfolgt, darunter einer auf eine Polizeiwache, zu denen sich die PKK ebenfalls bekannt habe. Am 11. August 2015 habe es einen weiteren Anschlag in Südost-Anatolien gegeben, bei dem ein türkischer Soldat ums Leben gekommen sei.
41 
YEK-KOM und NAV-DEM unterstützten die PKK und deren Nachfolgeorganisationen insbesondere durch eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK; sie gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Die bloße Umbenennung der YEK-KOM in die NAV-DEM habe das Verwaltungsgericht zutreffend bewertet, dies werde auch durch den Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 24. August 2015 aufgezeigt. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei nicht erfolgt, es gebe auch keine Distanzierung der NAV-DEM von den Aktivitäten der YEK-KOM. Auf beiden Internetpräsenzen werde jeweils das Logo der NAV-DEM abgebildet, es werde das nahezu identische Layout verwendet, wie die Screenshots vom 20. August 2015 zeigten. Die NAV-DEM sei nach eigenen Angaben Mitglied der KON-KURD-Nachfolgeorganisation (europäischer Dachverband PKK-naher Vereine) und der Vorsitzende der NAV-DEM habe im März 2014 erklärt, dass man die deutsche Demokratie nicht akzeptieren könne, wie sich aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2014, Seite 131, ergebe. YEK-KOM bzw. NAV-DEM verträten entgegen der Darstellung des Klägers auch nicht lediglich die selben politischen Forderungen wie die PKK. Vielmehr würden die von der PKK gewählten Mittel der Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele öffentlich unterstützt, zumindest aber gebilligt. Die im verwaltungsgerichtlichen Urteil erwähnte Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahre 2012, in der ausgeführt werde, dass sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten lasse, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen, zeige das klare Bekenntnis zur PKK. Von der Gewaltanwendung der PKK habe sich die YEK-KOM auch nicht distanziert.
42 
§ 54 Nr. 5 AufenthG sei im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1373 vom 28. September 2001 zu sehen, in der die Staaten dazu aufgefordert würden, die Nutzung ihres Staatsgebietes für die Vorbereitung, Durchführung und Finanzierung internationaler terroristischer Akte zu verhindern. Daher setze § 54 Nr. 5 AufenthG nicht voraus, dass von dem betroffenen Ausländer bereits eine konkrete Gefahr ausgehe. Angesichts der außerordentlichen Gefahren des internationalen Terrorismus sei es gesetzgeberischer Wille, dass die Voraussetzungen dieses Ausweisungsgrundes deutlich niedriger anzusetzen sei.
43 
Erforderlich sei eine wertende Gesamtbetrachtung der Aktivitäten und des Verhaltens des Ausländers. Einzelne belegbare Unterstützungshandlungen müssten vorliegen, die nach vernünftiger Wertung den Schluss zuließen, dass der Ausländer in nicht völlig unerheblicher Weise eine terroristische Organisation unterstütze. Zur Sicherung vor unverhältnismäßigen Eingriffen, etwa in die Meinungsfreiheit, müsse die Tätigkeit für den Ausländer erkennbar geeignet sein, sich auf die unterstützte Vereinigung positiv auszuwirken. Lediglich politische, humanitäre oder sonstige Ziele genügten nicht, das sei auch berücksichtigt worden. Die zahlreichen Aktivitäten des Klägers auch in herausgehobener Funktion könnten nicht als bloßes Gedenken an verstorbene Verwandte gewertet werden, da zugleich der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel gebilligt worden sei. Der Kläger in seinen herausgehobenen Funktionen habe auch gewusst, dass Märtyrergedenkveranstaltungen für die Sache der PKK instrumentalisiert würden. Zurechenbar seien ihm die Unterstützungshandlungen auch mangels klarer Distanzierung durch ihn oder die Organisationen, für die er tätig gewesen sei und ist.
44 
Die Ausweisungsverfügung sei auch nach neuem Recht rechtmäßig. Die Voraussetzungen des Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie lägen vor, nachdem sogar jene des Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie vom Verwaltungsgericht zu Recht bejaht worden seien. Der Kläger irre, wenn er meine, der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ zwingend eine Unterstützung in Form von eigenen terroristischen Tätigkeiten oder eine herausgehobene Stellung in der terroristischen Vereinigung selbst zur Voraussetzung gemacht. Stets sei der Einzelfall zu untersuchen und es gebe danach auch andere Formen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
45 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Beweisantrag gestellt: „Es soll eine Auskunft zu den Tatsachen, dass die NAV-DEM insbesondere das Ziel verfolgt, die Interessen aller Kurden aus den Staaten Syrien, Irak und Türkei und die Integration der in Deutschland lebenden Kurden zu fördern sowie die Öffentlichkeit auf die Situation der bedrohten kurdischen Minderheiten im Irak und in Syrien hinzuweisen und für die Leistung humanitärer Hilfe für diese Personengruppe zu werden, eingeholt werden durch eine Auskunft durch den Sachverständigen A. I., Steindamm 39, 20099 Hamburg“. Diesen hat der Senat abgelehnt.
46 
Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten der Behörde vor. Es hat im weiteren die sich aus Blatt 165 der Gerichtsakten ergebenden weiteren Erkenntnismittel erhoben, die den Parteien zuvor zugänglich gemacht wurden. Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2016 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
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Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
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Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
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- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
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- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
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- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
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Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
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- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
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- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
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- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
111 
Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
124 
Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
83 
Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
92 
Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
94 
- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
95 
- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
96 
- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
97 
Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
98 
- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
99 
- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
100 
- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
111 
Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
124 
Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Februar 2016 - 6 K 5836/15 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhoben und begründete Beschwerde (vgl. §§ 146 Abs. 4 Sätze 1 bis 3, 147 Abs. 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Zwar zieht die Beschwerde mit den dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) die angegriffene Entscheidung, mit der es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung wiederherzustellen und gegen die ebenfalls verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen, erfolgreich in Zweifel (I.). Jedoch erweist sich der Beschluss im Ergebnis als zutreffend (II.).
I.
1. Das Verwaltungsgericht hat u.a. entschieden, dass der Antragsgegner hinsichtlich des Antragstellers eine zutreffende Gefährdungsprognose gestellt habe. Dabei sei das zur Ausweisung führende Strafurteil ausführlich ausgewertet worden. Unter anderem heißt es in dem angegriffenen Beschluss:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts Stuttgart … habe der Antragsteller am Tatabend ein Einhandmesser in der Hosentasche mit sich geführt. Das hinter dem Rücken versteckt gehaltene und deshalb von Tatopfer nicht erkennbare Messer habe er aus nichtigem Anlass heimtückisch eingesetzt und es dem Tatopfer wuchtig in den Oberbauch gestoßen.“
Mit der Beschwerde wird hiergegen geltend gemacht, dass der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht dem Antragsteller das Tatmerkmal der Heimtücke vorwürfen. Das Landgericht habe den Antragsteller aber nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen versuchten Totschlags verurteilt.
2. Mit diesem zutreffenden Vorbringen zieht die Beschwerde den angegriffenen Beschluss erfolgreich in Zweifel, da der Sache nach ein Verstoß sowohl gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO iVm. § 122 Abs. 1 VwGO als auch gegen Art. 103 Abs. 1 GG dargetan ist, der auch vorliegt.
a) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung. Ein Mangel bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung liegt u.a. dann vor, wenn die angegriffene Entscheidung auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (BVerwG, Beschluss vom 23.12.2015 - 2 B 40.14 -, juris Rn. 53 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.07.2012 - 2 S 1265/12 -, NVwZ-RR 2012, 778). Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch eine Entscheidung aufgrund unzutreffender, aktenwidriger Tatsachengrundlage beinhaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugleich einen Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 8 C 20.96 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr 274 m.w.N.).
b) Der angegriffene Beschluss verstößt davon ausgehend gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG, da mit ihm eine aktenwidrige Feststellung zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt getroffen wird. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Feststellungen des Antragsgegner-Vertreters im angegriffenen Bescheid vom 2. Oktober 2015 (dort S. 8 unten) zur heimtückischen Verwendung der Tatwaffe zutreffend seien und übernimmt diese auch für sich und die weitere Würdigung. Hingegen hat das Landgericht im seinem Strafurteil vom 21. Januar 2013 ein heimtückisches Handeln des Antragstellers mangels Arglosigkeit des Opfers ausdrücklich verneint (Urteilsabdruck S. 15). Die zutreffende tatsächliche und rechtliche Erfassung der Straftat, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, die wiederum der Ausgangspunkt einer Ausweisungsverfügung geworden ist, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ausweisungsverfügung zwingend zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu rechnen.
II.
1. a) Ergibt die auf dargelegte Gründe beschränkte Prüfung des Beschwerdegerichts (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht rechtfertigt, hat es umfassend zu prüfen, ob vorläufiger Rechtsschutz nach allgemeinen Maßstäben zu gewähren ist (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.03.2013 - 8 S 2504/12 -, VBlBW 2013, 384 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der angegriffene Beschluss - wie hier - unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG zustande gekommen und dies mit der Beschwerde geltend gemacht worden ist. Eine isolierte Prüfung, ob der Gehörsverstoß sich auch nach der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts auf eine entscheidungserhebliche Tatsache bezieht und die angegriffene Entscheidung also auf dem Grundrechtsverstoß beruht, hat im Unterschied zum Berufungszulassungsverfahren, zur Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und zum Revisionsverfahren (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a, Rn. 224) zu unterbleiben. Denn im Unterschied zu den genannten Verfahrensarten ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich unmittelbar auf die endgültige Entscheidung über das Rechtsschutzgesuch gerichtet (VGH Bad-Württ., Beschluss vom 27.02.2014 - 8 S 2146/13 -, VBlBW 2015, 78; SächsOVG, Beschluss vom 15.03.2016 - 3 B 302/15 -, juris, Rn. 7, BayVGH, Beschluss vom 19.01.2015 - 10 C 14.1799 -, juris, Rn. 14).
b) Mit der umfassenden Prüfung durch den Senat (unter 2.b)) wird auch der dem angegriffene Beschluss anhaftende Verstoß gegen § 5 Abs. 3 VwGO geheilt.
10 
Die Kammer in der Besetzung von drei Richterinnen und nicht die Einzelrichterin wäre zur Entscheidung berufen gewesen, da der Beschluss über die Übertragung des Rechtsstreits auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Sachentscheidung selbst noch nicht wirksam geworden war.
11 
aa) Nach § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VwGO entscheidet die Kammer des Verwaltungsgerichts bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern. Nach § 6 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO soll die Kammer den Rechtsstreit bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 durch Beschluss in der Regel einem ihrer Mitglieder übertragen. Der nicht anfechtbare Beschluss ist den Beteiligten in Anwendung von § 173 Satz 1 VwGO iVm. § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO formlos mitzuteilen (BVerwG; Beschluss vom 15.10.2001 - 8 B 104.01 -, NVwZ-RR 2002, 150; Stelkens/Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Mai 2010, § 6, Rn. 46). Der Beschluss über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erlangt Wirksamkeit mit seiner Bekanntgabe (BVerwG, Beschluss vom 15.10.2001 - 8 B 104.01 -, NVwZ-RR 2002, 150; BFH, Beschluss vom 10.08.1994 - II R 29/94 -, BFHE 175, 16; aA. <Übergabe an die Geschäftsstelle>: Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 6, Rn. 83), wobei teilweise vertreten wird, dass es auf den Beginn der Bekanntgabe durch die Hinausgabe der Entscheidung durch die Geschäftsstelle zur Post zum Zwecke der Bekanntgabe ankomme (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 14.09.1993 - 14 S 1312/93 -, ESVGH 44, 81). Von der - hier erheblichen - Wirksamkeit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter - im Außenverhältnis - ist die für den Spruchkörper eintretende interne Bindung, die durch die dokumentierte Übergabe an die Geschäftsstelle eintreten dürfte (Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 6, Rn. 12), zu unterscheiden. Jedenfalls ist ein gleichzeitiges Erlassen des Übertragungsbeschlusses und der Sachentscheidung durch den Einzelrichter unzulässig (Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 6, Rn. 84), da in diesem Fall die Bestimmung des gesetzlichen Richters aus der Perspektive der Beteiligten nicht mehr klar und eindeutig möglich wäre. Der Beschluss zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter muss vor der Sachentscheidung durch den Einzelrichter wirksam werden.
12 
Darüber hinaus kann eine spätere Bekanntgabe nicht zurückwirken; Entscheidungen des Einzelrichters, die dieser vor seiner wirksamen Bestellung trifft, sind auch dann nicht vom zuständigen Richter erlassen, wenn der Übertragungsbeschluss nachfolgend bekannt gegeben wird (Stelkens/Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Mai 2010, § 6, Rn. 46; Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 6, Rn. 12; aA. Geiger, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 6, Rn. 10; Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 01.07.2015, § 6, Rn. 18), weil es an einer gesetzlichen Anordnung der Möglichkeit fehlt, gerichtliche Beschlüsse rückwirkend wirksam werden zu lassen.
13 
bb) Gemessen hieran war die Einzelrichterin zum Zeitpunkt der Übergabe des hier angegriffenen Beschlusses nicht zur Entscheidung berufen. Zunächst ist die Übergabe des Einzelrichterübertragungsbeschlusses vom 9. Februar 2016 an die Geschäftsstelle nicht dokumentiert. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 11. Februar 2016 lässt sich entnehmen, dass neben der Endentscheidung auch der Beschluss über die Einzelrichterübertragung an die Beteiligen geschickt wurde („+je EZBs“). Auch ist dokumentiert, dass der angegriffene Beschluss am 11. Februar 2016 bei der Geschäftsstelle eingegangen ist. Damit sind die beiden Beschlüsse zeitgleich - frühestens mit der Herausgabe der Beschlüsse an die Post (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1994 - 6 C 2.92 -, BVerwGE 95, 64) - wirksam geworden, was nach Vorstehendem dazu führt, dass eine Zuständigkeit der Einzelrichterin zum erheblichen Zeitpunkt nicht wirksam begründet worden ist.
14 
2. Die umfassende Prüfung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch den Senat ergibt, dass das Verwaltungsgericht diesen in der Sache zu Recht abgelehnt hat.
15 
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers dahingehend aufgefasst, dass er auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisung als Nr. 1 des Bescheids vom 2. Oktober 2015 (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO iVm § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage gegen die Abschiebungsandrohung einschließlich der gesetzten Ausreisefrist (Nr. 3 und Nr. 4 des Bescheids; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO iVm. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, § 12 LVwVG) gerichtet ist. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist ausweislich des eindeutigen Antrags des Antragstellers im Schriftsatz vom 10. März 2016 die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
16 
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung durch den Beklagten-Vertreter in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gerecht werdenden Weise begründet worden ist.
17 
Die vom Senat zu treffende umfassende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers fällt zu dessen Lasten aus. Der Klage kommen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261, Rn. 8 und vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, Rn. 16) weder gegen die Ausweisungsverfügung (a) noch gegen die Abschiebungsandrohung mit Ausreisefristsetzung (b) Erfolgsaussichten zu. Darüber hinaus liegt auch das erforderliche besondere Vollzugsinteresse vor, das den Vollzug der Ausweisungsverfügung und der Abschiebungsandrohung vor Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren rechtfertigt (c).
18 
a) Die gegen den Antragsteller verfügte Ausweisung ist rechtmäßig ergangen. Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 1a AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016, BGBl. I., S. 394).
19 
aa) Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris, Rn. 49; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 5; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 1, Stand 10.02.2016, Rn. 54 ff.).
20 
Hier erfüllt das Verhalten des Antragstellers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und - soweit mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 anwendbar - des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG (1). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Antragstellers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, hat (2). Der Aufenthalt des Antragstellers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung (3). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung der Rechtsmäßigkeit des weiteren Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4). Auch die hier einschlägigen Vorgaben des § 53 Abs. 3 AufenthG werden durch die Ausweisungsverfügung beachtet (5).
21 
(1) Beim Antragsteller liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da er wegen einer vorsätzlichen Straftat - nämlich wegen eines versuchten Totschlags in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung - zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren - nämlich drei Jahren und sechs Monaten - verurteilt worden ist. Damit lag beim Antragsteller auch nach der vom 1. Januar 2016 bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Dort war bei Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisiert worden. Jedenfalls diese erste Neufassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist auch unbeschadet der Anwendbarkeit des Art. 13 ARB 1/80 hier einschlägig. Denn der mit der grundlegenden Neuregelung des Ausweisungsrechts durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) einhergehende Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, beinhaltet bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln des Assoziationsrechts (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris, Rn. 150).
22 
Mit der Verurteilung vom 21. Januar 2013 erfüllt der Antragsteller auch den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, denn er ist wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden und hat die Straftat mit Gewalt begangen. Es kann offen bleiben, ob die Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG auf den von Art. 13 ARB 1/80 begünstigten Personenkreis anwendbar ist oder sich die nachträgliche Einfügung eines ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisierenden Tatbestands als neue Beschränkung der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 darstellt, ohne dass dies durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre (siehe zu dieser immanenten Schranke der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80: EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C 225/12 - , NVwZ-RR 2014, 115 Rn. 40) mit der Folge, dass dieser Tatbestand außer Anwendung zu bleiben hätte. Ebenso kann offen bleiben, ob die Einführung neuer Ausweisungsinteressen nach dem 1. Januar 2016 überhaupt um eine neue Beschränkung im Sinne der Stand-Still-Klauseln des Assoziationsrechts darstellt oder mit Blick darauf, dass die verschiedenen Ausweisungsinteressen Teil der nach den § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG geforderten Gesamtabwägung sind, deren Ausgang wiederum an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen ist, soweit eine Privilegierung nach Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, eine Neugewichtung von Interessen und Belangen durch den Gesetzgeber vor Art. 13 ARB 1/80 weitgehend unproblematisch erscheint. Denn in den Fällen, in denen durch eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer Tat im materiellen Sinne mehrere Tatbestände des § 54 AufenthG erfüllt werden, führt dies nicht zu einer typisierten Verstärkung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses. Daher kommt es hier nicht darauf an, ob neben § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein weiterer Tatbestand auf ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse führt oder ob § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG bei Verurteilungen wegen Straftaten gegen das Leben im Verhältnis zu § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die speziellere Norm ist.
23 
(2) Dem Antragsteller kommt ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse zu, da dieser im Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).
24 
(3) Der Aufenthalt des Antragstellers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG.
25 
Die hohe vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr folgt aus seiner hohen Aggressivität, die sich in dem der Ausweisung zugrunde liegenden Verbrechen das erste Mal aktenkundig manifestiert hat. Der Senat schließt sich den Ausführungen der 4. großen Jugendkammer des Landgerichts an, wonach bei der Tatbegehung aus nichtigem Anlass die hohe Hemmschwelle eines vorsätzlichen Tötungsdelikts überwunden worden ist. Daraus, dass der Anlass für die Tat und deren Ausführung in keinem auch nur im Ansatz nachvollziehbaren Verhältnis zueinander stehen, schließt auch der Senat darauf, dass beim Antragsteller erhebliche Persönlichkeitsmängel bestehen, die - weiterhin - Anlass zur Befürchtung weiterer gravierender Straftaten geben. Insbesondere hat der Strafvollzug nicht dazu beigetragen, diese vom Aufenthalt des Klägers ausgehende erhebliche Gefahr für Leib und Leben Anderer zu senken. So geht das Amtsgericht Ravensburg in seinem Beschluss vom 22. Juni 2015, mit dem es die Aussetzung der Restjugendstrafe zur Bewährung ablehnt, nach persönlicher Anhörung des Antragstellers davon aus, dieser sich mit seiner Suchtproblematik - während des Vollzuges wurde der Antragsteller einmal positiv auf THC und Subutex getestet und ist damit nicht, wie die Beschwerde irrig behauptet, „im Strafvollzug nie durch … Drogenkonsum aufgefallen“ - nur unzureichend auseinandergesetzt habe und die bei ihm bestehende Gewalt- und Aggressionsproblematik nicht hinreichend therapiert worden sei. Das Landgericht Ravensburg hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 1. Juli 2015 bestätigt und betont, dass die Stellungnahme der JVA Ravensburg überdurchschnittlich negativ ausgefallen sei. Die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit stünden auch angesichts der unbehandelt im Raum stehenden Gewalt- und Suchtproblematik einer vorzeitigen Entlassung klar entgegen. Diese Prognosen des Vollstreckungsgerichts haben sich auch noch während des weiteren Vollzugs als zutreffend erwiesen. So ist der Antragsteller am 12. September 2015 in der JVA Ravensburg gegenüber einem Vollzugsbeamten durch Drohung von Anwendung körperlicher Gewalt und durch ein unangepasstes, distanzloses Verhalten aufgefallen. Dies führte zu der Anordnung von zwei Tagen Arrest, dessen Vollzug auf Bewährung ausgesetzt worden ist. Selbst einen Monat vor der Vollverbüßung seiner Strafe, am 17. November 2015, kann es beim Antragsteller zu einem gegen einen Mitgefangenen gerichteten aggressiven Verhalten. Er schlug dabei so heftig gegen eine Glastüre, dass diese zersprang und beleidigte den Mitgefangen u.a. als „Hurensohn“. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung des Antragsgegner-Vertreters und des Verwaltungsgerichts, dass beim Antragsteller eine bedeutende Wiederholungsgefahr vorliegt, als offenkundig richtig. Unerheblich ist, dass das sich beim Antragsteller zeigende aggressive, gewalttätige Verhalten nicht zu einer strafrechtlichen Verfolgung, sondern allein zu einer disziplinarischen Ahndung geführt hat. Denn für die Bejahung einer Wiederholungsgefahr bedarf es keiner weiteren strafrechtlichen Verurteilungen, sondern der Bewertung der Gesamtpersönlichkeit, für die als ein wesentlicher Gesichtspunkt das Verhalten während des Strafvollzugs heranzuziehen ist.
26 
Nicht durchzudringen vermag der Antragsteller mit seinem Vortrag in der Klagebegründung, die Entscheidung der Strafvollstreckungsgerichte, die am Maßstab des § 88 JGG orientiert seien, bezögen sich auf die Gefahr der Begehung jeglicher Straftaten, ohne dass es auf eine - zu erwartende - Tatschwere ankommen könne, deswegen sei auch nicht festgestellt, dass vom Antragsteller weitere schwere Gewalttaten zu erwarten seien. Denn sowohl die begangene Tat als auch das Verhalten des Antragstellers im Strafvollzug lassen keinen ernstlichen Zweifel daran bestehen, dass er - weiterhin - Gewalt auch gegen Personen als Lösung von tatsächlichen oder von ihm angenommenen Konflikten, seien sie auch noch so unbedeutend, ansieht. Im Übrigen ist auch bei einer Entscheidung nach § 88 Abs. 1 JGG das Restrisiko möglicherweise doch drohender Straftaten zu bewerten, wobei bei der Frage, ob dieses vertretbar oder unvertretbar ist, die Bedeutung und Wertigkeit des gefährdeten Rechtsguts zentral ist. Je höherwertiger das gefährdete Rechtsgut, umso geringer muss das Risiko eines Rückfalls sein, um den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Sinne des § 88 Abs. 1 JGG den Vorzug zu geben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.07.2006 - 3 Ws 213/06 -, StV 2007, 12). Daher bezieht sich die Prognose in den Beschlüssen des Amts- und des Landgerichts Ravensburg nicht auf das Risiko der Begehung von Bagatellstraftaten durch den Antragsteller.
27 
Soweit der Antragsteller - mit der Klagebegründung - geltend macht, dass vieles dafür spreche, dass sein Reifeprozess noch nicht abgeschlossen sei und sein jugendspezifisches Aggressionsverhalten sich auch ohne besondere Therapie bessern könne und diese deshalb nicht die einzige Möglichkeit sei, sein Leben künftig besser in den Griff zu bekommen, zeigt dies nicht auf, dass die Gefahrenprognose im angegriffenen Bescheid zu seinen Lasten fehlerhaft sein könnte. Denn letztlich räumt er damit ein derzeit bestehendes hohes Aggressionspotential ein. Hingegen ist der Umstand, dass der Antragsteller, wie in der Klagebegründung formuliert - „…zu der Auffassung gelangt ist, dass er für sich keine Wiederholungsgefahr mehr sieht und deshalb keine Sozialtherapie braucht…“, ein neuerlicher deutlicher Beleg dafür, dass der Antragsteller die Tat und ihren Ursprung nicht aufzuarbeiten willens ist, so dass die in der Tat zum Ausdruck gebrachte erhebliche Gefährlichkeit weiterhin fortbesteht. Im Übrigen vermag der Senat in dem begangenen versuchten Totschlag kein jugendspezifisches Aggressionsverhalten zu erkennen.
28 
Entgegen dem Beschwerdevorbringen bedürfen die Verwaltungsgerichte im Falle des Antragstellers keines Sachverständigen, um die Frage der vom Aufenthalt des Klägers ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hinreichend festzustellen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nämlich geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, Rn. 12 und Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 - InfAuslR 2016, 1, Rn. 12).
29 
(4) (a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
30 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (Bauer, a. a. O., § 53 AufenthG, Rn. 51).
31 
(b) Bei der erforderlichen Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet ist zu seinen Gunsten insbesondere in den Blick zu nehmen, dass er seit seiner Geburt in der Bundesrepublik Deutschland lebt, hier seine Schul- und Berufsausbildung absolviert hat, dass seine Eltern und Geschwister im Bundesgebiet leben und sein Bleibeinteresse schon allein aufgrund der gesetzgeberischen Wertung in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer wiegt. Weiter ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu seinen Gunsten zu unterstellen, dass sein Vortrag, in der Türkei lebten keine Verwandten ersten bis dritten Grades, zutreffend ist und die Ausweisung auch deshalb eine erheblichen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 GRCh) darstellt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er nach der Entlassung aus der Strafhaft zwischenzeitlich wieder in die elterliche Wohnung eingezogen und mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft lebt.
32 
Der Senat glaubt dem Antragsteller nicht, dass er nur rudimentäre Kenntnisse der türkischen Sprache haben will. Das Landgericht hat in seinem Strafurteil nämlich aufgrund der Angaben des Antragstellers in der Hauptverhandlung festgestellt, dass in seiner Familie deutsch und türkisch gesprochen werde. Es kann dahinstehen, ob er die türkische Schriftsprache tatsächlich nicht beherrscht, wie er behauptet. Da er alphabetisiert ist und er hinreichende Kenntnisse der gesprochenen türkischen Sprache besitzen dürfte, spricht nichts dagegen, sich in kürzerer Zeit auch die Schriftsprache anzueignen.
33 
(c) Zu Lasten des Antragstellers ist bereits die abstrakte Schwere des begangenen Verbrechens, das zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 1a AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der oben bereits festgestellten besonders hohen Wiederholungsgefahr, die sich auch während des gesamten Strafvollzugs immer wieder bestätigte und die zwischenzeitlich auch nicht durch die Teilnahme an einer Therapie gesenkt worden ist, muss zu Lasten des Antragstellers auch die fehlende Bereitschaft und / oder Fähigkeit zur Rechtstreue (zur Problematik dieses Tatbestandsmerkmals: Bauer/Beichel-Benedetti, NVwZ 2016, 416 <420>) berücksichtigt werden.
34 
Der Antragsteller ist bereits als Jugendlicher im Alter von 15 Jahren sieben tatmehrheitlicher Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall, davon in drei Fällen als Versuch schuldig gesprochen worden. Er hatte eine Arbeitsauflage von 70 Stunden abzuleisten. Auch im Strafvollzug verstieß er wiederholt gegen die Hausordnung und verhielt sich trotz wiederholter disziplinarischer Ahndungen distanzlos und beachtete Regeln nicht. Auch insoweit verhielt er sich nicht rechtstreu im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG. Eine neue, eigenständige Bedeutung kommt diesem zum 17.03.2016 ausdrücklich eingeführten Abwägungskriterium aber nicht zu. Diese Umstände waren auch zuvor bei der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bewerten und zu berücksichtigen und sind insbesondere auch im Rahmen der Gefahrenprognose auch vor der Gesetzesänderung von erheblicher Bedeutung gewesen.
35 
(d) Das Ergebnis der gesetzlich geforderten Gesamtabwägung ist hier ein deutliches Überwiegen des - öffentlichen - Interesses an der Ausreise gegenüber den bestehenden, besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen. Die hohe Gefahr der Begehung von Gewaltstraftaten durch den Antragsteller ist auch mit Blick auf seine Bindungen an das Bundesgebiet und seine im Faktischen nur lose Bindung an die Türkei nicht hinzunehmen, die Ausweisung erweist sich trotz der erheblichen Eingriffe in den Rechtskreis des Antragstellers als verhältnismäßig.
36 
Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist gemessen an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Anforderungen (zu den Kriterien siehe insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich auch: Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95 ff. und Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m.w.N.) mit Blick auf die erheblichen vom Aufenthalt des Klägers ausgehenden Gefahren für Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer gerechtfertigt.
37 
Dies gilt auch hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat, kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a.a.O.). Andererseits folgt aus fehlenden Bindungen an den Herkunftsstaat aber nicht, dass eine Ausweisung sich deshalb stets als unverhältnismäßig erweisen würde. Dem Antragsteller kann es zugemutet werden, neue Bindungen und Beziehungen in der Türkei aufzubauen und sie dort mit Leben zu erfüllen. Dies gilt insbesondere wegen der festgestellten, außergewöhnlich hohen Wiederholungsgefahr. Weiter wesentlich für dieses klare Abwägungsergebnis dürfte auch sein, dass keine Familienangehörigen auf die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet angewiesen sind. Es spricht auch nichts dafür, dass sein Einzug in den elterlichen Haushalt und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sich unmittelbar günstig auf das vorhandene Aggressionspotential des Antragstellers auswirken könnten, nachdem er dessen Ursachen bislang nicht hinreichend bekämpft hat.
38 
(5) Die verfügte Ausweisung des Antragstellers genügt auch den Anforderungen des § 53 Abs. 3 Var. 4 AufenthG. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
39 
(a) Dem Antragsteller kommt als in Deutschland geborenen Sohn eines hier abhängig beschäftigten türkischen Staatsangehörigen freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis zu im Sinne des Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 (siehe zum „Nachzug“ im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 durch Geburt: EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 -, InfAuslR 2005, 13 Rn. 26). Da sein Vater mehr als drei Jahre ordnungsgemäß im Bundesgebiet beschäftigt war und der Antragsteller in Deutschland seine Berufsausbildung zum Teilezurichter abgeschlossen hat, darf er sich auf jedes Stellenangebot bewerben (Art. 7 Satz 2 ARB 1/80).
40 
(b) Die Vorgaben des § 53 Abs. 3 AufenthG sind in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils unionsrechtlich privilegierten Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen, was sich auch aus der Gesetzesbegründung ergibt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris, Rn. 123; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG, Rn. 54). Der unionsrechtliche Bezugsrahmen für Art. 14 ARB 1/80 ist dabei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44). Danach ist eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung - im Sinne des Unionsrechts - mit Art. 14 ARB 1/80 zu vereinbaren, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08 -, NVwZ 2012, 422, Rn. 86).
41 
(c) Auch gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die gegen den Antragsteller verfügte Ausweisung als rechtmäßig. Angesichts der hohen Gefahr für Leib und Leben anderer, die durch den Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet ausgeht (siehe oben), ist auch eine tatsächliche und schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft festzustellen, denn die Gefahr von Kapitalverbrechen, noch dazu bei einer gleichsam willkürlichen Auswahl der potentiellen Opfer, bedroht die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung insgesamt und damit sogar die öffentliche Sicherheit im unionsrechtlichen Sinne (vgl. EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - , NVwZ 2011, 221, Rn. 47). Die Maßnahme erweist sich auch am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80 gemessen als verhältnismäßig und damit unerlässlich (siehe zum Begriff der Unerlässlichkeit als Umschreibung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Art. 14 ARB 1/80 Rn. 42). Hier gilt angesichts der erheblichen vom Antragsteller ausgehenden Gefahren nichts anderes als oben zu § 53 Abs. 2 AufenthG bereits ausgeführt.
42 
bb) Das von der Ausweisung ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG) ist entsprechend den Vorgaben des § 11 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 AufenthG mit dem angegriffenen Bescheid befristet worden. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats handelt es sich bei der Befristungsentscheidung - entgegen dem Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG - weiterhin um eine gebundene, gerichtlich vollständig überprüfbare Entscheidung (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.12.2015 - 11 S 1857/15 -, juris Rn. 25). Daraus folgt, dass mit rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens gesichert eine Entscheidung zur Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots besteht und nicht - wie bei der Annahme eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Befristung - die Folge einer aufzuhebenden weil ermessensfehlerhaften Befristungsentscheidung eine im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fehlende Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit der Folge der Rechtswidrigkeit der Ausweisung selbst sein kann (siehe zum - ausnahmsweisen - Rechtmäßigkeitszusammenhang von Ausweisung und Befristungsentscheidung etwa: EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 -, InfAuslR 2006, 3). Deshalb hängt die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung nicht von der rechtmäßigen Bestimmung der Länge der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ab. Es bedarf im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher keiner inzidenten Überprüfung der Länge der Befristung.
43 
b) Auch die verfügte Abschiebungsandrohung - nebst der Ausreisefristsetzung nach Haftentlassung - ist rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Die dem Antragsteller eingeräumte Ausreisefrist von zwei Wochen nach Haftentlassung ist angesichts des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von sieben bis dreißig Tagen ermessensfehlerfrei bestimmt worden. Insbesondere ist die tragende Erwägung im angegriffenen Bescheid für die Unterschreitung der Regelhöchstfrist, dass zu berücksichtigen sei, dass der Antragsteller weder ein Arbeitsverhältnis noch Wohnraum kündigen müsse, nicht zu beanstanden (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
44 
c) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die - wenn auch nicht mit einer ausdrücklichen Begründung untermauerte - Auffassung des Verwaltungsgerichts, es bestehe ein besonderes Vollzugsinteresse, dass die Vollziehung der Ausweisung und der daraus resultierenden Ausreisepflicht schon vor rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens erfolgt, zutreffend.
45 
aa) Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist immer auch zu prüfen, ob überwiegende öffentliche Belange dafür streiten, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Das gilt unabhängig davon, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 oder Satz 2 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (BVerfG, Beschluss vom 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 < 228 f.>; BVerfG (K), Beschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 -, BVerfGK 11, 179 ). Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht - auch bei gesetzlich angeordnetem Sofortvollzug - nicht aus, um die Umsetzung der Maßnahme vor der endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren zu rechtfertigen. So bedürfen Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung von Ausländern eine besondere Rechtfertigung, die von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und eine Gefährdungsprognose bezogen auf den Zeitraum zwischen beabsichtigtem Vollzug und Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren erfordert (BVerfG (K), Beschluss vom 24.08.2011 - 1 BvR 1611/11 -, NVwZ 2012, 104 <105>; VGH Bad.-Württ, Beschlüsse vom 17.12.2015 - 8 S 2187/15 -, juris, Rn. 18 und vom 16.06.2011 - 11 S 1305/11 -, InfAuslR 2011, 349).
46 
bb) Gemessen an diesen Maßstäben liegt das geforderte besondere Vollzugsinteresse vor. Der Antragsteller ist bis zu seiner Entlassung nach der vollständigen Verbüßung seiner Jugendstrafe immer wieder durch Distanz- und Disziplinlosigkeit im Vollzug aufgefallen. Noch im November 2015 hat er im Rahmen eines Streits mit einem Mitgefangenen eine Glasscheibe mit der Faust zerschlagen. Der damit zum Ausdruck kommende, weiterhin vom Antragsteller nicht kontrollierte Hang zur Gewalttätigkeit rechtfertigt die Prognose, dass von ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, die sich im diesem Zeitraum auch realisieren kann. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller bei der der Ausweisung zugrunde liegenden Tat aus nichtigem Anlass handelte.
47 
Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist der Anspruch des Antragsteller auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG durch den Sofortvollzug nicht berührt. Zum einen ist er durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten. Auch kann er sich selbst schriftlich gegenüber dem Verwaltungsgericht äußern. Soweit eine Teilnahme an einer etwaigen mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts über seine Ausweisung erforderlich sein sollte, kommt die Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 8 Satz 1 AufenthG in Betracht (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 02.12.2014 - 3 EO 757/14 - InfAuslR 2015, 141).
48 
d) Andere Gründe, die es gebieten würden, trotz nicht bestehender Erfolgsaussichten der Klage und trotz eines bestehenden besonderen Vollzugsinteresses dennoch den Suspensivinteressen des Antragstellers den Vorrang einzuräumen, gibt es für den Senat nicht.
49 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist syrisch-orthodoxer Christ türkischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Alter von sechs Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte zunächst bei seinen Eltern. Ihm wurde ein befristeter Aufenthaltstitel erteilt und in der Folge mehrfach verlängert; mehrere Geschwister haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Seine Schulausbildung beendete er ohne Abschluss. Seit seinem 13. Lebensjahr konsumierte er Drogen und wurde vielfach straffällig. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2010 verbrachte er insgesamt etwa 15 Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft; maßgeblich hierfür waren überwiegend Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von jeweils bis zu zwei Jahren. Eine höhere Freiheitsstrafe, nämlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, war lediglich durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Januar 2001 ausgesprochen worden. Diesem Urteil lagen eine am 30. Oktober 2000 begangene versuchte schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall (Einzelstrafe zwei Jahre zehn Monate) und eine am 1. Juli 2000 begangene Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung (Einzelstrafe sechs Monate) zu Grunde.

2

Die Ausländerbehörde der Stadt Hamburg hörte den Kläger seit 1992 mehrfach zu einer beabsichtigten Ausweisung an. Durch Bescheid vom 29. Dezember 1999 wies sie ihn aus, weil er innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen von zusammen mindestens drei Jahren verurteilt worden sei (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990). Seine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage blieb erfolglos. In der Folge wurden ihm Duldungen erteilt. Einen im Jahre 1996 aus der Haft heraus gestellten Asylantrag lehnte die Beklagte als offensichtlich unbegründet ab, wurde jedoch durch das zuständige Verwaltungsgericht verpflichtet, den Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen als asylberechtigt anzuerkennen.

3

Durch Bescheid vom 25. Januar 2006 widerrief die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (Ziffer 1 des Bescheids) sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen (Ziffer 2). Zusätzlich stellte sie fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorlägen (Ziffer 3). Zur Begründung verwies sie auf die Verurteilung des Klägers zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Die weitere Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), begründete sie damit, dass syrisch-orthodoxe Christen in der Türkei nicht mehr mit Verfolgung oder menschenrechtswidriger Behandlung rechnen müssten.

4

Das Verwaltungsgericht Hamburg wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Anfechtungsklage durch Urteil vom 11. Dezember 2008 ab. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 2. Januar 2012 geändert und den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Ein Widerrufsgrund könne nicht nur dann vorliegen, wenn nachträglich die Anerkennungsvoraussetzungen wegfielen, sondern auch dann, wenn nachträglich Ausschlussgründe verwirklicht worden seien, etwa wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei. Ein solcher Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Denn § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfasse nicht den Fall, dass im Wege der Gesamtstrafenbildung auf eine dreijährige Freiheitsstrafe erkannt worden sei. Dies folge aus dem Wortlaut der Norm und werde durch Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck bestätigt. Die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung als Folge einer Gesamtstrafenbildung könne im Übrigen zu Gleichheitsverstößen führen. Denn derjenige Straftäter, bei dem die Ahndung mehrerer Straftaten verbunden werde und in eine dreijährige Gesamtstrafe münde, werde ohne sachlichen Grund gegenüber demjenigen benachteiligt, bei dem dieselben Straftaten verfahrensmäßig getrennt und mit Strafen von jeweils unter drei Jahren abgeurteilt würden. Die Frage, ob der Widerruf der Asylanerkennung auch darauf gestützt werden könne, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei auf Grund einer Veränderung der Umstände keine asylrelevante Verfolgung oder Folter bzw. unmenschliche Behandlung mehr drohe, habe die Beklagte in ihren Bescheid weder angesprochen noch habe sie entsprechende Überlegungen im Gerichtsverfahren vorgetragen. Die Möglichkeit einer derartigen Veränderung der maßgeblichen Umstände in der Türkei liege auch nicht ohne Weiteres auf der Hand.

5

Die Beklagte rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts sowie die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht. Sie ist der Auffassung, dass auch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingseigenschaft begründen könne.

6

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und hält hilfsweise sein Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung unionsrechtlicher bzw. nationaler Abschiebungsverbote aufrecht.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Revision.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat allerdings ohne Verstoß gegen revisibles Recht entschieden, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stützen durfte. Es hat jedoch die im Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der Widerruf stattdessen auf den Wegfall der verfolgungsbegründenden Umstände gestützt werden konnte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Da hinreichende Sachverhaltsfeststellungen hierzu fehlen, kann der Senat die Frage, ob sich die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), nicht abschließend beantworten. Der Rechtsstreit ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO.

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2006. Auf die Anfechtungsklage des Klägers ist die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids uneingeschränkt zu überprüfen. Eine Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf einen von mehreren möglichen Widerrufsgründen würde der Verpflichtung des Verwaltungsgerichts widersprechen, die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen unteilbaren Verwaltungsakts umfassend zu prüfen. Dabei muss das Verwaltungsgericht zum einen auch solche Anfechtungsgründe berücksichtigen, die der Kläger nicht geltend gemacht hat (stRspr seit Urteil vom 20. Februar 1956 - BVerwG 5 C 36.55 - NJW 1956, 804; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109, Rn. 14 a.E. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 76). Zum anderen hat es die Rechtmäßigkeit eines nicht im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakts auch unter Gesichtspunkten zu prüfen, die von der Behörde im Bescheid oder im Gerichtsverfahren nicht angeführt worden sind. Denn die Aufhebung eines solchen Verwaltungsakts setzt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO u.a. seine objektive Rechtswidrigkeit voraus; daran fehlt es auch dann, wenn er unter einem im Bescheid oder im Verfahren nicht angesprochenen Grund rechtmäßig ist. Die vorliegende Klage ist also nicht schon dann begründet, wenn der im Widerrufsbescheid allein angeführte Widerrufsgrund des § 60 Abs. 8 AufenthG nicht vorliegt, sondern nur dann, wenn der Bescheid auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar ist und er den Adressaten in seinen Rechten verletzt, insbesondere also wenn auch andere in Betracht kommende Widerrufsgründe ausscheiden. Nur diese Sichtweise wird im Übrigen der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gerecht, nach der alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden sollen (Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 10; Beschluss vom 10. Oktober 2011 - BVerwG 10 B 24.11 - juris Rn. 4).

10

2. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im vorliegenden Fall zu Unrecht auf § 60 Abs. 8 AufenthG gestützt hat.

11

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG müssen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG) oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Im letztgenannten Fall muss zusätzlich eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehen. Diese liegt nur vor, wenn von dem Ausländer in Zukunft neue vergleichbare Straftaten ernsthaft drohen (vgl. Urteil vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <188 ff.> noch zu § 51 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990).

12

Die nach § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erforderliche rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren kann grundsätzlich unabhängig davon vorliegen, ob die verhängte Freiheitsstrafe auf tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangene und gleichzeitig abgeurteilte Delikte (§ 52 oder §§ 53 bis 55 StGB) zurückgeht. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ist jedoch erforderlich, dass zumindest eine der Einzelstrafen, aus denen die Gesamtstrafe gemäß §§ 54 oder 55 StGB gebildet wird, eine wenigstens dreijährige Freiheitsstrafe ist. Falls hingegen die Gesamtfreiheitsstrafe ausschließlich aus Einzelstrafen hervorgegangen ist, die jeweils für sich genommen die Mindestdauer von drei Jahren nicht erreichen, ist der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG nicht eröffnet. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm und einer teleologisch-systematischen Auslegung im Einklang mit den relevanten völker- und unionsrechtlichen Vorschriften (anders OVG Lüneburg, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 - und OVG Schleswig, Urteil vom 21. Juni 2012 - 1 LB 10/10).

13

Nach dem Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stellt ein Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, wenn er wegen "eines" Verbrechens oder besonders schweren Vergehens verurteilt worden ist; ein entsprechender Sprachgebrauch findet sich auch in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (vormals Richtlinie 2004/83/EG, "wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt") sowie in Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, "weil er wegeneines Verbrechens oder eines besonderes schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde"). Im Hinblick darauf, dass das Aufenthaltsgesetz in einem vergleichbaren Zusammenhang Rechtsfolgen ausdrücklich an das Vorliegen "einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" knüpft (§ 53 Nr. 1, § 54 Nr. 1 AufenthG), spricht der Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG eher für als gegen die Annahme, dass die Gefahrenschwelle der Vorschrift nicht überschritten wird, wenn die Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Gesamtstrafe auf einer Zusammenfassung mehrerer Freiheitsstrafen von jeweils unter dreijähriger Dauer beruht.

14

Diese Annahme wird durch den Zweck der Vorschrift bestätigt. Sie geht auf Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zurück, der Art. 33 Abs. 2 GFK und der darin normierten Ausnahme vom völkerrechtlichen Refoulement-Verbot nachgebildet ist: Sie soll Gefahren von dem Aufnahmestaat eines Flüchtlings abwehren, die durch dessen kriminelles Verhalten verursacht werden. Im Hinblick darauf, dass § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU darüber hinausgehend sogar die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorsehen (krit. dazu Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Kap. IV 3, S. 1133 f. Rn. 15; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 37 Rn. 47 ff.), muss die Vorschrift jedoch restriktiv so ausgelegt werden, dass die Sicherungen insbesondere des völkerrechtlichen Flüchtlingsrechts gegen eine Abschiebung in den Verfolgerstaat nicht relativiert werden. Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsgewährung kann deshalb gegenüber kriminellen Flüchtlingen nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn ihr kriminelles Verhalten die Schwelle der besonders schweren Strafbarkeit überschreitet (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1975 - BVerwG 1 C 46.69 - BVerwGE 49, 202 <208 ff.> zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965).

15

Aus diesen Gründen kommt es nach der Konzeption des deutschen Rechts für die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG unabhängig davon, dass die Umsetzung der Mindestgewährleistung des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten eine erhebliche Bandbreite aufweist (vgl. European Council on Refugees and Exilies, The Impact oft the EU Qualification Directive on International Protection, 2008, S. 171 ff., 179 bis 182 mit einer Zusammenstellung der Umsetzungsmaßnahmen, vgl. auch ebda. S. 33 f.), im Übrigen auch nicht auf die abstrakte Strafdrohung, sondern auf die konkret verhängte Freiheitsstrafe an. Denn die Mindeststrafenregelung soll sicherstellen, dass der Entzug des Asyl- und Flüchtlingsstatus nur gegenüber besonders gefährlichen Tätern in Betracht kommt. Nur sie bedeuten eine Gefahr für die Allgemeinheit, die gegenüber dem Ziel des Flüchtlingsschutzes im Ausnahmefall überwiegen kann, nicht aber solche Täter, die sich zwar eines mit hoher Strafdrohung bewehrten Vergehens oder Verbrechens schuldig gemacht haben, dabei aber im unteren oder mittleren Bereich der Strafbarkeit geblieben sind, so dass sie eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Jahren verwirkt haben. Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen (Einzel-)Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt.

16

Aus demselben Grund reicht es nicht aus, wenn ein Täter nur deshalb zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, weil mehrere von ihm begangene Taten geringeren oder mittleren Gewichts im Rahmen eines einzigen Strafverfahrens oder - wenn eine frühere Strafe noch nicht vollstreckt ist - im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung abgeurteilt worden sind. Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG würde hingegen dazu führen, dass die von rein verfahrenspraktischen Aspekten, nicht aber von der Gefährlichkeit des Täters abhängige Frage, ob eine Straftat in einem Strafverfahren für sich genommen oder zusammen mit anderen Straftaten abgeurteilt wird, ausschlaggebend dafür werden könnte, ob der Täter die Voraussetzungen für einen Widerruf seines Asyl- oder Flüchtlingsstatus erfüllt oder nicht.

17

Auch die Entstehungsgeschichte der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Takkenberg/Tahbaz, The collected travaux préparatoires of the 1951 Geneva convention relating to the status of refugees, 1990, III S. 89 f., 344 ff., sowie Weis, The travaux préparatoires analysed with a commentary, abrufbar bei www.unhcr.org/4ca34be29.html, ab Seite 233) bestätigt die Erforderlichkeit einer restriktiven Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Während im ursprünglichen Textentwurf eine Einschränkung des Refoulement-Verbots (Art. 28 des Entwurfs) noch nicht vorgesehen war, setzte sich der Gedanke, dass Staaten zur Hinnahme von Gefahren für ihre Sicherheit oder für die Allgemeinheit nicht unbeschränkt gezwungen sein dürften, erst nach einer intensiven Debatte über die Grenzen des Refoulement-Schutzes durch. Der schließlich verabschiedeten Textfassung lag die Einschätzung zu Grunde, dass die Abschiebung eines Flüchtlings nur ausnahmsweise und als Reaktion auf besonders schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Flüchtlings zulässig sei, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder der Allgemeinheit bestehe. Die Auffassung des Vertreters des Bundesinteresses, auch in derartigen Fällen könne über die Merkmale einer Gefahr für die Allgemeinheit oder der Wiederholungsgefahr im Rahmen einer Einzelfallwürdigung eine Unterschreitung des völker- und unionsrechtlich gebotenen Mindeststandards verhindert werden (ebenso OVG Schleswig a.a.O. Rn. 45), wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn sie verschiebt die untere Grenze für die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung in einen Bereich, der bereits die durch eine Mehrzahl von Taten der mittleren Kriminalität ausgelösten Gefahren erfasst und sich damit gerade nicht auf Fälle besonders schwerer Verbrechen (Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU) beschränkt.

18

Aus der Entstehungsgeschichte des § 60 Abs. 8 AufenthG ergibt sich nichts Abweichendes. Die Mindeststrafengrenze des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG war weder im Ausländergesetz vom 28. April 1965 (AuslG 1965, dort § 14 Abs. 1 Satz 2, gültig bis Ende 1990) noch in der bis Oktober 1997 gültigen Fassung des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (AuslG 1990, dort § 51 Abs. 4) enthalten und fehlt auch in Art. 33 Abs. 2 der durch das AuslG 1965 in Bezug genommenen Genfer Flüchtlingskonvention. Sie wurde erst durch Gesetz vom 29. Oktober 1997 als § 51 Abs. 3 AuslG (gültig bis Ende 2004) mit der Begründung in das Gesetz eingefügt, die bisher nur selten angewandte Vorschrift solle konkretisiert und ihre praktische Anwendung angesichts der aktuellen politischen Lage erleichtert werden (BTDrucks 13/4948 S. 9). Weder durch das Aufenthaltsgesetz in der Fassung vom 30. Juli 2004 noch durch das erste Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 ist sie nachfolgend geändert worden. Aus diesem Ablauf lässt sich lediglich die Absicht des Normgebers ableiten, die Ausweisung von Straftätern durch eine leicht handhabbare Regelung zu erleichtern, nicht aber eine Aussage zu der - in den Materialien nicht angesprochenen - Frage, ob die Mindeststrafengrenze auch durch eine aus mehreren Einzelstrafen von jeweils unter drei Jahren gebildete Gesamtstrafe erfüllt werden sollte oder nicht. Vielmehr folgt aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 33 Abs. 2 GFK in der Begründung für die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe (BTDrucks 13/4948 S. 9), dass die dort verbindlich vereinbarte hohe Schwelle für eine Relativierung des Flüchtlingsschutzes nicht angetastet werden sollte.

19

3. Das Berufungsgericht hat jedoch die im vorliegenden Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der angegriffene Widerrufsbescheid auf § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gestützt werden kann, nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht dieser Frage überhaupt nicht nachgegangen ist oder ob es die Frage zwar aufgeworfen, aber unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO - da ohne jede Sachverhaltsaufklärung - beantwortet hat.

20

Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch dann geboten, wenn der Ausländer es nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Nach der Rechtsprechung kann dies allerdings erst dann angenommen werden, wenn sich die verfolgungsbegründenden Umstände erheblich und dauerhaft verändert haben (Urteile vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 und vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 16 ff.; EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 72 ff.). Die bei der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festgestellte Verfolgungsgefahr fällt also erst weg, wenn durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte und zugleich stabile Grundlage für die Verfolgungsprognose entstanden ist, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Betroffenen nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mehr besteht. Die einen Wegfall der Verfolgungslage begründenden Tatsachen müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen, wenn auch nicht - wie das Berufungsgericht es formuliert hat - "auf der Hand liegen".

21

4. Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ein Wegfall der Verfolgungslage ableiten ließe. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im angegriffenen Bescheid Ausführungen zur Situation von Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche in der Türkei enthalten sind, wenn auch lediglich im Zusammenhang mit einem denkbaren Anspruch des Klägers auf subsidiären Schutz. Denn es wäre Aufgabe des Verwaltungsgerichts und des Berufungsgerichts gewesen, die Richtigkeit dieser Ausführungen durch eigene tatsächliche Feststellungen zu überprüfen. Deshalb kann der Senat die Frage, ob die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO) nicht beantworten und auch nicht zu Lasten des Klägers in der Sache selbst entscheiden. Vielmehr ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem die Gelegenheit zu geben, die für § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen aufzuklären.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 - 11 K 1286/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Soweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 zurückgewiesen worden ist, wird die Revision zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahre 1973 in Luanda geborener angolanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Der Kläger stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Januar 1990 einen Asylantrag, zu dessen Begründung er vortrug, er sei Kriegswaise und nicht bereit gewesen, beim angolanischen Militär zu dienen, weshalb ihm politische Verfolgung drohe. Nach dem negativen Ausgang dieses und eines weiteren am 23. November 1993 in Gang gesetzten Asylverfahrens verblieb er in Deutschland. Er heiratete im Jahre 1994 eine deutsche Staatsangehörige und erhielt aufgrund dessen eine Aufenthaltserlaubnis. Ab dem 1. April 1997 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AuslG 1990. Die Ehe wurde im Jahre 1998 rechtskräftig geschieden.
Der Kläger lebt seit dem Jahre 2003 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit der im Jahre 1978 geborenen angolanischen Staatsangehörigen E. M. B., die im April 2002 in das Bundesgebiet einreiste. Ihr Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt. Frau B. ist die Mutter von drei in den Jahren 2003, 2005 und 2011 im Bundesgebiet geborenen Töchtern, für die der Kläger die Vaterschaft anerkannt und eine Sorgerechtserklärung abgegeben hat. Sie ist seit dem 17. Oktober 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, die immer wieder verlängert wird - zuletzt bis 12. Januar 2019.
Der Kläger ist ausweislich des Auszugs aus dem Zentralregister vom 30. Januar 2017, auf dessen Inhalt hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird, im Bundesgebiet bislang 13 Mal verurteilt worden:
Nachdem der Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 unter anderem wegen Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz insgesamt drei Mal zu Geldstrafen und am 19. Oktober 1994 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt worden war, wurde er unter dem 16. August 1995 ausländerrechtlich verwarnt.
Am 4. Februar 1999 verhängte das Amtsgericht Lörrach wegen Verschaffens falscher amtlicher Ausweise eine Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen zu je 10 DM gegen ihn, weil er am 10. Oktober 1998 bei der versuchten Ausreise in die Schweiz bei der Grenzabfertigung im Badischen Bahnhof Basel einen durch Lichtbildauswechslung verfälschten, für eine andere Person ausgestellten portugiesischen Reisepass mit sich geführt hatte.
Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt verurteilte ihm am 24. Juli 2000 wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 30 DM.
Im Jahre 2001 wurde der Kläger wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe und im Jahre 2002 wegen Leistungserschleichung in fünf Fällen zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt.
Mit seit 24. August 2002 rechtskräftigem Strafbefehl vom 25. Februar 2002 verhängte das Amtsgericht Nürtingen gegen den Kläger wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen eine Geldstrafe. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger ab dem 16. März 2001 aufgrund eines jeweils neu gefassten Tatenschlusses Überweisungsträger ausgestellt auf ein Konto bei der ... Bank ..., Filiale N., Kontoinhaberin Frau S. K., vorlegte. Diese Überweisungsträger hatte er jeweils über Beträge von 132,59 DM, 256,84 DM, 200,43 DM sowie über 592,69 DM und 648,42 DM ausgestellt und jeweils mit der Unterschrift S.K. versehen, um den Eindruck zu erwecken, sie seien von einer berechtigten Person unterzeichnet worden. Das jeweilige Personal, so getäuscht, überwies jeweils das Geld, auf das der Kläger, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.
10 
Es folgten Verurteilungen zu Geldstrafen durch das Amtsgericht Stuttgart am 9. April 2003 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr und das Amtsgericht Göppingen am 11. Juli 2006 wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz.
11 
Mit rechtskräftigem Urteil vom 25. September 2007 verhängte das Landgericht Stuttgart gegen den Kläger wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug in 37 Fällen sowie Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 16 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Ausweislich der diesem Strafverfahren zugrunde liegenden Anklageschriften war hinsichtlich weiterer Taten nach § 154 StPO verfahren worden.
12 
Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger mit nicht identifizierten Mittätern im Jahre 2005 beschloss, künftig regelmäßig bei unterschiedlichen Banken Überweisungsträger aus Briefkästen „herauszuangeln“. Sein Tatplan sah vor, die Kundendaten der Bankkunden den Überweisungsformularen zu entnehmen, sie auf Überweisungsformulare der jeweiligen Bank zu übertragen und als Empfänger solche Konten zu benennen, die er oder seine Mittäter zuvor mit falschen Personalien eröffnet hatten. Weiter war geplant, die Unterschrift der Bankkunden zu imitieren und die total gefälschten Überweisungsformulare bei den Banken einzureichen, um dadurch dauerhaften Gewinn zu erzielen. Die Empfängerkonten waren bei Kreditinstituten im In- und Ausland, dort insbesondere Spanien. Im Einzelnen kam es zwischen dem 27. März 2006 und dem 10. Februar 2007 zu 53 Taten. Teilweise führten die Verantwortlichen der Banken die Aufträge aus, teilweise kam es mangels Deckung der Kundenkonten nicht zur Ausführung, teilweise wurden die Fälschungen erkannt und in anderen Fällen konnte das Geld nach Ausführung der Überweisung wieder zurückerlangt werden. Die Überweisungsträger bezogen sich auf Beträge zwischen 2.124,09 Euro und 45.767,07 Euro. Die Überweisungen zielten auf ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen in Höhe von insgesamt ca. 458.698 Euro ab. Hinsichtlich der Einzelheiten der Sachverhaltsfeststellungen wird auf die Gründe des Urteils vom 25. September 2007 (unter II., Bl. 4 bis 11) Bezug genommen. Das Strafgericht legte für sämtliche (Einzel-) Strafen den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB zugrunde und verneinte Gründe dafür, vom Vorliegen eines besonders schweren Falls trotz der Vermutungswirkung des Regelbeispiels abzusehen.
13 
Am 25. November 2014 verurteilte das Amtsgericht Stuttgart den Kläger wegen Urkundenfälschung in sieben Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit Betrug und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug, zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Urteil wurde am 29. April 2015 rechtskräftig. Dem Urteil zufolge eröffnete der Kläger ab dem 4. August 2012 unter Vorlage gefälschter Passdokumente, teilweise auch gefälschter Gehaltsnachweise, verschiedene Bankkonten unter falscher Identität, teilweise um den bewilligten Kreditrahmen auszunutzen, und teilweise um mittels gefälschter Überweisungsformulare Geld auf Konten transferieren zu lassen. In drei Fällen brachte er ausgefüllte Überweisungsträger verschiedener Bankkunden an sich, übertrug ihre Kundendaten auf Überweisungsformulare der jeweiligen Bank, imitierte die Unterschrift und reichte sie bei der Bank ein. Im Rahmen der Strafzumessung nahm das Strafgericht bei sämtlichen Taten ein gewerbsmäßiges Handeln an.
14 
Bei Begehung eines Teils der Taten, die der Verurteilung vom 25. November 2014 zugrunde lagen, stand der Kläger noch wegen des ausgesetzten Strafrests aus der Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart vom 25. September 2007 unter Bewährung. Die durch das Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren hatte er bis 18. November 2009 in der Justizvollzugsanstalt H. verbüßt. Ausweislich des Zentralregisterauszugs vom 30. Januar 2017 wurde der Strafrest aus dieser Verurteilung mit Wirkung vom 28. Dezember 2012 erlassen.
15 
Am 1. Juli 2015 stellte sich der Kläger in der Justizvollzugsanstalt Ulm zum Strafantritt. Beginnend ab 24. Oktober 2015 erhielt er Regelausgänge und ab 24. Dezember 2015 Freistellung aus der Haft. Nach dem Inhalt der Gefangenenpersonalakte versuchte der Kläger am 16. September 2016 einen Mitgefangenen, der ihn zuvor beleidigt und provoziert hatte, zu ohrfeigen. Da dieser zurückwich, streifte ihn die Hand des Klägers nur; äußere Verletzungen waren nicht festzustellen. Aufgrund dieses Vorfalls erfolgte am 22. September 2016 die Verlegung des Klägers in die Justizvollzugsanstalt H.. Dort befindet er sich mit Strafende 31. Dezember 2017 im geschlossenen Vollzug. Das Landgericht Ulm - Strafvollstreckungskammer - wies mit Beschluss vom 16. November 2016 den Antrag des Klägers auf gerichtliche Entscheidung gegen die Maßnahme seiner Ablösung vom offenen Vollzug als unbegründet zurück.
16 
Seit dem 10. Dezember 2015 betreibt der Kläger ein Insolvenzverfahren und führt regelmäßig Beträge ab.
17 
Gegen den Kläger erging unter dem 30. Juni 2008 erstmals eine Ausweisungsverfügung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 21. Juli 2009 - 5 K 2850/08 - schlossen die Beteiligten einen Vergleich, der u.a. die Duldung des Klägers ab Haftentlassung für die Dauer von drei Jahren und die Aufhebung der Ausweisung und Abschiebungsandrohung in der Verfügung vom 30. Juni 2008 vorsah, sofern er nicht erneut in dieser Zeit wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat rechtskräftig verurteilt würde. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vergleichs wird auf die Sitzungsniederschrift im Verfahren 5 K 2850/08 verwiesen.
18 
Nachdem der Zentralregisterauszug vom 22. November 2012 keine neuen Straftaten aufführte und auch sonst keine Erkenntnisse vorlagen, hob das Regierungspräsidium Stuttgart unter dem 6. Dezember 2012 die Ausweisungsverfügung vom 30. Juni 2008 auf und veranlasste die Aushändigung der Niederlassungserlaubnis.
19 
Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Kläger nach vorheriger Anhörung mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Januar 2016, zugestellt am 5. Februar 2016, aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung nach Angola aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise an, soweit die Ausweisung bis dahin bestandskräftig oder die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet worden ist (Ziffer 2). Unter Ziffer 3 wurde er für den Fall der Entlassung aus der Haft ohne Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland spätestens innerhalb von einem Monat nach Bestandskraft oder einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung zu verlassen, und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Angola angedroht. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf fünf Jahre nach Ausreise oder Abschiebung befristet (Ziffer 4), wobei die Behörde über die Länge der Frist nach Ermessen entschied.
20 
Zur Begründung der gegen den Bescheid am 3. März 2016 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klage trug die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, ihm sei bewusst, dass er zahlreiche Straftaten begangen habe und auch durch die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Juni 2008 gewarnt gewesen sei. Er bedauere zutiefst, dass er gleichwohl noch einmal rückfällig geworden und es zu dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom November 2014 gekommen sei. Die Taten hätten sich (zwischen) Ende Juli 2012 und Februar 2013 ereignet. Im vorliegenden Fall überwiege bei der nach § 53 Abs. 1 AufenthG gebotenen Abwägung nicht das öffentliche Interesse an der Ausweisung, sondern sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Er habe sich zum Strafantritt selbst gestellt und ihm sei klar gewesen, dass er sich jetzt mit seiner Vergangenheit und seinen Taten auseinandersetzen müsse, um in Zukunft straffrei zu leben. Die Haftanstalt bewerte ihn positiv, was eine positive Sozialprognose rechtfertige. Ihm sei klar geworden, dass er seiner Verantwortung für die Familie nur gerecht werde, wenn er ein straffreies Leben führe und den Kindern in ihrer Entwicklung zur Seite stehe sowie für den Lebensunterhalt sorge. Er lebe mit seinen drei minderjährigen Töchtern deutscher Staatsangehörigkeit in familiärer Lebensgemeinschaft. Diese hätten das Recht, mit ihrem Vater in der Bundesrepublik zusammenzuleben. Durch die Ausweisung wäre die Eltern-Kind-Beziehung nachhaltig gestört. Ein das Kindeswohl berücksichtigender Umgang sei bei einer Abschiebung nach Angola nicht möglich.
21 
Der Beklagte trat der Klage entgegen.
22 
Mit Urteil vom 27. Juli 2016 - 11 K 1286/16 - hob das Verwaltungsgericht nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung Ziffer 4 des angegriffenen Bescheids des Beklagten vom 30. Januar 2016 insoweit auf, als die darin gesetzte Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot drei Jahre und sechs Monate überstieg und wies im Übrigen die Klage ab. Zur Begründung des Urteils führte das Gericht unter anderem aus, dass Art. 8 EMRK der Ausweisung nicht entgegenstehe. Im vorliegenden Fall fehle es an den tatbestandlichen Voraussetzungen. Ein reiner mehrjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet genüge nicht. Zu fordern sei darüber hinaus eine starke Verwurzelung in die hiesigen Verhältnisse. Gesichtspunkte, aus denen sich diese ergeben könne, seien gute deutsche Sprachkenntnisse, eine feste soziale Bindung etwa aufgrund gelungener beruflicher Integration, ein fester Wohnsitz, ein gesicherter Lebensunterhalt und das Fehlen von Straffälligkeit. Der Kläger habe einen festen Wohnsitz, eine deutsche Familie und spreche deutsch. Beruflich sei er wenig integriert und massiv, über einen längeren Zeitraum und unbeeindruckt von staatlichen Sanktionen oder Änderungen seiner persönlichen Lebensumstände wiederholt straffällig geworden. In jeder Straftat liege nicht nur eine Verletzung individueller Rechtsgüter, sondern auch eine solche gesellschaftlicher Bande. Sie störe neben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch das für ein gedeihliches Zusammenleben notwendige Vertrauen der übrigen Gesellschaftsmitglieder in die Rechtstreue ihrer Mitmenschen, setze auf Täterseite folglich eine gewisse Ignoranz gegen die Belange der Mitmenschen und der Gesellschaft voraus. Wer sich massiv und wiederholt gegen die Gesellschaft und ihre Normen auflehne, könne den Verweis aus deren Mitte nicht als unzumutbar rügen. Dies gelte umso mehr als der Kläger in Angola auch nicht entwurzelt sei. Mit Blick auf seine familiären Verhältnisse, insbesondere die deutschen Kinder, sei allerdings ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nur dann verhältnismäßig, wenn es drei Jahre und sechs Monate nicht übersteige.
23 
Gegen das Urteil hat der Senat auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 - 11 S 1655/16 - die Berufung zugelassen. Der Kläger hat die Berufung am 16. November 2016 unter Stellung eines Antrags begründet und trägt im Wesentlichen vor: Er sei seit 2002 mit seiner Lebensgefährtin zusammen und habe mit dieser drei deutsche Kinder. Seine Lebensgefährtin arbeite als Küchenhilfe täglich von 9 Uhr bis 15.30. Die älteste Tochter besuche den gymnasialen Zweig einer Gesamtschule, die mittlere Tochter die Realschule und die jüngste den Kindergarten. Er könne über eine Zeitarbeitsfirma jederzeit wieder bei seiner früheren Firma anfangen. Er sei nach Deutschland geflüchtet und habe um Asyl nachgesucht, weil er als Kindersoldat in Angola für den damaligen Diktator unter Zwang eingesetzt worden sei. Er habe keine Familie in Angola, seine Eltern seien beide gestorben. Angola würde ihn als geflüchteten Kindersoldaten sofort unter Strafe stellen und verurteilen. Es bestehe für ihn die Gefahr für Leib und Leben in Angola. Die von ihm getätigten strafbaren Handlungen erschienen in der Abwägung zur Abschiebung nach Angola und den damit für ihn dort verbundenen Repressalien nicht so gravierend, dass es für eine Abschiebung in sein Herkunftsland entscheidend sein könne. Wenn seine drei Kinder ohne den Vater, welcher einer geregelten Arbeit nachgehe und weiterhin nachgehen werde, aufwachsen müssten, wäre dies für ihre weitere Entwicklung katastrophal. Die sehr gut entwickelte Beziehung zu den Kindern wäre abrupt unterbrochen und der Vater würde den Kindern für eine sehr lange Zeit fehlen. Gerade jetzt seien seine Töchter in einer Entwicklungsphase, während derer sie den Vater bräuchten. Die von ihm verübten Straftaten seien keine gewalttätigen Delikte gewesen, so dass eine Güterabwägung zum Erhalt der Familieneinheit in Deutschland ausgehen müsse.
24 
Der Kläger beantragt,
25 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 - 11 K 1286/16 - zu ändern und die Ziffern 1 bis 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 aufzuheben,
26 
hilfsweise den Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung von Ziffer 4 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden.
27 
Der Beklagte beantragt,
28 
die Berufung zurückzuweisen.
29 
Er verteidigt die angefochtene Verfügung, insbesondere sei die Ausweisung auch mit Blick auf die familiären Belange verhältnismäßig.
30 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
31 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart, die Ausländerakten der unteren Ausländerbehörde bezüglich des Klägers und seiner Lebenspartnerin, die Strafakten einschließlich der Vollstreckungsakten im Verfahren 104 Ls 91 Js 4507/13, die Gefangenenpersonalakte sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor. Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
32 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 bleibt ohne Erfolg.
33 
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage gegen die mit Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 verfügte Ausweisung abgewiesen (I.). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist auch das Befristungsbegehren. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger mit der Berufungsbegründung weder einen eigenen Antrag zur Befristungsentscheidung formuliert noch spezielle Berufungsgründe vorgebracht hat, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat aus Gründen der Rechtseinheit folgt, ist das Befristungsbegehren als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (BVerwG im Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 17). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehende Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots von drei Jahren und sechs Monaten zu Lasten des Klägers fehlerhaft wäre (II.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig; dies gilt auch soweit dem Kläger die Abschiebung aus der Haft heraus ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (III.).
34 
Maßgeblich für die Beurteilung all dieser Streitgegenstände, nämlich die Ausweisung, das Befristungsbegehren und die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung, ist jeweils die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18, vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 -, juris Rn. 9 und vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 16).
I.)
35 
Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
36 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung gemäß Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 394). Nachfolgende Änderungen in den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes durch spätere Gesetze haben die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen nicht verändert.
37 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 19).
38 
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 26).
39 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1). Vom Kläger geht nach wie vor eine außerordentlich hohe Gefahr einer erneuten Straffälligkeit im Bereich betrügerischer Vermögenskriminalität aus (2). Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie nach § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber (3). Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führt zu dem Ergebnis, dass das Regierungspräsidium die Ausweisung des Klägers zu Recht verfügt hat (4.).
40 
1.) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Ausreichend ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. StGB (Graßhof, in: BeckOK AuslR, AufenthG, § 54 Rn. 11 ). Der Kläger erfüllt aufgrund der seit 29. April 2015 rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 25. November 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Urkundenfälschung in sieben Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit Betrug und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug diesen Tatbestand. Damit lag beim Kläger auch nach der im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 30. Januar 2016 und noch bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor; dort war bei Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisiert worden. Unschädlich ist hierbei, dass die Einzelstrafen der jeweiligen Vorsatztaten der Gesamtfreiheitsstrafe jeweils unterhalb von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurden. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 17.12 -, juris Rn. 12).
41 
2.) Die Gefahr, dass der Kläger erneut im Bereich der betrügerischen Vermögenskriminalität straffällig wird, ist außerordentlich hoch. Sie folgt aus dem entsprechenden strafrechtlichen Werdegang des Klägers, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt unbeeindruckt von irgendwelchen straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen zeigt.
42 
a) Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 18). Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind nicht allein das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat zu berücksichtigen, sondern alle Umstände des Einzelfalls einzustellen, wie etwa die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., § 53 Rn. 28 m.w.N.). Diese Prognoseentscheidung obliegt dem die Ausweisung überprüfenden Gericht. Es gibt im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa psychische Erkrankungen), die die Hinzuziehung eines Sachverständigen gebieten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 -, juris Rn. 12 und vom 01.03.2016 - 1 B 30.16 -, juris Rn. 7).
43 
b) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Stuttgart im Urteil vom 4. November 2014 eröffnete der Kläger am 4. August 2012 mit dem falschen Namen R.-P. und weiteren falschen Personalien unter Vorlage eines gefälschten angolanischen Reisepasses ein Sparkonto bei einer Postbankfiliale der Postbank AG. Er wollte dieses Konto nutzen, um durch gefälschte Überweisungsträger Zahlungseingänge herbeizuführen und anschließend die Gelder unerkannt abheben zu können. Am 14. Januar 2013 eröffnete er bei drei verschiedenen Geldinstituten verschiedene Bankkonten, um diese für rechtswidrige Transaktionen zu nutzen und unerkannt eingehende Gelder abheben zu können. Dabei gab der Kläger, der hier unter dem Namen K. P. auftrat, (neue) falsche Personalien an und nutzte einen gefälschten französischen Reisepass. Für das an diesem Tag bei der Kreissparkasse L. eingerichtete Konto bekam der Kläger keine Kreditlinie eingeräumt und zahlte lediglich 5 Euro ein, weshalb es in der Folgezeit zu zahlreichen Lastschriftrückgaben kam. Bei der Filiale einer anderen Bank legte der Kläger außer dem gefälschten Pass auch gefälschte Gehaltsnachweise vor und im Vertrauen auf die Echtheit dieser Unterlagen erhielt er eine Kreditkarte zugesandt und ein Kreditkartenlimit in Höhe von 600 Euro eingeräumt. Dieses nutzend hob er am 2. Februar 2013 an einem Geldautomaten am ... Platz in Stuttgart 500 Euro und am 4. Februar 2013 an einem anderen Geldautomaten 80 Euro ab. Wie von ihm von vornherein beabsichtigt, glich er den negativen Saldo auch in der Folgezeit nicht aus. Im Rahmen eines Postident-Verfahrens eröffnete der Kläger ein Privat-Girokonto bei der Postbank AG und erhielt eine Kreditkarte. Mit dieser tätigte er am 13. Februar 2013 eine Zahlung in Höhe von 512,50 Euro und schädigte die Postbank insoweit. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 31. Juli und dem 4. August 2012 entwendete der Kläger zudem aus dem Briefkasten einer Filiale einer Bank mehrere Überweisungsträger, die die Kundin J. K. dort zuvor eingeworfen hatte, fertigte hiervon Kopien und warf die Originale anschließend zurück in den Briefkasten. Sodann veranlasste er am 7. August 2013 mittels einer mit den Kontodaten und der Unterschrift von J. K. versehenen Kopie eines Überweisungsträgers eine Überweisung an sich selbst unter Angabe des falschen Empfängernamens R.-P. in Höhe von 2.759,65 Euro. Nachdem J. K. diese unberechtigte Überweisung bemerkt hatte, gelang es der Bank, ihr den Betrag zurück zu überweisen. Am 5. Februar 2013 reichte der Kläger bei der Kreissparkasse E. einen Überweisungsträger für das dort geführte Konto des H. D. ein, welchen er zuvor mit einer von ihm nachgeahmten Unterschrift der Bevollmächtigten des H. D., der Tochter M. T., versehen hatte. Empfänger der Überweisung in Höhe von 6.800 Euro sollte er selbst unter Nutzung seines Kontos mit dem Alias-Personalien K. P. sein. Die Überweisung unterblieb, da die Bank Verdacht schöpfte. Unter dem 13. Februar 2013 reichte der Kläger einen Überweisungsträger mit einer gefälschten Unterschrift des Kontoinhabers A. R. bei der Kreissparkasse L. über 6.885,96 ein mit dem Ziel, dass ihm dieser Betrag auf das unter dem Namen K. P. auch bei dieser Bank geführten Konto überwiesen wird. Zur Ausführung der Überweisung kam es jedoch nicht, weil den Bankmitarbeitern eine Abweichung der Unterschrift aufgefallen war.
44 
Im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart bestritt der Kläger diese Taten und trug vor, er habe weder mit den Eröffnungen der Konten noch mit den Überweisungen bzw. Abhebungen irgendetwas zu tun; er sei unschuldig (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 762 f.; Strafurteil Bl. 10). Das Amtsgericht war jedoch nach Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere der Auswertung der hinsichtlich des Abhebevorgangs am 2. Februar 2013 von der Überwachungskamera angefertigten Lichtbilder und der Analyse der Unterschriften durch eine Sachverständige, von der Täterschaft des Klägers überzeugt. Bei der Strafzumessung nahm das Amtsgericht bei sämtlichen Taten ein gewerbsmäßiges Handeln an, d.h. den Willen, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen (Tiedemann, in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 296). Es stellte zu Lasten des Klägers insbesondere darauf ab, dass er zumindest einen Teil der Taten als Bewährungsbrecher aus einer einschlägigen Verurteilung heraus begangen hatte, den Taten eine erhebliche kriminelle Energie zugrunde lag und zum Teil erhebliche Schäden eingetreten waren. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legten sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Landeskriminalamt - Kriminaltechnisches Institut - erstellte unter dem 20. April 2015 ein Behördengutachten. Danach handelt es sich bei der Person auf den Täteraufnahmen am 2. Februar 2013 bei der Bank am ... Platz und bei dem Kläger nach den festgestellten optischen Übereinstimmungen wahrscheinlich um ein und dieselbe Person. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart am 29. April 2015 nahmen sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft die Berufung zurück.
45 
c) Eine weitere Grundlage für die Prognose des Senats ist der Umstand, dass der Kläger bereits vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 24. November 2014 einschlägig vorbestraft war. Nachdem der Kläger in den Jahren 2000 und 2002 wegen Betrugsdelikten zu Geldstrafen verurteilt worden war, intensivierte er ab dem Jahre 2005 nach den Feststellungen des Landgerichts Stuttgart im Urteil vom 25. September 2007 seine „Karriere“ auf dem Gebiet der Vermögenskriminalität in Gestalt des Überweisungsbetrugs. Bei sämtlichen 53 Taten, die der Verurteilung vom 25. September 2007 zugrunde lagen und die sich in einem Zeitraum von etwa einem Jahr ereignet hatten, bejahte das Strafgericht ein gewerbsmäßiges Handeln des Klägers. Obwohl anlässlich einer Durchsuchung am 19. Januar 2007 beim Kläger Zettel mit Notizen sichergestellt worden waren, die Bezüge zu Begünstigten von Überweisungsbetrugstaten aufwiesen (Name, Kontodaten), die später unter dem 25. September 2007 abgeurteilt wurden, sowie Blanko-Überweisungsvordrucke einer Bank, bei der der Kläger kein Konto unterhielt, setzte er noch kurze Zeit danach, nämlich am 25. Januar und im Februar 2007, sein kriminelles Verhalten fort. So erstellte er jeweils mit Datum vom 10. Februar 2007 einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos des K. W. bei der Sparkasse P.-C. und zugunsten des Kontos B. H. bei der Postbank M. über einen Betrag von 7.987,09 Euro sowie einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos D. K. H. bei der Volksbank N. und zugunsten des Kontos des D. B. L. bei der Postbank M. in Höhe von 4.979,99 Euro. Ungeachtet dessen, dass ihm allein schon durch die Hausdurchsuchung bewusst gewesen sein musste, dass die Polizei ihn verdächtigte, bewirkte dies beim Kläger kein Unterlassen weiteren kriminellen Verhaltens. Auch die durch das Amtsgericht Stuttgart am 28. März 2007 angeordnete Untersuchungshaft und die daran anschließende Verbüßung der Strafhaft bis 18. November 2009 beeindruckten den Kläger offensichtlich in keiner Weise. Noch unter Bewährung nach § 57 StGB stehend und in Kenntnis der Inhalts des Duldungsvergleichs vom 21. Juli 2009 wurde der Kläger ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut auf dem Gebiet des Konto-bzw. Überweisungsbetrugs tätig.
46 
d) Es gibt keine Gründe, die den Senat daran hindern würden, für seine Prognose diese strafrechtlichen Verurteilungen zu verwerten. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahingehend geäußert, die Verurteilung 2014 sei zu Unrecht erfolgt. Seine Fingerabdrücke seien auf einer „Blanko-Überweisung“ gewesen, die er 2009 einem Bekannten gegeben habe. Die Polizei habe aus den Fingerabdrücken geschlossen, dass er es gewesen sei. Das sei aber falsch. Die Klamotten, die auf dem Lichtbild gewesen seien, habe er schon seit Jahren nicht mehr. Man habe Fotos von ihm aus dem Jahre 2005 verwendet. Jeder könne über einen Laptop alte Bilder einspielen. In der Verhandlung im Jahr 2014 sei erst ein Kripo-Beamter vernommen worden. Dieser habe gesagt, er gehöre einer Bande an, die von Stuttgart bis Köln aktiv sei. Er habe gesagt, er habe nichts damit zu tun. Es sei dann ausgehandelt worden, dass er die Berufung zurücknehme und er dafür ins „Freigängerheim“ komme.
47 
Aus den vom Senat beigezogenen Straf- bzw. Strafvollstreckungsakten ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Verständigung nach § 257c StPO vorgelegen hätte oder eine sonstige Abrede getroffenen worden wäre. Für den Senat belegen diese Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr, dass er auch die Zeit in der erneuten Haft bislang nicht genutzt hat, um sich zu seinen Straftaten tatsächlich zu bekennen und sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. So ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auffällig, dass er in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 4. November 2014 angegeben hatte, er sei im Jahre 2007 zu Unrecht verurteilt worden (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 763, 766), obwohl er damals vor dem Landgericht - wenn auch im Wege einer pauschalen Verteidigererklärung - die Taten eingeräumt hatte. Das Landgericht Stuttgart hatte keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass dieses Geständnis nicht der Wahrheit entsprechen würde, da es sich mit den Angaben der vernommenen Zeugen deckte (Strafurteil vom 25.09.2007, Bl. 11), und berücksichtigte dieses Geständnis im Rahmen der Strafzumessung erheblich strafmildernd (a.a.O., Bl. 12).
48 
Der Heranziehung der Straftaten, die Gegenstand einer älteren Verurteilung sind, steht auch nicht der Gedanke des Verbrauchs entgegen, weil diese Anlass eines früheren Ausweisungsverfahren gewesen sind, das mit einem gerichtlichen Vergleich vom 21. Juli 2009 beendet worden ist und infolge dessen der Kläger drei Jahre nach Haftentlassung wieder in den Besitz der Niederlassungserlaubnis gelangt ist.
49 
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich anerkannt, dass Ausweisungsgründe bzw. nunmehr Ausweisungsinteressen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (siehe insgesamt BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 39). Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers. (Geschäfts-)Grundlage des Vergleichs ist gewesen, dass der damals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Kläger sich drei Jahre lang nach Haftentlassung keine vorsätzliche Straftat zu Schulde kommen lässt. Hieran hat sich der Kläger aber offensichtlich nicht gehalten.
50 
e) Der Kläger ist im Rahmen seines strafrechtlichen Verhaltens stets ideenreich, organisiert und planvoll vorgegangen. Was ihn letztlich zu den Straftaten bewegt hat, hat er nicht offenbart. Es gibt keine erkennbaren tatsächlichen Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die den Schluss nahelegen würden, dass sich trotz immer wieder aufgetretenen Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen im Zusammenhang mit Kontoeröffnungen, Überweisungen oder sonstigen Verfügungen über Konten solches in Zukunft nicht mehr ereignen würde. Der Kläger verfügt nach wie vor nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung und in der Vergangenheit haben sich Zeiten von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit abgewechselt (vgl. hierzu auch die vom Kläger mit Schriftsatz vom 27.07.2016 vorgelegten Unterlagen). Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht sondern auch mit Blick auf die persönliche Situation des Klägers lassen sich keine belastbaren stabilisierenden Faktoren erkennen. Er ist bei Begehung der mit Strafbefehl vom 25. Februar 2002 abgeurteilten vier Fälle des Überweisungsbetrugs alleinstehend gewesen. Bei Beginn der Serie von Straftaten, die dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007 zugrunde liegen, hat bereits eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner heutigen Partnerin und zwei in den Jahren 2003 und 2005 geborenen Töchtern bestanden. Die Straftaten ab Sommer 2012 sind zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der familiären Lebensgemeinschaft eine weitere Tochter angehört hat. Dass seine drei Töchter und Lebenspartnerin der entscheidende Antrieb wären, „künftig nichts mehr anzustellen“ (vgl. seine Angaben in der mündlichen Verhandlung), lässt sich nicht objektivieren.
51 
Der Kläger zeichnet sich bislang vor allem durch eine fehlende Einsicht und Aufarbeitung seines strafrechtlichen Verhaltens aus. Er hat sich mit seinen Straftaten bis heute nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Die gilt insbesondere auch für seine letzte Verurteilung, deren Richtigkeit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestritten hat. Dies belegt zudem sein Agieren in der Justizvollzugsanstalt. So hat die Justizvollzugsanstalt Ulm am 9. Juli 2015 in einem Vermerk über das Erstgespräch unter anderem festgehalten, der Kläger habe sich eher zurückhaltend und wortkarg verhalten. Zu den Taten befragt, habe er kaum Angaben gemacht. Er streite seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Die an ihn gerichteten Fragen habe er kurz und knapp beantwortet, eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten habe bislang wohl eher noch nicht stattgefunden. Das weitere Vollzugsverhalten bleibe abzuwarten. Anhaltspunkte für eine psychische Problematik bzw. eine psychologische/psychotherapeutische Indikation wurden nicht festgestellt. In einem Führungsbericht vom 10. November 2015 führte die Justizvollzugsanstalt wiederum aus, zu seinen Taten befragt habe der Kläger im Anamnesegespräch kaum Angaben gemacht. Er streite im Wesentlichen seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Aus einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 16. Juni 2016, die zum erfolglosen Antrag des Klägers vom 28. Mai 2016 auf Aussetzung der Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung erstellt worden ist, heißt es unter anderem, der Kläger sei kein Erstverbüßer und Bewährungsbrecher; eine Einsicht in sein Fehlverhalten sei bei ihm nicht zu erkennen. Aus dem Vollzugsbericht der Justizvollzugsanstalt H. vom 1. Februar 2017 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Eine bewährungsweise Entlassung wurde seitens der Justizvollzugsanstalt H. auch für den Antrag des Klägers vom 7. November 2016 auf Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von Zweidritteln der Strafe nicht befürwortet.
52 
Soweit sich der Kläger selbst zu seinem strafrechtlichen Werdegang äußert, sind die Angaben pauschal und blenden die Tragweite der eigenen Verantwortung, Hintergründe und Folgen für die Opfer der Straftaten aus. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er wolle sich zunächst für alles, was passiert sei, entschuldigen. Er leide selbst schon. Er wolle sich nunmehr um seine Familie kümmern und seinen Kindern ein guter Vater sein. Er bereue seine Taten sehr und merke, wie seine Familie leide. Seine Straftaten seien Dummheiten gewesen. Er wisse auch nicht, wie es dazu gekommen sei. Er hätte nur Leuten helfen wollen. Er sei zwar als Einzeltäter verurteilt worden, tatsächlich hätten aber mehrere gehandelt. Er habe die Taten nicht so richtig begangen, sondern nur anderen Leuten geholfen und das Helfen sei etwas anderes. Mit den Leuten stehe er aktuell nicht in Kontakt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beklagte er vor allem die Situation seiner Töchter, die mit seiner Inhaftierung leben müssten, ohne sich jedoch zu seinem eigenen Fehlverhalten zu bekennen. Dass es dem Kläger an einem kritischen Umgang mit sich selbst mangelt, ist auch daran zu erkennen, dass er den Grund für seine Verlegung von der Justizvollzugsanstalt Ulm mit einer offenen Vollzugsform in den geschlossenen Vollzugs der Justizvollzugsanstalt H. allein bei anderen sieht.
53 
Auch die Haltung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Strafvollstreckungskammer anlässlich des Antrags des Klägers auf Aussetzung des Strafrestes nach zwei Drittel verdeutlichen das Fortbestehen der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist diesem Antrag unter Hinweis unter anderem auf die mehrfach einschlägigen Vorstrafen, den Bewährungsbruch und die hohe kriminelle Energie entgegen getreten. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 9. Februar 2017 hat der Kläger erklärt, dies sei seine letzte Straffälligkeit, er habe eine Familie mit drei Kindern, er habe draußen als Lagerfachkraft bei der Firma F. seine Arbeit gemacht. Dort möchte er nach der Haftentlassung wieder arbeiten. Eine konkrete Arbeitszusage habe er nicht. Die Strafvollstreckungskammer hat dem Protokoll zufolge erläutert, dass nach derzeitiger Einschätzung keine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht komme, insbesondere im Hinblick auf die einschlägigen und mehrfachen Vorstrafen und die letzte Haftverbüßung, die ihn nicht davon abgehalten habe, erneut straffällig zu werden. Am 14. Februar 2017 hat der Kläger seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrests zurückgenommen.
54 
Die Tatsache, dass der Strafvollzug des Klägers entsprechend den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt H. beanstandungsfrei verläuft, relativiert die Gefahrenprognose nicht. Der Kläger hatte auch in der Vergangenheit immer wieder längere Zeiten - auch in Freiheit - , in denen er nicht aufgefallen, jedoch dann erneut in unverändert kriminelle Verhaltensmuster zurückgefallen ist.
55 
3.) Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gegenüber. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind mit Blick auf die in der Vergangenheit geführte und nach Haftentlassung geplante Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft mit den drei deutschen minderjährigen Kindern, für die er auch das Personensorgerecht wahrnimmt, gegeben. Zudem hat der Kläger - im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung - eine Niederlassungserlaubnis besessen und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Die auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 21. Juli 2009 erfolgte Aufhebung der Ausweisung unter dem 6. Dezember 2012 und Erteilung der Niederlassungserlaubnis unter Hinweis auf § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG führen dazu, dass die Voraussetzungen auch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen. Da die Regelung allein auf den tatsächlichen Besitz der Niederlassungserlaubnis abstellt, kommt es hier nicht darauf an, dass der Kläger noch unter der Geltung der „Bewährungszeit“ des Duldungsvergleichs von drei Jahren ab der Haftentlassung - bis 18. November 2009 war er inhaftiert - ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut einschlägig straffällig geworden und damit die Grundlage und die Intention des Vergleichs letztlich unterlaufen hat. Die Bewertung eines solchen Sachverhalts erfolgt nach der Konzeption des Gesetzes ggfs. im Rahmen der Gesamtabwägung.
56 
4.) Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet deutlich.
57 
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für eine Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris Rn. 141 ff.; Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 29 ff.; OVG NRW, Urteil vom 10.05.2016 - 18 A 610/14 -, juris Rn. 76 f.). Bei der erforderlichen Gesamtabwägung sind zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zudem ergänzend die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK hierzu entwickelten Kriterien heranzuziehen (vgl. zu den sog. „Boultif-Üner-Kriterien“ insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich auch: Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95 ff. und Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m.w.N.)
58 
Hiervon ausgehend ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seit 1990 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat und über einen langjährigen und legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. Er hat zwar keinen im Bundesgebiet allgemein anerkannten Bildungs- bzw. Berufsabschluss, er ist hier jedoch immer wieder erwerbstätig gewesen und hat nach seinen Angaben nach seiner Haftentlassung Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Er hat Möglichkeiten genutzt, sich Fähigkeiten anzueignen, mit denen bessere berufliche Perspektiven verbunden sein können, wie die Qualifizierung zur Lagerfachkraft im Jahre 2000 oder der Erwerb von Kenntnissen im Bereich Microsoft Excel 2000. Der Kläger spricht - wovon sich der Senat anlässlich der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können - ein alltagstaugliches Deutsch.
59 
Von besonderer Bedeutung sind die familiären Bindungen. Der Kläger hat in Deutschland eine Familie gegründet. Wie insbesondere aus seinen Erklärungen in der Berufsverhandlung deutlich geworden ist, ist sein Verhältnis zu seinen drei deutschen Töchter, die den Kindergarten bzw. die weiterführende Schule besuchen, von einer wechselseitig innigen emotionalen Beziehung geprägt. Er nimmt - selbst unter den erschwerten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs - aktiv am Leben der Kinder teil und hat in der mündlichen Verhandlung insbesondere von den musikalischen Talenten der beiden größeren Töchtern näher berichtet. Seine Lebensgefährtin schöpft mit den Kindern die in der Vollzugsanstalt zulässigen Besuche aus. Der Kläger nutzt mit seinen Töchtern zudem mittlerweile das Vater-Kind-Projekt der Justizvollzugsanstalt, welches ihnen ermöglicht, mehr Zeit als bei einem Regelbesuch üblich miteinander zu verbringen. Nicht nur die drei am 16. Dezember 2003, 7. Oktober 2005 und 27. Dezember 2011 geborenen Töchter, die sich aufgrund ihres Alters in unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden, haben ein außerordentlich hohes Interesse daran, dass ihr Vater im Bundegebiet verbleibt; dies gilt mit Blick auf die familiäre Lebensgemeinschaft gleichermaßen für die Lebensgefährtin und den Kläger selbst. Ihm kommt das Recht und die Aufgabe zu, als Vater für seine Kinder - auch emotional - zu sorgen. Seine Ausweisung - zumal sie zu seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern führt - ist vor diesem Hintergrund ein erheblicher Eingriff in das auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
60 
Zu Lasten des Klägers ist die Schwere der begangenen Straftaten, deren Aburteilung zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der bereits oben festgestellten außerordentlich hohen Wiederholungsgefahr betrügerischer Vermögenskriminalität, fällt auch seine fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Rechtstreue ins Gewicht. Die Anzahl der Einträge im Zentralregister sprechen für sich.
61 
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die öffentlichen Interessen an einer Ausreise im Hinblick auf die drei deutschen Kinder nicht deshalb zurückzutreten, weil dieser keine Gewaltdelikte begangen hat, die sich gegen elementare Rechtsgüter wie Leib und Leben richten, sondern sich seine Verfehlungen primär auf dem Gebiet des Vermögensstrafrechts ereignet haben. Die Gesamtabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt hier vielmehr auch unter Berücksichtigung des sehr hohen Gewichts der familiären Bindungen zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
62 
Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um gewerbsmäßig begangene Betrugsdelikte in erheblicher Anzahl, überwiegend in Gestalt des Überweisungsbetrugs, die teilweise von Urkundenfälschungen begleitet worden sind. Der Kläger ist - wenn auch immer wieder mit „Pausen“ - seit dem Jahre 2001 auf diesem Gebiet „aktiv“. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich aus für sein Leben atypischen Situationen, etwa einer einmalig erlebten finanziellen Bedrängnis, zu solchen Taten hat hinreißen lassen. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass er der geltenden (Strafrechts-)Ordnung ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet einfach keine Bedeutung beimisst, sondern allein so agiert, wie es ihm in den Sinn kommt und hierbei bereit ist, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle anderen Menschen erheblichen finanziellen Schaden zuzufügen. Zu den Konten, die der Kläger „anzapfte“ oder „anzapfen“ wollte, gehören solche von Privatpersonen, von Firmen oder von Vereinen, wobei die Beträge, die in den Überweisungsträgern ausgewiesen waren, durchaus nicht unerheblich waren. Exemplarisch verdeutlichen dies die Taten Nr. 6 und 7, die durch das Amtsgericht Stuttgart unter dem 25. November 2014 abgeurteilt wurden, mit Überweisungsbeträgen von 6.800 Euro bzw. 6.885,96 Euro, und die Taten Nr. 14 und Nr. 38 im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007, bei denen es um 9.787,97 Euro (zu Lasten eines Vereins) bzw. 45.767,07 Euro (zu Lasten einer Schreinerei) handelte. Die Handlungen des Klägers waren allein bei den Straftaten, die Gegenstand der landgerichtlichen Verurteilung waren, auf ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen in Höhe von nahezu 459.000 Euro gerichtet. Bei seinen Taten ging der Kläger unter Benutzung verschiedener falscher Identitäten und unterschiedlicher Konten sehr professionell vor. Eine besondere Brisanz erhält die kriminelle Laufbahn des Klägers auch dadurch, dass er nicht allein und teilweise zudem grenzüberschreitend agiert hat (vgl. hierzu die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2009 unter II.), aber auch insoweit bis heute „keinen reinen Tisch gemacht hat“. Dass bei etlichen Taten eine Schädigung der tatsächlichen Kontoinhaber bzw. der Geldinstitute letztlich vermieden und der Kläger durch die Polizei gefasst werden konnte, beruht allein darauf, dass andere Menschen aufgepasst bzw. interne und externe Kontrollsysteme funktioniert haben. Solche Zufälligkeiten entlasten den Kläger aber nicht. Bezeichnender Weise hat er im Übrigen immer wieder selbst festgestellt, dass Überweisungen durch die Bank nicht ausgeführt worden sind. Das hat ihn aber gerade nicht abgeschreckt. Mit den kriminellen Handlungen fuhr er unverändert fort.
63 
Die vom Kläger ausgehende außerordentlich hohe Wiederholungsgefahr (siehe oben I.2.) von betrügerischen Aktionen im Bereich des bargeldlosen Transfers von Geldern unter Einschaltung einer Bank, auf dessen Funktionieren und korrekte Abwicklung der Einzelne, aber auch letztlich ein Wirtschaftssystem angewiesen sind, rechtfertigt die durch die Ausweisung herbeigeführte Trennung von seinen Familienmitgliedern (zur Bedeutung der Gefahrenprognose im Rahmen der Gesamtabwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit siehe Funke-Kaiser, Fragen des novellierten Aufenthaltsrechts, in: Dokumentation, 18. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, Hamburg 2016, S. 221, 235).
64 
Die minderjährigen deutschen Töchter des Klägers sind faktisch nicht gezwungen den Kläger zu begleiten, sondern können weiter im Bundesgebiet leben. Da ihre Mutter über einen in der Vergangenheit stets verlängerten und aktuell bis 12. Januar 2019 gültigen Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verfügt, ist gewährleistet, dass ein erziehungsberechtigter drittstaatsangehöriger Elternteil im Bundesgebiet verbleibt, weshalb die Kinder nicht das Unionsgebiet als Ganzes verlassen müssen (vgl. zu diesen Aspekten EuGH, Urteil vom 13.09.2016 - C-304/14 - CS, Rn. 24 ff.; u.a. in Anknüpfung an das Urteil vom 08.03.2011 - C-34/09 - Ruiz Zambrano; siehe schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 34). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gravierende Gefahr neuer Straftaten des Klägers hingenommen werden müsste, weil sein Verbleib für die Kinder bzw. das Kindeswohl von überragender, ggf. existenzieller Bedeutung wäre. Das Leben der Töchter ist durch die Inhaftierung des Klägers davon geprägt, dass sie ihren Vater im Alltag schon seit längerer Zeit nicht um sich haben. Die beiden älteren Töchter haben diese Erfahrungen auch schon zuvor ab dem Jahre 2007 gemacht. Zwar ist die Aufrechterhaltung von familiären Beziehungen und Kontakten bei einem Aufenthalt des Klägers in Angola gegenüber der derzeitigen Situation deutlich erschwert, unmöglich ist dies jedoch auch mit Blick auf das Alter der Töchter nicht. Hinzu kommt, dass durch die Befristung der Wirkungen des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots (siehe nachfolgend II.) und der Möglichkeit für den Kläger, danach zu seinen deutschen Kindern zurückzukehren, die Trennung perspektivisch begrenzt ist. Da der Kläger bis zum Alter von etwa 17 Jahren in Angola gelebt und aktuell auch noch portugiesisch beherrscht, steht zu erwarten, dass er sich dort zurecht finden wird - zumal er im Jahre 2005 im Rahmen der Vorbereitungen auf die Fußball-WM zu Besuch in Angola gewesen ist und seine Partnerin, die im April 2002 in das Bundesgebiet eingereist ist, ebenfalls aus Angola stammt. Nach dem Vermerk der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 9. Juli 2015 zum Erstgespräch mit dem Kläger leben zudem zwei jüngere Schwestern von ihm in Angola.
II.)
65 
Dem Kläger steht die hilfsweise begehrte Verpflichtung des Beklagten, unter Aufhebung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden, nicht zu.
66 
1.) Der Kläger hat eine - logisch vorrangige - (hilfsweise) Verpflichtung des Beklagten über die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, nicht beantragt. Für einen solchen Antrag gibt es auch keine Veranlassung. Der Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung hierzu keine Entscheidung getroffen; dies ist nicht zu beanstanden.
67 
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung unter I. ergibt sich jedoch, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, deren Abwehr das Einreise- und Aufenthaltsverbot dient, fortbesteht und das öffentliche Interesse an der Ausreise schutzwürdige Belange des Ausländers überwiegt. Erweist sich eine Ausweisung als rechtmäßig, ist es nach den hierfür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen, dass zum gleichen Zeitpunkt, der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblich ist, Anlass für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu diesem Zeitpunkt bestehen könnte. Würde sich eine Ausweisung hingegen als rechtswidrig erweisen, beispielsweise wegen einer nach Erlass der Verfügung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage, wäre sie mit Wirkung ex tunc aufzuheben (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 21 ff.), so dass ebenfalls kein Raum für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass seit der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung bedarf, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 15), hatte für die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall kein Grund für eine solche Ermessensentscheidung bestanden. Im Übrigen liegt der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots - anders als der Befristung - keine Prognose zugrunde, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen.
68 
2.) Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots seit Inkrafttreten des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 19 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 65 f.). Der Senat hält an seiner bislang vertretenen Auffassung, wonach es sich hierbei trotz des Wortlauts um eine gebundene Entscheidung handelt (grundlegend Senatsurteil vom 09.12.2015 - 11 S 1857/15 -, juris), aus Gründen der Rechtseinheit nicht mehr fest.
69 
Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge ändert das Erfordernis einer Ermessensentscheidung nichts am behördlichen Prüfprogramm, wie es von diesem im Urteil vom 10. Juli 2012 (1 C 19.11 -, juris Rn. 42) entwickelt worden ist (vgl. auch schon BVerwG, Urteil vom 14.02. 2012 - 1 C 7.11 -, juris Rn. 28 f.). Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 23 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 66).
70 
Das Regierungspräsidium hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung unter Zugrundelegung der Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. im Einzelnen Bl. 17 ff. der Verfügung) das Einreise- und Aufenthaltsverbot anhand einer zweistufigen Prüfung auf fünf Jahre nach Ausreise oder Abschiebung befristet. Das Verwaltungsgericht hat - allerdings unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Dezember 2015 und damit unter Zugrundelegung der bisherigen Auffassung des Senats zum gebundenen Charakter der Befristungsentscheidung - in seinem Urteil die vom Beklagten festgesetzte Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Blick auf die familiären Belange insoweit aufgehoben, als die Frist in Ziffer 4 des Bescheids vom 30. Januar 2016 drei Jahre und sechs Monate übersteigt. Der Beklagte hat hiergegen kein (Anschluss-) Rechtsmittel eingelegt. Dass diese für den Beklagten verbindliche Länge der Sperrfrist von drei Jahre und sechs Monaten, die unterhalb der Fünf-Jahres-Frist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG liegt, zu Lasten des Klägers im Ergebnis fehlerhaft wäre, ist mit Blick auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit (siehe oben u.a. I. 2.) nicht ersichtlich; es ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte dafür, aufgrund der bereits oben unter I. dargestellten familiären Situation und weiterer individueller Belange könnte eine noch kürzere Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Raum stehen. Es sind insbesondere auch nach Erlass der Verfügung keine weiteren Änderungen tatsächlicher Art eingetreten, die zu Gunsten des Klägers wirken und Anlass für neue bzw. ergänzende Ermessenserwägungen bei dem Beklagten sein könnten.
71 
Dass der Beklagte das durch eine Abschiebung eintretende Einreise- und Aufenthaltsverbot hinsichtlich der Länge gleichlaufend mit den Folgen der Ausweisung im Sinne einer einheitlichen Regelung ausgestaltet hat, verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
72 
Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, einen Antrag auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu stellen, wenn sich die Gefährdungssituation günstiger als erwartet entwickeln sollte oder neue persönliche bzw. familiäre Umstände eine andere, günstigere Entscheidung angezeigt erscheinen ließen.
III.)
73 
Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
74 
Ziffer 3 der Verfügung vom 30. Januar 2016 ist unter Berücksichtigung der Begründung im angefochtenen Bescheid dahingehend auszulegen, dass für den Fall der Entlassung aus der Haft der Kläger aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bestandskraft der Ausweisung zu verlassen und ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb dieser Frist die Abschiebung nach Angola angedroht wird. Entsprechendes soll gelten, falls - was aber nicht geschehen ist - der Sofortvollzug angeordnet wird. Die Frist von einem Monat ist auszulegen als 31 Tage (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 44). Für den Fall, dass sich der Kläger bei Bestandskraft der Ausweisung (oder deren sofortiger Vollziehbarkeit) noch in Haft befindet, wird ihm mit Ziffer 2 der Verfügung die Abschiebung ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht, wobei die unterbliebene Fristsetzung nach der Begründung des Bescheids allein auf § 59 Abs. 5 AufenthG beruht.
75 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine Abschiebung nach Angola nicht deshalb unzulässig, weil er im Jahre 1990 unter Berufung auf den drohenden Einsatz als Kindersoldat aus Angola geflohen ist (1.). Soweit dem Kläger, der sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit voraussichtlichem Strafende 31. Dezember 2017 in Strafhaft befindet, die Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), ist dies nicht zu beanstanden; dies steht insbesondere mit der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) - RFRL - in Einklang (2.)
76 
1.) Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Angola unzulässiger Zielstaat einer Abschiebung des Klägers mit der Folge der Einschränkung der Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist. Soweit er ausführt, er sei im Alter von 17 Jahren vor der zwangsweisen Einsetzung als Kindersoldat für den damaligen Diktator geflohen und bei einer Rückkehr nach Angola bestehe für ihn eine Gefahr für Leib und Leben, ist damit ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nicht schlüssig vorgetragen, denn der Kläger hielt sich nach eigenen Angaben etwa 15 Jahre nach seiner Flucht im Jahre 2005 ohne Probleme in Angola auf. Im Übrigen steht bereits der negative Ausgang des Asylverfahrens einer Berufung auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote entgegen (§ 42 AsylG).
77 
2.) Die Androhung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise entspricht den Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts (a). Dass dem Kläger nicht die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise eingeräumt worden ist, steht mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang (b). Dies beruht allerdings nicht auf einer „Opt-Out“-Entscheidung des Gesetzgebers auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL (aa), sondern basiert auf der vom Kläger ausgehenden Gefahr, die auch ein Unterbleiben der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 Abs. 4 RFRL trägt (bb).
78 
a) Nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, d.h. unter anderem dann, wenn der Ausländer sich - wie hier - auf richterliche Anordnung in Haft befindet, keiner Setzung einer Ausreisefrist. Nach nationalem Recht dient eine Ausreisefrist dazu, eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise vermeiden zu können. Sie bezweckt ferner dem Ausländer zu ermöglichen, seine Lebensverhältnisse in Deutschland abwickeln und ggfs. ein Rechtsschutzverfahren betreiben zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1997 - 1 C 14.96 -, juris Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 AufenthG Rn. 105, 147 ). Ausgehend hiervon wird § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als ein - gegenüber § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - spezieller Fall angesehen, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (so BayVGH, Beschluss vom 12.12.2016 - 10 C 16.2176 -, juris Rn. 8). Mit der Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll, wird der Ausländer in Haftfällen in die Lage versetzt, sich auf das Verlassen des Landes vorzubereiten und ggfs. entsprechende Maßnahmen zu treffen (Hocks, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl., 2016, § 59 AufenthG Rn. 17). Eine solche Konkretisierung des Zeitpunkts der Abschiebung ist im vorliegenden Fall noch nicht erfolgt. Zwar beabsichtigt der Beklagte ausweislich des Hinweises in der Verfügung vom 30. Januar 2016, den Kläger zum Zeitpunkt der Haftentlassung auf der Grundlage der Entscheidung nach § 456a StPO abzuschieben. Eine derartige Entscheidung liegt ausweislich der beigezogenen Akten aber bislang nicht vor.
79 
Nach § 456a StPO kann die Strafvollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung oder Sicherung unter anderem dann absehen, wenn der Verurteilte aus dem Geltungsbereich des Gesetzes abgeschoben wird. Die Regelung setzt aber voraus, dass diese Maßnahme, d.h. die Abschiebung, bereits bestandskräftig angedroht worden (Schmitt, in: Meyer/Großner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., 2016, § 456a Rn. 3; Appl, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., 2008, § 456a Rn. 3) oder diese zumindest vollziehbar ist und demnächst durchgeführt wird (Klein, in: Graf, StPO, 2010, § 456a Rn. 3). Wann die Staatsanwaltschaft ggfs. von einer weiteren Vollstreckung absieht, ist im vorliegenden Fall ungewiss.
80 
b) Dass dem Kläger auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht eingeräumt wird, steht im vorliegenden Fall mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang.
81 
Das Ziel der Richtlinie 2008/115 ist - wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 11 ergibt - die Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rücknahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen und rechtlichen Garantien beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden (EuGH, Urteil vom 05.06.2014 - C-146/14 PPU - Mahdi - Rn. 38). Die Richtlinie ist von ihrem Zweck her sowohl ein Rückkehrinstrument als auch ein Menschen- bzw. Grundrechteinstrument, die den Mitgliedstaaten aber nicht unbedeutende Gestaltungsspielräume belässt (näher Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 136 ff.).
82 
aa) § 59 Abs. 5 AufenthG mit der normativen Folge des Unterbleibens einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist nicht bereits deshalb mit Unionsrecht in Einklang zu bringen, weil die Bundesrepublik insoweit vom „Opt-Out“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hätte.
83 
Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Zwar könnte der Wortlaut „infolge“ durchaus daraufhin deuten, dass auch Rückkehrentscheidungen, die im Verwaltungswege erlassen werden, letztlich aber an eine strafrechtliche Verurteilung anknüpfen, unter diese Regelung fallen können (dies jedenfalls für die frühere Ist-Ausweisung nach § 53 AufenthG a.F. annehmend Franßen-de la Cerda, Die Vergemeinschaftung der Rückführungspolitik - das Inkrafttreten der EU-Rückführungsrichtlinie, ZAR 2008, 377, 381; weitergehend Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 164 ff.). Für die Auffassung, dass die 2. Alternative des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL, die auf eine Rückkehrverpflichtung abstellt, die „infolge einer strafrechtlichen Sanktion“ ausgelöst wurde, nur Fälle betrifft, in denen die Rückkehrpflicht unmittelbar aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion als Nebenfolge ausgelöst wird (vgl. näher Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 302 ), sprechen nach der Bedeutung der Regelung und ihrer Entstehungsgeschichte die besseren Gründe.
84 
Die Kommission hat während der Beratungen im Rat stets deutlich gemacht, dass die verschiedenen Stufen „Beendigung des legalen Aufenthalts“ und (deswegen danach) illegaler Aufenthalt zu unterscheiden sind und die Rückführungsrichtlinie nur den letzteren Fall erfasst. Verschiedene Mitgliedstaaten, deren Strafrecht bei Delikten von Ausländern auch den Verlust des Aufenthaltsrechts als Strafe oder Nebenstrafe vorsieht, befürchteten, dass durch die Rückführungsrichtlinie in die ihrer alleinigen Kompetenz obliegenden Angelegenheit des nationalen Strafrechts eingegriffen würde. Obwohl sowohl das Europäische Parlament als auch andere Mitgliedstaaten die Auffassung der Kommission, dass die Beendigung des legalen Aufenthalts - auch mit Mitteln des Strafrechts - schon gar nicht vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst ist, stützten und eine solche Klausel für nicht notwendig erachteten, verlangten diese Länder ausdrücklich eine Optionsregelung. Letztlich ist dem aus Gründen des politischen Pragmatismus entsprochen worden, weil andernfalls die Gefahr des Scheiterns der Richtlinie gedroht hätte (siehe hierzu Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016, § 11 Rn. 20 unter Hinweis auf Lutz, The Negotiations on the Return Directive, 2010, unter 2.2.2, S. 32; siehe auch Franßen-de la Cerda, a.a.O., ZAR 2008, 377, 381; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2nd Edition. 2016, Part C VII Art. 2 Rn. 15 f.).
85 
Auch der Umstand, dass erhebliche Bewertungsunsicherheiten (vgl. dazu Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 59 Rn. 302 ) auftreten würden, wenn man für die 2. Alt des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL eine Verwaltungsentscheidung genügen lassen würde, die allein oder jedenfalls maßgeblich auf eine vorangegangene strafrechtliche Sanktion gestützt wäre (wie etwa die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des Bestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen einer Straftat), spricht für die restriktive Interpretation.
86 
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. September 2013 (C-297/12 - Filev und Osmani - Rn. 50 f.). Das Urteil beruht - entsprechend den Ausführungen in der Vorlage des Amtsgerichts Laufen vom Juni 2012 zu einer Ausweisungsentscheidung aus dem Jahre 1999 - auf der nicht problematisierten Annahme, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I 2258) von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2008/115 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht habe (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013, a.a.O., Rn. 22, 50 ff.). Mangels entscheidungserheblicher Fragestellung sind aber die Problematik der Wirksamkeit und der Reichweite eines „Opt-Out“ keiner näheren Betrachtung durch den Gerichtshof der Europäischen Union unterzogen worden.
87 
Anlässlich des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 finden sich lediglich Ausführungen in der Gesetzesbegründung dazu, dass bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit von der „Opt-Out“ Möglichkeit Gebrauch gemacht werden solle (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 -, juris Rn. 71). In der Bundestagsdrucksache 17/5470, S. 21 heißt es zu § 11 AufenthG:
88 
„Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b - gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt - und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrunde liegen schwerwiegender Straftaten.“
89 
Selbst wenn man der hier nicht geteilten Auffassung wäre, dass Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Verwaltungsentscheidungen erfassen könnte, ist nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik auch mit Blick auf die Vorschrift des § 59 Abs. 5 AufenthG insoweit (wirksam) von dem „Opt-Out“ Gebrauch gemacht hätte. Diese Regelung gilt in der vorliegenden Fassung seit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I, 1970, 1982) unverändert. Es gibt keine Anhaltspunkte (in einer Gesetzesbegründung), die es erlaubten, ein „Opt-Out“ auch insoweit anzunehmen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 172 ), wenn eine gesetzliche Bestimmung, die vor Inkrafttreten einer Richtlinie bereits gegolten hat, schlicht später beibehalten wird. Ob es aus Gründen der Rechtsklarheit, insbesondere weil die Geltung des Unionsrechts keinen Zweifeln unterliegen darf, sogar geboten sein könnte, dass sich Art und Umfang des „Opt-Out“ aus dem Gesetz selbst ergeben müssen, kann daher hier offen bleiben (vgl. hierzu Lutz, in: Hailbronner/Thym, a.a.O., Art. 2 Rn. 5 f.; siehe zur Frage der Pflicht zur Veröffentlichung des Beschlusses nach Art. 2 Abs. 2 RFRL auch Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 179 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.03.2017 - 1 C 17.16 -, juris Rn. 17 zur Frage der Erheblichkeit des Willens, Unionsrecht umzusetzen und anzuwenden).
90 
bb) Aufgrund der vom Kläger im vorliegenden Fall ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrt das in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorgesehene Absehen von einer Frist für die freiwillige Ausreise aber die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 RFRL.
91 
Die Richtlinie 2018/115 schreibt vor, welches Verfahren von jedem Mitgliedstaat bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden ist, und legt die Reihenfolge der verschiedenen Schritte fest, die dieses Verfahren nacheinander umfasst. So sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zunächst vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - El Dridi - Rn. 34 f.). Teil dieser Rückkehrentscheidung ist auch die Entscheidung über eine Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 RFRL. Freiwillige Ausreise bedeutet die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist (Art. 3 Nr. 8 RFRL). Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 RFRL davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen. Auch mit Blick auf die Frage einer Ausreisefrist muss, wie sich aus den Erwägungsgründen 2, 6, 11 und 24 der Richtlinie 2008/115 sowie ihrem Art. 5 ergibt, gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, darunter der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die nach dieser Richtlinie getroffene Entscheidung im Einzelfall verhältnismäßig sein und die Grundrechte der betreffenden Person gebührend berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 69).
92 
Nach Art. 7 Abs. 4 RFRL darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 60). Wie der Senat mit Beschluss vom 30. August 2016 (11 S 1660/16 - InfAuslR 2016, 421) ausgeführt hat, bedarf es hierzu nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einer individuellen Prüfung des Einzelfalls und kann nicht allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)haft befindet (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 70 ff.; vgl. zur Notwendigkeit der Einzelfallprüfung auch Urteil vom 21.03.2013 - C-522/11 - Mbaye - Rn. 31 f.; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 7 Rn. 14). Damit stellt der Gerichtshof vor allem sicher, dass die Verhängung (und Vollstreckung) etwa einer Haftstrafe allein wegen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt nicht dazu führt, dass die zu Gunsten des Ausländers gewährten Garantien der Rückführungsrichtlinie keine Geltung mehr beanspruchen würden (Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 1 Rn. 25).
93 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat allerdings Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 auch dahin ausgelegt, dass der Rückgriff auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, gar keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, keine erneute Prüfung der Kriterien erfordert, die bereits geprüft wurden, um das Bestehen dieser Gefahr festzustellen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 73).
94 
Im vorliegenden Fall ist der Kläger aufgrund betrügerischer Vermögenskriminalität und Urkundenfälschung inhaftiert. Von ihm geht eine außerordentlich hohe Gefahr aus, dass er insoweit erneut straffällig wird. Die Ausländerbehörde hat unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zurecht die Ausweisung des Klägers verfügt. Die für die Ausweisung maßgeblichen Gründe tragen zugleich die Annahme einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies erschließt sich aus den Ausführungen oben unter I.
95 
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL, Art. 3 Nr. 4 RFRL allein die Abschiebungsandrohung (vgl. etwa Urteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492 und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412; Beschlüsse vom 30.08.2016 - 11 S 1660/16 -, InfAuslR 2016, 421 und vom 19.12.2012 - 1 S 2303/12 -, InfAuslR 2013, 98; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 307 ) und nicht die Ausweisung (siehe etwa Urteile vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris, vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 292 ; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016 § 11 Rn. 15 ff.). Entscheidend ist jedoch, dass die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verfügung - hier die Ausweisung - und die Rückkehrentscheidung - hier die Abschiebungsandrohung - nach Art. 6 Abs. 6 RFRL im Rahmen einer Entscheidung ergehen dürfen. Unionsrechtlich muss lediglich sichergestellt werden, dass die Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie sie in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorausgesetzt wird, bereits an anderer Stelle unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft worden ist. Dies ist hier im Rahmen der Ausweisung geschehen. Die normative Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, von einer Fristsetzung abzusehen, ist hier unmittelbare Folge der Ausweisung.
96 
Es gibt im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass (Grund-)rechte des betroffenen Ausländers eine andere Entscheidung im Rahmen des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderlich machen könnten. Sofern dies (in anderen Fallkonstellationen) ggfs. zu erwägen wäre, kann dies durch die Anwendung des nationalen Rechts gewährleistet werden. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes („bedarf“) ist ersichtlich, dass die Setzung einer Ausreisefrist nicht durch die Norm untersagt ist, sondern vielmehr Raum für (unionsrechtlich) notwendige abweichende Entscheidung lässt (vgl. auch GK-AufenthG, § 59 Rn. 170 ff. ).
IV.)
97 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
98 
Soweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 zurückgewiesen worden ist, war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, denn es ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen die Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang steht.
99 
Im Übrigen liegen Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, nicht vor.
100 
Soweit die Revision zugelassen worden ist, gilt folgende
101 
Beschluss vom 29. März 2017
102 
Der Streitwert wird gemäß § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf 10.000 Euro festgesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 25.05.2016 - 11 S 2480/15 -, juris).
103 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
32 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 bleibt ohne Erfolg.
33 
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage gegen die mit Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 verfügte Ausweisung abgewiesen (I.). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist auch das Befristungsbegehren. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger mit der Berufungsbegründung weder einen eigenen Antrag zur Befristungsentscheidung formuliert noch spezielle Berufungsgründe vorgebracht hat, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat aus Gründen der Rechtseinheit folgt, ist das Befristungsbegehren als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (BVerwG im Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 17). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehende Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots von drei Jahren und sechs Monaten zu Lasten des Klägers fehlerhaft wäre (II.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig; dies gilt auch soweit dem Kläger die Abschiebung aus der Haft heraus ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (III.).
34 
Maßgeblich für die Beurteilung all dieser Streitgegenstände, nämlich die Ausweisung, das Befristungsbegehren und die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung, ist jeweils die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18, vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 -, juris Rn. 9 und vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 16).
I.)
35 
Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
36 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung gemäß Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 394). Nachfolgende Änderungen in den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes durch spätere Gesetze haben die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen nicht verändert.
37 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 19).
38 
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 26).
39 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1). Vom Kläger geht nach wie vor eine außerordentlich hohe Gefahr einer erneuten Straffälligkeit im Bereich betrügerischer Vermögenskriminalität aus (2). Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie nach § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber (3). Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führt zu dem Ergebnis, dass das Regierungspräsidium die Ausweisung des Klägers zu Recht verfügt hat (4.).
40 
1.) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Ausreichend ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. StGB (Graßhof, in: BeckOK AuslR, AufenthG, § 54 Rn. 11 ). Der Kläger erfüllt aufgrund der seit 29. April 2015 rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 25. November 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Urkundenfälschung in sieben Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit Betrug und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug diesen Tatbestand. Damit lag beim Kläger auch nach der im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 30. Januar 2016 und noch bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor; dort war bei Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisiert worden. Unschädlich ist hierbei, dass die Einzelstrafen der jeweiligen Vorsatztaten der Gesamtfreiheitsstrafe jeweils unterhalb von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurden. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 17.12 -, juris Rn. 12).
41 
2.) Die Gefahr, dass der Kläger erneut im Bereich der betrügerischen Vermögenskriminalität straffällig wird, ist außerordentlich hoch. Sie folgt aus dem entsprechenden strafrechtlichen Werdegang des Klägers, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt unbeeindruckt von irgendwelchen straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen zeigt.
42 
a) Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 18). Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind nicht allein das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat zu berücksichtigen, sondern alle Umstände des Einzelfalls einzustellen, wie etwa die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., § 53 Rn. 28 m.w.N.). Diese Prognoseentscheidung obliegt dem die Ausweisung überprüfenden Gericht. Es gibt im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa psychische Erkrankungen), die die Hinzuziehung eines Sachverständigen gebieten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 -, juris Rn. 12 und vom 01.03.2016 - 1 B 30.16 -, juris Rn. 7).
43 
b) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Stuttgart im Urteil vom 4. November 2014 eröffnete der Kläger am 4. August 2012 mit dem falschen Namen R.-P. und weiteren falschen Personalien unter Vorlage eines gefälschten angolanischen Reisepasses ein Sparkonto bei einer Postbankfiliale der Postbank AG. Er wollte dieses Konto nutzen, um durch gefälschte Überweisungsträger Zahlungseingänge herbeizuführen und anschließend die Gelder unerkannt abheben zu können. Am 14. Januar 2013 eröffnete er bei drei verschiedenen Geldinstituten verschiedene Bankkonten, um diese für rechtswidrige Transaktionen zu nutzen und unerkannt eingehende Gelder abheben zu können. Dabei gab der Kläger, der hier unter dem Namen K. P. auftrat, (neue) falsche Personalien an und nutzte einen gefälschten französischen Reisepass. Für das an diesem Tag bei der Kreissparkasse L. eingerichtete Konto bekam der Kläger keine Kreditlinie eingeräumt und zahlte lediglich 5 Euro ein, weshalb es in der Folgezeit zu zahlreichen Lastschriftrückgaben kam. Bei der Filiale einer anderen Bank legte der Kläger außer dem gefälschten Pass auch gefälschte Gehaltsnachweise vor und im Vertrauen auf die Echtheit dieser Unterlagen erhielt er eine Kreditkarte zugesandt und ein Kreditkartenlimit in Höhe von 600 Euro eingeräumt. Dieses nutzend hob er am 2. Februar 2013 an einem Geldautomaten am ... Platz in Stuttgart 500 Euro und am 4. Februar 2013 an einem anderen Geldautomaten 80 Euro ab. Wie von ihm von vornherein beabsichtigt, glich er den negativen Saldo auch in der Folgezeit nicht aus. Im Rahmen eines Postident-Verfahrens eröffnete der Kläger ein Privat-Girokonto bei der Postbank AG und erhielt eine Kreditkarte. Mit dieser tätigte er am 13. Februar 2013 eine Zahlung in Höhe von 512,50 Euro und schädigte die Postbank insoweit. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 31. Juli und dem 4. August 2012 entwendete der Kläger zudem aus dem Briefkasten einer Filiale einer Bank mehrere Überweisungsträger, die die Kundin J. K. dort zuvor eingeworfen hatte, fertigte hiervon Kopien und warf die Originale anschließend zurück in den Briefkasten. Sodann veranlasste er am 7. August 2013 mittels einer mit den Kontodaten und der Unterschrift von J. K. versehenen Kopie eines Überweisungsträgers eine Überweisung an sich selbst unter Angabe des falschen Empfängernamens R.-P. in Höhe von 2.759,65 Euro. Nachdem J. K. diese unberechtigte Überweisung bemerkt hatte, gelang es der Bank, ihr den Betrag zurück zu überweisen. Am 5. Februar 2013 reichte der Kläger bei der Kreissparkasse E. einen Überweisungsträger für das dort geführte Konto des H. D. ein, welchen er zuvor mit einer von ihm nachgeahmten Unterschrift der Bevollmächtigten des H. D., der Tochter M. T., versehen hatte. Empfänger der Überweisung in Höhe von 6.800 Euro sollte er selbst unter Nutzung seines Kontos mit dem Alias-Personalien K. P. sein. Die Überweisung unterblieb, da die Bank Verdacht schöpfte. Unter dem 13. Februar 2013 reichte der Kläger einen Überweisungsträger mit einer gefälschten Unterschrift des Kontoinhabers A. R. bei der Kreissparkasse L. über 6.885,96 ein mit dem Ziel, dass ihm dieser Betrag auf das unter dem Namen K. P. auch bei dieser Bank geführten Konto überwiesen wird. Zur Ausführung der Überweisung kam es jedoch nicht, weil den Bankmitarbeitern eine Abweichung der Unterschrift aufgefallen war.
44 
Im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart bestritt der Kläger diese Taten und trug vor, er habe weder mit den Eröffnungen der Konten noch mit den Überweisungen bzw. Abhebungen irgendetwas zu tun; er sei unschuldig (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 762 f.; Strafurteil Bl. 10). Das Amtsgericht war jedoch nach Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere der Auswertung der hinsichtlich des Abhebevorgangs am 2. Februar 2013 von der Überwachungskamera angefertigten Lichtbilder und der Analyse der Unterschriften durch eine Sachverständige, von der Täterschaft des Klägers überzeugt. Bei der Strafzumessung nahm das Amtsgericht bei sämtlichen Taten ein gewerbsmäßiges Handeln an, d.h. den Willen, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen (Tiedemann, in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 296). Es stellte zu Lasten des Klägers insbesondere darauf ab, dass er zumindest einen Teil der Taten als Bewährungsbrecher aus einer einschlägigen Verurteilung heraus begangen hatte, den Taten eine erhebliche kriminelle Energie zugrunde lag und zum Teil erhebliche Schäden eingetreten waren. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legten sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Landeskriminalamt - Kriminaltechnisches Institut - erstellte unter dem 20. April 2015 ein Behördengutachten. Danach handelt es sich bei der Person auf den Täteraufnahmen am 2. Februar 2013 bei der Bank am ... Platz und bei dem Kläger nach den festgestellten optischen Übereinstimmungen wahrscheinlich um ein und dieselbe Person. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart am 29. April 2015 nahmen sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft die Berufung zurück.
45 
c) Eine weitere Grundlage für die Prognose des Senats ist der Umstand, dass der Kläger bereits vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 24. November 2014 einschlägig vorbestraft war. Nachdem der Kläger in den Jahren 2000 und 2002 wegen Betrugsdelikten zu Geldstrafen verurteilt worden war, intensivierte er ab dem Jahre 2005 nach den Feststellungen des Landgerichts Stuttgart im Urteil vom 25. September 2007 seine „Karriere“ auf dem Gebiet der Vermögenskriminalität in Gestalt des Überweisungsbetrugs. Bei sämtlichen 53 Taten, die der Verurteilung vom 25. September 2007 zugrunde lagen und die sich in einem Zeitraum von etwa einem Jahr ereignet hatten, bejahte das Strafgericht ein gewerbsmäßiges Handeln des Klägers. Obwohl anlässlich einer Durchsuchung am 19. Januar 2007 beim Kläger Zettel mit Notizen sichergestellt worden waren, die Bezüge zu Begünstigten von Überweisungsbetrugstaten aufwiesen (Name, Kontodaten), die später unter dem 25. September 2007 abgeurteilt wurden, sowie Blanko-Überweisungsvordrucke einer Bank, bei der der Kläger kein Konto unterhielt, setzte er noch kurze Zeit danach, nämlich am 25. Januar und im Februar 2007, sein kriminelles Verhalten fort. So erstellte er jeweils mit Datum vom 10. Februar 2007 einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos des K. W. bei der Sparkasse P.-C. und zugunsten des Kontos B. H. bei der Postbank M. über einen Betrag von 7.987,09 Euro sowie einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos D. K. H. bei der Volksbank N. und zugunsten des Kontos des D. B. L. bei der Postbank M. in Höhe von 4.979,99 Euro. Ungeachtet dessen, dass ihm allein schon durch die Hausdurchsuchung bewusst gewesen sein musste, dass die Polizei ihn verdächtigte, bewirkte dies beim Kläger kein Unterlassen weiteren kriminellen Verhaltens. Auch die durch das Amtsgericht Stuttgart am 28. März 2007 angeordnete Untersuchungshaft und die daran anschließende Verbüßung der Strafhaft bis 18. November 2009 beeindruckten den Kläger offensichtlich in keiner Weise. Noch unter Bewährung nach § 57 StGB stehend und in Kenntnis der Inhalts des Duldungsvergleichs vom 21. Juli 2009 wurde der Kläger ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut auf dem Gebiet des Konto-bzw. Überweisungsbetrugs tätig.
46 
d) Es gibt keine Gründe, die den Senat daran hindern würden, für seine Prognose diese strafrechtlichen Verurteilungen zu verwerten. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahingehend geäußert, die Verurteilung 2014 sei zu Unrecht erfolgt. Seine Fingerabdrücke seien auf einer „Blanko-Überweisung“ gewesen, die er 2009 einem Bekannten gegeben habe. Die Polizei habe aus den Fingerabdrücken geschlossen, dass er es gewesen sei. Das sei aber falsch. Die Klamotten, die auf dem Lichtbild gewesen seien, habe er schon seit Jahren nicht mehr. Man habe Fotos von ihm aus dem Jahre 2005 verwendet. Jeder könne über einen Laptop alte Bilder einspielen. In der Verhandlung im Jahr 2014 sei erst ein Kripo-Beamter vernommen worden. Dieser habe gesagt, er gehöre einer Bande an, die von Stuttgart bis Köln aktiv sei. Er habe gesagt, er habe nichts damit zu tun. Es sei dann ausgehandelt worden, dass er die Berufung zurücknehme und er dafür ins „Freigängerheim“ komme.
47 
Aus den vom Senat beigezogenen Straf- bzw. Strafvollstreckungsakten ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Verständigung nach § 257c StPO vorgelegen hätte oder eine sonstige Abrede getroffenen worden wäre. Für den Senat belegen diese Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr, dass er auch die Zeit in der erneuten Haft bislang nicht genutzt hat, um sich zu seinen Straftaten tatsächlich zu bekennen und sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. So ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auffällig, dass er in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 4. November 2014 angegeben hatte, er sei im Jahre 2007 zu Unrecht verurteilt worden (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 763, 766), obwohl er damals vor dem Landgericht - wenn auch im Wege einer pauschalen Verteidigererklärung - die Taten eingeräumt hatte. Das Landgericht Stuttgart hatte keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass dieses Geständnis nicht der Wahrheit entsprechen würde, da es sich mit den Angaben der vernommenen Zeugen deckte (Strafurteil vom 25.09.2007, Bl. 11), und berücksichtigte dieses Geständnis im Rahmen der Strafzumessung erheblich strafmildernd (a.a.O., Bl. 12).
48 
Der Heranziehung der Straftaten, die Gegenstand einer älteren Verurteilung sind, steht auch nicht der Gedanke des Verbrauchs entgegen, weil diese Anlass eines früheren Ausweisungsverfahren gewesen sind, das mit einem gerichtlichen Vergleich vom 21. Juli 2009 beendet worden ist und infolge dessen der Kläger drei Jahre nach Haftentlassung wieder in den Besitz der Niederlassungserlaubnis gelangt ist.
49 
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich anerkannt, dass Ausweisungsgründe bzw. nunmehr Ausweisungsinteressen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (siehe insgesamt BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 39). Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers. (Geschäfts-)Grundlage des Vergleichs ist gewesen, dass der damals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Kläger sich drei Jahre lang nach Haftentlassung keine vorsätzliche Straftat zu Schulde kommen lässt. Hieran hat sich der Kläger aber offensichtlich nicht gehalten.
50 
e) Der Kläger ist im Rahmen seines strafrechtlichen Verhaltens stets ideenreich, organisiert und planvoll vorgegangen. Was ihn letztlich zu den Straftaten bewegt hat, hat er nicht offenbart. Es gibt keine erkennbaren tatsächlichen Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die den Schluss nahelegen würden, dass sich trotz immer wieder aufgetretenen Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen im Zusammenhang mit Kontoeröffnungen, Überweisungen oder sonstigen Verfügungen über Konten solches in Zukunft nicht mehr ereignen würde. Der Kläger verfügt nach wie vor nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung und in der Vergangenheit haben sich Zeiten von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit abgewechselt (vgl. hierzu auch die vom Kläger mit Schriftsatz vom 27.07.2016 vorgelegten Unterlagen). Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht sondern auch mit Blick auf die persönliche Situation des Klägers lassen sich keine belastbaren stabilisierenden Faktoren erkennen. Er ist bei Begehung der mit Strafbefehl vom 25. Februar 2002 abgeurteilten vier Fälle des Überweisungsbetrugs alleinstehend gewesen. Bei Beginn der Serie von Straftaten, die dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007 zugrunde liegen, hat bereits eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner heutigen Partnerin und zwei in den Jahren 2003 und 2005 geborenen Töchtern bestanden. Die Straftaten ab Sommer 2012 sind zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der familiären Lebensgemeinschaft eine weitere Tochter angehört hat. Dass seine drei Töchter und Lebenspartnerin der entscheidende Antrieb wären, „künftig nichts mehr anzustellen“ (vgl. seine Angaben in der mündlichen Verhandlung), lässt sich nicht objektivieren.
51 
Der Kläger zeichnet sich bislang vor allem durch eine fehlende Einsicht und Aufarbeitung seines strafrechtlichen Verhaltens aus. Er hat sich mit seinen Straftaten bis heute nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Die gilt insbesondere auch für seine letzte Verurteilung, deren Richtigkeit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestritten hat. Dies belegt zudem sein Agieren in der Justizvollzugsanstalt. So hat die Justizvollzugsanstalt Ulm am 9. Juli 2015 in einem Vermerk über das Erstgespräch unter anderem festgehalten, der Kläger habe sich eher zurückhaltend und wortkarg verhalten. Zu den Taten befragt, habe er kaum Angaben gemacht. Er streite seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Die an ihn gerichteten Fragen habe er kurz und knapp beantwortet, eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten habe bislang wohl eher noch nicht stattgefunden. Das weitere Vollzugsverhalten bleibe abzuwarten. Anhaltspunkte für eine psychische Problematik bzw. eine psychologische/psychotherapeutische Indikation wurden nicht festgestellt. In einem Führungsbericht vom 10. November 2015 führte die Justizvollzugsanstalt wiederum aus, zu seinen Taten befragt habe der Kläger im Anamnesegespräch kaum Angaben gemacht. Er streite im Wesentlichen seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Aus einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 16. Juni 2016, die zum erfolglosen Antrag des Klägers vom 28. Mai 2016 auf Aussetzung der Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung erstellt worden ist, heißt es unter anderem, der Kläger sei kein Erstverbüßer und Bewährungsbrecher; eine Einsicht in sein Fehlverhalten sei bei ihm nicht zu erkennen. Aus dem Vollzugsbericht der Justizvollzugsanstalt H. vom 1. Februar 2017 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Eine bewährungsweise Entlassung wurde seitens der Justizvollzugsanstalt H. auch für den Antrag des Klägers vom 7. November 2016 auf Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von Zweidritteln der Strafe nicht befürwortet.
52 
Soweit sich der Kläger selbst zu seinem strafrechtlichen Werdegang äußert, sind die Angaben pauschal und blenden die Tragweite der eigenen Verantwortung, Hintergründe und Folgen für die Opfer der Straftaten aus. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er wolle sich zunächst für alles, was passiert sei, entschuldigen. Er leide selbst schon. Er wolle sich nunmehr um seine Familie kümmern und seinen Kindern ein guter Vater sein. Er bereue seine Taten sehr und merke, wie seine Familie leide. Seine Straftaten seien Dummheiten gewesen. Er wisse auch nicht, wie es dazu gekommen sei. Er hätte nur Leuten helfen wollen. Er sei zwar als Einzeltäter verurteilt worden, tatsächlich hätten aber mehrere gehandelt. Er habe die Taten nicht so richtig begangen, sondern nur anderen Leuten geholfen und das Helfen sei etwas anderes. Mit den Leuten stehe er aktuell nicht in Kontakt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beklagte er vor allem die Situation seiner Töchter, die mit seiner Inhaftierung leben müssten, ohne sich jedoch zu seinem eigenen Fehlverhalten zu bekennen. Dass es dem Kläger an einem kritischen Umgang mit sich selbst mangelt, ist auch daran zu erkennen, dass er den Grund für seine Verlegung von der Justizvollzugsanstalt Ulm mit einer offenen Vollzugsform in den geschlossenen Vollzugs der Justizvollzugsanstalt H. allein bei anderen sieht.
53 
Auch die Haltung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Strafvollstreckungskammer anlässlich des Antrags des Klägers auf Aussetzung des Strafrestes nach zwei Drittel verdeutlichen das Fortbestehen der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist diesem Antrag unter Hinweis unter anderem auf die mehrfach einschlägigen Vorstrafen, den Bewährungsbruch und die hohe kriminelle Energie entgegen getreten. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 9. Februar 2017 hat der Kläger erklärt, dies sei seine letzte Straffälligkeit, er habe eine Familie mit drei Kindern, er habe draußen als Lagerfachkraft bei der Firma F. seine Arbeit gemacht. Dort möchte er nach der Haftentlassung wieder arbeiten. Eine konkrete Arbeitszusage habe er nicht. Die Strafvollstreckungskammer hat dem Protokoll zufolge erläutert, dass nach derzeitiger Einschätzung keine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht komme, insbesondere im Hinblick auf die einschlägigen und mehrfachen Vorstrafen und die letzte Haftverbüßung, die ihn nicht davon abgehalten habe, erneut straffällig zu werden. Am 14. Februar 2017 hat der Kläger seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrests zurückgenommen.
54 
Die Tatsache, dass der Strafvollzug des Klägers entsprechend den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt H. beanstandungsfrei verläuft, relativiert die Gefahrenprognose nicht. Der Kläger hatte auch in der Vergangenheit immer wieder längere Zeiten - auch in Freiheit - , in denen er nicht aufgefallen, jedoch dann erneut in unverändert kriminelle Verhaltensmuster zurückgefallen ist.
55 
3.) Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gegenüber. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind mit Blick auf die in der Vergangenheit geführte und nach Haftentlassung geplante Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft mit den drei deutschen minderjährigen Kindern, für die er auch das Personensorgerecht wahrnimmt, gegeben. Zudem hat der Kläger - im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung - eine Niederlassungserlaubnis besessen und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Die auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 21. Juli 2009 erfolgte Aufhebung der Ausweisung unter dem 6. Dezember 2012 und Erteilung der Niederlassungserlaubnis unter Hinweis auf § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG führen dazu, dass die Voraussetzungen auch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen. Da die Regelung allein auf den tatsächlichen Besitz der Niederlassungserlaubnis abstellt, kommt es hier nicht darauf an, dass der Kläger noch unter der Geltung der „Bewährungszeit“ des Duldungsvergleichs von drei Jahren ab der Haftentlassung - bis 18. November 2009 war er inhaftiert - ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut einschlägig straffällig geworden und damit die Grundlage und die Intention des Vergleichs letztlich unterlaufen hat. Die Bewertung eines solchen Sachverhalts erfolgt nach der Konzeption des Gesetzes ggfs. im Rahmen der Gesamtabwägung.
56 
4.) Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet deutlich.
57 
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für eine Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris Rn. 141 ff.; Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 29 ff.; OVG NRW, Urteil vom 10.05.2016 - 18 A 610/14 -, juris Rn. 76 f.). Bei der erforderlichen Gesamtabwägung sind zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zudem ergänzend die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK hierzu entwickelten Kriterien heranzuziehen (vgl. zu den sog. „Boultif-Üner-Kriterien“ insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich auch: Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95 ff. und Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m.w.N.)
58 
Hiervon ausgehend ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seit 1990 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat und über einen langjährigen und legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. Er hat zwar keinen im Bundesgebiet allgemein anerkannten Bildungs- bzw. Berufsabschluss, er ist hier jedoch immer wieder erwerbstätig gewesen und hat nach seinen Angaben nach seiner Haftentlassung Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Er hat Möglichkeiten genutzt, sich Fähigkeiten anzueignen, mit denen bessere berufliche Perspektiven verbunden sein können, wie die Qualifizierung zur Lagerfachkraft im Jahre 2000 oder der Erwerb von Kenntnissen im Bereich Microsoft Excel 2000. Der Kläger spricht - wovon sich der Senat anlässlich der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können - ein alltagstaugliches Deutsch.
59 
Von besonderer Bedeutung sind die familiären Bindungen. Der Kläger hat in Deutschland eine Familie gegründet. Wie insbesondere aus seinen Erklärungen in der Berufsverhandlung deutlich geworden ist, ist sein Verhältnis zu seinen drei deutschen Töchter, die den Kindergarten bzw. die weiterführende Schule besuchen, von einer wechselseitig innigen emotionalen Beziehung geprägt. Er nimmt - selbst unter den erschwerten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs - aktiv am Leben der Kinder teil und hat in der mündlichen Verhandlung insbesondere von den musikalischen Talenten der beiden größeren Töchtern näher berichtet. Seine Lebensgefährtin schöpft mit den Kindern die in der Vollzugsanstalt zulässigen Besuche aus. Der Kläger nutzt mit seinen Töchtern zudem mittlerweile das Vater-Kind-Projekt der Justizvollzugsanstalt, welches ihnen ermöglicht, mehr Zeit als bei einem Regelbesuch üblich miteinander zu verbringen. Nicht nur die drei am 16. Dezember 2003, 7. Oktober 2005 und 27. Dezember 2011 geborenen Töchter, die sich aufgrund ihres Alters in unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden, haben ein außerordentlich hohes Interesse daran, dass ihr Vater im Bundegebiet verbleibt; dies gilt mit Blick auf die familiäre Lebensgemeinschaft gleichermaßen für die Lebensgefährtin und den Kläger selbst. Ihm kommt das Recht und die Aufgabe zu, als Vater für seine Kinder - auch emotional - zu sorgen. Seine Ausweisung - zumal sie zu seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern führt - ist vor diesem Hintergrund ein erheblicher Eingriff in das auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
60 
Zu Lasten des Klägers ist die Schwere der begangenen Straftaten, deren Aburteilung zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der bereits oben festgestellten außerordentlich hohen Wiederholungsgefahr betrügerischer Vermögenskriminalität, fällt auch seine fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Rechtstreue ins Gewicht. Die Anzahl der Einträge im Zentralregister sprechen für sich.
61 
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die öffentlichen Interessen an einer Ausreise im Hinblick auf die drei deutschen Kinder nicht deshalb zurückzutreten, weil dieser keine Gewaltdelikte begangen hat, die sich gegen elementare Rechtsgüter wie Leib und Leben richten, sondern sich seine Verfehlungen primär auf dem Gebiet des Vermögensstrafrechts ereignet haben. Die Gesamtabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt hier vielmehr auch unter Berücksichtigung des sehr hohen Gewichts der familiären Bindungen zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
62 
Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um gewerbsmäßig begangene Betrugsdelikte in erheblicher Anzahl, überwiegend in Gestalt des Überweisungsbetrugs, die teilweise von Urkundenfälschungen begleitet worden sind. Der Kläger ist - wenn auch immer wieder mit „Pausen“ - seit dem Jahre 2001 auf diesem Gebiet „aktiv“. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich aus für sein Leben atypischen Situationen, etwa einer einmalig erlebten finanziellen Bedrängnis, zu solchen Taten hat hinreißen lassen. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass er der geltenden (Strafrechts-)Ordnung ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet einfach keine Bedeutung beimisst, sondern allein so agiert, wie es ihm in den Sinn kommt und hierbei bereit ist, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle anderen Menschen erheblichen finanziellen Schaden zuzufügen. Zu den Konten, die der Kläger „anzapfte“ oder „anzapfen“ wollte, gehören solche von Privatpersonen, von Firmen oder von Vereinen, wobei die Beträge, die in den Überweisungsträgern ausgewiesen waren, durchaus nicht unerheblich waren. Exemplarisch verdeutlichen dies die Taten Nr. 6 und 7, die durch das Amtsgericht Stuttgart unter dem 25. November 2014 abgeurteilt wurden, mit Überweisungsbeträgen von 6.800 Euro bzw. 6.885,96 Euro, und die Taten Nr. 14 und Nr. 38 im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007, bei denen es um 9.787,97 Euro (zu Lasten eines Vereins) bzw. 45.767,07 Euro (zu Lasten einer Schreinerei) handelte. Die Handlungen des Klägers waren allein bei den Straftaten, die Gegenstand der landgerichtlichen Verurteilung waren, auf ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen in Höhe von nahezu 459.000 Euro gerichtet. Bei seinen Taten ging der Kläger unter Benutzung verschiedener falscher Identitäten und unterschiedlicher Konten sehr professionell vor. Eine besondere Brisanz erhält die kriminelle Laufbahn des Klägers auch dadurch, dass er nicht allein und teilweise zudem grenzüberschreitend agiert hat (vgl. hierzu die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2009 unter II.), aber auch insoweit bis heute „keinen reinen Tisch gemacht hat“. Dass bei etlichen Taten eine Schädigung der tatsächlichen Kontoinhaber bzw. der Geldinstitute letztlich vermieden und der Kläger durch die Polizei gefasst werden konnte, beruht allein darauf, dass andere Menschen aufgepasst bzw. interne und externe Kontrollsysteme funktioniert haben. Solche Zufälligkeiten entlasten den Kläger aber nicht. Bezeichnender Weise hat er im Übrigen immer wieder selbst festgestellt, dass Überweisungen durch die Bank nicht ausgeführt worden sind. Das hat ihn aber gerade nicht abgeschreckt. Mit den kriminellen Handlungen fuhr er unverändert fort.
63 
Die vom Kläger ausgehende außerordentlich hohe Wiederholungsgefahr (siehe oben I.2.) von betrügerischen Aktionen im Bereich des bargeldlosen Transfers von Geldern unter Einschaltung einer Bank, auf dessen Funktionieren und korrekte Abwicklung der Einzelne, aber auch letztlich ein Wirtschaftssystem angewiesen sind, rechtfertigt die durch die Ausweisung herbeigeführte Trennung von seinen Familienmitgliedern (zur Bedeutung der Gefahrenprognose im Rahmen der Gesamtabwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit siehe Funke-Kaiser, Fragen des novellierten Aufenthaltsrechts, in: Dokumentation, 18. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, Hamburg 2016, S. 221, 235).
64 
Die minderjährigen deutschen Töchter des Klägers sind faktisch nicht gezwungen den Kläger zu begleiten, sondern können weiter im Bundesgebiet leben. Da ihre Mutter über einen in der Vergangenheit stets verlängerten und aktuell bis 12. Januar 2019 gültigen Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verfügt, ist gewährleistet, dass ein erziehungsberechtigter drittstaatsangehöriger Elternteil im Bundesgebiet verbleibt, weshalb die Kinder nicht das Unionsgebiet als Ganzes verlassen müssen (vgl. zu diesen Aspekten EuGH, Urteil vom 13.09.2016 - C-304/14 - CS, Rn. 24 ff.; u.a. in Anknüpfung an das Urteil vom 08.03.2011 - C-34/09 - Ruiz Zambrano; siehe schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 34). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gravierende Gefahr neuer Straftaten des Klägers hingenommen werden müsste, weil sein Verbleib für die Kinder bzw. das Kindeswohl von überragender, ggf. existenzieller Bedeutung wäre. Das Leben der Töchter ist durch die Inhaftierung des Klägers davon geprägt, dass sie ihren Vater im Alltag schon seit längerer Zeit nicht um sich haben. Die beiden älteren Töchter haben diese Erfahrungen auch schon zuvor ab dem Jahre 2007 gemacht. Zwar ist die Aufrechterhaltung von familiären Beziehungen und Kontakten bei einem Aufenthalt des Klägers in Angola gegenüber der derzeitigen Situation deutlich erschwert, unmöglich ist dies jedoch auch mit Blick auf das Alter der Töchter nicht. Hinzu kommt, dass durch die Befristung der Wirkungen des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots (siehe nachfolgend II.) und der Möglichkeit für den Kläger, danach zu seinen deutschen Kindern zurückzukehren, die Trennung perspektivisch begrenzt ist. Da der Kläger bis zum Alter von etwa 17 Jahren in Angola gelebt und aktuell auch noch portugiesisch beherrscht, steht zu erwarten, dass er sich dort zurecht finden wird - zumal er im Jahre 2005 im Rahmen der Vorbereitungen auf die Fußball-WM zu Besuch in Angola gewesen ist und seine Partnerin, die im April 2002 in das Bundesgebiet eingereist ist, ebenfalls aus Angola stammt. Nach dem Vermerk der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 9. Juli 2015 zum Erstgespräch mit dem Kläger leben zudem zwei jüngere Schwestern von ihm in Angola.
II.)
65 
Dem Kläger steht die hilfsweise begehrte Verpflichtung des Beklagten, unter Aufhebung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden, nicht zu.
66 
1.) Der Kläger hat eine - logisch vorrangige - (hilfsweise) Verpflichtung des Beklagten über die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, nicht beantragt. Für einen solchen Antrag gibt es auch keine Veranlassung. Der Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung hierzu keine Entscheidung getroffen; dies ist nicht zu beanstanden.
67 
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung unter I. ergibt sich jedoch, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, deren Abwehr das Einreise- und Aufenthaltsverbot dient, fortbesteht und das öffentliche Interesse an der Ausreise schutzwürdige Belange des Ausländers überwiegt. Erweist sich eine Ausweisung als rechtmäßig, ist es nach den hierfür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen, dass zum gleichen Zeitpunkt, der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblich ist, Anlass für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu diesem Zeitpunkt bestehen könnte. Würde sich eine Ausweisung hingegen als rechtswidrig erweisen, beispielsweise wegen einer nach Erlass der Verfügung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage, wäre sie mit Wirkung ex tunc aufzuheben (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 21 ff.), so dass ebenfalls kein Raum für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass seit der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung bedarf, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 15), hatte für die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall kein Grund für eine solche Ermessensentscheidung bestanden. Im Übrigen liegt der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots - anders als der Befristung - keine Prognose zugrunde, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen.
68 
2.) Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots seit Inkrafttreten des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 19 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 65 f.). Der Senat hält an seiner bislang vertretenen Auffassung, wonach es sich hierbei trotz des Wortlauts um eine gebundene Entscheidung handelt (grundlegend Senatsurteil vom 09.12.2015 - 11 S 1857/15 -, juris), aus Gründen der Rechtseinheit nicht mehr fest.
69 
Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge ändert das Erfordernis einer Ermessensentscheidung nichts am behördlichen Prüfprogramm, wie es von diesem im Urteil vom 10. Juli 2012 (1 C 19.11 -, juris Rn. 42) entwickelt worden ist (vgl. auch schon BVerwG, Urteil vom 14.02. 2012 - 1 C 7.11 -, juris Rn. 28 f.). Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 23 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 66).
70 
Das Regierungspräsidium hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung unter Zugrundelegung der Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. im Einzelnen Bl. 17 ff. der Verfügung) das Einreise- und Aufenthaltsverbot anhand einer zweistufigen Prüfung auf fünf Jahre nach Ausreise oder Abschiebung befristet. Das Verwaltungsgericht hat - allerdings unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Dezember 2015 und damit unter Zugrundelegung der bisherigen Auffassung des Senats zum gebundenen Charakter der Befristungsentscheidung - in seinem Urteil die vom Beklagten festgesetzte Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Blick auf die familiären Belange insoweit aufgehoben, als die Frist in Ziffer 4 des Bescheids vom 30. Januar 2016 drei Jahre und sechs Monate übersteigt. Der Beklagte hat hiergegen kein (Anschluss-) Rechtsmittel eingelegt. Dass diese für den Beklagten verbindliche Länge der Sperrfrist von drei Jahre und sechs Monaten, die unterhalb der Fünf-Jahres-Frist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG liegt, zu Lasten des Klägers im Ergebnis fehlerhaft wäre, ist mit Blick auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit (siehe oben u.a. I. 2.) nicht ersichtlich; es ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte dafür, aufgrund der bereits oben unter I. dargestellten familiären Situation und weiterer individueller Belange könnte eine noch kürzere Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Raum stehen. Es sind insbesondere auch nach Erlass der Verfügung keine weiteren Änderungen tatsächlicher Art eingetreten, die zu Gunsten des Klägers wirken und Anlass für neue bzw. ergänzende Ermessenserwägungen bei dem Beklagten sein könnten.
71 
Dass der Beklagte das durch eine Abschiebung eintretende Einreise- und Aufenthaltsverbot hinsichtlich der Länge gleichlaufend mit den Folgen der Ausweisung im Sinne einer einheitlichen Regelung ausgestaltet hat, verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
72 
Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, einen Antrag auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu stellen, wenn sich die Gefährdungssituation günstiger als erwartet entwickeln sollte oder neue persönliche bzw. familiäre Umstände eine andere, günstigere Entscheidung angezeigt erscheinen ließen.
III.)
73 
Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
74 
Ziffer 3 der Verfügung vom 30. Januar 2016 ist unter Berücksichtigung der Begründung im angefochtenen Bescheid dahingehend auszulegen, dass für den Fall der Entlassung aus der Haft der Kläger aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bestandskraft der Ausweisung zu verlassen und ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb dieser Frist die Abschiebung nach Angola angedroht wird. Entsprechendes soll gelten, falls - was aber nicht geschehen ist - der Sofortvollzug angeordnet wird. Die Frist von einem Monat ist auszulegen als 31 Tage (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 44). Für den Fall, dass sich der Kläger bei Bestandskraft der Ausweisung (oder deren sofortiger Vollziehbarkeit) noch in Haft befindet, wird ihm mit Ziffer 2 der Verfügung die Abschiebung ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht, wobei die unterbliebene Fristsetzung nach der Begründung des Bescheids allein auf § 59 Abs. 5 AufenthG beruht.
75 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine Abschiebung nach Angola nicht deshalb unzulässig, weil er im Jahre 1990 unter Berufung auf den drohenden Einsatz als Kindersoldat aus Angola geflohen ist (1.). Soweit dem Kläger, der sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit voraussichtlichem Strafende 31. Dezember 2017 in Strafhaft befindet, die Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), ist dies nicht zu beanstanden; dies steht insbesondere mit der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) - RFRL - in Einklang (2.)
76 
1.) Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Angola unzulässiger Zielstaat einer Abschiebung des Klägers mit der Folge der Einschränkung der Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist. Soweit er ausführt, er sei im Alter von 17 Jahren vor der zwangsweisen Einsetzung als Kindersoldat für den damaligen Diktator geflohen und bei einer Rückkehr nach Angola bestehe für ihn eine Gefahr für Leib und Leben, ist damit ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nicht schlüssig vorgetragen, denn der Kläger hielt sich nach eigenen Angaben etwa 15 Jahre nach seiner Flucht im Jahre 2005 ohne Probleme in Angola auf. Im Übrigen steht bereits der negative Ausgang des Asylverfahrens einer Berufung auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote entgegen (§ 42 AsylG).
77 
2.) Die Androhung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise entspricht den Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts (a). Dass dem Kläger nicht die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise eingeräumt worden ist, steht mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang (b). Dies beruht allerdings nicht auf einer „Opt-Out“-Entscheidung des Gesetzgebers auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL (aa), sondern basiert auf der vom Kläger ausgehenden Gefahr, die auch ein Unterbleiben der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 Abs. 4 RFRL trägt (bb).
78 
a) Nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, d.h. unter anderem dann, wenn der Ausländer sich - wie hier - auf richterliche Anordnung in Haft befindet, keiner Setzung einer Ausreisefrist. Nach nationalem Recht dient eine Ausreisefrist dazu, eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise vermeiden zu können. Sie bezweckt ferner dem Ausländer zu ermöglichen, seine Lebensverhältnisse in Deutschland abwickeln und ggfs. ein Rechtsschutzverfahren betreiben zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1997 - 1 C 14.96 -, juris Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 AufenthG Rn. 105, 147 ). Ausgehend hiervon wird § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als ein - gegenüber § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - spezieller Fall angesehen, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (so BayVGH, Beschluss vom 12.12.2016 - 10 C 16.2176 -, juris Rn. 8). Mit der Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll, wird der Ausländer in Haftfällen in die Lage versetzt, sich auf das Verlassen des Landes vorzubereiten und ggfs. entsprechende Maßnahmen zu treffen (Hocks, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl., 2016, § 59 AufenthG Rn. 17). Eine solche Konkretisierung des Zeitpunkts der Abschiebung ist im vorliegenden Fall noch nicht erfolgt. Zwar beabsichtigt der Beklagte ausweislich des Hinweises in der Verfügung vom 30. Januar 2016, den Kläger zum Zeitpunkt der Haftentlassung auf der Grundlage der Entscheidung nach § 456a StPO abzuschieben. Eine derartige Entscheidung liegt ausweislich der beigezogenen Akten aber bislang nicht vor.
79 
Nach § 456a StPO kann die Strafvollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung oder Sicherung unter anderem dann absehen, wenn der Verurteilte aus dem Geltungsbereich des Gesetzes abgeschoben wird. Die Regelung setzt aber voraus, dass diese Maßnahme, d.h. die Abschiebung, bereits bestandskräftig angedroht worden (Schmitt, in: Meyer/Großner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., 2016, § 456a Rn. 3; Appl, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., 2008, § 456a Rn. 3) oder diese zumindest vollziehbar ist und demnächst durchgeführt wird (Klein, in: Graf, StPO, 2010, § 456a Rn. 3). Wann die Staatsanwaltschaft ggfs. von einer weiteren Vollstreckung absieht, ist im vorliegenden Fall ungewiss.
80 
b) Dass dem Kläger auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht eingeräumt wird, steht im vorliegenden Fall mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang.
81 
Das Ziel der Richtlinie 2008/115 ist - wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 11 ergibt - die Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rücknahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen und rechtlichen Garantien beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden (EuGH, Urteil vom 05.06.2014 - C-146/14 PPU - Mahdi - Rn. 38). Die Richtlinie ist von ihrem Zweck her sowohl ein Rückkehrinstrument als auch ein Menschen- bzw. Grundrechteinstrument, die den Mitgliedstaaten aber nicht unbedeutende Gestaltungsspielräume belässt (näher Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 136 ff.).
82 
aa) § 59 Abs. 5 AufenthG mit der normativen Folge des Unterbleibens einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist nicht bereits deshalb mit Unionsrecht in Einklang zu bringen, weil die Bundesrepublik insoweit vom „Opt-Out“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hätte.
83 
Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Zwar könnte der Wortlaut „infolge“ durchaus daraufhin deuten, dass auch Rückkehrentscheidungen, die im Verwaltungswege erlassen werden, letztlich aber an eine strafrechtliche Verurteilung anknüpfen, unter diese Regelung fallen können (dies jedenfalls für die frühere Ist-Ausweisung nach § 53 AufenthG a.F. annehmend Franßen-de la Cerda, Die Vergemeinschaftung der Rückführungspolitik - das Inkrafttreten der EU-Rückführungsrichtlinie, ZAR 2008, 377, 381; weitergehend Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 164 ff.). Für die Auffassung, dass die 2. Alternative des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL, die auf eine Rückkehrverpflichtung abstellt, die „infolge einer strafrechtlichen Sanktion“ ausgelöst wurde, nur Fälle betrifft, in denen die Rückkehrpflicht unmittelbar aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion als Nebenfolge ausgelöst wird (vgl. näher Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 302 ), sprechen nach der Bedeutung der Regelung und ihrer Entstehungsgeschichte die besseren Gründe.
84 
Die Kommission hat während der Beratungen im Rat stets deutlich gemacht, dass die verschiedenen Stufen „Beendigung des legalen Aufenthalts“ und (deswegen danach) illegaler Aufenthalt zu unterscheiden sind und die Rückführungsrichtlinie nur den letzteren Fall erfasst. Verschiedene Mitgliedstaaten, deren Strafrecht bei Delikten von Ausländern auch den Verlust des Aufenthaltsrechts als Strafe oder Nebenstrafe vorsieht, befürchteten, dass durch die Rückführungsrichtlinie in die ihrer alleinigen Kompetenz obliegenden Angelegenheit des nationalen Strafrechts eingegriffen würde. Obwohl sowohl das Europäische Parlament als auch andere Mitgliedstaaten die Auffassung der Kommission, dass die Beendigung des legalen Aufenthalts - auch mit Mitteln des Strafrechts - schon gar nicht vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst ist, stützten und eine solche Klausel für nicht notwendig erachteten, verlangten diese Länder ausdrücklich eine Optionsregelung. Letztlich ist dem aus Gründen des politischen Pragmatismus entsprochen worden, weil andernfalls die Gefahr des Scheiterns der Richtlinie gedroht hätte (siehe hierzu Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016, § 11 Rn. 20 unter Hinweis auf Lutz, The Negotiations on the Return Directive, 2010, unter 2.2.2, S. 32; siehe auch Franßen-de la Cerda, a.a.O., ZAR 2008, 377, 381; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2nd Edition. 2016, Part C VII Art. 2 Rn. 15 f.).
85 
Auch der Umstand, dass erhebliche Bewertungsunsicherheiten (vgl. dazu Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 59 Rn. 302 ) auftreten würden, wenn man für die 2. Alt des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL eine Verwaltungsentscheidung genügen lassen würde, die allein oder jedenfalls maßgeblich auf eine vorangegangene strafrechtliche Sanktion gestützt wäre (wie etwa die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des Bestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen einer Straftat), spricht für die restriktive Interpretation.
86 
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. September 2013 (C-297/12 - Filev und Osmani - Rn. 50 f.). Das Urteil beruht - entsprechend den Ausführungen in der Vorlage des Amtsgerichts Laufen vom Juni 2012 zu einer Ausweisungsentscheidung aus dem Jahre 1999 - auf der nicht problematisierten Annahme, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I 2258) von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2008/115 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht habe (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013, a.a.O., Rn. 22, 50 ff.). Mangels entscheidungserheblicher Fragestellung sind aber die Problematik der Wirksamkeit und der Reichweite eines „Opt-Out“ keiner näheren Betrachtung durch den Gerichtshof der Europäischen Union unterzogen worden.
87 
Anlässlich des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 finden sich lediglich Ausführungen in der Gesetzesbegründung dazu, dass bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit von der „Opt-Out“ Möglichkeit Gebrauch gemacht werden solle (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 -, juris Rn. 71). In der Bundestagsdrucksache 17/5470, S. 21 heißt es zu § 11 AufenthG:
88 
„Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b - gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt - und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrunde liegen schwerwiegender Straftaten.“
89 
Selbst wenn man der hier nicht geteilten Auffassung wäre, dass Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Verwaltungsentscheidungen erfassen könnte, ist nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik auch mit Blick auf die Vorschrift des § 59 Abs. 5 AufenthG insoweit (wirksam) von dem „Opt-Out“ Gebrauch gemacht hätte. Diese Regelung gilt in der vorliegenden Fassung seit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I, 1970, 1982) unverändert. Es gibt keine Anhaltspunkte (in einer Gesetzesbegründung), die es erlaubten, ein „Opt-Out“ auch insoweit anzunehmen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 172 ), wenn eine gesetzliche Bestimmung, die vor Inkrafttreten einer Richtlinie bereits gegolten hat, schlicht später beibehalten wird. Ob es aus Gründen der Rechtsklarheit, insbesondere weil die Geltung des Unionsrechts keinen Zweifeln unterliegen darf, sogar geboten sein könnte, dass sich Art und Umfang des „Opt-Out“ aus dem Gesetz selbst ergeben müssen, kann daher hier offen bleiben (vgl. hierzu Lutz, in: Hailbronner/Thym, a.a.O., Art. 2 Rn. 5 f.; siehe zur Frage der Pflicht zur Veröffentlichung des Beschlusses nach Art. 2 Abs. 2 RFRL auch Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 179 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.03.2017 - 1 C 17.16 -, juris Rn. 17 zur Frage der Erheblichkeit des Willens, Unionsrecht umzusetzen und anzuwenden).
90 
bb) Aufgrund der vom Kläger im vorliegenden Fall ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrt das in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorgesehene Absehen von einer Frist für die freiwillige Ausreise aber die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 RFRL.
91 
Die Richtlinie 2018/115 schreibt vor, welches Verfahren von jedem Mitgliedstaat bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden ist, und legt die Reihenfolge der verschiedenen Schritte fest, die dieses Verfahren nacheinander umfasst. So sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zunächst vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - El Dridi - Rn. 34 f.). Teil dieser Rückkehrentscheidung ist auch die Entscheidung über eine Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 RFRL. Freiwillige Ausreise bedeutet die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist (Art. 3 Nr. 8 RFRL). Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 RFRL davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen. Auch mit Blick auf die Frage einer Ausreisefrist muss, wie sich aus den Erwägungsgründen 2, 6, 11 und 24 der Richtlinie 2008/115 sowie ihrem Art. 5 ergibt, gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, darunter der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die nach dieser Richtlinie getroffene Entscheidung im Einzelfall verhältnismäßig sein und die Grundrechte der betreffenden Person gebührend berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 69).
92 
Nach Art. 7 Abs. 4 RFRL darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 60). Wie der Senat mit Beschluss vom 30. August 2016 (11 S 1660/16 - InfAuslR 2016, 421) ausgeführt hat, bedarf es hierzu nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einer individuellen Prüfung des Einzelfalls und kann nicht allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)haft befindet (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 70 ff.; vgl. zur Notwendigkeit der Einzelfallprüfung auch Urteil vom 21.03.2013 - C-522/11 - Mbaye - Rn. 31 f.; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 7 Rn. 14). Damit stellt der Gerichtshof vor allem sicher, dass die Verhängung (und Vollstreckung) etwa einer Haftstrafe allein wegen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt nicht dazu führt, dass die zu Gunsten des Ausländers gewährten Garantien der Rückführungsrichtlinie keine Geltung mehr beanspruchen würden (Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 1 Rn. 25).
93 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat allerdings Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 auch dahin ausgelegt, dass der Rückgriff auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, gar keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, keine erneute Prüfung der Kriterien erfordert, die bereits geprüft wurden, um das Bestehen dieser Gefahr festzustellen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 73).
94 
Im vorliegenden Fall ist der Kläger aufgrund betrügerischer Vermögenskriminalität und Urkundenfälschung inhaftiert. Von ihm geht eine außerordentlich hohe Gefahr aus, dass er insoweit erneut straffällig wird. Die Ausländerbehörde hat unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zurecht die Ausweisung des Klägers verfügt. Die für die Ausweisung maßgeblichen Gründe tragen zugleich die Annahme einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies erschließt sich aus den Ausführungen oben unter I.
95 
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL, Art. 3 Nr. 4 RFRL allein die Abschiebungsandrohung (vgl. etwa Urteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492 und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412; Beschlüsse vom 30.08.2016 - 11 S 1660/16 -, InfAuslR 2016, 421 und vom 19.12.2012 - 1 S 2303/12 -, InfAuslR 2013, 98; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 307 ) und nicht die Ausweisung (siehe etwa Urteile vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris, vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 292 ; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016 § 11 Rn. 15 ff.). Entscheidend ist jedoch, dass die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verfügung - hier die Ausweisung - und die Rückkehrentscheidung - hier die Abschiebungsandrohung - nach Art. 6 Abs. 6 RFRL im Rahmen einer Entscheidung ergehen dürfen. Unionsrechtlich muss lediglich sichergestellt werden, dass die Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie sie in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorausgesetzt wird, bereits an anderer Stelle unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft worden ist. Dies ist hier im Rahmen der Ausweisung geschehen. Die normative Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, von einer Fristsetzung abzusehen, ist hier unmittelbare Folge der Ausweisung.
96 
Es gibt im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass (Grund-)rechte des betroffenen Ausländers eine andere Entscheidung im Rahmen des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderlich machen könnten. Sofern dies (in anderen Fallkonstellationen) ggfs. zu erwägen wäre, kann dies durch die Anwendung des nationalen Rechts gewährleistet werden. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes („bedarf“) ist ersichtlich, dass die Setzung einer Ausreisefrist nicht durch die Norm untersagt ist, sondern vielmehr Raum für (unionsrechtlich) notwendige abweichende Entscheidung lässt (vgl. auch GK-AufenthG, § 59 Rn. 170 ff. ).
IV.)
97 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
98 
Soweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 zurückgewiesen worden ist, war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, denn es ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen die Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang steht.
99 
Im Übrigen liegen Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, nicht vor.
100 
Soweit die Revision zugelassen worden ist, gilt folgende
101 
Beschluss vom 29. März 2017
102 
Der Streitwert wird gemäß § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf 10.000 Euro festgesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 25.05.2016 - 11 S 2480/15 -, juris).
103 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

Gründe

1

Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit sie den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt, ist sie unbegründet.

2

1. Die Beschwerde wendet sich zunächst mit Verfahrensrügen sowie der Grundsatzrüge gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, im Fall des Klägers reichten "Gründe der öffentlichen Ordnung" im Sinne von § 6 Abs. 1 FreizügG/EU für die Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts aus, während zutreffenderweise "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne von § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erforderlich seien (Beschwerdebegründung S. 2 - 4). Unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers und der gerichtlichen Aufklärungspflicht sei das Gericht von einer Unterbrechung des mehr als zehn Jahre dauernden Aufenthalts des Klägers in Deutschland infolge der Verbüßung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe wegen Mordes ausgegangen.

3

Die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen führen mangels Erheblichkeit für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung nicht zur Revisionszulassung. Denn das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung - trotz der aus seiner Sicht erfolgten rechtserheblichen Unterbrechung des maßgeblichen Zehn-Jahres-Zeitraums - darauf, dass selbst bei unterstellter Kontinuität des Aufenthalts die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erfüllt seien, weil "angesichts des vom Kläger begangenen Mordes, der zu der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe geführt hat, mit Blick auf Strafmaß sowie Art und Schwere der Straftat und die von ihm ausgehende gegenwärtige Gefahr sogar zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Maßnahme vorliegen" (UA S. 23). Das Gericht prüft im weiteren Verlauf - entgegen der Darstellung der Beschwerde - auch keineswegs nur noch "Gründe der öffentlichen Ordnung", sondern schließt sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an, dass der begangene Mord unter den Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit nach Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürger-Richtlinie bzw. nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU gefasst werden könne (UA S. 26). Auch bei Prüfung der Gegenwärtigkeit der vom Kläger ausgehenden Gefahr nach mittlerweile neunjährigem Strafvollzug bejaht das Gericht "nicht nur schwerwiegende, sondern sogar zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Verlustfeststellung" (UA S. 31). Auch die Ermessensentscheidung des Beklagten misst es an den Maßstäben, die beachtet werden müssen, "wenn ein zwingender Grund der öffentlichen Sicherheit vorliegt" (UA S. 31 unten).

4

Damit kommt es für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung nicht darauf an, ob die Feststellungen zur Unterbrechung des Zehn-Jahres-Zeitraums verfahrensfehlerfrei ergangen sind oder sich hierzu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen.

5

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, das Oberverwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft, namentlich unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers, eine Prognose zu der vom Kläger ausgehenden Gefahr angestellt (Beschwerdebegründung S. 4).

6

2.1 Fehlerhaft sei zunächst, dass das Gericht bei der Gefährdungsprognose allein auf das abgeurteilte Verhalten des Klägers abgestellt habe, hingegen die bereits erfolgte positive Entwicklung des Klägers während der Strafhaft nicht berücksichtigt habe (begonnene Ausbildung, erfolgreicher Drogenentzug) und auch nicht die zu erwartende weitere positive Entwicklung in der Haft, z.B. infolge der zukünftig vorgesehenen einzeltherapeutischen Aufarbeitung der Tat (Beschwerdebegründung S. 5 und 7). Auf derartige Umstände habe der Kläger hingewiesen, deswegen verletze das Vorgehen des Gerichts seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Diese Rüge greift nicht durch.

7

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Mit ihren Darlegungen zeigt die Beschwerde die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs jedoch nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn es sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 1 B 10.14 - unter Hinweis auf BVerfGE 54, 43 <46> juris Rn. 9). Solche besonderen Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf.

8

Das angefochtene Urteil stellt bei seiner Gefährdungsprognose schon im Ausgangspunkt nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung ab, sondern darauf, dass die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (UA S. 26). Danach offenbaren die vom Kläger begangenen Straftaten, die seiner Verurteilung u.a. wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Jahr 2005 und wegen Mordes im Jahr 2008 zugrunde liegen, dass der Kläger schwerwiegende charakterliche Defizite und eine deutliche Neigung habe, vermeintliches, insbesondere von ihm als Angriff auf seine Ehre verstandenes Fehlverhalten anderer selbst zu bestrafen bzw. seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen (UA S. 27). Der begangene Mord aus niedrigen Beweggründen, u.a. die "Hinrichtung" durch drei aufgesetzte Schüsse, ließen ein außergewöhnlich hohes Maß an krimineller Energie und charakterlichen Mängeln erkennen (UA S. 28). Bei der aktuellen Gefährlichkeitsprognose bezieht das Gericht zudem die Entwicklung des Klägers während der mittlerweile neunjährigen Haft ein, zieht dazu die Vollzugspläne zweier Haftanstalten heran, würdigt die Kontakte zu seinen Töchtern und deren Mutter (UA S. 29), seine begonnene Ausbildung zum Koch (UA S. 30) und die Tatsache, dass er während seiner Haftzeit ausweislich der negativen Kontrollergebnisse keine Drogen mehr genommen hat (UA S. 28). Das Gericht hat diese vom Kläger vorgetragenen Umstände demnach zur Kenntnis genommen, allerdings anders gewertet als dies die Beschwerde für richtig hält. Daraus lässt sich ein Gehörsverstoß jedoch nicht ableiten. Kein Gehörsverstoß liegt auch darin, dass das Gericht ein gefahrbestärkendes Element darin sieht, dass der Kläger seine Mordtat bisher nicht erfolgreich therapeutisch aufgearbeitet hat, weil ihm die Möglichkeit einer solchen Therapie noch nicht eingeräumt wurde (UA S. 29). Denn das Gericht hat nur die Tatsache selbst berücksichtigt, dem Kläger aber keinen Vorwurf dahin gemacht, zu einer solchen Therapie nicht bereit zu sein.

9

2.2 Die Beschwerde rügt des Weiteren fehlende gerichtliche Aufklärungsmaßnahmen zu den zu erwartenden positiven Auswirkungen der Haft auf die Persönlichkeit des Klägers in der Zukunft. Dies verletze die gerichtliche Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts. Das Gericht habe aus eigener Kompetenz gar keine verlässliche Prognoseentscheidung treffen können; hierfür sei vielmehr der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragte Sachverständigenbeweis erforderlich gewesen, den das Gericht jedoch nicht erhoben habe (Beschwerdebegründung S. 6 lit. bb).

10

Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich jedoch keine Verletzung der dem Gericht nach § 86 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht. Das Berufungsgericht war insbesondere nicht zu einer Aufklärung dahin verpflichtet, welche Wirkungen auf den Kläger von einer zukünftigen therapeutischen Aufarbeitung der Straftaten zu erwarten seien (vgl. Beschwerdebegründung S. 5 unten). Vielmehr durfte das Gericht davon ausgehen, dass derartige zukünftige Entwicklungen nichts über die aktuelle vom Kläger ausgehende Gefährdung aussagen.

11

Das Gericht durfte auch die in der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2015 beantragte Beweiserhebung ablehnen. Dort hatte der Kläger die Einholung eines medizinisch-psychologischen oder eines psychologisch-kriminologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass er nach der Tatbegehung und nach der strafgerichtlichen Feststellung eine nachhaltige Verhaltens- und Einstellungsänderung vollzogen habe, die eine Abwendung vom kriminellen Milieu bedeute (1) und dass nunmehr keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung schwerer Straftaten mehr bestehe (2). Das Oberverwaltungsgericht hat die Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, dass die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafgerichtlichen Verurteilungen von den Gerichten grundsätzlich ohne Hinzuziehung von Sachverständigen beurteilt werden könne, da die Gerichte sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegten, die den Richtern allgemein zugänglich seien. Ergänzend wies der Vorsitzende darauf hin, dass das Gericht die vorliegenden Erkenntnisquellen insoweit für ausreichend halte (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung S. 3 f.).

12

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde - wie hier - verfahrensfehlerfrei ablehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 11). Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Das ist hier erfolgt. Das Berufungsgericht ist dabei der Rechtsprechung des Senats gefolgt, wonach sich das Tatsachengericht bei der Gefahrenprognose im Fall der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Danach bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 12). Solche besonderen Umstände hat die Beschwerde nicht dargelegt.

13

3. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, inwieweit in der unterlassenen Aufklärung, welche Wirkungen aus fachkundiger Sicht im Fall einer zukünftigen therapeutischen Aufarbeitung erwartet werden können, eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - (BVerwGE 121, 297) liegen soll (vgl. Beschwerdebegründung S. 5 unten). Die Beschwerde stellt nicht - wie geboten - jeweils zur gleichen Rechtsvorschrift ergangene Rechtssätze des Berufungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts einander gegenüber (zu den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 2013 - 1 B 22.12 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 66 Rn. 21). Sowohl aus dem fristgerecht eingegangenen Beschwerdevorbringen als auch aus dem Schriftsatz vom 9. September 2015 wird zudem nicht ersichtlich, dass insoweit gegenüber der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 11) erneuter rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht.

14

4. Auch aus den weiteren Darlegungen der Beschwerde zur mangelnden Berücksichtigung einer Alkohol- und Drogensucht des Klägers ergibt sich die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht (Beschwerdebegründung S. 6 lit. cc). Die Beschwerde begründet ihre Rüge damit, das angefochtene Urteil stütze sich hinsichtlich des Einflusses des Alkohol- und Drogenmissbrauchs des Klägers auf die begangene Straftat auf Feststellungen aus dem Gutachten des Herrn Dr. G... aus dem Strafverfahren des Klägers. Das sei unzureichend, weil sich der Sachverständige nur mit der Frage der Schuldfähigkeit des Klägers aufgrund seines Alkohol- und Drogenmissbrauchs auseinandergesetzt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsurteil leitet seine Feststellung, dass der begangene Mord nicht auf den Alkohol- und Drogenmissbrauch des Klägers zurückzuführen sei, vielmehr aus den Darlegungen des Landgerichts Saarbrücken in seinem Urteil vom 7. Februar 2007 zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers bei der Begehung des Mordes ab, denen das Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. R... zugrunde lag (UA S. 28). Auf das vom Kläger vorgelegte Gutachten des Dr. G... geht das Urteil nur insoweit ein, als es dieses nicht für geeignet hält, die als überzeugend befundenen Ausführungen des Strafgerichts durchgreifend in Frage zu stellen (UA S. 28). Daher fehlt es auch an hinreichenden Darlegungen für die hierzu zusätzlich geltend gemachte Aufklärungsrüge.

15

5. Weiter greift die Beschwerde die Begründung an, mit der das Oberverwaltungsgericht eine vom Kläger ausgehende Gefahr auch während der Verbüßung seiner Haftstrafe bejaht (Beschwerdebegründung S. 8 f. lit. a und b). So sei etwa die Feststellung des Gerichts rein spekulativ, der Kläger habe in der JVA im Rahmen seiner Ausbildung zum Koch Zugang zu Messern, so dass Übergriffe auf Mitgefangene möglich seien. Die fehlenden Feststellungen hierzu begründeten einen Verfahrensmangel. Ebenso spekulativ seien die Ausführungen des Gerichts, der Kläger könne aus Rache seinen Mittäter gefährden, und von ihm gehe im Fall von Vollzugslockerungen die Gefahr aus, aus Wut oder wegen Verletzung in seinem Ehrgefühl einen Menschen zu verletzen oder gar zu töten oder alte Rechnungen begleichen zu wollen.

16

Mit dieser Verfahrensrüge wendet sich die Beschwerde der Sache nach gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts zur Gefahrenprognose. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Ein Verfahrensfehler kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts, abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2012 - 10 B 2.12 - juris m.w.N.). Einen solchen qualifizierten Mangel der Beweiswürdigung zeigt die Beschwerde jedoch nicht auf. Denn das Berufungsgericht tritt mit den von der Beschwerde genannten Argumenten zunächst nur der Auffassung des Klägers und des erstinstanzlichen Gerichts entgegen, eine Wiederholungsgefahr sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich der Kläger in Haft befinde (UA S. 30). Ferner geht das Gericht nicht von der feststehenden Tatsache aus, dass der Kläger in der Anstaltsküche Zugang zu Messern hat, sondern erwähnt das nur beispielhaft mit dem Zusatz "gegebenenfalls" (UA S. 30). Im Übrigen wird aus den Darlegungen der Beschwerde nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es eine grobe Verletzung der Grundsätze der Beweiswürdigung darstellen soll, wenn das Berufungsgericht aus der wiederholten Trennung des Klägers von seinem Mittäter O. in der Haft wegen dessen Furcht vor Übergriffen des Klägers gefolgert hat, dass auch bei Gefangenen Übergriffe von Mitgefangenen in der Haft nicht auszuschließen sind (UA S. 30). Entsprechendes gilt für die Ausführungen des Gerichts zu drohenden, vom Kläger ausgehenden Gefahren im Rahmen von Vollzugslockerungen (UA S. 30 f.). Eines Sachverständigengutachtens zur Gefahrenprognose bedarf es - entgegen des erneuten Vorbringens der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 9 lit. b) - aus den bereits oben dargelegten Gründen (Ziffer 2.2 dieses Beschlusses) nicht.

17

6. Die Beschwerde beruft sich weiter darauf (Beschwerdebegründung S. 9 lit. c), die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu einer Gefährdung innerhalb der Haft begründeten eine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - (BVerwGE 121, 297). Nach diesem Urteil ist für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr u.a. zu prüfen, ob eine (etwa erfolgte) Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftaten mehr begehen wird, und was sich ggf. aus einer (erfolgten) Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) ergibt (a.a.O. S. 306). Folgte man hingegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts und unterstellte ohne konkrete Anhaltspunkte bereits eine Gefährdung während der Haft, ergäbe sich nach Auffassung der Beschwerde zwangsläufig, dass den Betroffenen die besagte Prüfung abgeschnitten würde.

18

Für die Darlegung einer Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO fehlt es schon an der Darlegung eines Rechtssatzes des Berufungsgerichts, mit dem es dem o.g. Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widersprochen hat. Die Rüge einer lediglich fehlerhaften Anwendung eines Rechtssatzes des Bundesverwaltungsgerichts - wie hier - genügt hierfür nicht. Davon abgesehen wird aber auch eine fehlerhafte Anwendung im konkreten Fall nicht aufgezeigt. Denn die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich auf die Notwendigkeit, die Folgen einer erfolgten Verbüßung einer Strafhaft und einer erfolgten Strafaussetzung zur Bewährung zu würdigen. Die von der Beschwerde beanstandeten Ausführungen des Berufungsgerichts beziehen sich aber auf die Gefahrenprognose während der Zeit der Haftverbüßung sowie auf Vollzugslockerungen.

19

7. Die Beschwerde sieht des Weiteren Bedarf für eine grundsätzliche Klärung zur "Frage einer bereits während der Haft bestehenden Gefährdungslage" (Beschwerdebegründung S. 10 oben). Sie ist der Auffassung, die Rechtfertigung des staatlichen Strafanspruchs und insbesondere der Resozialisierungsanspruch des Betroffenen müssten bei der Prognoseentscheidung berücksichtigt werden. Könnte man den Straftäter wegen einer bestehenden Gefährdungslage zu Beginn seiner Haft ausweisen und ihm sein Freizügigkeitsrecht absprechen, drohe die Gefahr, dass zukünftige positive Wirkungen des Strafvollzuges unberücksichtigt blieben. Die spezialpräventive Rechtfertigung des staatlichen Strafanspruchs würde ad absurdum geführt. Die Frage einer bereits während der Haft bestehenden Gefährdungslage sei bislang durch die Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts - noch nicht geklärt.

20

Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Denn sie formuliert keine präzise rechtliche Fragestellung, sondern weist lediglich auf bestimmte Probleme hin, die sich bei der Beurteilung der von einem Straftäter ausgehenden Gefährdung im Zeitpunkt der Verbüßung seiner Haft ergeben. Im Übrigen ist aber in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass es für die Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt auf eine gegenwärtige und nicht auf eine zukünftige Gefährdung der öffentlichen Ordnung ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). Das entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Rn. 77 bis 79). Die Voraussetzung einer gegenwärtigen Gefährdung muss danach grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolgt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 79), hier also im Zeitpunkt der Haftverbüßung, auch wenn dann die Entwicklung des Klägers während der Gesamtdauer der Haft lediglich zu prognostizieren ist, weil sie noch ebenso wenig feststeht wie sein Verhalten im Rahmen etwaiger zukünftiger Vollzugslockerungen oder einer eventuellen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung.

21

8. Kein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht für die von der Beschwerde aufgeworfene, hiermit im Zusammenhang stehende Frage, zu welchem Zeitpunkt die Ausländerbehörde überhaupt die Entscheidung über die Verlustfeststellung ermessensfehlerfrei treffen kann (Beschwerdebegründung S. 10 lit. a). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es für die Rechtmäßigkeit einer ausländerbehördlichen Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers darauf an, ob der Betroffene eine gegenwärtige und schwer wiegende Gefahr für wichtige Rechtsgüter darstellt (Gefährdung der öffentlichen Ordnung) und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse am Verbleib des Unionsbürgers in Deutschland deutlich überwiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <306>). Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung ausspricht, ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen "jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt" (vgl. Urteile vom 16. Januar 2014 - C-400/12 [ECLI:EU:C:2014:9], M.G. - Rn. 35 und vom 23. November 2010 - C-145/09 [ECLI:EU:C:2010:708], Tsakouridis - Rn. 32). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich zudem, dass der Gerichtshof keine Einwände gegen eine Verlustfeststellung nach Verbüßung von weniger als zwei Jahren einer auf insgesamt sechs Jahre und sechs Monate festgesetzten Haftstrafe erhoben hat (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - C-145/09 - Rn. 12 f.; ähnlich im Urteil vom 22. Mai 2012 - C-348/09 [ECLI:EU:C:2012:300], P.I. - Rn. 10 f.). Einer positiven Entwicklung des Unionsbürgers nach Erlass der Verlustfeststellung - etwa durch eine erfolgreiche Therapie während der Strafhaft - kann durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - DVBl 2015, 780 Rn. 22 ff.).

22

9. Die Beschwerde sieht Verstöße gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs darin, dass das Berufungsgericht bei der Überprüfung der lange Zeit vor Haftende getroffenen Ermessensentscheidung "die zu erwartenden positiven Auswirkungen des weiteren Strafvollzuges" nicht einbezogen habe (Beschwerdebegründung S. 11 lit. b) und im Fall der Vollstreckung der Verlustfeststellung später als zwei Jahre nach ihrem Erlass dann nach Art. 33 Abs. 2 Unionsbürger-Richtlinie erneut eine Überprüfung erfolgen müsse - allerdings ohne vorheriges rechtliches Gehör des Klägers (Beschwerdebegründung S. 11 f. lit. a).

23

Aus beiden Rügen ergibt sich keine Verletzung des klägerischen Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Denn bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist (vgl. oben Ziffer 8) - verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.). Nach dem für die Beurteilung eines Gehörsverstoßes maßgeblichen materiellrechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts, der eine Berücksichtigung etwaiger positiver Entwicklungen bei einer Entscheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gerade nicht abschneidet, kam es aber auf die von der Beschwerde genannten Umstände für das Berufungsurteil nicht an.

24

10. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

25

11. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste 2007 ohne Visum erstmals nach Deutschland ein. Mit seiner 1987 geborenen ghanaischen Lebensgefährtin hat er zwei 2008 bzw. 2010 geborene Töchter, die ebenfalls ghanaische Staatsangehörige sind. Für beide Kinder übt er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die elterliche Sorge aus. Seine Lebensgefährtin hat eine weitere Tochter (R.), die sowohl die ghanaische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, und für die sie allein personensorgeberechtigt ist; diese Tochter lebt ebenfalls im Haushalt des Klägers und seiner Lebensgefährtin. Die Lebensgefährtin ist in einer Teilzeitbeschäftigung erwerbstätig. Sie hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, die gemeinsamen Töchter haben Aufenthaltstitel nach § 33 AufenthG.

2

Im Mai und Juli 2008 sowie im Juli 2010 beantragte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Töchtern. Auf eine von ihm erstattete Selbstanzeige wegen mehrfacher Einreise ohne Visum erging ein Strafbefehl, durch den eine Geldstrafe festgesetzt wurde. Durch Bescheid vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1), forderte ihn zur Ausreise auf (Ziff. 2) und drohte ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Ghana an (Ziff. 3).

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG, abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung mit Urteil vom 18. April 2012 stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG zu erteilen. Dies sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Zwischen dem Kläger und seinen Töchtern bestehe eine von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Der Kläger übe die Personensorge tatsächlich aus und betreue die Kinder während der Abwesenheit ihrer Mutter allein. Diese Lebensgemeinschaft könne nur im Bundesgebiet fortgesetzt werden. Denn weitere, ebenso geschützte Gemeinschaften bestünden nicht nur zwischen den Töchtern des Klägers und ihrer Mutter, sondern auch zwischen dieser und ihrer Tochter R. Eine Aufenthaltsbeendigung des Klägers werde zwangsläufig die familiäre Gemeinschaft mit seinen Töchtern aufheben, sofern ihn jene nicht nach Ghana begleiteten. Dies werde jedoch die Aufhebung der Lebensgemeinschaft der gemeinsamen Töchter mit ihrer Mutter zur Folge haben, sollte diese mit ihrer Tochter R. im Bundesgebiet bleiben wollen. Sollte sie hingegen mit dem Kläger und den gemeinsamen Töchtern nach Ghana zurückkehren, müsse sie entweder die Lebensgemeinschaft mit R. aufgeben oder sie mitnehmen. Als deutsche Staatsangehörige besitze R. aber ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Selbst wenn die Annahme zutreffe, die Aufenthaltsbeendigung zu Lasten des Klägers verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, stünden jedenfalls Art. 20 AEUV und die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) einer Aufenthaltsbeendigung entgegen. Der Anspruch des Klägers scheitere auch nicht am Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen. Hinsichtlich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) liege aus den genannten Gründen ein Ausnahmefall vor, der die Anwendung dieser nur im Regelfall geltenden Erteilungsvoraussetzung ausschließe. Durch seine mehrfache Einreise ohne Visum habe der Kläger zwar einen Ausweisungsgrund erfüllt, doch müsse von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im vorliegenden Fall abgesehen werden. Schließlich sei dem Kläger auch nicht die nachträgliche Durchführung eines Visumverfahrens zuzumuten, weil dieses wegen der ablehnenden Haltung der Beklagten voraussichtlich sehr lange dauern werde (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG).

4

Ihre rechtzeitig eingelegte Revision begründet die Beklagte damit, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zustehe. Es fehle an einer außergewöhnlichen Härte. Die familiäre Lebenshilfe, die der Kläger seinen beiden minderjährigen Kindern schulde, müsse nicht im Bundesgebiet erbracht werden, weil die Lebensgemeinschaft mit der Lebensgefährtin des Klägers sowie ihrer Tochter R. auch in Ghana fortgeführt werden könne. Zwar stehe dieser Tochter aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik zu. Sie dürfe aber auf Grund ihrer zweiten Staatsangehörigkeit auch nach Ghana einreisen, wo der familiären Lebensgemeinschaft ein vergleichbarer verfassungsrechtlicher Schutz zustehe wie in der Bundesrepublik Deutschland. Soweit sich das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 20 AEUV stütze, verkenne es, dass der vorliegende Sachverhalt mit dem vom EuGH entschiedenen Fällen nicht vergleichbar sei.

5

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und hebt hervor, dass ein Härtefall im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG nicht vorliege; der Gesetzgeber habe sich ausdrücklich gegen ein allgemeines Nachzugsrecht entschieden.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich, verletzt durch die Wahl eines unzutreffenden Entscheidungsmaßstabs revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte maßgeblichen Umständen fehlt, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit muss daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Deshalb bedarf es einer Entscheidung über den auch in der Revisionsinstanz angefallenen Hilfsantrag des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG derzeit nicht.

7

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 jeweils Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 9 jeweils Rn. 12 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union vom 17. Juni 2013 (BGBl I S. 1555), zu Grunde zu legen. Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der entscheidungserheblichen Bestimmungen im vorliegenden Fall aber nicht geändert.

8

1. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG vorliegen, kann auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen nicht entschieden werden.

9

1.1 Das Aufenthaltsgesetz ist anwendbar. Es wird nicht durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) verdrängt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG), da dieses Gesetz auf den Kläger keine Anwendung findet. Nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie, unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU), ihrer Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch kein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, da er mit der ältesten Tochter seiner Lebensgefährtin nicht verwandt ist; außerdem wird ihm von ihr kein Unterhalt gewährt.

10

1.2 Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) müssen grundsätzlich ebenfalls vorliegen.

11

Das Aufenthaltsgesetz behandelt im sechsten Abschnitt des zweiten Kapitels den Aufenthalt von Ausländern in Deutschland aus familiären Gründen. Dabei regeln die §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern und unterscheiden zusätzlich danach, ob das in Deutschland lebende Familienmitglied die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht. Demgegenüber erstreckt § 36 Abs. 2 AufenthG die Möglichkeit einer Familienzusammenführung zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG (vgl. § 27 Abs. 1 AufenthG) auch auf sonstige Familienangehörige, die von den vorgenannten Normen nicht erfasst werden; die Vorschrift ist auf sonstige Familienangehörige von Deutschen entsprechend anzuwenden (vgl. § 28 Abs. 4 AufenthG). Allerdings ist der Nachzug sonstiger Familiengehöriger auf Fälle einer außergewöhnlichen Härte, das heißt auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre.

12

Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 5 Rn. 10; ebenso zur Vorgängervorschrift in § 22 AuslG: Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - InfAuslR 2013, 331 Rn. 23).

13

Die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in Deutschland als Voraussetzung für den Nachzug sonstiger Familienangehöriger stellt eine höhere Hürde dar als die in den §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG geregelten Voraussetzungen für den Nachzug von Kindern, Eltern oder Ehegatten, weil sie eine gesonderte Begründung dafür verlangt, dass die Herstellung der Familieneinheit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland unzumutbar wäre (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 10.12 - juris Rn. 37 - 39). Dies folgt im Übrigen auch aus dem Umstand, dass bei dem Ehegatten- und Kindernachzug (§ 30 Abs. 2 und § 31 Abs. 2 bzw. § 32 Abs. 4 AufenthG) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Norm nicht erfüllt sind, schon zur Vermeidung einer besonderen Härte, also bei drohender erheblicher Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), in Betracht kommt. Das Berufungsgericht hat den Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 2 AufenthG verfehlt, indem es eine außergewöhnliche Härte schon angenommen hat, wenn die Umstände des Einzelfalles eine im Vergleich zum Nachzug von Eltern, Kindern oder Ehegatten nur vergleichbare Dringlichkeit im Sinne einer besonderen Härte begründen.

14

1.3 Der Kläger ist im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sonstiger Familienangehöriger seiner leiblichen Töchter A. B. und T., denn er ist als nicht mit der Mutter der Kinder verheirateter Vater keinem der sonst in Betracht kommenden Tatbestände des Familiennachzugs zuzuordnen. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem zuvor benannten Entscheidungsmaßstab zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist, da notwendige Feststellungen zu den relevanten Umständen des Einzelfalles fehlen. Zwar sind die Kinder A. B. und T. auf Grund ihres Alters von zwei bzw. vier Jahren außerstande, ein eigenständiges Leben zu führen; sie bedürfen vielmehr als Kleinkinder ständiger Pflege und Betreuung und deshalb der Einbindung in die familiäre Lebensgemeinschaft. Ob allerdings diese familiäre Lebenshilfe für A. B. und T. in zumutbarer Weise nur in Deutschland geleistet werden kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sich eine Fortführung der Familiengemeinschaft außerhalb Deutschlands voraussichtlich auf das Kind R. auswirken würde. Dies ergibt sich aus Folgendem:

15

Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährt keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch, verpflichtet die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 <93>, vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 - BVerfGE 76, 1 <46 ff.>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - AuAS 2013, 160, vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 und vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Die Besonderheiten, die sich aus einer als "Patchwork-Familie" bezeichneten familiären Konstellation ergeben, müssen sorgfältig ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Auch die außerhalb der "Patchwork-Familie" stehenden leiblichen Elternteile der minderjährigen Familienangehörigen sind in die Betrachtung einzubeziehen.

16

Nach diesem Maßstab wäre es dem Kläger und seinen leiblichen Töchtern A. B. und T. sowie deren Mutter, der Lebensgefährtin des Klägers, bei isolierter Betrachtung ohne Berücksichtigung des Kindes R. zumutbar, die zwischen ihnen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft außerhalb Deutschlands weiterzuführen. Sie besitzen ausschließlich die ghanaische Staatsangehörigkeit; besondere Umstände, die eine Verwurzelung in Deutschland nahe legen würden (Art. 8 EMRK), sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Verfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Im Hinblick auf das Alter der Kinder von nur zwei bzw. vier Jahren bestand für das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung insofern auch kein Anlass zu weiterer Aufklärung. Ob dies im Zeitpunkt der erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Zurückverweisung noch in gleicher Weise zutrifft, kann offenbleiben.

17

In den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz der gelebten Familiengemeinschaft, der der Kläger angehört, ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts jedoch auch die älteste Tochter der Lebensgefährtin des Klägers, die im Jahre 2006 geborene R., einbezogen. Aus diesem Grunde müssen die Auswirkungen einer Ausreise des Klägers, seiner leiblichen Töchter und seiner Lebensgefährtin auf R. berücksichtigt werden. Zwar ist sie, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, als deutsche Staatsangehörige vor behördlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt. Aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit folgt für sich genommen allerdings nicht, dass ihr eine Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland ohne Hinzutreten besonderer Umstände stets unzumutbar wäre. Dasselbe gilt auch für den durch Art. 8 EMRK vermittelten Schutz (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 - juris Rn. 22 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR). Ob ein Fall der Unzumutbarkeit vorliegt, hängt vielmehr davon ab, welche Folgen eine - ggf. bis zur Volljährigkeit andauernde, aber jedenfalls vorübergehende - Fortführung der Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter, ihren Halbschwestern und dem Kläger im Ausland für sie hätte, ob und ggf. welche Alternativen denkbar wären (stRspr, BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 2008 a.a.O. und vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 - BVerfGK 14, 458 Rn. 27) und wie sich ein derartiger Aufenthalt im Ausland ggf. auf ihre - rechtlich gesicherte - Möglichkeit einer späteren Rückkehr und Reintegration in Deutschland auswirken würde (Urteil vom 13. Juni 2013 a.a.O. Rn. 27).

18

Sollte sich aus derartigen Umständen - die bisher nicht hinreichend aufgeklärt sind - ergeben, dass R. die Fortführung der familiären Gemeinschaft außerhalb Deutschlands nicht zuzumuten ist, spräche Überwiegendes dafür, dass der Kläger zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte einen Aufenthaltstitel beanspruchen könnte. Denn auch wenn der Kläger mit R. nicht verwandt ist und auch sonst in keiner rechtlichen Beziehung zu ihr steht, so steht die Beziehung R.s zu ihrer leiblichen Mutter - der Lebensgefährtin des Klägers, die zudem das alleinige Sorgerecht für sie ausübt - ebenso unter dem rechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG wie die Beziehung der Lebensgefährtin des Klägers zu den gemeinsamen Kindern A. B. und T. Eine behördlich verfügte Aufenthaltsbeendigung des Klägers würde je nachdem, welche Entscheidung der Kläger und seine Lebensgefährtin über den Verbleib der übrigen Mitglieder der "Patchwork-Familie" treffen, dazu führen, dass entweder R. die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit der Familiengemeinschaft verlassen würde oder dass verfassungsrechtlich geschützte familiäre Bindungen zwischen den Mitgliedern der "Patchwork-Familie" beeinträchtigt oder zerstört würden. Die sich hieraus ergebenden konkreten Folgen für das Kind R. sind im Verfahren bisher weder unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch unter demjenigen des Art. 8 EMRK hinreichend ermittelt worden, so dass die Frage, ob die Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu Lasten des Klägers eine Handlungsmöglichkeit offenlässt, in der R. die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland zumutbar wäre, nicht beantwortet werden kann.

19

1.4 Das Berufungsgericht wird daher aufzuklären haben, ob es besondere Umstände gibt, die einen Verbleib des Kindes R. in Deutschland als einzige dem Kind zumutbare Alternative erscheinen lassen. Derartige Umstände können sich etwa aus dem Verhältnis R.s zu ihrem leiblichen Vater ergeben, insbesondere dann, wenn zwischen ihnen bereits bestehende oder gewünschte Kontakte durch die Fortführung der Familiengemeinschaft im Ausland unmöglich gemacht würden. Auch wenn bisher derartige Umstände im Verfahren nicht deutlich zu Tage getreten sind, drängt sich eine weitere Aufklärung im Hinblick auf das Recht eines Kindes auf Umgang mit beiden Eltern auf. Aufzuklären ist auch, ob die Lebensumstände in Deutschland dazu führen können, dass R. eine Beendigung ihres Aufenthalts nicht verarbeiten könnte, ohne Schaden zu nehmen. Ob dies der Fall sein kann, dürfte auch davon abhängen, wie sich ihre Lebensumstände bei einer Verlagerung der Familieneinheit nach Ghana voraussichtlich darstellen würden. Weiter wird eine Prognose darüber zu treffen sein, ob durch einen Umzug der Familie nach Ghana die ihr auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit zustehende Rückkehrmöglichkeit beeinträchtigt oder gar entwertet würde, etwa durch eine Erschwerung der Reintegration aus sprachlichen Gründen oder als Folge einer Sozialisation in Ghana. Schließlich muss geprüft werden, ob es Alternativen zu einer Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft aller Mitglieder der "Patchwork-Familie" im Ausland gibt. In diesem Zusammenhang dürfte es darauf ankommen, wie das Verhältnis des Kindes R. zum Kläger, zu ihrem leiblichen Vater, ihren Halbgeschwistern und ihrer Mutter zu bewerten ist. Maßgeblicher Bezugspunkt für diese Prüfung wird der Zeitpunkt der erneuten Entscheidung des Berufungsgerichts sein.

20

1.5 Ohne weitere Sachaufklärung lässt sich auch die Frage nicht beantworten, ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben sind oder nicht.

21

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt des Klägers ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG); zudem liegt der Ausweisungsgrund der mehrfachen illegalen Einreise (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) vor; schließlich ist der Kläger ohne Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).

22

1.5.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist; dies gilt allerdings nicht in atypischen Ausnahmefällen. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist, wenn sich ergeben sollte, dass die Verweigerung eines Aufenthaltstitels eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG darstellt, weil die Fortführung der Familieneinheit im Ausland unzumutbar wäre und deshalb eine Verletzung von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK anzunehmen wäre. Ob dies der Fall ist, kann jedoch - wie ausgeführt - erst nach Aufklärung der vorgenannten maßgeblichen Umstände beantwortet werden.

23

1.5.2 Ebenfalls ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass im vorliegenden Fall das Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf in der Regel kein Ausweisungsgrund vorliegen. Zwar verstößt die mehrfache Einreise des Klägers ohne Aufenthaltstitel gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und stellt zugleich eine Straftat (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) und damit einen Ausweisungsgrund (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) dar. Im vorliegenden Fall spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege von dieser Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden muss. Denn die eingetretene Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist im Hinblick auf den Zweck seiner Einreise, seine nachfolgende Selbstanzeige und die inzwischen erteilte Duldung von geringem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 a.E.). Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es hierzu nicht.

24

1.5.3 Ob schließlich der Umstand, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht, kann erst nach weiterer Sachaufklärung entschieden werden. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Von diesem Erfordernis kann etwa dann abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

25

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines solchen Falles ohne hinreichend breite Tatsachengrundlage damit begründet, dass von einer langen Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens auszugehen sei, weil der Kläger voraussichtlich den Rechtsweg gegen eine zunächst ablehnende Entscheidung werde beschreiten müssen. Mit dieser Begründung geht das Berufungsgericht zu Unrecht von der Annahme aus, die zuständige Behörde werde trotz einer gerichtlichen Entscheidung, in der ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich bejaht wird, durch Verweigerung des Visums rechtswidrig handeln; zudem hat es versäumt, die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in seine Prognose einzubeziehen (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - InfAuslR 2013, 331 Rn. 22).

26

Für die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG anzustellende Prognose muss vielmehr konkret ermittelt werden, wie lange der familiären Gemeinschaft des Klägers, seiner Lebensgefährtin und der drei Kinder eine Abwesenheit des Klägers zugemutet werden kann. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und ggf. unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen eine vorübergehende Ausreise des Klägers für die Familie hätte, insbesondere, ob die noch sehr kleinen Kinder auch durch eine verfahrensbedingte Abwesenheit des Klägers von nur wenigen Monaten emotional unzumutbar belastet würden. Die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen sind bisher nicht getroffen worden.

27

2. Sollte das Berufungsgericht auf der Grundlage der noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen eine negative Entscheidung über einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG treffen, wird diese Entscheidung am Recht der Europäischen Union zu messen sein.

28

2.1 Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Unionsbürgerrichtlinie) ist auf den Kläger nicht anwendbar. Sie regelt die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten wahrnehmen können, das Recht dieser Personen auf Daueraufenthalt sowie die Beschränkung dieser Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit und gilt für jeden Unionsbürger, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, sowie seine Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch nicht Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie, da er mit dem Kind deutscher Staatsangehörigkeit R. nicht verwandt ist; zudem hat diese von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht und gewährt dem Kläger keinen Unterhalt.

29

Auch die Richtlinie 2003/86/EG des Rates (Familienzusammenführungsrichtlinie) findet keine Anwendung. Zwar sind die Lebensgefährtin des Klägers und seine leiblichen Kinder Drittstaatsangehörige, so dass sie grundsätzlich als Zusammenführende in Betracht kämen. Doch der Kläger zählt nicht zum Kreis der Nachzugsberechtigten, weil er nicht der Ehegatte seiner Lebensgefährtin ist (vgl. Art. 4 Abs. 1a der Richtlinie); die Optionen für den Nachzug nichtehelicher Partner und von Verwandten in gerader aufsteigender Linie, denen von den zusammenführenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt wird (vgl. Art. 4 Abs. 2a und Abs. 3 der Richtlinie) sind im deutschen Aufenthaltsrecht nicht genutzt worden.

30

2.2 Als unionsrechtlicher Maßstab kommen im vorliegenden Falle vielmehr allein Art. 20 und 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Betracht.

31

Art. 20 Abs. 1 AEUV verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, den Status eines Unionsbürgers. Dieser umfasst nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2a, Art. 21 AEUV das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht dieser grundlegende Status der Unionsbürger nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Dies gilt auch für minderjährige Unionsbürger. Solange sie sich in einer Situation befinden, die durch eine rechtliche, wirtschaftliche oder affektive Abhängigkeit von Drittstaatsangehörigen bestimmt ist, darf auch durch - insbesondere aufenthaltsrechtliche - Maßnahmen gegen diese nicht bewirkt werden, dass sich der minderjährige Unionsbürger rechtlich oder faktisch gezwungen sieht, das Unionsgebiet zu verlassen. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob sich die Maßnahme nur gegen einen Elternteil oder gegen beide Eltern des Unionsbürgers oder gegen andere Bezugspersonen richtet. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht bereits ausgeübt hat oder nicht. Allerdings reicht der bloße Wunsch, die Familiengemeinschaft mit allen Familienangehörigen im Unionsgebiet aufrecht zu erhalten, nicht aus. Verhindert werden soll nämlich eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv vollkommen abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen bzw. sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen. Lebt er hingegen mit einem sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen zusammen, der über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit hat, so spricht dies dagegen, dass eine aufenthaltsrechtliche Maßnahme gegen einen anderen Drittstaatsangehörigen einen unionsrechtswidrigen Zwang zur Ausreise auslösen könnte (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Zhu und Chen - Slg. 2004, I-9925 Rn. 25 ff.; vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - Slg. 2011, I-1177 Rn. 41 ff.; vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - Slg. 2011, I-3375 Rn. 44 ff.; vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci - NVwZ 2012, 97 Rn. 59 - 69; vom 8. November 2012 - Rs. C-40/11, Iida - NVwZ 2013, 357 Rn. 66 ff.; vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11, O. und S. - NVwZ 2013, 419 Rn. 52 ff. mit dem Hinweis auf Rn. 44 der Anträge des Generalanwalts in dieser Sache und vom 8. Mai 2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga - InfAuslR 2013, 259 Rn. 34 ff.).

32

Nach diesen Grundsätzen muss sich jede nationale Maßnahme eines Mitgliedstaats gegen drittstaatsangehörige Bezugspersonen minderjähriger Unionsbürger an dem Verbot messen lassen, einen rechtlichen oder faktischen Zwang zum Verlassen des Unionsgebiets auszulösen und die Unionsbürgerschaft dadurch ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Die Berufung auf Art. 20 und 21 AEUV ist allerdings auf seltene Ausnahmefälle beschränkt (EuGH, Urteil vom 8. November 2012 a.a.O. Rn. 71). Zu prüfen sind jeweils alle Umstände des konkreten Falles (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 53). Ob eine nationale Maßnahme den Kernbestand der Unionsbürgerschaft in diesem Sinne beeinträchtigt, hat das mitgliedstaatliche Gericht zu entscheiden.

33

Lebt der schutzbedürftige minderjährige Unionsbürger in einer "Patchwork-Familie", so sind die sich aus den Besonderheiten dieser familiären Lebensgemeinschaft ergebenden Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob zwischen dem Drittstaatsangehörigen, für den das Aufenthaltsrecht beantragt wird, und dem minderjährigen Unionsbürger eine biologische Beziehung besteht; maßgeblich ist vielmehr, ob der Unionsbürger von dem Drittstaatsangehörigen in finanzieller, rechtlicher oder affektiver Hinsicht im vorerwähnten Sinne abhängig ist. Auch ist es von erheblicher Bedeutung, ob ein faktischer Zwang zur Ausreise den minderjährigen Unionsbürger an der Fortführung eines bestehenden Kontakts zu einem leiblichen Vater oder einer leiblichen Mutter hindert, der bzw. die außerhalb der "Patchwork-Familie" lebt. Schließlich ist zu berücksichtigten, wer das Sorgerecht für den minderjährigen Unionsbürger innehat und ausübt (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 51, 55).

34

2.3 Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall anwendbar. Ob allerdings die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegenüber dem Kläger unionsrechtlichen Anforderungen genügen würde, kann ohne eine im Falle einer derartigen Entscheidung zu § 36 Abs. 2 AufenthG erforderlich werdenden weiteren Sachaufklärung nicht entschieden werden.

35

Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass unabhängig von der Annahme eines außergewöhnlichen Härtefalls im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Anspruch des Klägers auf einen Aufenthaltstitel jedenfalls aus Art. 20 AEUV folge, weil die Verweigerung eines Aufenthaltstitels dazu führen werde, dass sowohl seine Lebensgefährtin als auch ihre älteste Tochter R. Deutschland verlassen würden. Diese Annahme beruht auf einem Entscheidungsmaßstab, der der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH nicht entspricht. Denn das Berufungsgericht lässt außer Acht, dass R.s Mutter - die Lebensgefährtin des Klägers - über ein Aufenthaltsrecht verfügt, das wegen seiner Bindung an die Minderjährigkeit R.s einem Daueraufenthaltsrecht gleichkommt und dass bereits dieser Umstand der Annahme eines unionsrechtswidrigen faktischen Zwangs zum Verlassen des Unionsgebiets entgegensteht. Gegen einen solchen Zwang spricht auch, dass die Lebensgefährtin des Klägers das alleinige Sorgerecht für R. innehat, so dass diese jedenfalls nicht in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger steht. Schließlich hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Lebensgefährtin des Klägers - nicht aber dieser selbst - durch Erwerbstätigkeit zum Unterhalt der Familiengemeinschaft beiträgt, so dass auch nichts für eine wirtschaftliche Abhängigkeit R.s vom Kläger spricht; Unterhaltspflichten hat er ihr gegenüber nicht.

36

Ob die übrigen nach der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH maßgeblichen Kriterien gegeben sind oder nicht, lässt sich ohne zusätzliche Sachverhaltsaufklärung allerdings nicht feststellen. Insbesondere liegen keine aussagekräftigen Feststellungen dazu vor, ob zwischen R. und dem Kläger ein affektives Abhängigkeitsverhältnis besteht, dessen Intensität trotz der festgestellten Umstände - insbesondere der wirtschaftlichen, rechtlichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch affektiven Bindung R.s an ihre Mutter - für das Vorliegen eines unionsrechtswidrigen Zwangs zum Verlassen des Unionsgebiets sprechen könnte. Hinreichende Feststellungen fehlen auch zu der weiteren Frage, ob eine emotionale Beziehung zwischen R. und ihrem leiblichen Vater festgestellt werden kann, die eine möglicherweise bestehende affektive Abhängigkeit R.s vom Kläger relativieren würde. Erst wenn diese Aspekte hinreichend geklärt sind, kann ggf. entschieden werden, ob die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts gegenüber dem Kläger mit Art. 20 AEUV und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH im Einklang stünde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - ist unwirksam, soweit damit Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10. Juni 2010 aufgehoben worden ist.

Im Übrigen wird auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - geändert. Die Klage gegen Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10. Juni 2010 wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung sowie gegen eine ihm auferlegte räumliche Aufenthaltsbeschränkung und eine Meldeauflage.
Der am ... in .../Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 19.12.1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung trug er unter anderem vor, er und seine Ehefrau hätten in der Türkei die PKK unterstützt. So hätten sie z.B. Uniformen gewaschen und den Guerillas ab und zu Lebensmittel gegeben. Sie seien deshalb verfolgt worden. Auf die vom Kläger gegen den seinen Asylantrag ablehnenden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – (im Folgenden: Bundesamt) vom 21.03.1996 erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 01.07.1998 die Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. In der Folge erhielt der Kläger befristete Aufenthaltsbefugnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse, erstmals zum 01.09.1998. Zuletzt wurde ihm am 13.09.2006 eine bis zum 12.09.2007 geltende Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.
Der Kläger ist mit der am ... geborenen M... A..., geb. G..., verheiratet. Sie haben sieben gemeinsame Kinder: B... (* ...1988), Ex ... (* ...1990), C... (* ...1992), K... (* ...1993), E... (* ...1996), M... (* ...1998) und A... A... (* ...2005). Mit Bescheid des Bundesamts vom 09.07.1996 wurden die Ehefrau des Klägers und die fünf älteren Kinder, mit denen diese am 28.05.1996 nach Deutschland eingereist war, als Asylberechtigte anerkannt. Bezüglich M..., C..., K... ... und E... wurden die Asylanerkennungen mit Bescheid des Bundesamts vom 02.03.2007 widerrufen. Die Ehefrau und die fünf älteren Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, M... ist Inhaber einer bis zum 07.01.2014 befristeten Aufenthaltserlaubnis. Der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsangehöriger.
Bis auf einen Zeitraum vom 24.04.2006 bis zum 01.03.2007, in welchem der Kläger in L... gewohnt hatte, war er durchgehend mit Hauptwohnsitz in H... gemeldet. Er und seine Familie bezogen zunächst (ergänzende) Sozialleistungen. In den ersten Jahren war er gelegentlich geringfügig beschäftigt, danach bei wechselnden Arbeitgebern, überwiegend in H... Er war wie folgt tätig: vom 01.07.2002 bis zum 30.11.2002 bei einer Gebäudereinigung, vom 13.03.2004 bis zum 31.03.2005 bei C.M.A. Télécafé, vom 01.04.2005 bis zum 31.01.2006 bei M.S.A. Télécafé, dann - nach Bezug von Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 - vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 bei einer Vertriebs GmbH in W..., vom 17.07.2006 bis zum 31.07.2006 bei B... K., Abbruch und Demontage, vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bei M... K., Abbruch und Demontage, beide in L... und vom 01.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei Ü.S. Paletten-Depot in H... Seit dem 01.07.2009 ist der Kläger bei einer Gebäudereinigung tätig.
Am 25.01.1997 wurde der Kläger in einer Sitzung der Mitglieder des Vereins „Kurd... V... e.V.“, H..., - als Zuständiger für die Bücherei - in den Vorstand gewählt. Die Mitglieder des Vereins „Gebetshaus E... ... ...“, H..., wählten ihn am 12.12.1998 als zweiten Vertreter für den Bereich Sport und am 19.05.2002 als zweiten Vorsitzenden in den Vorstand. Mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 - KLs 71 Js 1603/96 - wurde der Kläger wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Geldstrafe von 35 Tagesätzen zu je 15,-- DM verurteilt. Am 16.02.1999 wurde er aus Anlass der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart (nach der Festnahme von Öcalan) gemeinsam mit 176 anderen Kurden einen Tag lang in „Vorbeugewahrsam“ nach § 28 PolG genommen. In einem gegen ihn wegen der Selbsterklärung „Auch ich bin ein PKK´ler“ eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 30.05.2003 von der Verfolgung abgesehen (§ 153 Abs. 1 Satz 2 StPO).
Mit Bescheid vom 16.04.2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 27.08.1998 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die dagegen vom Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage - A 17 K 480/07 - wurde von ihm am 25.09.2007 zurückgenommen.
Bereits am 17.07.2007 hatte der Kläger (zum wiederholten Mal) die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt. Unter anderem im Hinblick auf ein Schreiben des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz vom 13.11.2006, mit welchem die damals zuständige Ausländerbehörde der Stadt L... über die Wahl des Klägers in den Vorstand des Kurd... V... e.V. am 25.01.1997 und zum stellvertretenden Vorstandsmitglied des Gebetshauses „E... ...“ am 12.12.1998 sowie über diverse exilpolitische Aktivitäten des Klägers informiert worden war, forderte die Ausländerbehörde der Stadt H... den Kläger auf, an einer sog. Sicherheitsbefragung gemäß §§ 54 Nr. 6 i.V.m. § 82 Abs. 4 AufenthG teilzunehmen. Bei der daraufhin am 08.08.2007 durchgeführten Befragung verneinte der Kläger die Frage, ob er bestimmte Gruppen oder Organisationen, darunter die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) alias KADEK alias KONGRA-GEL, unterstütze oder für diese tätig geworden sei. Die Zusatzfrage, welcher Art diese Unterstützungshandlungen oder Tätigkeiten (z.B. Spenden) gewesen seien, beantwortete er sinngemäß wie folgt: Er sei nur Kurde; die PKK und die KONGRA-GEL interessierten ihn nicht. Er sei auch nicht Mitglied in einem kurdischen Verein.
Mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg an das Innenministerium Baden-Württemberg vom 26.02.2008 und an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 18.11.2008 wurde mitgeteilt, dass der Kläger dem Landesamt im Zusammenhang mit der im November 1993 verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – welche 2002 in „Freiheit- und Demokratiekongress Kurdistans“ (KADEK) und 2003 in „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA-GEL) umbenannt worden sei – bekannt geworden sei. Neben den Vorstandstätigkeiten in den PKK-nahen Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ... - ...“ in H... lägen folgende Erkenntnisse vor: Der Kläger habe an einer Vielzahl von Versammlungen, Demonstrationen oder Feiern von KADEK bzw. KONRAG-GEL-Anhängern teilgenommen, so am 06.04.2003 in H... an einer Versammlung anlässlich des Geburtstags von Abdullah Öcalan, am 05.02.2005 an einer Solidaritätsdemonstration für den am 22.01.2005 in Nürnberg festgenommenen stellvertretenden Vorsitzenden dieser Organisation, R... K..., am 03.04.2005 an einer Versammlung anlässlich des Geburtstags von Öcalan, am 27.11.2005 in I... (bei H...) an einer Veranstaltung zum 27. Gründungsjahrestag der PKK, am 17.12.2005 an einer Versammlung in H..., am 28.01.2006 an einer Demonstration in Mannheim, am 11.02.2006 an einer Demonstration von KONGRA-GEL-Anhängern anlässlich des 7. Jahrestages der Festnahme Öcalans in Straßburg/Frankreich, am 16.02.2007 an einer Demonstration zu den Haftbedingungen Öcalans sowie zuvor stattgefundenen Exekutivmaßnahmen der deutschen und französischen Behörden gegen mutmaßliche KONGRA-GEL-Strukturen in H..., am 27.10.2007 an einer weiteren Demonstration in H..., am 24.11.2007 an einer Versammlung anlässlich einer Feier zum Parteigründungstag der PKK in H..., am 30.03.2008 an einer weiteren Versammlung von KONGRA-GEL-Anhängern und am 18.05.2008 an einer Märtyrer-Veranstaltung in H...
Nachdem das Regierungspräsidiums Stuttgart den Kläger mit Schreiben vom 20.08.2008 unter anderem auf die Möglichkeit einer Ausweisung hingewiesen hatte, erklärte der Kläger in einem Schreiben vom 26.08.2008, er wolle zunächst feststellen, dass er kein Terrorist und kein Verbrecher sei, sondern ein einfacher Arbeiter. Jede Veranstaltung und Demonstration, an der er teilgenommen habe, sei bei den Behörden angemeldet und genehmigt gewesen. Die Vereine, in deren Vorstand er gewählt worden sei, seien Kulturvereine von Kurden für Kurden. Sicher habe auch er, als er noch in der Türkei gelebt habe, die PKK unterstützt, aber eher mit humanitären als mit militärischen Mitteln. Seit die PKK als terroristische Vereinigung gelte, habe er diese Hilfe komplett eingestellt. Er unterstütze als Kurde die kurdische Sache. Er distanziere sich aber von jeder kriminellen Handlung, die im Namen des kurdischen Volkes begangen werde, somit auch von der PKK als terroristischer Vereinigung.
10 
Am 10.02.2009 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart (Untätigkeits-) Klage gegen die Stadt H... mit dem Antrag, diese zu verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen (8 K 487/09). Diese Klage wurde 25.05.2009 zurückgenommen; stattdessen erhob er Klage gegen das Land Baden-Württemberg (11 K 2004/09).
11 
Mit Schreiben vom 09.04.2009 und vom 01.02.2010 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz, es seien noch die folgenden gerichtsverwertbaren Erkenntnisse angefallen: Ausweislich eines Fotos und eines Zeitungsartikels in der der KONGRA-GEL nahestehenden türkischen Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“ vom ...2008 habe er am ...2008 an einer Märtyrer-Gedenkveranstaltung von KONGRA-GEL-Anhängern in H... und außerdem am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestags der Gründung des militärischen Arms der PKK an einem Grillfest von KONGRA-GEL-Anhängern bei Bad Wimpfen sowie am 25.10.2008 an einer Demonstration gegen die angebliche Misshandlung von Öcalan in H... teilgenommen. Am 23.11.2008 und am 27.11.2009 sei der Kläger in I... (bei H...) Teilnehmer von Versammlungen zur Feier des 30. bzw. 31. Gründungsjahrestages der PKK gewesen, am 20.03.2009 habe er an der „Newroz“-Veranstaltung in H... teilgenommen.
12 
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Er wurde außerdem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland spätestens innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziff. 2). Außerdem wurde sein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgelehnt (Ziff. 3). Der Kläger wurde verpflichtet, sich einmal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei dem Polizeirevier H... zu melden. Sein Aufenthalt sei bis zu seiner Ausreise bzw. Abschiebung auf das Stadtgebiet des Stadtkreises H... beschränkt (Ziff. 4). Die sofortige Vollziehung der Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids und der Meldeauflage sowie der Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids wurde angeordnet (Ziff. 5). In den Gründen des Bescheids wurde im Wesentlichen dargelegt: Die Voraussetzungen der Ausweisungstatbestände des § 55 AufenthG i.V.m. §§ 54 Nr. 5, Nr. 5a und Nr. 6 AufenthG seien gegeben. Der Kläger sei nicht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats/EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) privilegiert. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und/oder des Art. 7 ARB 1/80 lägen nicht vor. Der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG sei erfüllt. Die PKK sei als eine terroristische Vereinigung zu qualifizieren. Der Kläger habe diese tatbestandsmäßig im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Er sei bereits vor seiner Einreise ins Bundesgebiet 1995 fünf bis sechs Jahre in der Türkei für die PKK tätig gewesen. Bereits Anfang 1996 habe er an einer verbotenen und gewalttätigen PKK-Demonstration in Dortmund teilgenommen und sei deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem habe er im Jahr 1999 an der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart anlässlich der Gefangennahme des PKK-Führers Öcalan teilgenommen und zudem im Jahr 2001 die PKK-Selbsterklärung unterzeichnet. Hinzu kämen die ab 1997 bis zumindest 2002 ausgeübten Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen. In der Folge habe er kontinuierlich ab dem Jahr 2003 bis Ende des Jahres 2009 an zahlreichen politisch-extremistischen und auch gewaltbereiten Veranstaltungen der PKK alias KADEK alias KONGRA-GEL aktiv teilgenommen. Die vorliegenden Erkenntnisse und Tatsachen rechtfertigten in ihrer wertenden Gesamtbetrachtung die Schlussfolgerung, dass er der PKK „angehöre“. Zudem seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5a und 6 AufenthG erfüllt. Da der Kläger und seine Ehefrau mit ihrem minderjährigen deutschen Kind A... A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, genieße er allerdings besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Seine Ausweisung sei daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig. Solche lägen jedoch in den Fällen des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG, also auch hier, vor. Im vorliegenden Fall seien auch keine besonderen Umstände gegeben, die zur Annahme eines Ausnahmefalls führen könnten. Nach dem Grundsatz der Herabstufung sei daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden. Hierbei seien nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sämtliche für und gegen die Ausweisung sprechenden Gründe in die Entscheidung einzubeziehen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen und zu prüfen, ob die Ausweisung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei. Im Ergebnis überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung das private Interesse des Klägers an einem weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Es bestehe ein gewichtiges öffentliches Sicherheitsinteresse, die vom Kläger persönlich ausgehende nicht unerhebliche und extremistische Gefahr für höchste Rechtsgüter durch seine Ausweisung mit dem Entzug seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet abzuwehren. Zudem verfolge die Ausweisung general- und spezialpräventive Zwecke. Außerdem sei von einer gesteigerten Wiederholungsgefahr auszugehen. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und schutzwürdige persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hätten Berücksichtigung gefunden. Auch seien die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Klägers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG bedacht worden. Es handle sich um eine schutzwürdige Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Auch seien die Interessen der Kinder, insbesondere des jüngsten deutschen Kindes, an der Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft in Deutschland zu berücksichtigen. Bei der Gewichtung und Abwägung des jeweiligen Interesses habe jedoch der Schutz der Ehe und Familie hinter das höher einzuschätzende Sicherheitsinteresse des Staates und seiner Bevölkerung vor Unterstützungshandlungen für terroristische Vereinigungen zurückzutreten. Die Ausweisungsentscheidung stehe auch mit Art. 8 EMRK im Einklang. Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei abzulehnen, weil dieser bereits die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG entgegenstehe. Aufgrund der Ausweisungsverfügung, deren sofortige Vollziehung angeordnet worden sei, sei der Kläger nach §§ 50 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Gemäß § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliege er der gesetzlichen Verpflichtung, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Gemäß § 54a Abs. 2 AufenthG sei sein Aufenthalt kraft Gesetzes auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt.
13 
Mit am 01.07.2010 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangenem Schriftsatz vom 28.06.2010 machte der Kläger den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 im Wege der Klageänderung bzw. -erweiterung zum Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens 11 K 2004/09. In der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2010 wurde die Klage insoweit abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 11 K 2424/10 fortgesetzt, als sie auf Anfechtung von Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidium Stuttgart vom 10.06.2010 gerichtet ist. Im Übrigen (bezüglich der Niederlassungserlaubnis) ist nach entsprechenden Anträgen der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.
14 
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen: Obwohl der Kläger offensichtlich seit Jahren intensiv und engmaschig vom Verfassungsschutz beobachtet werde, könne das beklagte Land nicht einen konkreten Anhaltspunkt für eine objektive oder subjektive Unterstützungsleistung des Klägers benennen außer der schlichten Teilnahme an diversen, wohl gemerkt angemeldeten und erlaubten Versammlungen. Weder aus der Tatsache, dass er an diversen Kundgebungen teilnehme, noch daraus, dass er eine Zeitlang und bis 2002 in kurdischen Kulturvereinen in den Vorstand gewählt worden sei, habe er jemals einen Hehl gemacht. Er könne nicht für die Äußerungen irgendwelcher Redner auf irgendwelchen Veranstaltungen im Sinne einer Sippenhaft verantwortlich gemacht werden. Insgesamt bemühe sich das Land geradezu krampfhaft, eine über ein Jahrzehnt zurückliegende strafrechtliche Verurteilung und sogar ein von der Staatsanwaltschaft eingestelltes Ermittlungsverfahren, welches ebenfalls Jahre zurückliege, zur Begründung eines vermeintlichen Versagungsgrundes heranzuziehen. Tatsache sei, dass er weder Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei noch eine solche unterstützt habe. Insoweit werde auf seine Erklärung vom 26.08.2008 Bezug genommen. Obwohl es nicht darauf ankomme, werde bestritten, dass die PKK eine terroristische Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG sei. Die Aufnahme einer Vereinigung in die EU-Terrorliste entbinde weder Behörden noch Gerichte von der eigenständigen Prüfung. Eine Ausweisung könne zudem nur erfolgen, wenn vom Ausländer persönlich eine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Er habe lediglich sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Information wahrgenommen. Dass er sich einen eigenen Staat wünsche und auch das Recht habe, als Kurde seine Auffassung kundzutun, dürfte auf der Hand liegen. Die Entscheidung verstoße im Übrigen gegen Art. 6 GG.
15 
Das Regierungspräsidium Stuttgart trat der Klage entgegen. Zur Begründung verwies es auf den angefochtenen Bescheid. Entgegen dem Vortrag des Klägers habe dieser nachweisbar im dargelegten Umfang an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen. Seine Teilnahme an den Veranstaltungen der PKK alias KONGRA-GEL vom 06.04.2003 bis zum 27.11.2009 sei durch offene und gerichtsverwertbare Tatsachen des Landesamts für Verfassungsschutz belegt, die vor Gericht durch einen Zeugen vom Hörensagen nachgewiesen werden könnten. Die PKK/KADEK/KONGRA-GEL sei auch als terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG einzustufen. Dass das „Gebetshaus E... ... - ... e.V.“ in H..., in dessen Vorstand der Kläger in den Jahren 1998 und 2002 gewählt worden sei, der PKK nahestehe, folge aus einem beigefügten Bericht des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006. Die PKK-Nähe des Vereins Kurdx ... V... e.V.“ in H..., in dessen Vorstand der Kläger 1997 gewählt worden sei, ergebe sich aus Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz. Unerheblich sei, dass die Wahl des Klägers in den Vorstand der genannten Vereinigungen bereits 1997, 1998 und 2002 erfolgt sei, da die Annahme einer Unterstützung der PKK durch den Kläger auf einer wertenden Gesamtbetrachtung beruhe und maßgeblich auch auf die bereits zu Beginn seines Aufenthalts in der Bundesrepublik erfolgten Tätigkeiten im Funktionärsstatus abzustellen sei, denen sich in den folgenden Jahren weitere politische Aktivitäten für die PKK angeschlossen hätten, und die sich bis in die Gegenwart fortsetzten. Selbst wenn es nur um die „bloße Teilnahme“ an Veranstaltungen und Demonstrationen gehen würde, könnte auch diese unter bestimmten Voraussetzungen eine Vorfeldunterstützung des Internationalen Terrorismus darstellen. Die Versammlungen und Demonstrationen, an denen der Kläger teilgenommen habe, hätten entgegen seinem Vorbringen auch keinen „legalen und friedlichen“, sondern einen politisch-militanten Grundcharakter. Die Ausweisung verstoße auch nicht im Hinblick auf die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Ehefrau des Klägers und mit den minderjährigen Kindern gegen Art. 6 GG. An dem Übergewicht des öffentlichen Interesses vermöge ein mögliches Abschiebungshindernis aufgrund familiärer Belange nichts zu ändern. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei nicht ausgeschlossen, dass auch unter Berücksichtigung selbst eines strikten Abschiebungsverbotes - nach § 60 Abs. 1 AufenthG - und bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Duldung eine Ausweisung ermessensfehlerfrei ausgesprochen werden könne. Die Behörde habe dann das Abschiebungsverbot in die Ermessenserwägungen einzustellen. In Anwendung dieser Grundsätze werde ergänzend vorgetragen, dass zwar die Familienschutzvorschriften des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gewähren und einer Abschiebung entgegenstehen könnten. Selbst wenn von einem solchen Abschiebungshindernis ausgegangen werde, führe dies aber nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung, sondern sei gemäß seiner Bedeutung zu werten und in die Ermessenserwägungen einzustellen. Im Ergebnis könne von einem Überwiegen des staatlichen Sicherheitsinteresses ausgegangen werden, so dass die Ausweisung des Klägers trotz eines - möglichen - Abschiebungshindernisses nicht unverhältnismäßig sei.
16 
Auf einen am 01.07.2010 vom Kläger gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO stellte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - die aufschiebende Wirkung der Klage - 11 K 2424/10 - gegen die Ziffern 1, 2 und 3 im Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 wieder her. Bezüglich Ziffer 4 des Bescheids wurde der Antrag abgelehnt.
17 
Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 - 11 K 2424/10 - wurden die Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen dargelegt: Alle Vorgänge vor 2002 lägen derart weit in der Vergangenheit, dass sich aus ihnen eine gegenwärtige Gefährlichkeit nicht ablesen lasse. In der Zeit nach 2002 habe der Kläger lediglich an 13 Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen - was er auch nicht bestritten habe. Im angefochtenen Bescheid seien allerdings keinerlei Ausführungen dazu enthalten, was der Kläger bei den Veranstaltungen konkret gemacht haben solle. Allein seine Anwesenheit könne noch nicht als Unterstützungshandlung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG gewertet werden, von der auf eine gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers geschlossen werden dürfe. Der Kläger erfülle aber auch nicht den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG. Zwar dürfte die Beantwortung zahlreicher Fragen zur Nähe zur PKK durch den Kläger anlässlich des mit ihm durchgeführten Sicherheitsgesprächs am 08.08.2007 falsch gewesen sein. Es gebe keine gesetzlich angeordnete Rechtspflicht, an einer Sicherheitsbefragung aktiv teilzunehmen. Der Kläger hätte daher vor Beginn des Sicherheitsgesprächs auf diese Freiwilligkeit hingewiesen werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei das Ergebnis rechtlich nicht verwertbar. Damit erwiesen sich auch die Abschiebungsandrohung und die unter Ziffer 4 des Bescheids angeordneten Überwachungsmaßnahmen als rechtswidrig.
18 
Am 14.03.2011 hat das beklagte Land die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das am 21.02.2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt und diese mit am 19.04.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet. Ergänzend wird unter anderem dargelegt: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2005 für die Annahme einer Unterstützungshandlung nach § 54 Nr. 5 AufenthG genügen könne, wenn der Betreffende an einschlägigen Versammlungen und Kundgebungen teilnehme. In diesem Zusammenhang sei vorab richtig zu stellen, dass der Kläger ab dem Jahr 2002 nicht lediglich an 13, sondern an 18 bzw. 19 Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen habe. Die jeweiligen Veranstaltungen seien terrorgeneigt und politisch-militant orientiert gewesen, woraus sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts das objektiv Vorteilhafte der Teilnahme des Klägers an den Veranstaltungen ohne weiteres ergebe. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Aufteilung der Gesamtaktivitäten des Klägers in solche vor und solche nach dem Jahr 2002 unter Außerachtlassung der älteren Aktivitäten sei rechtlich nicht haltbar. Im Übrigen habe der Kläger nach den aktuellen sicherheitsrelevanten Stellungnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.12.2010 und vom 18.04.2011 noch am 28.02.2010 an einer „Volksversammlung“ mit qualitativ hochstehendem Gefährdungspotential teilgenommen. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a und Nr. 6 AufenthG seien ebenfalls gegeben. Die Ausweisungsentscheidung sei auch ermessensfehlerfrei erfolgt. Die familiären Bindungen des Klägers seien im Rahmen der Ermessensausübung vollständig berücksichtigt worden. Im Falle des Klägers sei davon auszugehen, dass aus familiären Gründen ein Abschiebungsverbot bestehe, weshalb es bei ihm nicht um eine Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik gehe. Eine Ausweisung sei gleichwohl möglich.
19 
Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 aufgehoben hat, haben die Beteiligten den Rechtstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
20 
Das beklagte Land beantragt,
21 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 - 11 K 2424/10 - zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 richtet.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Zur Begründung wird auf das bisherige Vorbringen Bezug genommen und ergänzend unter anderem vorgetragen: Er habe eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 inne. In der Zeit vom 01.04.2007 bis einschließlich Mai 2009 sei er durchgehend bei demselben Arbeitgeber in L... tätig gewesen. M... K. habe den Betrieb von B... K. übernommen. Nach einmonatiger Arbeitslosigkeit habe er dann zum 01.07.2009 seine Tätigkeit bei einer Gebäudereinigungsfirma angetreten, bei der er heute noch beschäftigt sei. Er lebe weiter mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zusammen, auch mit den volljährigen. Die minderjährigen Kinder befänden sich noch in der allgemeinen Schulausbildung. Die Tochter K... nehme seit dem 22.11.2011 an einem Berufsvorbereitungslehrgang teil. C... habe eine Ausbildungsstelle zur Kauffrau im Einzelhandel und arbeite seit einigen Jahren in Nebentätigkeit bei einem Schnellimbiss.
25 
In weiteren Stellungnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz an das Regierungspräsidium vom 17.12.2010, vom 18.04.2011 und vom 12.09.2011 wird mitgeteilt: Wie bereits am 17.12.2005 und am 30.03.2008 habe der Kläger auch am 28.02.2010 an einer „Volksversammlung“ in den Räumlichkeiten des PKK-nahen Vereins „Kurd... G...“ H... – dem Nachfolgeverein des „Kurd... V...“ – teilgenommen. Volksversammlungen gehörten zum organisatorischen Rahmen der PKK. Dabei bestehe der Teilnehmerkreis zu annähernd 100 % aus PKK-Anhängern. Sie dienten in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Am 20.11.2010 habe sich der Kläger außerdem an einer „Kurdistan Solidaritätsdemonstration“ in H... beteiligt, bei der Transparente/Plakate mit den Aufschriften „Freiheit für Öcalan - Frieden für Kurdistan“ u.ä. skandiert worden seien.
26 
In der mündlichen Verhandlung sind der Kläger und – informatorisch – Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg angehört worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 02.12.2011 übergeben, in welchem erklärt wird, dass der Kläger bis auf Weiteres eine Duldung aus familiären Gründen erhalte.
27 
Dem Senat liegen die ausländerrechtlichen Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (5 Hefte) und der Stadt H... (2 Hefte), die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart über Asylverfahren des Klägers (A 3 K 12680/98 und A 17 K 480/07), bezüglich Klagen wegen Niederlassungserlaubnis gegen die Stadt H... (8 K 487/09), wegen Niederlassungserlaubnis u.a. gegen das beklagte Land (11 K 2004/09, mit Beiakte) und wegen Ausweisung u.a. gegen das beklagte Land (11 K 2424/10, 2 Bände) sowie über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (11 K 2430/10) vor. Der Inhalt dieser Akten ist ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren (11 S 897/11) Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
28 
Soweit die Beteiligten - nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 in der mündlichen Verhandlung - den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entspr.).
29 
Im Übrigen ist die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 (dazu unter A) und die Meldeauflage sowie die Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (B) abweisen müssen. Denn diese Verfügungen sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
30 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (I.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG liegen vor (II.), die Ausweisungsentscheidung lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (III.).
I.
31 
Das Regierungspräsidium hat diese rechtsfehlerfrei auf § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob als Rechtsgrundlage daneben § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5a oder Nr. 6 AufenthG herangezogen werden könnten.
32 
Diese Regelungen sind hier uneingeschränkt anwendbar.
33 
1. Aus der Tatsache, dass der Kläger Vater eines minderjährigen deutschen Kindes – dem am ...2005 geborenen A... A... – ist, folgt nicht, dass er wie ein Unionsbürger oder nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre.
34 
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C-34/09 - InfAuslR 2011, 179) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann. Ausschlaggebend war ausweislich der Gründe der Umstand, dass die Kinder, welche Unionsbürger waren, bei einer „Verweigerung von Aufenthalt und Arbeitserlaubnis“ ihrer drittstaatsangehörigen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet zu verlassen. Art. 20 AEUV sei daher dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, den Aufenthalt im Wohnsitzstaat und eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleihe, verwehren würden. Folge eines entsprechenden Aufenthaltsrechts wäre eine allenfalls eingeschränkte Anwendbarkeit der Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; allgemein zum Urteil des EuGH vom 08.03.2011: OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2011 - 18 B 377/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 6 D 1633/11 - juris). Wie auch inzwischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy (C-434/09 - InfAuslR 2011, 268) und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci (C-256/11 - juris) deutlich machen, ist ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen aus der Unionsbürgerschaft seines Kindes – oder auch seines Ehepartners – aber nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (weitergehend noch Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - a.a.O., und Beschluss des Senats vom 12.05.2011 - 11 S 765/11 - NVwZ 2011, 1213). Vorliegend kann aber das jüngste deutsche Kind des Klägers zusammen mit dessen Ehefrau, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in Deutschland bleiben und wäre daher nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie, insbesondere seinem minderjährigen deutschen Kind zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten.
35 
2. Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Der Kläger verfügt über kein Aufenthaltsrecht gemäß der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
36 
Nach dem gestuften Regelungssystem des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann im Rahmen der ersten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht bei einjähriger Beschäftigung nur zum Zwecke der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei dem gleichen Arbeitgeber erworben werden. Im Rahmen der zweiten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 2) wird nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht erworben, Stellenangebote eines anderen Arbeitgebers im gleichen Beruf zu akzeptieren. Erst im Rahmen der dritten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 3), d.h. nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung, erwirbt der türkische Arbeitnehmer gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nur das Recht, auf ein bereits existierendes Stellenangebot einzugehen, sondern auch das unbedingte Recht, Arbeit zu suchen und jede beliebige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.01.1997 - C-171/95 - [Tetik] InfAuslR 1997, 146). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Entsprechendes gilt auch bei einem „unverschuldeten Arbeitgeberwechsel“ (vgl. Renner, AufenthG, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 124 f.), und zwar selbst dann, wenn keine Unterbrechung der Beschäftigung eingetreten ist. Voraussetzung ist nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 allerdings, dass die Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit „von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind“, das bedeutet, dass sich der Betreffende arbeitslos gemeldet und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden hat.
37 
Nach diesen Grundsätzen verfügt der Kläger nicht über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Seine Arbeitstätigkeit in einer Gebäudereinigung im Jahr 2002 war zu kurz, um zum Erwerb von Ansprüchen nach dem ARB 1/80 zu führen. Selbst wenn man die sozialversicherungsfreien (Neben-)Tätigkeiten in einem Internetcafé in H... vom 13.03.2004 bis zum 31.01.2006 und die Tätigkeit bei einer Vertriebs GmbH vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 insgesamt anerkennen und die damaligen Unterbrechungen durch – ordnungsgemäß festgestellte – Arbeitslosigkeit sowie den Wechsel der Arbeitgeber wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit als unschädlich ansehen würde, wäre der Kläger danach zum 15.06.2006 maximal 2 Jahre 3 Monate und 2 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Die damit allenfalls erreichte Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre durch die anschließende beschäftigungslose Zeit bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Abbruchunternehmen in L... unterbrochen gewesen. Denn ausweislich der vorliegenden Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung (vgl. den vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 06.06.2011) war er in dieser Zeit nicht arbeitslos gemeldet. Letztlich kommt es aber darauf nicht an. Selbst wenn man – trotz des Betriebsinhaberwechsels – die anschließende Beschäftigung bei den Abbruchunternehmen in L... vom 17.07.2006 bis zum 31.01.2007 hinzurechnen würde, wäre der Kläger seit dem 13.03.2004 noch keine drei Jahre beschäftigt gewesen, hätte also nur die Rechtsposition der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht gehabt. Diese hätte er durch die anschließende Kündigung und die folgende zweimonatige Arbeitslosigkeit aber wieder verloren gehabt. Denn diese Kündigung erfolgte nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch ihn. Da seine Kinder sich geweigert hätten, zu ihm nach L... zu ziehen, habe er wieder zu seiner Familie ziehen wollen.
38 
Im Anschluss war der Kläger zwar noch vom 02.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei einer Firma in H... beschäftigt und ist seit dem 01.07.2009 bei einer Gebäudereinigung angestellt. Die Beschäftigungszeiten als Fahrer können aber schon deshalb nicht mehr zum Erreichen eines Rechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 führen, weil der Kläger seinen Angaben nach zwar entlassen wurde, sich aber nicht unmittelbar anschließend bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat. Abgesehen davon war er seit dem 13.09.2007 nicht mehr „ordnungsgemäß beschäftigt“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Denn seine letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 12.09.2007 aus und galt lediglich aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Grundsätzlich setzt aber eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt voraus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], NVwZ 1991, 255). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige verfahrenssichernde Rechtsstellung hat ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine die Erteilung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ablehnende behördliche Entscheidung entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - [Kus], InfAuslR 1993, 41). Dies gilt auch in Bezug auf die Titelfunktion des § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Renner, a.a.O., § 4 AufenthG, Rn. 117 m.w.N.). Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass über die am 25.05.2009 gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (11 K 2004/09) noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar können Zeiten der Arbeitstätigkeit, in denen der Betreffende lediglich über ein fiktives Aufenthaltsrecht verfügt hat, später - rückwirkend - doch wieder als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zu berücksichtigen sein, wenn in der Folge eine positive behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Denn dann werden die zurückliegenden Beschäftigungszeiten anrechnungsfähig (EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], a.a.O.), und zwar gegebenenfalls selbst dann, wenn während kurzer Zeiträume kein Aufenthaltstitel und auch keine Fiktionswirkung bestand, etwa weil der Betreffende eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst kurz nach Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte (EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - [Ergat], InfAuslR 2000, 217). Diese Fragen können hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es ist wegen des vom Kläger verwirklichten Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG (dazu unten) offensichtlich, dass er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis oder auf Verlängerung der früher bestehenden Aufenthaltserlaubnis hat (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG). Abgesehen davon kommt es darauf auch deshalb nicht an, weil die Fiktionswirkung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG jedenfalls mit Bekanntgabe der Ausweisung vom 10.06.2010 – und damit vor Ablauf eines Jahres seit Beginn der Tätigkeit am 01.07.2009 und Erreichen einer Position nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 – erloschen ist. Zwar kommt der vom Kläger gegen die Ausweisung erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zu, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - auch insoweit die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen jedoch Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit unter anderem der Ausweisung unberührt, solange diese nicht unanfechtbar aufgehoben worden ist.
II.
39 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind erfüllt.
40 
Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei die Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Vereinigung oder ihre Unterstützung muss danach nicht erwiesen sein, es genügt das Vorliegen von Tatsachen, die die entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Dass es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss hingegen feststehen (Bay.VGH, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris, bestätigt mit Urteil des BVerwG vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -).
41 
1. Zunächst sind das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind (vgl. hierzu Urteile des Senats vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - VBlBW 2011, 478, und vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris sowie Beschlüsse des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vom 16.12.2010 - 11 S 2374/10 - und vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslRAuslR 2011, 105). Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus, wenn sie selbst ihre Ziele auch mit terroristischen Mitteln – wie dem Einsatz gemeingefährlicher Waffen und mit Angriffen auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele – verfolgt (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - juris, m.w.N.; vgl. im Einzelnen zum Begriff des Terrorismus GK-AufenthG, Stand: Sept. 2011, § 54 Rn. 436 ff.). Das ist bei der PKK in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1997 bis heute der Fall. Insbesondere verzichtete die PKK auch während der Phase des 1999 ausgerufenen und 2004 wieder beendeten „Friedenskurses“ nicht auf Gewalt. Das seit vielen Jahren weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa ist Teil einer „Doppelstrategie“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 A 111/09 - InfAuslR 2011, 37) und ändert nichts an deren grundsätzlich bestehender Gewaltbereitschaft und der Anwendung von terroristischen Mitteln, etwa bei Anschlägen in der Türkei (so etwa am 22.06.2010 in Istanbul, vgl. ZEIT-ONLINE vom 23.06.2010: www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kurden-tuerkei-politik; WELT ONLINE vom 22.06.2010 www.welt.de/politik/ausland/ article8142791/Tuerkei-Touristen-im-Fadenkreuz-kurdischen-Terrors.html; am 27. und 28.08 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, vgl. SPIEGEL ONLINE vom 28.08.2006 www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,434039,00.html) oder der Entführung Unbeteiligter (vgl. zur Entführung von drei deutschen Staatsangehörigen am Berg Ararat am 08.07.2008 SPIEGEL ONLINE vom 09.07.2011: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564783,00.html). Insoweit wird ergänzend auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Bescheid des Regierungspräsidiums vom 10.06.2010 verwiesen (vgl. auch Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ., „Ausländerextremismus“, August 2007, S. 9 ff., sowie Bundesamt für Verfassungsschutz, „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL)“, März 2007). Abgesehen davon ist die PKK seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP – ABl. L 116, S. 75). Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt eine solche Aufnahme die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 - InfAuslR 2011, 40; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 - juris; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
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2. Ob der Kläger der PKK „angehört“ im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, kann hier offen bleiben. Denn aus den vorliegenden Tatsachen ist jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt, dass er diese seit vielen Jahren in mehrfacher Weise unterstützt hat und weiter unterstützt.
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Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -BVerwGE 123, 114 - zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O., m.w.N.; Beschluss des Senats vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O.; Urteile des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris und vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.).
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Nach diesen Grundsätzen liegen hier eine Vielzahl von Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen (a) und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten PKK-nahen Aktionen und Veranstaltungen (b). Dabei sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die länger zurückliegenden Tatsachen noch zu berücksichtigen (c).
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a) Zunächst steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die kurdischen Vereine in H..., in denen der Kläger Vorstandsmitglied war, den Terrorismus unterstützen. Dabei zu berücksichtigen, dass - wie dargelegt - bereits jede Tätigkeit als tatbestandliches Unterstützen anzusehen ist, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der betreffenden Vereinigung, hier der PKK, auswirkt.
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aa) Der Verein „Kurd... V...“ e.V. wurde in den 1990-er Jahren gegründet und im Jahr 2000 wieder aufgelöst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich deutlich gemacht, dass er in dem im Anschluss gegründeten „Kurd... K...“ und in dem derzeit bestehenden Verein „Kurd... G...“ Nachfolgevereine des Vereins Kurdx ... V...“ sieht. Es handle sich um „den Verein“, in welchem er bis heute Mitglied sei und mit seinen Familienangehörigen jedes Wochenende verbringe. Er hat damit die entsprechende Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, die in der mündlichen Verhandlung von dem angehörten Mitarbeiter I.V. weiter erläutert worden ist, bestätigt. Der Kläger ist in einer Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 in den Vorstand des Vereins „K... V...“ gewählt worden und war als solcher für die Bücherei des Vereins zuständig. Darauf hat er sich auch in seinem Asylverfahren berufen und geltend gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe (Schriftsatz vom 01.07.1997 zum Verfahren A 3 K 12680/98).
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Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder – nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM – für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010“ im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.
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Hinzu kommen die Veranstaltungen, die vom Verein „Kurd... V...“ durchgeführt wurden, so zum Beispiel aus der Zeit, in der der Kläger Vorstandsmitglied war, eine Demonstration zum Newroz-Fest am 20.03.1998. In einem Bericht der Stadt H... vom 29.04.1998 über diese Demonstration wird dargelegt, dass Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt worden seien. Nach Einschätzung der Polizei und der Stadt H... habe nicht das Thema „Newroz-Fest“ im Vordergrund gestanden, sondern das Thema „Politische Lösung der kurdischen Frage und Aufhebung des Verbots der PKK“. Wie sich außerdem einem Bescheid der Stadt H... vom 14.05.1998 über das Verbot einer für den 17.05.1998 im Schlachthof in H... geplanten Veranstaltung entnehmen lässt, wurde zu dieser angeblichen „Folkloreveranstaltung“ mit Flugblättern der ENRK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans, eine Organisation der PKK) eingeladen. In den Räumen des Vereins wurde dafür mit einem Aushang mit dem Text „Sieg im Frieden, Freiheit im Leben, Volksversammlung wird stattfinden. Ort = Schlachthof“ geworben. Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz hat zudem in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren überzeugend dargelegt, dass „der Verein“ in H... – derzeit die „Kurd... G...“ – seit Jahren durch regelmäßige PKK-Veranstaltungen auffalle. Er rufe immer wieder zu Veranstaltungen und zu Kundgebungen auf, die inhaltlich die PKK, Abdullah Öcalan als PKK-Führer u.ä zum Thema hätten. Insofern trete der Verein immer wieder aktiv auf und führe diese Kundgebungen durch. Bei den Veranstaltungen würden PKK-Slogans skandiert, es werde die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert und die Türkei werde als terroristischer Staat bezeichnet. Das alles seien für das Landesamt für Verfassungsschutz Indizien, um die entsprechende Veranstaltung – anders als normale kulturelle Veranstaltungen von Kurden – als „PKK-nah“ anzusehen. Schließlich existierten auch zahlreiche andere kurdische Vereine, die vom Verfassungsschutz nicht als „PKK-nah“ eingestuft würden, etwa solche, die dem Dachverband der KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan) angehörten. Es gebe also eine Alternative. Der Verein in H... wie auch andere PKK-nahe Vereine fielen dadurch auf, dass sie sich stets und immer wieder PKK-spezifischen Themen annähmen. Das ziehe sich seit den 1980er-Jahren wie ein „roter Faden“ durch die Betätigung des Vereins.
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bb) Dass sich auch der Verein „Gebetshaus E... ... - I... ... e.V., H...“ – in dessen Vorstand der Kläger erstmals im Dezember 1998 (als stellvertretendes Vorstandsmitglied) und erneut im Mai 2002 (als 2. Vorsitzender des Vorstands) gewählt worden war – der PKK verbunden gefühlt hat, folgt bereits aus dem Formular zur Anmeldung des Vereins am 29.04.1998 bei der Stadt H... Darin wird ausgeführt, „Wir glauben, dass die kurdische Sache unter Führung der PKK gelöst wird“ und „Abgrenzung zum Kurd... V... e.V. durch Schwerpunkt Religion“. Auch wird als Zweck des Vereins angegeben „Versammlung von allen Kurden, auch revolutionäre Kurden, unter einem Dach“. Außerdem verdeutlicht die vorliegende Stellungnahme des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006, „Religiöse Vereinigungen innerhalb der PKK“ die Anbindung auch dieses Vereins an die PKK. Danach sei im Zuge des 4. Parteikongresses der PKK im Dezember 1990 die Gründung der Union der patriotischen Gläubigen aus Kurdistan (kurz: YOWK, ab 1991 YDK), einem Dachverband von Muslimen, beschlossen worden. 1993 sei die Umbenennung in „Islamischer Bund Kurdistans - HIK“ bzw. „Islamische Bewegung Kurdistans - KIH“ erfolgt. Die regionale Aufteilung sei in drei Funktionsbereiche, darunter eine Föderation in Süddeutschland mit Sitz in Heilbronn, erfolgt. Im Mai 2005 sei eine erneute Umbenennung, diesmal in „Islamische Gesellschaft Kurdistans - CIK“ beschlossen worden. Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz sei die CIK/HIK eine Massenorganisation der PKK, über die muslimische Kurden an die PKK gebunden werden sollen. In der Herbstausgabe der Baweri, dem seit 1995 erscheinenden Publikationsorgan der CIK/HIK, werde diese als eine religiös-politische Kampfesbewegung bezeichnet, die den nationalen Befreiungskampf Kurdistans unterstütze. In diesem Rahmen rufe sie regelmäßig zu Spenden oder Kampagnen auf, wie beispielsweise zur Sammlung von Spenden für kurdische Bedürftige und Waisen oder der Opferkampagne. Zu den der CIK/HIK angehörenden Moschen gehöre u.a. die „Mizgevta E... ...“ in H... ... Die Anbindung der CIK/HIK an die PKK und deren Abhängigkeit von der Organisation werde auch durch verschiedene Asservate belegt. In einem Fazit heißt es, die PKK unterhalte eine Vielzahl von Organisationen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss auf alle Lebensbereiche auszudehnen versuche. In ihrem Bestreben, auch die religiösen Gruppierungen der Kurden in ihren Strukturen einzubinden, habe sie die Gruppe der Muslime durch die CIK/HIK an ihre Organisation angebunden. Die Verlautbarungen führender Parteikader sowie die Organisationsbeschlüsse belegten die strukturelle Anbindung an die CDK (Nachfolgeorganisation der YDK) und damit an eine in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Organisation.
50 
Ist danach davon auszugehen, dass beide ausländerrechtlichen Vereine, in deren Vorstand der Kläger gewählt war, die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen unterstützt haben, so ist dem Kläger diese Unterstützung bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied zuzurechnen, ohne dass der Frage seiner tatsächlichen inneren Einstellung weiter nachgegangen werden müsste (vgl. zu § 11 StAG: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - VBlBW 2009, 29, m.w.N). Davon abgesehen greift § 54 Nr. 5 AufenthG auch in Fällen, in denen der Betreffende einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, hier dem Verein „Kurdx... V...“ und der „E... ...“, d.h. es kommt auch deshalb nicht darauf an, ob und in welchem Umfang er persönlich Unterstützung geleistet hat.
51 
b) Hinzu kommt, dass schon allein wegen der Teilnahme des Klägers an diversen PKK-nahen Veranstaltungen davon auszugehen ist, dass er die PKK unterstützt hat und bis heute unterstützt. Denn er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne Weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich der Vorstandstätigkeiten in den Vereinen.
52 
Zu den Veranstaltungen, deren Besuch als Unterstützung der PKK anzusehen ist, gehören insbesondere die Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK. Nach den Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz hat der Kläger in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009, jeweils in I... bei H..., den 27., 29., 30. und den 31. Gründungsjahrestag der PKK mitgefeiert. Dies wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Nach den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz seien bei diesen Feiern Fahnen der KONGRA-GEL bzw. der KCK oder der KKK und Bilder Öcalans aufgehängt gewesen bzw. entrollt worden (27.11.2005, 23.11.2008 und 27.11.2009), Filme über das Leben des Öcalan (27.11.2005 und 23.11.2008) oder die Guerilla (27.11.2009) vorgeführt und jeweils Reden über die PKK gehalten worden – zum Beispiel mit einem Überblick über die Entwicklung der PKK seit deren Gründung (23.11.2008). Regelmäßig werde die Bedeutung der PKK für die Kurden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervorgehoben. Zudem werde regelmäßig die PKK-Guerilla positiv herausgestellt, wenn nicht gar glorifiziert, indem zum Beispiel - wie im Jahr 2009 - ein Film über diese gezeigt werde (vgl. Bericht des LfV vom 17.12.2010). Solche Veranstaltungen haben in spezifischer Weise Propagandacharakter und dienen erkennbar der Förderung und Stärkung der PKK. Mit dem Besuch zeigt der Teilnehmer seine Anhängerschaft und fördert den Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger (vgl. Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -). Typisch für PKK-nahe Veranstaltungen ist auch der Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan. Seiner Person kommt nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den Staat zu (BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - a.a.O.). Es ist daher auch bezeichnend, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen zu dem vom Landesamt für Verfassungsschutz geschilderten Ablauf der Veranstaltung zum 31. Gründungsjahrestag der PKK am 27.11.2009 und nach dem Hinweis darauf, dass dort auch ein Film über den Guerilla-Kampf und Öcalan vorgeführt worden sei, entgegnete: Man brauche ihm nicht zu sagen, dass in diesem Saal ein Bild von Öcalan angebracht gewesen sei; Öcalan sei in seinem Herzen.
53 
Ebenso als Unterstützung der PKK zu werten ist der Besuch einer Veranstaltung am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestages der Gründung des militärischen Arms der PKK, bei welchem in einer Rede Öcalan und die PKK gewürdigt worden seien.
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Besonders ins Gewicht fallen auch die vom Kläger nicht in Abrede gestellten Besuche bei so genannten Volksversammlungen in den Räumlichkeiten des „Kurd... K...“ bzw. der „Kurd... G... H...“ am 17.12.2005, 30.03.2008 und am 28.02.2010. Den vorliegenden Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz (vgl. vor allem Bericht vom 17.12.2010) lässt sich entnehmen, dass es – anders als bei Vereinsversammlungen, die sich schwerpunktmäßig mit Vereinsthemen beschäftigten – bei Volksversammlungen thematisch im Wesentlichen um den mit einem Betätigungsverbot belegten und deshalb streng konspirativ arbeitenden Teil der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen gehe. Demgemäß dienten Volksversammlungen in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Meist halte ein hochrangiger PKK-Funktionär eine „emotionalisierende“ Rede, die durchaus ein bis zwei Stunden dauern könne. Dabei würden die Zuhörer über alle Aspekte, die die PKK beträfen, ausführlich informiert, insbesondere über Verlautbarungen, Haftbedingungen und Gesundheitszustand des PKK-Führers Öcalan, Anweisungen der Organisation, Lageentwicklung in der Türkei, in Deutschland und in Europa und aktuelle Kampagnen. Sie würden außerdem unter Hinweis auf die angebliche patriotische Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Aktionen aufgerufen. Häufig legten in Volksversammlungen Frontarbeiter und Aktivisten Rechenschaft gegenüber höherrangigen Funktionären ab und übten dabei gegebenenfalls – bei Schlechterfüllung ihrer Pflichten – entsprechende Selbstkritik. Bei der Versammlung am 28.02.2010 sei nach einer Gedenkminute für die verstorbenen „PKK-Märtyrer“ die aktuelle Lage in der Türkei thematisiert und ein Bericht des Volksgebietsrats verlesen worden. Anschließend hätten die Vertreter verschiedener Kommissionen (Justiz, Außenkontakte u.ä.) des Volksgebietsrats über ihre Arbeit berichtet. Danach seien der Leiter des Volksgebietsrats und die Vertreter dieser Kommissionen neu gewählt worden. Eine Ausnahme gelte für zwei Kommissionen: Die „Vereinskommission“ bestehe „automatisch“ aus dem Vorstand der „Kurd... G...“. Die „Organisationskommission“ verfüge über 25 „Frontarbeiter“; diese Aktivisten hätten gute Arbeit geleistet.
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Hinzu kommt die Teilnahme des Klägers an Treffen, bei denen der gefallenen und verstorbenen PKK-Kämpfer oder -Aktivisten gedacht wird (18.05.2008 und ...2008). Wie dem Senat aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist, sind gerade auch solche Märtyrergedenkveranstaltungen ein wesentliches Element zur Herstellung eines engeren ideologischen und emotionalen Zusammenhalts der PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten und führen damit zur Verbreiterung und Stärkung der Basis der PKK (Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vgl. zum Märtyrerkult bei der PKK auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.1010 - 6 A 7.08 - a.a.O.).
56 
Bezeichnend ist der Besuch von Versammlungen anlässlich des Geburtstages von Öcalan (06.04.2003, 03.04.2005). Auch hat der Kläger ausweislich der Feststellungen des Landesamts für Verfassungsschutz an mehreren Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen (05.02.2005, 28.01.2006, 16.02.2007, 27.10.2007, 25.10.2008, 20.11.2010) teilgenommen, bei denen jeweils Rufe wie „ Es lebe Öcalan“, „Hoch leben Apo“ oder „PKK“ skandiert und „Freiheit für Öcalan“ gefordert wurde. Bei einer „Kurdistan-Solidaritätsdemonstration“ in H... am 20.11.2010 seien auch Parolen wie „Die PKK ist das Volk, das Volk ist hier“ gerufen und Plakate bzw. Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan – Frieden für Kurdistan“ mitgeführt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, an dieser Veranstaltung vom 20.11.2010 teilgenommen zu haben, und darüber hinaus erklärt, er nehme an (allen) „offiziell genehmigten Demonstrationen“ teil. Es sei um die Freiheit der Kurden gegangen.
57 
Tatsächlich ist bei der Teilnahme an Demonstrationen besonders zu beachten, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.; Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.). Zum einen können aber auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.). Zum anderen ging es bei diesen Demonstrationen nicht nur um Themen, die nicht ausschließlich von der PKK besetzt sind – wie die Forderung eines unabhängigen Kurdistans, die Kritik am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdisches Zivilbevölkerung, die Anmahnung der Einhaltung von Menschenrechten, oder auch die Kritik an Haftbedingung politischer Gefangener einschließlich Öcalans – sondern um die Bekundung der Anhängerschaft zu Öcalan und der PKK durch entsprechende Parolen und Transparente. Damit bestand eine klare politisch-ideologische Verbindung zur PKK und ihren Zielen bzw. ihren Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele, zu denen auch der Terror zählte und zählt. Dies war und ist auch für den Kläger erkennbar. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei ihm egal, welche Parolen gerufen und welche Transparente getragen würden; er selbst habe weder Parolen gerufen noch Plakate getragen. Wie ausgeführt, kommt es darauf jedoch nicht an. Auch überzeugt die Erklärung des Klägers nicht, er habe die Plakate bzw. Transparente nicht lesen können, weil er dann von vorne gegen die Demonstration hätte laufen müssen. Jedenfalls konnte ihm die Solidarisierung mit der PKK schon vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen und den offensichtlich eindeutigen Parolen nicht entgehen, so dass ihm diese zuzurechnen ist.
58 
Vor dem Hintergrund des Charakters und der Vielzahl der vom Kläger besuchten anderen Veranstaltungen, wie den Volksversammlungen, den Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK und dem Geburtstag von Öcalan sowie den Märtyrergedenkfeiern, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, es wären zusätzliche Erkenntnisse darüber erforderlich, was der Kläger bei den Veranstaltungen getan habe, unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts waren bereits zum Zeitpunkt von dessen Entscheidung mehr als 13 Beteiligungen des Klägers an Veranstaltungen bekannt. Inzwischen sind es 20, die vom Landesamt für Verfassungsschutz benannt worden sind. Wie ausgeführt, kommt es zudem auf Anlass und Charakter der betreffenden Veranstaltungen an. In Anbetracht des konkreten Falles ist jedenfalls der Hinweis des Verwaltungsgerichts unverständlich, man könne einer Versammlung oder Veranstaltung auch „kopfschüttelnd“ zu Informationszwecken beiwohnen, ohne eine „unterstützende Haltung“ durch Applaus, Rufen von Parolen, Tragen von Schildern oder Transparenten einzunehmen. Dabei wird verkannt, dass bereits die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen wie den angeführten, welche erkennbar auch dazu dienen, die PKK einschließlich ihrer terroristischen Aktionen zu fördern, eine Unterstützung der PKK darstellt. Die durch die – auch rein passive – Teilnahme ausgedrückte innere Nähe und Verbundenheit zur PKK kann deren Stellung in der Gesellschaft, hier insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, günstig beeinflussen, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld erweitern und dadurch insgesamt dazu beitragen, das latente Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.).
59 
Soweit der Kläger vorträgt, die Vereine, bei denen er Mitglied gewesen und auch heute noch Mitglied sei und in deren Vorstand er gewesen sei, seien nicht verboten gewesen, er sei doch kein Terrorist und er habe auch nur an erlaubten Veranstaltungen teilgenommen, verkennt er, dass § 54 Nr. 5 AufenthG der effektiven Bekämpfung der Vorfeldunterstützung des internationalen Terrorismus durch Herabsetzen der Eingriffsschwelle dient. Sinn und Zweck ist die präventive Gefahrenabwehr. Für die Verwirklichung des Tatbestands kommt es danach weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.).
60 
In Anbetracht der bereits zur Überzeugung des Senats festgestellten Umstände kommt weiteren länger zurückliegenden Tatsachen wie etwa der Ingewahrsamnahme des Klägers anlässlich der Besetzung des griechischen Generalkonsulats nach der Festnahme von Öcalan am 16.02.1999 und der Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung im Jahr 2001 nur noch eine das Gesamtbild abrundende Bedeutung zu.
61 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Übrigen keinen Zweifel an seiner Verehrung von Abdullah Öcalan und seiner Anhängerschaft zur PKK gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass er auf Veranstaltungen wie die angeführten, auch solche zur Feier des Gründungsjahrestages der PKK, weiter gehen werde, solange diese nicht verboten seien. Seiner Meinung nach trete die PKK – wie auch er selbst – für die Freiheit der Kurden ein und sei nicht terroristisch. Wenn man die PKK als terroristisch ansähe, wäre er auch ein Terrorist. Soweit der Kläger mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er aber kein „Vertreter“ der PKK sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt.
62 
c) Die hiernach maßgeblichen Umstände – die Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeiten in den Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ...“ und die beschriebenen Teilnahmen an PKK-nahen Veranstaltungen – sind auch noch zu berücksichtigen, soweit sie bereits länger zurückliegen.
63 
Das Verwertungsverbot für getilgte Strafen nach § 51 Abs. 1 BZRG kann schon deshalb nicht greifen, weil der Kläger wegen der angeführten Umstände bzw. Aktivitäten nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ob seine Teilnahme an einer Demonstration der PKK in Dortmund am 16.03.1996 noch berücksichtigt werden könnte, obwohl die deswegen gegen den Kläger mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot verhängte Geldstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister getilgt ist, kann hier offen bleiben. Denn auf diese Tat kommt es in Anbetracht der Vielzahl von sonstigen maßgeblichen Tatsachen – wie die Teilnahme an den angeführten Veranstaltungen 2002 bis 2010 und die Vorstandstätigkeit sowie die Mitgliedschaft in den kurdischen Vereinen in H... – hier nicht an. Jedenfalls ist weder bei Unterstützungshandlungen, die strafbar gewesen wären, aber nicht zu einer Verurteilung geführt haben, noch bei den nicht mit einer Strafe bewehrten Aktivitäten eine „fiktive Tilgung“ mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG vorzunehmen (ausführlich dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - InfAuslR 2011, 193, m.w.N.; zu den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2010 - 19 A 1491/05 - AuAS 2011, 89; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2011 - 5 N 30.08 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -, juris – auch zum Fall einer möglichen Atypik im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
64 
Die länger zurückliegenden Tätigkeiten des Klägers sowie insbesondere seine Stellung als Vorstand in den Vereinen sind auch nicht aus anderen Gründen nicht mehr „verwertbar“. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen „Verbrauch“, etwa weil die Ausländerbehörde dem Kläger in Kenntnis der Ausweisungsgründe einen Aufenthaltstitel erteilt hätte (vgl. dazu GK-AufenthG, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 106 ff., m.w.N.). Soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.02.2011 die Aktivitäten des Klägers und seine Tätigkeiten in den Vereinsvorständen in solche bis zum Jahr 2002 und solche danach aufgeteilt und nur die neueren berücksichtigt worden sind, ist diese Aufteilung nicht nachvollziehbar. Da der Kläger noch im Mai Jahr 2002 als 2. Vorsitzender in den Vorstand des Vereins „E... ...“ gewählt wurde und diese Funktion danach mindestens ein Jahr lang - so seinen eigenen Angaben nach -, ausweislich des Vereinsregisters sogar bis zur Löschung des Vereins im Jahr 2007 innehatte, hätte diese Vorstandsmitgliedschaft ohnehin mit einbezogen werden müssen. Jedenfalls fehlt es schon in Anbetracht der bis heute andauernden Aktivitäten des Klägers in und für PKK-nahe Vereine in H... bzw. für die PKK und seiner fortdauernden Mitgliedschaft in den Nachfolgevereinen des Vereins „Kurd... V...“ an einer Zäsur, die zur Folge haben könnte, dass frühere Unterstützungshandlungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
65 
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Bestimmung des § 54 Nr. 5 AufenthG (anders als die des § 54 Nr. 5a AufenthG) grundsätzlich weder vom Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck, aber auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine vom Betroffenen ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefährdung voraussetzt. Eine “gegenwärtige Gefährlichkeit“ muss nur dann festgestellt werden, wenn eine vergangene Mitgliedschaft des Ausländers oder zurückliegende Unterstützungshandlungen (außerhalb einer Mitgliedschaft) zu beurteilen sind (ausführlich dazu Urteile des Senats vom 25.05.2011- 11 S 308/11 - und vom 21.04.2010 - 11 S 200/11 - jew. a.a.O.). Wegen der fortdauernden Unterstützungshandlungen des Klägers und seiner ständigen Präsenz bei lokalen PKK-Veranstaltungen liegt eine solche im Übrigen hier eindeutig vor.
III.
66 
Die Entscheidung, den Kläger wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG auszuweisen, lässt sich rechtlich nicht beanstanden.
67 
1. Das Regierungspräsidiums ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 55 AufenthG über die Ausweisung zu entscheiden hat.
68 
a) Offen bleiben kann, ob schon deshalb Ermessen auszuüben ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 54 AufenthG gegeben ist. Allerdings geht das Regierungspräsidium zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst davon aus, dass der Kläger jedenfalls derzeit „aus familiären Gründen“ (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK), und zwar vor allem im Hinblick auf sein jüngstes, noch minderjähriges Kind A..., welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat, nicht abgeschoben werden kann. Mit Schreiben vom 02.12.2011 hat das dafür zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, dass dem Kläger daher eine Duldung erteilt werde. Das Vorliegen eines Duldungsgrundes oder eines Abschiebungsverbots führt zwar nicht zur Unzulässigkeit einer Ausweisung, kann aber atypische Umstände in Bezug auf den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG begründen (so zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG: Beschluss des Senats vom 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - InfAuslR 2011, 19; Urteil des Senats vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - a.a.O., m.w.N.¸ vgl. zur Atypik auch GK-AufenthG, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 50 ff., 124 ff.) mit der Folge, dass der Betreffende nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Ob deshalb oder aus anderen Gründen von einer Atypik auszugehen ist, bedarf hier aber keiner anschließenden Klärung.
69 
b) Denn die Entscheidung über die Ausweisung des Klägers hat bereits mit Blick auf den dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG nach Ermessen zu erfolgen.
70 
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unstreitig nicht vor, weil der Kläger nicht „im Besitz“ einer Niederlassungserlaubnis ist. Weil er mit seinem jüngsten, am ...2005 geborenen deutschen Sohn A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kommt ihm aber nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderer Ausweisungsschutz zu. Er kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen solche Gründe in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vorliegen, nach Ermessen über die Ausweisung zu entscheiden.
71 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der der Kläger trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter an PKK-nahen Veranstaltungen teilgenommen hat, und der in der mündlichen Verhandlung von ihm demonstrierten tiefen Verehrung von Öcalan und Anhängerschaft zur PKK ist damit zu rechnen, dass der Kläger weiter die PKK unterstützt.
72 
2. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung ist vom Regierungspräsidium in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden (§ 114 Satz 1 VwGO).
73 
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind bei der nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zur Ermessensausweisung herabgestuften Regelausweisung die vom Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einerseits und dessen private schutzwürdige Belange andererseits auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Beschluss vom 21.01.2011 - 1 B 17.10, 1 PKH 8/10 - juris, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300).
74 
Danach sind hier zugunsten des Klägers in erster Linie seine Familie bzw. seine familiären Bindungen zu berücksichtigen. Seine Ehefrau und fast alle Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nicht nur der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsgenhöriger; vielmehr hat sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat inzwischen auch seine älteste Tochter einbürgern lassen, bei einer anderen laufe derzeit das Einbürgerungsverfahren. Der Kläger hat berichtet, noch mit allen Kindern in einem Haushalt zu leben. Diesen Umständen, denen sicherlich eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, hat das Regierungspräsidium Stuttgart jedoch hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der von ihm angestellten und in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen hat es auch alle anderen relevanten Belange eingestellt und zutreffend gewichtet.
75 
Zwar hat das Regierungspräsidium in der Ausgangsentscheidung noch angenommen, dass der Kläger auch tatsächlich ausreisen müsse. Es hat aber später allein darauf abgestellt, dass er mit Rücksicht auf seine familiäre Situation nicht abgeschoben werden könne. Im Hinblick darauf ist dem Kläger inzwischen die Duldung aus familiären Gründen erteilt worden. In der mündlichen Verhandlung ist zudem die im Bescheid vom 10.06.2010 verfügte Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bis auf Weiteres – das bedeutet jedenfalls solange seinen familiären Belangen insbesondere im Hinblick auf das jüngste deutsche Kind keine geringere Bedeutung einzuräumen ist oder sich andere maßgebliche Umstände ändern – zumindest geduldet wird und seine Familie nicht verlassen muss. Die Ausweisung ist damit schon deshalb auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
76 
Die Entscheidung, den Kläger auszuweisen, begegnet auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil sich das in erster Linie mit einer Ausweisung verfolgte Ziel, die von dem betreffenden Ausländer ausgehende (Wiederholungs-) Gefahr mit der Ausreise zu bannen, hier bis auf Weiteres nicht verwirklichen lässt. Denn immerhin wird mit der Ausweisung zum einen konsequent jeder Aufenthaltsverfestigung entgegengewirkt, zum anderen werden dadurch die Aufenthaltsbeschränkungen des § 54a AufenthG ausgelöst bzw. der Erlass entsprechender Überwachungsmaßnahmen ermöglicht (Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O., ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 10.07.2009 - 10 ZB 09.950 - juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49).
77 
Auch die sonstigen Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Ausweisungsverfügung selbstständig tragend auf den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt sei und dass für diese schon allein die angestellten spezialpräventiven Erwägungen ausschlaggebend seien. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Klägers und schutzwürdige persönliche wirtschaftliche und sonstige Bindungen (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) wurden eingestellt und zutreffend gewürdigt. Dabei durfte zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass dieser nur sehr schlecht Deutsch spricht, lediglich wechselnden und unqualifizierten Berufstätigkeiten nachgegangen ist und offensichtlich bis heute nur im Umfeld seiner kurdischen Landsleute und „des Vereins“ Umgang und Bekanntschaften pflegt.
78 
Beim Kläger handelt es sich zwar um keine führende Persönlichkeit in der PKK. Angesichts seiner jahrelangen Unterstützung der PKK, der beschriebenen Hartnäckigkeit, mit der er trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter einschlägige Veranstaltungen besucht hat, und der deshalb weiter bestehenden gegenwärtigen Gefährlichkeit im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erweist sich die Ausweisung aber auch in Ansehung des langjährigen Aufenthalts des Klägers und insbesondere seiner familiären Bindungen nicht als unverhältnismäßig, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht weiter geduldet würde (vgl. dazu auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - 41548/06 - [Trabelsi]).
IV.
79 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
80 
Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht odernicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
81 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/ Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
82 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
83 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).
84 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
85 
Die hier vom Senat allein zu beurteilende Ausweisungsverfügung bleibt nach dem Vorgesagten aber hiervon unberührt.
B)
86 
Die Klage gegen die die Meldeauflage sowie die räumliche Beschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids vom 10.06.2010 ist vom Verwaltungsgericht zu Recht als zulässig angesehen worden. Beide Verfügungen stellen die gesetzlichen Pflichten des § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. § 54a Abs. 2 AufenthG konkretisierende Regelungen dar (ebenso Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.).
87 
Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zwar setzen beide Maßnahmen voraus, dass die Ausweisung sofort vollziehbar ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.11.2010 - 11 S 2481/10 - juris). Dementsprechend wurde auch unter Ziffer 5 des Bescheids vom 10.06.2011 die sofortige Vollziehung angeordnet, weshalb zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Verfügung unter dem hier zu behandelnden Aspekt nicht zu beanstanden war. Allerdings wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.11.2010 (11 K 2430/10 - juris) unter anderem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung nunmehr allein wegen der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausweisung vorübergehend als rechtswidrig anzusehen wären. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Senatsurteils wäre die Erlassvoraussetzung der Vollziehbarkeit wieder erfüllt. Namentlich müsste in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden in einem von den Beteiligten angestrengten Revisionsverfahren das Bundesverwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit ihrem Erlass notwendigerweise rechtkräftig wird, die Klage gegen die auf § 54a AufenthG gestützten Maßnahmen als unbegründet abweisen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung galt bzw. gilt lediglich vorläufig – bis zum Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft der Ausweisung. Dies legt ein Verständnis der aufschiebenden Wirkung nahe, nach welchem auch die Folgemaßnahmen nach § 54a AufenthG vom Wiedereintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung bezüglich der Ausweisung in ihrer Wirksamkeit nur vorläufig suspendiert sind, selbst wenn die aufschiebende Wirkung insoweit nicht ausdrücklich angeordnet wurde (ebenso zu vergleichbaren verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellationen Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 80 Rn. 31; Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 23). Schließlich würden die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung nach § 54a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG auch ohne Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt, wie sie hier erfolgt ist, unmittelbar mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung kraft Gesetzes (wieder) eintreten. Weitergehende Rechtswirkungen müssen der aufschiebenden Wirkung im Interesse des Betroffenen, insbesondere aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung, nicht beigemessen werden.
88 
In Anbetracht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der aktuell bestehenden Gefahr weiterer Unterstützung der PKK durch den Kläger lassen sich die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden; sie verstoßen insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO.
90 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
91 
Beschluss
92 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 und 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
93 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
28 
Soweit die Beteiligten - nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 in der mündlichen Verhandlung - den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entspr.).
29 
Im Übrigen ist die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 (dazu unter A) und die Meldeauflage sowie die Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (B) abweisen müssen. Denn diese Verfügungen sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
30 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (I.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG liegen vor (II.), die Ausweisungsentscheidung lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (III.).
I.
31 
Das Regierungspräsidium hat diese rechtsfehlerfrei auf § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob als Rechtsgrundlage daneben § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5a oder Nr. 6 AufenthG herangezogen werden könnten.
32 
Diese Regelungen sind hier uneingeschränkt anwendbar.
33 
1. Aus der Tatsache, dass der Kläger Vater eines minderjährigen deutschen Kindes – dem am ...2005 geborenen A... A... – ist, folgt nicht, dass er wie ein Unionsbürger oder nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre.
34 
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C-34/09 - InfAuslR 2011, 179) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann. Ausschlaggebend war ausweislich der Gründe der Umstand, dass die Kinder, welche Unionsbürger waren, bei einer „Verweigerung von Aufenthalt und Arbeitserlaubnis“ ihrer drittstaatsangehörigen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet zu verlassen. Art. 20 AEUV sei daher dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, den Aufenthalt im Wohnsitzstaat und eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleihe, verwehren würden. Folge eines entsprechenden Aufenthaltsrechts wäre eine allenfalls eingeschränkte Anwendbarkeit der Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; allgemein zum Urteil des EuGH vom 08.03.2011: OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2011 - 18 B 377/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 6 D 1633/11 - juris). Wie auch inzwischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy (C-434/09 - InfAuslR 2011, 268) und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci (C-256/11 - juris) deutlich machen, ist ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen aus der Unionsbürgerschaft seines Kindes – oder auch seines Ehepartners – aber nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (weitergehend noch Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - a.a.O., und Beschluss des Senats vom 12.05.2011 - 11 S 765/11 - NVwZ 2011, 1213). Vorliegend kann aber das jüngste deutsche Kind des Klägers zusammen mit dessen Ehefrau, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in Deutschland bleiben und wäre daher nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie, insbesondere seinem minderjährigen deutschen Kind zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten.
35 
2. Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Der Kläger verfügt über kein Aufenthaltsrecht gemäß der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
36 
Nach dem gestuften Regelungssystem des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann im Rahmen der ersten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht bei einjähriger Beschäftigung nur zum Zwecke der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei dem gleichen Arbeitgeber erworben werden. Im Rahmen der zweiten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 2) wird nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht erworben, Stellenangebote eines anderen Arbeitgebers im gleichen Beruf zu akzeptieren. Erst im Rahmen der dritten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 3), d.h. nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung, erwirbt der türkische Arbeitnehmer gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nur das Recht, auf ein bereits existierendes Stellenangebot einzugehen, sondern auch das unbedingte Recht, Arbeit zu suchen und jede beliebige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.01.1997 - C-171/95 - [Tetik] InfAuslR 1997, 146). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Entsprechendes gilt auch bei einem „unverschuldeten Arbeitgeberwechsel“ (vgl. Renner, AufenthG, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 124 f.), und zwar selbst dann, wenn keine Unterbrechung der Beschäftigung eingetreten ist. Voraussetzung ist nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 allerdings, dass die Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit „von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind“, das bedeutet, dass sich der Betreffende arbeitslos gemeldet und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden hat.
37 
Nach diesen Grundsätzen verfügt der Kläger nicht über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Seine Arbeitstätigkeit in einer Gebäudereinigung im Jahr 2002 war zu kurz, um zum Erwerb von Ansprüchen nach dem ARB 1/80 zu führen. Selbst wenn man die sozialversicherungsfreien (Neben-)Tätigkeiten in einem Internetcafé in H... vom 13.03.2004 bis zum 31.01.2006 und die Tätigkeit bei einer Vertriebs GmbH vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 insgesamt anerkennen und die damaligen Unterbrechungen durch – ordnungsgemäß festgestellte – Arbeitslosigkeit sowie den Wechsel der Arbeitgeber wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit als unschädlich ansehen würde, wäre der Kläger danach zum 15.06.2006 maximal 2 Jahre 3 Monate und 2 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Die damit allenfalls erreichte Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre durch die anschließende beschäftigungslose Zeit bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Abbruchunternehmen in L... unterbrochen gewesen. Denn ausweislich der vorliegenden Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung (vgl. den vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 06.06.2011) war er in dieser Zeit nicht arbeitslos gemeldet. Letztlich kommt es aber darauf nicht an. Selbst wenn man – trotz des Betriebsinhaberwechsels – die anschließende Beschäftigung bei den Abbruchunternehmen in L... vom 17.07.2006 bis zum 31.01.2007 hinzurechnen würde, wäre der Kläger seit dem 13.03.2004 noch keine drei Jahre beschäftigt gewesen, hätte also nur die Rechtsposition der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht gehabt. Diese hätte er durch die anschließende Kündigung und die folgende zweimonatige Arbeitslosigkeit aber wieder verloren gehabt. Denn diese Kündigung erfolgte nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch ihn. Da seine Kinder sich geweigert hätten, zu ihm nach L... zu ziehen, habe er wieder zu seiner Familie ziehen wollen.
38 
Im Anschluss war der Kläger zwar noch vom 02.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei einer Firma in H... beschäftigt und ist seit dem 01.07.2009 bei einer Gebäudereinigung angestellt. Die Beschäftigungszeiten als Fahrer können aber schon deshalb nicht mehr zum Erreichen eines Rechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 führen, weil der Kläger seinen Angaben nach zwar entlassen wurde, sich aber nicht unmittelbar anschließend bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat. Abgesehen davon war er seit dem 13.09.2007 nicht mehr „ordnungsgemäß beschäftigt“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Denn seine letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 12.09.2007 aus und galt lediglich aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Grundsätzlich setzt aber eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt voraus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], NVwZ 1991, 255). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige verfahrenssichernde Rechtsstellung hat ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine die Erteilung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ablehnende behördliche Entscheidung entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - [Kus], InfAuslR 1993, 41). Dies gilt auch in Bezug auf die Titelfunktion des § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Renner, a.a.O., § 4 AufenthG, Rn. 117 m.w.N.). Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass über die am 25.05.2009 gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (11 K 2004/09) noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar können Zeiten der Arbeitstätigkeit, in denen der Betreffende lediglich über ein fiktives Aufenthaltsrecht verfügt hat, später - rückwirkend - doch wieder als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zu berücksichtigen sein, wenn in der Folge eine positive behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Denn dann werden die zurückliegenden Beschäftigungszeiten anrechnungsfähig (EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], a.a.O.), und zwar gegebenenfalls selbst dann, wenn während kurzer Zeiträume kein Aufenthaltstitel und auch keine Fiktionswirkung bestand, etwa weil der Betreffende eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst kurz nach Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte (EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - [Ergat], InfAuslR 2000, 217). Diese Fragen können hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es ist wegen des vom Kläger verwirklichten Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG (dazu unten) offensichtlich, dass er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis oder auf Verlängerung der früher bestehenden Aufenthaltserlaubnis hat (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG). Abgesehen davon kommt es darauf auch deshalb nicht an, weil die Fiktionswirkung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG jedenfalls mit Bekanntgabe der Ausweisung vom 10.06.2010 – und damit vor Ablauf eines Jahres seit Beginn der Tätigkeit am 01.07.2009 und Erreichen einer Position nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 – erloschen ist. Zwar kommt der vom Kläger gegen die Ausweisung erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zu, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - auch insoweit die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen jedoch Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit unter anderem der Ausweisung unberührt, solange diese nicht unanfechtbar aufgehoben worden ist.
II.
39 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind erfüllt.
40 
Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei die Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Vereinigung oder ihre Unterstützung muss danach nicht erwiesen sein, es genügt das Vorliegen von Tatsachen, die die entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Dass es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss hingegen feststehen (Bay.VGH, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris, bestätigt mit Urteil des BVerwG vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -).
41 
1. Zunächst sind das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind (vgl. hierzu Urteile des Senats vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - VBlBW 2011, 478, und vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris sowie Beschlüsse des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vom 16.12.2010 - 11 S 2374/10 - und vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslRAuslR 2011, 105). Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus, wenn sie selbst ihre Ziele auch mit terroristischen Mitteln – wie dem Einsatz gemeingefährlicher Waffen und mit Angriffen auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele – verfolgt (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - juris, m.w.N.; vgl. im Einzelnen zum Begriff des Terrorismus GK-AufenthG, Stand: Sept. 2011, § 54 Rn. 436 ff.). Das ist bei der PKK in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1997 bis heute der Fall. Insbesondere verzichtete die PKK auch während der Phase des 1999 ausgerufenen und 2004 wieder beendeten „Friedenskurses“ nicht auf Gewalt. Das seit vielen Jahren weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa ist Teil einer „Doppelstrategie“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 A 111/09 - InfAuslR 2011, 37) und ändert nichts an deren grundsätzlich bestehender Gewaltbereitschaft und der Anwendung von terroristischen Mitteln, etwa bei Anschlägen in der Türkei (so etwa am 22.06.2010 in Istanbul, vgl. ZEIT-ONLINE vom 23.06.2010: www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kurden-tuerkei-politik; WELT ONLINE vom 22.06.2010 www.welt.de/politik/ausland/ article8142791/Tuerkei-Touristen-im-Fadenkreuz-kurdischen-Terrors.html; am 27. und 28.08 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, vgl. SPIEGEL ONLINE vom 28.08.2006 www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,434039,00.html) oder der Entführung Unbeteiligter (vgl. zur Entführung von drei deutschen Staatsangehörigen am Berg Ararat am 08.07.2008 SPIEGEL ONLINE vom 09.07.2011: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564783,00.html). Insoweit wird ergänzend auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Bescheid des Regierungspräsidiums vom 10.06.2010 verwiesen (vgl. auch Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ., „Ausländerextremismus“, August 2007, S. 9 ff., sowie Bundesamt für Verfassungsschutz, „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL)“, März 2007). Abgesehen davon ist die PKK seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP – ABl. L 116, S. 75). Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt eine solche Aufnahme die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 - InfAuslR 2011, 40; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 - juris; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
42 
2. Ob der Kläger der PKK „angehört“ im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, kann hier offen bleiben. Denn aus den vorliegenden Tatsachen ist jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt, dass er diese seit vielen Jahren in mehrfacher Weise unterstützt hat und weiter unterstützt.
43 
Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -BVerwGE 123, 114 - zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O., m.w.N.; Beschluss des Senats vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O.; Urteile des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris und vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.).
44 
Nach diesen Grundsätzen liegen hier eine Vielzahl von Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen (a) und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten PKK-nahen Aktionen und Veranstaltungen (b). Dabei sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die länger zurückliegenden Tatsachen noch zu berücksichtigen (c).
45 
a) Zunächst steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die kurdischen Vereine in H..., in denen der Kläger Vorstandsmitglied war, den Terrorismus unterstützen. Dabei zu berücksichtigen, dass - wie dargelegt - bereits jede Tätigkeit als tatbestandliches Unterstützen anzusehen ist, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der betreffenden Vereinigung, hier der PKK, auswirkt.
46 
aa) Der Verein „Kurd... V...“ e.V. wurde in den 1990-er Jahren gegründet und im Jahr 2000 wieder aufgelöst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich deutlich gemacht, dass er in dem im Anschluss gegründeten „Kurd... K...“ und in dem derzeit bestehenden Verein „Kurd... G...“ Nachfolgevereine des Vereins Kurdx ... V...“ sieht. Es handle sich um „den Verein“, in welchem er bis heute Mitglied sei und mit seinen Familienangehörigen jedes Wochenende verbringe. Er hat damit die entsprechende Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, die in der mündlichen Verhandlung von dem angehörten Mitarbeiter I.V. weiter erläutert worden ist, bestätigt. Der Kläger ist in einer Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 in den Vorstand des Vereins „K... V...“ gewählt worden und war als solcher für die Bücherei des Vereins zuständig. Darauf hat er sich auch in seinem Asylverfahren berufen und geltend gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe (Schriftsatz vom 01.07.1997 zum Verfahren A 3 K 12680/98).
47 
Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder – nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM – für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010“ im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.
48 
Hinzu kommen die Veranstaltungen, die vom Verein „Kurd... V...“ durchgeführt wurden, so zum Beispiel aus der Zeit, in der der Kläger Vorstandsmitglied war, eine Demonstration zum Newroz-Fest am 20.03.1998. In einem Bericht der Stadt H... vom 29.04.1998 über diese Demonstration wird dargelegt, dass Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt worden seien. Nach Einschätzung der Polizei und der Stadt H... habe nicht das Thema „Newroz-Fest“ im Vordergrund gestanden, sondern das Thema „Politische Lösung der kurdischen Frage und Aufhebung des Verbots der PKK“. Wie sich außerdem einem Bescheid der Stadt H... vom 14.05.1998 über das Verbot einer für den 17.05.1998 im Schlachthof in H... geplanten Veranstaltung entnehmen lässt, wurde zu dieser angeblichen „Folkloreveranstaltung“ mit Flugblättern der ENRK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans, eine Organisation der PKK) eingeladen. In den Räumen des Vereins wurde dafür mit einem Aushang mit dem Text „Sieg im Frieden, Freiheit im Leben, Volksversammlung wird stattfinden. Ort = Schlachthof“ geworben. Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz hat zudem in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren überzeugend dargelegt, dass „der Verein“ in H... – derzeit die „Kurd... G...“ – seit Jahren durch regelmäßige PKK-Veranstaltungen auffalle. Er rufe immer wieder zu Veranstaltungen und zu Kundgebungen auf, die inhaltlich die PKK, Abdullah Öcalan als PKK-Führer u.ä zum Thema hätten. Insofern trete der Verein immer wieder aktiv auf und führe diese Kundgebungen durch. Bei den Veranstaltungen würden PKK-Slogans skandiert, es werde die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert und die Türkei werde als terroristischer Staat bezeichnet. Das alles seien für das Landesamt für Verfassungsschutz Indizien, um die entsprechende Veranstaltung – anders als normale kulturelle Veranstaltungen von Kurden – als „PKK-nah“ anzusehen. Schließlich existierten auch zahlreiche andere kurdische Vereine, die vom Verfassungsschutz nicht als „PKK-nah“ eingestuft würden, etwa solche, die dem Dachverband der KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan) angehörten. Es gebe also eine Alternative. Der Verein in H... wie auch andere PKK-nahe Vereine fielen dadurch auf, dass sie sich stets und immer wieder PKK-spezifischen Themen annähmen. Das ziehe sich seit den 1980er-Jahren wie ein „roter Faden“ durch die Betätigung des Vereins.
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bb) Dass sich auch der Verein „Gebetshaus E... ... - I... ... e.V., H...“ – in dessen Vorstand der Kläger erstmals im Dezember 1998 (als stellvertretendes Vorstandsmitglied) und erneut im Mai 2002 (als 2. Vorsitzender des Vorstands) gewählt worden war – der PKK verbunden gefühlt hat, folgt bereits aus dem Formular zur Anmeldung des Vereins am 29.04.1998 bei der Stadt H... Darin wird ausgeführt, „Wir glauben, dass die kurdische Sache unter Führung der PKK gelöst wird“ und „Abgrenzung zum Kurd... V... e.V. durch Schwerpunkt Religion“. Auch wird als Zweck des Vereins angegeben „Versammlung von allen Kurden, auch revolutionäre Kurden, unter einem Dach“. Außerdem verdeutlicht die vorliegende Stellungnahme des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006, „Religiöse Vereinigungen innerhalb der PKK“ die Anbindung auch dieses Vereins an die PKK. Danach sei im Zuge des 4. Parteikongresses der PKK im Dezember 1990 die Gründung der Union der patriotischen Gläubigen aus Kurdistan (kurz: YOWK, ab 1991 YDK), einem Dachverband von Muslimen, beschlossen worden. 1993 sei die Umbenennung in „Islamischer Bund Kurdistans - HIK“ bzw. „Islamische Bewegung Kurdistans - KIH“ erfolgt. Die regionale Aufteilung sei in drei Funktionsbereiche, darunter eine Föderation in Süddeutschland mit Sitz in Heilbronn, erfolgt. Im Mai 2005 sei eine erneute Umbenennung, diesmal in „Islamische Gesellschaft Kurdistans - CIK“ beschlossen worden. Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz sei die CIK/HIK eine Massenorganisation der PKK, über die muslimische Kurden an die PKK gebunden werden sollen. In der Herbstausgabe der Baweri, dem seit 1995 erscheinenden Publikationsorgan der CIK/HIK, werde diese als eine religiös-politische Kampfesbewegung bezeichnet, die den nationalen Befreiungskampf Kurdistans unterstütze. In diesem Rahmen rufe sie regelmäßig zu Spenden oder Kampagnen auf, wie beispielsweise zur Sammlung von Spenden für kurdische Bedürftige und Waisen oder der Opferkampagne. Zu den der CIK/HIK angehörenden Moschen gehöre u.a. die „Mizgevta E... ...“ in H... ... Die Anbindung der CIK/HIK an die PKK und deren Abhängigkeit von der Organisation werde auch durch verschiedene Asservate belegt. In einem Fazit heißt es, die PKK unterhalte eine Vielzahl von Organisationen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss auf alle Lebensbereiche auszudehnen versuche. In ihrem Bestreben, auch die religiösen Gruppierungen der Kurden in ihren Strukturen einzubinden, habe sie die Gruppe der Muslime durch die CIK/HIK an ihre Organisation angebunden. Die Verlautbarungen führender Parteikader sowie die Organisationsbeschlüsse belegten die strukturelle Anbindung an die CDK (Nachfolgeorganisation der YDK) und damit an eine in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Organisation.
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Ist danach davon auszugehen, dass beide ausländerrechtlichen Vereine, in deren Vorstand der Kläger gewählt war, die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen unterstützt haben, so ist dem Kläger diese Unterstützung bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied zuzurechnen, ohne dass der Frage seiner tatsächlichen inneren Einstellung weiter nachgegangen werden müsste (vgl. zu § 11 StAG: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - VBlBW 2009, 29, m.w.N). Davon abgesehen greift § 54 Nr. 5 AufenthG auch in Fällen, in denen der Betreffende einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, hier dem Verein „Kurdx... V...“ und der „E... ...“, d.h. es kommt auch deshalb nicht darauf an, ob und in welchem Umfang er persönlich Unterstützung geleistet hat.
51 
b) Hinzu kommt, dass schon allein wegen der Teilnahme des Klägers an diversen PKK-nahen Veranstaltungen davon auszugehen ist, dass er die PKK unterstützt hat und bis heute unterstützt. Denn er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne Weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich der Vorstandstätigkeiten in den Vereinen.
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Zu den Veranstaltungen, deren Besuch als Unterstützung der PKK anzusehen ist, gehören insbesondere die Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK. Nach den Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz hat der Kläger in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009, jeweils in I... bei H..., den 27., 29., 30. und den 31. Gründungsjahrestag der PKK mitgefeiert. Dies wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Nach den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz seien bei diesen Feiern Fahnen der KONGRA-GEL bzw. der KCK oder der KKK und Bilder Öcalans aufgehängt gewesen bzw. entrollt worden (27.11.2005, 23.11.2008 und 27.11.2009), Filme über das Leben des Öcalan (27.11.2005 und 23.11.2008) oder die Guerilla (27.11.2009) vorgeführt und jeweils Reden über die PKK gehalten worden – zum Beispiel mit einem Überblick über die Entwicklung der PKK seit deren Gründung (23.11.2008). Regelmäßig werde die Bedeutung der PKK für die Kurden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervorgehoben. Zudem werde regelmäßig die PKK-Guerilla positiv herausgestellt, wenn nicht gar glorifiziert, indem zum Beispiel - wie im Jahr 2009 - ein Film über diese gezeigt werde (vgl. Bericht des LfV vom 17.12.2010). Solche Veranstaltungen haben in spezifischer Weise Propagandacharakter und dienen erkennbar der Förderung und Stärkung der PKK. Mit dem Besuch zeigt der Teilnehmer seine Anhängerschaft und fördert den Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger (vgl. Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -). Typisch für PKK-nahe Veranstaltungen ist auch der Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan. Seiner Person kommt nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den Staat zu (BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - a.a.O.). Es ist daher auch bezeichnend, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen zu dem vom Landesamt für Verfassungsschutz geschilderten Ablauf der Veranstaltung zum 31. Gründungsjahrestag der PKK am 27.11.2009 und nach dem Hinweis darauf, dass dort auch ein Film über den Guerilla-Kampf und Öcalan vorgeführt worden sei, entgegnete: Man brauche ihm nicht zu sagen, dass in diesem Saal ein Bild von Öcalan angebracht gewesen sei; Öcalan sei in seinem Herzen.
53 
Ebenso als Unterstützung der PKK zu werten ist der Besuch einer Veranstaltung am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestages der Gründung des militärischen Arms der PKK, bei welchem in einer Rede Öcalan und die PKK gewürdigt worden seien.
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Besonders ins Gewicht fallen auch die vom Kläger nicht in Abrede gestellten Besuche bei so genannten Volksversammlungen in den Räumlichkeiten des „Kurd... K...“ bzw. der „Kurd... G... H...“ am 17.12.2005, 30.03.2008 und am 28.02.2010. Den vorliegenden Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz (vgl. vor allem Bericht vom 17.12.2010) lässt sich entnehmen, dass es – anders als bei Vereinsversammlungen, die sich schwerpunktmäßig mit Vereinsthemen beschäftigten – bei Volksversammlungen thematisch im Wesentlichen um den mit einem Betätigungsverbot belegten und deshalb streng konspirativ arbeitenden Teil der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen gehe. Demgemäß dienten Volksversammlungen in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Meist halte ein hochrangiger PKK-Funktionär eine „emotionalisierende“ Rede, die durchaus ein bis zwei Stunden dauern könne. Dabei würden die Zuhörer über alle Aspekte, die die PKK beträfen, ausführlich informiert, insbesondere über Verlautbarungen, Haftbedingungen und Gesundheitszustand des PKK-Führers Öcalan, Anweisungen der Organisation, Lageentwicklung in der Türkei, in Deutschland und in Europa und aktuelle Kampagnen. Sie würden außerdem unter Hinweis auf die angebliche patriotische Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Aktionen aufgerufen. Häufig legten in Volksversammlungen Frontarbeiter und Aktivisten Rechenschaft gegenüber höherrangigen Funktionären ab und übten dabei gegebenenfalls – bei Schlechterfüllung ihrer Pflichten – entsprechende Selbstkritik. Bei der Versammlung am 28.02.2010 sei nach einer Gedenkminute für die verstorbenen „PKK-Märtyrer“ die aktuelle Lage in der Türkei thematisiert und ein Bericht des Volksgebietsrats verlesen worden. Anschließend hätten die Vertreter verschiedener Kommissionen (Justiz, Außenkontakte u.ä.) des Volksgebietsrats über ihre Arbeit berichtet. Danach seien der Leiter des Volksgebietsrats und die Vertreter dieser Kommissionen neu gewählt worden. Eine Ausnahme gelte für zwei Kommissionen: Die „Vereinskommission“ bestehe „automatisch“ aus dem Vorstand der „Kurd... G...“. Die „Organisationskommission“ verfüge über 25 „Frontarbeiter“; diese Aktivisten hätten gute Arbeit geleistet.
55 
Hinzu kommt die Teilnahme des Klägers an Treffen, bei denen der gefallenen und verstorbenen PKK-Kämpfer oder -Aktivisten gedacht wird (18.05.2008 und ...2008). Wie dem Senat aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist, sind gerade auch solche Märtyrergedenkveranstaltungen ein wesentliches Element zur Herstellung eines engeren ideologischen und emotionalen Zusammenhalts der PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten und führen damit zur Verbreiterung und Stärkung der Basis der PKK (Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vgl. zum Märtyrerkult bei der PKK auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.1010 - 6 A 7.08 - a.a.O.).
56 
Bezeichnend ist der Besuch von Versammlungen anlässlich des Geburtstages von Öcalan (06.04.2003, 03.04.2005). Auch hat der Kläger ausweislich der Feststellungen des Landesamts für Verfassungsschutz an mehreren Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen (05.02.2005, 28.01.2006, 16.02.2007, 27.10.2007, 25.10.2008, 20.11.2010) teilgenommen, bei denen jeweils Rufe wie „ Es lebe Öcalan“, „Hoch leben Apo“ oder „PKK“ skandiert und „Freiheit für Öcalan“ gefordert wurde. Bei einer „Kurdistan-Solidaritätsdemonstration“ in H... am 20.11.2010 seien auch Parolen wie „Die PKK ist das Volk, das Volk ist hier“ gerufen und Plakate bzw. Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan – Frieden für Kurdistan“ mitgeführt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, an dieser Veranstaltung vom 20.11.2010 teilgenommen zu haben, und darüber hinaus erklärt, er nehme an (allen) „offiziell genehmigten Demonstrationen“ teil. Es sei um die Freiheit der Kurden gegangen.
57 
Tatsächlich ist bei der Teilnahme an Demonstrationen besonders zu beachten, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.; Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.). Zum einen können aber auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.). Zum anderen ging es bei diesen Demonstrationen nicht nur um Themen, die nicht ausschließlich von der PKK besetzt sind – wie die Forderung eines unabhängigen Kurdistans, die Kritik am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdisches Zivilbevölkerung, die Anmahnung der Einhaltung von Menschenrechten, oder auch die Kritik an Haftbedingung politischer Gefangener einschließlich Öcalans – sondern um die Bekundung der Anhängerschaft zu Öcalan und der PKK durch entsprechende Parolen und Transparente. Damit bestand eine klare politisch-ideologische Verbindung zur PKK und ihren Zielen bzw. ihren Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele, zu denen auch der Terror zählte und zählt. Dies war und ist auch für den Kläger erkennbar. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei ihm egal, welche Parolen gerufen und welche Transparente getragen würden; er selbst habe weder Parolen gerufen noch Plakate getragen. Wie ausgeführt, kommt es darauf jedoch nicht an. Auch überzeugt die Erklärung des Klägers nicht, er habe die Plakate bzw. Transparente nicht lesen können, weil er dann von vorne gegen die Demonstration hätte laufen müssen. Jedenfalls konnte ihm die Solidarisierung mit der PKK schon vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen und den offensichtlich eindeutigen Parolen nicht entgehen, so dass ihm diese zuzurechnen ist.
58 
Vor dem Hintergrund des Charakters und der Vielzahl der vom Kläger besuchten anderen Veranstaltungen, wie den Volksversammlungen, den Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK und dem Geburtstag von Öcalan sowie den Märtyrergedenkfeiern, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, es wären zusätzliche Erkenntnisse darüber erforderlich, was der Kläger bei den Veranstaltungen getan habe, unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts waren bereits zum Zeitpunkt von dessen Entscheidung mehr als 13 Beteiligungen des Klägers an Veranstaltungen bekannt. Inzwischen sind es 20, die vom Landesamt für Verfassungsschutz benannt worden sind. Wie ausgeführt, kommt es zudem auf Anlass und Charakter der betreffenden Veranstaltungen an. In Anbetracht des konkreten Falles ist jedenfalls der Hinweis des Verwaltungsgerichts unverständlich, man könne einer Versammlung oder Veranstaltung auch „kopfschüttelnd“ zu Informationszwecken beiwohnen, ohne eine „unterstützende Haltung“ durch Applaus, Rufen von Parolen, Tragen von Schildern oder Transparenten einzunehmen. Dabei wird verkannt, dass bereits die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen wie den angeführten, welche erkennbar auch dazu dienen, die PKK einschließlich ihrer terroristischen Aktionen zu fördern, eine Unterstützung der PKK darstellt. Die durch die – auch rein passive – Teilnahme ausgedrückte innere Nähe und Verbundenheit zur PKK kann deren Stellung in der Gesellschaft, hier insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, günstig beeinflussen, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld erweitern und dadurch insgesamt dazu beitragen, das latente Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.).
59 
Soweit der Kläger vorträgt, die Vereine, bei denen er Mitglied gewesen und auch heute noch Mitglied sei und in deren Vorstand er gewesen sei, seien nicht verboten gewesen, er sei doch kein Terrorist und er habe auch nur an erlaubten Veranstaltungen teilgenommen, verkennt er, dass § 54 Nr. 5 AufenthG der effektiven Bekämpfung der Vorfeldunterstützung des internationalen Terrorismus durch Herabsetzen der Eingriffsschwelle dient. Sinn und Zweck ist die präventive Gefahrenabwehr. Für die Verwirklichung des Tatbestands kommt es danach weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.).
60 
In Anbetracht der bereits zur Überzeugung des Senats festgestellten Umstände kommt weiteren länger zurückliegenden Tatsachen wie etwa der Ingewahrsamnahme des Klägers anlässlich der Besetzung des griechischen Generalkonsulats nach der Festnahme von Öcalan am 16.02.1999 und der Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung im Jahr 2001 nur noch eine das Gesamtbild abrundende Bedeutung zu.
61 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Übrigen keinen Zweifel an seiner Verehrung von Abdullah Öcalan und seiner Anhängerschaft zur PKK gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass er auf Veranstaltungen wie die angeführten, auch solche zur Feier des Gründungsjahrestages der PKK, weiter gehen werde, solange diese nicht verboten seien. Seiner Meinung nach trete die PKK – wie auch er selbst – für die Freiheit der Kurden ein und sei nicht terroristisch. Wenn man die PKK als terroristisch ansähe, wäre er auch ein Terrorist. Soweit der Kläger mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er aber kein „Vertreter“ der PKK sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt.
62 
c) Die hiernach maßgeblichen Umstände – die Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeiten in den Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ...“ und die beschriebenen Teilnahmen an PKK-nahen Veranstaltungen – sind auch noch zu berücksichtigen, soweit sie bereits länger zurückliegen.
63 
Das Verwertungsverbot für getilgte Strafen nach § 51 Abs. 1 BZRG kann schon deshalb nicht greifen, weil der Kläger wegen der angeführten Umstände bzw. Aktivitäten nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ob seine Teilnahme an einer Demonstration der PKK in Dortmund am 16.03.1996 noch berücksichtigt werden könnte, obwohl die deswegen gegen den Kläger mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot verhängte Geldstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister getilgt ist, kann hier offen bleiben. Denn auf diese Tat kommt es in Anbetracht der Vielzahl von sonstigen maßgeblichen Tatsachen – wie die Teilnahme an den angeführten Veranstaltungen 2002 bis 2010 und die Vorstandstätigkeit sowie die Mitgliedschaft in den kurdischen Vereinen in H... – hier nicht an. Jedenfalls ist weder bei Unterstützungshandlungen, die strafbar gewesen wären, aber nicht zu einer Verurteilung geführt haben, noch bei den nicht mit einer Strafe bewehrten Aktivitäten eine „fiktive Tilgung“ mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG vorzunehmen (ausführlich dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - InfAuslR 2011, 193, m.w.N.; zu den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2010 - 19 A 1491/05 - AuAS 2011, 89; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2011 - 5 N 30.08 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -, juris – auch zum Fall einer möglichen Atypik im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
64 
Die länger zurückliegenden Tätigkeiten des Klägers sowie insbesondere seine Stellung als Vorstand in den Vereinen sind auch nicht aus anderen Gründen nicht mehr „verwertbar“. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen „Verbrauch“, etwa weil die Ausländerbehörde dem Kläger in Kenntnis der Ausweisungsgründe einen Aufenthaltstitel erteilt hätte (vgl. dazu GK-AufenthG, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 106 ff., m.w.N.). Soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.02.2011 die Aktivitäten des Klägers und seine Tätigkeiten in den Vereinsvorständen in solche bis zum Jahr 2002 und solche danach aufgeteilt und nur die neueren berücksichtigt worden sind, ist diese Aufteilung nicht nachvollziehbar. Da der Kläger noch im Mai Jahr 2002 als 2. Vorsitzender in den Vorstand des Vereins „E... ...“ gewählt wurde und diese Funktion danach mindestens ein Jahr lang - so seinen eigenen Angaben nach -, ausweislich des Vereinsregisters sogar bis zur Löschung des Vereins im Jahr 2007 innehatte, hätte diese Vorstandsmitgliedschaft ohnehin mit einbezogen werden müssen. Jedenfalls fehlt es schon in Anbetracht der bis heute andauernden Aktivitäten des Klägers in und für PKK-nahe Vereine in H... bzw. für die PKK und seiner fortdauernden Mitgliedschaft in den Nachfolgevereinen des Vereins „Kurd... V...“ an einer Zäsur, die zur Folge haben könnte, dass frühere Unterstützungshandlungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
65 
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Bestimmung des § 54 Nr. 5 AufenthG (anders als die des § 54 Nr. 5a AufenthG) grundsätzlich weder vom Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck, aber auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine vom Betroffenen ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefährdung voraussetzt. Eine “gegenwärtige Gefährlichkeit“ muss nur dann festgestellt werden, wenn eine vergangene Mitgliedschaft des Ausländers oder zurückliegende Unterstützungshandlungen (außerhalb einer Mitgliedschaft) zu beurteilen sind (ausführlich dazu Urteile des Senats vom 25.05.2011- 11 S 308/11 - und vom 21.04.2010 - 11 S 200/11 - jew. a.a.O.). Wegen der fortdauernden Unterstützungshandlungen des Klägers und seiner ständigen Präsenz bei lokalen PKK-Veranstaltungen liegt eine solche im Übrigen hier eindeutig vor.
III.
66 
Die Entscheidung, den Kläger wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG auszuweisen, lässt sich rechtlich nicht beanstanden.
67 
1. Das Regierungspräsidiums ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 55 AufenthG über die Ausweisung zu entscheiden hat.
68 
a) Offen bleiben kann, ob schon deshalb Ermessen auszuüben ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 54 AufenthG gegeben ist. Allerdings geht das Regierungspräsidium zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst davon aus, dass der Kläger jedenfalls derzeit „aus familiären Gründen“ (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK), und zwar vor allem im Hinblick auf sein jüngstes, noch minderjähriges Kind A..., welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat, nicht abgeschoben werden kann. Mit Schreiben vom 02.12.2011 hat das dafür zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, dass dem Kläger daher eine Duldung erteilt werde. Das Vorliegen eines Duldungsgrundes oder eines Abschiebungsverbots führt zwar nicht zur Unzulässigkeit einer Ausweisung, kann aber atypische Umstände in Bezug auf den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG begründen (so zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG: Beschluss des Senats vom 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - InfAuslR 2011, 19; Urteil des Senats vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - a.a.O., m.w.N.¸ vgl. zur Atypik auch GK-AufenthG, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 50 ff., 124 ff.) mit der Folge, dass der Betreffende nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Ob deshalb oder aus anderen Gründen von einer Atypik auszugehen ist, bedarf hier aber keiner anschließenden Klärung.
69 
b) Denn die Entscheidung über die Ausweisung des Klägers hat bereits mit Blick auf den dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG nach Ermessen zu erfolgen.
70 
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unstreitig nicht vor, weil der Kläger nicht „im Besitz“ einer Niederlassungserlaubnis ist. Weil er mit seinem jüngsten, am ...2005 geborenen deutschen Sohn A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kommt ihm aber nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderer Ausweisungsschutz zu. Er kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen solche Gründe in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vorliegen, nach Ermessen über die Ausweisung zu entscheiden.
71 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der der Kläger trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter an PKK-nahen Veranstaltungen teilgenommen hat, und der in der mündlichen Verhandlung von ihm demonstrierten tiefen Verehrung von Öcalan und Anhängerschaft zur PKK ist damit zu rechnen, dass der Kläger weiter die PKK unterstützt.
72 
2. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung ist vom Regierungspräsidium in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden (§ 114 Satz 1 VwGO).
73 
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind bei der nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zur Ermessensausweisung herabgestuften Regelausweisung die vom Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einerseits und dessen private schutzwürdige Belange andererseits auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Beschluss vom 21.01.2011 - 1 B 17.10, 1 PKH 8/10 - juris, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300).
74 
Danach sind hier zugunsten des Klägers in erster Linie seine Familie bzw. seine familiären Bindungen zu berücksichtigen. Seine Ehefrau und fast alle Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nicht nur der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsgenhöriger; vielmehr hat sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat inzwischen auch seine älteste Tochter einbürgern lassen, bei einer anderen laufe derzeit das Einbürgerungsverfahren. Der Kläger hat berichtet, noch mit allen Kindern in einem Haushalt zu leben. Diesen Umständen, denen sicherlich eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, hat das Regierungspräsidium Stuttgart jedoch hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der von ihm angestellten und in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen hat es auch alle anderen relevanten Belange eingestellt und zutreffend gewichtet.
75 
Zwar hat das Regierungspräsidium in der Ausgangsentscheidung noch angenommen, dass der Kläger auch tatsächlich ausreisen müsse. Es hat aber später allein darauf abgestellt, dass er mit Rücksicht auf seine familiäre Situation nicht abgeschoben werden könne. Im Hinblick darauf ist dem Kläger inzwischen die Duldung aus familiären Gründen erteilt worden. In der mündlichen Verhandlung ist zudem die im Bescheid vom 10.06.2010 verfügte Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bis auf Weiteres – das bedeutet jedenfalls solange seinen familiären Belangen insbesondere im Hinblick auf das jüngste deutsche Kind keine geringere Bedeutung einzuräumen ist oder sich andere maßgebliche Umstände ändern – zumindest geduldet wird und seine Familie nicht verlassen muss. Die Ausweisung ist damit schon deshalb auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
76 
Die Entscheidung, den Kläger auszuweisen, begegnet auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil sich das in erster Linie mit einer Ausweisung verfolgte Ziel, die von dem betreffenden Ausländer ausgehende (Wiederholungs-) Gefahr mit der Ausreise zu bannen, hier bis auf Weiteres nicht verwirklichen lässt. Denn immerhin wird mit der Ausweisung zum einen konsequent jeder Aufenthaltsverfestigung entgegengewirkt, zum anderen werden dadurch die Aufenthaltsbeschränkungen des § 54a AufenthG ausgelöst bzw. der Erlass entsprechender Überwachungsmaßnahmen ermöglicht (Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O., ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 10.07.2009 - 10 ZB 09.950 - juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49).
77 
Auch die sonstigen Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Ausweisungsverfügung selbstständig tragend auf den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt sei und dass für diese schon allein die angestellten spezialpräventiven Erwägungen ausschlaggebend seien. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Klägers und schutzwürdige persönliche wirtschaftliche und sonstige Bindungen (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) wurden eingestellt und zutreffend gewürdigt. Dabei durfte zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass dieser nur sehr schlecht Deutsch spricht, lediglich wechselnden und unqualifizierten Berufstätigkeiten nachgegangen ist und offensichtlich bis heute nur im Umfeld seiner kurdischen Landsleute und „des Vereins“ Umgang und Bekanntschaften pflegt.
78 
Beim Kläger handelt es sich zwar um keine führende Persönlichkeit in der PKK. Angesichts seiner jahrelangen Unterstützung der PKK, der beschriebenen Hartnäckigkeit, mit der er trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter einschlägige Veranstaltungen besucht hat, und der deshalb weiter bestehenden gegenwärtigen Gefährlichkeit im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erweist sich die Ausweisung aber auch in Ansehung des langjährigen Aufenthalts des Klägers und insbesondere seiner familiären Bindungen nicht als unverhältnismäßig, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht weiter geduldet würde (vgl. dazu auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - 41548/06 - [Trabelsi]).
IV.
79 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
80 
Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht odernicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
81 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/ Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
82 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
83 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).
84 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
85 
Die hier vom Senat allein zu beurteilende Ausweisungsverfügung bleibt nach dem Vorgesagten aber hiervon unberührt.
B)
86 
Die Klage gegen die die Meldeauflage sowie die räumliche Beschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids vom 10.06.2010 ist vom Verwaltungsgericht zu Recht als zulässig angesehen worden. Beide Verfügungen stellen die gesetzlichen Pflichten des § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. § 54a Abs. 2 AufenthG konkretisierende Regelungen dar (ebenso Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.).
87 
Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zwar setzen beide Maßnahmen voraus, dass die Ausweisung sofort vollziehbar ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.11.2010 - 11 S 2481/10 - juris). Dementsprechend wurde auch unter Ziffer 5 des Bescheids vom 10.06.2011 die sofortige Vollziehung angeordnet, weshalb zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Verfügung unter dem hier zu behandelnden Aspekt nicht zu beanstanden war. Allerdings wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.11.2010 (11 K 2430/10 - juris) unter anderem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung nunmehr allein wegen der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausweisung vorübergehend als rechtswidrig anzusehen wären. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Senatsurteils wäre die Erlassvoraussetzung der Vollziehbarkeit wieder erfüllt. Namentlich müsste in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden in einem von den Beteiligten angestrengten Revisionsverfahren das Bundesverwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit ihrem Erlass notwendigerweise rechtkräftig wird, die Klage gegen die auf § 54a AufenthG gestützten Maßnahmen als unbegründet abweisen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung galt bzw. gilt lediglich vorläufig – bis zum Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft der Ausweisung. Dies legt ein Verständnis der aufschiebenden Wirkung nahe, nach welchem auch die Folgemaßnahmen nach § 54a AufenthG vom Wiedereintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung bezüglich der Ausweisung in ihrer Wirksamkeit nur vorläufig suspendiert sind, selbst wenn die aufschiebende Wirkung insoweit nicht ausdrücklich angeordnet wurde (ebenso zu vergleichbaren verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellationen Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 80 Rn. 31; Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 23). Schließlich würden die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung nach § 54a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG auch ohne Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt, wie sie hier erfolgt ist, unmittelbar mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung kraft Gesetzes (wieder) eintreten. Weitergehende Rechtswirkungen müssen der aufschiebenden Wirkung im Interesse des Betroffenen, insbesondere aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung, nicht beigemessen werden.
88 
In Anbetracht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der aktuell bestehenden Gefahr weiterer Unterstützung der PKK durch den Kläger lassen sich die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden; sie verstoßen insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO.
90 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
91 
Beschluss
92 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 und 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
93 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. September 2015 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er sofort vollziehbar aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung aus der Haft heraus angeordnet und für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, unter Fristsetzung die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet ist.

Der Antragsgegner hat am 18. November 2016 mitgeteilt, dass der Antragsteller am 17. November 2016 in den Kosovo abgeschoben worden ist.

Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen unabhängig von der Frage der Zulässigkeit seines unveränderten Eilrechtsschutzantrags nach bereits vollzogener Abschiebung (vgl. dazu Discher in Gemeinschaftskommentar AufenthG, Stand: August 2016, II - Vor §§ 53 ff. Rn. 1592 ff.) nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege, weil die Klage des Antragstellers gegen den Ausweisungsbescheid voraussichtlich erfolglos bleiben werde. Die Ausweisung erweise sich gemessen an den Bestimmungen der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) voraussichtlich als rechtmäßig, weil die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet ergebe, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiege. Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG erforderliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei gegeben. Beim Antragsteller bestehe eine erhebliche konkrete Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten gegen das Eigentum, aber auch gegen die körperliche Unversehrtheit. Er sei in den Jahren 1993 bis 1998 insgesamt 9 Mal wegen verschiedener Delikte wie Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, versuchte Nötigung, versuchte Strafvereitelung und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden. Trotz der gegen ihn verhängten Maßnahmen (Geld- und Bewährungsstrafen) sei er immer wieder straffällig geworden. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts L. vom 19. September 2012 sei er dann u. a. wegen schweren Bandendiebstahls in sechs tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Diese Delikte hätten der Antragsteller und seine Mittäter im Rahmen organisierter Kriminalität begangen; dabei hätten sie eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt und über einen langen Zeitraum arbeitsteilig und professionell zusammengewirkt. Die insbesondere von schwerem Bandendiebstahl aber auch gefährlicher Körperverletzung ausgehenden Gefahren seien schwerwiegend und berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Annahme einer Wiederholungsgefahr stehe nicht entgegen, dass zwischen den Vorverurteilungen und dem Strafurteil des Landgerichts ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren liege. Zum einen sei für die vorliegende Prognose der Nachweis lückenloser Verurteilungen nicht notwendig. Zum anderen reichten für die angestellte Gefahrenprognose allein schon die vom Antragsteller ab 2010 verwirklichten Delikte aus. Die Teilnahme des Antragstellers an Maßnahmen zur Tataufbereitung und Rückfallvermeidung führe ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Bei der somit anzustellenden Gesamtabwägung erweise sich die Ausweisung des Antragstellers trotz seiner schwerwiegenden Bleibeinteressen voraussichtlich als rechtmäßig. Einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 Buchst. a AufenthG stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG gegenüber. Nach der Haftentlassung habe er die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinen Kindern, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten, wiederhergestellt. Im Hinblick auf die Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten und wegen der konkreten Gefahr der Begehung erneuter schwerer Diebstahlsdelikte sei jedoch dem Ausweisungsinteresse der Vorrang einzuräumen. Auch generalpräventive Gründe sprächen für die Ausweisung. Gerade bei Straftaten der organisierten Kriminalität wie denjenigen des Antragstellers bestehe ein dringendes Bedürfnis für die Abschreckung anderer Ausländer vor ähnlichen Straftaten. Auch die Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid sei nicht zu beanstanden.

Demgegenüber rügt der Antragsteller mit der Beschwerde, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose sei fehlerhaft, weil das Gericht wesentliche Aspekte außer Acht gelassen habe. Es habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass er lediglich einmal wegen eines Aggressionsdeliktes im August 1994 - also vor über 22 Jahren - verurteilt worden sei und die in den Jahren 1993 bis 1995 weiter begangenen Straftaten von geringem Gewicht gewesen seien. Ebenso wenig sei berücksichtigt worden, dass er sich dann bis zum Jahr 2010 straffrei geführt habe, was positiv zu würdigen sei. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die zuletzt abgeurteilten Straftaten schon mehr als sechs Jahre zurücklägen und er sich in der zwischenzeitlichen Haft gut geführt habe. Zudem habe die zuständige Strafvollstreckungskammer den Rest der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe mit Beschluss vom 5. November 2016 zur Bewährung ausgesetzt. Die Beurteilung der Strafvollstreckungskammer sei für die Gefahrenprognose von erheblichem tatsächlichem Gewicht. Unter Berücksichtigung der durch die Strafvollstreckungskammer in die Beurteilung eingestellten, für ihn günstigen Umstände (insbesondere beanstandungsfreie Führung im Strafvollzug, Teilnahme am Behandlungsangebot, geklärte Entlassungssituation) könnte auch hinsichtlich der Begehung von Eigentumsdelikten nicht mehr von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.

Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch nicht die Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Bei der von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eigenständig zu treffenden Prognose zur Wiederholungsgefahr sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (st. Rspr., vgl. z. B. BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 11 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B. v. 3.3.2016 a. a. O.; BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Gemessen daran kommt auch der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem Verhalten des Antragstellers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut jedenfalls durch vergleichbare gravierende Eigentumsdelikte die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen wird. Dahinstehen kann daher, ob insbesondere mit Blick auf die durch Urteil des Amtsgerichts E. vom 10. April 1995 abgeurteilte gefährliche Körperverletzung - der Antragsteller hatte mit einem Mittäter den Geschädigten auf brutale Weise zusammengeschlagen und dabei mit seinem Fuß mit erheblicher Wucht gegen den Kopf des Geschädigten getreten - auch hinsichtlich Körperverletzungsdelikten aktuell (noch) von einer konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung berücksichtigt, dass der Antragsteller schon in der Vergangenheit wiederholt und nicht nur mit Bagatelledelikten straffällig geworden ist und sich trotz zahlreicher - auch einschlägiger - Verurteilungen letztlich uneinsichtig und unbelehrbar gezeigt hat und als einer der führenden Köpfe einer organisierten Bande arbeitsteilig, professionell und mit hoher krimineller Energie über einen langen Zeitraum gravierende Einbruchsdiebstähle mit sehr hohem Beute- und Sachschaden beging. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist insoweit auch nach Auffassung des Senats nicht „positiv zu würdigen“, dass es beim Antragsteller in der Zwischenzeit nicht zu weiteren strafrechtlichen Verurteilungen gekommen ist. Der Einwand, die zuletzt abgeurteilten Straftaten lägen selbst schon über sechs Jahre zurück, geht schon deshalb ins Leere, weil sich der Antragsteller deswegen bis Anfang November 2016 in Strafhaft befand. Dieser Gefahrenprognose steht schließlich nicht entgegen, dass die zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 27. August 2016 die Vollstreckung des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe (von 7 Jahren 6 Monaten) aus dem Urteil des Landgerichts ab dem 5. November 2016 zur Bewährung (Bewährungszeit 5 Jahre) ausgesetzt hat. Auch wenn solche Entscheidungen - jenseits der Frage einer nicht gegebenen Bindungswirkung - grundsätzlich ein wesentliches Indiz auch bei der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose darstellen (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18; BayVGH, B. v. 3.3.2016 a. a. O. Rn. 13) ist die Annahme einer Wiederholungsgefahr beim Antragsteller gleichwohl (noch) gerechtfertigt. Denn die Strafvollstreckungskammer hat insbesondere aufgrund einer „im Wesentlichen beanstandungsfreien“ Führung während des Strafvollzugs, seiner Teilnahme am Behandlungsangebot der Vollzugsbehörde, der geklärten „Entlassungssituation“ sowie des glaubhaft vernünftigen Eindrucks während der Anhörungen die Auffassung vertreten, „dass der Verurteilte nochmals eine Bewährungschance verdient hat“. Auch wenn die Strafvollstreckungskammer damit beim Antragsteller die vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit unter den im Beschluss aufgeführten Auflagen als im Sinne einer nochmaligen Bewährungschance verantwortbar ansieht, fällt zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Beurteilung, ob es dem Antragsteller langfristig gelingen wird, auch über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen, derzeit negativ aus. Entscheidend dafür ist, dass er trotz mehrfacher strafrechtlicher Verurteilung und entsprechender „Warnschüsse“ sowie einer 1995 erfolgten Abschiebung (nach Albanien) auch nach einem längeren Zeitraum und der Geburt weiterer Söhne wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen ist und - im Übrigen ohne Rücksicht auf seine familiäre Situation - nunmehr sogar mit erheblich gesteigerter krimineller Energie massive Eigentumsdelikte als führender Kopf einer organisierten Bande begangen hat.

Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde weiter geltend macht, auch die Gewichtung des Bleibeinteresses durch das Verwaltungsgericht erweise sich bei der vorgenommenen Gesamtabwägung als rechtsfehlerhaft, weil der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Frau und seinen Kindern unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ausschlaggebende Bedeutung zukomme, greift dieser Einwand ebenfalls nicht durch. Entgegen diesem Vorbringen ist die angefochtene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG (nicht abschließend) aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Dazu hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller seine Interessen am Profit aus seinen Straftaten in der Vergangenheit über das Wohl seiner Familie gestellt und diese (Ehefrau) teilweise sogar für strafrechtliche Zwecke instrumentalisiert habe. Zutreffend ist auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die 1996, 2001 und 2003 geborenen Söhne des Antragstellers (mit deutscher Staatsangehörigkeit) hätten aufgrund der Inhaftierung des Antragstellers schon bisher wesentliche Abschnitte ihrer Kindheit bzw. Jugend (räumlich) getrennt von ihrem Vater verbringen müssen und könnten - im Gegensatz zu noch sehr kleinen Kindern - die Folgen der Ausweisung und der damit verbundenen räumlichen Trennung begreifen. Rechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Familie jedenfalls so mobil sei, um den Kontakt zum Ehemann und Vater - von Telefonaten und anderen Kommunikationsmedien abgesehen - auch durch Besuche zu halten, weshalb eine Fortsetzung der - schon während der Haft auf Besuchskontakte reduzierten - familiären Beziehungen „länderübergreifend“ möglich sei. Eine Fehlgewichtung der schützenswerten Belange aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vermag auch der Senat nach alledem nicht zu erkennen.

Schließlich sprechen beim Antragsteller nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts vor allem unter Berücksichtigung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten auch generalpräventive Erwägungen für die verfügte Ausweisung. Dieser Zweck, andere Ausländer von der Begehung ähnlicher (Banden-)Straftaten abzuhalten, fällt nicht etwa schon deshalb weg, weil seit der Begehung dieser Straftaten ein Zeitraum von inzwischen mehr als sechs Jahren verstrichen ist.

Soweit der Antragsteller schließlich rügt, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er nicht bosnisch-herzegowinischen Staatsangehöriger, sondern vielmehr staatenlos sei, weshalb seiner Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina auch ein rechtliches Hindernis entgegenstehe, verhilft auch das der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn der Antragsteller ist inzwischen nicht nach Bosnien-Herzegowina, sondern in den Kosovo und damit in einen anderen aufnahmebereiten Staat (s. § 59 Abs. 2 AufenthG) abgeschoben worden. Der Bezeichnung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung kommt insoweit keine Bindungswirkung zu (vgl. Kluth in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 15.8.2016, AufenthG § 59 Rn. 29). Ist - wie der Antragsteller geltend macht - seine Staatsangehörigkeit vielmehr ungeklärt, kann (noch) im Verfahren der Abschiebung geklärt werden, welcher Staat zur Übernahme bereit bzw. verpflichtet ist (vgl. Kluth, a. a. O., AufenthG § 59 Rn. 30).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

10

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

14

1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

15

1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

16

In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

17

Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

19

Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

20

1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

22

1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

30

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 29. März 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtigte beizuordnen.

Mit diesem Bescheid hat der Beklagte die Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus nach Afghanistan angeordnet (Nr. 1) und für den Fall, dass die Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich ist, mit einer Ausreisefrist von längstens einer Woche nach Haftentlassung die Abschiebung angedroht (Nr. 2). Die Wirkungen der Abschiebung wurden auf fünf Jahre nach Ausreise befristet (Nr. 3).

Die zulässige Beschwerde gegen den (ablehnenden) Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. September 2016 ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sowohl die Anordnung der Abschiebung aus der Haft nach Afghanistan als auch die Androhung der Abschiebung nach Afghanistan für den Fall, dass keine freiwillige Ausreise innerhalb der Ausreisefrist erfolgt, sind voraussichtlich rechtmäßig.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2010 vollziehbar ausreisepflichtig ist. Die Aufenthaltsgestattung des Klägers ist nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG mit der Bestandskraft des Bescheides vom 17. November 2010 erloschen. Die Ausreisepflicht folgt aus § 50 Abs. 1 AufenthG. Sie ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar.

Es liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG vor. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch die Anordnung bzw. Androhung einer Abschiebung nach Afghanistan zulässig (§ 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Insbesondere steht seiner Abschiebung nach Afghanistan nicht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 (Au 6 K 11.30299) entgegen. Mit diesem Urteil war das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpflichtet worden, festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Daraufhin erließ das Bundesamt den Bescheid vom 5. Juni 2012, in dem die entsprechende Feststellung getroffen wurde. Diesen Bescheid nahm das Bundesamt jedoch mit Bescheid vom 11. Juli 2014 zurück, weil die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG fehlerhaft gewesen sei (§ 73c Abs. 1 AsylG). Im Urteil des Landgerichts Kempten vom 5. Februar 2013 sei festgestellt worden, dass beim Kläger keinerlei objektive Anhaltspunkte vorlägen, die auf eine Krankheit, insbesondere eine psychische Störung oder auch eine Hirnschädigung, hinwiesen. Gegenüber dem Gutachter habe der Kläger zugestanden, dass er die psychischen Auffälligkeiten im Rahmen seines Abschiebungsverfahrens nur vorgebracht habe, um einer Abschiebung zu entgehen. Dies sei auch dadurch bestätigt worden, dass er sich im Rahmen des Abschiebungsverfahrens kurzfristig habe ins Bezirkskrankenhaus einweisen lassen, sich nach wenigen Tagen aber wieder selbst entlassen habe. Die Klage des Klägers gegen den Rücknahmebescheid vom 11. Juli 2014 blieb erfolglos (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2015 im Verfahren Au 6 K 14.30440).

Auf die im Beschwerdeverfahren aufgeworfene Frage, ob die Rücknahme des mit Bescheid vom 5. Juni 2012 festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch den Bescheid vom 11. Juli 2014 wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 rechtmäßig war, kommt es nicht an. Denn die Rücknahmeentscheidung des Bundesamtes vom 11. Juli 2014 ist ebenfalls rechtskräftig. Damit steht rechtskräftig fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Afghanistan nicht besteht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 ist durch den Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2012 umgesetzt worden. Die gerichtliche Entscheidung über die vom Kläger erhobene Klage auf Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezieht sich zwar nicht nur auf die begehrte Rechtsfolge (den Erlass des Verwaltungsaktes), sondern auch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Anspruchsgrundlage vorliegen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 121 Rn. 28). Die Bindungswirkung des rechtskräftigen Verpflichtungsurteil endet aber dann, wenn spätere Änderungen der Sach- oder Rechtslage (hier das vom Landgericht Kempten eingeholte Gutachten) zu einer neuen Entscheidungssituation führen (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 121 Rn. 71). Soweit der Kläger meint, die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 5. Juni 2012 durch den Bescheid des Bundesamtes vom 11. Juli 2014 hätten nicht vorgelegen (vgl. hierzu allgemein BVerwG, U. v. 9.11.2013 - 10 C 27/12 - juris Rn. 18 ff.), steht dem wiederum das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2015 entgegen, mit dem die Klage auf Aufhebung des Rücknahmebescheides abgewiesen wurde. Das Gericht hat in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 5. Juni 2012 vorlagen. Die nunmehr im Beschwerdeverfahren bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Abschiebungsanordnung bzw. -androhung vorgebrachten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 11. Juli 2014 hätten im diesbezüglichen Klageverfahren (Au 6 K 14.30440) vorgebracht werden müssen.

Bei der im Rahmen des Prozesskostenhilfeantrags gebotenen summarischen Überprüfung der Rechtslage wird voraussichtlich die Klage gegen Nr. 1 des Bescheides, mit der die Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus angeordnet wurde, auch insoweit ohne Erfolg bleiben, als ihm keine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob die Androhung bzw. Anordnung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach § 59 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ohne individuelle Prüfung der Überwachungsbedürftigkeit der Ausreise mit Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar ist (vgl. VGH BW, B. v. 30.8.2016 - 11 S 1660/16 - juris Rn. 7). Einen Widerspruch zu den Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG sieht der Senat insoweit nicht (vgl. Kluth in Beck´scher Online-Kommentar AuslR, Stand:

15.8.2016, AufenthG, § 59 Rn. 20 ff.; Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2016, AufenthG, § 59 Rn. 79, wenn wie hier die Haft als Folge der Begehung einer strafbaren Handlung verhängt worden ist; Hocks in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 59 Rn. 17). Während nach § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur unter den näher genannten Bedingungen von der Bestimmung einer angemessenen Ausreisefrist abgesehen werden kann, stellt § 59 Abs. 5 AufenthG einen speziellen Fall dar, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, Stand: August 2016, § 59 Rn. 141).

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. August 2016 - 12 K 5080/16 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage (12 K 4453/16) gegen die Abschiebungsandrohung gemäß Ziffern 2 und 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 5. Juli 2016 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat zwar bislang lediglich den Tenor seines Beschlusses vom 29.08.2016 an die Beteiligten übermittelt. Für die Einlegung der Beschwerde ist im vorliegenden Fall besonderer Eilbedürftigkeit nicht erforderlich, dass ein mit Gründen abgefasster Beschluss vorliegt. Mit der Zustellung des Tenors ist der Beschluss existent und wirksam und kann mit der Beschwerde angefochten werden (Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfaut/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 80 Rn. 102 Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 147 Rn. 3). Aufgrund der für heute vorgesehenen Abschiebung kann vom Antragsteller mangels eines begründeten Beschlusses des Verwaltungsgerichts auch nicht die Beachtung der Vorgaben des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt werden.
Die Beschwerde ist begründet. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und ist sachdienlich gerichtet gegen die Ziffern 2 und 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.06.2016 (vgl. auch § 123 Abs. 5 VwGO). Der Senat misst im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung dem Interesse des Antragstellers, vorläufig im Bundesgebiet bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verbleiben zu dürfen, höhere Bedeutung zu als dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der Verfügung. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand bestehen schon erhebliche Bedenken, ob dem Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Abschiebung in das Kosovo angedroht werden durfte (vgl. Ziffer 2 und 3 der Verfügung), weil aufgrund des am 26.07.2010 - und damit rechtzeitig - gestellten Antrags auf Verlängerung der bis 28.08.2010 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG eine noch heute wirksame Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bestehen könnte (1.). Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel, ob Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.07.2016, wonach dem Antragsteller die Abschiebung aus der Haft heraus in das Kosovo ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird, den Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) - RFRL - genügt (2.). Selbst wenn man grundsätzlich davon ausgehen würde, dass die Ausweisung zum Erlöschen der Fiktionswirkung geführt hat, bedarf die Ausweisung einer näheren Prüfung im Hauptsacheverfahren (3.).
1. Die Ausweisungsverfügung vom 05.07.2016, deren sofortige Vollziehung nicht angeordnet ist, geht davon aus, dass der Antragsteller seit mehreren Jahren nur noch im Besitz einer Duldung ist. Die Verfügung vom 05.07.2016 hat auch nicht die Ablehnung einer Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Gegenstand.
Aus der Ausländerakte der Stadt ... ist ersichtlich, dass über den wohl anfänglich nur mündlich gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 26.07.2010 (von diesem Tag datiert die Fiktionsbescheinigung) zunächst nicht entschieden worden war, weil die Sicherung des Lebensunterhalts zweifelhaft gewesen und der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Die in einem „Aktenvermerk“ niedergeschriebene „Erklärung über den Verzicht der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für eine Bewährungswährungszeit von vorerst 1/2 Jahr und dem Erhalt einer Duldung“ vom 12.04.2012 ist der Sache nach die Zusicherung einer Duldung für eine Bewährungszeit von sechs Monaten und einer erneuten Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, wobei für die Titelerteilung nach Ablauf der Bewährungszeit weitere Voraussetzung formuliert werden, die der Antragsteller erfüllen muss. Hierzu gehören unter anderem, dass er nach Ablauf der Bewährungszeit keine weiteren Straftaten begangen hat, den Lebensunterhalt und Wohnraum sichert sowie im Besitz eines gültigen Passes ist (vgl. im Einzelnen den genauen Wortlaut der Erklärung). Die in Aussicht gestellte Duldung und spätere Titelerteilung knüpfen an eine vorher erklärte Rücknahme des Verlängerungsantrags an. Für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG an einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer bzw. deren Zusicherung ist auch zum damaligen Zeitpunkt ausschließlich das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständig gewesen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 1 AAZuVO in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung). Die Zusicherung durch eine unzuständige Behörde hat deren Nichtigkeit zur Folge (§ 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 LVwVfG; siehe auch Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl., 2014, § 38 Rn. 21; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 38 Rn. 28). Des Weiteren und ungeachtet dessen spricht nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand alles dafür, dass die Zusicherung zudem wegen Verletzung des Schriftformerfordernisses unwirksam ist. Das Schriftformerfordernis bezweckt, dass sich die Behörde - vor allem im Hinblick auf die sich aus einer Zusicherung ergebenden Bindungswirkung - über deren Inhalt und Umfang klar wird und keine übereilten Zusagen erteilt; darüber hinaus dient das Erfordernis der Schriftform (vgl. insoweit § 37 Abs. 3 LVwVfG) der Rechtssicherheit (Stuhlfauth, a.a.O., § 38 Rn. 24 f.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 20). Die Erklärung vom 12.04.2012 ist vom damals 16 Jahre alten Antragsteller und einem Erziehungsberechtigten unterschrieben worden. Von Seiten der Stadt ... ist die Erklärung von einer Sachbearbeiterin gezeichnet worden, allerdings mit dem Zusatz „Belehrung durchgeführt“. Jedenfalls letzteres deutet darauf hin, dass sich die Unterschrift nur auf eine - nicht im Einzelnen dokumentierte - Belehrung bezogen hat und nicht die Zusage bestimmter Verwaltungsakte unterschrieben worden ist.
Sieht man die Zusicherung als nichtig an, so ist auch eine ggf. erklärte Rücknahme des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Teil der „Gesamtabmachung“ gewesen ist, voraussichtlich wirkungslos mit der Folge, dass dem Antrag vom 26.07.2010 über den 12.04.2012 hinaus die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zukommt.
Ob die Fiktionswirkung durch die wirksame Ausweisung vom 05.07.2016 in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen ist, kann angesichts des Umstands, dass der Senat innerhalb weniger Stunden über die Beschwerde entscheiden muss und die Meinungen in Literatur und Rechtsprechung hierzu uneinheitlich sind, nicht mit einer insoweit die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigenden Eindeutigkeit zu Lasten des Antragstellers beantwortet werden. Das in § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG gesetzlich angeordnete Erlöschen eines Aufenthaltstitels durch eine wirksame Ausweisung könnte im Wege eines „Erst-Recht-Schlusses“ auf die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG übertragen werden (so Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 81 Rn. 99, 63, 67 ; Hailbronner, AuslR, § 81 Rn. 24 ; wohl auch HambOVG, Beschluss vom 18.01.1995 - Bs V 262/94 -, juris Rn. 3 - zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 mwN). Die Gegenansicht verweist insbesondere darauf, die Regelung sei nicht analogiefähig (etwa Jakober/Welte, Aktuelles AuslR, § 81 Rn. 122 ; SchlHolstOVG, Beschluss vom 09.02.1993 - 4 M 146/92 -, juris Rn26 ff. - zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990; VG Augsburg, Beschluss vom 15.02.2010 - Au 1 S 10.217 -, juris Rn. 31 ff.). Soweit man bei der im vorliegenden Eilverfahren an dieser Stellung gebotenen günstigeren Betrachtungsweise für den Antragsteller ein Erlöschen der Fiktionswirkung verneint, liegen auch die Voraussetzungen einer Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor.
2. Es bestehen auch aus einem weiteren Grund erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.07.2016, die durch die für heute geplante Abschiebung vollzogen werden soll, und mit der dem Antragsteller die Abschiebung aus der Haft heraus in das Kosovo auf seine Kosten ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird. Ob die unter Hinweis auf § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG unterlassene Fristsetzung mit den unionsrechtlichen Anforderungen nach Art. 7 Abs. 4 RFRL für das Absehen von einer Frist zur freiwilligen Ausreise in Einklang steht, ist jedenfalls zweifelhaft.
Zwar hat das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Antragsteller unter dem 18.08.2016 unter Bezugnahme auf die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.07.2016 mitgeteilt, seine Rückführung sei am 30.08.2016 nach Pristina/Kosovo geplant. Hierin kann jedoch keine Ausreisefrist im Sinne des Art. 7 Abs. 1 RFRL gesehen werden. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 RFRL ist unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise in der Rückkehrentscheidung vorzusehen - und nicht an anderer Stelle. Die Ankündigung des Regierungspräsidiums Karlsruhe ist nicht Teil der Rückkehrentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL die Abschiebungsandrohung (vgl. etwa Urteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492 und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412; Beschluss vom 19.12.2012 - 1 S 2303/12 -, InfAuslR 2013, 98), die hier das Regierungspräsidium Stuttgart erlassen hat.
Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 RFRL davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen.
10 
Nach Art. 7 Abs. 4 RFRL darf daher von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem nur dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. -, NVwZ 2015, 1200, Rn. 60). Die Annahme dieser Voraussetzungen verlangt nach der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des EuGH zwingend eine individuelle Prüfung des Einzelfalls und kann nicht - wie dies das nationale Recht in § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG vorsieht - allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)haft befindet (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn.70 ff.; vgl. zur Notwendigkeit der Einzelfallprüfung auch Urteil vom 21.03.2013 - C-522/11 - Mbaye -, Rn. 31 f.; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 7 Rn. 14). Diese konkrete Einzelfallprüfung hat die zuständige Behörde bislang nicht vorgenommen. Demgemäß ist auch die nach Unionsrecht wohl erforderliche Ermessensentscheidung nicht getroffen worden.
11 
Ob die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers in § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Schluss zulässt, dass jedenfalls in den Fällen des Strafvollzugs typisierend von einer Fluchtgefahr im Sinne des Art. 7 Abs. 4 RFRL ausgegangen werden darf, die ebenfalls ein Absehen von der Einräumung einer Frist zur freiwilligen Ausreise zulässt, dürfte mit Blick auf die Anforderungen an die Feststellung des Vorliegens der Fluchtgefahr im Sinne der Rückführungsrichtlinie (vgl. Art. 3 Nr. 7, Art. 15 Abs. 1 lit. a) RFRL sowie etwa EuGH, Urteil vom 05.06.2014 - C-146/14 PPU - Mahdi; Mananashvili, in: Hailbronner/Thym, a.a.O., Art. 15 Rn. 32 ff.) äußerst zweifelhaft und angesichts der vielfältigen und höchst unterschiedlichen persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände der jeweils Inhaftierten zu verneinen sei.
12 
Jedenfalls bedarf es hier keiner abschließenden Erörterung, ob die Rückführungsrichtlinie - vor allem auch mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Art. 7 Abs. 4 und Art 8 RFRL - verlangt, immer dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 RFRL für ein Absehen von jeglicher Fristsetzung nicht vorliegen, tatsächlich eine freiwillige Ausreise aus der Haft zu ermöglichen (vgl. auch den 10. Erwägungsgrund). Festzuhalten bleibt, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Fluchtgefahr und für die Bejahung einer Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht identisch sind (vgl. Lutz, a.a.O., Art. 7 Rn. 14).
13 
3. Selbst wenn man im Übrigen entgegen den Ausführungen oben unter 1. annehmen würde, dass die Ausweisung zum Erlöschen der durch den Verlängerungsantrag ausgelösten Fiktionswirkung geführt hätte, ist mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung geboten (Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 84 Rn. 60 ). Zum jetzigen Verfahrenszeitpunkt spricht zwar einiges dafür, dass das Regierungspräsidium Stuttgart im Ergebnis die Ausweisung zurecht verfügt haben könnte. Dies bedarf aber einer weiterer Aufklärung, die hier nur im Hauptsacheverfahren geleistet werden und ggfs. etwa die Beiziehung der Akten aus dem Vollzug und die persönliche Anhörung des Antragstellers erfordern kann.
14 
Der Antragsteller hat schon im Alter von 13 Jahren begonnen - meist im Zusammenwirken mit anderen - gegen Strafrecht zu verstoßen. So gehörten vor allem Diebstähle und „Schwarzfahrten“ zu seinen „Einstiegsdelikten“. Seine kriminelle Karriere steigerte sich in der Folgezeit und führte zu weiteren Verurteilungen (vgl. im Einzelnen Bl. 4 der Ausweisungsverfügung sowie ausführlich zur strafrechtlichen Biographie das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Stuttgart - 2. große Jugendkammer - vom 09.02.2016 - 2 Ns 45 Js 69100/15 Hw -). Es gibt aber Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr durch die Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten und vor allem durch deren Vollzug (im Anschluss an die Untersuchungshaft ab 16.07.2015 in der JVA ..., ab 16.02.2016 in der JVA ...) die bisherigen Fehlentwicklungen des am ...1995 geborenen Antragstellers eine Korrektur erfahren haben (vgl. ausführlich zu den bislang gegebenen Defiziten, wie z.B. in der persönlichen Entwicklung und Tagesstruktur, das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Stuttgart - 2. große Jugendkammer - vom 09.02.2016, a.a.O.). Unter dem Einfluss der erstmaligen Erfahrung der Verbüßung einer Jugendstrafe und der erzieherischen Wirkungen des Jugendstrafvollzugs (siehe etwa die Stellungnahme der JVA - Zugangsabteilung - zum Erziehungsplan vom 22.02.2016) hat sich der Antragsteller - wohl -positiv entwickelt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Schreiben der JVA ... vom 03.06.2016 an das Regierungspräsidium Stuttgart, sondern auch aus der Stellungnahme der Hauskonferenz der JVA vom 18.07.2016 zur bedingten Entlassung. Danach wird dem Antragsteller eine positive Entwicklung während der bisherigen Inhaftierung bescheinigt und eine bedingte Entlassung trotz der noch ungeklärten ausländerrechtlichen Situation befürwortet, wenn die Nachweise über den Wohnsitz und Arbeitsplatz/Ausbildungsplatz vorgelegt würden. Dass der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Jugendstrafe zur Bewährung mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 17.08.2016 abgelehnt worden ist, beruht nach der Begründung des Beschlusses ausschließlich darauf, dass er ausgewiesen und vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sowie durch das Amtsgericht ... zur Abschiebung freigegeben sei, weshalb es an einer legalen Perspektive in Deutschland fehle. Die Einschätzung der JVA ... zur Entwicklung des Antragstellers wird hierdurch nicht infrage gestellt.
15 
Ob die dem Antragsteller von der JVA ... attestierte positive Entwicklung nachhaltig ist und es ggfs. gebieten könnte, die Frage, welcher Grad der Wiederholungsgefahr vom ihm ausgeht, abweichend vom Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung vom 05.07.2016 zu beantworten, muss dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben.
16 
Die Kostenentscheidung folge aus § 154 Abs. 1 VwGO.
17 
De Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

Tatbestand

1

Der im Jahr 1974 in Deutschland geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung.

2

Der Kläger wuchs bei seinen Eltern im Bundesgebiet auf. Er besuchte zunächst eine Förderschule und im Anschluss daran das Berufsgrundschuljahr, das er ohne Abschluss beendete. Eine Berufsausbildung absolvierte er nicht. Er arbeitete jeweils nur für kurze Zeiträume, war überwiegend arbeitslos. Ihm wurden mehrere befristete Aufenthaltserlaubnisse erteilt, zuletzt bis zum 20. Oktober 1999. Sein Verlängerungsantrag vom 12. Oktober 1999 wurde nicht mehr beschieden.

3

Der unverheiratete und kinderlose Kläger ist drogenabhängig. Er konsumierte nach eigenen Angaben seit seinem dreizehnten Lebensjahr zunächst Haschisch und seit seinem sechzehnten Lebensjahr Heroin. Seit mehr als 20 Jahren ist er immer wieder straffällig geworden, überwiegend wegen Drogen- und Eigentumsdelikten. Er verbrachte viele Jahre in Strafhaft und begann mehrfach Drogentherapien, allerdings ohne Erfolg. Im Juni 2007 wurde er zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt, u.a. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wofür eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und einem Monat verhängt wurde.

4

Die Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 16. September 2008 aus und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des Klägers sei nach Ermessen zu entscheiden, weil er als Kind türkischer Arbeitnehmer ein aus dem Assoziationsratsbeschluss ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht besitze. Zudem genieße er aufgrund seiner Geburt in Deutschland besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Sein in den begangenen Straftaten zum Ausdruck gekommenes Verhalten stelle eine hinreichend schwere Gefährdung dar. Er sei in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich dabei weder durch strafrechtliche Verurteilungen noch durch ausländerbehördliche Ermahnungen und Hinweise auf die Konsequenzen erneuten strafbaren Verhaltens von der Verübung weiterer Taten abhalten lassen. Zudem habe er in den letzten Jahren keine ernsthaften Bemühungen unternommen, um von seinem Drogenkonsum loszukommen.

5

Das Verwaltungsgericht hat die gegen den Ausweisungsbescheid gerichtete Klage abgewiesen, das Oberverwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 22. März 2012 zurückgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hält die Ausweisung auch ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens für formell rechtmäßig, weil trotz der Rechtsstellung des Klägers nach Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 die Richtlinie 64/221/EWG auf ihn nicht mehr anwendbar sei. Wegen der fortbestehenden Gefahr der Betäubungsmittelkriminalität des Klägers sei die Ausweisung auch materiell rechtmäßig nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80. Der Kläger habe neben dem Besitz sog. harter Drogen auch mit Heroin gehandelt, um seinen eigenen Drogenbedarf zu finanzieren. Von ihm gehe die Gefahr weiterer erheblicher Straftaten aus. Er habe seit nunmehr über 22 Jahren immer wieder Straftaten begangen und sich davon durch Ermahnungen, Verurteilungen, Strafhaft und Anhörungen zur drohenden Ausweisung nicht abhalten lassen. Die Ermessensentscheidung der Beklagten sei auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht zu beanstanden, dass der Kläger sein ganzes Leben in Deutschland verbracht habe und hier seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister lebten. Die Ausweisung sei trotz Fehlens einer Befristung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar.

6

Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin die Aufhebung der Ausweisung. Hilfsweise erstrebt er die Befristung ihrer Wirkungen auf maximal vier Jahre. Er begründet dies im Wesentlichen damit, die Ausweisung sei formell rechtswidrig, weil kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden sei. Das verstoße gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG. Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. Dezember 2011 in der Sache Ziebell stehe dem nicht entgegen, denn es beziehe sich nur auf die materiellen Voraussetzungen der Ausweisung. Der Wegfall des Widerspruchsverfahrens verstoße zudem gegen die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80. Die Fortgeltung der Verfahrensgarantien für türkische Staatsangehörige, die eine geschützte Rechtsstellung nach dem Assoziationsrecht besitzen, verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Assoziationsabkommen vom 12. September 1963, denn freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige hätten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz. Das angefochtene Urteil verletze Bundesrecht auch deshalb, weil es eine unbefristete Ausweisung bestätige. Das verstoße gegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG und gegen Art. 11 der Richtlinie 2008/115/EG. Der deutsche Gesetzgeber habe nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Ausländer, die aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung ausgewiesen werden, grundsätzlich von der in der Richtlinie vorgegebenen Höchstfrist von fünf Jahren für die zu verhängende Einreisesperre auszunehmen.

7

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Im Verlauf des Revisionsverfahrens hat sie mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2012 die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers, befristet. Der Kläger ist dem entgegengetreten und hält allenfalls eine Befristung von maximal vier Jahren für zulässig.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf einen Zeitraum von weniger als sieben Jahren zu befristen (2.).

9

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 12 m.w.N.). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Bestimmungen aber nicht geändert.

10

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation - ARB 1/80.

11

1.1 Der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen im Bundesgebiet bei seinen Eltern aufgewachsen, sein Vater war mindestens von 1969 bis 1990 türkischer Arbeitnehmer. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG vor.

12

1.2 Der Kläger begeht seit vielen Jahren regelmäßig Drogenstraftaten, die ihre Ursache in seiner Drogenabhängigkeit haben. Dazu zählen nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts neben Straftaten des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln auch solche des unerlaubten Handeltreibens mit Heroin (in zwei Fällen) und der unerlaubten Abgabe von Heroin (in einem Fall). Die Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit der Bürger nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Der Gerichtshof der Europäischen Union sieht in der Rauschgiftsucht ein "großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit" (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - Rs. C-145/09, Tsakouridis - NVwZ 2011, 221 Rn. 47). Die Mitgliedstaaten dürfen daher die unerlaubte Verwendung von Betäubungsmitteln als eine Gefahr für die Gesellschaft ansehen, die besondere Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Ordnung gegen Ausländer rechtfertigt, die gegen Vorschriften über Betäubungsmittel verstoßen. Dabei zählt der illegale Drogenhandel zu den Straftaten, die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV als Bereiche besonders schwerer Kriminalität genannt werden. Diese können als schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden und die Ausweisung von Personen rechtfertigen, die entsprechende Straftaten begangen haben (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Mai 2012 - Rs. C-348/09, P.I. - NVwZ 2012, 1095 Rn. 28). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht den Handel mit Betäubungsmitteln als schwerwiegende Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Interessen an (vgl. Urteile vom 3. November 2011 - Nr. 28770/05, Arvelo Aponte/Niederlande - Rn. 58 und vom 12. Januar 2010 - Nr. 47486/06, Khan/Vereinigtes Königreich - InfAuslR 2010, 369 Rn. 40 m.w.N.).

13

Nach diesen Maßstäben stellt das persönliche Verhalten des Klägers eine schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des Art. 14 ARB 1/80 dar. Die meisten der von ihm begangenen Drogenstraftaten beschränken sich zwar auf den unerlaubten Erwerb und Besitz von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum. Der Kläger hat sich aber auch am unerlaubten Handel und der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte beteiligt, wobei es sich bei der gehandelten bzw. abgegebenen Droge überwiegend um das besonders gefährliche Heroin handelte.

14

1.3 Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise für den Kläger die Gefahr der Wiederholung seines strafbaren Verhaltens sowohl im Bereich der Beschaffungskriminalität als auch im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität bejaht. Seine Prognose hat das Berufungsgericht aus dem Fehlen einer grundlegenden Verhaltensänderung des Klägers abgeleitet, insbesondere aus dem Fehlen nachhaltiger Bemühungen, sich durch geeignete Therapiemaßnahmen aus der Betäubungsmittelabhängigkeit zu lösen. Die Gefahr der Begehung weiterer Straftaten der beschriebenen Art stellt - wie ausgeführt - eine schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Von den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Senat - nachdem der Kläger keine Verfahrensrügen erhoben hat - gemäß § 137 Abs. 2 VwGO auszugehen.

15

1.4 Die Ausweisung des Klägers erweist sich auch unter Würdigung seiner schützenswerten Belange als unerlässlich, um das oben näher beschriebene Grundinteresse der Gesellschaft zu wahren (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Das Berufungsgericht hat die schützenswerten Belange des Klägers, die sich auf sein Privat- und Familienleben beziehen, unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des EGMR entwickelten Kriterien umfassend gewürdigt. Es hat in den Blick genommen, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die deutsche Sprache beherrscht und seine gesamte Erziehung und Sozialisation in Deutschland erfahren hat. Das Gericht hat auch die familiären Bindungen des Klägers an seine in Deutschland lebende Mutter und seine erwachsenen Geschwister berücksichtigt. Bei der Bewertung der Integration des Klägers in Deutschland war für das Berufungsgericht von Bedeutung, dass er hier keinen Schulabschluss erzielte, keine Berufsausbildung absolviert hat und einer Berufstätigkeit allenfalls kurzzeitig nachgegangen ist. Für die Möglichkeit eines Lebens in der Türkei spielte für das Gericht eine Rolle, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen über türkische Sprachkenntnisse verfügt und mit den Gepflogenheiten in der Türkei vertraut ist, was sich auch darin zeige, dass er in der Vergangenheit versucht habe, eine türkischsprachige Therapieeinrichtung zu finden, in der auf seine Suchtproblematik unter Berücksichtigung seiner kulturellen Herkunft eingegangen werden könne. Zudem lebten in der Türkei ihm bekannte Personen, die ihm jedenfalls in der ersten Zeit der Eingewöhnung zur Seite stehen könnten. Die unter Abwägung der öffentlichen und privaten Belange getroffene Wertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger eine Ausreise in die Türkei zuzumuten sei, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

16

1.5 Die Ermessensausübung der Beklagten im Ausweisungsbescheid vom 16. September 2008 lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Die Beklagte geht von einem aus dem Assoziationsrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht des Klägers nach Art. 7 ARB 1/80 aus und misst die Rechtmäßigkeit der Ausweisung am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80. Sie erkennt die Notwendigkeit einer Ermessensentscheidung und beachtet deren gesetzliche Grenzen. Die erfolgte Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Abwehr der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter Leben und Gesundheit im Fall der Fortsetzung des illegalen Drogenhandels gegen das Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland ist rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Begründung des öffentlichen Interesses stützt sich die Beklagte ausschließlich auf Gefahren, die vom Kläger selbst ausgehen und nicht auf generalpräventive Gründe.

17

1.6 Entgegen der Auffassung der Revision ist auch das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden.

18

Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen. In dem hier vorliegenden Fall hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 16. September 2008 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr.

19

Es kann offenbleiben, ob sich für assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige die unionsrechtlichen Anforderungen an den Rechtsschutz gegen Ausweisungsentscheidungen nunmehr nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG (betreffend langfristig Aufenthaltsberechtigte) oder nach Art. 31 der Richtlinie 2004/38/EG (betreffend Unionsbürger) bestimmen. Denn in keiner dieser Vorschriften ist die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme vorgeschrieben. Das hat der Senat in dem mit den Parteien in der mündlichen Verhandlung erörterten Urteil vom 13. Dezember 2012 (BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 29 f.) näher dargelegt; darauf wird Bezug genommen.

20

Im Übrigen trifft die vom Kläger in der Revisionsbegründung vertretene Auffassung nicht zu, eine verfahrensmäßige Besserstellung von assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen verstoße nicht gegen das Besserstellungsverbot des Art. 59 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP, weil freizügigkeitsberechtigte EU-Staatsangehörige gegenüber den assoziationsrechtlich Begünstigten einen höheren materiellen Ausweisungsschutz besäßen. Denn soweit Unionsbürger nach der Richtlinie 2004/38/EG gegenüber Berechtigten nach dem Assoziationsrecht EWG-Türkei einen erhöhten materiellen Ausweisungsschutz genießen, beruht dieser nicht auf dem wirtschaftlich begründeten Freizügigkeitsrecht von Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten, sondern auf der besonderen Rechtsstellung der Unionsbürger, mit der die assoziationsrechtlich begünstigten türkischen Staatsangehörigen keine Gleichstellung verlangen können (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2013, 422 Rn. 68 - 74). Dem stehen auch die durch das Assoziationsrecht getroffenen völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union zum Stillstandsgebot nicht entgegen. Jedenfalls in dem Umfang, in dem sich die Vertragsparteien EWG und Türkei in Art. 59 ZP völkerrechtlich zur Beachtung des Besserstellungsverbots verpflichtet haben, durfte die Union den Wegfall einer Regelung zum außergerichtlichen Rechtsschutz, der für die Angehörigen ihrer Mitgliedstaaten geschaffen worden war, auch mit Wirkung für die Berechtigten nach dem ARB 1/80 entfallen lassen (so schon Beschluss vom 15. April 2013 - BVerwG 1 B 22.12 - Rn. 14). Einer von der Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angeregten Klärung durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH bedarf es insoweit nicht, da die Rechtslage aufgrund der bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs offenkundig ist ("acte clair").

21

Auch aus den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP ergibt sich nicht, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsrechtlich privilegierter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden ist. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 22 ff.; vom 13. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 33 und vom 15. Januar 2013 - BVerwG 1 C 10.12 - NVwZ-RR 2013, 435 Rn. 23 f.) und wurde ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 33) näher dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

22

Der Rechtsauffassung der Kommission in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2006 in der Rechtssache Polat (Rs. C-349/06), auf die sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bezogen hat, wonach die Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG durch die Unionsbürgerrichtlinie auf die Auslegung des Assoziationsabkommens und die auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsakte keinen Einfluss habe, ist der EuGH nicht gefolgt. Vielmehr hat er für Regelungen zum Ausweisungsschutz, bei denen die für Unionsbürger geltenden Bestimmungen der Richtlinie 2004/38/EG im Hinblick auf ihren Gegenstand und Zweck nicht auf Berechtigte nach dem Assoziationsrecht EWG - Türkei übertragbar sind, Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als neuen unionsrechtlichen Bezugsrahmen bestimmt, nicht aber die außer Kraft getretenen Bestimmungen der Richtlinie 64/221/EWG zugunsten der assoziationsrechtlich Begünstigten für weiterhin anwendbar angesehen (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 74 - 79).

23

Ohne Erfolg rügt der Kläger einen Verstoß gegen die Stillhalteklauseln durch den Wegfall des nationalen Widerspruchsverfahrens gegen Ausweisungsentscheidungen in Nordrhein-Westfalen seit 1. November 2007. Zum einen stellte die Durchführung des Widerspruchsverfahrens nach §§ 68 ff. VwGO keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der Ausweisung dar, sondern - anders als Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG - lediglich eine Prozessvoraussetzung für die Erhebung einer Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht. Zum anderen betrifft der Wegfall des Widerspruchsverfahrens türkische Assoziationsberechtigte und Unionsbürger in gleicher Weise. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht der Erlass oder Wegfall von Regelungen, die - wie hier - in gleicher Weise auf türkische Staatsangehörige und auf Gemeinschaftsangehörige Anwendung finden, nicht im Widerspruch zu den Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 ZP. Auch dies hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Dezember 2012 (a.a.O. Rn. 34) - dort bezogen auf den Wegfall des Widerspruchsverfahrens in Baden-Württemberg - im Einzelnen dargelegt; auf diese Ausführungen wird Bezug genommen.

24

1.7 Der Rechtmäßigkeit der Ausweisung steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG nicht bereits bei Erlass der Ausweisungsverfügung befristet hat. Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - haben Ausländer zwar grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 30). Fehlt die notwendige Befristung der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche - rechtmäßige Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr ist in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als Minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen zu sehen (Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 39).

25

1.8 Schließlich verstößt die Ausweisung nicht gegen die Richtlinie 2008/115/EG - Rückführungsrichtlinie. Dabei kann dahinstehen, ob sie an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die Ausweisung bejaht, verhilft das der Anfechtungsklage gegen die Ausweisung nicht zum Erfolg. Da der Kläger mittels seines Hilfsantrags die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 45).

26

2. Der Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von maximal vier Jahren begehrt, ist zulässig, aber nicht begründet.

27

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats kann ein Kläger seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 auch noch in der Revisionsinstanz einen Hilfsantrag auf Befristung der Wirkungen der von ihm angefochtenen Ausweisungsentscheidung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 28). Er verfolgt damit nur den bereits in seinem Anfechtungsbegehren gegen die Ausweisung für den Fall der Abweisung enthaltenen Hilfsantrag weiter, den das Berufungsgericht hier der Sache nach abgewiesen hat. Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde im Rahmen des durch die Antragstellung begrenzten Streitgegenstandes vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 40).

28

2.2 Der Hilfsantrag ist aber unbegründet.

29

Nachdem die Beklagte während des Revisionsverfahrens eine Befristung für die Dauer von sieben Jahren, beginnend mit der Ausreise oder Abschiebung des Klägers ausgesprochen hat, war vom Senat nur noch zu entscheiden, ob der Kläger - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz - einen Anspruch auf Festsetzung einer kürzeren Frist von maximal vier Jahren hat. Dies ist nicht der Fall.

30

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

31

Unter Zugrundelegung der Maßstäbe des § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG ergibt sich im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf weniger als die von der Ausländerbehörde zwischenzeitlich festgesetzten sieben Jahre. Die allein unter präventiven Gesichtspunkten zu bestimmende Frist darf hier fünf Jahre schon deshalb überschreiten, weil von dem Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht in der Person des Klägers weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität - einschließlich des Handels mit Heroin - und damit eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung.

32

Bei der Bemessung der Frist sind in einem ersten Schritt das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Dabei bedarf es der prognostischen Einschätzung, wie lange das Verhalten des Klägers, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Der Senat geht davon aus, dass in der Regel ein Zeitraum von maximal zehn Jahren den Zeithorizont darstellt, für den eine Prognose realistischerweise noch gestellt werden kann. Weiter in die Zukunft lässt sich die Persönlichkeitsentwicklung kaum abschätzen, ohne spekulativ zu werden (vgl. Urteil vom 13. Dezember 2012 - BVerwG 1 C 20.11 - NVwZ 2013, 733 Rn. 40). Im vorliegenden Fall geht es vorrangig um die Abwehr von Gefahren für das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung durch den Handel mit Heroin durch den Kläger. Dabei handelt es sich um hochrangige Rechtsgüter. Der Kläger ist drogenabhängig und hat zur Beschaffung von Betäubungsmitteln über die Dauer von mehr als 20 Jahren regelmäßig Straftaten begangen. Dazu gehörten neben Eigentumsdelikten mehrere Straftaten wegen Erwerbs, Besitzes, Abgabe und Handels mit Betäubungsmitteln, vornehmlich mit Heroin. Im Juni 2007 wurde er wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (Heroin und Kokain) zu einer Einzelstrafe von zwei Jahren und einem Monat verurteilt, was verdeutlicht, dass es sich nicht um Bagatellkriminalität handelte. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht beim Kläger eine erhöhte Rückfallgefahr. Denn er ist seit vielen Jahren heroinabhängig, mehrere Therapieversuche blieben ohne Erfolg und er verfügt über keine Berufsausbildung, um sich eine Existenzgrundlage außerhalb der Kriminalität aufzubauen. In seinem Fall ist ein Ende der von ihm ausgehenden Gefahren für Leben und Gesundheit der Bevölkerung infolge des Handels mit Drogen nicht absehbar. Die von der Beklagten zwischenzeitlich festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren ist unter Berücksichtigung der gefährdeten Rechtsgüter und der hohen Rückfallgefahr nicht überhöht.

33

Allerdings muss sich die nach der Gefahr für die öffentliche Ordnung ermittelte Frist an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) sowie den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK, messen lassen. Sie ist daher gegebenenfalls in einem zweiten Schritt zu relativieren. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen sowie gegebenenfalls seiner engeren Familienangehörigen zu begrenzen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 42 m.w.N.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Im vorliegenden Fall ist der Kläger zwar in Deutschland geboren und hat hier nahezu sein ganzes Leben verbracht. Familiäre Bindungen hat er allerdings - anders als in dem vom Senat mit Urteil vom 13. Dezember 2012 entschiedenen Fall eines nach islamischem Ritus verheirateten Klägers, dessen Frau ein Kind von ihm erwartete (a.a.O. Rn. 42) - nur an seine Mutter und seine erwachsenen Geschwister. Zudem hat der Kläger sein Leben im Wesentlichen in Strafhaft, in verschiedenen Wohn- und Therapieeinrichtungen und in der Drogenszene verbracht, sodass das Maß seiner Integration in das legale gesellschaftliche Leben in Deutschland gering ist. Die Festsetzung einer Sperrfrist von weniger als sieben Jahren kommt unter Zugrundelegung der vom Senat entwickelten Kriterien daher nicht in Betracht.

34

Der Senat weist darauf hin, dass der Kläger jederzeit einen Antrag auf Verkürzung der von der Beklagten festgesetzten Frist nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG stellen kann, wenn sich die für die Festsetzung maßgeblichen Tatsachen nachträglich ändern sollten, etwa weil sich seine Rückfallgefahr infolge einer erfolgreichen Drogentherapie deutlich vermindert hat.

35

3. Die Abschiebungsandrohung in der in der Berufungsverhandlung abgeänderten Fassung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine aufgrund des rechtzeitig gestellten Verlängerungsantrags gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG als fortbestehend geltende Aufenthaltserlaubnis erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die von der Beklagten für den Fall der Haftentlassung getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 30 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass

1.
der Lebensunterhalt gesichert ist,
1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist,
2.
kein Ausweisungsinteresse besteht,
3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und
4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.

(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer

1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und
2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen. Satz 2 gilt nicht für die Erteilung einer ICT-Karte.

(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.

(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit und wurde am ... 1973 in ... (Türkei) geboren. Er ist verheiratet, reiste mit seiner Frau und seinen damals drei Kindern am ... 1997 in die Bundesrepublik ein und beantragte am folgenden Tag Asyl. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 9. Oktober 1997 wurden die Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt und zugleich das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 4 AuslG festgestellt. Inzwischen hat der Kläger mit seiner Frau, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, sieben Kinder, von denen sechs die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Vier der Kinder studieren, zwei besuchen das Gymnasium und eines die Grundschule.
Der Kläger war zunächst im Besitz von Aufenthaltsbefugnissen bis Mitte 2005. Ein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vom März 2006 nahm der Kläger mit Blick auf den Bezug von öffentlichen Leistungen zurück. Ende März 2009 beantragte er erneut die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. In diesem Zuge erfolgte eine Regelanfrage nach § 73 Abs. 2 und 3 AufenthG, die zu der Mitteilung führte, dass Erkenntnisse vorlägen. Der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers erbat am 4. Juni 2009 von der Stadt ... die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG, nachdem das Bundesamt am 13. März 2009 mitgeteilt hatte, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme nach § 73 Abs. 1 bzw. 2 AsylG nicht vorliegen würden. Unter dem 9. Juni 2009 teilte die Stadt ... dem Kläger mit, dass die Ermittlungen des Landeskriminalamts noch nicht abgeschlossen seien. Ausweislich eines in der Akte der Stadt ... befindlichen Vermerks vom 19. November 2009 ging die Stadt sodann davon aus, dass auf eine Rückantwort des Landeskriminalamts und auf die Regelanfrage verzichtet werden könne. Die Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG wurde dem Kläger schließlich am 4. Dezember 2009 erteilt.
Das in der Akte der Stadt befindliche Schreiben des Regierungspräsidiums ... an die Stadt vom 22. September 2009, das per Mail an diese gegangen sein soll, findet sich in der Akte erstmals als Anhang einer Mail des Regierungspräsidiums, datierend vom 22. Mai 2010. In diesem bittet das Regierungspräsidium die Stadt um Durchführung einer Sicherheitsbefragung. Die Stadt teilte dem Regierungspräsidium mit, dass die Aufforderung zur Durchführung einer Sicherheitsbefragung nicht zu den Akten gekommen sei, was eventuell mit einer längeren Krankheitszeit der früheren Sachbearbeiterin zusammenhängen könne. Sie informierte das Regierungspräsidium darin im weiteren über die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an den Kläger.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2010 informierte die Stadt dem Kläger darüber, dass das Regierungspräsidium sie aufgefordert habe, mit ihm eine Sicherheitsbefragung durchzuführen. Das Regierungspräsidium teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis von Bedenken seitens der Sicherheitsbehörden gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers in Deutschland erteilt worden sei. Es prüfe derzeit eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Am 23. Februar 2011 fand eine Sicherheitsbefragung des Klägers statt. Am anschließenden Sicherheitsgespräch nahm der Kläger nicht teil.
Mit hier angegriffener Verfügung vom 10. Januar 2012 wurde der Kläger durch das Regierungspräsidium ausgewiesen und verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt ... begrenzt und die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet.
In der Verfügung wurde im Wesentlichen zunächst in tatsächlicher Hinsicht auf Erkenntnisse über sicherheitsrelevante Aktivitäten des Klägers ab 2001 und bis Dezember 2010 abgestellt und im Übrigen darauf, dass er unverändert Vorstandsmitglied (nunmehr 2. Vorsitzender) der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ (YEK-KOM) sei. Die Ausweisung beruhe auf § 55 AufenthG in Verbindung mit § 54 Nr. 5 AufenthG. Besonderer Ausweisungsschutz nach Art. 14 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei bestehe nicht, da der Kläger nur über wenige Monate hinweg abhängig beschäftigt gewesen sei. Seit Januar 2005 stehe er mit seiner Familie im Leistungsbezug nach dem SGB II. Die vorliegenden Erkenntnisse wiesen ausreichend Tatsachen für die gerechtfertigte Annahme nach, dass der Kläger entsprechende Unterstützungshandlungen gegenüber einer Vereinigung, die den Terrorismus unterstütze, vorgenommen habe. Bei der PKK und deren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL handle sich um Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die vom Kläger genannten Veranstaltungen, an denen dieser teilweise maßgeblich mitgewirkt habe, hätten erkennbar dazu gedient, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, sondern jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung der inkriminierten Bestrebungen zu fördern. Insoweit sei die Freiheit der Meinungsäußerung beschränkt. Entscheidend sei zudem, dass der Kläger nicht bloß passiver Teilnehmer an denen vom Landesamt für Verfassungsschutz benannten Veranstaltungen der unterstützenden Vereinigung gewesen sei, sondern in hervorgehobener Funktion, beispielsweise als Redner, diese tragend mitgestaltet und er sich auch nicht distanziert habe, wenn durch andere Teilnehmer der PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen gehuldigt worden sei. Er habe damit auch durch den Anschein der Billigung den Terrorismus gefördert. Das Engagement des Klägers als Vorsitzender im kurdischen Kulturverein e.V. ... sei ebenfalls als Unterstützungshandlung zu werten, da dieser nach Erkenntnissen und Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz als KONGRA-GEL-nah einzustufen sei. In der Vergangenheit habe der Vereinssitz mehrfach zwischen ... und ... gewechselt, wobei die Vereine auch unter verschiedenen Namen im Vereinsregister eingetragen worden seien. Nach Einschätzung des Landesamtes für Verfassungsschutz könne davon ausgegangen werden, dass es sich bei diesen Vereinen um die Vorgängervereine des heutigen kurdischen Kulturvereins e.V. ... handle. Zum einen bestehe zwischen diesen Vereinen Personengleichheit der Vereinsbesucher und auch von einigen Vorstandsmitgliedern, die im Großraum .../... wohnhaft seien. Zum anderen hätten in allen Vereinen Vereinsfeierlichkeiten anlässlich bestimmter PKK-Gedenktage sowie „Märtyrergedenkveranstaltungen“ und „Volksversammlungen“ stattgefunden. Der Verein sei auch Mitglied in der YEK-KOM, die ein Dachverband von überwiegend KONGRA-GEL-nahen örtlichen Kurdenvereinen sei. Als 2. Vorstandsvorsitzendem seien dem Kläger deren Aktivitäten zuzurechnen. Von einer gegenwärtigen Gefährlichkeit des Klägers sei auszugehen. Die Ausweisung sei danach aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt. Die Ausweisung des Klägers sei auch nicht unverhältnismäßig mit Blick auf Art. 8 EMRK. Hinsichtlich der Integrationsleistung des Klägers sei zu beachten, dass er seinen Lebensunterhalt für sich und seine Familie nicht selbst sichern könne und weitere Verwurzelungserfolge des Klägers nicht ersichtlich seien. Das öffentliche Ausweisungsinteresse überwiege hier sein Bleibeinteresse, dem im Übrigen durch seine Duldung Rechnung getragen werden könne. Es sei ihm daher zuzumuten, seinen weiteren Aufenthalt auf Grundlage der Aussetzung der Abschiebung auszugestalten. Auch sei einzustellen, dass die Ausweisung auf Antrag befristet werde.
Der Umstand, dass die Stadt ... als untere Ausländerbehörde am 4. Dezember 2009 eine Niederlassungserlaubnis erteilt habe, obwohl die Sicherheitsbehörden auch schon zu diesem Zeitpunkt Erkenntnisse über den Kläger gehabt hätten, welche zu Bedenken gegen seinen weiteren Aufenthalt führen könnten, sei hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung unschädlich. Insbesondere handele es sich nicht um ein rechtsmissbräuchliches, widersprüchliches Behördenverhalten. Der Stadt ... sei lediglich ein Wissen dahingehend zurechenbar, dass überhaupt Erkenntnisse seitens der Sicherheitsbehörden vorgelegen hätten. Über deren Inhalt und Gegenstand sowie den Umstand, dass diese geeignet gewesen seien, Bedenken gegen den weiteren Aufenthalt des Klägers zu begründen, habe die Stadt ... keine Kenntnis gehabt. Vor der Mitteilung der Sicherheitsbehörden seien entsprechende Ausweisungsgründe der Ausländerbehörde noch nicht bekannt gewesen und könnten daher auch nicht verbraucht sein. Es genüge nicht, dass die Ausländerbehörde Kenntnis darüber habe, dass die Sicherheitsbehörden entsprechende Erkenntnisse hätten. Entscheidend sei, dass weitere maßgebliche Erkenntnisse auch nach dem 4. Dezember 2009 erlangt worden seien, wie der Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 17. Juli 2011 sie darstelle.
Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk ... beruhten auf §§ 54a Absatz 1 Satz 1 AufenthG. Die Auflagen seien auch verhältnismäßig. Die Anordnung des Sofortvollzuges sei zum Schutz der öffentlichen Sicherheit geboten, dies insbesondere mit Blick auf die notwendige Kontrolle des Verhaltens des Klägers. Dies gelte insbesondere auch mit Blick darauf, dass die tatsächliche Beendigung des Aufenthalt des Klägers nicht möglich sei.
10 
Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2012 erhob der Kläger Klage, mit dem Antrag, die Verfügung vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
11 
Das Verwaltungsgericht hörte den Kläger in der mündlichen Verhandlung im Hauptsacheverfahren persönlich zu den ihm vorgeworfenen Aktivitäten und seiner derzeitigen Funktion in der NAV-DEM und deren Zielrichtung an. Er räumte dabei die ihm vorgehaltenen Teilnahmen an den genannten Veranstaltungen in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich ein. Insbesondere treffe es zu, dass er am 8. September 2012 Versammlungsleiter des kurdischen Kulturfestivals 2012 in ... gewesen und dort eine Videobotschaft von Murat Karayilan ausgestrahlt worden sei. Derzeit sei er 2. Vorsitzender der NAV-DEM. Diese sei durch eine Namens- und Satzungsänderung der YEK-KOM im Juni 2014 entstanden. Ein Antrag auf Löschung im Vereinsregister oder ein Auflösungsbeschluss bezüglich des Vereins YEK-KOM sei nicht erfolgt. Neben ihm und dem 1. Vorsitzenden, die bereits bei der YEK-KOM im Vorstand gewesen seien, seien drei neue Mitglieder in den fünfköpfigen Vorstand gewählt worden. Die NAV-DEM halte, wie die YEK-KOM zuvor, jedes Jahr zwei große Veranstaltungen ab. Er gehe auch weiterhin zu genehmigten Veranstaltungen anderer kurdischer Organisationen, auch in seiner Funktion als 2. Vorsitzender der NAV-DEM trete er als Redner auf. Das Verwaltungsgericht hörte des Weiteren Frau ... als Mitarbeiterin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg informatorisch zu den Aktivitäten des Klägers und den Erkenntnissen des Landesamtes zu den Organisationen YEK-KOM und NAV-DEM an. Sie führte aus, dass sie die in den vorliegenden Berichten des Landesamtes zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der eindeutigen Nähe des Vereins YEK-KOM zur KONGRA-GEL, in dem der Verein der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen Raum zur Verbreitung ihrer Erklärungen und Äußerungen biete, teile. Dies gelte auch für die NAV-DEM, wie etwa eine Veranstaltung im Dezember 2014 gezeigt habe. Dem Landesamt lägen noch keine konkreten Erkenntnisse vor, dass zwischen YEK-KOM und NAV-DEM insoweit Unterschiede bestünden.
12 
Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 27. Januar 2015 den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen und im Übrigen die Klage abgewiesen.
13 
Es hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei nur teilweise begründet, soweit der Beklagte verpflichtet sei, die Wirkungen der Ausweisungsverfügung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Im Übrigen verletze diese den Kläger nicht in seinen Rechten. Ein erhöhter Ausweisungsschutz nach Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei (ARB 1/80) bestehe nicht, da der Kläger keine assoziationsrechtliche Rechtsposition erworben habe. Dies, da er selbst in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, bei seinen Beschäftigungsverhältnissen jeweils kürzer als ein Jahr angestellt gewesen zu sein. Etwaige Rechtspositionen nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 wären daher durch den jeweils nächstfolgenden Arbeitgeberwechsel erloschen.
14 
Der Kläger sei in den Jahren von 2001 bis 2003 Vorsitzender des kurdischen Kulturvereins e.V. ... gewesen. Zwischen 2004 und Mitte 2014 sei er mit einer kurzen Unterbrechung Anfang des Jahres 2012 durchgehend Mitglied im Vorstand, zeitweise 2. Vorsitzender, der YEK-KOM gewesen. Im Mai 2012 sei er erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt worden, die inzwischen in die NAV-DEM übergegangen sei.
15 
Der Kläger erfülle die Tatbestandsvoraussetzung einer Ausweisung nach § 54 Nr. 5 AufenthG. Die PKK und ihre Nachfolgeorganisationen seien nach ständiger Rechtsprechung terroristische Vereinigungen im Sinne dieser Vorschrift. Die PKK werde nach wie vor auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen geführt. Soweit sich der Kläger darauf berufe, die PKK habe nunmehr eine geänderte Ausrichtung mit Blick auf die Verteidigung der kurdischen Bevölkerung und der Jesiden im Nordirak gegen den IS, handele es sich um ein temporäres Phänomen, das nicht mit einem dauerhaften Gewaltverzicht und Friedenskurs gegenüber der Türkei einhergehe. Dies ergebe sich auch aus einem Interview des stellvertretenden PKK-Chefs Cemil Bayik vom 10. Oktober 2014, in dem dieser damit gedroht habe, dass sie den Verteidigungskrieg zum Schutze des Volkes auch wieder aufnehmen könnten. Entsprechende Stellungnahmen gebe es auch vom Oberkommandierenden des bewaffneten Arms der PKK „Volksverteidigungskräfte“, der erklärt habe, dass der Friedensprozess mit der Türkei hinfällig sei und die gemeinsamen Übergriffe des türkischen Staates mit dem islamischen Staat einer Kriegserklärung gleichkämen, wie sich aus der Bundestagsdrucksache 18/3491, Seite 4, entnehmen lasse. Zu berücksichtigen sei auch, dass in der Vergangenheit entsprechende Kursänderungen nicht von Dauer gewesen seien.
16 
Der Kläger unterstütze die PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen durch seine langjährige Tätigkeit als Vorstandsmitglied der YEK-KOM bzw. nunmehr der NAV-DEM. Er sei nahezu ununterbrochen seit 2004 im Vorstand beider Vereine gewesen, was er in der mündlichen Verhandlung auch ausdrücklich eingeräumt habe. Er habe seine Vorstandstätigkeit aktiv ausgeübt, sei selbst auch als Redner und Versammlungsleiter aufgetreten und habe die Interessen des Dachverbandes gegenüber den Mitgliedsvereinen vertreten. Damit seien dem Kläger die von diesen Organisationen ausgehenden Unterstützungshandlungen zuzurechnen.
17 
YEK-KOM bzw. NAV-DEM unterstützten wiederum die PKK und deren Nachfolgeorganisationen. Die Vereinigungen schafften insbesondere eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK und gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Sie sicherten der PKK auf diesem Wege einen Raum für die Ansprache und die Sicherung von Unterstützung durch im Bundesgebiet lebende Kurden. Diese Einschätzung werde sowohl durch die Selbstdarstellung der YEK-KOM wie auch von der Gestaltung und dem Ablauf ihrer Veranstaltungen sowie der Veranstaltungen ihrer Mitgliedsvereine getragen. Im nach wie vor auf der Internetpräsenz der YEK-KOM abrufbaren Arbeitsprogramm werde auf das Selbstverständnis der in Europa lebenden Kurden als „logistische UnterstützerInnen des nationalen Befreiungskampfes“ verwiesen. Die Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem kurdischen Kulturfestival im Jahr 2012 greife dies ebenfalls auf und spreche davon, dass die PKK für Millionen Kurdinnen und Kurden eine legitime Vertretung sei und einen „gerechten Kampf gegen Krieg und Unterdrückung“ führe. Deswegen lasse sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen. Bei diesem Selbstverständnis der Kurden handle es sich letztlich um das Selbstverständnis der YEK-KOM selbst. Denn zum einen begreife sich diese gerade als Dachorganisation der Kurden in Deutschland und als deren Interessenvertretung. Zum anderen werde auf dieses Selbstverständnis ohne jegliche Distanzierung und im Gesamtkontext der Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Verbots Bezug genommen. Die YEK-KOM biete zudem eine Plattform für Äußerungen von Funktionären der PKK. Auf ihren Großveranstaltungen würden regelmäßig Grußbotschaften führender PKK-Funktionäre verlesen und als Videobotschaft gezeigt. Auf dem genannten Kulturfestival 2012, dessen Versammlungsleiter der Kläger gewesen sei, sei eine Videobotschaft des oben genannten Murat Karayilan und im Jahr 2013 eine solche des ebenfalls schon genannten Cemal Bayik gezeigt worden. Gleiches sei auf den jährlichen Newroz-Festivals geschehen. Die Veranstaltungen der Mitgliedsvereine der YEK-KOM, an denen der Kläger in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied teilgenommen habe, seien jeweils durch die zeitliche Nähe zu für die PKK bedeutsamen Daten (PKK-Gründungsjahrestag; Tag der Festnahme Öcalans) und das regelmäßig stattfindende Märtyrergedenken gekennzeichnet, wie sich aus den Einschätzungen des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 14. Januar 2015, 29. Januar 2014, 17. Oktober 2013 und 27. August 2012 ergebe. Das Gedenken an Märtyrer möge Teil der kurdischen Kultur sein, wie der Kläger meine, zugleich komme jedoch zum Ausdruck, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im „Befreiungskampf Kurdistans“ grundsätzlich gebilligt werde. Denn ein Gedenken an Märtyrer schließe eine positive Bewertung der mit den Märtyrertod verbundenen Überzeugung ein. Dies gelte erst recht, weil auf den Veranstaltungen von YEK-KOM und ihren Mitgliedsvereinen soweit ersichtlich keine entsprechende Distanzierung von diesem bewaffneten Kampf erfolgt sei. Es handele sich gerade nicht, wie der Kläger wohl geltend machen wolle, um ein bloßes Gedenken an die verstorbenen des eigenen Volkes, sondern um Verstorbene im „Befreiungskampf“ der kurdischen Bevölkerung und zwar insbesondere derer, die bewaffnete Auseinandersetzungen, beispielsweise als Guerillakämpfer, geführt hätten. Durch die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM sowie die damit einhergehenden Satzungsänderungen habe sich die Ausrichtung des Vereins nicht verändert. Bereits aus vereinsrechtlicher Sicht liege keine Neugründung sondern eine bloße Umfirmierung vor. Dies ergebe sich aus dem vom Kläger vorgelegten Protokoll der Delegiertenversammlung vom 22. Juni 2014. In der Pressemitteilung zu Umbenennung vom 18. Juli 2014 spreche die Organisation selbst davon, dass „die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland YEK-KOM e.V. […] ihre Arbeit fortan unter dem Namen NAV-DEM e.V. fortsetzen [wird]“. Dabei sei nicht in Abrede zu stellen, dass die NAV-DEM auf eine umfassendere Organisation kurdischer Vereine ausgerichtet sein möge und ihre satzungsmäßigen Ziele grundsätzlich legitime politische Anliegen beträfen. § 54 Nr. 5 AufenthG stelle jedoch auf tatsächliche Unterstützungshandlungen ab. Es gebe keine Anhaltspunkte für eine wesentliche Veränderung des Aktivitätsspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM. Die NAV-DEM führe nach dem übereinstimmenden Bekunden des Klägers und des Landesamtes für Verfassungsschutz die beiden zentralen Großveranstaltungen (Newroz-Feier und kurdisches Kulturfestival) fort. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei bislang nicht erfolgt. Auch eine Distanzierung von den bisherigen Aktivitäten der YEK-KOM bzw. der Aktivitäten der PKK habe es nicht gegeben und gebe es auch jetzt nicht. Im Gegenteil führe die NAV-DEM die politischen Aktivitäten zur Aufhebung des PKK-Verbots fort. So führe eine Presseerklärung vom 24. November 2014 anlässlich des 21. Jahrestages des Verbots der PKK aus, dass das Betätigungsverbot für die PKK dazu geführt habe, dass „jegliches Engagement gegen den Krieg in Kurdistan und für die Rechte des kurdischen Volkes […] Repressionen und Kriminalisierung ausgesetzt [war]“.
18 
Der Kläger könne sich für seine Tätigkeit bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM nicht auf den Verbrauch der Ausweisungsgründe durch Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 berufen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes könne eine Ausweisung in der Regel nicht mehr auf solche Tatbestände gestützt werden, in deren Kenntnis die Ausländerbehörde zuvor vorbehaltlos eine Aufenthaltserlaubnis erteilt habe. Für den Vertrauensschutz des Ausländers sei maßgeblich, wie dieser bei verständiger Würdigung die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis verstehen durfte. Insofern dürfe eine Ausweisung nicht mehr allein auf die Betätigung des Klägers vor der Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Jahr 2009 gestützt werden, da er insoweit davon habe ausgehen dürfen, dass diese Betätigung im Verfahren zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis überprüft worden sei. Jedenfalls für den Zeitraum ab Erlass der angegriffenen Ausweisungsverfügung bis zum Tag der mündlichen Verhandlung, dem entscheidungserheblichen Zeitpunkt, könne der Kläger jedoch keinen Vertrauensschutz geltend machen. Mit der Anhörung durch die Beklagte am 3. März 2011, spätestens jedoch mit Zustellung der Ausweisungsverfügung am 12. Januar 2012, habe dem Kläger die unterbliebene Prüfung von Ausweisungsgründen nach § 54 Nr. 5 AufenthG durch die Stadt... bewusst sein müssen. Schutzwürdiges Vertrauen auf seine weitere Betätigung für die YEK-KOM ohne entsprechende ausländerrechtliche Konsequenzen habe der Kläger ab diesem Zeitpunkt nicht mehr entwickeln können. Der bis dahin bestehende Vertrauensschutz hindere aber nur die Neubewertung vergangener Ereignisse, nicht jedoch die Bewertung der fortgesetzten Tätigkeit des Klägers. Die erneute Wahl des Klägers in den Vorstand der YEK-KOM im Mai 2012 stelle die entscheidende Zäsur dar. Dieser habe sich in Kenntnis der Tatsachen, auf die der Beklagte seine Ausweisungsverfügung gestützt habe, dazu entschlossen, seine Tätigkeit im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM fortzusetzen und er habe damit zum Ausdruck gebracht, dass er von einer weiteren Betätigung nicht Abstand nehme.
19 
Als anerkannter Flüchtling und Besitzer einer Niederlassungserlaubnis, der sich länger als fünf Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, dürfe der Kläger nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Solche lägen insbesondere in den Fällen des §§ 54 Nr. 5 AufenthG vor. Ein Ausnahmefall von dieser Regel sei hier nicht gegeben. Der Kläger habe trotz der im Raum stehenden Ausweisung nunmehr erneut über einen Zeitraum von knapp drei Jahren aktiv die Aktivitäten der PKK über seine Vorstandstätigkeit unterstützt. Dabei habe er durch die Übernahme der Versammlungsleitung beim 20. kurdischen Kulturfestival in ... und seine Rednertätigkeit eine besonders exponierte Rolle eingenommen. Es lägen daher die Voraussetzungen für eine Ausweisung des Klägers im Ermessenswege vor. Die Ermessensausübung sei nicht zu beanstanden.
20 
Die Ausweisung sei auch gemessen an Art. 21 und Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie rechtmäßig. Auf die Frage, ob die Anforderungen für die Beendigung oder Ablehnung eines Aufenthaltstitels Art. 21 Abs. 1 und 2 der Qualifikationsrichtlinie geringer seien als die aus Art. 24 Abs. 1 komme es nicht an. Denn die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie seien erfüllt. Danach dürfe die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings, jedenfalls wenn sie ein unbefristetes Aufenthaltsrechts ersatzlos zum Erlöschen bringe, nur erfolgen, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen sei. Dabei sei eine individuelle Prüfung des Einzelfalls erforderlich. In Anlehnung an das Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK reiche die bloße Unterstützung oder Zugehörigkeit zu einer Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG noch nicht aus. Vielmehr müsse sich die von der Organisation ausgehende Gefährdung in der Person des Ausländers konkretisieren. Die Gründe müssten so gravierend sein, dass sie es rechtfertigten, dass Refoulement-Verbot des Art. 33 GFK zurücktreten zu lassen. Das setze eine qualifizierte Unterstützung des Terrorismus voraus, insbesondere durch eigene Gewaltbeiträge oder als aktiver Funktionär. Dies setze eine wertende Gesamtbetrachtung der Umstände des Einzelfalles voraus, unter anderem auch von dem Grad der Gefährlichkeit der jeweiligen Organisation, der etwa durch ihre Struktur, Größe und eine Gewaltbereitschaft bestimmt werde. Eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland sei auch durch Unterstützung einer Organisation gegeben, die im Bundesgebiet selbst keine Terrorakte verübe, denn es sei grundsätzlich nicht ausgeschlossen, dass sie die Gewalt auch als Mittel zur Lösung politischer Konflikte außerhalb ihres eigentlichen militärischen Aktionsgebiets einsetze. Zudem hätten Funktionäre der PKK auch Kurden in Deutschland zum bewaffneten Kampf in Syrien aufgerufen. Die Rückkehr solcher Kämpfer nach Deutschland stelle sich, wie bei Kämpfern anderer Organisation auch, als unkalkulierbares Sicherheitsrisiko dar. Eine Gefährdung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch die Aktivitäten der PKK bestehe aber auch dann, wenn die Verübung terroristischer Akte auf dem Bundesgebiet durch die PKK ausgeschlossen wäre und sich alleine auf die Türkei beschränkten. Denn die Türkei und Deutschland seien NATO-Bündnispartner und in ein System kollektiver Verteidigung im Sinne von Art. 24 GG eingebunden. Diese Sicherheitspartnerschaft wäre in Frage gestellt, würde ein Bündnispartner die Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Gebiet eines anderen Bündnispartners dulden. Die Duldung solcher Aktivitäten könne zu einer in Stabilisierung der Sicherheitslage im betroffenen Staat führen, die wiederum dessen Handlungs- und Beistandsfunktion gegenüber sein Bündnispartner beeinträchtigen könne.
21 
Der Kläger habe durch seine aktive Funktionärstätigkeit die PKK in diesem Sinne qualifiziert unterstützt. Die aktive Tätigkeit im Vorstand der Vereine sei einer direkten Einbindung in die PKK-Funktionärsebene gleichzusetzen. Ohne die entsprechenden Veranstaltungen der YEK-KOM bzw. NAV-DEM wäre die Organisation und die Sicherung des Zusammenhalts der Anhängerschaft der PKK in Deutschland nicht oder nur unter erheblich erschwerten Bedingungen möglich. Die Aufrechterhaltung eines jahrelangen, bewaffneten Guerillakampfes könne nur aufrechterhalten werden, wenn im Hintergrund der kämpfenden Einheiten ein stabiles und ideologisch gefestigtes Umfeld der Unterstützung, sei es in finanzieller oder politischer Hinsicht, bestehe. Die Bedeutung der YEK-KOM bzw. NAV-DEM für die Aktivitäten der PKK sei als sehr hoch zu bewerten. Besonders deutlich werde dies an den organisierten Veranstaltungen der Vereinigungen. Sie ermöglichten der PKK bzw. ihre Nachfolgeorganisationen, unter dem Schirm der Vereine die jeweilige Parteilinie an eine große Zahl von Personen zu vermitteln und dabei das auf den Großveranstaltungen erzeugte Gemeinschaftsgefühl für ihr Anliegen zu nutzen. Eine stärkere Identifikation und Unterstützung der Anliegen einer verbotenen Organisation als die Präsentation der Videobotschaften ihrer Führer vor einem Massenpublikum sei schwerlich vorstellbar. Dies rechtfertige es, die Vorstandstätigkeit in diesen Vereinen, zumal wenn sie im Fall des Klägers ohne jegliche Distanzierung zu den Aktivitäten der PKK erfolge, einer Funktionärstätigkeit in der PKK gleichzusetzen.
22 
Die Anordnung der Meldepflichten und der Aufenthaltsbeschränkung gemäß § 54 a AufenthG sei ebenfalls rechtmäßig. Der Kläger habe einen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung auf eine Dauer von acht Jahren.
23 
Das Verwaltungsgericht hat die Berufung zugelassen, da die Frage grundsätzliche Bedeutung habe, ob die Tätigkeit im Vorstand eines nicht verbotenen Vereins, der eine Vereinigung unterstütze, die den Terrorismus unterstützt, die Voraussetzung des Art. 21 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 und Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllen könne.
24 
Gegen das dem Kläger am 31. März 2015 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz vom 20. April 2015, eingegangen am selben Tag, beim Verwaltungsgericht Berufung eingelegt.
25 
Er führt im Wesentlichen aus: Dem Verwaltungsgericht fehle die Sachkunde für die Feststellung, dass die Umbenennung der YEK-KOM in NAV-DEM nicht zu einer wesentlichen Änderung des Aktivitätenspektrums der NAV-DEM gegenüber der YEK-KOM geführt habe. Zudem könne aufgrund einer veränderten internationalen Entwicklung nicht mehr ohne weiteres mit Blick auf die PKK von einer terroristischen Vereinigung ausgegangen werden. Einheiten der PKK hätten insbesondere ab August 2014 verfolgte Jesiden im Norden des Iraks vor dem IS geschützt, dies, nachdem die Peschmergas den Schutz verweigert hätten. Auch bei der Verteidigung von Kobane habe die PKK eine wichtige militärische Schutzfunktion für die schutzlose Zivilbevölkerung über ihren syrischen Zweig YPG übernommen. Diese sei dabei von der US-Luftwaffe unterstützt worden. Die PKK müsse nach Einschätzung westlicher Beobachter in den politischen Prozess eingebunden werden. Die US-Regierung weise ausdrücklich darauf hin, dass die YPG ungeachtet ihrer engen Verbindung zur PKK nicht als terroristische Organisation angesehen werde. Dies habe zu einer Überprüfung der Position der USA und westlicher Staaten im Hinblick auf ihre Einstellung gegenüber der PKK geführt. Haupthindernis bei den Bemühungen um eine gemeinsame internationale Strategie gegen den IS sei die türkische Regierung, die völlig eigene Interessen verfolge. Jedenfalls bedürfe es einer sorgfältigen Aufklärung der aufgezeigten Entwicklung und der darauf beruhenden Einschätzung. Das von den Verfassungsschutzbehörden unterstellte separatistische Ziel bezogen auf die Türkei sei seit langem überholt. Von der PKK gebilligte und koordinierte militärische Einsätze gegen die Türkei würden seit zwei Jahren nicht mehr geführt. Entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK müssten dem nicht zwingend entgegenstehen, sondern könnten auch als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat bewertet werden. Terroristische Aktionen in europäischen Ländern seien seit 2005 nicht mehr unternommen worden. Die politische und militärische Strategie der PKK habe sich seit dem Aufkommen des IS nahezu ausschließlich auf eine Schutzfunktion zu Gunsten der jesidischen und kurdischen Bevölkerung in Syrien verändert. Es entspreche jedenfalls dem Willen der jetzigen Führung der PKK, den Kampf der Einheiten vollständig auf den Schutz der bedrohten Zivilbevölkerung in den bezeichneten Ländern zu konzentrieren.
26 
Das Verwaltungsgericht stelle auf die Vorstandstätigkeit des Klägers bei der YEK-KOM bzw. der NAV-DEM ab, bezeichne jedoch keine einzige Aktivität des Klägers, die als individuelle Unterstützung der PKK ausgelegt werden könne. Der Unterstützungsbegriff werde unzutreffend ausgelegt, insbesondere soweit auf Aktivitäten „im Interessenbereich der PKK“, namentlich der Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots unter Freilassung Öcalans abgestellt werde. Von derartigen, politisch neutralen Forderungen könne nicht auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. eines bewaffneten Kampfes der PKK geschlossen werden. Es handele sich nicht um den Aufruf zur Begehung terroristischer Taten. Soweit das Verwaltungsgericht anführe, dass in dem „Denken an Märtyrer“ zugleich zum Ausdruck komme, dass der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel im Befreiungskampf Kurdistans grundsätzlich gebilligt werde, habe der Kläger darauf hingewiesen, dass er insgesamt 13 nahestehenden Angehörigen in dem Kurdenkonflikt in der Türkei gedacht habe, die durch das türkische Militär getötet worden seien. Er sei gläubiger Muslim und bekunde so seine Trauer und seinen Respekt vor den Toten. Damit habe sich das Verwaltungsgericht in seiner Bewertung nicht auseinandergesetzt.
27 
Das Bundesverwaltungsgericht verlange für eine Unterstützung des Terrorismus aus rechtsstaatlichen Gründen eine engere Verbindung zu den terroristischen Aktivitäten, da dem Einzelnen anderenfalls ein Verhalten zugerechnet werde, dass weder von seinem Willen noch von der durch ihn unterstützten Vereinigung getragen werde. Lediglich die Befürwortung bestimmter spezifischer Ideologien oder Weltanschauungen, sofern daraus nicht Handlungsanleitungen zur Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer oder religiöser Ziele abgeleitet würden, reichten danach nicht aus. Eine Vereinigung könne nur dann als den Terrorismus unterstützende Vereinigung angesehen werden, wenn sie Dritte mit einer entsprechenden Einstellung für die militante Durchsetzung der Ideologie gewinnen wolle. Das Verwaltungsgericht wende § 54 Nr. 5 AufenthG indessen bereits dann an, wenn z.B. die Aufhebung des Vereinsverbots der PKK oder eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikts in der Türkei gefordert werde. Es lasse bereits bloße Sympathiebekundungen für eine Organisation, die durch die Sicherheitsbehörden als terroristische eingestuft werde, für den Unterstützungsbegriff ausreichen, ohne dass zusätzliche Tatsachen festgestellt würden, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung auch auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet seien, etwa dadurch, dass gezielt bei Veranstaltungen Jugendliche für den bewaffneten Kampf in kurdischen Siedlungsgebieten angeworben oder durch konkrete Aktionen Kämpfer der PKK in diesen Gebieten unterstützt würden.
28 
Das Verwaltungsgericht verletze § 54 Nr. 5 AufenthG auch, indem es keinen subjektiven Tatbestand voraussetze. Es stelle auf die Vorstandsfunktionen des Klägers in PKK-nahen Vereinigungen ab, berücksichtige aber nicht, dass dieser an seine 13 verstorbenen Verwandten gedacht habe. Im Übrigen fehlten Feststellungen dazu, dass der Kläger bei seinen Aktivitäten bewusst und gewollt den internationalen Terrorismus unterstütze.
29 
Die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zum Unterstützungsbegriff werde zudem verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht gerecht. Schon im objektiven Tatbestand sei darauf zu achten, dass der Unterstützungsbegriff nicht unverhältnismäßig namentlich in das Recht auf freie Meinungsäußerung eingreife. Der Organisationsbezug sei daher nicht schon immer dann zu bejahen, wenn in irgendeiner Form auf den verbotenen Verein und seine Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerungen die Tätigkeit des Vereins gefördert werden solle. Aus dem Spannungsverhältnis zwischen Grundrechtsschutz und Gefahrenabwehr folge das Erfordernis einer restriktiven Auslegung des Unterstützungsbegriffs. Unterstützungshandlungen müssten auf die Festigung vorhandener terroristischer Strukturen abzielen und der Ausländer selbst müsse einen den Unterstützungsbegriff gerecht werdenden Beitrag zur Unterstützung der Vereinigung leisten. Das Bundesverfassungsgericht weise ausdrücklich darauf hin, dass dem Einzelnen nicht verboten werde, selbst bestimmte politische Ziele anzustreben und zu vertreten, wohl aber, dies durch Förderung der verbotenen Tätigkeit des Vereins zu tun. Die Abwehr richte sich nicht gegen die Handlung des Einzelnen als solche, sondern gegen die mit ihr verbundene Stärkung der Organisation. Es reiche nicht aus, wenn der Außenstehende gleiche Ansichten wie die verbotene Partei vertrete. Einer Meinungsäußerung sei daher nur dann eine objektive Gefahr immanent, wenn zusätzlich äußere, sich nicht nur aus der Willensrichtung des Äußernden ergebende Umstände hinzuträten, die der Äußerung einen unmittelbaren Förderungseffekt geben. Es bedürfe einer auf die terroristische Tätigkeit der Vereinigung bezogene Zweckgerichtetheit und insoweit gelte auch das Regelbeweismaß für Tatsachenfeststellungen. Engagierte Sympathisanten im Umfeld einer terroristischen Organisation, die wie hier der Kläger nicht strukturell in diese eingebunden seien, erfüllten daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht den Begriff der Unterstützung einer Vereinigung, die ihrerseits den Terrorismus unterstütze.
30 
Es müssten die gleichen Maßstäbe gelten wie für den strafrechtlichen Unterstützungsbegriff. Daran fehle es regelmäßig, wenn die Betätigung sich auf Geldspenden, Verteilung von Zeitungen und Flugblättern, die Teilnahme an friedlichen Demonstrationen, Hungerstreiks oder nicht gewalttätigen Besetzungsaktionen beschränke. Von terroristischem Aktivitäten im Einzelfall sei auszugehen, wenn der Betreffende aufgrund seiner hochrangigen Funktionärstätigkeit für die PKK eine qualifizierte Mitverantwortung für deren kriminelle und terroristische Aktivitäten in Deutschland trage. Dies werde auch durch die Rechtsprechung zur Anwendung von Art. 1 GFK, Art. 12 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2004/83/EG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 AsylG bestätigt. Auch dort gehe es um eine Zurechnung nach verwaltungsrechtlichen und nicht strafrechtlichen Grundsätzen, wobei dort der Beweisstandard hinsichtlich der materiellen Zurechnungskriterien gegenüber dem Strafrecht nicht herabgesenkt sei. Hier wie dort gehe es um die Gefährdung wichtiger öffentlicher Schutzgüter durch terroristische Gefahren. Verlangt werde dort ein vorsätzlicher Beitrag mit dem Ziel, die kriminelle Tätigkeit oder die strafbare Absicht der Gruppe zu fördern. Die Beiträge müssten also ausreichend sein, die Fähigkeit der Organisation, terroristische Anschläge zu verüben, zu fördern. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union fordere in diesem Zusammenhang eine individuelle Prüfung der genauen tatsächlichen Umstände. Er gehe davon aus, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit vermutet werden könne. Ob diese Vermutung gerechtfertigt sei, erfordere nach seiner Rechtsprechung aber eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände.
31 
In vorliegendem Fall sei zur Entlastung des Klägers zu berücksichtigen, dass er nicht in eine Organisation eingebunden sei, die sich terroristischer Mittel bediene. Zwar gehe das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass für den präventiven Gefahrenabwehrschutz gegenüber dem strafrechtlichen Maßstab der Begriff der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung erweitert werden dürfe. Aus verfassungsrechtlichen Gründen setze aber eine präventive Gefahrenabwehrmaßnahme voraus, dass durch das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorgerufen werde. Es bedürfe stets einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die auf konkret umrissenen Tatsachen beruhe. Dass Sympathiebekundungen für eine terroristische Organisation, selbst Sympathiebekundungen für terroristische Aktivitäten, eine Gefahr begründeten, sei eher fern liegend, sofern keine konkreten Anhaltspunkte dafür geliefert werden könnten, dass durch diese die öffentliche Sicherheit gefährdet werde. Die Anforderungen an den Wahrscheinlichkeitsgrad dürften nicht beliebig abgesenkt werden. Aufgrund des prognostischen Charakters des Gefahrenbegriffs und der Tatsache, dass nahezu jedes Gut mehr oder weniger risikogeneigt sei und mit Blick auf das Recht auf Inanspruchnahme grundrechtlicher Freiheiten müsse der Gesetzgeber in abstrakter Weise einen Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen erreichen. Dies könne dazu führen, dass Grundrechtseingriffe einer bestimmten Eingriffsintensität erst von bestimmten Verdachts- oder Gefahrenstufen an vorgesehen werden dürften. Dies gelte auch für § 54 Nr. 5 AufenthG. Es genüge nicht, dass in irgendeiner Form auf die terroristische Organisation und deren Aktivitäten hingewiesen werde, ohne dass nach dem deutlich erkennbaren Sinn der Äußerung deren terroristische geprägten Tätigkeiten im objektiven Sinne gefördert werden sollten. Gemessen hieran habe der Kläger durch seine Vereinsaktivitäten nicht den internationalen Terrorismus unterstützt. Für § 54 Nr. 5 AufenthG seien ein kognitives und ein voluntatives Element erforderlich. Hinsichtlich des voluntativen Elements des subjektiven Unterstützungsbegriffs fehle es indes an der verfassungsrechtlich gebotenen Eindeutigkeit. Nach der Rechtsprechung genüge es, dass der Einzelne in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst stehe, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringe und damit deren Stellung in der Gesellschaft, vor allem unter Landsleuten, begünstigend beeinflusse, deren Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitere und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefährdungspotenzials beitrage. Dies reiche aus verfassungsrechtlicher Sicht jedoch nicht aus. Auch eine bloße Stärkung eines latenten Gefährdungspotenzials genüge nicht den Anforderungen, die für die Eingriffsverwaltung an das Bestehen einer konkreten Gefahr zu fordern seien. Bei Äußerungen müsse eine vereinsfördernde Zielrichtung eindeutig erkennbar sein. Ob der Betroffene die Grenzen einer erlaubten Tätigkeit überschreite, sei davon abhängig, wie weit der grundrechtlich geschützte Freiheitsbereich reiche. Dies könne ohne voluntative Elemente nicht bestimmt werden. Es sei daher zu verlangen, dass der Einzelne sich mit den Zielvorstellungen und terroristischen Aktivitäten einer Organisation identifiziere. Dementsprechend genüge eine bloße politische Sympathiebekundung des Einzelnen für eine terroristische Organisation nicht. Die Schwelle sei erst überschritten, wenn Sympathie in Form der Verherrlichung des Guerillakampfes bekundet werde. Zwar könne danach auch der Personenkult für Öcalan berücksichtigt werden, weil diesem nach wie vor ein Symbolgehalt für den bewaffneten Kampf der PKK zukomme, es bedürfe aber zusätzlicher tatsächlicher Feststellungen für die Identifikation Einzelner mit dem Terrorismus, in dem Sinne, dass diese mit der Sympathiebekundungen für Personen oder Organisationen zugleich auch deren terroristisch geführten bewaffneten Kampf unterstützen wollten.
32 
Das Verwaltungsgericht habe auch keine schwerwiegenden Gründe im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 2. Halbsatz der Qualifikationsrichtlinie festgestellt. Eine Regelvermutung, wie das nationale Recht, kenne das Unionsrecht nicht. Es sei eine individuelle Prüfung unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles erforderlich. Das Refoulementverbot des Art. 33 Abs. 1 GFK müsse hierbei beachtet werden. Daher sei eine eigene erhebliche Gewalttätigkeit oder Bereitschaft hierzu oder eine strukturelle Einbindung in diese, etwa durch Ausübung einer aktiven Funktionärstätigkeit, erforderlich. Die bloße Mitgliedschaft des Klägers im Vorstand von YEK-KOM bzw. NAV-DEM sowie dessen Redebeiträge, die im Übrigen nicht dahingehend bewertet worden seien, ob der Kläger in diesen zu Gewaltanwendung aufgerufen habe, genügten nicht.
33 
Aus der Teilnahme an rechtmäßigen Versammlungen und an Veranstaltungen, in der sich die kulturelle Identität als Kurde manifestiert habe, folge nicht automatisch, dass der Betroffene selbst terroristische Handlungen unterstützt habe. Solche Veranstaltung seien auch nicht automatisch terroristische Handlungen.
34 
Zudem sei durch das neue Ausweisungsrecht dem bisherigen Automatismus eine klare Absage erteilt worden. Es sei danach eine ergebnisoffene Abwägung auf Tatbestandsseite erforderlich, die gerichtlich voll überprüfbar sei. Hier fehle es schon an einer konkreten Gefahr als Grundlage einer solchen Abwägung. Generalpräventiv motiviert sei die Ausweisung im Rahmen des § 53 Abs. 3 AufenthG, dessen Voraussetzungen auch im Übrigen nicht vorlägen, nicht zulässig. Es fehle an der Unerlässlichkeit der Maßnahme. Auch bei Annahme einer vom Kläger ausgehenden Gefahr gehe die Abwägung zu dessen Gunsten aus, da besonders schwerwiegende Ausweisungsinteressen nicht bestünden und zugleich besonders schwerwiegende und schwerwiegende Bleibeinteressen vorlägen. Der langjährige rechtmäßige Aufenthalt des Klägers in Deutschland und die Interessen seiner Familie, mit der er zusammen lebe, seien umfassend zu berücksichtigen. Eine Nachreisen der Familie in die Türkei sei dieser nicht zuzumuten. Auch sei zu beachten, dass eine Beendigung des Aufenthalts des Klägers aufgrund seines Flüchtlingsstatus nicht zulässig sei.
35 
Das Verhalten des Klägers erfülle auch deshalb nicht die Voraussetzungen der Art. 21 Abs. 2 und 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, da er selbst weder terroristische Handlungen begangen habe, noch solche geplant, entschieden oder andere dazu angeleitet bzw. finanziert oder er Mittel dazu beschafft habe. Eine dieser abschließend zu verstehenden Handlungen verlange der Gerichtshof der Europäischen in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ (Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 -, juris) jedoch. Auch betone dieser, dass eine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen keine solche Handlung sei und sich daraus nicht zwingend die Unterstützung solcher Taten ergebe.
36 
Der Kläger beantragt,
37 
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 27. Januar 2015 - 1 K 102/12 - die Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 10. Januar 2012 aufzuheben.
38 
Der Beklagte beantragt,
39 
die Berufung zurückzuweisen.
40 
Er führt im Wesentlichen aus: Die PKK sei auch nach wie vor als terroristische Organisation zu sehen. Sie sei weiterhin in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 sowie im bindenden Anhang zur Verordnung (EG) 2850/2001, zuletzt aktualisiert durch die Durchführungsverordnung (EU) 2015/513 vom 26. März 2015, aufgeführt. Zudem sei auf die Bundestagsdrucksache 18/3702 vom 7. Januar 2015 zu verweisen, in der die Bundesregierung deutlich mache, weshalb sie am Vereinsverbot bezüglich der PKK festhalte und diese als terroristische Organisation einstufe. Diese halte weiter an ihrem Standpunkt fest, nicht zwischen „guten“ und „bösen“ Terroristen zu unterscheiden. Zwar gehe die Bundesregierung nicht von Angriffen der PKK in Deutschland oder gegen deutsche Ziele aus, dennoch stünden Angriffe gegen Ziele des Nato-Partners Türkei unverändert auf dem Plan der PKK. Dies werde weiterhin von der Bundesregierung missbilligt und im Rahmen der Möglichkeiten deutscher Sicherheitsbehörden verhindert. Die Bundesregierung weise zudem darauf hin, dass die PKK Europa als Rückzugsraum für finanzielle und politische Aktivitäten betrachte. Weiterhin sei der Friedenprozess zwischen der Türkei und den Kurden seit Juli 2015 beendet, da die Waffenruhe zerbrochen und es zu neuen Kämpfen und Anschlägen gekommen sei. Am 22. Juli 2015 seien in Ceylanpinar im Südosten der Türkei zwei Polizisten ermordet worden. Die PKK habe sich hierzu bekannt. Am 10. August 2015 seien mehrere Anschläge in Istanbul erfolgt, darunter einer auf eine Polizeiwache, zu denen sich die PKK ebenfalls bekannt habe. Am 11. August 2015 habe es einen weiteren Anschlag in Südost-Anatolien gegeben, bei dem ein türkischer Soldat ums Leben gekommen sei.
41 
YEK-KOM und NAV-DEM unterstützten die PKK und deren Nachfolgeorganisationen insbesondere durch eine Plattform für Botschaften und Propaganda der PKK; sie gewährleisteten eine ständige Präsenz der PKK im gesellschaftlichen Leben der Kurden im Bundesgebiet. Die bloße Umbenennung der YEK-KOM in die NAV-DEM habe das Verwaltungsgericht zutreffend bewertet, dies werde auch durch den Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 24. August 2015 aufgezeigt. Eine Änderung des Arbeitsprogramms sei nicht erfolgt, es gebe auch keine Distanzierung der NAV-DEM von den Aktivitäten der YEK-KOM. Auf beiden Internetpräsenzen werde jeweils das Logo der NAV-DEM abgebildet, es werde das nahezu identische Layout verwendet, wie die Screenshots vom 20. August 2015 zeigten. Die NAV-DEM sei nach eigenen Angaben Mitglied der KON-KURD-Nachfolgeorganisation (europäischer Dachverband PKK-naher Vereine) und der Vorsitzende der NAV-DEM habe im März 2014 erklärt, dass man die deutsche Demokratie nicht akzeptieren könne, wie sich aus dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2014, Seite 131, ergebe. YEK-KOM bzw. NAV-DEM verträten entgegen der Darstellung des Klägers auch nicht lediglich die selben politischen Forderungen wie die PKK. Vielmehr würden die von der PKK gewählten Mittel der Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele öffentlich unterstützt, zumindest aber gebilligt. Die im verwaltungsgerichtlichen Urteil erwähnte Pressemitteilung der YEK-KOM zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Jahre 2012, in der ausgeführt werde, dass sich die kurdische Bevölkerung nicht verbieten lasse, die Symbole der PKK öffentlich zu zeigen und sich zu ihr zu bekennen, zeige das klare Bekenntnis zur PKK. Von der Gewaltanwendung der PKK habe sich die YEK-KOM auch nicht distanziert.
42 
§ 54 Nr. 5 AufenthG sei im Zusammenhang mit der UN-Resolution 1373 vom 28. September 2001 zu sehen, in der die Staaten dazu aufgefordert würden, die Nutzung ihres Staatsgebietes für die Vorbereitung, Durchführung und Finanzierung internationaler terroristischer Akte zu verhindern. Daher setze § 54 Nr. 5 AufenthG nicht voraus, dass von dem betroffenen Ausländer bereits eine konkrete Gefahr ausgehe. Angesichts der außerordentlichen Gefahren des internationalen Terrorismus sei es gesetzgeberischer Wille, dass die Voraussetzungen dieses Ausweisungsgrundes deutlich niedriger anzusetzen sei.
43 
Erforderlich sei eine wertende Gesamtbetrachtung der Aktivitäten und des Verhaltens des Ausländers. Einzelne belegbare Unterstützungshandlungen müssten vorliegen, die nach vernünftiger Wertung den Schluss zuließen, dass der Ausländer in nicht völlig unerheblicher Weise eine terroristische Organisation unterstütze. Zur Sicherung vor unverhältnismäßigen Eingriffen, etwa in die Meinungsfreiheit, müsse die Tätigkeit für den Ausländer erkennbar geeignet sein, sich auf die unterstützte Vereinigung positiv auszuwirken. Lediglich politische, humanitäre oder sonstige Ziele genügten nicht, das sei auch berücksichtigt worden. Die zahlreichen Aktivitäten des Klägers auch in herausgehobener Funktion könnten nicht als bloßes Gedenken an verstorbene Verwandte gewertet werden, da zugleich der Einsatz von Gewalt als politisches Mittel gebilligt worden sei. Der Kläger in seinen herausgehobenen Funktionen habe auch gewusst, dass Märtyrergedenkveranstaltungen für die Sache der PKK instrumentalisiert würden. Zurechenbar seien ihm die Unterstützungshandlungen auch mangels klarer Distanzierung durch ihn oder die Organisationen, für die er tätig gewesen sei und ist.
44 
Die Ausweisungsverfügung sei auch nach neuem Recht rechtmäßig. Die Voraussetzungen des Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie lägen vor, nachdem sogar jene des Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie vom Verwaltungsgericht zu Recht bejaht worden seien. Der Kläger irre, wenn er meine, der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seiner Entscheidung in der Rechtssache „T.“ zwingend eine Unterstützung in Form von eigenen terroristischen Tätigkeiten oder eine herausgehobene Stellung in der terroristischen Vereinigung selbst zur Voraussetzung gemacht. Stets sei der Einzelfall zu untersuchen und es gebe danach auch andere Formen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
45 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger den Beweisantrag gestellt: „Es soll eine Auskunft zu den Tatsachen, dass die NAV-DEM insbesondere das Ziel verfolgt, die Interessen aller Kurden aus den Staaten Syrien, Irak und Türkei und die Integration der in Deutschland lebenden Kurden zu fördern sowie die Öffentlichkeit auf die Situation der bedrohten kurdischen Minderheiten im Irak und in Syrien hinzuweisen und für die Leistung humanitärer Hilfe für diese Personengruppe zu werden, eingeholt werden durch eine Auskunft durch den Sachverständigen A. I., Steindamm 39, 20099 Hamburg“. Diesen hat der Senat abgelehnt.
46 
Dem Senat liegen die verfahrensbezogenen Akten der Behörde vor. Es hat im weiteren die sich aus Blatt 165 der Gerichtsakten ergebenden weiteren Erkenntnismittel erhoben, die den Parteien zuvor zugänglich gemacht wurden. Wegen des weiteren Vortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 13. Januar 2016 verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
83 
Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
92 
Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
94 
- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
95 
- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
96 
- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
97 
Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
98 
- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
99 
- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
100 
- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
111 
Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
124 
Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
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Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
150 
Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
47 
Die nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2015 ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Ausweisungsverfügung den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO) (I.). Nicht streitgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, gegen die sich der Kläger mit seinem Berufungsantrag nicht wendet (II.).
I.
48 
Die Ausweisungsverfügung ist auf § 53 Abs. 1 AufenthG i. V. m. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG in der seit 1. Januar 2016 geltenden Fassung (Art. 9 des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung, BGBl. I, S. 1386 <1399>) zu stützen; maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der der mündlichen Verhandlung des Senats (BVerwG, Urteil vom 04. Oktober 2012 - 1 C 13.11 -, Rn. 16, BVerwGE 144, 230, Rn. 16 und vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 -, BVerwGE 143, 277, Rn. 12).
49 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Nicht mehr entscheidungserheblich ist danach, ob der Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren seine Ermessenserwägungen in hinreichender Form nachgebessert hat (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 13.12.2011 - 1 C 20.11 -, juris). Denn ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung auf Tatbestandsseite, nicht mehr eingeräumt (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Ausweisung, Überblick, Stand: 18.01.2016, Rn. 1; terminologisch unzutreffend daher: Marx, Aufenthalts- Asyl- und Flüchtlingsrecht, 5. Aufl. 2015, § 7, Rn. 163).
50 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das danach besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (1.). § 53 Abs. 3 AufenthG modifiziert den Ausweisungsmaßstab im Sinne erhöhter Anforderungen an das Gewicht der drohenden Rechtsgutsverletzung, sofern die in dieser Vorschrift aufgeführten Personengruppen betroffen sind. Der Kläger unterfällt als anerkannter Flüchtling dieser Regelung (2.). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Ausländers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, aber nicht abschließend aufgeführt hat (3.). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung des weiteren rechtmäßigen Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4.). Aus all dem folgt auch, dass die Ausweisung vorliegend nicht gegen die assoziationsrechtlichen Stand-Still-Klauseln verstößt (5.).
51 
1. Im Fall des Klägers liegt ein besonders schwer wiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, der bestimmt, dass ein solches im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wovon - unter anderem dann - auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.
52 
Der Kläger unterstützt seit längerem und auch aktuell die PKK, eine terroristische bzw. den Terrorismus unterstützende Vereinigung (a.), und dies überwiegend in herausgehobener Funktion (b.).
53 
a.) Das Aufenthaltsgesetz selbst enthält keine eigene Definition des Terrorismus. Da die - insoweit - tatbestandlich deckungsgleichen Vorgängervorschriften des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG47 Abs. 2 Nr. 4 AuslG i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; § 54 Nr. 5 AufenthG a. F.) auf die UN-Sicherheitsratsresolution 1373 (2001) vom 28. September 2001 zurückgehen (Art. 11 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 09.01.2002, BGBl I, Nr. 3, S. 361; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 1. Aufl., 2012, S. 187) und diese das Internationale Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl 2003 II, S. 1923) in Bezug nimmt, wird in der Rechtsprechung zunächst auf die Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 lit. b des Internationalen Übereinkommens abgestellt (BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, BVerwGE 147, 261 und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris). Danach ist eine terroristische Straftat als eine Handlung definiert,
54 
„die den Tod oder eine schwere Körperverletzung einer Zivilperson oder einer anderen Person, die bei einem bewaffneten Konflikt nicht aktiv an den Feindseligkeiten teilnimmt, herbeiführen soll, wenn diese Handlung aufgrund ihres Wesens oder der Umstände darauf abzielt, die Bevölkerung einzuschüchtern oder eine Regierung oder internationale Organisation zu einem Tun oder Unterlassen zu nötigen“.
55 
Im Weiteren wird auf den Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (2001/931/GASP) Bezug genommen (ABl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93, juris), der in seinem Artikel 1 Abs. 3 terroristische Handlungen wie folgt definiert:
56 
„Im Sinne dieses Gemeinsamen Standpunkts bezeichnet der Ausdruck "terroristische Handlung" eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,
57 
i) die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder
58 
ii) eine Regierung oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder
59 
iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:
60 
a) Anschläge auf das Leben einer Person, die zum Tode führen können;
61 
b) Anschläge auf die körperliche Unversehrtheit einer Person;
62 
c) Entführung oder Geiselnahme;
63 
d) weit reichende Zerstörungen an einer Regierungseinrichtung oder einer öffentlichen Einrichtung, einem Verkehrssystem, einer Infrastruktur, einschließlich eines Informatiksystems, einer festen Plattform, die sich auf dem Festlandsockel befindet, einem allgemein zugänglichen Ort oder einem Privateigentum, die Menschenleben gefährden oder zu erheblichen wirtschaftlichen Verlusten führen können;
64 
e) Kapern von Luft- und Wasserfahrzeugen oder von anderen öffentlichen Verkehrsmitteln oder Güterverkehrsmitteln;
65 
f) Herstellung, Besitz, Erwerb, Beförderung oder Bereitstellung oder Verwendung von Schusswaffen, Sprengstoffen, Kernwaffen, biologischen und chemischen Waffen sowie die Forschung und Entwicklung in Bezug auf biologische und chemische Waffen;
66 
g) Freisetzung gefährlicher Stoffe oder Herbeiführen eines Brandes, einer Explosion oder einer Überschwemmung, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
67 
h) Manipulation oder Störung der Versorgung mit Wasser, Strom oder anderen lebenswichtigen natürlichen Ressourcen, wenn dadurch das Leben von Menschen in Gefahr gebracht wird;
68 
i) Drohung mit der Begehung einer der unter den Buchstaben a) bis h) genannten Straftaten;
69 
j) Anführen einer terroristischen Vereinigung;
70 
k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt.
71 
Im Sinne dieses Absatzes bezeichnet der Ausdruck "terroristische Vereinigung" einen auf längere Dauer angelegten organisierten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die in Verabredung handeln, um terroristische Handlungen zu begehen. Der Ausdruck "organisierter Zusammenschluss" bezeichnet einen Zusammenschluss, der nicht zufällig zur unmittelbaren Begehung einer terroristischen Handlung gebildet wird und der nicht notwendigerweise förmlich festgelegte Rollen für seine Mitglieder, eine kontinuierliche Mitgliedschaft oder eine ausgeprägte Struktur hat.“
72 
Bei der hiernach erforderlichen wertenden Gesamtschau sind insbesondere die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung als auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele für terroristische Handlungen kennzeichnend, daneben aber auch Tötungen von abtrünnigen Mitgliedern der eigenen Organisation oder von Sicherheitskräften, sofern die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne des Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 nicht erfüllt sind (OVG NRW, Urteil vom 02.07.2013 - 8 A 5118/05.A -, juris, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285; BVerwG, Urteile vom 07.07.2011 - 10 C 26.10 -, juris und vom 04.09.2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230; jew. zum Ausschluss der Asylberechtigung wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten der PKK) bzw. eine Rechtfertigung über Art. 43 i. V. m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 08. Juni 1977 (BGBl. 1990 II, S. 1551) nicht in Betracht kommt (so: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, verneinend zur PKK), Der Senat ist sich danach bewusst, dass für die Definition des Terrorismus nicht schlicht auf die Anwendung von Gewalt abgestellt werden kann und auch Konstellationen denkbar sind, bei denen sich eine Gewaltanwendung als legitimes Mittel zur Wiederherstellung eines völkerrechtsgemäßen Zustands darstellt.
73 
Davon ausgehend gibt der vorliegende Fall dem Senat keinen Anlass, seine bisherige Bewertung zu revidieren, dass es sich bei der PKK um eine terroristische bzw. eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung handelt (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris; Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412).
74 
Die PKK ist auch weiterhin auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP -, ABl. EG L 116 vom 03.05.2002, S. 75, zuletzt aktualisiert mit Beschluss 2015/2430 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 337 vom 22.12.2012, S. 18 und die Durchführungsverordnung 2015/2425 des Rates vom 21.12.2015, ABl. L 334 vom 22.12.2015, S. 1), was nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Feststellung erlaubt, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09, C-101/09 -, NVwZ 2011, 285). Folgt man der Auffassung der Generalanwältin Sharpston, die in der Aufnahme einer Organisation in die Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 „auf den ersten Blick“ einen „deutlichen Anhaltspunkt dafür“ sieht, „dass die Organisation entweder eine terroristische Organisation ist oder (gestützt auf Beweise, die ihrerseits rechtlich angegriffen werden können) im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein“ (EuGH, Schlussanträge vom 11.09.2014, C- 373/13 -, juris, Rn. 95), führt dies in Bezug auf die PKK zu keiner anderen Bewertung. Der Senat geht unbeschadet der Listung der PKK davon aus, dass von dieser keine Bindungswirkung ausgeht und daher eine eigenständige gerichtliche Prüfung der vorliegenden Erkenntnismittel nicht entbehrlich ist (so auch: BayVGH, Beschluss vom 08.05.2009 - 19 CS 09.268 -, juris; a. A.: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 83), gleichwohl handelt es sich um ein gewichtiges Indiz, zumal gegen eine Listung effektiver gerichtlicher Rechtsschutz gewährt wird (Bauer, in: Sinn/Zöller, Neujustierung des Strafrechts durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität, 2013, 103 <111>, unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2012 - C-539/10 P, 550/10 P -, juris).
75 
Der Senat legt in tatsächlicher Hinsicht zunächst die im bisherigen Verfahren vom Beklagten und dem Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zu den Aktivitäten der PKK zu Grunde, die der Kläger auch nicht in Frage stellt (Ziffer 2.1.1. der Ausweisungsverfügung, Blatt 25 bis 27 der Akte des Verwaltungsgerichts; Ziffer 1. a) des Urteils des Verwaltungsgerichts, Seite 8, unten, letzter Absatz bis Seite 10, Blatt 8 bis 10 der Gerichtsakte).
76 
Hiervon ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die PKK, wie in den in Bezug genommenen Entscheidungen des Senats und in dem angegriffenen Urteil des Verwaltungsgerichts schon ausgeführt, zu keinem Zeitpunkt ernst- und dauerhaft von terroristischen Aktionen Abstand genommen hat, da von ihr ausgerufene Waffenruhen stets wieder beendet wurden. Selbst während solcher Waffenruhen kam es weiterhin zu terroristischen Aktivitäten. Die Global Terrorism Database der University of Maryland (start.umd.edu unter dem Stichwort PKK) listet in ihrer aktuell bis Ende 2014 reichenden Datensammlung zahlreiche terroristische Aktivitäten in der Türkei auf, die der PKK bzw. deren militärischen Arm, der HPG, zugerechnet werden. In zwei - im Übrigen gravierenden - Fällen aus dem Jahr 2014 hat diese sogar ausdrücklich die Verantwortung für Anschläge übernommen, und zwar für einen Angriff am 26. September 2014 auf Verkehrspolizisten zwischen Diyarbakir und Bitlis, bei der drei Polizisten getötet und zwei verwundet wurden und einen weiteren „Granatenangriff“ auf eine Fabrikanlage am 24. Oktober 2014 in Kagizman, in der Provinz Kars, bei der drei der Angreifer getötet wurden. Wie sich der aktuellen Tagespresse und den weiteren Erkenntnismitteln des Gerichts entnehmen lässt, hat die PKK zuletzt Ende Juli 2015 die zuvor etwa zwei Jahre währende (relative) Waffenruhe ausdrücklich aufgekündigt. Es kam in der Folge, als Reaktion auf einen Anschlag in der türkischen Stadt Suruc, zur Ermordung zweier türkischer Polizisten in Ceylanpinar, zu der sich die PKK bekannt hat, und in der Folge zudem zu Auseinandersetzungen von pro-türkischen und pro-kurdischen Gruppen auch in Deutschland (Deutscher Bundestag, „Konflikt zwischen der Türkei und PKK“, Parlamentsnachrichten vom 22.10.2015; tagessschau.de, „PKK bekennt sich zu Anschlag auf Polizisten“, 22.07.2015, 15:29 Uhr; Deutschlandfunk.de, „PKK fühlt sich nicht mehr an erklärten Gewaltverzicht gebunden“, 05.11.2015; Wladimir van Wilgenburg, jamestown.org, TerrorismMonitor, Vol. XIII, Issue 19, 17.09.2015, „Turkey`s New Syria Policy: Preventing Islamic State an Kurdish Expansion“, S. 6 f.). Die Australian National Security weist in einer aktuellen Stellungnahme zur PKK darauf hin, dass diese zwar im Zuge der Waffenruhe mit dem türkischen Staat ihre terroristischen Aktivitäten heruntergefahren habe, gleichwohl aber seit dem 20. August 2012 über 50 Menschen durch Attacken der PKK ums Leben gekommen und über 300 gekidnappte Kinder zwischen Dezember 2013 und Mai 2014 zu verzeichnen gewesen seien (nationalsecurity.gov.au/listedterrororganisations/pages/kurdistanworkersparty). Entführungen von Kindern zur Erpressung von Geldzahlungen werden auch durch eine weitere seriöse Quelle bestätigt: M. M. berichtet in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 31. Oktober 2015 in einem ausführlichen Hintergrundbericht („Die heimlichen Herrscher von Diyarbakir“, S. 7) von einer größer werdenden Abhängigkeit gewählter Politiker der HDP von der PKK in den kurdischen Gebieten der Türkei mit nach Auskunft von kurdischen Menschenrechtlern, wie etwa S. B., fatalen Folgen für jene Kurden, die bei der PKK nicht wohlgelitten seien: „Die PKK sieht sich keinen moralischen oder rechtlichen Werten unterworfen“, so B.. Wer ins Fadenkreuz der PKK gerate, könne auf niemanden hoffen. Die PKK treibe ihre eigenen Steuern ein und entführe Kinder von Leuten, die nicht zahlten. Er, B., sei überrascht, dass man im Ausland so wenig darüber wisse. Und weiter: In Diyarbakir sei es leichter, Erdogan oder den türkischen Staat anzugreifen als die PKK. „Der Preis für Kritik an der PKK kann der Tod sein, das Verbrennen von Autos, Häusern, Büros. Ich habe viele Drohungen bekommen.“, so B..
77 
Angesichts dieser Erkenntnislage kann keine Rede davon sein, die PKK hätte sich zu einer den Menschenrechten und der Demokratie verpflichteten Organisation gewandelt. Die Erschießung von Verkehrspolizisten, der Angriff auf eine Fabrikanlage mit Granaten sowie die Entführung von Kindern zur Finanzierung der eigenen Aktivitäten lassen sich nach Auffassung des Senats nicht als Kampfhandlungen in einem innerstaatlichen Konflikt oder gar als ein völkerrechtlich gerechtfertigtes Handeln in einem solchen bewerten (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274).
78 
Der Senat sieht sich hier auch in Übereinstimmung mit den aktuellen Bewertungen der PKK und deren Teilorganisationen durch den Bundesgerichtshof, (Beschluss vom 03.09.2015 - AK 27/15 -, BeckRS 2015, 16318; vom 19.03.2015 - AK 2/15 -, juris; vom 06.05.2014 - 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, auch zur Zurechnung von Taten der TAK zur PKK; vom 16.02.2012 - AK 1/12 und AK 2/12 -, juris, zur KCK und der HPG; Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10 -, NJW 2011, 542; vgl. auch Haverkamp, ZStW 2011, 92 <96>, Fn. 25, die bezüglich der PKK von einer Allianz von Terrorismus mit organisierter Kriminalität ausgeht).
79 
Soweit der Kläger daher auf veränderte politische Umstände und dabei insbesondere darauf abstellen will, dass die PKK sich nunmehr dem Kampf gegen den IS, dem Schutz der Zivilbevölkerung im Norden Syriens verpflichtet fühle, den bewaffneten Kampf gegen die Türkei aufgegeben habe und entgegenstehende Äußerungen hochrangiger Funktionäre der PKK als Teil der Propaganda zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu bewerten seien, ist dies auch durch das aktuelle Vorgehen der PKK eindrucksvoll widerlegt. Selbst wenn man mit dem Kläger einmal unterstellt, die PKK sei mit der YPG gleichzusetzen und in Syrien dem Schutz der Kurden und Jesiden verpflichtet, ändert dies nichts an den in der Türkei verübten terroristischen Taten.
80 
b.) Davon ausgehend stellen sich die vom Kläger unbestritten entfalteten Aktivitäten ab Dezember 2010 als Unterstützungshandlungen zu Gunsten der PKK dar, die ihm als Ausweisungsinteresse auch vorgehalten werden dürfen.
81 
Im konkreten Fall können allerdings nur noch diejenigen Aktivitäten des Klägers ein solches begründen, die dieser nach erfolgter Mitteilung im Juli 2010 an ihn, dass wegen seiner Aktivitäten die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. seine Ausweisung geprüft werde, entfaltet hat. Davor liegende sind aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht. Denn ein Ausweisungsinteresse ist, wie auch bislang schon ein Ausweisungsgrund, verbraucht, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis bzw. in der Sphäre des Staates zuzurechnender Unkenntnis desselben erteilt bzw. verlängert wurde (Discher, in: GK-AufenthG, Juni 2009, Vor §§ 53. ff. AufenthG, Rn. 382 ff., m. w. N.). So liegt der Fall hier. Darauf, ob solche Aktivitäten der den Titel erteilenden Ausländerbehörde tatsächlich selbst bekannt waren, kommt es mit Blick auf den damit bezweckten Vertrauensschutz, der sich aus der Perspektive des betroffenen Ausländers bestimmt, nicht entscheidend an. Vielmehr genügt es, wenn solche Aktivitäten der Ausländerbehörde hätten bekannt sein können, was hier der Fall ist, nachdem diese selbst eine Sicherheitsüberprüfung mit Blick auf vorliegende Erkenntnisse eingeleitet und sodann die Niederlassungserlaubnis erteilt hat, ohne das Ergebnis der Überprüfung abzuwarten. Dass dies unter der - irrigen - Annahme erfolgte, eine Überprüfung sei vorliegend rechtlich nicht erforderlich, ändert hieran nichts.
82 
Diese Aktivitäten des Klägers sind auch überwiegend als Unterstützungshandlungen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu werten, insoweit gelten die Maßstäbe des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung vom 30. Juli 2004 (BGBl I, S. 1950) - AufenthG a. F. und die hierzu in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze - weiterhin. Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein, nicht vorausgesetzt wird, dass diese ihm auch bekannt ist und er sich dessen bewusst sein muss. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern soll durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) gefördert werden, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. bzw. § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG n. F. vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, InfAuslR 2005, 374, zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 -, juris, m. w. N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 -, InfAuslR 2011, 105; Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris, vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, DVBl 2010, 797; vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris; vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris; BayVGH, Urteil vom 29.11.2010 - 11 K 1763/10 -, juris).
83 
Soweit der Kläger die dargestellten rechtlichen Maßstäbe in grundsätzlicher Art angreift, überzeugt dies den Senat nicht.
84 
Der Senat folgt nicht seiner Auffassung, Verfassungs- bzw. Unionsrecht verlangten, dass das individuelle mit der Ausweisung bekämpfte Verhalten des Einzelnen eine konkrete mit der jeweiligen Einzelhandlung verbundene Gefahr für wichtige Gemeinschaftsgüter hervorrufe. Ein verfassungs- oder unionsrechtlicher Rechtssatz, der dazu zwingen würde, nur konkrete terroristische Gefahren mit der Ausweisung zu bekämpfen, ist nicht ersichtlich. Die dahingehende Argumentation des Klägers bleibt daher auch gänzlich unspezifisch. Es ist nichts Grundsätzliches dagegen einzuwenden, wenn der Gesetzgeber mit Blick auf die spezifischen Gefahren terroristischer Aktivitäten unter Berücksichtigung der Bedeutung der davon betroffenen hochrangigen Rechtsgüter (Leib, Leben, Freiheit der Bevölkerung, hohe Sachwerte sowie die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik) und des zumeist konspirativen (Beweisnot), ideologisch motivierten Vorgehens solcher Vereinigungen (Gruppendynamik), aus denen sich gravierende Nachweisschwierigkeiten und deren erschwerte Bekämpfbarkeit ergeben, mit einer Absenkung des Gefahrenmaßstabs reagiert. Dies entspricht anerkannten Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts.
85 
Soweit der Kläger meint, es sei stets ein Vollbeweis zu führen, gilt nichts anderes. Der gesetzlich normierte abgesenkte Beweismaßstab der Regelung ist dem Grunde nach, insbesondere mit Blick auf die bereichstypische Beweisnot und die Hochwertigkeit der zu schützenden Rechtsgüter, rechtlich unbedenklich, weil sachangemessen. Die Grenzen sind gegebenenfalls von der Rechtsprechung anhand konkreter Fälle zu präzisieren, was auch geschieht (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701; vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, NVwZ 2005, 1091; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 -, juris; BayVGH, Beschluss vom 09.11.2005 - 24 CS 05.2621 -, NVwZ 2006, 1306; siehe auch: Berlit, NVwZ 2013, 327, m. w. N; Kirsch, NVwZ 2012, 677; Eckertz-Höfer, in: Barwig u. a., Perspektivwechsel im Ausländerrecht?, 2007, 105 <114>; Marx, ZAR 2004, 275). Auch ist sich der Senat durchaus der Problematik von Beweisketten bewusst, bei denen “sich die Beweiskraft […] umso mehr verringert, je länger die Kette ist, und umso schneller vermindert, je geringer die jeweilige Beweiskraft der je einzelnen Indizien ist“ (so schon: Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I, 1. Aufl., 1981, S. 181 f.). Daraus erwächst in vorliegendem Fall allerdings schon deshalb kein entscheidungserhebliches Problem, weil weder die dem Kläger vorgehaltenen Aktivitäten in tatsächlicher Hinsicht im Streit stehen, noch die der Vereinigungen, in denen er tätig war und ist und letztlich auch nicht die der PKK, sondern jeweils nur deren Bewertung.
86 
Zudem ist inzwischen geklärt, dass eine gleichlaufende Auslegung von straf- und ausweisungsrechtlichem Unterstützungsbegriff nicht geboten ist (BVerwG, Urteil vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -, NVwZ 2012, 701). Die nicht deckungsgleichen Ziele des Strafrechts einerseits und des Rechts der Gefahrenabwehr andererseits schließen die Möglichkeit einer effektiven Abwehr terroristischer Gefahren einzig über das Strafecht oder auf der Grundlage der dieses Rechtsgebiet prägenden Begrenzungen aus. Strafe im verfassungsrechtlichen Sinne, verstanden als auch „sozialethisches Unwerturteil“ (so: BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 - 2 BvR 1371/96 -, BVerfGE 96, 245) dient als reaktive Maßnahme vornehmlich dem Schuldausgleich, die Prävention ist nur ein Teilaspekt der Strafzumessung und diese ist wiederum begrenzt durch die individuelle Schuld des Täters (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB). Damit ist sie im Kern auf die Aufarbeitung schon geschehener oder versuchter Taten (§ 22 StGB) begrenzt. Ihre daher nur punktuell zulässige Erstreckung auf Vorfeldaktivitäten steht, wie die §§ 89a, 129a, 129b StGB und die dazu ergangene Rechtsprechung deutlich machen, in einem verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis, das es ausschließt, eine hinreichend effektive, insbesondere aktive und rechtzeitige Abwehr künftiger Gefahren nach Opportunitätsgesichtspunkten über Strafvorschriften oder unter Bindung an deren Begrenzungen zu gewährleisten.
87 
Wenn der Kläger sich schließlich darauf beruft, stets nur an erlaubten (präziser: nicht verbotenen) Veranstaltungen teilgenommen zu haben bzw. teilzunehmen und stets nur für nicht verbotene Vereine tätig zu sein, greift dies aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht durch: Aus rechtlichen nicht, da § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im Gegensatz zu Nr. 3 der Vorschrift gerade nicht auf ein Verbot abstellt und ein solches deren Mitglieder vermehrt zu konspirativem Verhalten veranlassen kann, ohne dass damit für die Gefahrenabwehr viel gewonnen wäre. Es kann daher aus Gründen der Gefahrenabwehr opportun sein, von einem solchen abzusehen. Aus tatsächlichen nicht, da es fern liegt, annehmen zu wollen, dem Kläger sei das auch terroristische Verhalten der PKK in der Türkei entgangen und er sei sich im Unklaren über die Bedeutung seines eigenen Tuns, zumal er sich augenscheinlich fast ausschließlich mit der Kurdenthematik zu beschäftigen scheint und er die vom Gericht mitgeteilten Erkenntnisse zur PKK sowie der YEK-KOM bzw. NAV-DEM noch nicht einmal ansatzweise in Abrede gestellt hat (dazu sogleich unten).
88 
Nach den dargelegten Maßstäben stehen zur Überzeugung des Senats hier eine Vielzahl von Tatsachen fest, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen, weitere herausgehobene Tätigkeiten als Redner und Organisator von PKK-nahen Veranstaltungen und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten Aktionen und Veranstaltungen solcher Vereinigungen.
89 
Im Einzelnen sind dem Kläger zunächst die sich aus der Ausweisungsverfügung ergebenden Aktivitäten bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis an ihn vorgehalten worden, auf die hier verwiesen wird (Ziffer 1.2. der Ausweisungsverfügung, Seite 3 bis 9; Blatt 16, unten, bis einschl. Blatt 23, erster Absatz oben, der Akte des Verwaltungsgerichts) und die von diesem ebenso wenig in Abrede gestellt werden, wie die weiteren, die der Kläger nach Mitteilung des Beklagten an ihn im Juli 2010, dass eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis bzw. eine Ausweisung mit Blick auf seine Aktivitäten zu Gunsten der PKK geprüft werde, entfaltet hat:
90 
- Am 5. Dezember 2010 nahm er an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim in der Siedlerhalle teil. Dort waren eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht. Ein in Guerillauniform auftretender Redner lobte die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe. Dies habe man dem großen Führer Apo und den Parteimärtyrern zu verdanken. Man dürfe auch die Kämpfer an der Front nicht vergessen, die man von hier aus grüße. Ein weiterer Redner referierte über die Geschichte der PKK.
91 
- Am 20. Februar 2011 nahm der Kläger an einer Mitgliederversammlung der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. (KG HN) teil. Nach einer Schweigeminute für die Märtyrer Kurdistans und der ganzen Welt referierte er über die unzureichende Vorstandstätigkeit des Vereins und forderte dazu auf, verstärkt Mitglieder zu werben. Er wisse, dass im Raum Heilbronn 500 bis 600 kurdische Familien lebten, die meisten von ihnen hätten aber nur deswegen keinen Kontakt zum Verein, weil sie Angst vor den deutschen Behörden hätten. Es bestünde kein Grund zur Furcht, da alles angemeldet und der Verein absolut legal sei. Der Kläger bat die Anwesenden, auf die Kurden zuzugehen, mit ihnen zu reden und ihnen die Angst zu nehmen.
92 
Nach Durchführung der Sicherheitsbefragung am 23. Februar 2011:
93 
- Am 5. August 2011 war der Kläger in der Yeni Özgür Politika (YÖP) abgebildet, dies anlässlich einer Kampagne zur Anerkennung der kurdischen Identität, organisiert von der YEK-KOM. Laut der Berichterstattung hat er im Heilbronner Verein über die Ziele der Kampagne informiert.
94 
- Laut Mitteilung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 30. Januar 2012 war der Kläger am 4. November 2011 Teilnehmer und Redner bei einem Aufzug mit Kundgebung in Mannheim zum Thema „türkische Regierung verwendet Napalmgas und chemische Waffen gegen die türkische Bevölkerung/Schluss mit der Isolationshaft von Öcalan/Schluss mit den Verhaftungswellen in der Türkei gegen die kurdischen Politiker“. Der Redebeitrag des Klägers habe den Eindruck hoher Emotionalität vermittelt.
95 
- Am 2. Dezember 2011 nahm er an einer Gedenkfeier zum 33. Partei-gründungs-Jahrestag, dem 27. November 1978, in Heilbronn teil. Auch dort hingen Bilder von Öcalan und Parteifahnen, auch der ERNK, der früheren Propagandaorganisation der PKK. Nach einer Gedenkminute für die kurdischen Märtyrer und der Begrüßung schilderte ein Redner die Parteigründung durch Öcalan und dessen Genossen. Die Erfolgsgeschichte der Partei dauere bis heute an, leider aber auch ihre Schwierigkeiten, bedauerlicherweise auch in Europa. Es sei erforderlich, die Partei zu unterstützen. Es wurden mehrfach Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert. Auch dort waren fast ausschließlich PKK-Unterstützer zugegen.
96 
- Am 13. Dezember 2011 wurde der Kläger erneut in der YÖP anlässlich eines Vereinskongresses in Stuttgart erwähnt. Er forderte dort die hier lebenden Kurden auf, stärker für ihre Identität einzutreten.
97 
Nach Verfügung der Ausweisung am 10. Januar 2012:
98 
- In der YÖP vom 14. Februar 2012 wurde er als Teilnehmer des 3. Kongresses der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. abgebildet. Er führte dort in seiner Rede aus, dass die Kurden in der Türkei und in Europa unter Beschuss stünden, da ihnen die Existenz ihrer eigenen Kultur abgesprochen werde.
99 
- Aus dem Bericht des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden Württemberg vom 19. Dezember 2012 ergibt sich, dass der Kläger zwar das Amt des 2. Vorsitzenden der YEK-KOM seit Ende 2011 nicht mehr ausübt, er jedoch bereits im Mai 2012 erneut in den Vorstand der YEK-KOM gewählt wurde.
100 
- In dieser Funktion ist er ausweislich des weiteren Berichts des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 17. Oktober 2013 beispielsweise als Versammlungsleiter des 20. kurdischen Kulturfestivals am 8. September 2012 in Mannheim in Erscheinung getreten. Bei dieser Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen Polizeibeamte.
101 
- Er ergriff am 16. Januar 2013 in Mannheim im Rahmen einer Solidaritätsdemonstration für die drei in Paris ermordeten PKK-Aktivistinnen das Wort und verurteilte das Attentat scharf. Er vertrat die Meinung, dass die Morde nicht nur in den Personen der Aktivistinnen angesiedelt seien, sondern auch auf politische Überlegungen zurückzuführen seien, die einen Fortbestand der kriegerischen Auseinandersetzungen der Heimat zum Ziel hätten. Die Geheimdienste stünden hinter diesem Anschlag. Der französische Staat könne diesen problemlos aufklären, wenn er dies nur wolle. Folglich müssten die Kurden einen legitimen demokratischen Druck auf den französischen Staat ausüben. Der Kläger rief zu Sitzstreiks in allen Städten mit französischen Botschaften und ähnlichen Einrichtungen auf, bis eine Aufklärung des Attentats erfolgt sei.
102 
- Am 21. Mai 2013 war der Kläger im Namen der YEK-KOM bei den Vorstandswahlen der kurdischen Gemeinschaft Heilbronn e.V. anwesend.
103 
- Am 8. September 2013 fungierte der Kläger als Versammlungsleiter bei einer Mitgliederversammlung mit Vorstandswahl des PKK-nahen mesopotamischen Anadolu Kulturvereins e.V. (MAK). Zur PKK-Nähe des MAK Lahr sei auf den Bericht des Landesamtes vom 9. März 2010 an das Innenministerium zu verweisen.
104 
- Am 29. April 2014 war der Kläger in der YÖP als Teilnehmer des Gründungskongresses des kurdischen-demokratischen Gesellschaftszentrums am 27. April 2014 in den Räumlichkeiten des PKK-nahen kurdischen Kulturvereins e.V. in ... abgebildet.
105 
- Am 10. Oktober 2015 hielt der Kläger anlässlich einer Protestaktion in Frankfurt im Namen der NAV-DEM eine Rede.
106 
Nach „Auflösung“ der YEK-KOM am 22. Juni 2014 ließ sich der Kläger am selben Tag in gleicher Sitzung, zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied der YEK-KOM, in den fünfköpfigen Vorstand der NAV-DEM wählen. Diese Vorstandstätigkeit übt er bis heute aus, und er ist in dieser Funktion seitdem auch als Redner und Versammlungsleiter auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten, die erkennbar der Propaganda für die PKK dienten. Der Kläger engagiert sich damit seit langem ohne Zäsur in herausgehobener Position unterstützend für die PKK.
107 
Daran, dass die YEK-KOM die PKK unterstützt hat, bestehen weiterhin keine vernünftigen Zweifel. Hierzu hat der Senat schon in seinem Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 47, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 -, InfAuslR 2013, 418, bestätigt wurde, ausgeführt:
108 
„Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder - nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM - für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010 im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.“
109 
Für die NAV-DEM gilt insoweit nicht anderes. Soweit der Kläger unter Verweis auf schriftliche Erklärungen der NAV-DEM meint, dass diese eine andere Ausrichtung als die YEK-KOM habe, nämlich den Kampf gegen den IS, die Förderung der Integration der in Deutschland lebenden Kurden und die Gleichstellung und die Gleichberechtigung der Frauen, überzeugt dies den Senat nicht. Das Verwaltungsgericht hat schon zu Recht auf die fehlende tatsächliche Veränderung der Aktivitäten des Vereins abgestellt, der zudem nicht neu gegründet, sondern nur umbenannt wurde. Es verweist zutreffend auf die Pressemitteilung des Vereins vom 18. Juli 2014, aus der sich ergibt, dass die NAV-DEM selbst nach eigenem Verständnis die Arbeit der YEK-KOM fortführt. Die vom Senat eingesehene Internetpräsenz (navdem.com) bestätigt dies, die Überschrift der Pressemitteilung vom 18. Juli 2014 lautet:
110 
„YEK-COM heißt jetzt NAV-DEM“
111 
Die weiteren dort aufgeführten Pressemitteilungen verdeutlichen im Übrigen die Fortführung der Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM:
112 
- Eintrag vom 7. September 2014, Interview mit Yüksel Koc „Das Verbot kriminalisiert die Kurden“, anlässlich einer Festnahme eines Mannes durch die Generalbundesanwaltschaft, der Geld für die PKK gesammelt haben soll, was, nach Koc, eine Kriminalisierung politischer Arbeit bedeute, da dieser selbst keine Gewalt ausgeübt habe.
113 
- Eintrag zur Kundgebung am 13. September 2014 in Düsseldorf unter dem Motto „Freiheit für Öcalan - Status für die Kurden“.
114 
- Eintrag vom 6. März 2015: Aufruf zur Newroz-Demonstration am 21. März 2015 in Bonn.
115 
Der Beklagte hat zudem unwidersprochen und zutreffend darauf hingewiesen, dass NAV-DEM und YEK-KOM identische Logos auf ihren Internetpräsenzen verwenden und der Vorsitzende der NAV-DEM im März 2014 erklärt habe, man könne die deutsche Demokratie nicht akzeptieren. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz geht in seiner Broschüre zur „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)“ vom Juli 2015, dort S. 18, davon aus, dass die NAV-DEM in Nachfolge der YEK-KOM wie diese auch als Dachverband von örtlichen Vereinen diene, in denen die PKK Informationen steuere und Vorgaben umsetze und dass sich die NAV-DEM durch eine aktive Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit sowie den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträgern bemühe, weitere Unterstützung für deren Anliegen zu erhalten. Diese Einschätzung teilt der Senat aufgrund der dargestellten tatsächlichen Umstände und sieht sich dabei auch die Aktivitäten des Klägers selbst bestätigt.
116 
Soweit der Kläger meint, dass es dem Verwaltungsgericht an ausreichender Sachkunde gefehlt habe, um eine Änderung des Aufgabenspektrums zu verneinen, erschöpft sich dies in einer schlichten Behauptung, die auf nichts gestützt wird. Sämtliche vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten ausführlich dargelegten tatsächlichen Aktivitäten der YEK-KOM und nachfolgend der NAV-DEM sowie der Redner und Teilnehmer an deren Veranstaltungen lässt der Kläger gänzlich unkommentiert, obwohl es ihm als 2. Vorstandsmitglied der NAV-DEM ein Leichtes sein müsste, Tatsächliches zum Verein vorzubringen, das die Wertungen des Verwaltungsgerichts und des Beklagten diesbezüglich erschüttern würde. Es spricht hier daher auch nach Überzeugung des Senats nichts dafür, dass sich an der Ausrichtung oder dem Aktivitätenspektrum etwas geändert haben könnte, zumal es seitens des Vereins zu keinem Zeitpunkt zu eine Distanzierung von der PKK oder auch nur der YEK-KOM gekommen ist.
117 
Dem Beweisantrag des Klägers war vor diesem Hintergrund nicht nachzugehen, zumal etwaige weitere Vereinsziele, die unter Beweis gestellt worden sind, die dargelegten Aktivitäten und Zielrichtungen nicht neutralisieren. Überdies konnte der Kläger nicht dartun, weshalb der von ihm benannte Sachverständige hinreichende Sachkunde haben könnte. Dies hätte ihm oblegen, weil der auf die Bestrebungen und Ziele der NAV-DEM gerichtete Beweisantrag die Benennung eines Sachverständigen erforderte, der über eine spezielle Sachkunde, nämlich über interne Kenntnisse über die NAV-DEM, verfügt, die nicht von jedem Sachverständigen gleichermaßen reproduzierbar ist (vgl. Krehl, in: Karlsruher Kommentar StPO, 7. Aufl., 2013, § 244 StPO, Rn. 80).
118 
Bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied sind dem Kläger sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM zuzurechnen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris, Rn. 50, m. w. N.). Soweit der Kläger dies bezweifelt, ist dies nicht nachvollziehbar, da er selbst darauf hinweist, dass die von ihm insoweit in Bezug genommene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union darauf abstellt, dass bei einer hervorgehobenen Position eine individuelle Verantwortlichkeit unter Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände vermutet werden könne. Unbeschadet dessen bestehen für den Senat aber auch keine vernünftigen Zweifel daran, dass die vom Kläger entfalteten Aktivitäten von diesem in dem Bewusstsein und mit dem Willen erfolgt sind und erfolgen, die PKK aktiv und vorbehaltlos zu unterstützen. Das wird deutlich, wenn man das Verhalten des Klägers seit 2004 und auch nach Juli 2010 in der gebotenen Gesamtschau in den Blick nimmt, wie es der Beklagte - vom Kläger unwidersprochen - geschildert hat. Der Aspekt des Vertrauensschutzes gebietet es nicht, bei der Würdigung des Verhaltens des Klägers dessen früheres Verhaltes insgesamt auszublenden. Ein schützenswertes Vertrauen besteht nur insoweit, als die zuvor entfalteten Aktivitäten für sich genommen keine Ausweisung mehr rechtfertigen können. Bei der notwendigen Bewertung neuer, nachfolgender Aktivitäten kann weiterhin auf das gesamte Verhalten des Ausländers zurückgegriffen werden (Discher, a.a.O., Rn. 391; BVerfG, Beschluss vom 19.08.1983 - 2 BvR 1284/83 -, NVwZ 1983, 667; OVG Bln.-Bbg., Beschluss vom 24.10.2013 - OVG 3 N 169.12 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.05.2012 - 11 S 2328/11 -, juris).
119 
Nach wie vor engagiert sich der Kläger unbeschadet des Ausweisungsverfahrens im Rahmen des Vereins als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner an Veranstaltungen, die angesichts deren Ablaufs, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um Öcalan und gefallene Märtyrer auch für den Senat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Kläger sich, wie auch die NAV-DEM, den Zielen der PKK verpflichtet fühlt, diese mit ihrem Tun unterstützen will und dabei deren Mittel umfassend zumindest billigt, insbesondere auch deren spezifisch als terroristisch zu qualifizierendes Handeln. Seine Teilnahme an Veranstaltungen, wie der am 5. Dezember 2010 an einer PKK-Gründungsfeier in Lampertheim, bei der eine KCK-Fahne und ein Öcalan-Porträt angebracht waren und in der ein in Guerillauniform auftretender Redner die eigene Partei als wichtige und modern ausgerichtete Organisation lobte, die den kurdischen Freiheitskampf auf die internationale Bühne gebracht habe und in der ausgeführt wurde, dass man dies dem großen Führer „Apo“ (gemeint ist Öcalan) und den Parteimärtyrern zu verdanken habe und man die Kämpfer an der Front nicht vergessen dürfe, die man von hier aus grüße, verdeutlichen dies in aller Klarheit. Für seine Teilnahme an einer Gedenkfeier zum 33. Parteigründungs-Jahrestag in Heilbronn am 2. Dezember 2011, bei der zur Unterstützung der PKK aufgefordert und Parolen wie „Es lebe Öcalan“ und „Unsere Märtyrer sind nicht gestorben“ skandiert wurden, gilt nichts anderes. Soweit man aus den weiteren dargestellten Aktivitäten des Klägers ableiten wollte, dass dieser sich nach Erlass der Ausweisungsverfügung gemäßigter verhält, ist dies nach Überzeugung des Senats mit Blick auf das laufende Verfahren taktisch motiviert und lässt nicht den Schluss zu, dass der Kläger, der weiterhin eine führende Rolle in der NAV-DEM spielt, von seinem bisherigen Verhalten glaubhaft Abstand nimmt (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz AufenthG). Sein beredtes Schweigen zu sämtlichen vom Beklagten zusammengetragenen Tatsachen macht dies deutlich.
120 
Das gegenteilige Bild, das der Kläger von seiner Motivation und Haltung zeichnet, ohne hierfür nachvollziehbare Fakten zu benennen, steht daher in offenem Widerspruch zu seinem tatsächlichen Verhalten. Im Übrigen erschöpft sich sein Vortrag hierzu in dem Versuch einer Umdeutung seines Verhaltens, die schon im Ansatz nicht überzeugt. Es ist das eine, um Verstorbene zu trauern oder ihrer zu gedenken, aber etwas gänzlich anderes, Veranstaltungen als Redner oder in Vereinsfunktion zu gestalten oder vorbehaltlos an solchen teilzunehmen, die etwa von in Guerillauniform auftretenden Rednern geprägt werden und in denen der Kampf der PKK in der Türkei glorifiziert wird. Erkennbar geht es auf den vom Kläger mitgestalteten und besuchten Veranstaltungen nicht einfach um die legitime Kundgabe von Meinungen, sondern immer auch um die gezielte moralische, finanzielle und personelle Unterstützung des für legitim gehaltenen und auch terroristische Mittel einsetzenden Kampfes der PKK. Dass damit die PKK auch in der Wahl ihrer Mittel vorbehaltlos unterstützt wird, kann dem Kläger nicht entgangen sein, nachdem dort Auftritte in Guerillauniform stattfinden, den „Märtyrern“ gedacht wird und den Kämpfern an der Front Grußbotschaften gesandt werden. Es greift daher auch viel zu kurz, wenn der Kläger meint, dass es hier um einen ungerechtfertigten Eingriff in sein Recht auf freie Meinungsäußerung gehe. Soweit er daher darauf abstellen will, dass der Sinn von Äußerungen einen deutlich erkennbaren Bezug zur Förderung der PKK aufweisen müsse, mag man dem zustimmen, ein solcher Bezug wird hier aber entgegen der Auffassung des Klägers auch in seinem Handeln deutlich.
121 
Liegt ein Unterstützen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG - wie hier - vor, ist von einer Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung bzw. der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen, es sei denn der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, wie die gesetzliche Legaldefinition deutlich macht („…Hiervon ist auszugehen…“). Insoweit hebt sich die Regelung von den übrigen Ausweisungsinteressen ab, bei denen die Gefahr in jedem Einzelfall aus dem - dem jeweiligen Ausweisungsinteresse zugrunde liegenden - Verhalten des Ausländers konkret abzuleiten ist und unterscheidet sich auch von der Vorgängervorschrift des § 54 Nr. 5 AufenthG a. F. Die gesetzliche Legaldefinition bzw. widerlegbare Vermutung (so: Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 54 AufenthG, zu Abs. 1 Nr. 2, Stand: 16.01.2016, Rn. 45 ff.) der Gefahr begegnet nach Auffassung des Senats in diesem Kontext keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die schon dargestellten spezifischen Gefahren des Terrorismus, zu deren Bekämpfung sich die internationale Staatengemeinschaft und dabei auch die Bundesrepublik in Bezug auf internationale, grenzüberschreitende Gefahren, völkerrechtlich verpflichtet hat (UN-Sicherheits-resolution 1373 (2001) vom 28.09.2001; Kießling, Die Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren durch Ausweisung, 2012, S. 188 f.), rechtfertigen diese gesetzliche Festlegung, auch soweit davon terroristische Vereinigungen erfasst werden, die in der Bundesrepublik selbst keine terroristischen Gewalttaten verüben. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Erkenntnis, dass terroristische Vereinigungen nur allzu schnell ihren Kampf über Ländergrenzen hinweg führen. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise von dieser gesetzlichen Festlegung einer Gefahr in besonderen Fallkonstellationen abgewichen werden kann oder ob insoweit allein auf den Gesichtspunkt des erkennbaren und glaubhaften Abstandnehmens abzustellen ist, bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung, da das konsequent fortgesetzte Handeln des Klägers die gesetzliche Festlegung bestätigt.
122 
2. Die Ausweisungsverfügung genügt davon ausgehend auch § 53 Abs. 3 AufenthG, der bestimmt, dass ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießt, der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II, S. 559) besitzt, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, nur ausgewiesen werden darf, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
123 
Mit dieser Vorschrift will der Gesetzgeber nach der Gesetzesbegründung unionsrechtlichen Vorgaben für besonders privilegierte Personengruppen Rechnung tragen (BT-Drs. 18/4097, S. 50). Soweit die Vorgaben in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils betroffenen Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen sind, wovon nach dieser Gesetzesbegründung auszugehen ist (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 3, Stand: 18.01.2016, Rn. 27, geht von der Notwendigkeit einer ergänzenden Heranziehung zu den angehobenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausweisung aus), kann daher aus der Formulierung des Ausweisungsmaßstabs in § 53 Abs. 3 AufenthG nicht abgeleitet werden, dass der Gesetzgeber, losgelöst von den jeweiligen unionsrechtlichen Maßstäben, einen eigenen nationalen und völlig identischen Maßstab festlegen wollte, der für sämtliche der Norm unterfallenden Personengruppen Geltung beansprucht. Daher soll auch nationalrechtlich kein höheres Schutzniveau versprochen werden, als dieses unionsrechtlich geboten ist. Das wäre mit Blick auf die verschiedenen Geltungsgründe und die Heterogenität der erfassten Personengruppen sowie der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Schutzrichtungen und -niveaus auch nicht begründbar, zumal ein einheitlicher unionsrechtlicher Ausweisungsmaßstab gerade nicht existiert (VGH Bad.-Württ., Vorlagebeschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris, Rn. 154, m. w. N.; Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 88, m. w. N; a. A.: Welte, InfAuslR 2015, 426, der auf den unionsrechtlichen Maßstab des § 6 FreizügG/EU verweist). Festzuhalten ist allerdings, dass sämtlichen unionsrechtlich fundierten Ausweisungsmaßstäben gemeinsam ist, dass stets nur auf das persönliche Verhalten des Betroffenen und damit nur auf spezialpräventive Gründe abgestellt werden darf, aus denen sich eine gegenwärtige Gefahr ergeben muss (EuGH, Urteil vom 19.01.1999 - C-348/96 -, InfAuslR 1999, 165 und vom 08.12.2011 - C-371/08 -, InfAuslR 2012, 43; Neidhardt, a. a. O., Rn. 7 f.). Dem entsprechend kann eine an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messende Ausweisung nur dann rechtmäßig sein, wenn sie ausschließlich spezialpräventiv motiviert ist.
124 
Davon ausgehend folgt für den Kläger ein besonderer unionsrechtlich fundierter Ausweisungsmaßstab zunächst nicht aus dem Assoziationsrecht. Das Verwaltungsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgestellt, dass der Kläger weder Arbeitnehmer im Sinne des Art. 6 ARB 1/80 noch Familienangehöriger eines solchen Arbeitnehmers nach Art. 7 ARB 1/80 ist, nachdem er in der Vergangenheit nur sporadisch und jeweils nur in kurzen Zeiträumen abhängig beschäftigt gewesen war. Für seine Ehefrau gilt nichts anderes, so dass diese ihm ein solches Recht auch nicht vermitteln kann. Das wird vom Kläger auch nicht in Frage gestellt.
125 
Erhöhter Schutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG kommt dem Kläger aber als anerkannter Flüchtling zu. Für diese aufgrund ihres Verfolgungsschicksals gerade in Bezug auf aufenthaltsbeendende Maßnahmen besonders vulnerable Personengruppe sind Inhalt und Reichweite des Ausweisungsmaßstabs aus der einschlägigen Regelungen der Richtlinie 2004/83, neu gefasst durch Richtlinie 2011/95/EU (ABl. L 337 S. 9, nachfolgend: Qualifikationsrichtlinie), abzuleiten.
126 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats hin (Beschluss vom 27.05.2013 - 11 S 2336/12 -, juris), betreffend die Unterstützung der PKK durch einen anerkannten Flüchtling, die entscheidungserheblichen Rechtsfragen mit Urteil vom 24. Juni 2015 (- C-373/13 -, juris) geklärt. Der Gerichtshof hat, davon ausgehend, dass Art. 21 der Qualifikationsrichtlinie engere Voraussetzungen statuiert als Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie (a.a.O., Rn. 44, 71: Art. 21 als „ultima ratio“; so auch schon der Senat in seinem Vorlagebeschluss, a.a.O., Rn. 154; a. A.: BVerwG, Beschluss vom 08.10.2012 - 1 B 18.12 -, juris), klargestellt, dass die Qualifikationsrichtlinie dahin auszulegen ist, dass ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel entweder nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerrufen werden kann, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen, oder nach Art. 21 Abs. 3 der Qualifikationsrichtlinie, wenn Gründe für die Anwendung der in Art. 21 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie vorgesehenen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtzurückweisung vorliegen (a.a.O., Rn. 55).
127 
Da die Ausweisung des Klägers verfügt wurde, um dessen Niederlassungserlaubnis zum Erlöschen zu bringen und eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf seinen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, ist vorliegend auch nur Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie maßstäblich. Dies zugrunde gelegt ist die Ausweisung als Widerruf im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu qualifizieren und am Maßstab dieser Vorschrift zu messen, die insoweit den Ausweisungsmaßstab des § 53 Abs. 3 AufenthG ausfüllt und konkretisiert. Es müssen daher „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vorliegen, um die Ausweisung zu rechtfertigen.
128 
Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang im Anschluss an die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston (Schlussanträge vom 11.09.2014 - C-373/13 -, juris, Rn. 68) zunächst betont, dass für die dargelegte Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie spreche, dass den Mitgliedstaaten mit dieser Regelung die Möglichkeit gegeben werden sollte, unter spezifischen Voraussetzungen die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen im Schengen-Raum zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a. a. O, Rn. 52). Er definiert im weiteren (a.a.O., Rn. 78 ff.) unter Bezugnahme auf die Richtlinie 2004/38 „zwingende Gründe“ als Beeinträchtigungen, die einen besonders hohen Schweregrad aufweisen müssten und fasst unter die „öffentliche Sicherheit“ sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats und somit auch die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen (unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, InfAuslR 2011, 45). Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ sei dahin auszulegen dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliege, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Mit Blick auf die die Richtlinie 2004/83 und deren 28. Erwägungsgrund gelte der Begriff der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ auch für Fälle, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehöre, die den internationalen Terrorismus unterstütze, oder er eine derartige Vereinigung unterstütze. Der Gerichtshof verweist darauf, dass die PKK in der Liste im Anhang dieses Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344, S. 93) aufgeführt sei und nach alledem die Unterstützung, die ein Flüchtling einer Organisation zuteil werden lasse, welche Handlungen begehe, die in den Anwendungsbereich des Gemeinsamen Standpunkts fallen, grundsätzlich einen Umstand darstelle, der belegen könne, dass die Voraussetzungen für die Anwendung der Ausnahmeregelung von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie erfüllt seien. Die Aufnahme einer Organisation in die Liste sei daher ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation sei oder in diesem Verdacht stehe. Ein solcher Umstand sei daher von der zuständigen Behörde notwendig zu berücksichtigen, wenn sie in einem ersten Schritt zu prüfen habe, ob die fragliche Organisation terroristische Handlungen begangen habe. Es sei somit von Fall zu Fall zu prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie bedrohen könnten. Der Gerichtshof habe schon entschieden, dass terroristische Handlungen, die durch ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet seien, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt würden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne dieser Vorschrift angesehen werden müssten (unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285).
129 
In einem zweiten Schritt müssten die genauen tatsächlichen Umstände einer Würdigung unterzogen werden, um zu ermitteln, ob die Unterstützung der fraglichen Organisation durch eine Mitwirkung beim Sammeln von Geldern und eine regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen dieser Organisation in den Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie falle. Allein der Umstand, dass die betreffende Person diese Organisation unterstützt habe, könne nicht die automatische Aufhebung ihres Aufenthaltstitels gemäß dieser Vorschrift zur Folge haben. Denn zwischen dem Gemeinsamen Standpunkt 2001/931 und der Richtlinie 2004/83 bestehe hinsichtlich der verfolgten Ziele kein unmittelbarer Zusammenhang, und es sei nicht gerechtfertigt, dass die zuständige Stelle, wenn sie in Betracht ziehe, einem Flüchtling seinen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie zu entziehen, sich nur auf dessen Unterstützung einer Organisation stütze, die in einer Liste aufgeführt sei, die außerhalb des Rahmens erlassen wurde, den die Richtlinie in Übereinstimmung mit der Genfer Konvention geschaffen habe. Es bedürfe daher einer individuellen Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände insbesondere dazu, welche Rolle der Betroffene im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt habe, ob dieser etwa selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zweck der Begehung solcher Handlungen beteiligt gewesen sei und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel zu ihrer Begehung verschafft habe. Soweit dieser an legalen Versammlungen und an Veranstaltungen wie dem kurdischen Neujahrsfest teilgenommen und sich am Sammeln von Spenden für diese Organisation beteiligt habe, bedeute dies nicht notwendig, dass der Betroffene die Auffassung vertreten habe, terroristische Handlungen seien legitim. Erst recht seien derartige Handlungen als solche keine terroristischen Handlungen. In diesem Zusammenhang müsse auch der Schweregrad der Gefahr beurteilt werden, die von den Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehe. Es sei insbesondere zu prüfen, ob dem Betroffenen eine individuelle Verantwortung bei der Durchführung von Aktionen der PKK zugerechnet werden könne. In Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, den die zu ergreifende Maßnahme zu wahren habe, sei zu untersuchen, ob die Gefahr, die die betreffende Person gegebenenfalls in der Vergangenheit für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland dargestellt habe, noch immer bestehe. Mit Blick auf das Erfordernis zwingender Gründe müsse etwa, soweit ein Betroffener zu einer Geldstrafe und nicht zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden sei, in Anbetracht dieses Umstands und gegebenenfalls der Art der von ihm begangenen Handlungen geprüft werden, ob eine Aufhebung des Aufenthaltstitels zu rechtfertigen sei.
130 
Dies zugrunde gelegt, genügt die Ausweisungsverfügung den Maßstäben des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie in Verbindung mit § 53 Abs. 3 AufenthG. Die Konkretisierung der Maßstäbe hat durch das erkennende nationale Gericht anhand des jeweiligen Falles und den diesen prägenden tatsächlichen Umstände entsprechend deren Gewicht zu erfolgen. Soweit der Gerichtshof in beispielhafter Form einzelne dem im Vorlageverfahren betroffenen Ausländer vorgehaltene Handlungen herausgreift und diese in eher abstrakter Form bewertet und gewichtet, ist dies dem abstrahierenden Charakter der Vorlagefragen in einem Vorabentscheidungsersuchen geschuldet und entbindet den Senat als Tatsachengericht nicht von seiner Verpflichtung, solche Umstände im konkreten Fall umfassend zu bewerten. Nichts anderes gilt, soweit Reichweite und Grenzen der dem Kläger zustehenden weiteren Rechte nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie durch die Ausweisung in Rede stehen.
131 
Danach bestehen für den Senat auch vor dem Maßstab des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie keine durchgreifenden Bedenken hinsichtlich der Einstufung der PKK als eine den Terrorismus jedenfalls unterstützende Vereinigung, deren Unterstützung durch die YEK-KOM bzw. NAV-DEM „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ begründet. Daran anschließend sind die vom Kläger geleisteten Unterstützungshandlungen aufgrund dessen, dass diese von ihm in herausgehobener Funktion für YEK-KOM und NAV-DEM, auf zahlreichen Veranstaltungen seit über zwölf Jahren, unter Beteiligung von offen für die PKK werbenden und deren Kurs vorbehaltlos befürwortenden Akteuren (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.) geleistet wurden und weiter geleistet werden, nicht anders zu bewerten, zumal der Kläger nach Überzeugung des Senats in vollem Bewusstsein um deren Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen, gehandelt hat und weiterhin handelt. Diese Bewertung des eine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung begründenden Verhaltens des Klägers ist vor diesem Hintergrund auch nicht deshalb zu relativieren, weil die NAV-DEM nicht verboten ist und der Kläger sich im Rahmen von ebenfalls nicht verbotenen Veranstaltungen betätigt hat. Weder entfällt deswegen das Gewicht seiner Unterstützungshandlungen für die PKK noch ergibt sich daraus, dass sich der Kläger über sein Tun im Unklaren gewesen wäre. Dass es gerade aus Gründen einer effektiven Gefahrenabwehr geboten sein kann, von einem Vereinsverbot abzusehen, wurde schon dargelegt. Da nach den Feststellungen des Senats das Verhalten des Klägers gefahrbegründend ist und er die tatbestandlichen Festlegungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bestätigt, kann der Senat offen lassen, ob jedenfalls im Kontext des § 53 Abs. 3 AufenthG i. V. m. Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie hier ausnahmsweise und ungeachtet der Fallkonstellation des endgültigen und glaubhaften Abstandnehmens gewissermaßen als „Zwischenstufe“ eine konkrete Widerlegungsmöglichkeit der gesetzlichen Gefahrenannahme zugelassen werden muss.
132 
Soweit der Gerichtshof der Europäischen Union in seiner in Bezug genommen Entscheidung im weiteren auf das Fortbestehen des Flüchtlingsstatus hinweist, wenn ein Mitgliedstaat das Aufenthaltsrecht aufgrund des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie widerruft (a.a.O., Rn. 94 f.; so auch schon der Senat in seinem Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff. m. w. N.) und er daraus ableitet, dass dieser sich bei deshalb weiterhin gestattetem Aufenthalt auch ungeschmälert (a.a.O., Rn. 96) auf die sozialen Vergünstigungen nach Kapitel VII der Qualifikationsrichtlinie berufen kann, steht dies in vorliegendem Fall der Ausweisung nicht entgegen.
133 
Kapitel VII der Richtlinie gewährleistet jedem Flüchtling Schutz vor Zurückweisung, das Recht auf Information, Wahrung des Familienverbands, Ausstellung von Reisedokumenten, Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie Zugang zu Integrationsmaßnahmen. Einschränkungen dieser Rechte sind bei einem anerkannten Flüchtling nur nach Maßgabe dieses Kapitels der Qualifikationsrichtlinie zulässig (a.a.O., Rn. 97).
134 
Die die Ausweisung tragenden „zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ stellen, soweit sie diese Rechte nach Kapitel VII berühren, zulässige Beschränkungen im Sinne der Richtlinie dar.
135 
Wird mit der Ausweisung das Erlöschen der Niederlassungserlaubnis (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) bezweckt und ist zugleich eine tatsächliche Aufenthaltsbeendigung nicht beabsichtigt, wovon hier mit Blick auf den Flüchtlingsstatus des Klägers auszugehen ist, werden der Schutz vor Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, das Informationsrecht aus Art. 22 der Qualifikationsrichtlinie sowie der Anspruch auf Wahrung des Familienverbandes nach Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie schon nicht tangiert. Dafür, dass vorliegend das Recht auf Bildung nach Art. 27der Qualifikationsrichtlinie, der Zugang zu Wohnraum nach Art. 32 der Qualifikationsrichtlinie oder zu Integrationsmaßnahmen nach Art. 34 der Qualifikationsrichtlinie betroffen sein könnte, ist gleichfalls nichts ersichtlich.
136 
Soweit durch den Duldungsstatus des Klägers dessen Recht auf Aufnahme einer (selbstständigen oder unselbstständigen) Erwerbstätigkeit nach Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie zunächst kraft Gesetzes mit einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt belegt ist, ist dieser für sich genommen unbedenklich, zumal sich aus § 4 Abs. 3 Satz 3 AufenthG ergibt, dass dieser nicht gilt, wenn dem Ausländer auf Grund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung, eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung die Erwerbstätigkeit gestattet ist, ohne dass er hierzu durch einen Aufenthaltstitel berechtigt sein muss. So liegt der Fall hier, da diese Vorschrift mit Blick auf den vorrangigen Art. 26 der Qualifikationsrichtlinie auszulegen ist. Unbeschadet dessen ist für den Senat im konkreten Fall aber auch nicht ersichtlich, dass der Kläger durch Einschränkungen seiner rechtlichen Möglichkeiten, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, in tatsächlicher Hinsicht unzumutbar belastet wäre, nachdem er trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nur für jeweils kurze und länger zurückliegende Zeiträume überhaupt einer solchen nachgegangen ist.
137 
Aufgrund der Ausweisung greifen im konkreten Fall jedoch die angeordneten Maßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG (Meldepflichten, Aufenthaltsbeschränkung auf den Stadtbezirk...). Diese dienen unmittelbar der Abwehr bzw. Eindämmung der von Kläger ausgehenden Gefahren und schränken insoweit das Recht des Betroffenen auf ein Reisedokument nach Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie sowie das Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Bundesrepublik nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie in sachangemessener Weise ein. Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie verpflichtet zur Erteilung eines Reisedokumentes auch für Reisen ins Ausland, es sei denn, Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung stehen dem entgegen. Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie verlangt von den Mitgliedstaaten, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Bewegungsfreiheit in ihrem Hoheitsgebiet zu gestatten „unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten“. Nachdem im persönlichen Verhalten des Klägers „zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung“ im Sinne des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie gegeben sind, liegt ein Versagungsgrund im Sinne des Art. 25 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie vor, da die Einschränkung seiner Reisemöglichkeiten gerade dazu dient, sein die PKK unterstützendes Verhalten zumindest deutlich zu erschweren. Daraus rechtfertigt sich auch die Einschränkung seiner Freizügigkeit innerhalb des Bundesgebietes nach Art. 33 der Qualifikationsrichtlinie. Das hat der Senat schon unter Zugrundelegung der Vergleichsgruppe von Drittstaatsangehörigen, die sich nach nationalem Recht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, festgestellt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 14.05.2014 - 11 S 2224/13 -, juris, Rn. 128 ff., m. w. N.).
138 
Da der Gerichtshof eine Ausweisung unter Berücksichtigung des Maßstabs des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie auch dann für zulässig erachtet, wenn dadurch der Aufenthalt zwar rein tatsächlich nicht beendet werden soll, es aber dennoch notwendig erscheint, zumindest die Freizügigkeit von Drittstaatsangehörigen zu beschränken, um den Terrorismus zu bekämpfen und Gefahren für die öffentlichen Sicherheit und Ordnung einzudämmen (a.a.O., Rn. 52), ist es nach Auffassung des Senats aus systematischen Gründen und zur Effektivierung des Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie angezeigt, dessen Wertungen auch insoweit zu berücksichtigen, als Reichweite und Grenzen der weiteren in Kapitel VII aufgeführten Rechte in entscheidungserheblicher Weise in Rede stehen. Denn eine Ausweisung, deren Folge sich im Erlöschen des Titels erschöpfen würde, ohne daran anknüpfend verhaltenssteuernde Wirkungen zu entfalten, die geeignet und erforderlich sind, die Gefahr wirksam einzudämmen, wäre letztlich wegen Zweckverfehlung unverhältnismäßig. Dies würde Art. 24 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, in Fällen wie dem vorliegenden, die praktische Wirksamkeit nehmen und damit dessen Bedeutung, wie er auch in den Erwägungsgründen 31 und 37 der Richtlinie zum Ausdruck kommt, verfehlen.
139 
Nach all ist es für den Senat auch folgerichtig, auf den Fall des Klägers nicht Art. 29 Abs. 1 der Qualifikationsrichtlinie, sondern dessen Absatz 2 entsprechend anzuwenden, nachdem die Mitgliedstaaten abweichend von Absatz 1 die Sozialhilfe für Personen, denen (nur) der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, auf Kernleistungen beschränken kann. Dies gilt hier umso mehr, als es der Kläger im Gegensatz zu subsidiär Schutzberechtigten selbst in der Hand hat, durch eine Abkehr von seinen den Terrorismus unterstützenden Handlungen die Ursachen für diese Einschränkungen zu beseitigen und es gerade in der Logik des Duldungsstatus liegt, den Kläger zu einer dahingehenden Verhaltensänderung zu bewegen. Soweit sich demnach ergeben sollte, dass der Kläger aufgrund seines Duldungsstatus und mangels anderweitiger Regelungen, die ihm, etwa als Familienangehöriger aus abgeleitetem Recht, einen vollen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach dem SGB II verschaffen könnten, auf die Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschränkt ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG), steht dies nicht in Widerspruch zu Art. 29 der Qualifikationsrichtlinie. Für Leistungsbeschränkungen in Bezug auf die medizinische Versorgung (§ 4 AsylbLG) im Sinne des Art. 30 der Qualifikationsrichtlinie gilt nichts anderes.
140 
3. Dem dargestellten und nach gesetzlicher Wertung besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse steht ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber, da dieser eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG). Insoweit geht der Senat aufgrund der nicht weiter spezifizierten Angabe des Klägers, wonach sechs seiner sieben Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, davon aus, dass jedenfalls auch die noch in seinem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder diese besitzen. § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG tritt vorliegend hinter die insoweit speziellere Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG zurück (Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 55 AufenthG, zu Abs. 2 Nr. 5, Stand: 18.01.2016, Rn. 3: Auffangnorm).
141 
4. § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat sowie die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen oder diesen entgegenstehen. Insbesondere in an dieser Stelle der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen (Bsp.: § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren; § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG: 30-jähriger rechtmäßiger Aufenthalt). Sind im konkreten Fall keine Gründe - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
142 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen.
143 
Davon ausgehend erweist sich die Ausweisung des Klägers als verhältnismäßig, da hier das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers unter Berücksichtigung sämtlicher den Fall prägenden Umstände überwiegt.
144 
Vorliegend ist zunächst die dem Flüchtlingsstatus des Klägers geschuldete Besonderheit in Rechnung zu stellen, nach der im konkreten Fall eine tatsächliche Beendigung des Aufenthalts des Klägers wegen dessen Flüchtlingsstatus nicht beabsichtigt ist, obgleich gewichtige Gründe für eine Ausweisung bestehen. Daher ist Bezugspunkt für die Verhältnismäßigkeitsfrage auch nur die Ausweisung in der hier erfolgten Form mit ihrer Folge einer ggf. auch langfristigen Duldung des Klägers im Bundesgebiet und seiner Überwachung nach § 56 AufenthG sowie der schon dargestellten Einschränkungen der verschiedenen Folgerechte.
145 
Dem Ausweisungsinteresse, wie es sich im konkreten Fall darstellt, steht ein nach der gesetzlichen Wertungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG ebenfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenüber. Hinzu treten auf Seiten des Klägers dessen Anspruch auf Achtung seiner familiären Bindungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 6 GG. Im weiteren ist sein mit über 17 Jahren über den in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verlangten mindestens fünfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalt hinausgehender rechtmäßiger Aufenthalt zu berücksichtigen. Das Gewicht dieser Umstände ist, soweit es nicht schon über § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG erfasst wird, aus § 53 Abs. 2 AufenthG (über fünfjähriger rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet) und den grund- und konventionsrechtlichen Wertungen mit Blick auf die Folgen der Ausweisung auf diese Umstände zu ermitteln.
146 
Wegen der familiären Bindungen des Klägers im Bundesgebiet folgt aus Art. 6 GG zwar unmittelbar kein Aufenthaltsrecht, dieses Grundrecht gebietet aber die Berücksichtigung der in Art. 6 GG enthaltenen wertentscheidenden Grundsatznorm, nach der der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat (vgl. hierzu ausf.: Hoppe/Samel in: Rensen/Brink (Hrsg.) Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 2009, S. 137 ff.). Diese verpflichtet dazu, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, d. h. entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 12.05.1987 - 2 BvR 1226/83, 101/84 313/84 -, NJW 1988, 626 und vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195; Beschluss vom 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -, NVwZ 2006, 682). Daraus kann sich die Unverhältnismäßigkeit einer Ausweisung ergeben, wenn ein gemeinsames Familienleben in Deutschland durch diese unmöglich gemacht würde und es den Familienmitgliedern nicht zumutbar wäre, die Familiengemeinschaft im Ausland herzustellen (BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 - 2 BvR 1169/84 -, NJW 1989, 2195). Für das Recht auf Achtung des Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ergibt sich nichts anderes (zu den Kriterien vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m. w. N.).
147 
Soweit sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ergibt, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300), ist ein Gleichlauf zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festzustellen, der unter dem Recht auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK das Netz an persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen fasst, die für das Privatleben eines jeden Menschen schlechthin konstitutiv sind (EGMR, Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 -, EuGRZ 2006, 560). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (so BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff., m. w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a. a. O.).
148 
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Denn die Ausweisung des Klägers führt nicht zur Beendigung seines tatsächlichen Aufenthalts in Deutschland. Vorliegend sind die tatsächlichen Bindungen des Klägers durch die Ausweisung allerdings dadurch betroffen, dass ihn die Überwachungsmaßnahmen nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG in seiner Bewegungsfreiheit beschränken. Soweit ihm diese seine Möglichkeiten zur Fortführung gerade der streitgegenständlichen Aktivitäten erschweren, ist dadurch, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ein rechtlich anerkennenswertes Interesse des Klägers schon nicht berührt. Die Einschränkungen seiner Rechte aus Art. 29 und 30 der Qualifikationsrichtlinie (Sozialhilfe und medizinische Versorgung) sind objektiv betrachtet geeignet und erforderlich, um den Kläger zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Die für ihn eintretenden Einschränkungen seiner Bewegungsmöglichkeiten sind aus den schon dargelegten Gründen erforderlich und auch zumutbar. Die für seine Familienmitglieder mit den Einschränkungen der Bewegungsmöglichkeiten des Klägers und seiner genannten Rechte verbundenen Folgen sind allenfalls mittelbarer Art und als solche auch verhältnismäßig, zumal sie - als mildere Mittel zur tatsächlichen Beendigung des Aufenthalts - einzig dem Umstand geschuldet sind, dass der Beklagte gerade auf den Flüchtlingsstatus des Klägers Rücksicht nimmt, obwohl dieser Gründe setzt, die gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen zum Schutz hochrangiger Rechtsgüter erforderlich machen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris, Rn. 24). Darüber hinaus sind weitere schützens- und nennenswerte Bindungen des Klägers in die hiesige Gesellschaft, die durch die Ausweisung in unzumutbarer Weise beschränkt würden, trotz des langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Der Kläger spricht kaum Deutsch, er war nur sporadisch und für kürzere Zeiträume überhaupt erwerbstätig und ist seit längerem von Sozialleistungen abhängig. Diese Umstände relativieren das Gewicht seines langjährigen rechtmäßigen Aufenthalts jedenfalls im Rahmen der Abwägung entscheidend. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen. Aus all dem ergibt sich bei wertender Betrachtung der widerstreitenden Interessen im konkreten Fall ein Überwiegen des Ausweisungsinteresses.
149 
5. Soweit sich, ungeachtet der Rechtsstellung des Klägers, aus den Stand-Still-Klauseln des Art. 7 ARB 2/76, des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen EWG/Türkei (ZP) ein Verbot ergibt, ohne zwingende Gründe neue Beschränkungen für sich ordnungsgemäß (vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C-225/12 -, InfAuslR 2014, 1) im Inland aufhaltende türkische Staatsangehörige einzuführen, die deren Möglichkeiten zur Aufnahme einer (abhängigen oder selbstständigen) Beschäftigung im Verhältnis zur Rechtslage bei Inkrafttreten dieser Regelungen stärker begrenzen würden (vgl. etwa: EuGH, Urteile vom 10.07.2014 - C-138/13 -, NVwZ 2014, 1081 und vom 17.09.2009 - C-242/06 -, InfAuslR 2009, 413), führt dies nicht dazu, dass die §§ 53 ff. AufenthG in der ab dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung außer Anwendung zu bleiben hätten.
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Mit der Neukonzeption des Ausweisungsrechts im Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) will der Gesetzgeber ausweislich der Gesetzesbegründung der Entwicklung Rechnung tragen, „wonach das bisherige dreistufige Ausweisungsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ohnehin mehr und mehr zu einer Ermessensausweisung mit umfassender Abwägung aller Umstände des Einzelfalls zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit modifiziert worden ist.“ (BT-Drs. 18/4097). Die Änderungen des Ausweisungsrechts dienen danach der Anpassung an die Entwicklung dieser Rechtsprechung und sie sollen Rechtsunsicherheiten im Ausweisungsrecht beseitigen und die Arbeit der Ausländerbehörden erleichtern. Aus dem mit der Neuregelung einhergehenden Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, folgt daher bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln.
151 
Im Vergleich zu den Ausweisungsregelungen der Ausländergesetze seit 1965 und dem Aufenthaltsgesetz a. F. lässt sich feststellen, dass das neue Ausweisungsrecht sich weitgehend von einer in Bezug auf die Interessen des Ausländers auf bloßen Verwaltungsvorgaben beruhenden Ermessensentscheidung des Ausländergesetzes 1965 (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., 1988, § 10 AuslG) ebenso gelöst hat, wie von schematisierenden und insoweit bindenden gesetzlichen Vorgaben des Ausländergesetzes 1990 und des Aufenthaltsgesetzes a. F., die einer umfassenden Abwägung der konkreten Umstände des Einzelfalls entsprechend deren Gewicht entgegenstehen konnten. Schematisierungen dieser Art und Wirkung waren auch der Anlass für die Gerichte, das bisherige Recht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, teilweise entgegen seinem Wortlaut, auszulegen und anzuwenden (vgl. Mayer, VerwArch 2010, 482 <483 ff.>, m . w. N.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl. 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 19 ff.). Während eine Ausweisung im Ermessenswege gerichtlich bislang nur eingeschränkt überprüfbar war (§ 114 Satz 1 VwGO), stellt das neue Recht eine vollumfassende gerichtliche Überprüfung sicher. Das durch die neuen Regelungen aufgestellte Prüfprogramm garantiert, wie die bisherigen Ausführungen deutlich machen, eine umfassende Berücksichtigung der den Fall prägenden Umstände. Der Verlust der Ermessensebene wird durch die nunmehr umfassende gerichtliche Kontrollpflicht in Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit aufgewogen (so auch: Neidhardt, a. a. O., Rn. 31; a. A.: Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 42, der davon ausgeht, dass eine Ausweisung nach Ermessen immer günstiger für den Betroffenen sei als eine gebundene nach § 53 Abs. 1 AufenthG n. F.). Es wäre daher verfehlt, für die Frage einer neuen Beschränkung isoliert darauf abzustellen, dass es sich nunmehr bei der Ausweisungsentscheidung um eine gebundene handelt. Weder Unions- noch Assoziationsrecht gebieten eine Ermessensentscheidung, sondern (nur) eine offene Güter- und Interessenabwägung (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.09.2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3; vgl. zum Erfordernis einer wertenden Gesamtbetrachtung: BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492).
152 
Soweit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr, wie ebenfalls schon dargelegt, die Gefahr gesetzlich aus der Erfüllung des Tatbestandes ableitet, führt auch dies jedenfalls im konkreten Fall zu keiner Verschlechterung der Rechtsstellung des Klägers, nachdem dessen tatsächliches Verhalten die gesetzliche Festlegung gerade bestätigt.
153 
Dass mit § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG im Falle einer Ausweisung die kraft Gesetzes geltenden Überwachungsmaßnahmen - in Abweichung zur früheren Rechtslage - nicht mehr die sofortige Vollziehbarkeit der Ausweisung voraussetzen, stellt gleichfalls keine neue Beschränkung in diesem Sinne dar. Die Stillhalteverpflichtung bedeutet nicht, dass jede Facette des Verwaltungsverfahrens und des Prozessrechts einer Änderung entzogen wäre. Die Mitgliedstaaten verfügen aufgrund ihrer Verfahrensautonomie über einen Gestaltungsspielraum, der allerdings durch den Grundsatz der Effektivität und der Äquivalenz begrenzt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, InfAuslR 2012, 397; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492). Lässt eine Änderung des Verfahrens - wie hier - die Effektivität des Rechtsschutzes mit Blick auf die dem türkischen Staatsangehörigen eingeräumten Rechte unverändert, so liegt keine „neue Beschränkung“ vor. Es kann nicht ernsthaft in Frage stehen, dass insoweit effektiver gerichtlicher Rechtsschutz über eine einstweilige gerichtliche Regelung nach § 123 VwGO erreicht werden kann. Vorliegend kommt es hierauf auch nicht an, da der Beklagte solche Maßnahmen modifizierend und durch Verwaltungsakt erlassen hat und insoweit Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO gegeben ist.
154 
Selbst wenn man den Rechtsfolgenwechsel - weg von der Einräumung von Ermessen, hin zu einer gebundenen Entscheidung - bzw. die weiteren dargestellten Änderungen des Ausweisungsrechts grundsätzlich als Maßnahmen ansehen wollte, die bezweckten oder bewirkten, dass die Ausübung der Freizügigkeitsrechte durch einen türkischen Staatsangehörigen oder einen Familienangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Bestimmungen in dem Mitgliedstaat gelten, wären diese Maßnahmen hier rechtlich zulässig. Denn die Einführung dieser - unterstellt - strengeren Voraussetzungen wäre durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, gerade weil der vorgenommene Systemwechsel dazu dient, das ursprüngliche, durch die Anforderungen der Rechtsprechung erheblich - teils gegen den Wortlaut - modifizierte Ausweisungsrecht wieder handhabbar und in sich schlüssig und nachvollziehbar zu machen. Die nunmehr gesetzliche Festlegung der Gefahr nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist mit Blick auf die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren sicherlich gerechtfertigt, zumal sich aus praktischer Sicht kaum Fallkonstellationen denken lassen, bei denen eine solche Gefahr zu verneinen sein könnte, obwohl ein Unterstützen einer terroristischen Vereinigung tatbestandlich vorliegt und eine glaubhafte Abwendung hiervon - die das Gesetz ausdrücklich zulässt - nicht erfolgt ist.
II.
155 
Nicht verfahrensgegenständlich ist die vom Verwaltungsgericht getroffene Befristungsentscheidung, nachdem der Kläger mit seinem Berufungsantrag, der gemäß § 124a Abs. 3 VwGO nicht nur begründende sondern auch begrenzende Wirkung hat, alleine die Aufhebung der Ausweisungsverfügung des Beklagten beantragt und er auch in seiner Berufungsbegründung auf die Befristungsfrage nicht abgestellt hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2011 - 2 B 37.10 -, juris).
156 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
157 
Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
158 
Beschluss vom 13. Januar 2016
159 
Der Streitwert wird gem. § 63 Abs. 2, § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,- EUR festgesetzt.
160 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 9. Februar 2016 - 6 K 5836/15 - wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhoben und begründete Beschwerde (vgl. §§ 146 Abs. 4 Sätze 1 bis 3, 147 Abs. 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Zwar zieht die Beschwerde mit den dargelegten Gründen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) die angegriffene Entscheidung, mit der es das Verwaltungsgericht abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Ausweisungsverfügung wiederherzustellen und gegen die ebenfalls verfügte Abschiebungsandrohung anzuordnen, erfolgreich in Zweifel (I.). Jedoch erweist sich der Beschluss im Ergebnis als zutreffend (II.).
I.
1. Das Verwaltungsgericht hat u.a. entschieden, dass der Antragsgegner hinsichtlich des Antragstellers eine zutreffende Gefährdungsprognose gestellt habe. Dabei sei das zur Ausweisung führende Strafurteil ausführlich ausgewertet worden. Unter anderem heißt es in dem angegriffenen Beschluss:
„Nach den Feststellungen des Landgerichts Stuttgart … habe der Antragsteller am Tatabend ein Einhandmesser in der Hosentasche mit sich geführt. Das hinter dem Rücken versteckt gehaltene und deshalb von Tatopfer nicht erkennbare Messer habe er aus nichtigem Anlass heimtückisch eingesetzt und es dem Tatopfer wuchtig in den Oberbauch gestoßen.“
Mit der Beschwerde wird hiergegen geltend gemacht, dass der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht dem Antragsteller das Tatmerkmal der Heimtücke vorwürfen. Das Landgericht habe den Antragsteller aber nicht wegen versuchten Mordes, sondern wegen versuchten Totschlags verurteilt.
2. Mit diesem zutreffenden Vorbringen zieht die Beschwerde den angegriffenen Beschluss erfolgreich in Zweifel, da der Sache nach ein Verstoß sowohl gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO iVm. § 122 Abs. 1 VwGO als auch gegen Art. 103 Abs. 1 GG dargetan ist, der auch vorliegt.
a) Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung. Ein Mangel bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung liegt u.a. dann vor, wenn die angegriffene Entscheidung auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert (BVerwG, Beschluss vom 23.12.2015 - 2 B 40.14 -, juris Rn. 53 m.w.N.; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 12.07.2012 - 2 S 1265/12 -, NVwZ-RR 2012, 778). Ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO durch eine Entscheidung aufgrund unzutreffender, aktenwidriger Tatsachengrundlage beinhaltet nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugleich einen Verstoß gegen den in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerwG, Urteil vom 15.04.1997 - 8 C 20.96 -, Buchholz 310 § 108 VwGO Nr 274 m.w.N.).
b) Der angegriffene Beschluss verstößt davon ausgehend gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG, da mit ihm eine aktenwidrige Feststellung zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt getroffen wird. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass die Feststellungen des Antragsgegner-Vertreters im angegriffenen Bescheid vom 2. Oktober 2015 (dort S. 8 unten) zur heimtückischen Verwendung der Tatwaffe zutreffend seien und übernimmt diese auch für sich und die weitere Würdigung. Hingegen hat das Landgericht im seinem Strafurteil vom 21. Januar 2013 ein heimtückisches Handeln des Antragstellers mangels Arglosigkeit des Opfers ausdrücklich verneint (Urteilsabdruck S. 15). Die zutreffende tatsächliche und rechtliche Erfassung der Straftat, die zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt hat, die wiederum der Ausgangspunkt einer Ausweisungsverfügung geworden ist, ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Ausweisungsverfügung zwingend zum entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu rechnen.
II.
1. a) Ergibt die auf dargelegte Gründe beschränkte Prüfung des Beschwerdegerichts (§ 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO), dass die tragende Begründung des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht rechtfertigt, hat es umfassend zu prüfen, ob vorläufiger Rechtsschutz nach allgemeinen Maßstäben zu gewähren ist (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 14.03.2013 - 8 S 2504/12 -, VBlBW 2013, 384 m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn der angegriffene Beschluss - wie hier - unter Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO und Art. 103 Abs. 1 GG zustande gekommen und dies mit der Beschwerde geltend gemacht worden ist. Eine isolierte Prüfung, ob der Gehörsverstoß sich auch nach der Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts auf eine entscheidungserhebliche Tatsache bezieht und die angegriffene Entscheidung also auf dem Grundrechtsverstoß beruht, hat im Unterschied zum Berufungszulassungsverfahren, zur Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision und zum Revisionsverfahren (vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 124a, Rn. 224) zu unterbleiben. Denn im Unterschied zu den genannten Verfahrensarten ist das Beschwerdeverfahren grundsätzlich unmittelbar auf die endgültige Entscheidung über das Rechtsschutzgesuch gerichtet (VGH Bad-Württ., Beschluss vom 27.02.2014 - 8 S 2146/13 -, VBlBW 2015, 78; SächsOVG, Beschluss vom 15.03.2016 - 3 B 302/15 -, juris, Rn. 7, BayVGH, Beschluss vom 19.01.2015 - 10 C 14.1799 -, juris, Rn. 14).
b) Mit der umfassenden Prüfung durch den Senat (unter 2.b)) wird auch der dem angegriffene Beschluss anhaftende Verstoß gegen § 5 Abs. 3 VwGO geheilt.
10 
Die Kammer in der Besetzung von drei Richterinnen und nicht die Einzelrichterin wäre zur Entscheidung berufen gewesen, da der Beschluss über die Übertragung des Rechtsstreits auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Sachentscheidung selbst noch nicht wirksam geworden war.
11 
aa) Nach § 5 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VwGO entscheidet die Kammer des Verwaltungsgerichts bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung in der Besetzung von drei Richtern. Nach § 6 Abs. 1 und Abs. 4 VwGO soll die Kammer den Rechtsstreit bei Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 durch Beschluss in der Regel einem ihrer Mitglieder übertragen. Der nicht anfechtbare Beschluss ist den Beteiligten in Anwendung von § 173 Satz 1 VwGO iVm. § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO formlos mitzuteilen (BVerwG; Beschluss vom 15.10.2001 - 8 B 104.01 -, NVwZ-RR 2002, 150; Stelkens/Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Mai 2010, § 6, Rn. 46). Der Beschluss über die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter erlangt Wirksamkeit mit seiner Bekanntgabe (BVerwG, Beschluss vom 15.10.2001 - 8 B 104.01 -, NVwZ-RR 2002, 150; BFH, Beschluss vom 10.08.1994 - II R 29/94 -, BFHE 175, 16; aA. <Übergabe an die Geschäftsstelle>: Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 6, Rn. 83), wobei teilweise vertreten wird, dass es auf den Beginn der Bekanntgabe durch die Hinausgabe der Entscheidung durch die Geschäftsstelle zur Post zum Zwecke der Bekanntgabe ankomme (VGH Bad.-Württ, Urteil vom 14.09.1993 - 14 S 1312/93 -, ESVGH 44, 81). Von der - hier erheblichen - Wirksamkeit der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter - im Außenverhältnis - ist die für den Spruchkörper eintretende interne Bindung, die durch die dokumentierte Übergabe an die Geschäftsstelle eintreten dürfte (Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 6, Rn. 12), zu unterscheiden. Jedenfalls ist ein gleichzeitiges Erlassen des Übertragungsbeschlusses und der Sachentscheidung durch den Einzelrichter unzulässig (Kronisch, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 6, Rn. 84), da in diesem Fall die Bestimmung des gesetzlichen Richters aus der Perspektive der Beteiligten nicht mehr klar und eindeutig möglich wäre. Der Beschluss zur Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter muss vor der Sachentscheidung durch den Einzelrichter wirksam werden.
12 
Darüber hinaus kann eine spätere Bekanntgabe nicht zurückwirken; Entscheidungen des Einzelrichters, die dieser vor seiner wirksamen Bestellung trifft, sind auch dann nicht vom zuständigen Richter erlassen, wenn der Übertragungsbeschluss nachfolgend bekannt gegeben wird (Stelkens/Clausing, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Mai 2010, § 6, Rn. 46; Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 6. Aufl. 2014, § 6, Rn. 12; aA. Geiger, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 6, Rn. 10; Gersdorf, in: Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand: 01.07.2015, § 6, Rn. 18), weil es an einer gesetzlichen Anordnung der Möglichkeit fehlt, gerichtliche Beschlüsse rückwirkend wirksam werden zu lassen.
13 
bb) Gemessen hieran war die Einzelrichterin zum Zeitpunkt der Übergabe des hier angegriffenen Beschlusses nicht zur Entscheidung berufen. Zunächst ist die Übergabe des Einzelrichterübertragungsbeschlusses vom 9. Februar 2016 an die Geschäftsstelle nicht dokumentiert. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom 11. Februar 2016 lässt sich entnehmen, dass neben der Endentscheidung auch der Beschluss über die Einzelrichterübertragung an die Beteiligen geschickt wurde („+je EZBs“). Auch ist dokumentiert, dass der angegriffene Beschluss am 11. Februar 2016 bei der Geschäftsstelle eingegangen ist. Damit sind die beiden Beschlüsse zeitgleich - frühestens mit der Herausgabe der Beschlüsse an die Post (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1994 - 6 C 2.92 -, BVerwGE 95, 64) - wirksam geworden, was nach Vorstehendem dazu führt, dass eine Zuständigkeit der Einzelrichterin zum erheblichen Zeitpunkt nicht wirksam begründet worden ist.
14 
2. Die umfassende Prüfung des Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO durch den Senat ergibt, dass das Verwaltungsgericht diesen in der Sache zu Recht abgelehnt hat.
15 
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers dahingehend aufgefasst, dass er auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Ausweisung als Nr. 1 des Bescheids vom 2. Oktober 2015 (§ 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO iVm § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage gegen die Abschiebungsandrohung einschließlich der gesetzten Ausreisefrist (Nr. 3 und Nr. 4 des Bescheids; § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO iVm. § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO, § 12 LVwVG) gerichtet ist. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist ausweislich des eindeutigen Antrags des Antragstellers im Schriftsatz vom 10. März 2016 die Dauer der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots.
16 
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung durch den Beklagten-Vertreter in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO gerecht werdenden Weise begründet worden ist.
17 
Die vom Senat zu treffende umfassende Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung der Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers fällt zu dessen Lasten aus. Der Klage kommen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats (vgl. BVerwG, Urteile vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261, Rn. 8 und vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, Rn. 16) weder gegen die Ausweisungsverfügung (a) noch gegen die Abschiebungsandrohung mit Ausreisefristsetzung (b) Erfolgsaussichten zu. Darüber hinaus liegt auch das erforderliche besondere Vollzugsinteresse vor, das den Vollzug der Ausweisungsverfügung und der Abschiebungsandrohung vor Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren rechtfertigt (c).
18 
a) Die gegen den Antragsteller verfügte Ausweisung ist rechtmäßig ergangen. Ermächtigungsgrundlage für die Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 1a AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung (Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016, BGBl. I., S. 394).
19 
aa) Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Dieser Grundtatbestand des neuen Ausweisungsrechts umreißt die Ausweisungszwecke auf tatbestandlicher Ebene, die in § 54 AufenthG in vertypter und zugleich gewichteter Form als Ausweisungsinteressen ausdifferenziert werden. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des gesetzlichen Systemwechsels, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris, Rn. 49; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, § 53 AufenthG, Rn. 5; Neidhardt, in: HTK-AuslR, § 53 AufenthG, Abs. 1, Stand 10.02.2016, Rn. 54 ff.).
20 
Hier erfüllt das Verhalten des Antragstellers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG und - soweit mit Blick auf Art. 13 ARB 1/80 anwendbar - des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG (1). Dem Ausweisungsinteresse gegenüberzustellen ist das Bleibeinteresse des Antragstellers nach § 55 AufenthG, das der Gesetzgeber ebenfalls vertypt und zugleich gewichtet, hat (2). Der Aufenthalt des Antragstellers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung (3). § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, im konkreten Fall in Form des Interesses an der Beendigung der Rechtsmäßigkeit des weiteren Aufenthalts, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende umfassende und abschließende Abwägung des Ausweisungsinteresses mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände einzubeziehen sind (4). Auch die hier einschlägigen Vorgaben des § 53 Abs. 3 AufenthG werden durch die Ausweisungsverfügung beachtet (5).
21 
(1) Beim Antragsteller liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, da er wegen einer vorsätzlichen Straftat - nämlich wegen eines versuchten Totschlags in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung - zu einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren - nämlich drei Jahren und sechs Monaten - verurteilt worden ist. Damit lag beim Antragsteller auch nach der vom 1. Januar 2016 bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Dort war bei Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Jugendstrafe von mehr als zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisiert worden. Jedenfalls diese erste Neufassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ist auch unbeschadet der Anwendbarkeit des Art. 13 ARB 1/80 hier einschlägig. Denn der mit der grundlegenden Neuregelung des Ausweisungsrechts durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl. I, S. 1386) einhergehende Systemwechsel, weg von einer Ausweisung im Ermessenswege, hin zu einer zwar gebundenen, dafür aber anhand des Maßstabes der Verhältnismäßigkeit zu messenden, beinhaltet bei der gebotenen Gesamtbetrachtung keine neue Beschränkung in Sinne der Stand-Still-Klauseln des Assoziationsrechts (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris, Rn. 150).
22 
Mit der Verurteilung vom 21. Januar 2013 erfüllt der Antragsteller auch den Tatbestand des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG, denn er ist wegen einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden und hat die Straftat mit Gewalt begangen. Es kann offen bleiben, ob die Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG auf den von Art. 13 ARB 1/80 begünstigten Personenkreis anwendbar ist oder sich die nachträgliche Einfügung eines ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisierenden Tatbestands als neue Beschränkung der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 darstellt, ohne dass dies durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt wäre (siehe zu dieser immanenten Schranke der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80: EuGH, Urteil vom 07.11.2013 - C 225/12 - , NVwZ-RR 2014, 115 Rn. 40) mit der Folge, dass dieser Tatbestand außer Anwendung zu bleiben hätte. Ebenso kann offen bleiben, ob die Einführung neuer Ausweisungsinteressen nach dem 1. Januar 2016 überhaupt um eine neue Beschränkung im Sinne der Stand-Still-Klauseln des Assoziationsrechts darstellt oder mit Blick darauf, dass die verschiedenen Ausweisungsinteressen Teil der nach den § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG geforderten Gesamtabwägung sind, deren Ausgang wiederum an § 53 Abs. 3 AufenthG zu messen ist, soweit eine Privilegierung nach Art. 14 ARB 1/80 vorliegt, eine Neugewichtung von Interessen und Belangen durch den Gesetzgeber vor Art. 13 ARB 1/80 weitgehend unproblematisch erscheint. Denn in den Fällen, in denen durch eine strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer Tat im materiellen Sinne mehrere Tatbestände des § 54 AufenthG erfüllt werden, führt dies nicht zu einer typisierten Verstärkung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses. Daher kommt es hier nicht darauf an, ob neben § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein weiterer Tatbestand auf ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse führt oder ob § 54 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG bei Verurteilungen wegen Straftaten gegen das Leben im Verhältnis zu § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG die speziellere Norm ist.
23 
(2) Dem Antragsteller kommt ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse zu, da dieser im Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG).
24 
(3) Der Aufenthalt des Antragstellers gefährdet die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG.
25 
Die hohe vom Antragsteller ausgehende Wiederholungsgefahr folgt aus seiner hohen Aggressivität, die sich in dem der Ausweisung zugrunde liegenden Verbrechen das erste Mal aktenkundig manifestiert hat. Der Senat schließt sich den Ausführungen der 4. großen Jugendkammer des Landgerichts an, wonach bei der Tatbegehung aus nichtigem Anlass die hohe Hemmschwelle eines vorsätzlichen Tötungsdelikts überwunden worden ist. Daraus, dass der Anlass für die Tat und deren Ausführung in keinem auch nur im Ansatz nachvollziehbaren Verhältnis zueinander stehen, schließt auch der Senat darauf, dass beim Antragsteller erhebliche Persönlichkeitsmängel bestehen, die - weiterhin - Anlass zur Befürchtung weiterer gravierender Straftaten geben. Insbesondere hat der Strafvollzug nicht dazu beigetragen, diese vom Aufenthalt des Klägers ausgehende erhebliche Gefahr für Leib und Leben Anderer zu senken. So geht das Amtsgericht Ravensburg in seinem Beschluss vom 22. Juni 2015, mit dem es die Aussetzung der Restjugendstrafe zur Bewährung ablehnt, nach persönlicher Anhörung des Antragstellers davon aus, dieser sich mit seiner Suchtproblematik - während des Vollzuges wurde der Antragsteller einmal positiv auf THC und Subutex getestet und ist damit nicht, wie die Beschwerde irrig behauptet, „im Strafvollzug nie durch … Drogenkonsum aufgefallen“ - nur unzureichend auseinandergesetzt habe und die bei ihm bestehende Gewalt- und Aggressionsproblematik nicht hinreichend therapiert worden sei. Das Landgericht Ravensburg hat diese Entscheidung mit Beschluss vom 1. Juli 2015 bestätigt und betont, dass die Stellungnahme der JVA Ravensburg überdurchschnittlich negativ ausgefallen sei. Die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit stünden auch angesichts der unbehandelt im Raum stehenden Gewalt- und Suchtproblematik einer vorzeitigen Entlassung klar entgegen. Diese Prognosen des Vollstreckungsgerichts haben sich auch noch während des weiteren Vollzugs als zutreffend erwiesen. So ist der Antragsteller am 12. September 2015 in der JVA Ravensburg gegenüber einem Vollzugsbeamten durch Drohung von Anwendung körperlicher Gewalt und durch ein unangepasstes, distanzloses Verhalten aufgefallen. Dies führte zu der Anordnung von zwei Tagen Arrest, dessen Vollzug auf Bewährung ausgesetzt worden ist. Selbst einen Monat vor der Vollverbüßung seiner Strafe, am 17. November 2015, kann es beim Antragsteller zu einem gegen einen Mitgefangenen gerichteten aggressiven Verhalten. Er schlug dabei so heftig gegen eine Glastüre, dass diese zersprang und beleidigte den Mitgefangen u.a. als „Hurensohn“. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Auffassung des Antragsgegner-Vertreters und des Verwaltungsgerichts, dass beim Antragsteller eine bedeutende Wiederholungsgefahr vorliegt, als offenkundig richtig. Unerheblich ist, dass das sich beim Antragsteller zeigende aggressive, gewalttätige Verhalten nicht zu einer strafrechtlichen Verfolgung, sondern allein zu einer disziplinarischen Ahndung geführt hat. Denn für die Bejahung einer Wiederholungsgefahr bedarf es keiner weiteren strafrechtlichen Verurteilungen, sondern der Bewertung der Gesamtpersönlichkeit, für die als ein wesentlicher Gesichtspunkt das Verhalten während des Strafvollzugs heranzuziehen ist.
26 
Nicht durchzudringen vermag der Antragsteller mit seinem Vortrag in der Klagebegründung, die Entscheidung der Strafvollstreckungsgerichte, die am Maßstab des § 88 JGG orientiert seien, bezögen sich auf die Gefahr der Begehung jeglicher Straftaten, ohne dass es auf eine - zu erwartende - Tatschwere ankommen könne, deswegen sei auch nicht festgestellt, dass vom Antragsteller weitere schwere Gewalttaten zu erwarten seien. Denn sowohl die begangene Tat als auch das Verhalten des Antragstellers im Strafvollzug lassen keinen ernstlichen Zweifel daran bestehen, dass er - weiterhin - Gewalt auch gegen Personen als Lösung von tatsächlichen oder von ihm angenommenen Konflikten, seien sie auch noch so unbedeutend, ansieht. Im Übrigen ist auch bei einer Entscheidung nach § 88 Abs. 1 JGG das Restrisiko möglicherweise doch drohender Straftaten zu bewerten, wobei bei der Frage, ob dieses vertretbar oder unvertretbar ist, die Bedeutung und Wertigkeit des gefährdeten Rechtsguts zentral ist. Je höherwertiger das gefährdete Rechtsgut, umso geringer muss das Risiko eines Rückfalls sein, um den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Sinne des § 88 Abs. 1 JGG den Vorzug zu geben (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.07.2006 - 3 Ws 213/06 -, StV 2007, 12). Daher bezieht sich die Prognose in den Beschlüssen des Amts- und des Landgerichts Ravensburg nicht auf das Risiko der Begehung von Bagatellstraftaten durch den Antragsteller.
27 
Soweit der Antragsteller - mit der Klagebegründung - geltend macht, dass vieles dafür spreche, dass sein Reifeprozess noch nicht abgeschlossen sei und sein jugendspezifisches Aggressionsverhalten sich auch ohne besondere Therapie bessern könne und diese deshalb nicht die einzige Möglichkeit sei, sein Leben künftig besser in den Griff zu bekommen, zeigt dies nicht auf, dass die Gefahrenprognose im angegriffenen Bescheid zu seinen Lasten fehlerhaft sein könnte. Denn letztlich räumt er damit ein derzeit bestehendes hohes Aggressionspotential ein. Hingegen ist der Umstand, dass der Antragsteller, wie in der Klagebegründung formuliert - „…zu der Auffassung gelangt ist, dass er für sich keine Wiederholungsgefahr mehr sieht und deshalb keine Sozialtherapie braucht…“, ein neuerlicher deutlicher Beleg dafür, dass der Antragsteller die Tat und ihren Ursprung nicht aufzuarbeiten willens ist, so dass die in der Tat zum Ausdruck gebrachte erhebliche Gefährlichkeit weiterhin fortbesteht. Im Übrigen vermag der Senat in dem begangenen versuchten Totschlag kein jugendspezifisches Aggressionsverhalten zu erkennen.
28 
Entgegen dem Beschwerdevorbringen bedürfen die Verwaltungsgerichte im Falle des Antragstellers keines Sachverständigen, um die Frage der vom Aufenthalt des Klägers ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hinreichend festzustellen. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist nämlich geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, Rn. 12 und Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 - InfAuslR 2016, 1, Rn. 12).
29 
(4) (a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt davon ausgehend ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren.
30 
Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (Bauer, a. a. O., § 53 AufenthG, Rn. 51).
31 
(b) Bei der erforderlichen Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen am weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet ist zu seinen Gunsten insbesondere in den Blick zu nehmen, dass er seit seiner Geburt in der Bundesrepublik Deutschland lebt, hier seine Schul- und Berufsausbildung absolviert hat, dass seine Eltern und Geschwister im Bundesgebiet leben und sein Bleibeinteresse schon allein aufgrund der gesetzgeberischen Wertung in § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG besonders schwer wiegt. Weiter ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu seinen Gunsten zu unterstellen, dass sein Vortrag, in der Türkei lebten keine Verwandten ersten bis dritten Grades, zutreffend ist und die Ausweisung auch deshalb eine erheblichen Eingriff in sein Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens (Art. 8 Abs. 1 EMRK, Art. 7 GRCh) darstellt. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass er nach der Entlassung aus der Strafhaft zwischenzeitlich wieder in die elterliche Wohnung eingezogen und mit seinen Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft lebt.
32 
Der Senat glaubt dem Antragsteller nicht, dass er nur rudimentäre Kenntnisse der türkischen Sprache haben will. Das Landgericht hat in seinem Strafurteil nämlich aufgrund der Angaben des Antragstellers in der Hauptverhandlung festgestellt, dass in seiner Familie deutsch und türkisch gesprochen werde. Es kann dahinstehen, ob er die türkische Schriftsprache tatsächlich nicht beherrscht, wie er behauptet. Da er alphabetisiert ist und er hinreichende Kenntnisse der gesprochenen türkischen Sprache besitzen dürfte, spricht nichts dagegen, sich in kürzerer Zeit auch die Schriftsprache anzueignen.
33 
(c) Zu Lasten des Antragstellers ist bereits die abstrakte Schwere des begangenen Verbrechens, das zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 1a AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der oben bereits festgestellten besonders hohen Wiederholungsgefahr, die sich auch während des gesamten Strafvollzugs immer wieder bestätigte und die zwischenzeitlich auch nicht durch die Teilnahme an einer Therapie gesenkt worden ist, muss zu Lasten des Antragstellers auch die fehlende Bereitschaft und / oder Fähigkeit zur Rechtstreue (zur Problematik dieses Tatbestandsmerkmals: Bauer/Beichel-Benedetti, NVwZ 2016, 416 <420>) berücksichtigt werden.
34 
Der Antragsteller ist bereits als Jugendlicher im Alter von 15 Jahren sieben tatmehrheitlicher Vergehen des gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall, davon in drei Fällen als Versuch schuldig gesprochen worden. Er hatte eine Arbeitsauflage von 70 Stunden abzuleisten. Auch im Strafvollzug verstieß er wiederholt gegen die Hausordnung und verhielt sich trotz wiederholter disziplinarischer Ahndungen distanzlos und beachtete Regeln nicht. Auch insoweit verhielt er sich nicht rechtstreu im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG. Eine neue, eigenständige Bedeutung kommt diesem zum 17.03.2016 ausdrücklich eingeführten Abwägungskriterium aber nicht zu. Diese Umstände waren auch zuvor bei der erforderlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu bewerten und zu berücksichtigen und sind insbesondere auch im Rahmen der Gefahrenprognose auch vor der Gesetzesänderung von erheblicher Bedeutung gewesen.
35 
(d) Das Ergebnis der gesetzlich geforderten Gesamtabwägung ist hier ein deutliches Überwiegen des - öffentlichen - Interesses an der Ausreise gegenüber den bestehenden, besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen. Die hohe Gefahr der Begehung von Gewaltstraftaten durch den Antragsteller ist auch mit Blick auf seine Bindungen an das Bundesgebiet und seine im Faktischen nur lose Bindung an die Türkei nicht hinzunehmen, die Ausweisung erweist sich trotz der erheblichen Eingriffe in den Rechtskreis des Antragstellers als verhältnismäßig.
36 
Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK ist gemessen an den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Anforderungen (zu den Kriterien siehe insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich auch: Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95 ff. und Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m.w.N.) mit Blick auf die erheblichen vom Aufenthalt des Klägers ausgehenden Gefahren für Leben und die körperliche Unversehrtheit anderer gerechtfertigt.
37 
Dies gilt auch hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich bei langjährigem rechtmäßigen Inlandsaufenthalt aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, dass die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, die Integration in die deutsche Gesellschaft, auch soweit sie keinen familiären Bezug hat, und das Fehlen tatsächlicher Bindungen an den Staat seiner Staatsangehörigkeit bei einer Ausweisung angemessen zu gewichten sind (BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 -, NVwZ 2007, 1300). Diesen Beziehungen kommt bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zu (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946; Thym, EuGRZ 2006, 541 <544>; Hoppe, ZAR 2006, 125 <130>; Hofmann, in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Art. 8 EMRK, Stand: 01.11.2015, Rn. 20 ff.; Beichel-Benedetti, in: Huber, AufenthG, 1. Aufl., 2010, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 14 ff.). Daraus folgt auch für Ausweisungen von Ausländern, die über keine schützenswerten familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG verfügen, eine Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Abwägung unter angemessener Berücksichtigung dieser das Recht auf Privatleben konstituierenden Bindungen. Fehlen Bindungen an den Herkunftsstaat, kann sich daraus eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung - selbst bei langjährigen Freiheitsstrafen und zahlreichen Verurteilungen - ergeben (vgl. die Nachweise bei Mayer, a.a.O.). Andererseits folgt aus fehlenden Bindungen an den Herkunftsstaat aber nicht, dass eine Ausweisung sich deshalb stets als unverhältnismäßig erweisen würde. Dem Antragsteller kann es zugemutet werden, neue Bindungen und Beziehungen in der Türkei aufzubauen und sie dort mit Leben zu erfüllen. Dies gilt insbesondere wegen der festgestellten, außergewöhnlich hohen Wiederholungsgefahr. Weiter wesentlich für dieses klare Abwägungsergebnis dürfte auch sein, dass keine Familienangehörigen auf die Anwesenheit des Antragstellers im Bundesgebiet angewiesen sind. Es spricht auch nichts dafür, dass sein Einzug in den elterlichen Haushalt und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sich unmittelbar günstig auf das vorhandene Aggressionspotential des Antragstellers auswirken könnten, nachdem er dessen Ursachen bislang nicht hinreichend bekämpft hat.
38 
(5) Die verfügte Ausweisung des Antragstellers genügt auch den Anforderungen des § 53 Abs. 3 Var. 4 AufenthG. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.
39 
(a) Dem Antragsteller kommt als in Deutschland geborenen Sohn eines hier abhängig beschäftigten türkischen Staatsangehörigen freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- und Gehaltsverhältnis zu im Sinne des Art. 7 Satz 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 (siehe zum „Nachzug“ im Sinne des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 durch Geburt: EuGH, Urteil vom 11.11.2004 - C-467/02 -, InfAuslR 2005, 13 Rn. 26). Da sein Vater mehr als drei Jahre ordnungsgemäß im Bundesgebiet beschäftigt war und der Antragsteller in Deutschland seine Berufsausbildung zum Teilezurichter abgeschlossen hat, darf er sich auf jedes Stellenangebot bewerben (Art. 7 Satz 2 ARB 1/80).
40 
(b) Die Vorgaben des § 53 Abs. 3 AufenthG sind in ihrer Reichweite vor dem Hintergrund der jeweils unionsrechtlich privilegierten Personengruppe autonom unionsrechtlich und insbesondere bereichsspezifisch eigenständig auszulegen, was sich auch aus der Gesetzesbegründung ergibt (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris, Rn. 123; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG, Rn. 54). Der unionsrechtliche Bezugsrahmen für Art. 14 ARB 1/80 ist dabei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. 2004, L 16, S. 44). Danach ist eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung - im Sinne des Unionsrechts - mit Art. 14 ARB 1/80 zu vereinbaren, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 08.12.2011 - C-371/08 -, NVwZ 2012, 422, Rn. 86).
41 
(c) Auch gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die gegen den Antragsteller verfügte Ausweisung als rechtmäßig. Angesichts der hohen Gefahr für Leib und Leben anderer, die durch den Aufenthalt des Antragstellers im Bundesgebiet ausgeht (siehe oben), ist auch eine tatsächliche und schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft festzustellen, denn die Gefahr von Kapitalverbrechen, noch dazu bei einer gleichsam willkürlichen Auswahl der potentiellen Opfer, bedroht die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung insgesamt und damit sogar die öffentliche Sicherheit im unionsrechtlichen Sinne (vgl. EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 - , NVwZ 2011, 221, Rn. 47). Die Maßnahme erweist sich auch am Maßstab des Art. 14 ARB 1/80 gemessen als verhältnismäßig und damit unerlässlich (siehe zum Begriff der Unerlässlichkeit als Umschreibung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl. 2016, Art. 14 ARB 1/80 Rn. 42). Hier gilt angesichts der erheblichen vom Antragsteller ausgehenden Gefahren nichts anderes als oben zu § 53 Abs. 2 AufenthG bereits ausgeführt.
42 
bb) Das von der Ausweisung ausgelöste Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 AufenthG) ist entsprechend den Vorgaben des § 11 Abs. 2 Sätze 1 bis 4 AufenthG mit dem angegriffenen Bescheid befristet worden. Nach der Rechtsprechung des beschließenden Senats handelt es sich bei der Befristungsentscheidung - entgegen dem Wortlaut des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG - weiterhin um eine gebundene, gerichtlich vollständig überprüfbare Entscheidung (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.12.2015 - 11 S 1857/15 -, juris Rn. 25). Daraus folgt, dass mit rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens gesichert eine Entscheidung zur Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots besteht und nicht - wie bei der Annahme eine Ermessensentscheidung über die Dauer der Befristung - die Folge einer aufzuhebenden weil ermessensfehlerhaften Befristungsentscheidung eine im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung fehlende Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit der Folge der Rechtswidrigkeit der Ausweisung selbst sein kann (siehe zum - ausnahmsweisen - Rechtmäßigkeitszusammenhang von Ausweisung und Befristungsentscheidung etwa: EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 -, InfAuslR 2006, 3). Deshalb hängt die Rechtmäßigkeit einer Ausweisung nicht von der rechtmäßigen Bestimmung der Länge der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ab. Es bedarf im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes daher keiner inzidenten Überprüfung der Länge der Befristung.
43 
b) Auch die verfügte Abschiebungsandrohung - nebst der Ausreisefristsetzung nach Haftentlassung - ist rechtmäßig. Ermächtigungsgrundlage für die Abschiebungsandrohung ist § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Die dem Antragsteller eingeräumte Ausreisefrist von zwei Wochen nach Haftentlassung ist angesichts des gesetzlich vorgegebenen Rahmens von sieben bis dreißig Tagen ermessensfehlerfrei bestimmt worden. Insbesondere ist die tragende Erwägung im angegriffenen Bescheid für die Unterschreitung der Regelhöchstfrist, dass zu berücksichtigen sei, dass der Antragsteller weder ein Arbeitsverhältnis noch Wohnraum kündigen müsse, nicht zu beanstanden (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
44 
c) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist die - wenn auch nicht mit einer ausdrücklichen Begründung untermauerte - Auffassung des Verwaltungsgerichts, es bestehe ein besonderes Vollzugsinteresse, dass die Vollziehung der Ausweisung und der daraus resultierenden Ausreisepflicht schon vor rechtskräftigem Abschluss des Klageverfahrens erfolgt, zutreffend.
45 
aa) Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist immer auch zu prüfen, ob überwiegende öffentliche Belange dafür streiten, den Rechtsschutzanspruch des Betroffenen einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Der Rechtsschutzanspruch des Betroffenen ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Verwaltung Unabänderliches bewirkt. Das gilt unabhängig davon, ob der Sofortvollzug eines Verwaltungsakts einer gesetzlichen (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1-3 oder Satz 2 VwGO) oder einer behördlichen Anordnung (vgl. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) entspringt (BVerfG, Beschluss vom 21.03.1985 - 2 BvR 1642/83 -, BVerfGE 69, 220 < 228 f.>; BVerfG (K), Beschluss vom 11.05.2007 - 2 BvR 2483/06 -, BVerfGK 11, 179 ). Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Betroffenen ausgehen wird, reicht - auch bei gesetzlich angeordnetem Sofortvollzug - nicht aus, um die Umsetzung der Maßnahme vor der endgültigen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit im Hauptsacheverfahren zu rechtfertigen. So bedürfen Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung von Ausländern eine besondere Rechtfertigung, die von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und eine Gefährdungsprognose bezogen auf den Zeitraum zwischen beabsichtigtem Vollzug und Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren erfordert (BVerfG (K), Beschluss vom 24.08.2011 - 1 BvR 1611/11 -, NVwZ 2012, 104 <105>; VGH Bad.-Württ, Beschlüsse vom 17.12.2015 - 8 S 2187/15 -, juris, Rn. 18 und vom 16.06.2011 - 11 S 1305/11 -, InfAuslR 2011, 349).
46 
bb) Gemessen an diesen Maßstäben liegt das geforderte besondere Vollzugsinteresse vor. Der Antragsteller ist bis zu seiner Entlassung nach der vollständigen Verbüßung seiner Jugendstrafe immer wieder durch Distanz- und Disziplinlosigkeit im Vollzug aufgefallen. Noch im November 2015 hat er im Rahmen eines Streits mit einem Mitgefangenen eine Glasscheibe mit der Faust zerschlagen. Der damit zum Ausdruck kommende, weiterhin vom Antragsteller nicht kontrollierte Hang zur Gewalttätigkeit rechtfertigt die Prognose, dass von ihm bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgeht, die sich im diesem Zeitraum auch realisieren kann. Dies gilt umso mehr, als der Antragsteller bei der der Ausweisung zugrunde liegenden Tat aus nichtigem Anlass handelte.
47 
Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist der Anspruch des Antragsteller auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG durch den Sofortvollzug nicht berührt. Zum einen ist er durch seinen Prozessbevollmächtigten vertreten. Auch kann er sich selbst schriftlich gegenüber dem Verwaltungsgericht äußern. Soweit eine Teilnahme an einer etwaigen mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts über seine Ausweisung erforderlich sein sollte, kommt die Erteilung einer Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 8 Satz 1 AufenthG in Betracht (vgl. ThürOVG, Beschluss vom 02.12.2014 - 3 EO 757/14 - InfAuslR 2015, 141).
48 
d) Andere Gründe, die es gebieten würden, trotz nicht bestehender Erfolgsaussichten der Klage und trotz eines bestehenden besonderen Vollzugsinteresses dennoch den Suspensivinteressen des Antragstellers den Vorrang einzuräumen, gibt es für den Senat nicht.
49 
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
50 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist syrisch-orthodoxer Christ türkischer Staatsangehörigkeit. Er reiste im Alter von sechs Jahren in die Bundesrepublik Deutschland ein und lebte zunächst bei seinen Eltern. Ihm wurde ein befristeter Aufenthaltstitel erteilt und in der Folge mehrfach verlängert; mehrere Geschwister haben inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Seine Schulausbildung beendete er ohne Abschluss. Seit seinem 13. Lebensjahr konsumierte er Drogen und wurde vielfach straffällig. Im Zeitraum zwischen 1991 und 2010 verbrachte er insgesamt etwa 15 Jahre in Untersuchungs- und Strafhaft; maßgeblich hierfür waren überwiegend Verurteilungen zu Freiheitsstrafen von jeweils bis zu zwei Jahren. Eine höhere Freiheitsstrafe, nämlich eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, war lediglich durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 24. Januar 2001 ausgesprochen worden. Diesem Urteil lagen eine am 30. Oktober 2000 begangene versuchte schwere räuberische Erpressung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in einem minderschweren Fall (Einzelstrafe zwei Jahre zehn Monate) und eine am 1. Juli 2000 begangene Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung (Einzelstrafe sechs Monate) zu Grunde.

2

Die Ausländerbehörde der Stadt Hamburg hörte den Kläger seit 1992 mehrfach zu einer beabsichtigten Ausweisung an. Durch Bescheid vom 29. Dezember 1999 wies sie ihn aus, weil er innerhalb von fünf Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen von zusammen mindestens drei Jahren verurteilt worden sei (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990). Seine hiergegen gerichtete Anfechtungsklage blieb erfolglos. In der Folge wurden ihm Duldungen erteilt. Einen im Jahre 1996 aus der Haft heraus gestellten Asylantrag lehnte die Beklagte als offensichtlich unbegründet ab, wurde jedoch durch das zuständige Verwaltungsgericht verpflichtet, den Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur Gruppe der syrisch-orthodoxen Christen als asylberechtigt anzuerkennen.

3

Durch Bescheid vom 25. Januar 2006 widerrief die Beklagte die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter (Ziffer 1 des Bescheids) sowie die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorlägen (Ziffer 2). Zusätzlich stellte sie fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorlägen (Ziffer 3). Zur Begründung verwies sie auf die Verurteilung des Klägers zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Die weitere Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), begründete sie damit, dass syrisch-orthodoxe Christen in der Türkei nicht mehr mit Verfolgung oder menschenrechtswidriger Behandlung rechnen müssten.

4

Das Verwaltungsgericht Hamburg wies die gegen diesen Bescheid gerichtete Anfechtungsklage durch Urteil vom 11. Dezember 2008 ab. Das Oberverwaltungsgericht hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des Verwaltungsgerichts durch Beschluss vom 2. Januar 2012 geändert und den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Ein Widerrufsgrund könne nicht nur dann vorliegen, wenn nachträglich die Anerkennungsvoraussetzungen wegfielen, sondern auch dann, wenn nachträglich Ausschlussgründe verwirklicht worden seien, etwa wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden sei. Ein solcher Fall sei hier jedoch nicht gegeben. Denn § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erfasse nicht den Fall, dass im Wege der Gesamtstrafenbildung auf eine dreijährige Freiheitsstrafe erkannt worden sei. Dies folge aus dem Wortlaut der Norm und werde durch Entstehungsgeschichte und Gesetzeszweck bestätigt. Die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung als Folge einer Gesamtstrafenbildung könne im Übrigen zu Gleichheitsverstößen führen. Denn derjenige Straftäter, bei dem die Ahndung mehrerer Straftaten verbunden werde und in eine dreijährige Gesamtstrafe münde, werde ohne sachlichen Grund gegenüber demjenigen benachteiligt, bei dem dieselben Straftaten verfahrensmäßig getrennt und mit Strafen von jeweils unter drei Jahren abgeurteilt würden. Die Frage, ob der Widerruf der Asylanerkennung auch darauf gestützt werden könne, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in die Türkei auf Grund einer Veränderung der Umstände keine asylrelevante Verfolgung oder Folter bzw. unmenschliche Behandlung mehr drohe, habe die Beklagte in ihren Bescheid weder angesprochen noch habe sie entsprechende Überlegungen im Gerichtsverfahren vorgetragen. Die Möglichkeit einer derartigen Veränderung der maßgeblichen Umstände in der Türkei liege auch nicht ohne Weiteres auf der Hand.

5

Die Beklagte rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts sowie die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht. Sie ist der Auffassung, dass auch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingseigenschaft begründen könne.

6

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und hält hilfsweise sein Begehren auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung unionsrechtlicher bzw. nationaler Abschiebungsverbote aufrecht.

7

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und unterstützt die Revision.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat allerdings ohne Verstoß gegen revisibles Recht entschieden, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung des Klägers nicht auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stützen durfte. Es hat jedoch die im Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der Widerruf stattdessen auf den Wegfall der verfolgungsbegründenden Umstände gestützt werden konnte (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Da hinreichende Sachverhaltsfeststellungen hierzu fehlen, kann der Senat die Frage, ob sich die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO), nicht abschließend beantworten. Der Rechtsstreit ist deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO.

9

1. Gegenstand des Verfahrens ist der Widerrufsbescheid der Beklagten vom 25. Januar 2006. Auf die Anfechtungsklage des Klägers ist die Rechtmäßigkeit dieses Bescheids uneingeschränkt zu überprüfen. Eine Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle auf einen von mehreren möglichen Widerrufsgründen würde der Verpflichtung des Verwaltungsgerichts widersprechen, die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen unteilbaren Verwaltungsakts umfassend zu prüfen. Dabei muss das Verwaltungsgericht zum einen auch solche Anfechtungsgründe berücksichtigen, die der Kläger nicht geltend gemacht hat (stRspr seit Urteil vom 20. Februar 1956 - BVerwG 5 C 36.55 - NJW 1956, 804; vgl. auch Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109, Rn. 14 a.E. im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 76). Zum anderen hat es die Rechtmäßigkeit eines nicht im Ermessen der Behörde stehenden Verwaltungsakts auch unter Gesichtspunkten zu prüfen, die von der Behörde im Bescheid oder im Gerichtsverfahren nicht angeführt worden sind. Denn die Aufhebung eines solchen Verwaltungsakts setzt nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO u.a. seine objektive Rechtswidrigkeit voraus; daran fehlt es auch dann, wenn er unter einem im Bescheid oder im Verfahren nicht angesprochenen Grund rechtmäßig ist. Die vorliegende Klage ist also nicht schon dann begründet, wenn der im Widerrufsbescheid allein angeführte Widerrufsgrund des § 60 Abs. 8 AufenthG nicht vorliegt, sondern nur dann, wenn der Bescheid auch unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten nicht haltbar ist und er den Adressaten in seinen Rechten verletzt, insbesondere also wenn auch andere in Betracht kommende Widerrufsgründe ausscheiden. Nur diese Sichtweise wird im Übrigen der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gerecht, nach der alle in einem Asylprozess typischerweise relevanten Fragen in einem Prozess abschließend geklärt werden sollen (Urteil vom 8. September 2011 - BVerwG 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 10; Beschluss vom 10. Oktober 2011 - BVerwG 10 B 24.11 - juris Rn. 4).

10

2. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Beklagte den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im vorliegenden Fall zu Unrecht auf § 60 Abs. 8 AufenthG gestützt hat.

11

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG müssen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 1 AufenthG) oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG). Im letztgenannten Fall muss zusätzlich eine konkrete Wiederholungsgefahr bestehen. Diese liegt nur vor, wenn von dem Ausländer in Zukunft neue vergleichbare Straftaten ernsthaft drohen (vgl. Urteil vom 16. November 2000 - BVerwG 9 C 6.00 - BVerwGE 112, 185 <188 ff.> noch zu § 51 Abs. 3 Alt. 2 AuslG 1990).

12

Die nach § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erforderliche rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren kann grundsätzlich unabhängig davon vorliegen, ob die verhängte Freiheitsstrafe auf tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangene und gleichzeitig abgeurteilte Delikte (§ 52 oder §§ 53 bis 55 StGB) zurückgeht. Bei der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ist jedoch erforderlich, dass zumindest eine der Einzelstrafen, aus denen die Gesamtstrafe gemäß §§ 54 oder 55 StGB gebildet wird, eine wenigstens dreijährige Freiheitsstrafe ist. Falls hingegen die Gesamtfreiheitsstrafe ausschließlich aus Einzelstrafen hervorgegangen ist, die jeweils für sich genommen die Mindestdauer von drei Jahren nicht erreichen, ist der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG nicht eröffnet. Dies folgt aus dem Wortlaut der Norm und einer teleologisch-systematischen Auslegung im Einklang mit den relevanten völker- und unionsrechtlichen Vorschriften (anders OVG Lüneburg, Urteil vom 8. Februar 2012 - 13 LB 50/09 - und OVG Schleswig, Urteil vom 21. Juni 2012 - 1 LB 10/10).

13

Nach dem Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG stellt ein Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit dar, wenn er wegen "eines" Verbrechens oder besonders schweren Vergehens verurteilt worden ist; ein entsprechender Sprachgebrauch findet sich auch in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (vormals Richtlinie 2004/83/EG, "wegen einer besonders schweren Straftat rechtskräftig verurteilt") sowie in Art. 33 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK, "weil er wegeneines Verbrechens oder eines besonderes schweren Vergehens rechtskräftig verurteilt wurde"). Im Hinblick darauf, dass das Aufenthaltsgesetz in einem vergleichbaren Zusammenhang Rechtsfolgen ausdrücklich an das Vorliegen "einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten" knüpft (§ 53 Nr. 1, § 54 Nr. 1 AufenthG), spricht der Wortlaut des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG eher für als gegen die Annahme, dass die Gefahrenschwelle der Vorschrift nicht überschritten wird, wenn die Verurteilung zu einer mindestens dreijährigen Gesamtstrafe auf einer Zusammenfassung mehrerer Freiheitsstrafen von jeweils unter dreijähriger Dauer beruht.

14

Diese Annahme wird durch den Zweck der Vorschrift bestätigt. Sie geht auf Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG zurück, der Art. 33 Abs. 2 GFK und der darin normierten Ausnahme vom völkerrechtlichen Refoulement-Verbot nachgebildet ist: Sie soll Gefahren von dem Aufnahmestaat eines Flüchtlings abwehren, die durch dessen kriminelles Verhalten verursacht werden. Im Hinblick darauf, dass § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU darüber hinausgehend sogar die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorsehen (krit. dazu Hailbronner, EU Immigration and Asylum Law, Kap. IV 3, S. 1133 f. Rn. 15; Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 37 Rn. 47 ff.), muss die Vorschrift jedoch restriktiv so ausgelegt werden, dass die Sicherungen insbesondere des völkerrechtlichen Flüchtlingsrechts gegen eine Abschiebung in den Verfolgerstaat nicht relativiert werden. Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsgewährung kann deshalb gegenüber kriminellen Flüchtlingen nur als ultima ratio in Betracht kommen, wenn ihr kriminelles Verhalten die Schwelle der besonders schweren Strafbarkeit überschreitet (vgl. Urteil vom 7. Oktober 1975 - BVerwG 1 C 46.69 - BVerwGE 49, 202 <208 ff.> zu § 14 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965).

15

Aus diesen Gründen kommt es nach der Konzeption des deutschen Rechts für die Anwendung des § 60 Abs. 8 AufenthG unabhängig davon, dass die Umsetzung der Mindestgewährleistung des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG in nationales Recht durch die Mitgliedstaaten eine erhebliche Bandbreite aufweist (vgl. European Council on Refugees and Exilies, The Impact oft the EU Qualification Directive on International Protection, 2008, S. 171 ff., 179 bis 182 mit einer Zusammenstellung der Umsetzungsmaßnahmen, vgl. auch ebda. S. 33 f.), im Übrigen auch nicht auf die abstrakte Strafdrohung, sondern auf die konkret verhängte Freiheitsstrafe an. Denn die Mindeststrafenregelung soll sicherstellen, dass der Entzug des Asyl- und Flüchtlingsstatus nur gegenüber besonders gefährlichen Tätern in Betracht kommt. Nur sie bedeuten eine Gefahr für die Allgemeinheit, die gegenüber dem Ziel des Flüchtlingsschutzes im Ausnahmefall überwiegen kann, nicht aber solche Täter, die sich zwar eines mit hoher Strafdrohung bewehrten Vergehens oder Verbrechens schuldig gemacht haben, dabei aber im unteren oder mittleren Bereich der Strafbarkeit geblieben sind, so dass sie eine Freiheitsstrafe von weniger als drei Jahren verwirkt haben. Ist ein Flüchtling rechtskräftig zu einer mindestens dreijährigen (Einzel-)Freiheitsstrafe verurteilt worden, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles weiter zu prüfen, ob diese Verurteilung die Annahme rechtfertigt, dass er tatsächlich eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG darstellt.

16

Aus demselben Grund reicht es nicht aus, wenn ein Täter nur deshalb zu einer mindestens dreijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, weil mehrere von ihm begangene Taten geringeren oder mittleren Gewichts im Rahmen eines einzigen Strafverfahrens oder - wenn eine frühere Strafe noch nicht vollstreckt ist - im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung abgeurteilt worden sind. Die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG würde hingegen dazu führen, dass die von rein verfahrenspraktischen Aspekten, nicht aber von der Gefährlichkeit des Täters abhängige Frage, ob eine Straftat in einem Strafverfahren für sich genommen oder zusammen mit anderen Straftaten abgeurteilt wird, ausschlaggebend dafür werden könnte, ob der Täter die Voraussetzungen für einen Widerruf seines Asyl- oder Flüchtlingsstatus erfüllt oder nicht.

17

Auch die Entstehungsgeschichte der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. Takkenberg/Tahbaz, The collected travaux préparatoires of the 1951 Geneva convention relating to the status of refugees, 1990, III S. 89 f., 344 ff., sowie Weis, The travaux préparatoires analysed with a commentary, abrufbar bei www.unhcr.org/4ca34be29.html, ab Seite 233) bestätigt die Erforderlichkeit einer restriktiven Auslegung des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG. Während im ursprünglichen Textentwurf eine Einschränkung des Refoulement-Verbots (Art. 28 des Entwurfs) noch nicht vorgesehen war, setzte sich der Gedanke, dass Staaten zur Hinnahme von Gefahren für ihre Sicherheit oder für die Allgemeinheit nicht unbeschränkt gezwungen sein dürften, erst nach einer intensiven Debatte über die Grenzen des Refoulement-Schutzes durch. Der schließlich verabschiedeten Textfassung lag die Einschätzung zu Grunde, dass die Abschiebung eines Flüchtlings nur ausnahmsweise und als Reaktion auf besonders schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Flüchtlings zulässig sei, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder der Allgemeinheit bestehe. Die Auffassung des Vertreters des Bundesinteresses, auch in derartigen Fällen könne über die Merkmale einer Gefahr für die Allgemeinheit oder der Wiederholungsgefahr im Rahmen einer Einzelfallwürdigung eine Unterschreitung des völker- und unionsrechtlich gebotenen Mindeststandards verhindert werden (ebenso OVG Schleswig a.a.O. Rn. 45), wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Denn sie verschiebt die untere Grenze für die Möglichkeit eines Widerrufs der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung in einen Bereich, der bereits die durch eine Mehrzahl von Taten der mittleren Kriminalität ausgelösten Gefahren erfasst und sich damit gerade nicht auf Fälle besonders schwerer Verbrechen (Art. 14 Abs. 4 Buchst. b Richtlinie 2011/95/EU) beschränkt.

18

Aus der Entstehungsgeschichte des § 60 Abs. 8 AufenthG ergibt sich nichts Abweichendes. Die Mindeststrafengrenze des § 60 Abs. 8 Satz 1 Alt. 2 AufenthG war weder im Ausländergesetz vom 28. April 1965 (AuslG 1965, dort § 14 Abs. 1 Satz 2, gültig bis Ende 1990) noch in der bis Oktober 1997 gültigen Fassung des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990 (AuslG 1990, dort § 51 Abs. 4) enthalten und fehlt auch in Art. 33 Abs. 2 der durch das AuslG 1965 in Bezug genommenen Genfer Flüchtlingskonvention. Sie wurde erst durch Gesetz vom 29. Oktober 1997 als § 51 Abs. 3 AuslG (gültig bis Ende 2004) mit der Begründung in das Gesetz eingefügt, die bisher nur selten angewandte Vorschrift solle konkretisiert und ihre praktische Anwendung angesichts der aktuellen politischen Lage erleichtert werden (BTDrucks 13/4948 S. 9). Weder durch das Aufenthaltsgesetz in der Fassung vom 30. Juli 2004 noch durch das erste Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 ist sie nachfolgend geändert worden. Aus diesem Ablauf lässt sich lediglich die Absicht des Normgebers ableiten, die Ausweisung von Straftätern durch eine leicht handhabbare Regelung zu erleichtern, nicht aber eine Aussage zu der - in den Materialien nicht angesprochenen - Frage, ob die Mindeststrafengrenze auch durch eine aus mehreren Einzelstrafen von jeweils unter drei Jahren gebildete Gesamtstrafe erfüllt werden sollte oder nicht. Vielmehr folgt aus der ausdrücklichen Bezugnahme auf Art. 33 Abs. 2 GFK in der Begründung für die Einführung einer Mindestfreiheitsstrafe (BTDrucks 13/4948 S. 9), dass die dort verbindlich vereinbarte hohe Schwelle für eine Relativierung des Flüchtlingsschutzes nicht angetastet werden sollte.

19

3. Das Berufungsgericht hat jedoch die im vorliegenden Verfahren ebenfalls aufgeworfene Frage, ob der angegriffene Widerrufsbescheid auf § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG gestützt werden kann, nicht im Einklang mit revisiblem Recht beantwortet. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht dieser Frage überhaupt nicht nachgegangen ist oder ob es die Frage zwar aufgeworfen, aber unter Verstoß gegen § 86 Abs. 1 VwGO - da ohne jede Sachverhaltsaufklärung - beantwortet hat.

20

Der Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist auch dann geboten, wenn der Ausländer es nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt (§ 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Nach der Rechtsprechung kann dies allerdings erst dann angenommen werden, wenn sich die verfolgungsbegründenden Umstände erheblich und dauerhaft verändert haben (Urteile vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 und vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 16 ff.; EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505 Rn. 72 ff.). Die bei der Anerkennung als Asylberechtigter oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft festgestellte Verfolgungsgefahr fällt also erst weg, wenn durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte und zugleich stabile Grundlage für die Verfolgungsprognose entstanden ist, so dass keine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Betroffenen nach seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mehr besteht. Die einen Wegfall der Verfolgungslage begründenden Tatsachen müssen zur Überzeugung des Gerichts feststehen, wenn auch nicht - wie das Berufungsgericht es formuliert hat - "auf der Hand liegen".

21

4. Das Berufungsgericht hat keine Tatsachen festgestellt, aus denen sich ein Wegfall der Verfolgungslage ableiten ließe. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass im angegriffenen Bescheid Ausführungen zur Situation von Angehörigen der syrisch-orthodoxen Kirche in der Türkei enthalten sind, wenn auch lediglich im Zusammenhang mit einem denkbaren Anspruch des Klägers auf subsidiären Schutz. Denn es wäre Aufgabe des Verwaltungsgerichts und des Berufungsgerichts gewesen, die Richtigkeit dieser Ausführungen durch eigene tatsächliche Feststellungen zu überprüfen. Deshalb kann der Senat die Frage, ob die Berufungsentscheidung aus anderen Gründen richtig ist (§ 144 Abs. 4 VwGO) nicht beantworten und auch nicht zu Lasten des Klägers in der Sache selbst entscheiden. Vielmehr ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um diesem die Gelegenheit zu geben, die für § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG maßgeblichen Tatsachen aufzuklären.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 - 11 K 1286/16 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Soweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 zurückgewiesen worden ist, wird die Revision zugelassen. Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger, ein im Jahre 1973 in Luanda geborener angolanischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.
Der Kläger stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet im Januar 1990 einen Asylantrag, zu dessen Begründung er vortrug, er sei Kriegswaise und nicht bereit gewesen, beim angolanischen Militär zu dienen, weshalb ihm politische Verfolgung drohe. Nach dem negativen Ausgang dieses und eines weiteren am 23. November 1993 in Gang gesetzten Asylverfahrens verblieb er in Deutschland. Er heiratete im Jahre 1994 eine deutsche Staatsangehörige und erhielt aufgrund dessen eine Aufenthaltserlaubnis. Ab dem 1. April 1997 war er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AuslG 1990. Die Ehe wurde im Jahre 1998 rechtskräftig geschieden.
Der Kläger lebt seit dem Jahre 2003 in nichtehelicher Lebensgemeinschaft mit der im Jahre 1978 geborenen angolanischen Staatsangehörigen E. M. B., die im April 2002 in das Bundesgebiet einreiste. Ihr Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt. Frau B. ist die Mutter von drei in den Jahren 2003, 2005 und 2011 im Bundesgebiet geborenen Töchtern, für die der Kläger die Vaterschaft anerkannt und eine Sorgerechtserklärung abgegeben hat. Sie ist seit dem 17. Oktober 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, die immer wieder verlängert wird - zuletzt bis 12. Januar 2019.
Der Kläger ist ausweislich des Auszugs aus dem Zentralregister vom 30. Januar 2017, auf dessen Inhalt hinsichtlich der Einzelheiten verwiesen wird, im Bundesgebiet bislang 13 Mal verurteilt worden:
Nachdem der Kläger in den Jahren 1992 bis 1994 unter anderem wegen Verstößen gegen das Asylverfahrensgesetz insgesamt drei Mal zu Geldstrafen und am 19. Oktober 1994 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt worden war, wurde er unter dem 16. August 1995 ausländerrechtlich verwarnt.
Am 4. Februar 1999 verhängte das Amtsgericht Lörrach wegen Verschaffens falscher amtlicher Ausweise eine Geldstrafe in Höhe von 25 Tagessätzen zu je 10 DM gegen ihn, weil er am 10. Oktober 1998 bei der versuchten Ausreise in die Schweiz bei der Grenzabfertigung im Badischen Bahnhof Basel einen durch Lichtbildauswechslung verfälschten, für eine andere Person ausgestellten portugiesischen Reisepass mit sich geführt hatte.
Das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt verurteilte ihm am 24. Juli 2000 wegen Betrugs in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen zu je 30 DM.
Im Jahre 2001 wurde der Kläger wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe und im Jahre 2002 wegen Leistungserschleichung in fünf Fällen zu einer weiteren Geldstrafe verurteilt.
Mit seit 24. August 2002 rechtskräftigem Strafbefehl vom 25. Februar 2002 verhängte das Amtsgericht Nürtingen gegen den Kläger wegen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung in vier Fällen eine Geldstrafe. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger ab dem 16. März 2001 aufgrund eines jeweils neu gefassten Tatenschlusses Überweisungsträger ausgestellt auf ein Konto bei der ... Bank ..., Filiale N., Kontoinhaberin Frau S. K., vorlegte. Diese Überweisungsträger hatte er jeweils über Beträge von 132,59 DM, 256,84 DM, 200,43 DM sowie über 592,69 DM und 648,42 DM ausgestellt und jeweils mit der Unterschrift S.K. versehen, um den Eindruck zu erwecken, sie seien von einer berechtigten Person unterzeichnet worden. Das jeweilige Personal, so getäuscht, überwies jeweils das Geld, auf das der Kläger, wie er wusste, keinen Anspruch hatte.
10 
Es folgten Verurteilungen zu Geldstrafen durch das Amtsgericht Stuttgart am 9. April 2003 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr und das Amtsgericht Göppingen am 11. Juli 2006 wegen Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz.
11 
Mit rechtskräftigem Urteil vom 25. September 2007 verhängte das Landgericht Stuttgart gegen den Kläger wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug in 37 Fällen sowie Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 16 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren. Ausweislich der diesem Strafverfahren zugrunde liegenden Anklageschriften war hinsichtlich weiterer Taten nach § 154 StPO verfahren worden.
12 
Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Kläger mit nicht identifizierten Mittätern im Jahre 2005 beschloss, künftig regelmäßig bei unterschiedlichen Banken Überweisungsträger aus Briefkästen „herauszuangeln“. Sein Tatplan sah vor, die Kundendaten der Bankkunden den Überweisungsformularen zu entnehmen, sie auf Überweisungsformulare der jeweiligen Bank zu übertragen und als Empfänger solche Konten zu benennen, die er oder seine Mittäter zuvor mit falschen Personalien eröffnet hatten. Weiter war geplant, die Unterschrift der Bankkunden zu imitieren und die total gefälschten Überweisungsformulare bei den Banken einzureichen, um dadurch dauerhaften Gewinn zu erzielen. Die Empfängerkonten waren bei Kreditinstituten im In- und Ausland, dort insbesondere Spanien. Im Einzelnen kam es zwischen dem 27. März 2006 und dem 10. Februar 2007 zu 53 Taten. Teilweise führten die Verantwortlichen der Banken die Aufträge aus, teilweise kam es mangels Deckung der Kundenkonten nicht zur Ausführung, teilweise wurden die Fälschungen erkannt und in anderen Fällen konnte das Geld nach Ausführung der Überweisung wieder zurückerlangt werden. Die Überweisungsträger bezogen sich auf Beträge zwischen 2.124,09 Euro und 45.767,07 Euro. Die Überweisungen zielten auf ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen in Höhe von insgesamt ca. 458.698 Euro ab. Hinsichtlich der Einzelheiten der Sachverhaltsfeststellungen wird auf die Gründe des Urteils vom 25. September 2007 (unter II., Bl. 4 bis 11) Bezug genommen. Das Strafgericht legte für sämtliche (Einzel-) Strafen den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 Nr. 1 StGB zugrunde und verneinte Gründe dafür, vom Vorliegen eines besonders schweren Falls trotz der Vermutungswirkung des Regelbeispiels abzusehen.
13 
Am 25. November 2014 verurteilte das Amtsgericht Stuttgart den Kläger wegen Urkundenfälschung in sieben Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit Betrug und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug, zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Urteil wurde am 29. April 2015 rechtskräftig. Dem Urteil zufolge eröffnete der Kläger ab dem 4. August 2012 unter Vorlage gefälschter Passdokumente, teilweise auch gefälschter Gehaltsnachweise, verschiedene Bankkonten unter falscher Identität, teilweise um den bewilligten Kreditrahmen auszunutzen, und teilweise um mittels gefälschter Überweisungsformulare Geld auf Konten transferieren zu lassen. In drei Fällen brachte er ausgefüllte Überweisungsträger verschiedener Bankkunden an sich, übertrug ihre Kundendaten auf Überweisungsformulare der jeweiligen Bank, imitierte die Unterschrift und reichte sie bei der Bank ein. Im Rahmen der Strafzumessung nahm das Strafgericht bei sämtlichen Taten ein gewerbsmäßiges Handeln an.
14 
Bei Begehung eines Teils der Taten, die der Verurteilung vom 25. November 2014 zugrunde lagen, stand der Kläger noch wegen des ausgesetzten Strafrests aus der Verurteilung durch das Landgericht Stuttgart vom 25. September 2007 unter Bewährung. Die durch das Landgericht verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren hatte er bis 18. November 2009 in der Justizvollzugsanstalt H. verbüßt. Ausweislich des Zentralregisterauszugs vom 30. Januar 2017 wurde der Strafrest aus dieser Verurteilung mit Wirkung vom 28. Dezember 2012 erlassen.
15 
Am 1. Juli 2015 stellte sich der Kläger in der Justizvollzugsanstalt Ulm zum Strafantritt. Beginnend ab 24. Oktober 2015 erhielt er Regelausgänge und ab 24. Dezember 2015 Freistellung aus der Haft. Nach dem Inhalt der Gefangenenpersonalakte versuchte der Kläger am 16. September 2016 einen Mitgefangenen, der ihn zuvor beleidigt und provoziert hatte, zu ohrfeigen. Da dieser zurückwich, streifte ihn die Hand des Klägers nur; äußere Verletzungen waren nicht festzustellen. Aufgrund dieses Vorfalls erfolgte am 22. September 2016 die Verlegung des Klägers in die Justizvollzugsanstalt H.. Dort befindet er sich mit Strafende 31. Dezember 2017 im geschlossenen Vollzug. Das Landgericht Ulm - Strafvollstreckungskammer - wies mit Beschluss vom 16. November 2016 den Antrag des Klägers auf gerichtliche Entscheidung gegen die Maßnahme seiner Ablösung vom offenen Vollzug als unbegründet zurück.
16 
Seit dem 10. Dezember 2015 betreibt der Kläger ein Insolvenzverfahren und führt regelmäßig Beträge ab.
17 
Gegen den Kläger erging unter dem 30. Juni 2008 erstmals eine Ausweisungsverfügung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart am 21. Juli 2009 - 5 K 2850/08 - schlossen die Beteiligten einen Vergleich, der u.a. die Duldung des Klägers ab Haftentlassung für die Dauer von drei Jahren und die Aufhebung der Ausweisung und Abschiebungsandrohung in der Verfügung vom 30. Juni 2008 vorsah, sofern er nicht erneut in dieser Zeit wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat rechtskräftig verurteilt würde. Hinsichtlich der Einzelheiten des Vergleichs wird auf die Sitzungsniederschrift im Verfahren 5 K 2850/08 verwiesen.
18 
Nachdem der Zentralregisterauszug vom 22. November 2012 keine neuen Straftaten aufführte und auch sonst keine Erkenntnisse vorlagen, hob das Regierungspräsidium Stuttgart unter dem 6. Dezember 2012 die Ausweisungsverfügung vom 30. Juni 2008 auf und veranlasste die Aushändigung der Niederlassungserlaubnis.
19 
Das Regierungspräsidium Stuttgart wies den Kläger nach vorheriger Anhörung mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 30. Januar 2016, zugestellt am 5. Februar 2016, aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1) und drohte ihm die Abschiebung nach Angola aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise an, soweit die Ausweisung bis dahin bestandskräftig oder die sofortige Vollziehung der Ausweisung angeordnet worden ist (Ziffer 2). Unter Ziffer 3 wurde er für den Fall der Entlassung aus der Haft ohne Abschiebung aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland spätestens innerhalb von einem Monat nach Bestandskraft oder einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ausweisung zu verlassen, und ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Angola angedroht. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf fünf Jahre nach Ausreise oder Abschiebung befristet (Ziffer 4), wobei die Behörde über die Länge der Frist nach Ermessen entschied.
20 
Zur Begründung der gegen den Bescheid am 3. März 2016 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klage trug die Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, ihm sei bewusst, dass er zahlreiche Straftaten begangen habe und auch durch die Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Juni 2008 gewarnt gewesen sei. Er bedauere zutiefst, dass er gleichwohl noch einmal rückfällig geworden und es zu dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom November 2014 gekommen sei. Die Taten hätten sich (zwischen) Ende Juli 2012 und Februar 2013 ereignet. Im vorliegenden Fall überwiege bei der nach § 53 Abs. 1 AufenthG gebotenen Abwägung nicht das öffentliche Interesse an der Ausweisung, sondern sein Interesse an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Er habe sich zum Strafantritt selbst gestellt und ihm sei klar gewesen, dass er sich jetzt mit seiner Vergangenheit und seinen Taten auseinandersetzen müsse, um in Zukunft straffrei zu leben. Die Haftanstalt bewerte ihn positiv, was eine positive Sozialprognose rechtfertige. Ihm sei klar geworden, dass er seiner Verantwortung für die Familie nur gerecht werde, wenn er ein straffreies Leben führe und den Kindern in ihrer Entwicklung zur Seite stehe sowie für den Lebensunterhalt sorge. Er lebe mit seinen drei minderjährigen Töchtern deutscher Staatsangehörigkeit in familiärer Lebensgemeinschaft. Diese hätten das Recht, mit ihrem Vater in der Bundesrepublik zusammenzuleben. Durch die Ausweisung wäre die Eltern-Kind-Beziehung nachhaltig gestört. Ein das Kindeswohl berücksichtigender Umgang sei bei einer Abschiebung nach Angola nicht möglich.
21 
Der Beklagte trat der Klage entgegen.
22 
Mit Urteil vom 27. Juli 2016 - 11 K 1286/16 - hob das Verwaltungsgericht nach Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung Ziffer 4 des angegriffenen Bescheids des Beklagten vom 30. Januar 2016 insoweit auf, als die darin gesetzte Frist für das Einreise- und Aufenthaltsverbot drei Jahre und sechs Monate überstieg und wies im Übrigen die Klage ab. Zur Begründung des Urteils führte das Gericht unter anderem aus, dass Art. 8 EMRK der Ausweisung nicht entgegenstehe. Im vorliegenden Fall fehle es an den tatbestandlichen Voraussetzungen. Ein reiner mehrjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet genüge nicht. Zu fordern sei darüber hinaus eine starke Verwurzelung in die hiesigen Verhältnisse. Gesichtspunkte, aus denen sich diese ergeben könne, seien gute deutsche Sprachkenntnisse, eine feste soziale Bindung etwa aufgrund gelungener beruflicher Integration, ein fester Wohnsitz, ein gesicherter Lebensunterhalt und das Fehlen von Straffälligkeit. Der Kläger habe einen festen Wohnsitz, eine deutsche Familie und spreche deutsch. Beruflich sei er wenig integriert und massiv, über einen längeren Zeitraum und unbeeindruckt von staatlichen Sanktionen oder Änderungen seiner persönlichen Lebensumstände wiederholt straffällig geworden. In jeder Straftat liege nicht nur eine Verletzung individueller Rechtsgüter, sondern auch eine solche gesellschaftlicher Bande. Sie störe neben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch das für ein gedeihliches Zusammenleben notwendige Vertrauen der übrigen Gesellschaftsmitglieder in die Rechtstreue ihrer Mitmenschen, setze auf Täterseite folglich eine gewisse Ignoranz gegen die Belange der Mitmenschen und der Gesellschaft voraus. Wer sich massiv und wiederholt gegen die Gesellschaft und ihre Normen auflehne, könne den Verweis aus deren Mitte nicht als unzumutbar rügen. Dies gelte umso mehr als der Kläger in Angola auch nicht entwurzelt sei. Mit Blick auf seine familiären Verhältnisse, insbesondere die deutschen Kinder, sei allerdings ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nur dann verhältnismäßig, wenn es drei Jahre und sechs Monate nicht übersteige.
23 
Gegen das Urteil hat der Senat auf Antrag des Klägers mit Beschluss vom 19. Oktober 2016 - 11 S 1655/16 - die Berufung zugelassen. Der Kläger hat die Berufung am 16. November 2016 unter Stellung eines Antrags begründet und trägt im Wesentlichen vor: Er sei seit 2002 mit seiner Lebensgefährtin zusammen und habe mit dieser drei deutsche Kinder. Seine Lebensgefährtin arbeite als Küchenhilfe täglich von 9 Uhr bis 15.30. Die älteste Tochter besuche den gymnasialen Zweig einer Gesamtschule, die mittlere Tochter die Realschule und die jüngste den Kindergarten. Er könne über eine Zeitarbeitsfirma jederzeit wieder bei seiner früheren Firma anfangen. Er sei nach Deutschland geflüchtet und habe um Asyl nachgesucht, weil er als Kindersoldat in Angola für den damaligen Diktator unter Zwang eingesetzt worden sei. Er habe keine Familie in Angola, seine Eltern seien beide gestorben. Angola würde ihn als geflüchteten Kindersoldaten sofort unter Strafe stellen und verurteilen. Es bestehe für ihn die Gefahr für Leib und Leben in Angola. Die von ihm getätigten strafbaren Handlungen erschienen in der Abwägung zur Abschiebung nach Angola und den damit für ihn dort verbundenen Repressalien nicht so gravierend, dass es für eine Abschiebung in sein Herkunftsland entscheidend sein könne. Wenn seine drei Kinder ohne den Vater, welcher einer geregelten Arbeit nachgehe und weiterhin nachgehen werde, aufwachsen müssten, wäre dies für ihre weitere Entwicklung katastrophal. Die sehr gut entwickelte Beziehung zu den Kindern wäre abrupt unterbrochen und der Vater würde den Kindern für eine sehr lange Zeit fehlen. Gerade jetzt seien seine Töchter in einer Entwicklungsphase, während derer sie den Vater bräuchten. Die von ihm verübten Straftaten seien keine gewalttätigen Delikte gewesen, so dass eine Güterabwägung zum Erhalt der Familieneinheit in Deutschland ausgehen müsse.
24 
Der Kläger beantragt,
25 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 - 11 K 1286/16 - zu ändern und die Ziffern 1 bis 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 aufzuheben,
26 
hilfsweise den Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung von Ziffer 4 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden.
27 
Der Beklagte beantragt,
28 
die Berufung zurückzuweisen.
29 
Er verteidigt die angefochtene Verfügung, insbesondere sei die Ausweisung auch mit Blick auf die familiären Belange verhältnismäßig.
30 
Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung angehört. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Niederschrift Bezug genommen.
31 
Dem Senat liegen die Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart, die Ausländerakten der unteren Ausländerbehörde bezüglich des Klägers und seiner Lebenspartnerin, die Strafakten einschließlich der Vollstreckungsakten im Verfahren 104 Ls 91 Js 4507/13, die Gefangenenpersonalakte sowie die Akten des Verwaltungsgerichts vor. Wegen des weiteren Vortrags und Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
32 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 bleibt ohne Erfolg.
33 
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage gegen die mit Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 verfügte Ausweisung abgewiesen (I.). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist auch das Befristungsbegehren. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger mit der Berufungsbegründung weder einen eigenen Antrag zur Befristungsentscheidung formuliert noch spezielle Berufungsgründe vorgebracht hat, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat aus Gründen der Rechtseinheit folgt, ist das Befristungsbegehren als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (BVerwG im Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 17). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehende Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots von drei Jahren und sechs Monaten zu Lasten des Klägers fehlerhaft wäre (II.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig; dies gilt auch soweit dem Kläger die Abschiebung aus der Haft heraus ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (III.).
34 
Maßgeblich für die Beurteilung all dieser Streitgegenstände, nämlich die Ausweisung, das Befristungsbegehren und die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung, ist jeweils die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18, vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 -, juris Rn. 9 und vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 16).
I.)
35 
Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
36 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung gemäß Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 394). Nachfolgende Änderungen in den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes durch spätere Gesetze haben die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen nicht verändert.
37 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 19).
38 
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 26).
39 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1). Vom Kläger geht nach wie vor eine außerordentlich hohe Gefahr einer erneuten Straffälligkeit im Bereich betrügerischer Vermögenskriminalität aus (2). Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie nach § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber (3). Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führt zu dem Ergebnis, dass das Regierungspräsidium die Ausweisung des Klägers zu Recht verfügt hat (4.).
40 
1.) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Ausreichend ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. StGB (Graßhof, in: BeckOK AuslR, AufenthG, § 54 Rn. 11 ). Der Kläger erfüllt aufgrund der seit 29. April 2015 rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 25. November 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Urkundenfälschung in sieben Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit Betrug und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug diesen Tatbestand. Damit lag beim Kläger auch nach der im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 30. Januar 2016 und noch bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor; dort war bei Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisiert worden. Unschädlich ist hierbei, dass die Einzelstrafen der jeweiligen Vorsatztaten der Gesamtfreiheitsstrafe jeweils unterhalb von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurden. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 17.12 -, juris Rn. 12).
41 
2.) Die Gefahr, dass der Kläger erneut im Bereich der betrügerischen Vermögenskriminalität straffällig wird, ist außerordentlich hoch. Sie folgt aus dem entsprechenden strafrechtlichen Werdegang des Klägers, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt unbeeindruckt von irgendwelchen straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen zeigt.
42 
a) Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 18). Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind nicht allein das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat zu berücksichtigen, sondern alle Umstände des Einzelfalls einzustellen, wie etwa die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., § 53 Rn. 28 m.w.N.). Diese Prognoseentscheidung obliegt dem die Ausweisung überprüfenden Gericht. Es gibt im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa psychische Erkrankungen), die die Hinzuziehung eines Sachverständigen gebieten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 -, juris Rn. 12 und vom 01.03.2016 - 1 B 30.16 -, juris Rn. 7).
43 
b) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Stuttgart im Urteil vom 4. November 2014 eröffnete der Kläger am 4. August 2012 mit dem falschen Namen R.-P. und weiteren falschen Personalien unter Vorlage eines gefälschten angolanischen Reisepasses ein Sparkonto bei einer Postbankfiliale der Postbank AG. Er wollte dieses Konto nutzen, um durch gefälschte Überweisungsträger Zahlungseingänge herbeizuführen und anschließend die Gelder unerkannt abheben zu können. Am 14. Januar 2013 eröffnete er bei drei verschiedenen Geldinstituten verschiedene Bankkonten, um diese für rechtswidrige Transaktionen zu nutzen und unerkannt eingehende Gelder abheben zu können. Dabei gab der Kläger, der hier unter dem Namen K. P. auftrat, (neue) falsche Personalien an und nutzte einen gefälschten französischen Reisepass. Für das an diesem Tag bei der Kreissparkasse L. eingerichtete Konto bekam der Kläger keine Kreditlinie eingeräumt und zahlte lediglich 5 Euro ein, weshalb es in der Folgezeit zu zahlreichen Lastschriftrückgaben kam. Bei der Filiale einer anderen Bank legte der Kläger außer dem gefälschten Pass auch gefälschte Gehaltsnachweise vor und im Vertrauen auf die Echtheit dieser Unterlagen erhielt er eine Kreditkarte zugesandt und ein Kreditkartenlimit in Höhe von 600 Euro eingeräumt. Dieses nutzend hob er am 2. Februar 2013 an einem Geldautomaten am ... Platz in Stuttgart 500 Euro und am 4. Februar 2013 an einem anderen Geldautomaten 80 Euro ab. Wie von ihm von vornherein beabsichtigt, glich er den negativen Saldo auch in der Folgezeit nicht aus. Im Rahmen eines Postident-Verfahrens eröffnete der Kläger ein Privat-Girokonto bei der Postbank AG und erhielt eine Kreditkarte. Mit dieser tätigte er am 13. Februar 2013 eine Zahlung in Höhe von 512,50 Euro und schädigte die Postbank insoweit. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 31. Juli und dem 4. August 2012 entwendete der Kläger zudem aus dem Briefkasten einer Filiale einer Bank mehrere Überweisungsträger, die die Kundin J. K. dort zuvor eingeworfen hatte, fertigte hiervon Kopien und warf die Originale anschließend zurück in den Briefkasten. Sodann veranlasste er am 7. August 2013 mittels einer mit den Kontodaten und der Unterschrift von J. K. versehenen Kopie eines Überweisungsträgers eine Überweisung an sich selbst unter Angabe des falschen Empfängernamens R.-P. in Höhe von 2.759,65 Euro. Nachdem J. K. diese unberechtigte Überweisung bemerkt hatte, gelang es der Bank, ihr den Betrag zurück zu überweisen. Am 5. Februar 2013 reichte der Kläger bei der Kreissparkasse E. einen Überweisungsträger für das dort geführte Konto des H. D. ein, welchen er zuvor mit einer von ihm nachgeahmten Unterschrift der Bevollmächtigten des H. D., der Tochter M. T., versehen hatte. Empfänger der Überweisung in Höhe von 6.800 Euro sollte er selbst unter Nutzung seines Kontos mit dem Alias-Personalien K. P. sein. Die Überweisung unterblieb, da die Bank Verdacht schöpfte. Unter dem 13. Februar 2013 reichte der Kläger einen Überweisungsträger mit einer gefälschten Unterschrift des Kontoinhabers A. R. bei der Kreissparkasse L. über 6.885,96 ein mit dem Ziel, dass ihm dieser Betrag auf das unter dem Namen K. P. auch bei dieser Bank geführten Konto überwiesen wird. Zur Ausführung der Überweisung kam es jedoch nicht, weil den Bankmitarbeitern eine Abweichung der Unterschrift aufgefallen war.
44 
Im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart bestritt der Kläger diese Taten und trug vor, er habe weder mit den Eröffnungen der Konten noch mit den Überweisungen bzw. Abhebungen irgendetwas zu tun; er sei unschuldig (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 762 f.; Strafurteil Bl. 10). Das Amtsgericht war jedoch nach Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere der Auswertung der hinsichtlich des Abhebevorgangs am 2. Februar 2013 von der Überwachungskamera angefertigten Lichtbilder und der Analyse der Unterschriften durch eine Sachverständige, von der Täterschaft des Klägers überzeugt. Bei der Strafzumessung nahm das Amtsgericht bei sämtlichen Taten ein gewerbsmäßiges Handeln an, d.h. den Willen, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen (Tiedemann, in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 296). Es stellte zu Lasten des Klägers insbesondere darauf ab, dass er zumindest einen Teil der Taten als Bewährungsbrecher aus einer einschlägigen Verurteilung heraus begangen hatte, den Taten eine erhebliche kriminelle Energie zugrunde lag und zum Teil erhebliche Schäden eingetreten waren. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legten sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Landeskriminalamt - Kriminaltechnisches Institut - erstellte unter dem 20. April 2015 ein Behördengutachten. Danach handelt es sich bei der Person auf den Täteraufnahmen am 2. Februar 2013 bei der Bank am ... Platz und bei dem Kläger nach den festgestellten optischen Übereinstimmungen wahrscheinlich um ein und dieselbe Person. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart am 29. April 2015 nahmen sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft die Berufung zurück.
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c) Eine weitere Grundlage für die Prognose des Senats ist der Umstand, dass der Kläger bereits vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 24. November 2014 einschlägig vorbestraft war. Nachdem der Kläger in den Jahren 2000 und 2002 wegen Betrugsdelikten zu Geldstrafen verurteilt worden war, intensivierte er ab dem Jahre 2005 nach den Feststellungen des Landgerichts Stuttgart im Urteil vom 25. September 2007 seine „Karriere“ auf dem Gebiet der Vermögenskriminalität in Gestalt des Überweisungsbetrugs. Bei sämtlichen 53 Taten, die der Verurteilung vom 25. September 2007 zugrunde lagen und die sich in einem Zeitraum von etwa einem Jahr ereignet hatten, bejahte das Strafgericht ein gewerbsmäßiges Handeln des Klägers. Obwohl anlässlich einer Durchsuchung am 19. Januar 2007 beim Kläger Zettel mit Notizen sichergestellt worden waren, die Bezüge zu Begünstigten von Überweisungsbetrugstaten aufwiesen (Name, Kontodaten), die später unter dem 25. September 2007 abgeurteilt wurden, sowie Blanko-Überweisungsvordrucke einer Bank, bei der der Kläger kein Konto unterhielt, setzte er noch kurze Zeit danach, nämlich am 25. Januar und im Februar 2007, sein kriminelles Verhalten fort. So erstellte er jeweils mit Datum vom 10. Februar 2007 einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos des K. W. bei der Sparkasse P.-C. und zugunsten des Kontos B. H. bei der Postbank M. über einen Betrag von 7.987,09 Euro sowie einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos D. K. H. bei der Volksbank N. und zugunsten des Kontos des D. B. L. bei der Postbank M. in Höhe von 4.979,99 Euro. Ungeachtet dessen, dass ihm allein schon durch die Hausdurchsuchung bewusst gewesen sein musste, dass die Polizei ihn verdächtigte, bewirkte dies beim Kläger kein Unterlassen weiteren kriminellen Verhaltens. Auch die durch das Amtsgericht Stuttgart am 28. März 2007 angeordnete Untersuchungshaft und die daran anschließende Verbüßung der Strafhaft bis 18. November 2009 beeindruckten den Kläger offensichtlich in keiner Weise. Noch unter Bewährung nach § 57 StGB stehend und in Kenntnis der Inhalts des Duldungsvergleichs vom 21. Juli 2009 wurde der Kläger ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut auf dem Gebiet des Konto-bzw. Überweisungsbetrugs tätig.
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d) Es gibt keine Gründe, die den Senat daran hindern würden, für seine Prognose diese strafrechtlichen Verurteilungen zu verwerten. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahingehend geäußert, die Verurteilung 2014 sei zu Unrecht erfolgt. Seine Fingerabdrücke seien auf einer „Blanko-Überweisung“ gewesen, die er 2009 einem Bekannten gegeben habe. Die Polizei habe aus den Fingerabdrücken geschlossen, dass er es gewesen sei. Das sei aber falsch. Die Klamotten, die auf dem Lichtbild gewesen seien, habe er schon seit Jahren nicht mehr. Man habe Fotos von ihm aus dem Jahre 2005 verwendet. Jeder könne über einen Laptop alte Bilder einspielen. In der Verhandlung im Jahr 2014 sei erst ein Kripo-Beamter vernommen worden. Dieser habe gesagt, er gehöre einer Bande an, die von Stuttgart bis Köln aktiv sei. Er habe gesagt, er habe nichts damit zu tun. Es sei dann ausgehandelt worden, dass er die Berufung zurücknehme und er dafür ins „Freigängerheim“ komme.
47 
Aus den vom Senat beigezogenen Straf- bzw. Strafvollstreckungsakten ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Verständigung nach § 257c StPO vorgelegen hätte oder eine sonstige Abrede getroffenen worden wäre. Für den Senat belegen diese Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr, dass er auch die Zeit in der erneuten Haft bislang nicht genutzt hat, um sich zu seinen Straftaten tatsächlich zu bekennen und sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. So ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auffällig, dass er in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 4. November 2014 angegeben hatte, er sei im Jahre 2007 zu Unrecht verurteilt worden (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 763, 766), obwohl er damals vor dem Landgericht - wenn auch im Wege einer pauschalen Verteidigererklärung - die Taten eingeräumt hatte. Das Landgericht Stuttgart hatte keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass dieses Geständnis nicht der Wahrheit entsprechen würde, da es sich mit den Angaben der vernommenen Zeugen deckte (Strafurteil vom 25.09.2007, Bl. 11), und berücksichtigte dieses Geständnis im Rahmen der Strafzumessung erheblich strafmildernd (a.a.O., Bl. 12).
48 
Der Heranziehung der Straftaten, die Gegenstand einer älteren Verurteilung sind, steht auch nicht der Gedanke des Verbrauchs entgegen, weil diese Anlass eines früheren Ausweisungsverfahren gewesen sind, das mit einem gerichtlichen Vergleich vom 21. Juli 2009 beendet worden ist und infolge dessen der Kläger drei Jahre nach Haftentlassung wieder in den Besitz der Niederlassungserlaubnis gelangt ist.
49 
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich anerkannt, dass Ausweisungsgründe bzw. nunmehr Ausweisungsinteressen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (siehe insgesamt BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 39). Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers. (Geschäfts-)Grundlage des Vergleichs ist gewesen, dass der damals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Kläger sich drei Jahre lang nach Haftentlassung keine vorsätzliche Straftat zu Schulde kommen lässt. Hieran hat sich der Kläger aber offensichtlich nicht gehalten.
50 
e) Der Kläger ist im Rahmen seines strafrechtlichen Verhaltens stets ideenreich, organisiert und planvoll vorgegangen. Was ihn letztlich zu den Straftaten bewegt hat, hat er nicht offenbart. Es gibt keine erkennbaren tatsächlichen Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die den Schluss nahelegen würden, dass sich trotz immer wieder aufgetretenen Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen im Zusammenhang mit Kontoeröffnungen, Überweisungen oder sonstigen Verfügungen über Konten solches in Zukunft nicht mehr ereignen würde. Der Kläger verfügt nach wie vor nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung und in der Vergangenheit haben sich Zeiten von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit abgewechselt (vgl. hierzu auch die vom Kläger mit Schriftsatz vom 27.07.2016 vorgelegten Unterlagen). Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht sondern auch mit Blick auf die persönliche Situation des Klägers lassen sich keine belastbaren stabilisierenden Faktoren erkennen. Er ist bei Begehung der mit Strafbefehl vom 25. Februar 2002 abgeurteilten vier Fälle des Überweisungsbetrugs alleinstehend gewesen. Bei Beginn der Serie von Straftaten, die dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007 zugrunde liegen, hat bereits eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner heutigen Partnerin und zwei in den Jahren 2003 und 2005 geborenen Töchtern bestanden. Die Straftaten ab Sommer 2012 sind zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der familiären Lebensgemeinschaft eine weitere Tochter angehört hat. Dass seine drei Töchter und Lebenspartnerin der entscheidende Antrieb wären, „künftig nichts mehr anzustellen“ (vgl. seine Angaben in der mündlichen Verhandlung), lässt sich nicht objektivieren.
51 
Der Kläger zeichnet sich bislang vor allem durch eine fehlende Einsicht und Aufarbeitung seines strafrechtlichen Verhaltens aus. Er hat sich mit seinen Straftaten bis heute nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Die gilt insbesondere auch für seine letzte Verurteilung, deren Richtigkeit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestritten hat. Dies belegt zudem sein Agieren in der Justizvollzugsanstalt. So hat die Justizvollzugsanstalt Ulm am 9. Juli 2015 in einem Vermerk über das Erstgespräch unter anderem festgehalten, der Kläger habe sich eher zurückhaltend und wortkarg verhalten. Zu den Taten befragt, habe er kaum Angaben gemacht. Er streite seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Die an ihn gerichteten Fragen habe er kurz und knapp beantwortet, eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten habe bislang wohl eher noch nicht stattgefunden. Das weitere Vollzugsverhalten bleibe abzuwarten. Anhaltspunkte für eine psychische Problematik bzw. eine psychologische/psychotherapeutische Indikation wurden nicht festgestellt. In einem Führungsbericht vom 10. November 2015 führte die Justizvollzugsanstalt wiederum aus, zu seinen Taten befragt habe der Kläger im Anamnesegespräch kaum Angaben gemacht. Er streite im Wesentlichen seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Aus einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 16. Juni 2016, die zum erfolglosen Antrag des Klägers vom 28. Mai 2016 auf Aussetzung der Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung erstellt worden ist, heißt es unter anderem, der Kläger sei kein Erstverbüßer und Bewährungsbrecher; eine Einsicht in sein Fehlverhalten sei bei ihm nicht zu erkennen. Aus dem Vollzugsbericht der Justizvollzugsanstalt H. vom 1. Februar 2017 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Eine bewährungsweise Entlassung wurde seitens der Justizvollzugsanstalt H. auch für den Antrag des Klägers vom 7. November 2016 auf Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von Zweidritteln der Strafe nicht befürwortet.
52 
Soweit sich der Kläger selbst zu seinem strafrechtlichen Werdegang äußert, sind die Angaben pauschal und blenden die Tragweite der eigenen Verantwortung, Hintergründe und Folgen für die Opfer der Straftaten aus. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er wolle sich zunächst für alles, was passiert sei, entschuldigen. Er leide selbst schon. Er wolle sich nunmehr um seine Familie kümmern und seinen Kindern ein guter Vater sein. Er bereue seine Taten sehr und merke, wie seine Familie leide. Seine Straftaten seien Dummheiten gewesen. Er wisse auch nicht, wie es dazu gekommen sei. Er hätte nur Leuten helfen wollen. Er sei zwar als Einzeltäter verurteilt worden, tatsächlich hätten aber mehrere gehandelt. Er habe die Taten nicht so richtig begangen, sondern nur anderen Leuten geholfen und das Helfen sei etwas anderes. Mit den Leuten stehe er aktuell nicht in Kontakt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beklagte er vor allem die Situation seiner Töchter, die mit seiner Inhaftierung leben müssten, ohne sich jedoch zu seinem eigenen Fehlverhalten zu bekennen. Dass es dem Kläger an einem kritischen Umgang mit sich selbst mangelt, ist auch daran zu erkennen, dass er den Grund für seine Verlegung von der Justizvollzugsanstalt Ulm mit einer offenen Vollzugsform in den geschlossenen Vollzugs der Justizvollzugsanstalt H. allein bei anderen sieht.
53 
Auch die Haltung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Strafvollstreckungskammer anlässlich des Antrags des Klägers auf Aussetzung des Strafrestes nach zwei Drittel verdeutlichen das Fortbestehen der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist diesem Antrag unter Hinweis unter anderem auf die mehrfach einschlägigen Vorstrafen, den Bewährungsbruch und die hohe kriminelle Energie entgegen getreten. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 9. Februar 2017 hat der Kläger erklärt, dies sei seine letzte Straffälligkeit, er habe eine Familie mit drei Kindern, er habe draußen als Lagerfachkraft bei der Firma F. seine Arbeit gemacht. Dort möchte er nach der Haftentlassung wieder arbeiten. Eine konkrete Arbeitszusage habe er nicht. Die Strafvollstreckungskammer hat dem Protokoll zufolge erläutert, dass nach derzeitiger Einschätzung keine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht komme, insbesondere im Hinblick auf die einschlägigen und mehrfachen Vorstrafen und die letzte Haftverbüßung, die ihn nicht davon abgehalten habe, erneut straffällig zu werden. Am 14. Februar 2017 hat der Kläger seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrests zurückgenommen.
54 
Die Tatsache, dass der Strafvollzug des Klägers entsprechend den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt H. beanstandungsfrei verläuft, relativiert die Gefahrenprognose nicht. Der Kläger hatte auch in der Vergangenheit immer wieder längere Zeiten - auch in Freiheit - , in denen er nicht aufgefallen, jedoch dann erneut in unverändert kriminelle Verhaltensmuster zurückgefallen ist.
55 
3.) Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gegenüber. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind mit Blick auf die in der Vergangenheit geführte und nach Haftentlassung geplante Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft mit den drei deutschen minderjährigen Kindern, für die er auch das Personensorgerecht wahrnimmt, gegeben. Zudem hat der Kläger - im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung - eine Niederlassungserlaubnis besessen und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Die auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 21. Juli 2009 erfolgte Aufhebung der Ausweisung unter dem 6. Dezember 2012 und Erteilung der Niederlassungserlaubnis unter Hinweis auf § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG führen dazu, dass die Voraussetzungen auch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen. Da die Regelung allein auf den tatsächlichen Besitz der Niederlassungserlaubnis abstellt, kommt es hier nicht darauf an, dass der Kläger noch unter der Geltung der „Bewährungszeit“ des Duldungsvergleichs von drei Jahren ab der Haftentlassung - bis 18. November 2009 war er inhaftiert - ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut einschlägig straffällig geworden und damit die Grundlage und die Intention des Vergleichs letztlich unterlaufen hat. Die Bewertung eines solchen Sachverhalts erfolgt nach der Konzeption des Gesetzes ggfs. im Rahmen der Gesamtabwägung.
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4.) Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet deutlich.
57 
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für eine Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris Rn. 141 ff.; Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 29 ff.; OVG NRW, Urteil vom 10.05.2016 - 18 A 610/14 -, juris Rn. 76 f.). Bei der erforderlichen Gesamtabwägung sind zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zudem ergänzend die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK hierzu entwickelten Kriterien heranzuziehen (vgl. zu den sog. „Boultif-Üner-Kriterien“ insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich auch: Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95 ff. und Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m.w.N.)
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Hiervon ausgehend ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seit 1990 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat und über einen langjährigen und legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. Er hat zwar keinen im Bundesgebiet allgemein anerkannten Bildungs- bzw. Berufsabschluss, er ist hier jedoch immer wieder erwerbstätig gewesen und hat nach seinen Angaben nach seiner Haftentlassung Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Er hat Möglichkeiten genutzt, sich Fähigkeiten anzueignen, mit denen bessere berufliche Perspektiven verbunden sein können, wie die Qualifizierung zur Lagerfachkraft im Jahre 2000 oder der Erwerb von Kenntnissen im Bereich Microsoft Excel 2000. Der Kläger spricht - wovon sich der Senat anlässlich der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können - ein alltagstaugliches Deutsch.
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Von besonderer Bedeutung sind die familiären Bindungen. Der Kläger hat in Deutschland eine Familie gegründet. Wie insbesondere aus seinen Erklärungen in der Berufsverhandlung deutlich geworden ist, ist sein Verhältnis zu seinen drei deutschen Töchter, die den Kindergarten bzw. die weiterführende Schule besuchen, von einer wechselseitig innigen emotionalen Beziehung geprägt. Er nimmt - selbst unter den erschwerten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs - aktiv am Leben der Kinder teil und hat in der mündlichen Verhandlung insbesondere von den musikalischen Talenten der beiden größeren Töchtern näher berichtet. Seine Lebensgefährtin schöpft mit den Kindern die in der Vollzugsanstalt zulässigen Besuche aus. Der Kläger nutzt mit seinen Töchtern zudem mittlerweile das Vater-Kind-Projekt der Justizvollzugsanstalt, welches ihnen ermöglicht, mehr Zeit als bei einem Regelbesuch üblich miteinander zu verbringen. Nicht nur die drei am 16. Dezember 2003, 7. Oktober 2005 und 27. Dezember 2011 geborenen Töchter, die sich aufgrund ihres Alters in unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden, haben ein außerordentlich hohes Interesse daran, dass ihr Vater im Bundegebiet verbleibt; dies gilt mit Blick auf die familiäre Lebensgemeinschaft gleichermaßen für die Lebensgefährtin und den Kläger selbst. Ihm kommt das Recht und die Aufgabe zu, als Vater für seine Kinder - auch emotional - zu sorgen. Seine Ausweisung - zumal sie zu seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern führt - ist vor diesem Hintergrund ein erheblicher Eingriff in das auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
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Zu Lasten des Klägers ist die Schwere der begangenen Straftaten, deren Aburteilung zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der bereits oben festgestellten außerordentlich hohen Wiederholungsgefahr betrügerischer Vermögenskriminalität, fällt auch seine fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Rechtstreue ins Gewicht. Die Anzahl der Einträge im Zentralregister sprechen für sich.
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Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die öffentlichen Interessen an einer Ausreise im Hinblick auf die drei deutschen Kinder nicht deshalb zurückzutreten, weil dieser keine Gewaltdelikte begangen hat, die sich gegen elementare Rechtsgüter wie Leib und Leben richten, sondern sich seine Verfehlungen primär auf dem Gebiet des Vermögensstrafrechts ereignet haben. Die Gesamtabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt hier vielmehr auch unter Berücksichtigung des sehr hohen Gewichts der familiären Bindungen zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
62 
Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um gewerbsmäßig begangene Betrugsdelikte in erheblicher Anzahl, überwiegend in Gestalt des Überweisungsbetrugs, die teilweise von Urkundenfälschungen begleitet worden sind. Der Kläger ist - wenn auch immer wieder mit „Pausen“ - seit dem Jahre 2001 auf diesem Gebiet „aktiv“. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich aus für sein Leben atypischen Situationen, etwa einer einmalig erlebten finanziellen Bedrängnis, zu solchen Taten hat hinreißen lassen. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass er der geltenden (Strafrechts-)Ordnung ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet einfach keine Bedeutung beimisst, sondern allein so agiert, wie es ihm in den Sinn kommt und hierbei bereit ist, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle anderen Menschen erheblichen finanziellen Schaden zuzufügen. Zu den Konten, die der Kläger „anzapfte“ oder „anzapfen“ wollte, gehören solche von Privatpersonen, von Firmen oder von Vereinen, wobei die Beträge, die in den Überweisungsträgern ausgewiesen waren, durchaus nicht unerheblich waren. Exemplarisch verdeutlichen dies die Taten Nr. 6 und 7, die durch das Amtsgericht Stuttgart unter dem 25. November 2014 abgeurteilt wurden, mit Überweisungsbeträgen von 6.800 Euro bzw. 6.885,96 Euro, und die Taten Nr. 14 und Nr. 38 im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007, bei denen es um 9.787,97 Euro (zu Lasten eines Vereins) bzw. 45.767,07 Euro (zu Lasten einer Schreinerei) handelte. Die Handlungen des Klägers waren allein bei den Straftaten, die Gegenstand der landgerichtlichen Verurteilung waren, auf ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen in Höhe von nahezu 459.000 Euro gerichtet. Bei seinen Taten ging der Kläger unter Benutzung verschiedener falscher Identitäten und unterschiedlicher Konten sehr professionell vor. Eine besondere Brisanz erhält die kriminelle Laufbahn des Klägers auch dadurch, dass er nicht allein und teilweise zudem grenzüberschreitend agiert hat (vgl. hierzu die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2009 unter II.), aber auch insoweit bis heute „keinen reinen Tisch gemacht hat“. Dass bei etlichen Taten eine Schädigung der tatsächlichen Kontoinhaber bzw. der Geldinstitute letztlich vermieden und der Kläger durch die Polizei gefasst werden konnte, beruht allein darauf, dass andere Menschen aufgepasst bzw. interne und externe Kontrollsysteme funktioniert haben. Solche Zufälligkeiten entlasten den Kläger aber nicht. Bezeichnender Weise hat er im Übrigen immer wieder selbst festgestellt, dass Überweisungen durch die Bank nicht ausgeführt worden sind. Das hat ihn aber gerade nicht abgeschreckt. Mit den kriminellen Handlungen fuhr er unverändert fort.
63 
Die vom Kläger ausgehende außerordentlich hohe Wiederholungsgefahr (siehe oben I.2.) von betrügerischen Aktionen im Bereich des bargeldlosen Transfers von Geldern unter Einschaltung einer Bank, auf dessen Funktionieren und korrekte Abwicklung der Einzelne, aber auch letztlich ein Wirtschaftssystem angewiesen sind, rechtfertigt die durch die Ausweisung herbeigeführte Trennung von seinen Familienmitgliedern (zur Bedeutung der Gefahrenprognose im Rahmen der Gesamtabwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit siehe Funke-Kaiser, Fragen des novellierten Aufenthaltsrechts, in: Dokumentation, 18. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, Hamburg 2016, S. 221, 235).
64 
Die minderjährigen deutschen Töchter des Klägers sind faktisch nicht gezwungen den Kläger zu begleiten, sondern können weiter im Bundesgebiet leben. Da ihre Mutter über einen in der Vergangenheit stets verlängerten und aktuell bis 12. Januar 2019 gültigen Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verfügt, ist gewährleistet, dass ein erziehungsberechtigter drittstaatsangehöriger Elternteil im Bundesgebiet verbleibt, weshalb die Kinder nicht das Unionsgebiet als Ganzes verlassen müssen (vgl. zu diesen Aspekten EuGH, Urteil vom 13.09.2016 - C-304/14 - CS, Rn. 24 ff.; u.a. in Anknüpfung an das Urteil vom 08.03.2011 - C-34/09 - Ruiz Zambrano; siehe schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 34). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gravierende Gefahr neuer Straftaten des Klägers hingenommen werden müsste, weil sein Verbleib für die Kinder bzw. das Kindeswohl von überragender, ggf. existenzieller Bedeutung wäre. Das Leben der Töchter ist durch die Inhaftierung des Klägers davon geprägt, dass sie ihren Vater im Alltag schon seit längerer Zeit nicht um sich haben. Die beiden älteren Töchter haben diese Erfahrungen auch schon zuvor ab dem Jahre 2007 gemacht. Zwar ist die Aufrechterhaltung von familiären Beziehungen und Kontakten bei einem Aufenthalt des Klägers in Angola gegenüber der derzeitigen Situation deutlich erschwert, unmöglich ist dies jedoch auch mit Blick auf das Alter der Töchter nicht. Hinzu kommt, dass durch die Befristung der Wirkungen des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots (siehe nachfolgend II.) und der Möglichkeit für den Kläger, danach zu seinen deutschen Kindern zurückzukehren, die Trennung perspektivisch begrenzt ist. Da der Kläger bis zum Alter von etwa 17 Jahren in Angola gelebt und aktuell auch noch portugiesisch beherrscht, steht zu erwarten, dass er sich dort zurecht finden wird - zumal er im Jahre 2005 im Rahmen der Vorbereitungen auf die Fußball-WM zu Besuch in Angola gewesen ist und seine Partnerin, die im April 2002 in das Bundesgebiet eingereist ist, ebenfalls aus Angola stammt. Nach dem Vermerk der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 9. Juli 2015 zum Erstgespräch mit dem Kläger leben zudem zwei jüngere Schwestern von ihm in Angola.
II.)
65 
Dem Kläger steht die hilfsweise begehrte Verpflichtung des Beklagten, unter Aufhebung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden, nicht zu.
66 
1.) Der Kläger hat eine - logisch vorrangige - (hilfsweise) Verpflichtung des Beklagten über die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, nicht beantragt. Für einen solchen Antrag gibt es auch keine Veranlassung. Der Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung hierzu keine Entscheidung getroffen; dies ist nicht zu beanstanden.
67 
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung unter I. ergibt sich jedoch, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, deren Abwehr das Einreise- und Aufenthaltsverbot dient, fortbesteht und das öffentliche Interesse an der Ausreise schutzwürdige Belange des Ausländers überwiegt. Erweist sich eine Ausweisung als rechtmäßig, ist es nach den hierfür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen, dass zum gleichen Zeitpunkt, der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblich ist, Anlass für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu diesem Zeitpunkt bestehen könnte. Würde sich eine Ausweisung hingegen als rechtswidrig erweisen, beispielsweise wegen einer nach Erlass der Verfügung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage, wäre sie mit Wirkung ex tunc aufzuheben (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 21 ff.), so dass ebenfalls kein Raum für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass seit der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung bedarf, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 15), hatte für die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall kein Grund für eine solche Ermessensentscheidung bestanden. Im Übrigen liegt der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots - anders als der Befristung - keine Prognose zugrunde, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen.
68 
2.) Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots seit Inkrafttreten des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 19 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 65 f.). Der Senat hält an seiner bislang vertretenen Auffassung, wonach es sich hierbei trotz des Wortlauts um eine gebundene Entscheidung handelt (grundlegend Senatsurteil vom 09.12.2015 - 11 S 1857/15 -, juris), aus Gründen der Rechtseinheit nicht mehr fest.
69 
Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge ändert das Erfordernis einer Ermessensentscheidung nichts am behördlichen Prüfprogramm, wie es von diesem im Urteil vom 10. Juli 2012 (1 C 19.11 -, juris Rn. 42) entwickelt worden ist (vgl. auch schon BVerwG, Urteil vom 14.02. 2012 - 1 C 7.11 -, juris Rn. 28 f.). Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 23 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 66).
70 
Das Regierungspräsidium hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung unter Zugrundelegung der Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. im Einzelnen Bl. 17 ff. der Verfügung) das Einreise- und Aufenthaltsverbot anhand einer zweistufigen Prüfung auf fünf Jahre nach Ausreise oder Abschiebung befristet. Das Verwaltungsgericht hat - allerdings unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Dezember 2015 und damit unter Zugrundelegung der bisherigen Auffassung des Senats zum gebundenen Charakter der Befristungsentscheidung - in seinem Urteil die vom Beklagten festgesetzte Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Blick auf die familiären Belange insoweit aufgehoben, als die Frist in Ziffer 4 des Bescheids vom 30. Januar 2016 drei Jahre und sechs Monate übersteigt. Der Beklagte hat hiergegen kein (Anschluss-) Rechtsmittel eingelegt. Dass diese für den Beklagten verbindliche Länge der Sperrfrist von drei Jahre und sechs Monaten, die unterhalb der Fünf-Jahres-Frist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG liegt, zu Lasten des Klägers im Ergebnis fehlerhaft wäre, ist mit Blick auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit (siehe oben u.a. I. 2.) nicht ersichtlich; es ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte dafür, aufgrund der bereits oben unter I. dargestellten familiären Situation und weiterer individueller Belange könnte eine noch kürzere Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Raum stehen. Es sind insbesondere auch nach Erlass der Verfügung keine weiteren Änderungen tatsächlicher Art eingetreten, die zu Gunsten des Klägers wirken und Anlass für neue bzw. ergänzende Ermessenserwägungen bei dem Beklagten sein könnten.
71 
Dass der Beklagte das durch eine Abschiebung eintretende Einreise- und Aufenthaltsverbot hinsichtlich der Länge gleichlaufend mit den Folgen der Ausweisung im Sinne einer einheitlichen Regelung ausgestaltet hat, verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
72 
Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, einen Antrag auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu stellen, wenn sich die Gefährdungssituation günstiger als erwartet entwickeln sollte oder neue persönliche bzw. familiäre Umstände eine andere, günstigere Entscheidung angezeigt erscheinen ließen.
III.)
73 
Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
74 
Ziffer 3 der Verfügung vom 30. Januar 2016 ist unter Berücksichtigung der Begründung im angefochtenen Bescheid dahingehend auszulegen, dass für den Fall der Entlassung aus der Haft der Kläger aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bestandskraft der Ausweisung zu verlassen und ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb dieser Frist die Abschiebung nach Angola angedroht wird. Entsprechendes soll gelten, falls - was aber nicht geschehen ist - der Sofortvollzug angeordnet wird. Die Frist von einem Monat ist auszulegen als 31 Tage (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 44). Für den Fall, dass sich der Kläger bei Bestandskraft der Ausweisung (oder deren sofortiger Vollziehbarkeit) noch in Haft befindet, wird ihm mit Ziffer 2 der Verfügung die Abschiebung ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht, wobei die unterbliebene Fristsetzung nach der Begründung des Bescheids allein auf § 59 Abs. 5 AufenthG beruht.
75 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine Abschiebung nach Angola nicht deshalb unzulässig, weil er im Jahre 1990 unter Berufung auf den drohenden Einsatz als Kindersoldat aus Angola geflohen ist (1.). Soweit dem Kläger, der sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit voraussichtlichem Strafende 31. Dezember 2017 in Strafhaft befindet, die Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), ist dies nicht zu beanstanden; dies steht insbesondere mit der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) - RFRL - in Einklang (2.)
76 
1.) Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Angola unzulässiger Zielstaat einer Abschiebung des Klägers mit der Folge der Einschränkung der Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist. Soweit er ausführt, er sei im Alter von 17 Jahren vor der zwangsweisen Einsetzung als Kindersoldat für den damaligen Diktator geflohen und bei einer Rückkehr nach Angola bestehe für ihn eine Gefahr für Leib und Leben, ist damit ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nicht schlüssig vorgetragen, denn der Kläger hielt sich nach eigenen Angaben etwa 15 Jahre nach seiner Flucht im Jahre 2005 ohne Probleme in Angola auf. Im Übrigen steht bereits der negative Ausgang des Asylverfahrens einer Berufung auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote entgegen (§ 42 AsylG).
77 
2.) Die Androhung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise entspricht den Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts (a). Dass dem Kläger nicht die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise eingeräumt worden ist, steht mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang (b). Dies beruht allerdings nicht auf einer „Opt-Out“-Entscheidung des Gesetzgebers auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL (aa), sondern basiert auf der vom Kläger ausgehenden Gefahr, die auch ein Unterbleiben der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 Abs. 4 RFRL trägt (bb).
78 
a) Nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, d.h. unter anderem dann, wenn der Ausländer sich - wie hier - auf richterliche Anordnung in Haft befindet, keiner Setzung einer Ausreisefrist. Nach nationalem Recht dient eine Ausreisefrist dazu, eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise vermeiden zu können. Sie bezweckt ferner dem Ausländer zu ermöglichen, seine Lebensverhältnisse in Deutschland abwickeln und ggfs. ein Rechtsschutzverfahren betreiben zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1997 - 1 C 14.96 -, juris Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 AufenthG Rn. 105, 147 ). Ausgehend hiervon wird § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als ein - gegenüber § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - spezieller Fall angesehen, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (so BayVGH, Beschluss vom 12.12.2016 - 10 C 16.2176 -, juris Rn. 8). Mit der Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll, wird der Ausländer in Haftfällen in die Lage versetzt, sich auf das Verlassen des Landes vorzubereiten und ggfs. entsprechende Maßnahmen zu treffen (Hocks, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl., 2016, § 59 AufenthG Rn. 17). Eine solche Konkretisierung des Zeitpunkts der Abschiebung ist im vorliegenden Fall noch nicht erfolgt. Zwar beabsichtigt der Beklagte ausweislich des Hinweises in der Verfügung vom 30. Januar 2016, den Kläger zum Zeitpunkt der Haftentlassung auf der Grundlage der Entscheidung nach § 456a StPO abzuschieben. Eine derartige Entscheidung liegt ausweislich der beigezogenen Akten aber bislang nicht vor.
79 
Nach § 456a StPO kann die Strafvollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung oder Sicherung unter anderem dann absehen, wenn der Verurteilte aus dem Geltungsbereich des Gesetzes abgeschoben wird. Die Regelung setzt aber voraus, dass diese Maßnahme, d.h. die Abschiebung, bereits bestandskräftig angedroht worden (Schmitt, in: Meyer/Großner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., 2016, § 456a Rn. 3; Appl, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., 2008, § 456a Rn. 3) oder diese zumindest vollziehbar ist und demnächst durchgeführt wird (Klein, in: Graf, StPO, 2010, § 456a Rn. 3). Wann die Staatsanwaltschaft ggfs. von einer weiteren Vollstreckung absieht, ist im vorliegenden Fall ungewiss.
80 
b) Dass dem Kläger auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht eingeräumt wird, steht im vorliegenden Fall mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang.
81 
Das Ziel der Richtlinie 2008/115 ist - wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 11 ergibt - die Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rücknahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen und rechtlichen Garantien beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden (EuGH, Urteil vom 05.06.2014 - C-146/14 PPU - Mahdi - Rn. 38). Die Richtlinie ist von ihrem Zweck her sowohl ein Rückkehrinstrument als auch ein Menschen- bzw. Grundrechteinstrument, die den Mitgliedstaaten aber nicht unbedeutende Gestaltungsspielräume belässt (näher Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 136 ff.).
82 
aa) § 59 Abs. 5 AufenthG mit der normativen Folge des Unterbleibens einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist nicht bereits deshalb mit Unionsrecht in Einklang zu bringen, weil die Bundesrepublik insoweit vom „Opt-Out“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hätte.
83 
Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Zwar könnte der Wortlaut „infolge“ durchaus daraufhin deuten, dass auch Rückkehrentscheidungen, die im Verwaltungswege erlassen werden, letztlich aber an eine strafrechtliche Verurteilung anknüpfen, unter diese Regelung fallen können (dies jedenfalls für die frühere Ist-Ausweisung nach § 53 AufenthG a.F. annehmend Franßen-de la Cerda, Die Vergemeinschaftung der Rückführungspolitik - das Inkrafttreten der EU-Rückführungsrichtlinie, ZAR 2008, 377, 381; weitergehend Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 164 ff.). Für die Auffassung, dass die 2. Alternative des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL, die auf eine Rückkehrverpflichtung abstellt, die „infolge einer strafrechtlichen Sanktion“ ausgelöst wurde, nur Fälle betrifft, in denen die Rückkehrpflicht unmittelbar aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion als Nebenfolge ausgelöst wird (vgl. näher Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 302 ), sprechen nach der Bedeutung der Regelung und ihrer Entstehungsgeschichte die besseren Gründe.
84 
Die Kommission hat während der Beratungen im Rat stets deutlich gemacht, dass die verschiedenen Stufen „Beendigung des legalen Aufenthalts“ und (deswegen danach) illegaler Aufenthalt zu unterscheiden sind und die Rückführungsrichtlinie nur den letzteren Fall erfasst. Verschiedene Mitgliedstaaten, deren Strafrecht bei Delikten von Ausländern auch den Verlust des Aufenthaltsrechts als Strafe oder Nebenstrafe vorsieht, befürchteten, dass durch die Rückführungsrichtlinie in die ihrer alleinigen Kompetenz obliegenden Angelegenheit des nationalen Strafrechts eingegriffen würde. Obwohl sowohl das Europäische Parlament als auch andere Mitgliedstaaten die Auffassung der Kommission, dass die Beendigung des legalen Aufenthalts - auch mit Mitteln des Strafrechts - schon gar nicht vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst ist, stützten und eine solche Klausel für nicht notwendig erachteten, verlangten diese Länder ausdrücklich eine Optionsregelung. Letztlich ist dem aus Gründen des politischen Pragmatismus entsprochen worden, weil andernfalls die Gefahr des Scheiterns der Richtlinie gedroht hätte (siehe hierzu Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016, § 11 Rn. 20 unter Hinweis auf Lutz, The Negotiations on the Return Directive, 2010, unter 2.2.2, S. 32; siehe auch Franßen-de la Cerda, a.a.O., ZAR 2008, 377, 381; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2nd Edition. 2016, Part C VII Art. 2 Rn. 15 f.).
85 
Auch der Umstand, dass erhebliche Bewertungsunsicherheiten (vgl. dazu Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 59 Rn. 302 ) auftreten würden, wenn man für die 2. Alt des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL eine Verwaltungsentscheidung genügen lassen würde, die allein oder jedenfalls maßgeblich auf eine vorangegangene strafrechtliche Sanktion gestützt wäre (wie etwa die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des Bestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen einer Straftat), spricht für die restriktive Interpretation.
86 
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. September 2013 (C-297/12 - Filev und Osmani - Rn. 50 f.). Das Urteil beruht - entsprechend den Ausführungen in der Vorlage des Amtsgerichts Laufen vom Juni 2012 zu einer Ausweisungsentscheidung aus dem Jahre 1999 - auf der nicht problematisierten Annahme, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I 2258) von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2008/115 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht habe (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013, a.a.O., Rn. 22, 50 ff.). Mangels entscheidungserheblicher Fragestellung sind aber die Problematik der Wirksamkeit und der Reichweite eines „Opt-Out“ keiner näheren Betrachtung durch den Gerichtshof der Europäischen Union unterzogen worden.
87 
Anlässlich des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 finden sich lediglich Ausführungen in der Gesetzesbegründung dazu, dass bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit von der „Opt-Out“ Möglichkeit Gebrauch gemacht werden solle (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 -, juris Rn. 71). In der Bundestagsdrucksache 17/5470, S. 21 heißt es zu § 11 AufenthG:
88 
„Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b - gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt - und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrunde liegen schwerwiegender Straftaten.“
89 
Selbst wenn man der hier nicht geteilten Auffassung wäre, dass Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Verwaltungsentscheidungen erfassen könnte, ist nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik auch mit Blick auf die Vorschrift des § 59 Abs. 5 AufenthG insoweit (wirksam) von dem „Opt-Out“ Gebrauch gemacht hätte. Diese Regelung gilt in der vorliegenden Fassung seit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I, 1970, 1982) unverändert. Es gibt keine Anhaltspunkte (in einer Gesetzesbegründung), die es erlaubten, ein „Opt-Out“ auch insoweit anzunehmen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 172 ), wenn eine gesetzliche Bestimmung, die vor Inkrafttreten einer Richtlinie bereits gegolten hat, schlicht später beibehalten wird. Ob es aus Gründen der Rechtsklarheit, insbesondere weil die Geltung des Unionsrechts keinen Zweifeln unterliegen darf, sogar geboten sein könnte, dass sich Art und Umfang des „Opt-Out“ aus dem Gesetz selbst ergeben müssen, kann daher hier offen bleiben (vgl. hierzu Lutz, in: Hailbronner/Thym, a.a.O., Art. 2 Rn. 5 f.; siehe zur Frage der Pflicht zur Veröffentlichung des Beschlusses nach Art. 2 Abs. 2 RFRL auch Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 179 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.03.2017 - 1 C 17.16 -, juris Rn. 17 zur Frage der Erheblichkeit des Willens, Unionsrecht umzusetzen und anzuwenden).
90 
bb) Aufgrund der vom Kläger im vorliegenden Fall ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrt das in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorgesehene Absehen von einer Frist für die freiwillige Ausreise aber die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 RFRL.
91 
Die Richtlinie 2018/115 schreibt vor, welches Verfahren von jedem Mitgliedstaat bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden ist, und legt die Reihenfolge der verschiedenen Schritte fest, die dieses Verfahren nacheinander umfasst. So sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zunächst vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - El Dridi - Rn. 34 f.). Teil dieser Rückkehrentscheidung ist auch die Entscheidung über eine Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 RFRL. Freiwillige Ausreise bedeutet die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist (Art. 3 Nr. 8 RFRL). Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 RFRL davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen. Auch mit Blick auf die Frage einer Ausreisefrist muss, wie sich aus den Erwägungsgründen 2, 6, 11 und 24 der Richtlinie 2008/115 sowie ihrem Art. 5 ergibt, gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, darunter der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die nach dieser Richtlinie getroffene Entscheidung im Einzelfall verhältnismäßig sein und die Grundrechte der betreffenden Person gebührend berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 69).
92 
Nach Art. 7 Abs. 4 RFRL darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 60). Wie der Senat mit Beschluss vom 30. August 2016 (11 S 1660/16 - InfAuslR 2016, 421) ausgeführt hat, bedarf es hierzu nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einer individuellen Prüfung des Einzelfalls und kann nicht allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)haft befindet (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 70 ff.; vgl. zur Notwendigkeit der Einzelfallprüfung auch Urteil vom 21.03.2013 - C-522/11 - Mbaye - Rn. 31 f.; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 7 Rn. 14). Damit stellt der Gerichtshof vor allem sicher, dass die Verhängung (und Vollstreckung) etwa einer Haftstrafe allein wegen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt nicht dazu führt, dass die zu Gunsten des Ausländers gewährten Garantien der Rückführungsrichtlinie keine Geltung mehr beanspruchen würden (Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 1 Rn. 25).
93 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat allerdings Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 auch dahin ausgelegt, dass der Rückgriff auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, gar keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, keine erneute Prüfung der Kriterien erfordert, die bereits geprüft wurden, um das Bestehen dieser Gefahr festzustellen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 73).
94 
Im vorliegenden Fall ist der Kläger aufgrund betrügerischer Vermögenskriminalität und Urkundenfälschung inhaftiert. Von ihm geht eine außerordentlich hohe Gefahr aus, dass er insoweit erneut straffällig wird. Die Ausländerbehörde hat unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zurecht die Ausweisung des Klägers verfügt. Die für die Ausweisung maßgeblichen Gründe tragen zugleich die Annahme einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies erschließt sich aus den Ausführungen oben unter I.
95 
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL, Art. 3 Nr. 4 RFRL allein die Abschiebungsandrohung (vgl. etwa Urteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492 und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412; Beschlüsse vom 30.08.2016 - 11 S 1660/16 -, InfAuslR 2016, 421 und vom 19.12.2012 - 1 S 2303/12 -, InfAuslR 2013, 98; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 307 ) und nicht die Ausweisung (siehe etwa Urteile vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris, vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 292 ; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016 § 11 Rn. 15 ff.). Entscheidend ist jedoch, dass die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verfügung - hier die Ausweisung - und die Rückkehrentscheidung - hier die Abschiebungsandrohung - nach Art. 6 Abs. 6 RFRL im Rahmen einer Entscheidung ergehen dürfen. Unionsrechtlich muss lediglich sichergestellt werden, dass die Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie sie in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorausgesetzt wird, bereits an anderer Stelle unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft worden ist. Dies ist hier im Rahmen der Ausweisung geschehen. Die normative Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, von einer Fristsetzung abzusehen, ist hier unmittelbare Folge der Ausweisung.
96 
Es gibt im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass (Grund-)rechte des betroffenen Ausländers eine andere Entscheidung im Rahmen des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderlich machen könnten. Sofern dies (in anderen Fallkonstellationen) ggfs. zu erwägen wäre, kann dies durch die Anwendung des nationalen Rechts gewährleistet werden. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes („bedarf“) ist ersichtlich, dass die Setzung einer Ausreisefrist nicht durch die Norm untersagt ist, sondern vielmehr Raum für (unionsrechtlich) notwendige abweichende Entscheidung lässt (vgl. auch GK-AufenthG, § 59 Rn. 170 ff. ).
IV.)
97 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
98 
Soweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 zurückgewiesen worden ist, war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, denn es ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen die Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang steht.
99 
Im Übrigen liegen Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, nicht vor.
100 
Soweit die Revision zugelassen worden ist, gilt folgende
101 
Beschluss vom 29. März 2017
102 
Der Streitwert wird gemäß § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf 10.000 Euro festgesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 25.05.2016 - 11 S 2480/15 -, juris).
103 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
32 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht und ordnungsgemäß begründete (§ 124a Abs. 6 und Abs. 3 Satz 4 VwGO) Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. Juli 2016 bleibt ohne Erfolg.
33 
Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage gegen die mit Ziffer 1 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 verfügte Ausweisung abgewiesen (I.). Gegenstand des Berufungsverfahrens ist auch das Befristungsbegehren. Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Kläger mit der Berufungsbegründung weder einen eigenen Antrag zur Befristungsentscheidung formuliert noch spezielle Berufungsgründe vorgebracht hat, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat aus Gründen der Rechtseinheit folgt, ist das Befristungsbegehren als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (BVerwG im Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 17). Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die auf der Grundlage der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung bestehende Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots von drei Jahren und sechs Monaten zu Lasten des Klägers fehlerhaft wäre (II.). Die Abschiebungsandrohung erweist sich ebenfalls als rechtmäßig; dies gilt auch soweit dem Kläger die Abschiebung aus der Haft heraus ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (III.).
34 
Maßgeblich für die Beurteilung all dieser Streitgegenstände, nämlich die Ausweisung, das Befristungsbegehren und die noch nicht vollzogene Abschiebungsandrohung, ist jeweils die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18, vom 14.05.2013 - 1 C 13.12 -, juris Rn. 9 und vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 16).
I.)
35 
Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.
36 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 53 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung gemäß Art. 1 des Gesetzes zur erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016 (BGBl. I, S. 394). Nachfolgende Änderungen in den Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes durch spätere Gesetze haben die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Regelungen nicht verändert.
37 
Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde aufgrund des am 1. Januar 2016 in Kraft getretenen gesetzlichen Systemwechsels im Ausweisungsrecht, hin zu einer gebundenen Entscheidung, nicht mehr eingeräumt (siehe etwa BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 23; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 -, juris Rn. 49 und Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 19).
38 
Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 26).
39 
Hier erfüllt das Verhalten des Klägers das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (1). Vom Kläger geht nach wie vor eine außerordentlich hohe Gefahr einer erneuten Straffälligkeit im Bereich betrügerischer Vermögenskriminalität aus (2). Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie nach § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber (3). Die Abwägung zwischen dem öffentlichen Ausweisungsinteresse und dem Bleibeinteresse des Klägers und seiner Familie unter Berücksichtigung sämtlicher den Einzelfall prägender Umstände und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit führt zu dem Ergebnis, dass das Regierungspräsidium die Ausweisung des Klägers zu Recht verfügt hat (4.).
40 
1.) Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG wiegt das Ausweisungsinteresse u.a. dann besonders schwer, wenn der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist. Ausreichend ist die Bildung einer Gesamtstrafe nach §§ 53 ff. StGB (Graßhof, in: BeckOK AuslR, AufenthG, § 54 Rn. 11 ). Der Kläger erfüllt aufgrund der seit 29. April 2015 rechtskräftigen Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 25. November 2014 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen Urkundenfälschung in sieben Fällen, hiervon in drei Fällen in Tateinheit mit Betrug und in zwei Fällen in Tateinheit mit versuchtem Betrug diesen Tatbestand. Damit lag beim Kläger auch nach der im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung vom 30. Januar 2016 und noch bis zum 16. März 2016 geltenden Fassung des § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor; dort war bei Verurteilung wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse typisiert worden. Unschädlich ist hierbei, dass die Einzelstrafen der jeweiligen Vorsatztaten der Gesamtfreiheitsstrafe jeweils unterhalb von zwei Jahren Freiheitsstrafe festgesetzt wurden. § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG unterscheidet sich insoweit von § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 17.12 -, juris Rn. 12).
41 
2.) Die Gefahr, dass der Kläger erneut im Bereich der betrügerischen Vermögenskriminalität straffällig wird, ist außerordentlich hoch. Sie folgt aus dem entsprechenden strafrechtlichen Werdegang des Klägers, der sich seit mehr als einem Jahrzehnt unbeeindruckt von irgendwelchen straf- und ordnungsrechtlichen Sanktionen zeigt.
42 
a) Für die Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherung und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zu einander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 18). Bei der insoweit zu treffenden Prognose sind nicht allein das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat zu berücksichtigen, sondern alle Umstände des Einzelfalls einzustellen, wie etwa die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 12; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., § 53 Rn. 28 m.w.N.). Diese Prognoseentscheidung obliegt dem die Ausweisung überprüfenden Gericht. Es gibt im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für das Vorliegen besonderer Umstände (wie etwa psychische Erkrankungen), die die Hinzuziehung eines Sachverständigen gebieten würden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11.09.2015 - 1 B 39.15 -, juris Rn. 12 und vom 01.03.2016 - 1 B 30.16 -, juris Rn. 7).
43 
b) Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Stuttgart im Urteil vom 4. November 2014 eröffnete der Kläger am 4. August 2012 mit dem falschen Namen R.-P. und weiteren falschen Personalien unter Vorlage eines gefälschten angolanischen Reisepasses ein Sparkonto bei einer Postbankfiliale der Postbank AG. Er wollte dieses Konto nutzen, um durch gefälschte Überweisungsträger Zahlungseingänge herbeizuführen und anschließend die Gelder unerkannt abheben zu können. Am 14. Januar 2013 eröffnete er bei drei verschiedenen Geldinstituten verschiedene Bankkonten, um diese für rechtswidrige Transaktionen zu nutzen und unerkannt eingehende Gelder abheben zu können. Dabei gab der Kläger, der hier unter dem Namen K. P. auftrat, (neue) falsche Personalien an und nutzte einen gefälschten französischen Reisepass. Für das an diesem Tag bei der Kreissparkasse L. eingerichtete Konto bekam der Kläger keine Kreditlinie eingeräumt und zahlte lediglich 5 Euro ein, weshalb es in der Folgezeit zu zahlreichen Lastschriftrückgaben kam. Bei der Filiale einer anderen Bank legte der Kläger außer dem gefälschten Pass auch gefälschte Gehaltsnachweise vor und im Vertrauen auf die Echtheit dieser Unterlagen erhielt er eine Kreditkarte zugesandt und ein Kreditkartenlimit in Höhe von 600 Euro eingeräumt. Dieses nutzend hob er am 2. Februar 2013 an einem Geldautomaten am ... Platz in Stuttgart 500 Euro und am 4. Februar 2013 an einem anderen Geldautomaten 80 Euro ab. Wie von ihm von vornherein beabsichtigt, glich er den negativen Saldo auch in der Folgezeit nicht aus. Im Rahmen eines Postident-Verfahrens eröffnete der Kläger ein Privat-Girokonto bei der Postbank AG und erhielt eine Kreditkarte. Mit dieser tätigte er am 13. Februar 2013 eine Zahlung in Höhe von 512,50 Euro und schädigte die Postbank insoweit. Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 31. Juli und dem 4. August 2012 entwendete der Kläger zudem aus dem Briefkasten einer Filiale einer Bank mehrere Überweisungsträger, die die Kundin J. K. dort zuvor eingeworfen hatte, fertigte hiervon Kopien und warf die Originale anschließend zurück in den Briefkasten. Sodann veranlasste er am 7. August 2013 mittels einer mit den Kontodaten und der Unterschrift von J. K. versehenen Kopie eines Überweisungsträgers eine Überweisung an sich selbst unter Angabe des falschen Empfängernamens R.-P. in Höhe von 2.759,65 Euro. Nachdem J. K. diese unberechtigte Überweisung bemerkt hatte, gelang es der Bank, ihr den Betrag zurück zu überweisen. Am 5. Februar 2013 reichte der Kläger bei der Kreissparkasse E. einen Überweisungsträger für das dort geführte Konto des H. D. ein, welchen er zuvor mit einer von ihm nachgeahmten Unterschrift der Bevollmächtigten des H. D., der Tochter M. T., versehen hatte. Empfänger der Überweisung in Höhe von 6.800 Euro sollte er selbst unter Nutzung seines Kontos mit dem Alias-Personalien K. P. sein. Die Überweisung unterblieb, da die Bank Verdacht schöpfte. Unter dem 13. Februar 2013 reichte der Kläger einen Überweisungsträger mit einer gefälschten Unterschrift des Kontoinhabers A. R. bei der Kreissparkasse L. über 6.885,96 ein mit dem Ziel, dass ihm dieser Betrag auf das unter dem Namen K. P. auch bei dieser Bank geführten Konto überwiesen wird. Zur Ausführung der Überweisung kam es jedoch nicht, weil den Bankmitarbeitern eine Abweichung der Unterschrift aufgefallen war.
44 
Im Strafverfahren vor dem Amtsgericht Stuttgart bestritt der Kläger diese Taten und trug vor, er habe weder mit den Eröffnungen der Konten noch mit den Überweisungen bzw. Abhebungen irgendetwas zu tun; er sei unschuldig (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 762 f.; Strafurteil Bl. 10). Das Amtsgericht war jedoch nach Durchführung der Beweisaufnahme, insbesondere der Auswertung der hinsichtlich des Abhebevorgangs am 2. Februar 2013 von der Überwachungskamera angefertigten Lichtbilder und der Analyse der Unterschriften durch eine Sachverständige, von der Täterschaft des Klägers überzeugt. Bei der Strafzumessung nahm das Amtsgericht bei sämtlichen Taten ein gewerbsmäßiges Handeln an, d.h. den Willen, sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen (Tiedemann, in: Laufhütte u.a., StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 296). Es stellte zu Lasten des Klägers insbesondere darauf ab, dass er zumindest einen Teil der Taten als Bewährungsbrecher aus einer einschlägigen Verurteilung heraus begangen hatte, den Taten eine erhebliche kriminelle Energie zugrunde lag und zum Teil erhebliche Schäden eingetreten waren. Gegen das Urteil des Amtsgerichts legten sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft Berufung ein. Das Landeskriminalamt - Kriminaltechnisches Institut - erstellte unter dem 20. April 2015 ein Behördengutachten. Danach handelt es sich bei der Person auf den Täteraufnahmen am 2. Februar 2013 bei der Bank am ... Platz und bei dem Kläger nach den festgestellten optischen Übereinstimmungen wahrscheinlich um ein und dieselbe Person. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart am 29. April 2015 nahmen sowohl der Kläger als auch die Staatsanwaltschaft die Berufung zurück.
45 
c) Eine weitere Grundlage für die Prognose des Senats ist der Umstand, dass der Kläger bereits vor der Verurteilung durch das Amtsgericht Stuttgart vom 24. November 2014 einschlägig vorbestraft war. Nachdem der Kläger in den Jahren 2000 und 2002 wegen Betrugsdelikten zu Geldstrafen verurteilt worden war, intensivierte er ab dem Jahre 2005 nach den Feststellungen des Landgerichts Stuttgart im Urteil vom 25. September 2007 seine „Karriere“ auf dem Gebiet der Vermögenskriminalität in Gestalt des Überweisungsbetrugs. Bei sämtlichen 53 Taten, die der Verurteilung vom 25. September 2007 zugrunde lagen und die sich in einem Zeitraum von etwa einem Jahr ereignet hatten, bejahte das Strafgericht ein gewerbsmäßiges Handeln des Klägers. Obwohl anlässlich einer Durchsuchung am 19. Januar 2007 beim Kläger Zettel mit Notizen sichergestellt worden waren, die Bezüge zu Begünstigten von Überweisungsbetrugstaten aufwiesen (Name, Kontodaten), die später unter dem 25. September 2007 abgeurteilt wurden, sowie Blanko-Überweisungsvordrucke einer Bank, bei der der Kläger kein Konto unterhielt, setzte er noch kurze Zeit danach, nämlich am 25. Januar und im Februar 2007, sein kriminelles Verhalten fort. So erstellte er jeweils mit Datum vom 10. Februar 2007 einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos des K. W. bei der Sparkasse P.-C. und zugunsten des Kontos B. H. bei der Postbank M. über einen Betrag von 7.987,09 Euro sowie einen Überweisungsträger zu Lasten des Kontos D. K. H. bei der Volksbank N. und zugunsten des Kontos des D. B. L. bei der Postbank M. in Höhe von 4.979,99 Euro. Ungeachtet dessen, dass ihm allein schon durch die Hausdurchsuchung bewusst gewesen sein musste, dass die Polizei ihn verdächtigte, bewirkte dies beim Kläger kein Unterlassen weiteren kriminellen Verhaltens. Auch die durch das Amtsgericht Stuttgart am 28. März 2007 angeordnete Untersuchungshaft und die daran anschließende Verbüßung der Strafhaft bis 18. November 2009 beeindruckten den Kläger offensichtlich in keiner Weise. Noch unter Bewährung nach § 57 StGB stehend und in Kenntnis der Inhalts des Duldungsvergleichs vom 21. Juli 2009 wurde der Kläger ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut auf dem Gebiet des Konto-bzw. Überweisungsbetrugs tätig.
46 
d) Es gibt keine Gründe, die den Senat daran hindern würden, für seine Prognose diese strafrechtlichen Verurteilungen zu verwerten. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahingehend geäußert, die Verurteilung 2014 sei zu Unrecht erfolgt. Seine Fingerabdrücke seien auf einer „Blanko-Überweisung“ gewesen, die er 2009 einem Bekannten gegeben habe. Die Polizei habe aus den Fingerabdrücken geschlossen, dass er es gewesen sei. Das sei aber falsch. Die Klamotten, die auf dem Lichtbild gewesen seien, habe er schon seit Jahren nicht mehr. Man habe Fotos von ihm aus dem Jahre 2005 verwendet. Jeder könne über einen Laptop alte Bilder einspielen. In der Verhandlung im Jahr 2014 sei erst ein Kripo-Beamter vernommen worden. Dieser habe gesagt, er gehöre einer Bande an, die von Stuttgart bis Köln aktiv sei. Er habe gesagt, er habe nichts damit zu tun. Es sei dann ausgehandelt worden, dass er die Berufung zurücknehme und er dafür ins „Freigängerheim“ komme.
47 
Aus den vom Senat beigezogenen Straf- bzw. Strafvollstreckungsakten ergeben sich jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass tatsächlich zu irgendeinem Zeitpunkt eine Verständigung nach § 257c StPO vorgelegen hätte oder eine sonstige Abrede getroffenen worden wäre. Für den Senat belegen diese Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vielmehr, dass er auch die Zeit in der erneuten Haft bislang nicht genutzt hat, um sich zu seinen Straftaten tatsächlich zu bekennen und sich mit diesen kritisch auseinanderzusetzen. So ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auffällig, dass er in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Stuttgart am 4. November 2014 angegeben hatte, er sei im Jahre 2007 zu Unrecht verurteilt worden (Protokoll des Amtsgerichts vom 04.11.2015, Strafakte 104 Ls 91 Ls 4507/13, Bl. 763, 766), obwohl er damals vor dem Landgericht - wenn auch im Wege einer pauschalen Verteidigererklärung - die Taten eingeräumt hatte. Das Landgericht Stuttgart hatte keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass dieses Geständnis nicht der Wahrheit entsprechen würde, da es sich mit den Angaben der vernommenen Zeugen deckte (Strafurteil vom 25.09.2007, Bl. 11), und berücksichtigte dieses Geständnis im Rahmen der Strafzumessung erheblich strafmildernd (a.a.O., Bl. 12).
48 
Der Heranziehung der Straftaten, die Gegenstand einer älteren Verurteilung sind, steht auch nicht der Gedanke des Verbrauchs entgegen, weil diese Anlass eines früheren Ausweisungsverfahren gewesen sind, das mit einem gerichtlichen Vergleich vom 21. Juli 2009 beendet worden ist und infolge dessen der Kläger drei Jahre nach Haftentlassung wieder in den Besitz der Niederlassungserlaubnis gelangt ist.
49 
Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich anerkannt, dass Ausweisungsgründe bzw. nunmehr Ausweisungsinteressen in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - 1 C 30.02 -, BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -, BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (siehe insgesamt BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 39). Im vorliegenden Fall fehlt es jedenfalls an einem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers. (Geschäfts-)Grundlage des Vergleichs ist gewesen, dass der damals in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht anwaltlich vertretene Kläger sich drei Jahre lang nach Haftentlassung keine vorsätzliche Straftat zu Schulde kommen lässt. Hieran hat sich der Kläger aber offensichtlich nicht gehalten.
50 
e) Der Kläger ist im Rahmen seines strafrechtlichen Verhaltens stets ideenreich, organisiert und planvoll vorgegangen. Was ihn letztlich zu den Straftaten bewegt hat, hat er nicht offenbart. Es gibt keine erkennbaren tatsächlichen Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die den Schluss nahelegen würden, dass sich trotz immer wieder aufgetretenen Urkundenfälschungen und Betrugshandlungen im Zusammenhang mit Kontoeröffnungen, Überweisungen oder sonstigen Verfügungen über Konten solches in Zukunft nicht mehr ereignen würde. Der Kläger verfügt nach wie vor nicht über eine abgeschlossene Berufsausbildung und in der Vergangenheit haben sich Zeiten von Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit abgewechselt (vgl. hierzu auch die vom Kläger mit Schriftsatz vom 27.07.2016 vorgelegten Unterlagen). Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht sondern auch mit Blick auf die persönliche Situation des Klägers lassen sich keine belastbaren stabilisierenden Faktoren erkennen. Er ist bei Begehung der mit Strafbefehl vom 25. Februar 2002 abgeurteilten vier Fälle des Überweisungsbetrugs alleinstehend gewesen. Bei Beginn der Serie von Straftaten, die dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007 zugrunde liegen, hat bereits eine familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner heutigen Partnerin und zwei in den Jahren 2003 und 2005 geborenen Töchtern bestanden. Die Straftaten ab Sommer 2012 sind zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem der familiären Lebensgemeinschaft eine weitere Tochter angehört hat. Dass seine drei Töchter und Lebenspartnerin der entscheidende Antrieb wären, „künftig nichts mehr anzustellen“ (vgl. seine Angaben in der mündlichen Verhandlung), lässt sich nicht objektivieren.
51 
Der Kläger zeichnet sich bislang vor allem durch eine fehlende Einsicht und Aufarbeitung seines strafrechtlichen Verhaltens aus. Er hat sich mit seinen Straftaten bis heute nicht ernsthaft auseinandergesetzt. Die gilt insbesondere auch für seine letzte Verurteilung, deren Richtigkeit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestritten hat. Dies belegt zudem sein Agieren in der Justizvollzugsanstalt. So hat die Justizvollzugsanstalt Ulm am 9. Juli 2015 in einem Vermerk über das Erstgespräch unter anderem festgehalten, der Kläger habe sich eher zurückhaltend und wortkarg verhalten. Zu den Taten befragt, habe er kaum Angaben gemacht. Er streite seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Die an ihn gerichteten Fragen habe er kurz und knapp beantwortet, eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Fehlverhalten habe bislang wohl eher noch nicht stattgefunden. Das weitere Vollzugsverhalten bleibe abzuwarten. Anhaltspunkte für eine psychische Problematik bzw. eine psychologische/psychotherapeutische Indikation wurden nicht festgestellt. In einem Führungsbericht vom 10. November 2015 führte die Justizvollzugsanstalt wiederum aus, zu seinen Taten befragt habe der Kläger im Anamnesegespräch kaum Angaben gemacht. Er streite im Wesentlichen seine Tatbeteiligung wie bereits vor Gericht ab. Aus einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 16. Juni 2016, die zum erfolglosen Antrag des Klägers vom 28. Mai 2016 auf Aussetzung der Vollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte zur Bewährung erstellt worden ist, heißt es unter anderem, der Kläger sei kein Erstverbüßer und Bewährungsbrecher; eine Einsicht in sein Fehlverhalten sei bei ihm nicht zu erkennen. Aus dem Vollzugsbericht der Justizvollzugsanstalt H. vom 1. Februar 2017 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Eine bewährungsweise Entlassung wurde seitens der Justizvollzugsanstalt H. auch für den Antrag des Klägers vom 7. November 2016 auf Strafaussetzung zur Bewährung nach Verbüßung von Zweidritteln der Strafe nicht befürwortet.
52 
Soweit sich der Kläger selbst zu seinem strafrechtlichen Werdegang äußert, sind die Angaben pauschal und blenden die Tragweite der eigenen Verantwortung, Hintergründe und Folgen für die Opfer der Straftaten aus. So hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärt, er wolle sich zunächst für alles, was passiert sei, entschuldigen. Er leide selbst schon. Er wolle sich nunmehr um seine Familie kümmern und seinen Kindern ein guter Vater sein. Er bereue seine Taten sehr und merke, wie seine Familie leide. Seine Straftaten seien Dummheiten gewesen. Er wisse auch nicht, wie es dazu gekommen sei. Er hätte nur Leuten helfen wollen. Er sei zwar als Einzeltäter verurteilt worden, tatsächlich hätten aber mehrere gehandelt. Er habe die Taten nicht so richtig begangen, sondern nur anderen Leuten geholfen und das Helfen sei etwas anderes. Mit den Leuten stehe er aktuell nicht in Kontakt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beklagte er vor allem die Situation seiner Töchter, die mit seiner Inhaftierung leben müssten, ohne sich jedoch zu seinem eigenen Fehlverhalten zu bekennen. Dass es dem Kläger an einem kritischen Umgang mit sich selbst mangelt, ist auch daran zu erkennen, dass er den Grund für seine Verlegung von der Justizvollzugsanstalt Ulm mit einer offenen Vollzugsform in den geschlossenen Vollzugs der Justizvollzugsanstalt H. allein bei anderen sieht.
53 
Auch die Haltung der Staatsanwaltschaft Stuttgart und der Strafvollstreckungskammer anlässlich des Antrags des Klägers auf Aussetzung des Strafrestes nach zwei Drittel verdeutlichen das Fortbestehen der vom Kläger ausgehenden Gefahr. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist diesem Antrag unter Hinweis unter anderem auf die mehrfach einschlägigen Vorstrafen, den Bewährungsbruch und die hohe kriminelle Energie entgegen getreten. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Anhörung vor der Strafvollstreckungskammer am 9. Februar 2017 hat der Kläger erklärt, dies sei seine letzte Straffälligkeit, er habe eine Familie mit drei Kindern, er habe draußen als Lagerfachkraft bei der Firma F. seine Arbeit gemacht. Dort möchte er nach der Haftentlassung wieder arbeiten. Eine konkrete Arbeitszusage habe er nicht. Die Strafvollstreckungskammer hat dem Protokoll zufolge erläutert, dass nach derzeitiger Einschätzung keine Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht komme, insbesondere im Hinblick auf die einschlägigen und mehrfachen Vorstrafen und die letzte Haftverbüßung, die ihn nicht davon abgehalten habe, erneut straffällig zu werden. Am 14. Februar 2017 hat der Kläger seinen Antrag auf Aussetzung des Strafrests zurückgenommen.
54 
Die Tatsache, dass der Strafvollzug des Klägers entsprechend den Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt H. beanstandungsfrei verläuft, relativiert die Gefahrenprognose nicht. Der Kläger hatte auch in der Vergangenheit immer wieder längere Zeiten - auch in Freiheit - , in denen er nicht aufgefallen, jedoch dann erneut in unverändert kriminelle Verhaltensmuster zurückgefallen ist.
55 
3.) Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen besonders schwerwiegende Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gegenüber. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind mit Blick auf die in der Vergangenheit geführte und nach Haftentlassung geplante Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft mit den drei deutschen minderjährigen Kindern, für die er auch das Personensorgerecht wahrnimmt, gegeben. Zudem hat der Kläger - im Zeitpunkt der Ausweisungsverfügung - eine Niederlassungserlaubnis besessen und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Die auf der Grundlage des gerichtlichen Vergleichs vom 21. Juli 2009 erfolgte Aufhebung der Ausweisung unter dem 6. Dezember 2012 und Erteilung der Niederlassungserlaubnis unter Hinweis auf § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG führen dazu, dass die Voraussetzungen auch nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vorliegen. Da die Regelung allein auf den tatsächlichen Besitz der Niederlassungserlaubnis abstellt, kommt es hier nicht darauf an, dass der Kläger noch unter der Geltung der „Bewährungszeit“ des Duldungsvergleichs von drei Jahren ab der Haftentlassung - bis 18. November 2009 war er inhaftiert - ab Ende Juli / Anfang August 2012 erneut einschlägig straffällig geworden und damit die Grundlage und die Intention des Vergleichs letztlich unterlaufen hat. Die Bewertung eines solchen Sachverhalts erfolgt nach der Konzeption des Gesetzes ggfs. im Rahmen der Gesamtabwägung.
56 
4.) Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiegt die Interessen an seinem weiteren Verbleib im Bundesgebiet deutlich.
57 
§ 53 Abs. 1 AufenthG verlangt für eine Ausweisung ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Diese sind, nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Ausländers, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner, sowie - in der seit dem 17. März 2016 geltenden Fassung - die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, wobei die in Absatz 2 aufgezählten Umstände weder abschließend zu verstehen sind, noch nur zu Gunsten des Ausländers ausfallen müssen. Zudem sind stets die grund- und konventionsrechtliche Stellung des Ausländers und seiner Familie und die sich daraus ergebenden Gewichtungen in den Blick zu nehmen. Umstände im Sinne des § 53 Abs. 2 AufenthG prägen den Einzelfall insoweit, als sie über die den vertypten Interessen zugrunde liegenden Wertungen hinausgehen, diese unterschreiten oder ihnen entgegenstehen. Insbesondere ist hier der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles signifikant von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe von erheblichem Gewicht - etwa auch solche rechtlicher Art - ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso (BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 -, NVwZ 2007, 946) wie eine „mathematische“ Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - juris Rn. 141 ff.; Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -, juris Rn. 29 ff.; OVG NRW, Urteil vom 10.05.2016 - 18 A 610/14 -, juris Rn. 76 f.). Bei der erforderlichen Gesamtabwägung sind zur Sicherung der Verhältnismäßigkeit der Ausweisung zudem ergänzend die vom Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen seiner Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK hierzu entwickelten Kriterien heranzuziehen (vgl. zu den sog. „Boultif-Üner-Kriterien“ insbesondere EGMR, Urteile vom 18.10.2006 - 46410/99 <Üner> -, NVwZ 2007, 1279 und vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476 -; ausführlich auch: Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl., 2016, Vorb §§ 53-56 AufenthG, Rn. 95 ff. und Mayer, VerwArch 2010, 482 <530 ff.>, m.w.N.)
58 
Hiervon ausgehend ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er seit 1990 seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat und über einen langjährigen und legalen Aufenthalt im Bundesgebiet verfügt. Er hat zwar keinen im Bundesgebiet allgemein anerkannten Bildungs- bzw. Berufsabschluss, er ist hier jedoch immer wieder erwerbstätig gewesen und hat nach seinen Angaben nach seiner Haftentlassung Aussicht auf einen Arbeitsplatz. Er hat Möglichkeiten genutzt, sich Fähigkeiten anzueignen, mit denen bessere berufliche Perspektiven verbunden sein können, wie die Qualifizierung zur Lagerfachkraft im Jahre 2000 oder der Erwerb von Kenntnissen im Bereich Microsoft Excel 2000. Der Kläger spricht - wovon sich der Senat anlässlich der mündlichen Verhandlung hat überzeugen können - ein alltagstaugliches Deutsch.
59 
Von besonderer Bedeutung sind die familiären Bindungen. Der Kläger hat in Deutschland eine Familie gegründet. Wie insbesondere aus seinen Erklärungen in der Berufsverhandlung deutlich geworden ist, ist sein Verhältnis zu seinen drei deutschen Töchter, die den Kindergarten bzw. die weiterführende Schule besuchen, von einer wechselseitig innigen emotionalen Beziehung geprägt. Er nimmt - selbst unter den erschwerten Bedingungen des geschlossenen Vollzugs - aktiv am Leben der Kinder teil und hat in der mündlichen Verhandlung insbesondere von den musikalischen Talenten der beiden größeren Töchtern näher berichtet. Seine Lebensgefährtin schöpft mit den Kindern die in der Vollzugsanstalt zulässigen Besuche aus. Der Kläger nutzt mit seinen Töchtern zudem mittlerweile das Vater-Kind-Projekt der Justizvollzugsanstalt, welches ihnen ermöglicht, mehr Zeit als bei einem Regelbesuch üblich miteinander zu verbringen. Nicht nur die drei am 16. Dezember 2003, 7. Oktober 2005 und 27. Dezember 2011 geborenen Töchter, die sich aufgrund ihres Alters in unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden, haben ein außerordentlich hohes Interesse daran, dass ihr Vater im Bundegebiet verbleibt; dies gilt mit Blick auf die familiäre Lebensgemeinschaft gleichermaßen für die Lebensgefährtin und den Kläger selbst. Ihm kommt das Recht und die Aufgabe zu, als Vater für seine Kinder - auch emotional - zu sorgen. Seine Ausweisung - zumal sie zu seiner Trennung von den übrigen Familienmitgliedern führt - ist vor diesem Hintergrund ein erheblicher Eingriff in das auch durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens.
60 
Zu Lasten des Klägers ist die Schwere der begangenen Straftaten, deren Aburteilung zum Entstehen des Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG geführt hat, zu berücksichtigen. Neben der bereits oben festgestellten außerordentlich hohen Wiederholungsgefahr betrügerischer Vermögenskriminalität, fällt auch seine fehlende Bereitschaft bzw. Fähigkeit zur Rechtstreue ins Gewicht. Die Anzahl der Einträge im Zentralregister sprechen für sich.
61 
Entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers haben die öffentlichen Interessen an einer Ausreise im Hinblick auf die drei deutschen Kinder nicht deshalb zurückzutreten, weil dieser keine Gewaltdelikte begangen hat, die sich gegen elementare Rechtsgüter wie Leib und Leben richten, sondern sich seine Verfehlungen primär auf dem Gebiet des Vermögensstrafrechts ereignet haben. Die Gesamtabwägung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes führt hier vielmehr auch unter Berücksichtigung des sehr hohen Gewichts der familiären Bindungen zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung.
62 
Bei den vom Kläger begangenen Straftaten handelt es sich um gewerbsmäßig begangene Betrugsdelikte in erheblicher Anzahl, überwiegend in Gestalt des Überweisungsbetrugs, die teilweise von Urkundenfälschungen begleitet worden sind. Der Kläger ist - wenn auch immer wieder mit „Pausen“ - seit dem Jahre 2001 auf diesem Gebiet „aktiv“. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich aus für sein Leben atypischen Situationen, etwa einer einmalig erlebten finanziellen Bedrängnis, zu solchen Taten hat hinreißen lassen. Vielmehr drängt sich der Schluss auf, dass er der geltenden (Strafrechts-)Ordnung ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet einfach keine Bedeutung beimisst, sondern allein so agiert, wie es ihm in den Sinn kommt und hierbei bereit ist, zum eigenen Vorteil und zur Verschaffung einer regelmäßigen Einnahmequelle anderen Menschen erheblichen finanziellen Schaden zuzufügen. Zu den Konten, die der Kläger „anzapfte“ oder „anzapfen“ wollte, gehören solche von Privatpersonen, von Firmen oder von Vereinen, wobei die Beträge, die in den Überweisungsträgern ausgewiesen waren, durchaus nicht unerheblich waren. Exemplarisch verdeutlichen dies die Taten Nr. 6 und 7, die durch das Amtsgericht Stuttgart unter dem 25. November 2014 abgeurteilt wurden, mit Überweisungsbeträgen von 6.800 Euro bzw. 6.885,96 Euro, und die Taten Nr. 14 und Nr. 38 im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2007, bei denen es um 9.787,97 Euro (zu Lasten eines Vereins) bzw. 45.767,07 Euro (zu Lasten einer Schreinerei) handelte. Die Handlungen des Klägers waren allein bei den Straftaten, die Gegenstand der landgerichtlichen Verurteilung waren, auf ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen in Höhe von nahezu 459.000 Euro gerichtet. Bei seinen Taten ging der Kläger unter Benutzung verschiedener falscher Identitäten und unterschiedlicher Konten sehr professionell vor. Eine besondere Brisanz erhält die kriminelle Laufbahn des Klägers auch dadurch, dass er nicht allein und teilweise zudem grenzüberschreitend agiert hat (vgl. hierzu die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 25. September 2009 unter II.), aber auch insoweit bis heute „keinen reinen Tisch gemacht hat“. Dass bei etlichen Taten eine Schädigung der tatsächlichen Kontoinhaber bzw. der Geldinstitute letztlich vermieden und der Kläger durch die Polizei gefasst werden konnte, beruht allein darauf, dass andere Menschen aufgepasst bzw. interne und externe Kontrollsysteme funktioniert haben. Solche Zufälligkeiten entlasten den Kläger aber nicht. Bezeichnender Weise hat er im Übrigen immer wieder selbst festgestellt, dass Überweisungen durch die Bank nicht ausgeführt worden sind. Das hat ihn aber gerade nicht abgeschreckt. Mit den kriminellen Handlungen fuhr er unverändert fort.
63 
Die vom Kläger ausgehende außerordentlich hohe Wiederholungsgefahr (siehe oben I.2.) von betrügerischen Aktionen im Bereich des bargeldlosen Transfers von Geldern unter Einschaltung einer Bank, auf dessen Funktionieren und korrekte Abwicklung der Einzelne, aber auch letztlich ein Wirtschaftssystem angewiesen sind, rechtfertigt die durch die Ausweisung herbeigeführte Trennung von seinen Familienmitgliedern (zur Bedeutung der Gefahrenprognose im Rahmen der Gesamtabwägung unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit siehe Funke-Kaiser, Fragen des novellierten Aufenthaltsrechts, in: Dokumentation, 18. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, Hamburg 2016, S. 221, 235).
64 
Die minderjährigen deutschen Töchter des Klägers sind faktisch nicht gezwungen den Kläger zu begleiten, sondern können weiter im Bundesgebiet leben. Da ihre Mutter über einen in der Vergangenheit stets verlängerten und aktuell bis 12. Januar 2019 gültigen Aufenthaltstitel nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verfügt, ist gewährleistet, dass ein erziehungsberechtigter drittstaatsangehöriger Elternteil im Bundesgebiet verbleibt, weshalb die Kinder nicht das Unionsgebiet als Ganzes verlassen müssen (vgl. zu diesen Aspekten EuGH, Urteil vom 13.09.2016 - C-304/14 - CS, Rn. 24 ff.; u.a. in Anknüpfung an das Urteil vom 08.03.2011 - C-34/09 - Ruiz Zambrano; siehe schon VGH Bad.-Württ., Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 34). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die gravierende Gefahr neuer Straftaten des Klägers hingenommen werden müsste, weil sein Verbleib für die Kinder bzw. das Kindeswohl von überragender, ggf. existenzieller Bedeutung wäre. Das Leben der Töchter ist durch die Inhaftierung des Klägers davon geprägt, dass sie ihren Vater im Alltag schon seit längerer Zeit nicht um sich haben. Die beiden älteren Töchter haben diese Erfahrungen auch schon zuvor ab dem Jahre 2007 gemacht. Zwar ist die Aufrechterhaltung von familiären Beziehungen und Kontakten bei einem Aufenthalt des Klägers in Angola gegenüber der derzeitigen Situation deutlich erschwert, unmöglich ist dies jedoch auch mit Blick auf das Alter der Töchter nicht. Hinzu kommt, dass durch die Befristung der Wirkungen des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots (siehe nachfolgend II.) und der Möglichkeit für den Kläger, danach zu seinen deutschen Kindern zurückzukehren, die Trennung perspektivisch begrenzt ist. Da der Kläger bis zum Alter von etwa 17 Jahren in Angola gelebt und aktuell auch noch portugiesisch beherrscht, steht zu erwarten, dass er sich dort zurecht finden wird - zumal er im Jahre 2005 im Rahmen der Vorbereitungen auf die Fußball-WM zu Besuch in Angola gewesen ist und seine Partnerin, die im April 2002 in das Bundesgebiet eingereist ist, ebenfalls aus Angola stammt. Nach dem Vermerk der Justizvollzugsanstalt Ulm vom 9. Juli 2015 zum Erstgespräch mit dem Kläger leben zudem zwei jüngere Schwestern von ihm in Angola.
II.)
65 
Dem Kläger steht die hilfsweise begehrte Verpflichtung des Beklagten, unter Aufhebung der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu entscheiden, nicht zu.
66 
1.) Der Kläger hat eine - logisch vorrangige - (hilfsweise) Verpflichtung des Beklagten über die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden, nicht beantragt. Für einen solchen Antrag gibt es auch keine Veranlassung. Der Beklagte hat in der angefochtenen Verfügung hierzu keine Entscheidung getroffen; dies ist nicht zu beanstanden.
67 
Nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann das Einreise- und Aufenthaltsverbot zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist nach Absatz 2 verkürzt werden. Aus den vorstehenden Ausführungen zur Rechtmäßigkeit der Ausweisung unter I. ergibt sich jedoch, dass die vom Kläger ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, deren Abwehr das Einreise- und Aufenthaltsverbot dient, fortbesteht und das öffentliche Interesse an der Ausreise schutzwürdige Belange des Ausländers überwiegt. Erweist sich eine Ausweisung als rechtmäßig, ist es nach den hierfür notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen, dass zum gleichen Zeitpunkt, der für die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblich ist, Anlass für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu diesem Zeitpunkt bestehen könnte. Würde sich eine Ausweisung hingegen als rechtswidrig erweisen, beispielsweise wegen einer nach Erlass der Verfügung eingetretenen Änderung der Sach- oder Rechtslage, wäre sie mit Wirkung ex tunc aufzuheben (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 21 ff.), so dass ebenfalls kein Raum für eine Entscheidung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG wäre. Soweit das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung ist, dass seit der zum 1. August 2015 in Kraft getretenen gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung bedarf, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 15), hatte für die Ausländerbehörde im vorliegenden Fall kein Grund für eine solche Ermessensentscheidung bestanden. Im Übrigen liegt der Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots - anders als der Befristung - keine Prognose zugrunde, so dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen.
68 
2.) Die Ausländerbehörde hat bei der Befristung des mit einer Ausweisung verbundenen gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots seit Inkrafttreten des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 über die Länge der Frist nach Ermessen zu entscheiden (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 19 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 65 f.). Der Senat hält an seiner bislang vertretenen Auffassung, wonach es sich hierbei trotz des Wortlauts um eine gebundene Entscheidung handelt (grundlegend Senatsurteil vom 09.12.2015 - 11 S 1857/15 -, juris), aus Gründen der Rechtseinheit nicht mehr fest.
69 
Dem Bundesverwaltungsgericht zufolge ändert das Erfordernis einer Ermessensentscheidung nichts am behördlichen Prüfprogramm, wie es von diesem im Urteil vom 10. Juli 2012 (1 C 19.11 -, juris Rn. 42) entwickelt worden ist (vgl. auch schon BVerwG, Urteil vom 14.02. 2012 - 1 C 7.11 -, juris Rn. 28 f.). Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung aller betroffenen Belange (BVerwG, Urteile vom 22.02.2017 - 1 C 27.16 -, juris Rn. 23 ff. und - 1 C 3.16 -, Rn. 66).
70 
Das Regierungspräsidium hat im Rahmen seiner Ermessensentscheidung unter Zugrundelegung der Kriterien des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. im Einzelnen Bl. 17 ff. der Verfügung) das Einreise- und Aufenthaltsverbot anhand einer zweistufigen Prüfung auf fünf Jahre nach Ausreise oder Abschiebung befristet. Das Verwaltungsgericht hat - allerdings unter Bezugnahme auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Dezember 2015 und damit unter Zugrundelegung der bisherigen Auffassung des Senats zum gebundenen Charakter der Befristungsentscheidung - in seinem Urteil die vom Beklagten festgesetzte Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Blick auf die familiären Belange insoweit aufgehoben, als die Frist in Ziffer 4 des Bescheids vom 30. Januar 2016 drei Jahre und sechs Monate übersteigt. Der Beklagte hat hiergegen kein (Anschluss-) Rechtsmittel eingelegt. Dass diese für den Beklagten verbindliche Länge der Sperrfrist von drei Jahre und sechs Monaten, die unterhalb der Fünf-Jahres-Frist nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG liegt, zu Lasten des Klägers im Ergebnis fehlerhaft wäre, ist mit Blick auf die von ihm ausgehende Gefährlichkeit (siehe oben u.a. I. 2.) nicht ersichtlich; es ergeben sich ferner keine Anhaltspunkte dafür, aufgrund der bereits oben unter I. dargestellten familiären Situation und weiterer individueller Belange könnte eine noch kürzere Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Raum stehen. Es sind insbesondere auch nach Erlass der Verfügung keine weiteren Änderungen tatsächlicher Art eingetreten, die zu Gunsten des Klägers wirken und Anlass für neue bzw. ergänzende Ermessenserwägungen bei dem Beklagten sein könnten.
71 
Dass der Beklagte das durch eine Abschiebung eintretende Einreise- und Aufenthaltsverbot hinsichtlich der Länge gleichlaufend mit den Folgen der Ausweisung im Sinne einer einheitlichen Regelung ausgestaltet hat, verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
72 
Im Übrigen bleibt es dem Kläger unbenommen, einen Antrag auf Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu stellen, wenn sich die Gefährdungssituation günstiger als erwartet entwickeln sollte oder neue persönliche bzw. familiäre Umstände eine andere, günstigere Entscheidung angezeigt erscheinen ließen.
III.)
73 
Die Klage gegen die Abschiebungsandrohung bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
74 
Ziffer 3 der Verfügung vom 30. Januar 2016 ist unter Berücksichtigung der Begründung im angefochtenen Bescheid dahingehend auszulegen, dass für den Fall der Entlassung aus der Haft der Kläger aufgefordert wird, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach Bestandskraft der Ausweisung zu verlassen und ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb dieser Frist die Abschiebung nach Angola angedroht wird. Entsprechendes soll gelten, falls - was aber nicht geschehen ist - der Sofortvollzug angeordnet wird. Die Frist von einem Monat ist auszulegen als 31 Tage (BVerwG, Urteil vom 10.07.2012 - 1 C 19.11 -, juris Rn. 44). Für den Fall, dass sich der Kläger bei Bestandskraft der Ausweisung (oder deren sofortiger Vollziehbarkeit) noch in Haft befindet, wird ihm mit Ziffer 2 der Verfügung die Abschiebung ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht, wobei die unterbliebene Fristsetzung nach der Begründung des Bescheids allein auf § 59 Abs. 5 AufenthG beruht.
75 
Entgegen der Auffassung des Klägers ist seine Abschiebung nach Angola nicht deshalb unzulässig, weil er im Jahre 1990 unter Berufung auf den drohenden Einsatz als Kindersoldat aus Angola geflohen ist (1.). Soweit dem Kläger, der sich im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung mit voraussichtlichem Strafende 31. Dezember 2017 in Strafhaft befindet, die Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), ist dies nicht zu beanstanden; dies steht insbesondere mit der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) - RFRL - in Einklang (2.)
76 
1.) Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Angola unzulässiger Zielstaat einer Abschiebung des Klägers mit der Folge der Einschränkung der Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist. Soweit er ausführt, er sei im Alter von 17 Jahren vor der zwangsweisen Einsetzung als Kindersoldat für den damaligen Diktator geflohen und bei einer Rückkehr nach Angola bestehe für ihn eine Gefahr für Leib und Leben, ist damit ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nicht schlüssig vorgetragen, denn der Kläger hielt sich nach eigenen Angaben etwa 15 Jahre nach seiner Flucht im Jahre 2005 ohne Probleme in Angola auf. Im Übrigen steht bereits der negative Ausgang des Asylverfahrens einer Berufung auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote entgegen (§ 42 AsylG).
77 
2.) Die Androhung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise entspricht den Bestimmungen des nationalen Aufenthaltsrechts (a). Dass dem Kläger nicht die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise eingeräumt worden ist, steht mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang (b). Dies beruht allerdings nicht auf einer „Opt-Out“-Entscheidung des Gesetzgebers auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL (aa), sondern basiert auf der vom Kläger ausgehenden Gefahr, die auch ein Unterbleiben der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 Abs. 4 RFRL trägt (bb).
78 
a) Nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG, d.h. unter anderem dann, wenn der Ausländer sich - wie hier - auf richterliche Anordnung in Haft befindet, keiner Setzung einer Ausreisefrist. Nach nationalem Recht dient eine Ausreisefrist dazu, eine Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise vermeiden zu können. Sie bezweckt ferner dem Ausländer zu ermöglichen, seine Lebensverhältnisse in Deutschland abwickeln und ggfs. ein Rechtsschutzverfahren betreiben zu können (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.12.1997 - 1 C 14.96 -, juris Rn. 15; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 AufenthG Rn. 105, 147 ). Ausgehend hiervon wird § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG als ein - gegenüber § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - spezieller Fall angesehen, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (so BayVGH, Beschluss vom 12.12.2016 - 10 C 16.2176 -, juris Rn. 8). Mit der Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll, wird der Ausländer in Haftfällen in die Lage versetzt, sich auf das Verlassen des Landes vorzubereiten und ggfs. entsprechende Maßnahmen zu treffen (Hocks, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl., 2016, § 59 AufenthG Rn. 17). Eine solche Konkretisierung des Zeitpunkts der Abschiebung ist im vorliegenden Fall noch nicht erfolgt. Zwar beabsichtigt der Beklagte ausweislich des Hinweises in der Verfügung vom 30. Januar 2016, den Kläger zum Zeitpunkt der Haftentlassung auf der Grundlage der Entscheidung nach § 456a StPO abzuschieben. Eine derartige Entscheidung liegt ausweislich der beigezogenen Akten aber bislang nicht vor.
79 
Nach § 456a StPO kann die Strafvollstreckungsbehörde von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung oder Sicherung unter anderem dann absehen, wenn der Verurteilte aus dem Geltungsbereich des Gesetzes abgeschoben wird. Die Regelung setzt aber voraus, dass diese Maßnahme, d.h. die Abschiebung, bereits bestandskräftig angedroht worden (Schmitt, in: Meyer/Großner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., 2016, § 456a Rn. 3; Appl, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., 2008, § 456a Rn. 3) oder diese zumindest vollziehbar ist und demnächst durchgeführt wird (Klein, in: Graf, StPO, 2010, § 456a Rn. 3). Wann die Staatsanwaltschaft ggfs. von einer weiteren Vollstreckung absieht, ist im vorliegenden Fall ungewiss.
80 
b) Dass dem Kläger auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG die Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nicht eingeräumt wird, steht im vorliegenden Fall mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang.
81 
Das Ziel der Richtlinie 2008/115 ist - wie sich aus ihren Erwägungsgründen 2 und 11 ergibt - die Festlegung einer wirksamen Rückkehr- und Rücknahmepolitik, die auf gemeinsamen Normen und rechtlichen Garantien beruht, die gewährleisten, dass die betreffenden Personen unter vollständiger Achtung der Grundrechte auf menschenwürdige Weise zurückgeführt werden (EuGH, Urteil vom 05.06.2014 - C-146/14 PPU - Mahdi - Rn. 38). Die Richtlinie ist von ihrem Zweck her sowohl ein Rückkehrinstrument als auch ein Menschen- bzw. Grundrechteinstrument, die den Mitgliedstaaten aber nicht unbedeutende Gestaltungsspielräume belässt (näher Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 136 ff.).
82 
aa) § 59 Abs. 5 AufenthG mit der normativen Folge des Unterbleibens einer Frist zur freiwilligen Ausreise ist nicht bereits deshalb mit Unionsrecht in Einklang zu bringen, weil die Bundesrepublik insoweit vom „Opt-Out“ nach Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch gemacht hätte.
83 
Nach dieser Bestimmung können die Mitgliedstaaten beschließen, diese Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist. Zwar könnte der Wortlaut „infolge“ durchaus daraufhin deuten, dass auch Rückkehrentscheidungen, die im Verwaltungswege erlassen werden, letztlich aber an eine strafrechtliche Verurteilung anknüpfen, unter diese Regelung fallen können (dies jedenfalls für die frühere Ist-Ausweisung nach § 53 AufenthG a.F. annehmend Franßen-de la Cerda, Die Vergemeinschaftung der Rückführungspolitik - das Inkrafttreten der EU-Rückführungsrichtlinie, ZAR 2008, 377, 381; weitergehend Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 164 ff.). Für die Auffassung, dass die 2. Alternative des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL, die auf eine Rückkehrverpflichtung abstellt, die „infolge einer strafrechtlichen Sanktion“ ausgelöst wurde, nur Fälle betrifft, in denen die Rückkehrpflicht unmittelbar aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion als Nebenfolge ausgelöst wird (vgl. näher Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 302 ), sprechen nach der Bedeutung der Regelung und ihrer Entstehungsgeschichte die besseren Gründe.
84 
Die Kommission hat während der Beratungen im Rat stets deutlich gemacht, dass die verschiedenen Stufen „Beendigung des legalen Aufenthalts“ und (deswegen danach) illegaler Aufenthalt zu unterscheiden sind und die Rückführungsrichtlinie nur den letzteren Fall erfasst. Verschiedene Mitgliedstaaten, deren Strafrecht bei Delikten von Ausländern auch den Verlust des Aufenthaltsrechts als Strafe oder Nebenstrafe vorsieht, befürchteten, dass durch die Rückführungsrichtlinie in die ihrer alleinigen Kompetenz obliegenden Angelegenheit des nationalen Strafrechts eingegriffen würde. Obwohl sowohl das Europäische Parlament als auch andere Mitgliedstaaten die Auffassung der Kommission, dass die Beendigung des legalen Aufenthalts - auch mit Mitteln des Strafrechts - schon gar nicht vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie erfasst ist, stützten und eine solche Klausel für nicht notwendig erachteten, verlangten diese Länder ausdrücklich eine Optionsregelung. Letztlich ist dem aus Gründen des politischen Pragmatismus entsprochen worden, weil andernfalls die Gefahr des Scheiterns der Richtlinie gedroht hätte (siehe hierzu Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016, § 11 Rn. 20 unter Hinweis auf Lutz, The Negotiations on the Return Directive, 2010, unter 2.2.2, S. 32; siehe auch Franßen-de la Cerda, a.a.O., ZAR 2008, 377, 381; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2nd Edition. 2016, Part C VII Art. 2 Rn. 15 f.).
85 
Auch der Umstand, dass erhebliche Bewertungsunsicherheiten (vgl. dazu Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG § 59 Rn. 302 ) auftreten würden, wenn man für die 2. Alt des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL eine Verwaltungsentscheidung genügen lassen würde, die allein oder jedenfalls maßgeblich auf eine vorangegangene strafrechtliche Sanktion gestützt wäre (wie etwa die Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels aufgrund des Bestehens eines Ausweisungsinteresses nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wegen einer Straftat), spricht für die restriktive Interpretation.
86 
Eine andere Sichtweise ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. September 2013 (C-297/12 - Filev und Osmani - Rn. 50 f.). Das Urteil beruht - entsprechend den Ausführungen in der Vorlage des Amtsgerichts Laufen vom Juni 2012 zu einer Ausweisungsentscheidung aus dem Jahre 1999 - auf der nicht problematisierten Annahme, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I 2258) von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b) der Richtlinie 2008/115 enthaltenen Ermächtigung Gebrauch gemacht habe (vgl. EuGH, Urteil vom 19.09.2013, a.a.O., Rn. 22, 50 ff.). Mangels entscheidungserheblicher Fragestellung sind aber die Problematik der Wirksamkeit und der Reichweite eines „Opt-Out“ keiner näheren Betrachtung durch den Gerichtshof der Europäischen Union unterzogen worden.
87 
Anlässlich des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 finden sich lediglich Ausführungen in der Gesetzesbegründung dazu, dass bezüglich der Dauer der für ein Einreiseverbot zu bestimmenden Frist explizit von der „Opt-Out“ Möglichkeit Gebrauch gemacht werden solle (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 06.11.2012 - 11 S 2307/11 -, juris Rn. 71). In der Bundestagsdrucksache 17/5470, S. 21 heißt es zu § 11 AufenthG:
88 
„Die in dem neuen Satz 4 vorgesehenen Ausnahmen von der regelmäßigen Höchstfrist von 5 Jahren beruhen auf Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b - gegenüber verurteilten Straftätern wird der Anwendungsbereich der Richtlinie insoweit eingeschränkt - und Artikel 11 Absatz 2 Satz 2 (schwerwiegende Gefahr für die Sicherheit und Ordnung) der Rückführungsrichtlinie. Eine strafrechtliche Verurteilung im Sinne der Ausnahme erfordert das Zugrunde liegen schwerwiegender Straftaten.“
89 
Selbst wenn man der hier nicht geteilten Auffassung wäre, dass Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Verwaltungsentscheidungen erfassen könnte, ist nicht ersichtlich, dass die Bundesrepublik auch mit Blick auf die Vorschrift des § 59 Abs. 5 AufenthG insoweit (wirksam) von dem „Opt-Out“ Gebrauch gemacht hätte. Diese Regelung gilt in der vorliegenden Fassung seit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 (BGBl I, 1970, 1982) unverändert. Es gibt keine Anhaltspunkte (in einer Gesetzesbegründung), die es erlaubten, ein „Opt-Out“ auch insoweit anzunehmen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 172 ), wenn eine gesetzliche Bestimmung, die vor Inkrafttreten einer Richtlinie bereits gegolten hat, schlicht später beibehalten wird. Ob es aus Gründen der Rechtsklarheit, insbesondere weil die Geltung des Unionsrechts keinen Zweifeln unterliegen darf, sogar geboten sein könnte, dass sich Art und Umfang des „Opt-Out“ aus dem Gesetz selbst ergeben müssen, kann daher hier offen bleiben (vgl. hierzu Lutz, in: Hailbronner/Thym, a.a.O., Art. 2 Rn. 5 f.; siehe zur Frage der Pflicht zur Veröffentlichung des Beschlusses nach Art. 2 Abs. 2 RFRL auch Augustin, Die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union, 2016, S. 179 ff.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.03.2017 - 1 C 17.16 -, juris Rn. 17 zur Frage der Erheblichkeit des Willens, Unionsrecht umzusetzen und anzuwenden).
90 
bb) Aufgrund der vom Kläger im vorliegenden Fall ausgehenden Gefahr für die öffentliche Ordnung wahrt das in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG vorgesehene Absehen von einer Frist für die freiwillige Ausreise aber die Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 RFRL.
91 
Die Richtlinie 2018/115 schreibt vor, welches Verfahren von jedem Mitgliedstaat bei der Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger anzuwenden ist, und legt die Reihenfolge der verschiedenen Schritte fest, die dieses Verfahren nacheinander umfasst. So sieht Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie zunächst vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - El Dridi - Rn. 34 f.). Teil dieser Rückkehrentscheidung ist auch die Entscheidung über eine Frist zur freiwilligen Ausreise nach Art. 7 RFRL. Freiwillige Ausreise bedeutet die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist (Art. 3 Nr. 8 RFRL). Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 RFRL davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen. Auch mit Blick auf die Frage einer Ausreisefrist muss, wie sich aus den Erwägungsgründen 2, 6, 11 und 24 der Richtlinie 2008/115 sowie ihrem Art. 5 ergibt, gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, darunter der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, die nach dieser Richtlinie getroffene Entscheidung im Einzelfall verhältnismäßig sein und die Grundrechte der betreffenden Person gebührend berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 69).
92 
Nach Art. 7 Abs. 4 RFRL darf von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 60). Wie der Senat mit Beschluss vom 30. August 2016 (11 S 1660/16 - InfAuslR 2016, 421) ausgeführt hat, bedarf es hierzu nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einer individuellen Prüfung des Einzelfalls und kann nicht allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)haft befindet (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn. 70 ff.; vgl. zur Notwendigkeit der Einzelfallprüfung auch Urteil vom 21.03.2013 - C-522/11 - Mbaye - Rn. 31 f.; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 7 Rn. 14). Damit stellt der Gerichtshof vor allem sicher, dass die Verhängung (und Vollstreckung) etwa einer Haftstrafe allein wegen unerlaubter Einreise und unerlaubtem Aufenthalt nicht dazu führt, dass die zu Gunsten des Ausländers gewährten Garantien der Rückführungsrichtlinie keine Geltung mehr beanspruchen würden (Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 1 Rn. 25).
93 
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat allerdings Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 auch dahin ausgelegt, dass der Rückgriff auf die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, gar keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, keine erneute Prüfung der Kriterien erfordert, die bereits geprüft wurden, um das Bestehen dieser Gefahr festzustellen (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. - Rn. 73).
94 
Im vorliegenden Fall ist der Kläger aufgrund betrügerischer Vermögenskriminalität und Urkundenfälschung inhaftiert. Von ihm geht eine außerordentlich hohe Gefahr aus, dass er insoweit erneut straffällig wird. Die Ausländerbehörde hat unter Berücksichtigung der persönlichen und familiären Bindungen des Klägers und unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zurecht die Ausweisung des Klägers verfügt. Die für die Ausweisung maßgeblichen Gründe tragen zugleich die Annahme einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dies erschließt sich aus den Ausführungen oben unter I.
95 
Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL, Art. 3 Nr. 4 RFRL allein die Abschiebungsandrohung (vgl. etwa Urteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492 und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412; Beschlüsse vom 30.08.2016 - 11 S 1660/16 -, InfAuslR 2016, 421 und vom 19.12.2012 - 1 S 2303/12 -, InfAuslR 2013, 98; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 307 ) und nicht die Ausweisung (siehe etwa Urteile vom 30.04.2014 - 11 S 244/14 -, juris, vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris; vgl. auch Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 59 Rn. 292 ; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016 § 11 Rn. 15 ff.). Entscheidend ist jedoch, dass die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verfügung - hier die Ausweisung - und die Rückkehrentscheidung - hier die Abschiebungsandrohung - nach Art. 6 Abs. 6 RFRL im Rahmen einer Entscheidung ergehen dürfen. Unionsrechtlich muss lediglich sichergestellt werden, dass die Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie sie in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorausgesetzt wird, bereits an anderer Stelle unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls geprüft worden ist. Dies ist hier im Rahmen der Ausweisung geschehen. Die normative Regelung in § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG, von einer Fristsetzung abzusehen, ist hier unmittelbare Folge der Ausweisung.
96 
Es gibt im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte dafür, dass (Grund-)rechte des betroffenen Ausländers eine andere Entscheidung im Rahmen des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erforderlich machen könnten. Sofern dies (in anderen Fallkonstellationen) ggfs. zu erwägen wäre, kann dies durch die Anwendung des nationalen Rechts gewährleistet werden. Schon aus dem Wortlaut des Gesetzes („bedarf“) ist ersichtlich, dass die Setzung einer Ausreisefrist nicht durch die Norm untersagt ist, sondern vielmehr Raum für (unionsrechtlich) notwendige abweichende Entscheidung lässt (vgl. auch GK-AufenthG, § 59 Rn. 170 ff. ).
IV.)
97 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
98 
Soweit die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hinsichtlich Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 30. Januar 2016 zurückgewiesen worden ist, war die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsache (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, denn es ist bislang höchstrichterlich nicht geklärt, ob und ggfs. unter welchen Voraussetzungen die Abschiebung aus der Haft ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise auf der Grundlage des § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG mit der Rückführungsrichtlinie in Einklang steht.
99 
Im Übrigen liegen Gründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, nicht vor.
100 
Soweit die Revision zugelassen worden ist, gilt folgende
101 
Beschluss vom 29. März 2017
102 
Der Streitwert wird gemäß § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof auf 10.000 Euro festgesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom 25.05.2016 - 11 S 2480/15 -, juris).
103 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger kam nach Heirat einer türkischen Staatsangehörigen 1991 im Wege des Ehegattennachzugs nach Deutschland. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, eine 1993 geborene Tochter und ein 2002 geborener Sohn. 1996 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, die 2007 als Niederlassungserlaubnis in seinen Reisepass übertragen wurde.

3

2003 verlor der Kläger durch Konkurs des Arbeitgebers nach zwölf Jahren ununterbrochener Beschäftigung als Lagerarbeiter und Maschinenführer seinen Arbeitsplatz. Danach gelang es ihm nicht, erneut eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Im Mai 2003 wurde die Ehe geschieden. Nach einer Versöhnung lebte der Kläger vorübergehend wieder mit seiner Familie zusammen. Im Mai 2008 kam es zur endgültigen Trennung.

4

Dies führte beim Kläger zu psychischen Problemen. Er steigerte sich in die Vorstellung hinein, seine geschiedene Frau sei für sein Schicksal verantwortlich, kümmere sich nicht um die gemeinsamen Kinder und versuche, den Kontakt mit diesen zu verhindern. Diese Negativentwicklung gipfelte darin, dass er am 14. Dezember 2008 gegen 23.30 Uhr in die frühere Familienwohnung eindrang. Dabei führte er eine Rolle Klebeband, zwei Messer und einen Brief mit sich, in dem er ankündigte, sich und seine Kinder zu töten. In der Wohnung traf er auf seine Frau, schlug ihr mehrfach heftig ins Gesicht und drohte ihr mit der Tötung der Kinder. Durch das Eingreifen einer Freundin der Frau gelang es, die Situation bis zum Eintreffen der Polizei zu entspannen. Bei seiner Festnahme drohte der Kläger, seine frühere Ehefrau umzubringen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und mit Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 23. März 2009 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, die wegen der Gefahr neuer Straftaten zum Nachteil der Familie nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde.

5

Mit Bescheid vom 27. Juli 2009 wies das Regierungspräsidium Stuttgart den Kläger aus und drohte ihm die Abschiebung unmittelbar aus der Haft heraus in die Türkei an. Zur Begründung wurde ausgeführt, vom Kläger gehe eine massive Gefahr für die öffentliche Sicherheit aus. Seine unbefristete Ausweisung sei daher auch bei einer zu seinen Gunsten unterstellten Rechtsstellung nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 gerechtfertigt. Hiergegen erhob der Kläger Klage. Während des Klageverfahrens wurde die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe vom Landgericht Stuttgart im Dezember 2009 zur Bewährung ausgesetzt und der Kläger aus der Haft entlassen. Daraufhin setzte das Regierungspräsidium dem Kläger mit Bescheid vom 16. Dezember 2009 eine Ausreisefrist bis 17. Januar 2010. Diese Änderung wurde im Wege der Klageerweiterung in das Klageverfahren einbezogen.

6

Das Verwaltungsgericht hat der Klage mit Urteil vom 17. Dezember 2010 stattgegeben und die angegriffenen Bescheide aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat nach Ablehnung eines Antrags des Beklagten auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens dessen Berufung mit Urteil vom 9. August 2011 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Der Kläger besitze jedenfalls nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine assoziationsrechtliche Rechtsstellung. Er dürfe daher nach § 55 Abs. 1 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 ARB 1 /80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Dabei gelte entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts nicht ein differenzierter, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Maßgeblich sei allein der jeweilige Einzelfall, der eine umfassende Würdigung aller wesentlichen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Betroffenen erfordere. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe gehe vom Kläger gegenwärtig keine Wiederholungsgefahr aus. Der Einholung eines Gutachtens habe es nicht bedurft. Es lägen keine besonderen tat- oder persönlichkeitsbezogenen Umstände vor, aufgrund derer die Gefahrenprognose nicht ohne spezielle Sachkunde getroffen werden könne. Mehr als anderthalb Jahre nach der Strafaussetzung zur Bewährung und unter Berücksichtigung des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers sowie der recht spezifischen Umstände, die im Dezember 2008 zur Straftat geführt hätten, bestünden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger erneut vergleichbare Straftaten insbesondere zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau oder seiner Kinder begehen werde. Die vom Beklagten (hilfsweise) begehrte Aufhebung der Ausweisung mit Wirkung ex nunc - primär um ein Wiederaufleben der Niederlassungserlaubnis des Klägers zu verhindern - komme nicht in Betracht. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO lasse sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Auch § 84 Abs. 2 AufenthG sei zu dieser Frage keine klare Entscheidung zu entnehmen. Gegen eine zeitliche begrenzte Aufhebung der Ausweisungsverfügung sprächen vor allem die europa- und verfassungsrechtlichen Vorgaben, die für die Zeitpunktverschiebung im Ausweisungsrecht maßgebend gewesen seien, aber auch pragmatische Gründe, da das Gericht den genauen Stichtag - etwa des Wegfalls der Wiederholungsgefahr - regelmäßig nur schwer ermitteln könne. Möglich dürfte allein die Feststellung sein, dass die Ausweisung zu einem bestimmten Zeitpunkt rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. Insoweit könne der Ausländerbehörde eventuell mittels eines Feststellungsausspruchs analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO geholfen werden, der ggf. auch im Wege der Widerklage oder Anschlussberufung durchsetzbar sei. Einen solchen Antrag habe der Beklagte nicht gestellt. Da der Aufenthalt nicht beendet worden sei, fehle es auch an einem besonderen Feststellungsinteresse.

7

Der Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör wegen der Ablehnung seines Beweisantrags. Außerdem ist er der Auffassung, dass eine Ausweisung nach Wegfall der Wiederholungsgefahr im gerichtlichen Verfahren nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben werden dürfe.

8

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung, hilfsweise begehrt er eine Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. § 141 Satz 1 und § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist zulässig und begründet. Die Verfahrensrüge des Beklagten greift durch. Das Berufungsgericht hat den vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens unter Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) abgelehnt. Der Beweisantrag zielte auf die Aufklärung der Tatsache, ob der Kläger die psychische Situation und die Denk- und Wahrnehmungsmuster, die dem Verfassen des Abschiedsbriefs vom 14. Dezember 2008 und der abgeurteilten Straftat von demselben Tag zugrunde liegen, so weit überwunden hat, dass von ihm keine Gefahr weiterer vergleichbarer Straftaten gegen seine geschiedene Frau und seine Kinder mehr ausgeht. Da das Berufungsurteil auf diesem Verfahrensmangel beruht, ist es schon deshalb aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

10

1. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG es, dass das Gericht einem Beweisangebot nachgeht, wenn die unter Beweis gestellte Tatsachenbehauptung nach seinem Rechtsstandpunkt erheblich ist und die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots im Prozessrecht keine Stütze findet (stRspr, vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Januar 2001 - 1 BvR 2075/98 - NJW-RR 2001, 1006 m.w.N.).

11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Hinweis auf die eigene Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. Beschluss vom 27. Februar 2001 - BVerwG 1 B 206.00 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 46 m.w.N.). Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens ist hingegen verfahrensfehlerhaft, wenn das Gericht für sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es überzeugend darlegt, weshalb ihm die erforderliche Sachkunde zur Verfügung steht, oder wenn sonst seine Entscheidung auf mangelnde Sachkunde schließen lässt (Beschluss vom 24. November 1997 - BVerwG 1 B 224.97 - juris Rn. 6 m.w.N.).

12

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist weiter geklärt, dass bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers hinsichtlich der gebotenen Gefahrenprognose nicht allein auf das Strafurteil und die diesem zugrunde liegende Straftat, sondern auf die Gesamtpersönlichkeit abzustellen ist und dabei auch nachträgliche Entwicklungen einzubeziehen sind. Bei dieser Prognoseentscheidung bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Der Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (vgl. Beschlüsse vom 4. Mai 1990 - BVerwG 1 B 82.89 - Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 124 und vom 14. März 1997 - BVerwG 1 B 63.97 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 10 m.w.N.).

13

Von einem derartigen Sonderfall ist vorliegend auszugehen. Aufgrund der beim Kläger anlässlich der endgültigen Trennung von seiner geschiedenen Ehefrau aufgetretenen massiven psychischen Probleme, die letztlich zu der Tat vom Dezember 2008 und den ernst zu nehmenden Todesdrohungen gegen seine geschiedene Ehefrau und die gemeinsamen Kinder geführt haben, liegen Hinweise dafür vor, dass die Persönlichkeit des Klägers nicht allein auf der Grundlage allgemeiner Lebenserfahrung zutreffend beurteilt werden kann. Vielmehr bedarf es hierfür - ungeachtet des zwischenzeitlichen Verhaltens des Klägers - einer speziellen, einem Laien regelmäßig nicht zur Verfügung stehenden medizinischen Sachkunde. Dies gilt umso mehr, als die Hintergründe der Tat im Strafverfahren weitgehend im Dunkeln geblieben sind und der Kläger ausweislich der im Berufungsverfahren vorgelegten Bescheinigung der ihn behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie vom 28. Juli 2011 in den zehn seit seiner Entlassung durchgeführten therapeutischen Sitzungen wenig offen für das Aufarbeiten von Vergangenem war und - hierauf angesprochen - Gefühle von Kränkung und Wut zeigte.

14

Den Ausführungen des Berufungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass es selbst über die erforderliche Sachkunde für das Erfassen und Bewerten eines nach der Vorgeschichte nicht auszuschließenden psychisch krankhaften Verhaltens des Klägers verfügt. Insoweit kann es sich insbesondere nicht auf die ihm vorgelegte ärztliche Bescheinigung stützen. In dieser wird eine Anpassungsstörung mit gemischter Störung von Gefühlen und Sozialverhalten diagnostiziert. Zur Frage der (fortbestehenden) Gefährlichkeit des Klägers enthält die Bescheinigung keine abschließende Aussage, sondern nur den Hinweis, dass innerhalb der Behandlungsgespräche zu keinem Zeitpunkt selbst- oder fremdgefährdende Einstellungen oder Verhaltensweisen aufgefallen seien. Auch das unauffällige Verhalten des Klägers seit seiner Freilassung, die im Wesentlichen positiven Stellungnahmen der ihn betreuenden sozialen Einrichtungen und das Einhalten der Bewährungsauflagen, insbesondere das Beachten des Kontaktverbots zu seiner geschiedenen Ehefrau und den Kindern, ändern nichts daran, dass eine zuverlässige Würdigung der klägerischen Persönlichkeit im Rahmen der dem Gericht obliegenden Prognoseentscheidung nach den in der Vergangenheit gezeigten psychischen Auffälligkeiten einer besonderen Sachkunde bedarf. Damit findet die Ablehnung des Beweisantrags des Beklagten im Prozessrecht keine Stütze. Das Verfahren ist schon deshalb wegen Verstoßes gegen das Recht auf rechtliches Gehör an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

15

2. Für das erneute Berufungsverfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

16

2.1 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung und der vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren hilfsweise begehrten Befristung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts (stRspr, vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - Rn. 12 m.w.N.).

17

2.2 Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ANBA 1981, 4) - ARB 1/80 -. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger jedenfalls als türkischer Arbeitnehmer nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 3 ARB 1/80 ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht erworben hat. Dieses geht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - nicht durch eine ihrer Natur nach vorübergehende Abwesenheit vom Arbeitsmarkt, etwa infolge unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder Verbüßung einer Freiheitsstrafe, verloren (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - Rs. C-383/03, Dogan - Slg. 2005 I-6237 Rn. 19 und 22). Der Kläger kann daher nach Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Zur Bestimmung der Bedeutung und der Tragweite des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 hat der EuGH in der Vergangenheit auf die Richtlinie 64/221/EWG abgestellt. Nachdem diese Richtlinie inzwischen durch die Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie - aufgehoben wurde, gilt für assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nunmehr ein anderer unionsrechtlicher Bezugsrahmen. Dieser wird für einen Ausländer, der sich - wie der Kläger - seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Aufnahmemitgliedstaat aufhält, mangels günstigerer Vorschriften im Assoziationsrecht EWG-Türkei durch Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG - Daueraufenthaltsrichtlinie - gebildet, die eine Vorschrift zum Mindestschutz vor Ausweisungen von Drittstaatsangehörigen darstellt, die in einem Mitgliedstaat die Rechtsstellung von langfristig Aufenthaltsberechtigten besitzen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79; zu den Anforderungen an die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG vgl. auch Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 14 ff.).

18

Für die danach im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr gilt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die Kritik des Berufungsgerichts an diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab verkennt, dass jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Auch die den nationalen Gerichten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt, kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 16 m.w.N.).

19

In diesem Zusammenhang wird das Berufungsgericht, nachdem es sich die erforderliche Sachkunde für eine zuverlässige Beurteilung der klägerischen Persönlichkeit - durch Einholung des vom Beklagten beantragten fachpsychiatrischen Gutachtens oder auf andere Weise, etwa durch Anhörung der den Kläger behandelnden Ärztin - verschafft hat, zunächst zu klären haben, ob vom Kläger gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung ausgeht, weil schwere Straftaten zum Nachteil seiner geschiedenen Ehefrau und der gemeinsamen Kinder zu befürchten sind.

20

2.3 Sollte das Berufungsgericht hierbei zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, wäre die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankäme, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat.

21

Das Prozessrecht enthält zu der Frage, in welchem Umfang eine ursprünglich rechtmäßige, im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung aber wegen einer zwischenzeitlichen Änderung der Sach- oder Rechtslage rechtswidrig gewordene Ausweisung aufzuheben ist, keine verbindliche Regelung. Soweit es in § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO heißt, dass ein Verwaltungsakt aufzuheben ist, "soweit" er sich als rechtswidrig erweist, lässt diese Vorschrift sowohl eine Aufhebung ex tunc als auch ex nunc zu. Ob ein Verwaltungsakt aber in inhaltlicher oder auch in zeitlicher Hinsicht teilbar ist, ist eine Frage des jeweiligen materiellen Rechts. Diesem sind nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes zu entnehmen, sondern es bestimmt auch, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen bei einer gerichtlichen Überprüfung vorliegen müssen, und ob eine ursprünglich rechtmäßige, während des gerichtlichen Verfahrens aber rechtswidrig gewordene Verfügung "in der Zeit" teilbar ist.

22

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Aufenthaltsgesetz an die Ausweisung kraft Gesetzes bestimmte Rechtsfolgen knüpft. Diese sind nur teilweise - etwa das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot (§ 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) und die Titelerteilungssperre (§ 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG) - einer zeitlichen Limitierung zugänglich (vgl. insoweit auch die Befristungsmöglichkeit nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und die damit einhergehende Ausreisepflicht (§ 50 Abs. 1 AufenthG) können hingegen nach der gesetzlichen Konzeption nur durch eine auf den Erlasszeitpunkt rückwirkende Aufhebung beseitigt werden. Damit unterscheidet sich die Ausweisung in ihren Folgen von einem - auf der Zeitachse teilbaren - Dauerverwaltungsakt.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich die Möglichkeit einer Aufhebung mit Wirkung ex nunc auch nicht aus § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Danach tritt eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nicht ein, wenn der Verwaltungsakt durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Diese Vorschrift knüpft an die Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG an. Danach lassen Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit der Ausweisung und eines sonstigen Verwaltungsaktes, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt. Die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts entfällt folglich mit dem Erlass der Ausweisungsverfügung, ohne dass es auf deren vorläufige Vollziehbarkeit ankommt. § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG stellt klar, dass diese aufenthaltsrechtliche Folge nicht eintritt, wenn der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt nachträglich durch eine behördliche oder unanfechtbare gerichtliche Entscheidung aufgehoben wird. Die Vorschrift verhält sich indes nicht zu der hier entscheidungserheblichen Frage der Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit".

24

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ausdrücklich nur die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts anspricht. Das Aufenthaltsgesetz unterscheidet zwar grundsätzlich zwischen dem Besitz eines Aufenthaltstitels und der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts. Der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG, wonach im Falle einer späteren Aufhebung keine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts eintritt, kann aber nicht im Umkehrschluss entnommen werden, dass in Fällen, in denen der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendende Verwaltungsakt zugleich zum Erlöschen eines Aufenthaltstitels führt, dieser Aufenthaltstitel bei einer späteren Aufhebung des Verwaltungsakts nicht wieder auflebt. So geht selbst der Beklagte davon aus, dass eine von Anfang an rechtswidrige Ausweisung mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist und zu einem Wiederaufleben führt.

25

Auch den Gesetzesmaterialien zu § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG und der wortgleichen Vorgängerregelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 kann nicht entnommen werden, dass mit diesen Vorschriften die rechtlichen Konsequenzen einer Aufhebung ex nunc geregelt werden sollten. Die Regelung in § 72 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 stammt aus einer Zeit, als sich die Rechtmäßigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen im gerichtlichen Verfahren allein nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung richtete. Gleiches galt - von unionsrechtlichen Ausnahmen abgesehen - auch noch bei Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes Anfang 2005. Entsprechend findet sich in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum Ausländergesetz 1990 nur der allgemeine Hinweis, dass die "ex tunc-Wirkung" der Aufhebung gewährleiste, dass die Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beseitigt werde (BTDrucks 11/6321 S. 81). Auch in der Begründung zu § 84 AufenthG im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zuwanderungsgesetz wird lediglich darauf verwiesen, dass die Vorschrift § 72 AuslG entspreche (BTDrucks 15/420 S. 97).

26

Das Berufungsgericht ist daher zutreffend davon ausgegangen, dass mit der Regelung in § 84 Abs. 2 Satz 3 AufenthG lediglich klargestellt werden soll, dass im Falle einer Aufhebung ex tunc die alte Rechtsstellung in vollem Umfang wieder auflebt, der Betroffene also so stehen soll, als wenn die Ausweisung nie verfügt worden wäre. Dieses Verständnis der Vorschrift liegt im Übrigen auch der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 zugrunde (vgl. Nr. 84.2.3 der VwV-AufenthG).

27

Würde eine Ausweisung, die nur infolge einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage - etwa wegen Wegfalls der Wiederholungsgefahr -rechtswidrig ist, nicht ex tunc, sondern nur mit Wirkung ex nunc oder bezogen auf den Zeitpunkt, in dem die ursprünglich rechtmäßige Ausweisung rechtswidrig geworden ist, aufgehoben, bliebe es für die Vergangenheit bei einer wirksamen Ausweisung mit allen daran anknüpfenden gesetzlichen Folgen. Dies wäre mit Blick auf die titelvernichtende Wirkung der Ausweisung nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG und die daran anknüpfende gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 AufenthG problematisch. Denn diese gesetzlichen Folgen hängen allein vom wirksamen Erlass einer Ausweisungsverfügung ab (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Ein nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG kraft Gesetzes erloschener Aufenthaltstitel könnte daher bei einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung nicht wieder aufleben. Der Ausländer wäre weiterhin nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig. Einen neuen Aufenthaltstitel könnte er nur auf Antrag erhalten, falls er die rechtlichen Voraussetzungen hierfür erfüllt.

28

Mit Blick auf diese - im Fall einer nicht auf den Erlasszeitpunkt rückwirkenden Aufhebung fortbestehenden - gesetzlichen Rechtswirkungen der Ausweisung sprechen daher die gleichen Erwägungen, die den Senat in seinem Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - (BVerwGE 130, 20) bewogen haben, bei der gerichtlichen Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung zukünftig bei allen Ausländern einheitlich auf die Sach- oder Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, gegen eine Teilbarkeit der Ausweisung "in der Zeit". Damit ist eine Ausweisungsverfügung auch in Fällen, in denen die Ausweisung nur wegen einer nachträglichen Änderung der Sach- oder Rechtslage im für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblichen Zeitpunkt rechtswidrig geworden ist, ex nunc aufzuheben. Der Senat hat die generelle Zeitpunktverschiebung vor allem damit begründet, dass nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts zur Verhältnismäßigkeit von Ausweisungen im Hinblick auf einen möglichen Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art. 8 Abs. 1 EMRK und das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf eine möglichst aktuelle Tatsachengrundlage abzustellen ist und zudem der Kreis derjenigen Ausländer, die kraft Unionsrechts nur bei Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr ausgewiesen werden dürfen, durch dem Richtlinienumsetzungsgesetz 2007 zugrunde liegende EU-Richtlinien nochmals erweitert worden ist (Urteil vom 15. November 2007 a.a.O. Rn. 15 ff.). Das dabei verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, würde unterlaufen, wenn die Ausweisung bei einer entscheidungserheblichen nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Ausländers nicht rückwirkend aufgehoben und der dem Ausländer vor Erlass der Ausweisung zustehende Aufenthaltstitel nicht wieder aufleben würde. Denn in diesem Fall müsste der Streit über seinen weiteren Verbleib im Bundesgebiet im Rahmen eines neuen Aufenthaltserlaubnisverfahrens ausgetragen werden. Dass folglich auch eine im für die gerichtliche Überprüfung maßgeblichen Zeitpunkt mangels Wiederholungsgefahr rechtswidrige Ausweisung unabhängig von ihrer ursprünglichen Rechtmäßigkeit mit Wirkung ex tunc aufzuheben ist, ist daher letztlich eine weitere Konsequenz der Senatsrechtsprechung zur generellen Zeitpunktverlagerung. Diese verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen Art. 3 GG. Das mit der Rechtsprechung des Senats zur generellen Zeitpunktverschiebung verfolgte Ziel, in einem Verfahren auf aktueller Grundlage abschließend über die Aufenthaltsbeendigung zu entscheiden, dient vor allem dem Grundrechtsschutz des Ausländers und der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und beruht damit auf einer hinreichenden sachlichen Rechtfertigung.

29

2.4 Zur Klarstellung weist der Senat allerdings daraufhin, dass in Fällen, in denen die Ausweisung ursprünglich rechtmäßig war und nur aufgrund einer nachträglichen Änderung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig geworden ist, ihre Aufhebung mit Wirkung ex tunc nicht zur Folge hat, dass damit frühere Abschiebungsmaßnahmen zwangsläufig rechtswidrig sind und hierfür vom Ausländer oder einem gesetzlichen Haftungsschuldner keine Kosten erhoben werden können. Denn die rückwirkende Aufhebung einer Ausweisung wirkt sich nach nationalem Recht nicht auf frühere Vollstreckungsmaßnahmen aus, die zum damaligen Zeitpunkt rechtmäßig waren. Die Rechtmäßigkeit einer Abschiebung beurteilt sich vielmehr nach der zum Zeitpunkt ihrer Vollziehung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Ob dies auch in - wie vorliegend - unionsrechtlich geprägten Fallgestaltungen gilt oder ob hier - mit Blick auf die vom EuGH festgestellte Pflicht zur Berücksichtigung neuer Tatsachen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung - ausnahmsweise auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit bereits vollzogener Abschiebungsmaßnahmen und die Festsetzung von Abschiebungskosten etwas anderes gilt, bedarf keiner Entscheidung. Denn das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte weder einen Antrag auf Feststellung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung bezogen auf einen früheren Zeitpunkt gestellt hat noch ein besonderes Interesse an einer entsprechenden Feststellung besteht, da der Kläger nicht abgeschoben worden ist.

30

2.5 Sollte das Berufungsgericht nach fachkundiger Abklärung bei der Gefahrenprognose zu dem Ergebnis kommen, dass vom Kläger weiterhin eine Wiederholungsgefahr ausgeht und die Ausweisung auch im Übrigen rechtmäßig ist, wird es auch über den vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren gestellten Hilfsantrag zu entscheiden haben, mit dem dieser eine sofortige Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG begehrt (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Juli 2012 a.a.O. Rn. 27 ff.).

Gründe

1

Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit sie den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) genügt, ist sie unbegründet.

2

1. Die Beschwerde wendet sich zunächst mit Verfahrensrügen sowie der Grundsatzrüge gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, im Fall des Klägers reichten "Gründe der öffentlichen Ordnung" im Sinne von § 6 Abs. 1 FreizügG/EU für die Feststellung des Verlusts des Aufenthaltsrechts aus, während zutreffenderweise "zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit" im Sinne von § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erforderlich seien (Beschwerdebegründung S. 2 - 4). Unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers und der gerichtlichen Aufklärungspflicht sei das Gericht von einer Unterbrechung des mehr als zehn Jahre dauernden Aufenthalts des Klägers in Deutschland infolge der Verbüßung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe wegen Mordes ausgegangen.

3

Die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen führen mangels Erheblichkeit für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung nicht zur Revisionszulassung. Denn das Berufungsgericht stützt seine Entscheidung - trotz der aus seiner Sicht erfolgten rechtserheblichen Unterbrechung des maßgeblichen Zehn-Jahres-Zeitraums - darauf, dass selbst bei unterstellter Kontinuität des Aufenthalts die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU erfüllt seien, weil "angesichts des vom Kläger begangenen Mordes, der zu der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe geführt hat, mit Blick auf Strafmaß sowie Art und Schwere der Straftat und die von ihm ausgehende gegenwärtige Gefahr sogar zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Maßnahme vorliegen" (UA S. 23). Das Gericht prüft im weiteren Verlauf - entgegen der Darstellung der Beschwerde - auch keineswegs nur noch "Gründe der öffentlichen Ordnung", sondern schließt sich den Ausführungen des Verwaltungsgerichts an, dass der begangene Mord unter den Rechtsbegriff der öffentlichen Sicherheit nach Art. 28 Abs. 3 der Unionsbürger-Richtlinie bzw. nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU gefasst werden könne (UA S. 26). Auch bei Prüfung der Gegenwärtigkeit der vom Kläger ausgehenden Gefahr nach mittlerweile neunjährigem Strafvollzug bejaht das Gericht "nicht nur schwerwiegende, sondern sogar zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit für die Verlustfeststellung" (UA S. 31). Auch die Ermessensentscheidung des Beklagten misst es an den Maßstäben, die beachtet werden müssen, "wenn ein zwingender Grund der öffentlichen Sicherheit vorliegt" (UA S. 31 unten).

4

Damit kommt es für das Ergebnis der angefochtenen Entscheidung nicht darauf an, ob die Feststellungen zur Unterbrechung des Zehn-Jahres-Zeitraums verfahrensfehlerfrei ergangen sind oder sich hierzu Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen.

5

2. Die Beschwerde rügt des Weiteren, das Oberverwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft, namentlich unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers, eine Prognose zu der vom Kläger ausgehenden Gefahr angestellt (Beschwerdebegründung S. 4).

6

2.1 Fehlerhaft sei zunächst, dass das Gericht bei der Gefährdungsprognose allein auf das abgeurteilte Verhalten des Klägers abgestellt habe, hingegen die bereits erfolgte positive Entwicklung des Klägers während der Strafhaft nicht berücksichtigt habe (begonnene Ausbildung, erfolgreicher Drogenentzug) und auch nicht die zu erwartende weitere positive Entwicklung in der Haft, z.B. infolge der zukünftig vorgesehenen einzeltherapeutischen Aufarbeitung der Tat (Beschwerdebegründung S. 5 und 7). Auf derartige Umstände habe der Kläger hingewiesen, deswegen verletze das Vorgehen des Gerichts seinen Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Diese Rüge greift nicht durch.

7

Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Mit ihren Darlegungen zeigt die Beschwerde die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs jedoch nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich - und so auch hier - davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Die Gerichte brauchen sich dabei nicht mit jedem Vorbringen in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu Einzelheiten des Prozessstoffs allein kann noch nicht der Schluss gezogen werden, das Gericht habe diese nicht bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs kann daher nur dann festgestellt werden, wenn es sich aus den besonderen Umständen des Falles deutlich ergibt, dass das Gericht tatsächliches Vorbringen der Beteiligten nicht in Erwägung gezogen hat (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 24. Juli 2014 - 1 B 10.14 - unter Hinweis auf BVerfGE 54, 43 <46> juris Rn. 9). Solche besonderen Umstände zeigt die Beschwerde nicht auf.

8

Das angefochtene Urteil stellt bei seiner Gefährdungsprognose schon im Ausgangspunkt nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung ab, sondern darauf, dass die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (UA S. 26). Danach offenbaren die vom Kläger begangenen Straftaten, die seiner Verurteilung u.a. wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Jahr 2005 und wegen Mordes im Jahr 2008 zugrunde liegen, dass der Kläger schwerwiegende charakterliche Defizite und eine deutliche Neigung habe, vermeintliches, insbesondere von ihm als Angriff auf seine Ehre verstandenes Fehlverhalten anderer selbst zu bestrafen bzw. seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen (UA S. 27). Der begangene Mord aus niedrigen Beweggründen, u.a. die "Hinrichtung" durch drei aufgesetzte Schüsse, ließen ein außergewöhnlich hohes Maß an krimineller Energie und charakterlichen Mängeln erkennen (UA S. 28). Bei der aktuellen Gefährlichkeitsprognose bezieht das Gericht zudem die Entwicklung des Klägers während der mittlerweile neunjährigen Haft ein, zieht dazu die Vollzugspläne zweier Haftanstalten heran, würdigt die Kontakte zu seinen Töchtern und deren Mutter (UA S. 29), seine begonnene Ausbildung zum Koch (UA S. 30) und die Tatsache, dass er während seiner Haftzeit ausweislich der negativen Kontrollergebnisse keine Drogen mehr genommen hat (UA S. 28). Das Gericht hat diese vom Kläger vorgetragenen Umstände demnach zur Kenntnis genommen, allerdings anders gewertet als dies die Beschwerde für richtig hält. Daraus lässt sich ein Gehörsverstoß jedoch nicht ableiten. Kein Gehörsverstoß liegt auch darin, dass das Gericht ein gefahrbestärkendes Element darin sieht, dass der Kläger seine Mordtat bisher nicht erfolgreich therapeutisch aufgearbeitet hat, weil ihm die Möglichkeit einer solchen Therapie noch nicht eingeräumt wurde (UA S. 29). Denn das Gericht hat nur die Tatsache selbst berücksichtigt, dem Kläger aber keinen Vorwurf dahin gemacht, zu einer solchen Therapie nicht bereit zu sein.

9

2.2 Die Beschwerde rügt des Weiteren fehlende gerichtliche Aufklärungsmaßnahmen zu den zu erwartenden positiven Auswirkungen der Haft auf die Persönlichkeit des Klägers in der Zukunft. Dies verletze die gerichtliche Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts. Das Gericht habe aus eigener Kompetenz gar keine verlässliche Prognoseentscheidung treffen können; hierfür sei vielmehr der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragte Sachverständigenbeweis erforderlich gewesen, den das Gericht jedoch nicht erhoben habe (Beschwerdebegründung S. 6 lit. bb).

10

Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich jedoch keine Verletzung der dem Gericht nach § 86 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht. Das Berufungsgericht war insbesondere nicht zu einer Aufklärung dahin verpflichtet, welche Wirkungen auf den Kläger von einer zukünftigen therapeutischen Aufarbeitung der Straftaten zu erwarten seien (vgl. Beschwerdebegründung S. 5 unten). Vielmehr durfte das Gericht davon ausgehen, dass derartige zukünftige Entwicklungen nichts über die aktuelle vom Kläger ausgehende Gefährdung aussagen.

11

Das Gericht durfte auch die in der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2015 beantragte Beweiserhebung ablehnen. Dort hatte der Kläger die Einholung eines medizinisch-psychologischen oder eines psychologisch-kriminologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass er nach der Tatbegehung und nach der strafgerichtlichen Feststellung eine nachhaltige Verhaltens- und Einstellungsänderung vollzogen habe, die eine Abwendung vom kriminellen Milieu bedeute (1) und dass nunmehr keine erhöhte Wahrscheinlichkeit für die erneute Begehung schwerer Straftaten mehr bestehe (2). Das Oberverwaltungsgericht hat die Beweisanträge mit der Begründung abgelehnt, dass die Frage der Wiederholungsgefahr nach strafgerichtlichen Verurteilungen von den Gerichten grundsätzlich ohne Hinzuziehung von Sachverständigen beurteilt werden könne, da die Gerichte sich mit einer entsprechenden tatsächlichen Würdigung regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegten, die den Richtern allgemein zugänglich seien. Ergänzend wies der Vorsitzende darauf hin, dass das Gericht die vorliegenden Erkenntnisquellen insoweit für ausreichend halte (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung S. 3 f.).

12

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf die eigene Sachkunde - wie hier - verfahrensfehlerfrei ablehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 11). Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und ggf. angeben, woher es seine Sachkunde hat. Das ist hier erfolgt. Das Berufungsgericht ist dabei der Rechtsprechung des Senats gefolgt, wonach sich das Tatsachengericht bei der Gefahrenprognose im Fall der Ausweisung eines strafgerichtlich verurteilten Ausländers regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Danach bedarf es der Hinzuziehung eines Sachverständigen nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 12). Solche besonderen Umstände hat die Beschwerde nicht dargelegt.

13

3. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, inwieweit in der unterlassenen Aufklärung, welche Wirkungen aus fachkundiger Sicht im Fall einer zukünftigen therapeutischen Aufarbeitung erwartet werden können, eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - (BVerwGE 121, 297) liegen soll (vgl. Beschwerdebegründung S. 5 unten). Die Beschwerde stellt nicht - wie geboten - jeweils zur gleichen Rechtsvorschrift ergangene Rechtssätze des Berufungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts einander gegenüber (zu den Darlegungsanforderungen an eine Divergenzrüge vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 2013 - 1 B 22.12 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 66 Rn. 21). Sowohl aus dem fristgerecht eingegangenen Beschwerdevorbringen als auch aus dem Schriftsatz vom 9. September 2015 wird zudem nicht ersichtlich, dass insoweit gegenüber der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 11) erneuter rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht.

14

4. Auch aus den weiteren Darlegungen der Beschwerde zur mangelnden Berücksichtigung einer Alkohol- und Drogensucht des Klägers ergibt sich die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers nicht (Beschwerdebegründung S. 6 lit. cc). Die Beschwerde begründet ihre Rüge damit, das angefochtene Urteil stütze sich hinsichtlich des Einflusses des Alkohol- und Drogenmissbrauchs des Klägers auf die begangene Straftat auf Feststellungen aus dem Gutachten des Herrn Dr. G... aus dem Strafverfahren des Klägers. Das sei unzureichend, weil sich der Sachverständige nur mit der Frage der Schuldfähigkeit des Klägers aufgrund seines Alkohol- und Drogenmissbrauchs auseinandergesetzt habe. Das trifft nicht zu. Das Berufungsurteil leitet seine Feststellung, dass der begangene Mord nicht auf den Alkohol- und Drogenmissbrauch des Klägers zurückzuführen sei, vielmehr aus den Darlegungen des Landgerichts Saarbrücken in seinem Urteil vom 7. Februar 2007 zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Klägers bei der Begehung des Mordes ab, denen das Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr. R... zugrunde lag (UA S. 28). Auf das vom Kläger vorgelegte Gutachten des Dr. G... geht das Urteil nur insoweit ein, als es dieses nicht für geeignet hält, die als überzeugend befundenen Ausführungen des Strafgerichts durchgreifend in Frage zu stellen (UA S. 28). Daher fehlt es auch an hinreichenden Darlegungen für die hierzu zusätzlich geltend gemachte Aufklärungsrüge.

15

5. Weiter greift die Beschwerde die Begründung an, mit der das Oberverwaltungsgericht eine vom Kläger ausgehende Gefahr auch während der Verbüßung seiner Haftstrafe bejaht (Beschwerdebegründung S. 8 f. lit. a und b). So sei etwa die Feststellung des Gerichts rein spekulativ, der Kläger habe in der JVA im Rahmen seiner Ausbildung zum Koch Zugang zu Messern, so dass Übergriffe auf Mitgefangene möglich seien. Die fehlenden Feststellungen hierzu begründeten einen Verfahrensmangel. Ebenso spekulativ seien die Ausführungen des Gerichts, der Kläger könne aus Rache seinen Mittäter gefährden, und von ihm gehe im Fall von Vollzugslockerungen die Gefahr aus, aus Wut oder wegen Verletzung in seinem Ehrgefühl einen Menschen zu verletzen oder gar zu töten oder alte Rechnungen begleichen zu wollen.

16

Mit dieser Verfahrensrüge wendet sich die Beschwerde der Sache nach gegen die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Oberverwaltungsgerichts zur Gefahrenprognose. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Ein Verfahrensfehler kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts, abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2012 - 10 B 2.12 - juris m.w.N.). Einen solchen qualifizierten Mangel der Beweiswürdigung zeigt die Beschwerde jedoch nicht auf. Denn das Berufungsgericht tritt mit den von der Beschwerde genannten Argumenten zunächst nur der Auffassung des Klägers und des erstinstanzlichen Gerichts entgegen, eine Wiederholungsgefahr sei bereits deshalb ausgeschlossen, weil sich der Kläger in Haft befinde (UA S. 30). Ferner geht das Gericht nicht von der feststehenden Tatsache aus, dass der Kläger in der Anstaltsküche Zugang zu Messern hat, sondern erwähnt das nur beispielhaft mit dem Zusatz "gegebenenfalls" (UA S. 30). Im Übrigen wird aus den Darlegungen der Beschwerde nicht ersichtlich, aus welchen Gründen es eine grobe Verletzung der Grundsätze der Beweiswürdigung darstellen soll, wenn das Berufungsgericht aus der wiederholten Trennung des Klägers von seinem Mittäter O. in der Haft wegen dessen Furcht vor Übergriffen des Klägers gefolgert hat, dass auch bei Gefangenen Übergriffe von Mitgefangenen in der Haft nicht auszuschließen sind (UA S. 30). Entsprechendes gilt für die Ausführungen des Gerichts zu drohenden, vom Kläger ausgehenden Gefahren im Rahmen von Vollzugslockerungen (UA S. 30 f.). Eines Sachverständigengutachtens zur Gefahrenprognose bedarf es - entgegen des erneuten Vorbringens der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 9 lit. b) - aus den bereits oben dargelegten Gründen (Ziffer 2.2 dieses Beschlusses) nicht.

17

6. Die Beschwerde beruft sich weiter darauf (Beschwerdebegründung S. 9 lit. c), die Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts zu einer Gefährdung innerhalb der Haft begründeten eine Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - (BVerwGE 121, 297). Nach diesem Urteil ist für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr u.a. zu prüfen, ob eine (etwa erfolgte) Verbüßung der Strafe erwarten lässt, dass der Unionsbürger künftig keine die öffentliche Ordnung gefährdende Straftaten mehr begehen wird, und was sich ggf. aus einer (erfolgten) Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB) ergibt (a.a.O. S. 306). Folgte man hingegen der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts und unterstellte ohne konkrete Anhaltspunkte bereits eine Gefährdung während der Haft, ergäbe sich nach Auffassung der Beschwerde zwangsläufig, dass den Betroffenen die besagte Prüfung abgeschnitten würde.

18

Für die Darlegung einer Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO fehlt es schon an der Darlegung eines Rechtssatzes des Berufungsgerichts, mit dem es dem o.g. Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts widersprochen hat. Die Rüge einer lediglich fehlerhaften Anwendung eines Rechtssatzes des Bundesverwaltungsgerichts - wie hier - genügt hierfür nicht. Davon abgesehen wird aber auch eine fehlerhafte Anwendung im konkreten Fall nicht aufgezeigt. Denn die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehen sich auf die Notwendigkeit, die Folgen einer erfolgten Verbüßung einer Strafhaft und einer erfolgten Strafaussetzung zur Bewährung zu würdigen. Die von der Beschwerde beanstandeten Ausführungen des Berufungsgerichts beziehen sich aber auf die Gefahrenprognose während der Zeit der Haftverbüßung sowie auf Vollzugslockerungen.

19

7. Die Beschwerde sieht des Weiteren Bedarf für eine grundsätzliche Klärung zur "Frage einer bereits während der Haft bestehenden Gefährdungslage" (Beschwerdebegründung S. 10 oben). Sie ist der Auffassung, die Rechtfertigung des staatlichen Strafanspruchs und insbesondere der Resozialisierungsanspruch des Betroffenen müssten bei der Prognoseentscheidung berücksichtigt werden. Könnte man den Straftäter wegen einer bestehenden Gefährdungslage zu Beginn seiner Haft ausweisen und ihm sein Freizügigkeitsrecht absprechen, drohe die Gefahr, dass zukünftige positive Wirkungen des Strafvollzuges unberücksichtigt blieben. Die spezialpräventive Rechtfertigung des staatlichen Strafanspruchs würde ad absurdum geführt. Die Frage einer bereits während der Haft bestehenden Gefährdungslage sei bislang durch die Rechtsprechung - insbesondere des Bundesverwaltungsgerichts - noch nicht geklärt.

20

Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) setzt voraus, dass eine klärungsfähige und klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird. Eine solche lässt sich der Beschwerde nicht entnehmen. Denn sie formuliert keine präzise rechtliche Fragestellung, sondern weist lediglich auf bestimmte Probleme hin, die sich bei der Beurteilung der von einem Straftäter ausgehenden Gefährdung im Zeitpunkt der Verbüßung seiner Haft ergeben. Im Übrigen ist aber in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass es für die Verlustfeststellung des Rechts auf Einreise und Aufenthalt auf eine gegenwärtige und nicht auf eine zukünftige Gefährdung der öffentlichen Ordnung ankommt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). Das entspricht der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Rn. 77 bis 79). Die Voraussetzung einer gegenwärtigen Gefährdung muss danach grundsätzlich zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, zu dem die Ausweisung erfolgt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 79), hier also im Zeitpunkt der Haftverbüßung, auch wenn dann die Entwicklung des Klägers während der Gesamtdauer der Haft lediglich zu prognostizieren ist, weil sie noch ebenso wenig feststeht wie sein Verhalten im Rahmen etwaiger zukünftiger Vollzugslockerungen oder einer eventuellen Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung.

21

8. Kein rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedarf besteht für die von der Beschwerde aufgeworfene, hiermit im Zusammenhang stehende Frage, zu welchem Zeitpunkt die Ausländerbehörde überhaupt die Entscheidung über die Verlustfeststellung ermessensfehlerfrei treffen kann (Beschwerdebegründung S. 10 lit. a). Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es für die Rechtmäßigkeit einer ausländerbehördlichen Entscheidung über den Verlust des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers darauf an, ob der Betroffene eine gegenwärtige und schwer wiegende Gefahr für wichtige Rechtsgüter darstellt (Gefährdung der öffentlichen Ordnung) und das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das private Interesse am Verbleib des Unionsbürgers in Deutschland deutlich überwiegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <306>). Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung ausspricht, ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen "jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt" (vgl. Urteile vom 16. Januar 2014 - C-400/12 [ECLI:EU:C:2014:9], M.G. - Rn. 35 und vom 23. November 2010 - C-145/09 [ECLI:EU:C:2010:708], Tsakouridis - Rn. 32). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich zudem, dass der Gerichtshof keine Einwände gegen eine Verlustfeststellung nach Verbüßung von weniger als zwei Jahren einer auf insgesamt sechs Jahre und sechs Monate festgesetzten Haftstrafe erhoben hat (vgl. EuGH, Urteil vom 23. November 2010 - C-145/09 - Rn. 12 f.; ähnlich im Urteil vom 22. Mai 2012 - C-348/09 [ECLI:EU:C:2012:300], P.I. - Rn. 10 f.). Einer positiven Entwicklung des Unionsbürgers nach Erlass der Verlustfeststellung - etwa durch eine erfolgreiche Therapie während der Strafhaft - kann durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 - 1 C 18.14 - DVBl 2015, 780 Rn. 22 ff.).

22

9. Die Beschwerde sieht Verstöße gegen den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs darin, dass das Berufungsgericht bei der Überprüfung der lange Zeit vor Haftende getroffenen Ermessensentscheidung "die zu erwartenden positiven Auswirkungen des weiteren Strafvollzuges" nicht einbezogen habe (Beschwerdebegründung S. 11 lit. b) und im Fall der Vollstreckung der Verlustfeststellung später als zwei Jahre nach ihrem Erlass dann nach Art. 33 Abs. 2 Unionsbürger-Richtlinie erneut eine Überprüfung erfolgen müsse - allerdings ohne vorheriges rechtliches Gehör des Klägers (Beschwerdebegründung S. 11 f. lit. a).

23

Aus beiden Rügen ergibt sich keine Verletzung des klägerischen Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Denn bei der Prüfung, ob dem Berufungsgericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, ist von dessen materiellrechtlicher Rechtsauffassung auszugehen, auch wenn diese - wofür hier nichts ersichtlich ist (vgl. oben Ziffer 8) - verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 - 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 Rn. 17 m.w.N.). Nach dem für die Beurteilung eines Gehörsverstoßes maßgeblichen materiellrechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts, der eine Berücksichtigung etwaiger positiver Entwicklungen bei einer Entscheidung nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU gerade nicht abschneidet, kam es aber auf die von der Beschwerde genannten Umstände für das Berufungsurteil nicht an.

24

10. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

25

11. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn

1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind,
2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und
3.
die verurteilte Person einwilligt.
Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn

1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder
2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
und die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllt sind.

(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.

(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.

(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.

(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wird ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

(2) Bei der Abwägung nach Absatz 1 sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen.

(3) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt, darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

(3a) Ein Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder eines subsidiär Schutzberechtigten im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes genießt oder der einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis nach dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) besitzt, darf nur bei Vorliegen zwingender Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ausgewiesen werden.

(4) Ein Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, kann nur unter der Bedingung ausgewiesen werden, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes (§ 1 Absatz 1 Nummer 2 des Asylgesetzes) abgeschlossen wird. Von der Bedingung wird abgesehen, wenn

1.
ein Sachverhalt vorliegt, der nach Absatz 3a eine Ausweisung rechtfertigt oder
2.
eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

Tatbestand

1

Der 1973 geborene Kläger ist ghanaischer Staatsangehöriger. Er reiste 2007 ohne Visum erstmals nach Deutschland ein. Mit seiner 1987 geborenen ghanaischen Lebensgefährtin hat er zwei 2008 bzw. 2010 geborene Töchter, die ebenfalls ghanaische Staatsangehörige sind. Für beide Kinder übt er gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die elterliche Sorge aus. Seine Lebensgefährtin hat eine weitere Tochter (R.), die sowohl die ghanaische als auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, und für die sie allein personensorgeberechtigt ist; diese Tochter lebt ebenfalls im Haushalt des Klägers und seiner Lebensgefährtin. Die Lebensgefährtin ist in einer Teilzeitbeschäftigung erwerbstätig. Sie hat eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG, die gemeinsamen Töchter haben Aufenthaltstitel nach § 33 AufenthG.

2

Im Mai und Juli 2008 sowie im Juli 2010 beantragte der Kläger eine Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Töchtern. Auf eine von ihm erstattete Selbstanzeige wegen mehrfacher Einreise ohne Visum erging ein Strafbefehl, durch den eine Geldstrafe festgesetzt wurde. Durch Bescheid vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte die Anträge des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziff. 1), forderte ihn zur Ausreise auf (Ziff. 2) und drohte ihm für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise die Abschiebung nach Ghana an (Ziff. 3).

3

Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG, hilfsweise nach § 25 Abs. 5 AufenthG, abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung mit Urteil vom 18. April 2012 stattgegeben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG zu erteilen. Dies sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich. Zwischen dem Kläger und seinen Töchtern bestehe eine von Art. 6 GG geschützte Lebens- und Erziehungsgemeinschaft. Der Kläger übe die Personensorge tatsächlich aus und betreue die Kinder während der Abwesenheit ihrer Mutter allein. Diese Lebensgemeinschaft könne nur im Bundesgebiet fortgesetzt werden. Denn weitere, ebenso geschützte Gemeinschaften bestünden nicht nur zwischen den Töchtern des Klägers und ihrer Mutter, sondern auch zwischen dieser und ihrer Tochter R. Eine Aufenthaltsbeendigung des Klägers werde zwangsläufig die familiäre Gemeinschaft mit seinen Töchtern aufheben, sofern ihn jene nicht nach Ghana begleiteten. Dies werde jedoch die Aufhebung der Lebensgemeinschaft der gemeinsamen Töchter mit ihrer Mutter zur Folge haben, sollte diese mit ihrer Tochter R. im Bundesgebiet bleiben wollen. Sollte sie hingegen mit dem Kläger und den gemeinsamen Töchtern nach Ghana zurückkehren, müsse sie entweder die Lebensgemeinschaft mit R. aufgeben oder sie mitnehmen. Als deutsche Staatsangehörige besitze R. aber ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland. Selbst wenn die Annahme zutreffe, die Aufenthaltsbeendigung zu Lasten des Klägers verstoße nicht gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, stünden jedenfalls Art. 20 AEUV und die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) einer Aufenthaltsbeendigung entgegen. Der Anspruch des Klägers scheitere auch nicht am Fehlen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen. Hinsichtlich des § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (Sicherung des Lebensunterhalts) liege aus den genannten Gründen ein Ausnahmefall vor, der die Anwendung dieser nur im Regelfall geltenden Erteilungsvoraussetzung ausschließe. Durch seine mehrfache Einreise ohne Visum habe der Kläger zwar einen Ausweisungsgrund erfüllt, doch müsse von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG im vorliegenden Fall abgesehen werden. Schließlich sei dem Kläger auch nicht die nachträgliche Durchführung eines Visumverfahrens zuzumuten, weil dieses wegen der ablehnenden Haltung der Beklagten voraussichtlich sehr lange dauern werde (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 AufenthG).

4

Ihre rechtzeitig eingelegte Revision begründet die Beklagte damit, dass dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht zustehe. Es fehle an einer außergewöhnlichen Härte. Die familiäre Lebenshilfe, die der Kläger seinen beiden minderjährigen Kindern schulde, müsse nicht im Bundesgebiet erbracht werden, weil die Lebensgemeinschaft mit der Lebensgefährtin des Klägers sowie ihrer Tochter R. auch in Ghana fortgeführt werden könne. Zwar stehe dieser Tochter aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ein Aufenthaltsrecht für die Bundesrepublik zu. Sie dürfe aber auf Grund ihrer zweiten Staatsangehörigkeit auch nach Ghana einreisen, wo der familiären Lebensgemeinschaft ein vergleichbarer verfassungsrechtlicher Schutz zustehe wie in der Bundesrepublik Deutschland. Soweit sich das Berufungsgericht auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 20 AEUV stütze, verkenne es, dass der vorliegende Sachverhalt mit dem vom EuGH entschiedenen Fällen nicht vergleichbar sei.

5

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und hebt hervor, dass ein Härtefall im Sinne von § 36 Abs. 2 AufenthG nicht vorliege; der Gesetzgeber habe sich ausdrücklich gegen ein allgemeines Nachzugsrecht entschieden.

Entscheidungsgründe

6

Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Begründung des Berufungsgerichts für die Annahme, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich, verletzt durch die Wahl eines unzutreffenden Entscheidungsmaßstabs revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Da es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den für die Annahme einer außergewöhnlichen Härte maßgeblichen Umständen fehlt, kann der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit muss daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Deshalb bedarf es einer Entscheidung über den auch in der Revisionsinstanz angefallenen Hilfsantrag des Klägers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG derzeit nicht.

7

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der Verpflichtungsklage auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (stRspr, Urteil vom 7. April 2009 - BVerwG 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 = Buchholz 402.242 § 32 AufenthG Nr. 4 jeweils Rn. 10). Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind allerdings zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 = Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 9 jeweils Rn. 12 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union vom 17. Juni 2013 (BGBl I S. 1555), zu Grunde zu legen. Hierdurch hat sich die Rechtslage hinsichtlich der entscheidungserheblichen Bestimmungen im vorliegenden Fall aber nicht geändert.

8

1. Ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 AufenthG vorliegen, kann auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen nicht entschieden werden.

9

1.1 Das Aufenthaltsgesetz ist anwendbar. Es wird nicht durch das Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) verdrängt (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG), da dieses Gesetz auf den Kläger keine Anwendung findet. Nach § 1 FreizügG/EU regelt dieses Gesetz nur die Einreise und den Aufenthalt von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie, unter den Voraussetzungen der §§ 3 und 4 FreizügG/EU (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU), ihrer Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch kein Familienangehöriger eines Unionsbürgers, da er mit der ältesten Tochter seiner Lebensgefährtin nicht verwandt ist; außerdem wird ihm von ihr kein Unterhalt gewährt.

10

1.2 Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kann sonstigen Familienangehörigen eines Ausländers eine Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug erteilt werden, wenn dies zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist. Die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen (§ 5 AufenthG) müssen grundsätzlich ebenfalls vorliegen.

11

Das Aufenthaltsgesetz behandelt im sechsten Abschnitt des zweiten Kapitels den Aufenthalt von Ausländern in Deutschland aus familiären Gründen. Dabei regeln die §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG die Voraussetzungen für eine Familienzusammenführung zwischen Ehegatten, Eltern und Kindern und unterscheiden zusätzlich danach, ob das in Deutschland lebende Familienmitglied die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht. Demgegenüber erstreckt § 36 Abs. 2 AufenthG die Möglichkeit einer Familienzusammenführung zum Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG (vgl. § 27 Abs. 1 AufenthG) auch auf sonstige Familienangehörige, die von den vorgenannten Normen nicht erfasst werden; die Vorschrift ist auf sonstige Familienangehörige von Deutschen entsprechend anzuwenden (vgl. § 28 Abs. 4 AufenthG). Allerdings ist der Nachzug sonstiger Familiengehöriger auf Fälle einer außergewöhnlichen Härte, das heißt auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre.

12

Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann (Urteil vom 10. März 2011 - BVerwG 1 C 7.10 - Buchholz 402.242 § 7 AufenthG Nr. 5 Rn. 10; ebenso zur Vorgängervorschrift in § 22 AuslG: Beschluss vom 25. Juni 1997 - BVerwG 1 B 236.96 - Buchholz 402.240 § 22 AuslG 1990 Nr. 4). Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - InfAuslR 2013, 331 Rn. 23).

13

Die spezifische Angewiesenheit auf familiäre Hilfe in Deutschland als Voraussetzung für den Nachzug sonstiger Familienangehöriger stellt eine höhere Hürde dar als die in den §§ 28 bis 30, 32, 33 und 36 Abs. 1 AufenthG geregelten Voraussetzungen für den Nachzug von Kindern, Eltern oder Ehegatten, weil sie eine gesonderte Begründung dafür verlangt, dass die Herstellung der Familieneinheit außerhalb der Bundesrepublik Deutschland unzumutbar wäre (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 10.12 - juris Rn. 37 - 39). Dies folgt im Übrigen auch aus dem Umstand, dass bei dem Ehegatten- und Kindernachzug (§ 30 Abs. 2 und § 31 Abs. 2 bzw. § 32 Abs. 4 AufenthG) die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis in Fällen, in denen die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Norm nicht erfüllt sind, schon zur Vermeidung einer besonderen Härte, also bei drohender erheblicher Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG), in Betracht kommt. Das Berufungsgericht hat den Prüfungsmaßstab des § 36 Abs. 2 AufenthG verfehlt, indem es eine außergewöhnliche Härte schon angenommen hat, wenn die Umstände des Einzelfalles eine im Vergleich zum Nachzug von Eltern, Kindern oder Ehegatten nur vergleichbare Dringlichkeit im Sinne einer besonderen Härte begründen.

14

1.3 Der Kläger ist im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sonstiger Familienangehöriger seiner leiblichen Töchter A. B. und T., denn er ist als nicht mit der Mutter der Kinder verheirateter Vater keinem der sonst in Betracht kommenden Tatbestände des Familiennachzugs zuzuordnen. Der Senat kann jedoch nicht abschließend entscheiden, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem zuvor benannten Entscheidungsmaßstab zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich ist, da notwendige Feststellungen zu den relevanten Umständen des Einzelfalles fehlen. Zwar sind die Kinder A. B. und T. auf Grund ihres Alters von zwei bzw. vier Jahren außerstande, ein eigenständiges Leben zu führen; sie bedürfen vielmehr als Kleinkinder ständiger Pflege und Betreuung und deshalb der Einbindung in die familiäre Lebensgemeinschaft. Ob allerdings diese familiäre Lebenshilfe für A. B. und T. in zumutbarer Weise nur in Deutschland geleistet werden kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sich eine Fortführung der Familiengemeinschaft außerhalb Deutschlands voraussichtlich auf das Kind R. auswirken würde. Dies ergibt sich aus Folgendem:

15

Art. 6 Abs. 1 und 2 GG gewährt keinen unmittelbaren Aufenthaltsanspruch, verpflichtet die Ausländerbehörden jedoch, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, umfassend zu berücksichtigen. Die Pflicht des Staates zum Schutz der Familie drängt einwanderungspolitische Belange erst dann zurück, wenn die gelebte Familiengemeinschaft nur in der Bundesrepublik Deutschland stattfinden kann, etwa weil besondere Umstände demjenigen Mitglied dieser Gemeinschaft, zu dem der Ausländer eine außergewöhnlich enge Beziehung hat, ein Verlassen des Bundesgebiets unzumutbar machen. Handelt es sich bei diesem Mitglied der Familiengemeinschaft um ein Kind, so ist maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen (BVerfG, Beschlüsse vom 18. April 1989 - 2 BvR 1169/84 - BVerfGE 80, 81 <93>, vom 12. Mai 1987 - 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 - BVerfGE 76, 1 <46 ff.>, vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - AuAS 2013, 160, vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 und vom 23. Januar 2006 - 2 BvR 1935/05 - InfAuslR 2006, 320). Die Besonderheiten, die sich aus einer als "Patchwork-Familie" bezeichneten familiären Konstellation ergeben, müssen sorgfältig ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht berücksichtigt werden. Auch die außerhalb der "Patchwork-Familie" stehenden leiblichen Elternteile der minderjährigen Familienangehörigen sind in die Betrachtung einzubeziehen.

16

Nach diesem Maßstab wäre es dem Kläger und seinen leiblichen Töchtern A. B. und T. sowie deren Mutter, der Lebensgefährtin des Klägers, bei isolierter Betrachtung ohne Berücksichtigung des Kindes R. zumutbar, die zwischen ihnen bestehende familiäre Lebensgemeinschaft außerhalb Deutschlands weiterzuführen. Sie besitzen ausschließlich die ghanaische Staatsangehörigkeit; besondere Umstände, die eine Verwurzelung in Deutschland nahe legen würden (Art. 8 EMRK), sind nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Verfahren weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich. Im Hinblick auf das Alter der Kinder von nur zwei bzw. vier Jahren bestand für das Berufungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung insofern auch kein Anlass zu weiterer Aufklärung. Ob dies im Zeitpunkt der erneuten Verhandlung und Entscheidung nach Zurückverweisung noch in gleicher Weise zutrifft, kann offenbleiben.

17

In den durch Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK gewährleisteten Schutz der gelebten Familiengemeinschaft, der der Kläger angehört, ist nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts jedoch auch die älteste Tochter der Lebensgefährtin des Klägers, die im Jahre 2006 geborene R., einbezogen. Aus diesem Grunde müssen die Auswirkungen einer Ausreise des Klägers, seiner leiblichen Töchter und seiner Lebensgefährtin auf R. berücksichtigt werden. Zwar ist sie, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, als deutsche Staatsangehörige vor behördlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen geschützt. Aus ihrer deutschen Staatsangehörigkeit folgt für sich genommen allerdings nicht, dass ihr eine Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland ohne Hinzutreten besonderer Umstände stets unzumutbar wäre. Dasselbe gilt auch für den durch Art. 8 EMRK vermittelten Schutz (vgl. Urteil vom 13. Juni 2013 - BVerwG 10 C 16.12 - juris Rn. 22 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR). Ob ein Fall der Unzumutbarkeit vorliegt, hängt vielmehr davon ab, welche Folgen eine - ggf. bis zur Volljährigkeit andauernde, aber jedenfalls vorübergehende - Fortführung der Familiengemeinschaft mit ihrer Mutter, ihren Halbschwestern und dem Kläger im Ausland für sie hätte, ob und ggf. welche Alternativen denkbar wären (stRspr, BVerfG, Beschlüsse vom 10. Mai 2008 a.a.O. und vom 1. Dezember 2008 - 2 BvR 1830/08 - BVerfGK 14, 458 Rn. 27) und wie sich ein derartiger Aufenthalt im Ausland ggf. auf ihre - rechtlich gesicherte - Möglichkeit einer späteren Rückkehr und Reintegration in Deutschland auswirken würde (Urteil vom 13. Juni 2013 a.a.O. Rn. 27).

18

Sollte sich aus derartigen Umständen - die bisher nicht hinreichend aufgeklärt sind - ergeben, dass R. die Fortführung der familiären Gemeinschaft außerhalb Deutschlands nicht zuzumuten ist, spräche Überwiegendes dafür, dass der Kläger zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte einen Aufenthaltstitel beanspruchen könnte. Denn auch wenn der Kläger mit R. nicht verwandt ist und auch sonst in keiner rechtlichen Beziehung zu ihr steht, so steht die Beziehung R.s zu ihrer leiblichen Mutter - der Lebensgefährtin des Klägers, die zudem das alleinige Sorgerecht für sie ausübt - ebenso unter dem rechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG wie die Beziehung der Lebensgefährtin des Klägers zu den gemeinsamen Kindern A. B. und T. Eine behördlich verfügte Aufenthaltsbeendigung des Klägers würde je nachdem, welche Entscheidung der Kläger und seine Lebensgefährtin über den Verbleib der übrigen Mitglieder der "Patchwork-Familie" treffen, dazu führen, dass entweder R. die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit der Familiengemeinschaft verlassen würde oder dass verfassungsrechtlich geschützte familiäre Bindungen zwischen den Mitgliedern der "Patchwork-Familie" beeinträchtigt oder zerstört würden. Die sich hieraus ergebenden konkreten Folgen für das Kind R. sind im Verfahren bisher weder unter dem Aspekt des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG noch unter demjenigen des Art. 8 EMRK hinreichend ermittelt worden, so dass die Frage, ob die Verweigerung eines Aufenthaltstitels zu Lasten des Klägers eine Handlungsmöglichkeit offenlässt, in der R. die Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft im Ausland zumutbar wäre, nicht beantwortet werden kann.

19

1.4 Das Berufungsgericht wird daher aufzuklären haben, ob es besondere Umstände gibt, die einen Verbleib des Kindes R. in Deutschland als einzige dem Kind zumutbare Alternative erscheinen lassen. Derartige Umstände können sich etwa aus dem Verhältnis R.s zu ihrem leiblichen Vater ergeben, insbesondere dann, wenn zwischen ihnen bereits bestehende oder gewünschte Kontakte durch die Fortführung der Familiengemeinschaft im Ausland unmöglich gemacht würden. Auch wenn bisher derartige Umstände im Verfahren nicht deutlich zu Tage getreten sind, drängt sich eine weitere Aufklärung im Hinblick auf das Recht eines Kindes auf Umgang mit beiden Eltern auf. Aufzuklären ist auch, ob die Lebensumstände in Deutschland dazu führen können, dass R. eine Beendigung ihres Aufenthalts nicht verarbeiten könnte, ohne Schaden zu nehmen. Ob dies der Fall sein kann, dürfte auch davon abhängen, wie sich ihre Lebensumstände bei einer Verlagerung der Familieneinheit nach Ghana voraussichtlich darstellen würden. Weiter wird eine Prognose darüber zu treffen sein, ob durch einen Umzug der Familie nach Ghana die ihr auf Grund ihrer Staatsangehörigkeit zustehende Rückkehrmöglichkeit beeinträchtigt oder gar entwertet würde, etwa durch eine Erschwerung der Reintegration aus sprachlichen Gründen oder als Folge einer Sozialisation in Ghana. Schließlich muss geprüft werden, ob es Alternativen zu einer Fortführung der familiären Lebensgemeinschaft aller Mitglieder der "Patchwork-Familie" im Ausland gibt. In diesem Zusammenhang dürfte es darauf ankommen, wie das Verhältnis des Kindes R. zum Kläger, zu ihrem leiblichen Vater, ihren Halbgeschwistern und ihrer Mutter zu bewerten ist. Maßgeblicher Bezugspunkt für diese Prüfung wird der Zeitpunkt der erneuten Entscheidung des Berufungsgerichts sein.

20

1.5 Ohne weitere Sachaufklärung lässt sich auch die Frage nicht beantworten, ob die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gegeben sind oder nicht.

21

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, dass der Lebensunterhalt des Klägers ohne Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen nicht gesichert ist (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG); zudem liegt der Ausweisungsgrund der mehrfachen illegalen Einreise (§ 5 Abs. 1 Nr. 2, § 95 Abs. 1 Nr. 3, § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) vor; schließlich ist der Kläger ohne Visum eingereist (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG).

22

1.5.1 Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraus, dass der Lebensunterhalt gesichert ist; dies gilt allerdings nicht in atypischen Ausnahmefällen. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß davon ausgegangen, dass ein solcher Ausnahmefall anzunehmen ist, wenn sich ergeben sollte, dass die Verweigerung eines Aufenthaltstitels eine außergewöhnliche Härte im Sinne des § 36 Abs. 2 AufenthG darstellt, weil die Fortführung der Familieneinheit im Ausland unzumutbar wäre und deshalb eine Verletzung von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK anzunehmen wäre. Ob dies der Fall ist, kann jedoch - wie ausgeführt - erst nach Aufklärung der vorgenannten maßgeblichen Umstände beantwortet werden.

23

1.5.2 Ebenfalls ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass im vorliegenden Fall das Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht entgegensteht. Nach dieser Vorschrift darf in der Regel kein Ausweisungsgrund vorliegen. Zwar verstößt die mehrfache Einreise des Klägers ohne Aufenthaltstitel gegen § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG und stellt zugleich eine Straftat (§ 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) und damit einen Ausweisungsgrund (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) dar. Im vorliegenden Fall spricht jedoch Überwiegendes dafür, dass gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 AufenthG im Ermessenswege von dieser Erteilungsvoraussetzung abgesehen werden muss. Denn die eingetretene Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist im Hinblick auf den Zweck seiner Einreise, seine nachfolgende Selbstanzeige und die inzwischen erteilte Duldung von geringem Gewicht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Mai 2008 - 2 BvR 588/08 - InfAuslR 2008, 347 a.E.). Einer weiteren Sachaufklärung bedarf es hierzu nicht.

24

1.5.3 Ob schließlich der Umstand, dass der Kläger ohne das erforderliche Visum eingereist ist, einem Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegensteht, kann erst nach weiterer Sachaufklärung entschieden werden. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist. Von diesem Erfordernis kann etwa dann abgesehen werden, wenn es auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles unzumutbar ist, das Visumverfahren nachzuholen.

25

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines solchen Falles ohne hinreichend breite Tatsachengrundlage damit begründet, dass von einer langen Dauer des nachzuholenden Visumverfahrens auszugehen sei, weil der Kläger voraussichtlich den Rechtsweg gegen eine zunächst ablehnende Entscheidung werde beschreiten müssen. Mit dieser Begründung geht das Berufungsgericht zu Unrecht von der Annahme aus, die zuständige Behörde werde trotz einer gerichtlichen Entscheidung, in der ein Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 36 Abs. 2 AufenthG grundsätzlich bejaht wird, durch Verweigerung des Visums rechtswidrig handeln; zudem hat es versäumt, die Möglichkeit effektiven Rechtsschutzes durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO in seine Prognose einzubeziehen (vgl. Urteil vom 18. April 2013 - BVerwG 10 C 9.12 - InfAuslR 2013, 331 Rn. 22).

26

Für die im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG anzustellende Prognose muss vielmehr konkret ermittelt werden, wie lange der familiären Gemeinschaft des Klägers, seiner Lebensgefährtin und der drei Kinder eine Abwesenheit des Klägers zugemutet werden kann. Hierfür kommt es insbesondere darauf an, wie lange ein Visumverfahren bei korrekter Sachbehandlung und ggf. unter Zuhilfenahme einstweiligen Rechtsschutzes voraussichtlich dauern würde und welche Auswirkungen eine vorübergehende Ausreise des Klägers für die Familie hätte, insbesondere, ob die noch sehr kleinen Kinder auch durch eine verfahrensbedingte Abwesenheit des Klägers von nur wenigen Monaten emotional unzumutbar belastet würden. Die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen sind bisher nicht getroffen worden.

27

2. Sollte das Berufungsgericht auf der Grundlage der noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen eine negative Entscheidung über einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG treffen, wird diese Entscheidung am Recht der Europäischen Union zu messen sein.

28

2.1 Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (Unionsbürgerrichtlinie) ist auf den Kläger nicht anwendbar. Sie regelt die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten wahrnehmen können, das Recht dieser Personen auf Daueraufenthalt sowie die Beschränkung dieser Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit und gilt für jeden Unionsbürger, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, sowie seine Familienangehörigen. Der Kläger ist jedoch nicht Familienangehöriger im Sinne der Richtlinie, da er mit dem Kind deutscher Staatsangehörigkeit R. nicht verwandt ist; zudem hat diese von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht und gewährt dem Kläger keinen Unterhalt.

29

Auch die Richtlinie 2003/86/EG des Rates (Familienzusammenführungsrichtlinie) findet keine Anwendung. Zwar sind die Lebensgefährtin des Klägers und seine leiblichen Kinder Drittstaatsangehörige, so dass sie grundsätzlich als Zusammenführende in Betracht kämen. Doch der Kläger zählt nicht zum Kreis der Nachzugsberechtigten, weil er nicht der Ehegatte seiner Lebensgefährtin ist (vgl. Art. 4 Abs. 1a der Richtlinie); die Optionen für den Nachzug nichtehelicher Partner und von Verwandten in gerader aufsteigender Linie, denen von den zusammenführenden Familienangehörigen Unterhalt gewährt wird (vgl. Art. 4 Abs. 2a und Abs. 3 der Richtlinie) sind im deutschen Aufenthaltsrecht nicht genutzt worden.

30

2.2 Als unionsrechtlicher Maßstab kommen im vorliegenden Falle vielmehr allein Art. 20 und 21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in Betracht.

31

Art. 20 Abs. 1 AEUV verleiht jeder Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt, den Status eines Unionsbürgers. Dieser umfasst nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2a, Art. 21 AEUV das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht dieser grundlegende Status der Unionsbürger nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Dies gilt auch für minderjährige Unionsbürger. Solange sie sich in einer Situation befinden, die durch eine rechtliche, wirtschaftliche oder affektive Abhängigkeit von Drittstaatsangehörigen bestimmt ist, darf auch durch - insbesondere aufenthaltsrechtliche - Maßnahmen gegen diese nicht bewirkt werden, dass sich der minderjährige Unionsbürger rechtlich oder faktisch gezwungen sieht, das Unionsgebiet zu verlassen. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob sich die Maßnahme nur gegen einen Elternteil oder gegen beide Eltern des Unionsbürgers oder gegen andere Bezugspersonen richtet. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Unionsbürger sein Freizügigkeitsrecht bereits ausgeübt hat oder nicht. Allerdings reicht der bloße Wunsch, die Familiengemeinschaft mit allen Familienangehörigen im Unionsgebiet aufrecht zu erhalten, nicht aus. Verhindert werden soll nämlich eine Situation, in der der Unionsbürger für sich keine andere Wahl sieht als einem Drittstaatsangehörigen, von dem er rechtlich, wirtschaftlich oder affektiv vollkommen abhängig ist, bei der Ausreise zu folgen bzw. sich zu ihm ins Ausland zu begeben und deshalb das Unionsgebiet zu verlassen. Lebt er hingegen mit einem sorgeberechtigten Drittstaatsangehörigen zusammen, der über ein Daueraufenthaltsrecht verfügt und eine Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit hat, so spricht dies dagegen, dass eine aufenthaltsrechtliche Maßnahme gegen einen anderen Drittstaatsangehörigen einen unionsrechtswidrigen Zwang zur Ausreise auslösen könnte (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - Rs. C-200/02, Zhu und Chen - Slg. 2004, I-9925 Rn. 25 ff.; vom 8. März 2011 - Rs. C-34/09, Zambrano - Slg. 2011, I-1177 Rn. 41 ff.; vom 5. Mai 2011 - Rs. C-434/09, McCarthy - Slg. 2011, I-3375 Rn. 44 ff.; vom 15. November 2011 - Rs. C-256/11, Dereci - NVwZ 2012, 97 Rn. 59 - 69; vom 8. November 2012 - Rs. C-40/11, Iida - NVwZ 2013, 357 Rn. 66 ff.; vom 6. Dezember 2012 - Rs. C-356/11, O. und S. - NVwZ 2013, 419 Rn. 52 ff. mit dem Hinweis auf Rn. 44 der Anträge des Generalanwalts in dieser Sache und vom 8. Mai 2013 - Rs. C-87/12, Ymeraga - InfAuslR 2013, 259 Rn. 34 ff.).

32

Nach diesen Grundsätzen muss sich jede nationale Maßnahme eines Mitgliedstaats gegen drittstaatsangehörige Bezugspersonen minderjähriger Unionsbürger an dem Verbot messen lassen, einen rechtlichen oder faktischen Zwang zum Verlassen des Unionsgebiets auszulösen und die Unionsbürgerschaft dadurch ihrer praktischen Wirksamkeit zu berauben. Die Berufung auf Art. 20 und 21 AEUV ist allerdings auf seltene Ausnahmefälle beschränkt (EuGH, Urteil vom 8. November 2012 a.a.O. Rn. 71). Zu prüfen sind jeweils alle Umstände des konkreten Falles (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 53). Ob eine nationale Maßnahme den Kernbestand der Unionsbürgerschaft in diesem Sinne beeinträchtigt, hat das mitgliedstaatliche Gericht zu entscheiden.

33

Lebt der schutzbedürftige minderjährige Unionsbürger in einer "Patchwork-Familie", so sind die sich aus den Besonderheiten dieser familiären Lebensgemeinschaft ergebenden Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. Dabei kommt es allerdings nicht darauf an, ob zwischen dem Drittstaatsangehörigen, für den das Aufenthaltsrecht beantragt wird, und dem minderjährigen Unionsbürger eine biologische Beziehung besteht; maßgeblich ist vielmehr, ob der Unionsbürger von dem Drittstaatsangehörigen in finanzieller, rechtlicher oder affektiver Hinsicht im vorerwähnten Sinne abhängig ist. Auch ist es von erheblicher Bedeutung, ob ein faktischer Zwang zur Ausreise den minderjährigen Unionsbürger an der Fortführung eines bestehenden Kontakts zu einem leiblichen Vater oder einer leiblichen Mutter hindert, der bzw. die außerhalb der "Patchwork-Familie" lebt. Schließlich ist zu berücksichtigten, wer das Sorgerecht für den minderjährigen Unionsbürger innehat und ausübt (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 a.a.O. Rn. 51, 55).

34

2.3 Diese Grundsätze sind auf den vorliegenden Fall anwendbar. Ob allerdings die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG gegenüber dem Kläger unionsrechtlichen Anforderungen genügen würde, kann ohne eine im Falle einer derartigen Entscheidung zu § 36 Abs. 2 AufenthG erforderlich werdenden weiteren Sachaufklärung nicht entschieden werden.

35

Das Berufungsgericht hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass unabhängig von der Annahme eines außergewöhnlichen Härtefalls im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ein Anspruch des Klägers auf einen Aufenthaltstitel jedenfalls aus Art. 20 AEUV folge, weil die Verweigerung eines Aufenthaltstitels dazu führen werde, dass sowohl seine Lebensgefährtin als auch ihre älteste Tochter R. Deutschland verlassen würden. Diese Annahme beruht auf einem Entscheidungsmaßstab, der der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH nicht entspricht. Denn das Berufungsgericht lässt außer Acht, dass R.s Mutter - die Lebensgefährtin des Klägers - über ein Aufenthaltsrecht verfügt, das wegen seiner Bindung an die Minderjährigkeit R.s einem Daueraufenthaltsrecht gleichkommt und dass bereits dieser Umstand der Annahme eines unionsrechtswidrigen faktischen Zwangs zum Verlassen des Unionsgebiets entgegensteht. Gegen einen solchen Zwang spricht auch, dass die Lebensgefährtin des Klägers das alleinige Sorgerecht für R. innehat, so dass diese jedenfalls nicht in einem rechtlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger steht. Schließlich hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Lebensgefährtin des Klägers - nicht aber dieser selbst - durch Erwerbstätigkeit zum Unterhalt der Familiengemeinschaft beiträgt, so dass auch nichts für eine wirtschaftliche Abhängigkeit R.s vom Kläger spricht; Unterhaltspflichten hat er ihr gegenüber nicht.

36

Ob die übrigen nach der vorzitierten Rechtsprechung des EuGH maßgeblichen Kriterien gegeben sind oder nicht, lässt sich ohne zusätzliche Sachverhaltsaufklärung allerdings nicht feststellen. Insbesondere liegen keine aussagekräftigen Feststellungen dazu vor, ob zwischen R. und dem Kläger ein affektives Abhängigkeitsverhältnis besteht, dessen Intensität trotz der festgestellten Umstände - insbesondere der wirtschaftlichen, rechtlichen und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch affektiven Bindung R.s an ihre Mutter - für das Vorliegen eines unionsrechtswidrigen Zwangs zum Verlassen des Unionsgebiets sprechen könnte. Hinreichende Feststellungen fehlen auch zu der weiteren Frage, ob eine emotionale Beziehung zwischen R. und ihrem leiblichen Vater festgestellt werden kann, die eine möglicherweise bestehende affektive Abhängigkeit R.s vom Kläger relativieren würde. Erst wenn diese Aspekte hinreichend geklärt sind, kann ggf. entschieden werden, ob die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts gegenüber dem Kläger mit Art. 20 AEUV und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH im Einklang stünde.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - ist unwirksam, soweit damit Ziffer 2 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10. Juni 2010 aufgehoben worden ist.

Im Übrigen wird auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14. Februar 2011 - 11 K 2424/10 - geändert. Die Klage gegen Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10. Juni 2010 wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung sowie gegen eine ihm auferlegte räumliche Aufenthaltsbeschränkung und eine Meldeauflage.
Der am ... in .../Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste am 19.12.1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung trug er unter anderem vor, er und seine Ehefrau hätten in der Türkei die PKK unterstützt. So hätten sie z.B. Uniformen gewaschen und den Guerillas ab und zu Lebensmittel gegeben. Sie seien deshalb verfolgt worden. Auf die vom Kläger gegen den seinen Asylantrag ablehnenden Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge – heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – (im Folgenden: Bundesamt) vom 21.03.1996 erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 01.07.1998 die Bundesrepublik Deutschland festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. In der Folge erhielt der Kläger befristete Aufenthaltsbefugnisse bzw. Aufenthaltserlaubnisse, erstmals zum 01.09.1998. Zuletzt wurde ihm am 13.09.2006 eine bis zum 12.09.2007 geltende Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.
Der Kläger ist mit der am ... geborenen M... A..., geb. G..., verheiratet. Sie haben sieben gemeinsame Kinder: B... (* ...1988), Ex ... (* ...1990), C... (* ...1992), K... (* ...1993), E... (* ...1996), M... (* ...1998) und A... A... (* ...2005). Mit Bescheid des Bundesamts vom 09.07.1996 wurden die Ehefrau des Klägers und die fünf älteren Kinder, mit denen diese am 28.05.1996 nach Deutschland eingereist war, als Asylberechtigte anerkannt. Bezüglich M..., C..., K... ... und E... wurden die Asylanerkennungen mit Bescheid des Bundesamts vom 02.03.2007 widerrufen. Die Ehefrau und die fünf älteren Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis, M... ist Inhaber einer bis zum 07.01.2014 befristeten Aufenthaltserlaubnis. Der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsangehöriger.
Bis auf einen Zeitraum vom 24.04.2006 bis zum 01.03.2007, in welchem der Kläger in L... gewohnt hatte, war er durchgehend mit Hauptwohnsitz in H... gemeldet. Er und seine Familie bezogen zunächst (ergänzende) Sozialleistungen. In den ersten Jahren war er gelegentlich geringfügig beschäftigt, danach bei wechselnden Arbeitgebern, überwiegend in H... Er war wie folgt tätig: vom 01.07.2002 bis zum 30.11.2002 bei einer Gebäudereinigung, vom 13.03.2004 bis zum 31.03.2005 bei C.M.A. Télécafé, vom 01.04.2005 bis zum 31.01.2006 bei M.S.A. Télécafé, dann - nach Bezug von Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2006 - vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 bei einer Vertriebs GmbH in W..., vom 17.07.2006 bis zum 31.07.2006 bei B... K., Abbruch und Demontage, vom 01.08.2006 bis zum 31.01.2007 bei M... K., Abbruch und Demontage, beide in L... und vom 01.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei Ü.S. Paletten-Depot in H... Seit dem 01.07.2009 ist der Kläger bei einer Gebäudereinigung tätig.
Am 25.01.1997 wurde der Kläger in einer Sitzung der Mitglieder des Vereins „Kurd... V... e.V.“, H..., - als Zuständiger für die Bücherei - in den Vorstand gewählt. Die Mitglieder des Vereins „Gebetshaus E... ... ...“, H..., wählten ihn am 12.12.1998 als zweiten Vertreter für den Bereich Sport und am 19.05.2002 als zweiten Vorsitzenden in den Vorstand. Mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 - KLs 71 Js 1603/96 - wurde der Kläger wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Geldstrafe von 35 Tagesätzen zu je 15,-- DM verurteilt. Am 16.02.1999 wurde er aus Anlass der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart (nach der Festnahme von Öcalan) gemeinsam mit 176 anderen Kurden einen Tag lang in „Vorbeugewahrsam“ nach § 28 PolG genommen. In einem gegen ihn wegen der Selbsterklärung „Auch ich bin ein PKK´ler“ eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz wurde mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 30.05.2003 von der Verfolgung abgesehen (§ 153 Abs. 1 Satz 2 StPO).
Mit Bescheid vom 16.04.2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 27.08.1998 getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Die dagegen vom Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobene Klage - A 17 K 480/07 - wurde von ihm am 25.09.2007 zurückgenommen.
Bereits am 17.07.2007 hatte der Kläger (zum wiederholten Mal) die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis beantragt. Unter anderem im Hinblick auf ein Schreiben des Ministeriums des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz vom 13.11.2006, mit welchem die damals zuständige Ausländerbehörde der Stadt L... über die Wahl des Klägers in den Vorstand des Kurd... V... e.V. am 25.01.1997 und zum stellvertretenden Vorstandsmitglied des Gebetshauses „E... ...“ am 12.12.1998 sowie über diverse exilpolitische Aktivitäten des Klägers informiert worden war, forderte die Ausländerbehörde der Stadt H... den Kläger auf, an einer sog. Sicherheitsbefragung gemäß §§ 54 Nr. 6 i.V.m. § 82 Abs. 4 AufenthG teilzunehmen. Bei der daraufhin am 08.08.2007 durchgeführten Befragung verneinte der Kläger die Frage, ob er bestimmte Gruppen oder Organisationen, darunter die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) alias KADEK alias KONGRA-GEL, unterstütze oder für diese tätig geworden sei. Die Zusatzfrage, welcher Art diese Unterstützungshandlungen oder Tätigkeiten (z.B. Spenden) gewesen seien, beantwortete er sinngemäß wie folgt: Er sei nur Kurde; die PKK und die KONGRA-GEL interessierten ihn nicht. Er sei auch nicht Mitglied in einem kurdischen Verein.
Mit Schreiben des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg an das Innenministerium Baden-Württemberg vom 26.02.2008 und an das Regierungspräsidium Stuttgart vom 18.11.2008 wurde mitgeteilt, dass der Kläger dem Landesamt im Zusammenhang mit der im November 1993 verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – welche 2002 in „Freiheit- und Demokratiekongress Kurdistans“ (KADEK) und 2003 in „Volkskongress Kurdistans“ (KONGRA-GEL) umbenannt worden sei – bekannt geworden sei. Neben den Vorstandstätigkeiten in den PKK-nahen Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ... - ...“ in H... lägen folgende Erkenntnisse vor: Der Kläger habe an einer Vielzahl von Versammlungen, Demonstrationen oder Feiern von KADEK bzw. KONRAG-GEL-Anhängern teilgenommen, so am 06.04.2003 in H... an einer Versammlung anlässlich des Geburtstags von Abdullah Öcalan, am 05.02.2005 an einer Solidaritätsdemonstration für den am 22.01.2005 in Nürnberg festgenommenen stellvertretenden Vorsitzenden dieser Organisation, R... K..., am 03.04.2005 an einer Versammlung anlässlich des Geburtstags von Öcalan, am 27.11.2005 in I... (bei H...) an einer Veranstaltung zum 27. Gründungsjahrestag der PKK, am 17.12.2005 an einer Versammlung in H..., am 28.01.2006 an einer Demonstration in Mannheim, am 11.02.2006 an einer Demonstration von KONGRA-GEL-Anhängern anlässlich des 7. Jahrestages der Festnahme Öcalans in Straßburg/Frankreich, am 16.02.2007 an einer Demonstration zu den Haftbedingungen Öcalans sowie zuvor stattgefundenen Exekutivmaßnahmen der deutschen und französischen Behörden gegen mutmaßliche KONGRA-GEL-Strukturen in H..., am 27.10.2007 an einer weiteren Demonstration in H..., am 24.11.2007 an einer Versammlung anlässlich einer Feier zum Parteigründungstag der PKK in H..., am 30.03.2008 an einer weiteren Versammlung von KONGRA-GEL-Anhängern und am 18.05.2008 an einer Märtyrer-Veranstaltung in H...
Nachdem das Regierungspräsidiums Stuttgart den Kläger mit Schreiben vom 20.08.2008 unter anderem auf die Möglichkeit einer Ausweisung hingewiesen hatte, erklärte der Kläger in einem Schreiben vom 26.08.2008, er wolle zunächst feststellen, dass er kein Terrorist und kein Verbrecher sei, sondern ein einfacher Arbeiter. Jede Veranstaltung und Demonstration, an der er teilgenommen habe, sei bei den Behörden angemeldet und genehmigt gewesen. Die Vereine, in deren Vorstand er gewählt worden sei, seien Kulturvereine von Kurden für Kurden. Sicher habe auch er, als er noch in der Türkei gelebt habe, die PKK unterstützt, aber eher mit humanitären als mit militärischen Mitteln. Seit die PKK als terroristische Vereinigung gelte, habe er diese Hilfe komplett eingestellt. Er unterstütze als Kurde die kurdische Sache. Er distanziere sich aber von jeder kriminellen Handlung, die im Namen des kurdischen Volkes begangen werde, somit auch von der PKK als terroristischer Vereinigung.
10 
Am 10.02.2009 erhob der Kläger beim Verwaltungsgericht Stuttgart (Untätigkeits-) Klage gegen die Stadt H... mit dem Antrag, diese zu verpflichten, ihm eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen (8 K 487/09). Diese Klage wurde 25.05.2009 zurückgenommen; stattdessen erhob er Klage gegen das Land Baden-Württemberg (11 K 2004/09).
11 
Mit Schreiben vom 09.04.2009 und vom 01.02.2010 berichtete das Landesamt für Verfassungsschutz, es seien noch die folgenden gerichtsverwertbaren Erkenntnisse angefallen: Ausweislich eines Fotos und eines Zeitungsartikels in der der KONGRA-GEL nahestehenden türkischen Tageszeitung „Yeni Özgür Politika“ vom ...2008 habe er am ...2008 an einer Märtyrer-Gedenkveranstaltung von KONGRA-GEL-Anhängern in H... und außerdem am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestags der Gründung des militärischen Arms der PKK an einem Grillfest von KONGRA-GEL-Anhängern bei Bad Wimpfen sowie am 25.10.2008 an einer Demonstration gegen die angebliche Misshandlung von Öcalan in H... teilgenommen. Am 23.11.2008 und am 27.11.2009 sei der Kläger in I... (bei H...) Teilnehmer von Versammlungen zur Feier des 30. bzw. 31. Gründungsjahrestages der PKK gewesen, am 20.03.2009 habe er an der „Newroz“-Veranstaltung in H... teilgenommen.
12 
Mit Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 wurde der Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziff. 1). Er wurde außerdem aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland spätestens innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Bescheids zu verlassen. Für den Fall der nicht freiwilligen Ausreise innerhalb der Ausreisefrist wurde ihm die Abschiebung in die Türkei oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei, angedroht (Ziff. 2). Außerdem wurde sein Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis abgelehnt (Ziff. 3). Der Kläger wurde verpflichtet, sich einmal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei dem Polizeirevier H... zu melden. Sein Aufenthalt sei bis zu seiner Ausreise bzw. Abschiebung auf das Stadtgebiet des Stadtkreises H... beschränkt (Ziff. 4). Die sofortige Vollziehung der Ausweisung unter Ziffer 1 des Bescheids und der Meldeauflage sowie der Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids wurde angeordnet (Ziff. 5). In den Gründen des Bescheids wurde im Wesentlichen dargelegt: Die Voraussetzungen der Ausweisungstatbestände des § 55 AufenthG i.V.m. §§ 54 Nr. 5, Nr. 5a und Nr. 6 AufenthG seien gegeben. Der Kläger sei nicht nach dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats/EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) privilegiert. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 und/oder des Art. 7 ARB 1/80 lägen nicht vor. Der Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG sei erfüllt. Die PKK sei als eine terroristische Vereinigung zu qualifizieren. Der Kläger habe diese tatbestandsmäßig im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützt. Er sei bereits vor seiner Einreise ins Bundesgebiet 1995 fünf bis sechs Jahre in der Türkei für die PKK tätig gewesen. Bereits Anfang 1996 habe er an einer verbotenen und gewalttätigen PKK-Demonstration in Dortmund teilgenommen und sei deshalb zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Außerdem habe er im Jahr 1999 an der Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart anlässlich der Gefangennahme des PKK-Führers Öcalan teilgenommen und zudem im Jahr 2001 die PKK-Selbsterklärung unterzeichnet. Hinzu kämen die ab 1997 bis zumindest 2002 ausgeübten Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen. In der Folge habe er kontinuierlich ab dem Jahr 2003 bis Ende des Jahres 2009 an zahlreichen politisch-extremistischen und auch gewaltbereiten Veranstaltungen der PKK alias KADEK alias KONGRA-GEL aktiv teilgenommen. Die vorliegenden Erkenntnisse und Tatsachen rechtfertigten in ihrer wertenden Gesamtbetrachtung die Schlussfolgerung, dass er der PKK „angehöre“. Zudem seien die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5a und 6 AufenthG erfüllt. Da der Kläger und seine Ehefrau mit ihrem minderjährigen deutschen Kind A... A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, genieße er allerdings besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Seine Ausweisung sei daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zulässig. Solche lägen jedoch in den Fällen des § 54 Nr. 5 und Nr. 5a AufenthG, also auch hier, vor. Im vorliegenden Fall seien auch keine besonderen Umstände gegeben, die zur Annahme eines Ausnahmefalls führen könnten. Nach dem Grundsatz der Herabstufung sei daher gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG über die Ausweisung des Klägers nach Ermessen zu entscheiden. Hierbei seien nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sämtliche für und gegen die Ausweisung sprechenden Gründe in die Entscheidung einzubeziehen, zu gewichten und gegeneinander abzuwägen und zu prüfen, ob die Ausweisung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sei. Im Ergebnis überwiege das öffentliche Interesse an der Ausweisung das private Interesse des Klägers an einem weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Es bestehe ein gewichtiges öffentliches Sicherheitsinteresse, die vom Kläger persönlich ausgehende nicht unerhebliche und extremistische Gefahr für höchste Rechtsgüter durch seine Ausweisung mit dem Entzug seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet abzuwehren. Zudem verfolge die Ausweisung general- und spezialpräventive Zwecke. Außerdem sei von einer gesteigerten Wiederholungsgefahr auszugehen. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts und schutzwürdige persönliche, wirtschaftliche und sonstige Bindungen des Klägers im Bundesgebiet hätten Berücksichtigung gefunden. Auch seien die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Klägers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebten, gemäß § 55 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG bedacht worden. Es handle sich um eine schutzwürdige Ehe im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG. Auch seien die Interessen der Kinder, insbesondere des jüngsten deutschen Kindes, an der Fortsetzung der familiären Lebensgemeinschaft in Deutschland zu berücksichtigen. Bei der Gewichtung und Abwägung des jeweiligen Interesses habe jedoch der Schutz der Ehe und Familie hinter das höher einzuschätzende Sicherheitsinteresse des Staates und seiner Bevölkerung vor Unterstützungshandlungen für terroristische Vereinigungen zurückzutreten. Die Ausweisungsentscheidung stehe auch mit Art. 8 EMRK im Einklang. Der Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sei abzulehnen, weil dieser bereits die Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG entgegenstehe. Aufgrund der Ausweisungsverfügung, deren sofortige Vollziehung angeordnet worden sei, sei der Kläger nach §§ 50 Abs. 1 und 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Gemäß § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliege er der gesetzlichen Verpflichtung, sich einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden. Gemäß § 54a Abs. 2 AufenthG sei sein Aufenthalt kraft Gesetzes auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde beschränkt.
13 
Mit am 01.07.2010 beim Verwaltungsgericht Stuttgart eingegangenem Schriftsatz vom 28.06.2010 machte der Kläger den Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 im Wege der Klageänderung bzw. -erweiterung zum Gegenstand des bereits anhängigen Verfahrens 11 K 2004/09. In der mündlichen Verhandlung vom 01.07.2010 wurde die Klage insoweit abgetrennt und unter dem Aktenzeichen 11 K 2424/10 fortgesetzt, als sie auf Anfechtung von Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidium Stuttgart vom 10.06.2010 gerichtet ist. Im Übrigen (bezüglich der Niederlassungserlaubnis) ist nach entsprechenden Anträgen der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden.
14 
Zur Begründung der Klage wurde im Wesentlichen vorgetragen: Obwohl der Kläger offensichtlich seit Jahren intensiv und engmaschig vom Verfassungsschutz beobachtet werde, könne das beklagte Land nicht einen konkreten Anhaltspunkt für eine objektive oder subjektive Unterstützungsleistung des Klägers benennen außer der schlichten Teilnahme an diversen, wohl gemerkt angemeldeten und erlaubten Versammlungen. Weder aus der Tatsache, dass er an diversen Kundgebungen teilnehme, noch daraus, dass er eine Zeitlang und bis 2002 in kurdischen Kulturvereinen in den Vorstand gewählt worden sei, habe er jemals einen Hehl gemacht. Er könne nicht für die Äußerungen irgendwelcher Redner auf irgendwelchen Veranstaltungen im Sinne einer Sippenhaft verantwortlich gemacht werden. Insgesamt bemühe sich das Land geradezu krampfhaft, eine über ein Jahrzehnt zurückliegende strafrechtliche Verurteilung und sogar ein von der Staatsanwaltschaft eingestelltes Ermittlungsverfahren, welches ebenfalls Jahre zurückliege, zur Begründung eines vermeintlichen Versagungsgrundes heranzuziehen. Tatsache sei, dass er weder Mitglied einer terroristischen Vereinigung sei noch eine solche unterstützt habe. Insoweit werde auf seine Erklärung vom 26.08.2008 Bezug genommen. Obwohl es nicht darauf ankomme, werde bestritten, dass die PKK eine terroristische Organisation im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG sei. Die Aufnahme einer Vereinigung in die EU-Terrorliste entbinde weder Behörden noch Gerichte von der eigenständigen Prüfung. Eine Ausweisung könne zudem nur erfolgen, wenn vom Ausländer persönlich eine Gefahr für die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausgehe. Er habe lediglich sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Information wahrgenommen. Dass er sich einen eigenen Staat wünsche und auch das Recht habe, als Kurde seine Auffassung kundzutun, dürfte auf der Hand liegen. Die Entscheidung verstoße im Übrigen gegen Art. 6 GG.
15 
Das Regierungspräsidium Stuttgart trat der Klage entgegen. Zur Begründung verwies es auf den angefochtenen Bescheid. Entgegen dem Vortrag des Klägers habe dieser nachweisbar im dargelegten Umfang an Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen. Seine Teilnahme an den Veranstaltungen der PKK alias KONGRA-GEL vom 06.04.2003 bis zum 27.11.2009 sei durch offene und gerichtsverwertbare Tatsachen des Landesamts für Verfassungsschutz belegt, die vor Gericht durch einen Zeugen vom Hörensagen nachgewiesen werden könnten. Die PKK/KADEK/KONGRA-GEL sei auch als terroristische Vereinigung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG einzustufen. Dass das „Gebetshaus E... ... - ... e.V.“ in H..., in dessen Vorstand der Kläger in den Jahren 1998 und 2002 gewählt worden sei, der PKK nahestehe, folge aus einem beigefügten Bericht des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006. Die PKK-Nähe des Vereins Kurdx ... V... e.V.“ in H..., in dessen Vorstand der Kläger 1997 gewählt worden sei, ergebe sich aus Erkenntnissen des Landesamts für Verfassungsschutz. Unerheblich sei, dass die Wahl des Klägers in den Vorstand der genannten Vereinigungen bereits 1997, 1998 und 2002 erfolgt sei, da die Annahme einer Unterstützung der PKK durch den Kläger auf einer wertenden Gesamtbetrachtung beruhe und maßgeblich auch auf die bereits zu Beginn seines Aufenthalts in der Bundesrepublik erfolgten Tätigkeiten im Funktionärsstatus abzustellen sei, denen sich in den folgenden Jahren weitere politische Aktivitäten für die PKK angeschlossen hätten, und die sich bis in die Gegenwart fortsetzten. Selbst wenn es nur um die „bloße Teilnahme“ an Veranstaltungen und Demonstrationen gehen würde, könnte auch diese unter bestimmten Voraussetzungen eine Vorfeldunterstützung des Internationalen Terrorismus darstellen. Die Versammlungen und Demonstrationen, an denen der Kläger teilgenommen habe, hätten entgegen seinem Vorbringen auch keinen „legalen und friedlichen“, sondern einen politisch-militanten Grundcharakter. Die Ausweisung verstoße auch nicht im Hinblick auf die eheliche Lebensgemeinschaft mit der Ehefrau des Klägers und mit den minderjährigen Kindern gegen Art. 6 GG. An dem Übergewicht des öffentlichen Interesses vermöge ein mögliches Abschiebungshindernis aufgrund familiärer Belange nichts zu ändern. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei nicht ausgeschlossen, dass auch unter Berücksichtigung selbst eines strikten Abschiebungsverbotes - nach § 60 Abs. 1 AufenthG - und bei Vorliegen der Voraussetzungen einer Duldung eine Ausweisung ermessensfehlerfrei ausgesprochen werden könne. Die Behörde habe dann das Abschiebungsverbot in die Ermessenserwägungen einzustellen. In Anwendung dieser Grundsätze werde ergänzend vorgetragen, dass zwar die Familienschutzvorschriften des Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG gewähren und einer Abschiebung entgegenstehen könnten. Selbst wenn von einem solchen Abschiebungshindernis ausgegangen werde, führe dies aber nicht zur Unzulässigkeit der Ausweisung, sondern sei gemäß seiner Bedeutung zu werten und in die Ermessenserwägungen einzustellen. Im Ergebnis könne von einem Überwiegen des staatlichen Sicherheitsinteresses ausgegangen werden, so dass die Ausweisung des Klägers trotz eines - möglichen - Abschiebungshindernisses nicht unverhältnismäßig sei.
16 
Auf einen am 01.07.2010 vom Kläger gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO stellte das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - die aufschiebende Wirkung der Klage - 11 K 2424/10 - gegen die Ziffern 1, 2 und 3 im Bescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 wieder her. Bezüglich Ziffer 4 des Bescheids wurde der Antrag abgelehnt.
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Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 - 11 K 2424/10 - wurden die Ziffern 1, 2 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wird im Wesentlichen dargelegt: Alle Vorgänge vor 2002 lägen derart weit in der Vergangenheit, dass sich aus ihnen eine gegenwärtige Gefährlichkeit nicht ablesen lasse. In der Zeit nach 2002 habe der Kläger lediglich an 13 Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen - was er auch nicht bestritten habe. Im angefochtenen Bescheid seien allerdings keinerlei Ausführungen dazu enthalten, was der Kläger bei den Veranstaltungen konkret gemacht haben solle. Allein seine Anwesenheit könne noch nicht als Unterstützungshandlung im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG gewertet werden, von der auf eine gegenwärtige Gefährlichkeit des Klägers geschlossen werden dürfe. Der Kläger erfülle aber auch nicht den Ausweisungstatbestand des § 54 Nr. 6 AufenthG. Zwar dürfte die Beantwortung zahlreicher Fragen zur Nähe zur PKK durch den Kläger anlässlich des mit ihm durchgeführten Sicherheitsgesprächs am 08.08.2007 falsch gewesen sein. Es gebe keine gesetzlich angeordnete Rechtspflicht, an einer Sicherheitsbefragung aktiv teilzunehmen. Der Kläger hätte daher vor Beginn des Sicherheitsgesprächs auf diese Freiwilligkeit hingewiesen werden müssen. Da dies nicht geschehen sei, sei das Ergebnis rechtlich nicht verwertbar. Damit erwiesen sich auch die Abschiebungsandrohung und die unter Ziffer 4 des Bescheids angeordneten Überwachungsmaßnahmen als rechtswidrig.
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Am 14.03.2011 hat das beklagte Land die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung gegen das am 21.02.2011 zugestellte Urteil des Verwaltungsgerichts eingelegt und diese mit am 19.04.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet. Ergänzend wird unter anderem dargelegt: Das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass es nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.03.2005 für die Annahme einer Unterstützungshandlung nach § 54 Nr. 5 AufenthG genügen könne, wenn der Betreffende an einschlägigen Versammlungen und Kundgebungen teilnehme. In diesem Zusammenhang sei vorab richtig zu stellen, dass der Kläger ab dem Jahr 2002 nicht lediglich an 13, sondern an 18 bzw. 19 Versammlungen, Veranstaltungen und Demonstrationen teilgenommen habe. Die jeweiligen Veranstaltungen seien terrorgeneigt und politisch-militant orientiert gewesen, woraus sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts das objektiv Vorteilhafte der Teilnahme des Klägers an den Veranstaltungen ohne weiteres ergebe. Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Aufteilung der Gesamtaktivitäten des Klägers in solche vor und solche nach dem Jahr 2002 unter Außerachtlassung der älteren Aktivitäten sei rechtlich nicht haltbar. Im Übrigen habe der Kläger nach den aktuellen sicherheitsrelevanten Stellungnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.12.2010 und vom 18.04.2011 noch am 28.02.2010 an einer „Volksversammlung“ mit qualitativ hochstehendem Gefährdungspotential teilgenommen. Die Voraussetzungen des § 54 Nr. 5a und Nr. 6 AufenthG seien ebenfalls gegeben. Die Ausweisungsentscheidung sei auch ermessensfehlerfrei erfolgt. Die familiären Bindungen des Klägers seien im Rahmen der Ermessensausübung vollständig berücksichtigt worden. Im Falle des Klägers sei davon auszugehen, dass aus familiären Gründen ein Abschiebungsverbot bestehe, weshalb es bei ihm nicht um eine Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik gehe. Eine Ausweisung sei gleichwohl möglich.
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Nachdem das Regierungspräsidium Stuttgart in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 aufgehoben hat, haben die Beteiligten den Rechtstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.
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Das beklagte Land beantragt,
21 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 - 11 K 2424/10 - zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen Ziffern 1 und 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 richtet.
22 
Der Kläger beantragt,
23 
die Berufung zurückzuweisen.
24 
Zur Begründung wird auf das bisherige Vorbringen Bezug genommen und ergänzend unter anderem vorgetragen: Er habe eine Rechtsstellung nach Art. 6 ARB 1/80 inne. In der Zeit vom 01.04.2007 bis einschließlich Mai 2009 sei er durchgehend bei demselben Arbeitgeber in L... tätig gewesen. M... K. habe den Betrieb von B... K. übernommen. Nach einmonatiger Arbeitslosigkeit habe er dann zum 01.07.2009 seine Tätigkeit bei einer Gebäudereinigungsfirma angetreten, bei der er heute noch beschäftigt sei. Er lebe weiter mit seiner Ehefrau und seinen Kindern zusammen, auch mit den volljährigen. Die minderjährigen Kinder befänden sich noch in der allgemeinen Schulausbildung. Die Tochter K... nehme seit dem 22.11.2011 an einem Berufsvorbereitungslehrgang teil. C... habe eine Ausbildungsstelle zur Kauffrau im Einzelhandel und arbeite seit einigen Jahren in Nebentätigkeit bei einem Schnellimbiss.
25 
In weiteren Stellungnahmen des Landesamts für Verfassungsschutz an das Regierungspräsidium vom 17.12.2010, vom 18.04.2011 und vom 12.09.2011 wird mitgeteilt: Wie bereits am 17.12.2005 und am 30.03.2008 habe der Kläger auch am 28.02.2010 an einer „Volksversammlung“ in den Räumlichkeiten des PKK-nahen Vereins „Kurd... G...“ H... – dem Nachfolgeverein des „Kurd... V...“ – teilgenommen. Volksversammlungen gehörten zum organisatorischen Rahmen der PKK. Dabei bestehe der Teilnehmerkreis zu annähernd 100 % aus PKK-Anhängern. Sie dienten in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Am 20.11.2010 habe sich der Kläger außerdem an einer „Kurdistan Solidaritätsdemonstration“ in H... beteiligt, bei der Transparente/Plakate mit den Aufschriften „Freiheit für Öcalan - Frieden für Kurdistan“ u.ä. skandiert worden seien.
26 
In der mündlichen Verhandlung sind der Kläger und – informatorisch – Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg angehört worden. Diesbezüglich wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung ein Schreiben des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 02.12.2011 übergeben, in welchem erklärt wird, dass der Kläger bis auf Weiteres eine Duldung aus familiären Gründen erhalte.
27 
Dem Senat liegen die ausländerrechtlichen Akten des Regierungspräsidiums Stuttgart (5 Hefte) und der Stadt H... (2 Hefte), die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart über Asylverfahren des Klägers (A 3 K 12680/98 und A 17 K 480/07), bezüglich Klagen wegen Niederlassungserlaubnis gegen die Stadt H... (8 K 487/09), wegen Niederlassungserlaubnis u.a. gegen das beklagte Land (11 K 2004/09, mit Beiakte) und wegen Ausweisung u.a. gegen das beklagte Land (11 K 2424/10, 2 Bände) sowie über das Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hinsichtlich des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (11 K 2430/10) vor. Der Inhalt dieser Akten ist ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten zum vorliegenden Verfahren (11 S 897/11) Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; hierauf wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Soweit die Beteiligten - nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 in der mündlichen Verhandlung - den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entspr.).
29 
Im Übrigen ist die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 (dazu unter A) und die Meldeauflage sowie die Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (B) abweisen müssen. Denn diese Verfügungen sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
30 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (I.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG liegen vor (II.), die Ausweisungsentscheidung lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (III.).
I.
31 
Das Regierungspräsidium hat diese rechtsfehlerfrei auf § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob als Rechtsgrundlage daneben § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5a oder Nr. 6 AufenthG herangezogen werden könnten.
32 
Diese Regelungen sind hier uneingeschränkt anwendbar.
33 
1. Aus der Tatsache, dass der Kläger Vater eines minderjährigen deutschen Kindes – dem am ...2005 geborenen A... A... – ist, folgt nicht, dass er wie ein Unionsbürger oder nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre.
34 
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C-34/09 - InfAuslR 2011, 179) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann. Ausschlaggebend war ausweislich der Gründe der Umstand, dass die Kinder, welche Unionsbürger waren, bei einer „Verweigerung von Aufenthalt und Arbeitserlaubnis“ ihrer drittstaatsangehörigen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet zu verlassen. Art. 20 AEUV sei daher dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, den Aufenthalt im Wohnsitzstaat und eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleihe, verwehren würden. Folge eines entsprechenden Aufenthaltsrechts wäre eine allenfalls eingeschränkte Anwendbarkeit der Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; allgemein zum Urteil des EuGH vom 08.03.2011: OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2011 - 18 B 377/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 6 D 1633/11 - juris). Wie auch inzwischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy (C-434/09 - InfAuslR 2011, 268) und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci (C-256/11 - juris) deutlich machen, ist ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen aus der Unionsbürgerschaft seines Kindes – oder auch seines Ehepartners – aber nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (weitergehend noch Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - a.a.O., und Beschluss des Senats vom 12.05.2011 - 11 S 765/11 - NVwZ 2011, 1213). Vorliegend kann aber das jüngste deutsche Kind des Klägers zusammen mit dessen Ehefrau, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in Deutschland bleiben und wäre daher nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie, insbesondere seinem minderjährigen deutschen Kind zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten.
35 
2. Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Der Kläger verfügt über kein Aufenthaltsrecht gemäß der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
36 
Nach dem gestuften Regelungssystem des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann im Rahmen der ersten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht bei einjähriger Beschäftigung nur zum Zwecke der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei dem gleichen Arbeitgeber erworben werden. Im Rahmen der zweiten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 2) wird nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht erworben, Stellenangebote eines anderen Arbeitgebers im gleichen Beruf zu akzeptieren. Erst im Rahmen der dritten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 3), d.h. nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung, erwirbt der türkische Arbeitnehmer gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nur das Recht, auf ein bereits existierendes Stellenangebot einzugehen, sondern auch das unbedingte Recht, Arbeit zu suchen und jede beliebige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.01.1997 - C-171/95 - [Tetik] InfAuslR 1997, 146). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Entsprechendes gilt auch bei einem „unverschuldeten Arbeitgeberwechsel“ (vgl. Renner, AufenthG, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 124 f.), und zwar selbst dann, wenn keine Unterbrechung der Beschäftigung eingetreten ist. Voraussetzung ist nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 allerdings, dass die Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit „von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind“, das bedeutet, dass sich der Betreffende arbeitslos gemeldet und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden hat.
37 
Nach diesen Grundsätzen verfügt der Kläger nicht über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Seine Arbeitstätigkeit in einer Gebäudereinigung im Jahr 2002 war zu kurz, um zum Erwerb von Ansprüchen nach dem ARB 1/80 zu führen. Selbst wenn man die sozialversicherungsfreien (Neben-)Tätigkeiten in einem Internetcafé in H... vom 13.03.2004 bis zum 31.01.2006 und die Tätigkeit bei einer Vertriebs GmbH vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 insgesamt anerkennen und die damaligen Unterbrechungen durch – ordnungsgemäß festgestellte – Arbeitslosigkeit sowie den Wechsel der Arbeitgeber wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit als unschädlich ansehen würde, wäre der Kläger danach zum 15.06.2006 maximal 2 Jahre 3 Monate und 2 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Die damit allenfalls erreichte Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre durch die anschließende beschäftigungslose Zeit bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Abbruchunternehmen in L... unterbrochen gewesen. Denn ausweislich der vorliegenden Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung (vgl. den vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 06.06.2011) war er in dieser Zeit nicht arbeitslos gemeldet. Letztlich kommt es aber darauf nicht an. Selbst wenn man – trotz des Betriebsinhaberwechsels – die anschließende Beschäftigung bei den Abbruchunternehmen in L... vom 17.07.2006 bis zum 31.01.2007 hinzurechnen würde, wäre der Kläger seit dem 13.03.2004 noch keine drei Jahre beschäftigt gewesen, hätte also nur die Rechtsposition der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht gehabt. Diese hätte er durch die anschließende Kündigung und die folgende zweimonatige Arbeitslosigkeit aber wieder verloren gehabt. Denn diese Kündigung erfolgte nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch ihn. Da seine Kinder sich geweigert hätten, zu ihm nach L... zu ziehen, habe er wieder zu seiner Familie ziehen wollen.
38 
Im Anschluss war der Kläger zwar noch vom 02.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei einer Firma in H... beschäftigt und ist seit dem 01.07.2009 bei einer Gebäudereinigung angestellt. Die Beschäftigungszeiten als Fahrer können aber schon deshalb nicht mehr zum Erreichen eines Rechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 führen, weil der Kläger seinen Angaben nach zwar entlassen wurde, sich aber nicht unmittelbar anschließend bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat. Abgesehen davon war er seit dem 13.09.2007 nicht mehr „ordnungsgemäß beschäftigt“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Denn seine letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 12.09.2007 aus und galt lediglich aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Grundsätzlich setzt aber eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt voraus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], NVwZ 1991, 255). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige verfahrenssichernde Rechtsstellung hat ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine die Erteilung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ablehnende behördliche Entscheidung entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - [Kus], InfAuslR 1993, 41). Dies gilt auch in Bezug auf die Titelfunktion des § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Renner, a.a.O., § 4 AufenthG, Rn. 117 m.w.N.). Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass über die am 25.05.2009 gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (11 K 2004/09) noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar können Zeiten der Arbeitstätigkeit, in denen der Betreffende lediglich über ein fiktives Aufenthaltsrecht verfügt hat, später - rückwirkend - doch wieder als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zu berücksichtigen sein, wenn in der Folge eine positive behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Denn dann werden die zurückliegenden Beschäftigungszeiten anrechnungsfähig (EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], a.a.O.), und zwar gegebenenfalls selbst dann, wenn während kurzer Zeiträume kein Aufenthaltstitel und auch keine Fiktionswirkung bestand, etwa weil der Betreffende eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst kurz nach Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte (EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - [Ergat], InfAuslR 2000, 217). Diese Fragen können hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es ist wegen des vom Kläger verwirklichten Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG (dazu unten) offensichtlich, dass er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis oder auf Verlängerung der früher bestehenden Aufenthaltserlaubnis hat (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG). Abgesehen davon kommt es darauf auch deshalb nicht an, weil die Fiktionswirkung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG jedenfalls mit Bekanntgabe der Ausweisung vom 10.06.2010 – und damit vor Ablauf eines Jahres seit Beginn der Tätigkeit am 01.07.2009 und Erreichen einer Position nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 – erloschen ist. Zwar kommt der vom Kläger gegen die Ausweisung erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zu, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - auch insoweit die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen jedoch Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit unter anderem der Ausweisung unberührt, solange diese nicht unanfechtbar aufgehoben worden ist.
II.
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Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind erfüllt.
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Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei die Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Vereinigung oder ihre Unterstützung muss danach nicht erwiesen sein, es genügt das Vorliegen von Tatsachen, die die entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Dass es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss hingegen feststehen (Bay.VGH, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris, bestätigt mit Urteil des BVerwG vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -).
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1. Zunächst sind das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind (vgl. hierzu Urteile des Senats vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - VBlBW 2011, 478, und vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris sowie Beschlüsse des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vom 16.12.2010 - 11 S 2374/10 - und vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslRAuslR 2011, 105). Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus, wenn sie selbst ihre Ziele auch mit terroristischen Mitteln – wie dem Einsatz gemeingefährlicher Waffen und mit Angriffen auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele – verfolgt (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - juris, m.w.N.; vgl. im Einzelnen zum Begriff des Terrorismus GK-AufenthG, Stand: Sept. 2011, § 54 Rn. 436 ff.). Das ist bei der PKK in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1997 bis heute der Fall. Insbesondere verzichtete die PKK auch während der Phase des 1999 ausgerufenen und 2004 wieder beendeten „Friedenskurses“ nicht auf Gewalt. Das seit vielen Jahren weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa ist Teil einer „Doppelstrategie“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 A 111/09 - InfAuslR 2011, 37) und ändert nichts an deren grundsätzlich bestehender Gewaltbereitschaft und der Anwendung von terroristischen Mitteln, etwa bei Anschlägen in der Türkei (so etwa am 22.06.2010 in Istanbul, vgl. ZEIT-ONLINE vom 23.06.2010: www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kurden-tuerkei-politik; WELT ONLINE vom 22.06.2010 www.welt.de/politik/ausland/ article8142791/Tuerkei-Touristen-im-Fadenkreuz-kurdischen-Terrors.html; am 27. und 28.08 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, vgl. SPIEGEL ONLINE vom 28.08.2006 www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,434039,00.html) oder der Entführung Unbeteiligter (vgl. zur Entführung von drei deutschen Staatsangehörigen am Berg Ararat am 08.07.2008 SPIEGEL ONLINE vom 09.07.2011: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564783,00.html). Insoweit wird ergänzend auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Bescheid des Regierungspräsidiums vom 10.06.2010 verwiesen (vgl. auch Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ., „Ausländerextremismus“, August 2007, S. 9 ff., sowie Bundesamt für Verfassungsschutz, „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL)“, März 2007). Abgesehen davon ist die PKK seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP – ABl. L 116, S. 75). Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt eine solche Aufnahme die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 - InfAuslR 2011, 40; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 - juris; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
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2. Ob der Kläger der PKK „angehört“ im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, kann hier offen bleiben. Denn aus den vorliegenden Tatsachen ist jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt, dass er diese seit vielen Jahren in mehrfacher Weise unterstützt hat und weiter unterstützt.
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Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -BVerwGE 123, 114 - zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O., m.w.N.; Beschluss des Senats vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O.; Urteile des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris und vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.).
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Nach diesen Grundsätzen liegen hier eine Vielzahl von Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen (a) und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten PKK-nahen Aktionen und Veranstaltungen (b). Dabei sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die länger zurückliegenden Tatsachen noch zu berücksichtigen (c).
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a) Zunächst steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die kurdischen Vereine in H..., in denen der Kläger Vorstandsmitglied war, den Terrorismus unterstützen. Dabei zu berücksichtigen, dass - wie dargelegt - bereits jede Tätigkeit als tatbestandliches Unterstützen anzusehen ist, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der betreffenden Vereinigung, hier der PKK, auswirkt.
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aa) Der Verein „Kurd... V...“ e.V. wurde in den 1990-er Jahren gegründet und im Jahr 2000 wieder aufgelöst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich deutlich gemacht, dass er in dem im Anschluss gegründeten „Kurd... K...“ und in dem derzeit bestehenden Verein „Kurd... G...“ Nachfolgevereine des Vereins Kurdx ... V...“ sieht. Es handle sich um „den Verein“, in welchem er bis heute Mitglied sei und mit seinen Familienangehörigen jedes Wochenende verbringe. Er hat damit die entsprechende Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, die in der mündlichen Verhandlung von dem angehörten Mitarbeiter I.V. weiter erläutert worden ist, bestätigt. Der Kläger ist in einer Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 in den Vorstand des Vereins „K... V...“ gewählt worden und war als solcher für die Bücherei des Vereins zuständig. Darauf hat er sich auch in seinem Asylverfahren berufen und geltend gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe (Schriftsatz vom 01.07.1997 zum Verfahren A 3 K 12680/98).
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Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder – nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM – für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010“ im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.
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Hinzu kommen die Veranstaltungen, die vom Verein „Kurd... V...“ durchgeführt wurden, so zum Beispiel aus der Zeit, in der der Kläger Vorstandsmitglied war, eine Demonstration zum Newroz-Fest am 20.03.1998. In einem Bericht der Stadt H... vom 29.04.1998 über diese Demonstration wird dargelegt, dass Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt worden seien. Nach Einschätzung der Polizei und der Stadt H... habe nicht das Thema „Newroz-Fest“ im Vordergrund gestanden, sondern das Thema „Politische Lösung der kurdischen Frage und Aufhebung des Verbots der PKK“. Wie sich außerdem einem Bescheid der Stadt H... vom 14.05.1998 über das Verbot einer für den 17.05.1998 im Schlachthof in H... geplanten Veranstaltung entnehmen lässt, wurde zu dieser angeblichen „Folkloreveranstaltung“ mit Flugblättern der ENRK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans, eine Organisation der PKK) eingeladen. In den Räumen des Vereins wurde dafür mit einem Aushang mit dem Text „Sieg im Frieden, Freiheit im Leben, Volksversammlung wird stattfinden. Ort = Schlachthof“ geworben. Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz hat zudem in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren überzeugend dargelegt, dass „der Verein“ in H... – derzeit die „Kurd... G...“ – seit Jahren durch regelmäßige PKK-Veranstaltungen auffalle. Er rufe immer wieder zu Veranstaltungen und zu Kundgebungen auf, die inhaltlich die PKK, Abdullah Öcalan als PKK-Führer u.ä zum Thema hätten. Insofern trete der Verein immer wieder aktiv auf und führe diese Kundgebungen durch. Bei den Veranstaltungen würden PKK-Slogans skandiert, es werde die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert und die Türkei werde als terroristischer Staat bezeichnet. Das alles seien für das Landesamt für Verfassungsschutz Indizien, um die entsprechende Veranstaltung – anders als normale kulturelle Veranstaltungen von Kurden – als „PKK-nah“ anzusehen. Schließlich existierten auch zahlreiche andere kurdische Vereine, die vom Verfassungsschutz nicht als „PKK-nah“ eingestuft würden, etwa solche, die dem Dachverband der KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan) angehörten. Es gebe also eine Alternative. Der Verein in H... wie auch andere PKK-nahe Vereine fielen dadurch auf, dass sie sich stets und immer wieder PKK-spezifischen Themen annähmen. Das ziehe sich seit den 1980er-Jahren wie ein „roter Faden“ durch die Betätigung des Vereins.
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bb) Dass sich auch der Verein „Gebetshaus E... ... - I... ... e.V., H...“ – in dessen Vorstand der Kläger erstmals im Dezember 1998 (als stellvertretendes Vorstandsmitglied) und erneut im Mai 2002 (als 2. Vorsitzender des Vorstands) gewählt worden war – der PKK verbunden gefühlt hat, folgt bereits aus dem Formular zur Anmeldung des Vereins am 29.04.1998 bei der Stadt H... Darin wird ausgeführt, „Wir glauben, dass die kurdische Sache unter Führung der PKK gelöst wird“ und „Abgrenzung zum Kurd... V... e.V. durch Schwerpunkt Religion“. Auch wird als Zweck des Vereins angegeben „Versammlung von allen Kurden, auch revolutionäre Kurden, unter einem Dach“. Außerdem verdeutlicht die vorliegende Stellungnahme des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006, „Religiöse Vereinigungen innerhalb der PKK“ die Anbindung auch dieses Vereins an die PKK. Danach sei im Zuge des 4. Parteikongresses der PKK im Dezember 1990 die Gründung der Union der patriotischen Gläubigen aus Kurdistan (kurz: YOWK, ab 1991 YDK), einem Dachverband von Muslimen, beschlossen worden. 1993 sei die Umbenennung in „Islamischer Bund Kurdistans - HIK“ bzw. „Islamische Bewegung Kurdistans - KIH“ erfolgt. Die regionale Aufteilung sei in drei Funktionsbereiche, darunter eine Föderation in Süddeutschland mit Sitz in Heilbronn, erfolgt. Im Mai 2005 sei eine erneute Umbenennung, diesmal in „Islamische Gesellschaft Kurdistans - CIK“ beschlossen worden. Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz sei die CIK/HIK eine Massenorganisation der PKK, über die muslimische Kurden an die PKK gebunden werden sollen. In der Herbstausgabe der Baweri, dem seit 1995 erscheinenden Publikationsorgan der CIK/HIK, werde diese als eine religiös-politische Kampfesbewegung bezeichnet, die den nationalen Befreiungskampf Kurdistans unterstütze. In diesem Rahmen rufe sie regelmäßig zu Spenden oder Kampagnen auf, wie beispielsweise zur Sammlung von Spenden für kurdische Bedürftige und Waisen oder der Opferkampagne. Zu den der CIK/HIK angehörenden Moschen gehöre u.a. die „Mizgevta E... ...“ in H... ... Die Anbindung der CIK/HIK an die PKK und deren Abhängigkeit von der Organisation werde auch durch verschiedene Asservate belegt. In einem Fazit heißt es, die PKK unterhalte eine Vielzahl von Organisationen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss auf alle Lebensbereiche auszudehnen versuche. In ihrem Bestreben, auch die religiösen Gruppierungen der Kurden in ihren Strukturen einzubinden, habe sie die Gruppe der Muslime durch die CIK/HIK an ihre Organisation angebunden. Die Verlautbarungen führender Parteikader sowie die Organisationsbeschlüsse belegten die strukturelle Anbindung an die CDK (Nachfolgeorganisation der YDK) und damit an eine in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Organisation.
50 
Ist danach davon auszugehen, dass beide ausländerrechtlichen Vereine, in deren Vorstand der Kläger gewählt war, die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen unterstützt haben, so ist dem Kläger diese Unterstützung bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied zuzurechnen, ohne dass der Frage seiner tatsächlichen inneren Einstellung weiter nachgegangen werden müsste (vgl. zu § 11 StAG: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - VBlBW 2009, 29, m.w.N). Davon abgesehen greift § 54 Nr. 5 AufenthG auch in Fällen, in denen der Betreffende einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, hier dem Verein „Kurdx... V...“ und der „E... ...“, d.h. es kommt auch deshalb nicht darauf an, ob und in welchem Umfang er persönlich Unterstützung geleistet hat.
51 
b) Hinzu kommt, dass schon allein wegen der Teilnahme des Klägers an diversen PKK-nahen Veranstaltungen davon auszugehen ist, dass er die PKK unterstützt hat und bis heute unterstützt. Denn er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne Weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich der Vorstandstätigkeiten in den Vereinen.
52 
Zu den Veranstaltungen, deren Besuch als Unterstützung der PKK anzusehen ist, gehören insbesondere die Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK. Nach den Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz hat der Kläger in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009, jeweils in I... bei H..., den 27., 29., 30. und den 31. Gründungsjahrestag der PKK mitgefeiert. Dies wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Nach den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz seien bei diesen Feiern Fahnen der KONGRA-GEL bzw. der KCK oder der KKK und Bilder Öcalans aufgehängt gewesen bzw. entrollt worden (27.11.2005, 23.11.2008 und 27.11.2009), Filme über das Leben des Öcalan (27.11.2005 und 23.11.2008) oder die Guerilla (27.11.2009) vorgeführt und jeweils Reden über die PKK gehalten worden – zum Beispiel mit einem Überblick über die Entwicklung der PKK seit deren Gründung (23.11.2008). Regelmäßig werde die Bedeutung der PKK für die Kurden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervorgehoben. Zudem werde regelmäßig die PKK-Guerilla positiv herausgestellt, wenn nicht gar glorifiziert, indem zum Beispiel - wie im Jahr 2009 - ein Film über diese gezeigt werde (vgl. Bericht des LfV vom 17.12.2010). Solche Veranstaltungen haben in spezifischer Weise Propagandacharakter und dienen erkennbar der Förderung und Stärkung der PKK. Mit dem Besuch zeigt der Teilnehmer seine Anhängerschaft und fördert den Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger (vgl. Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -). Typisch für PKK-nahe Veranstaltungen ist auch der Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan. Seiner Person kommt nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den Staat zu (BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - a.a.O.). Es ist daher auch bezeichnend, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen zu dem vom Landesamt für Verfassungsschutz geschilderten Ablauf der Veranstaltung zum 31. Gründungsjahrestag der PKK am 27.11.2009 und nach dem Hinweis darauf, dass dort auch ein Film über den Guerilla-Kampf und Öcalan vorgeführt worden sei, entgegnete: Man brauche ihm nicht zu sagen, dass in diesem Saal ein Bild von Öcalan angebracht gewesen sei; Öcalan sei in seinem Herzen.
53 
Ebenso als Unterstützung der PKK zu werten ist der Besuch einer Veranstaltung am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestages der Gründung des militärischen Arms der PKK, bei welchem in einer Rede Öcalan und die PKK gewürdigt worden seien.
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Besonders ins Gewicht fallen auch die vom Kläger nicht in Abrede gestellten Besuche bei so genannten Volksversammlungen in den Räumlichkeiten des „Kurd... K...“ bzw. der „Kurd... G... H...“ am 17.12.2005, 30.03.2008 und am 28.02.2010. Den vorliegenden Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz (vgl. vor allem Bericht vom 17.12.2010) lässt sich entnehmen, dass es – anders als bei Vereinsversammlungen, die sich schwerpunktmäßig mit Vereinsthemen beschäftigten – bei Volksversammlungen thematisch im Wesentlichen um den mit einem Betätigungsverbot belegten und deshalb streng konspirativ arbeitenden Teil der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen gehe. Demgemäß dienten Volksversammlungen in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Meist halte ein hochrangiger PKK-Funktionär eine „emotionalisierende“ Rede, die durchaus ein bis zwei Stunden dauern könne. Dabei würden die Zuhörer über alle Aspekte, die die PKK beträfen, ausführlich informiert, insbesondere über Verlautbarungen, Haftbedingungen und Gesundheitszustand des PKK-Führers Öcalan, Anweisungen der Organisation, Lageentwicklung in der Türkei, in Deutschland und in Europa und aktuelle Kampagnen. Sie würden außerdem unter Hinweis auf die angebliche patriotische Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Aktionen aufgerufen. Häufig legten in Volksversammlungen Frontarbeiter und Aktivisten Rechenschaft gegenüber höherrangigen Funktionären ab und übten dabei gegebenenfalls – bei Schlechterfüllung ihrer Pflichten – entsprechende Selbstkritik. Bei der Versammlung am 28.02.2010 sei nach einer Gedenkminute für die verstorbenen „PKK-Märtyrer“ die aktuelle Lage in der Türkei thematisiert und ein Bericht des Volksgebietsrats verlesen worden. Anschließend hätten die Vertreter verschiedener Kommissionen (Justiz, Außenkontakte u.ä.) des Volksgebietsrats über ihre Arbeit berichtet. Danach seien der Leiter des Volksgebietsrats und die Vertreter dieser Kommissionen neu gewählt worden. Eine Ausnahme gelte für zwei Kommissionen: Die „Vereinskommission“ bestehe „automatisch“ aus dem Vorstand der „Kurd... G...“. Die „Organisationskommission“ verfüge über 25 „Frontarbeiter“; diese Aktivisten hätten gute Arbeit geleistet.
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Hinzu kommt die Teilnahme des Klägers an Treffen, bei denen der gefallenen und verstorbenen PKK-Kämpfer oder -Aktivisten gedacht wird (18.05.2008 und ...2008). Wie dem Senat aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist, sind gerade auch solche Märtyrergedenkveranstaltungen ein wesentliches Element zur Herstellung eines engeren ideologischen und emotionalen Zusammenhalts der PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten und führen damit zur Verbreiterung und Stärkung der Basis der PKK (Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vgl. zum Märtyrerkult bei der PKK auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.1010 - 6 A 7.08 - a.a.O.).
56 
Bezeichnend ist der Besuch von Versammlungen anlässlich des Geburtstages von Öcalan (06.04.2003, 03.04.2005). Auch hat der Kläger ausweislich der Feststellungen des Landesamts für Verfassungsschutz an mehreren Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen (05.02.2005, 28.01.2006, 16.02.2007, 27.10.2007, 25.10.2008, 20.11.2010) teilgenommen, bei denen jeweils Rufe wie „ Es lebe Öcalan“, „Hoch leben Apo“ oder „PKK“ skandiert und „Freiheit für Öcalan“ gefordert wurde. Bei einer „Kurdistan-Solidaritätsdemonstration“ in H... am 20.11.2010 seien auch Parolen wie „Die PKK ist das Volk, das Volk ist hier“ gerufen und Plakate bzw. Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan – Frieden für Kurdistan“ mitgeführt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, an dieser Veranstaltung vom 20.11.2010 teilgenommen zu haben, und darüber hinaus erklärt, er nehme an (allen) „offiziell genehmigten Demonstrationen“ teil. Es sei um die Freiheit der Kurden gegangen.
57 
Tatsächlich ist bei der Teilnahme an Demonstrationen besonders zu beachten, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.; Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.). Zum einen können aber auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.). Zum anderen ging es bei diesen Demonstrationen nicht nur um Themen, die nicht ausschließlich von der PKK besetzt sind – wie die Forderung eines unabhängigen Kurdistans, die Kritik am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdisches Zivilbevölkerung, die Anmahnung der Einhaltung von Menschenrechten, oder auch die Kritik an Haftbedingung politischer Gefangener einschließlich Öcalans – sondern um die Bekundung der Anhängerschaft zu Öcalan und der PKK durch entsprechende Parolen und Transparente. Damit bestand eine klare politisch-ideologische Verbindung zur PKK und ihren Zielen bzw. ihren Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele, zu denen auch der Terror zählte und zählt. Dies war und ist auch für den Kläger erkennbar. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei ihm egal, welche Parolen gerufen und welche Transparente getragen würden; er selbst habe weder Parolen gerufen noch Plakate getragen. Wie ausgeführt, kommt es darauf jedoch nicht an. Auch überzeugt die Erklärung des Klägers nicht, er habe die Plakate bzw. Transparente nicht lesen können, weil er dann von vorne gegen die Demonstration hätte laufen müssen. Jedenfalls konnte ihm die Solidarisierung mit der PKK schon vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen und den offensichtlich eindeutigen Parolen nicht entgehen, so dass ihm diese zuzurechnen ist.
58 
Vor dem Hintergrund des Charakters und der Vielzahl der vom Kläger besuchten anderen Veranstaltungen, wie den Volksversammlungen, den Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK und dem Geburtstag von Öcalan sowie den Märtyrergedenkfeiern, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, es wären zusätzliche Erkenntnisse darüber erforderlich, was der Kläger bei den Veranstaltungen getan habe, unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts waren bereits zum Zeitpunkt von dessen Entscheidung mehr als 13 Beteiligungen des Klägers an Veranstaltungen bekannt. Inzwischen sind es 20, die vom Landesamt für Verfassungsschutz benannt worden sind. Wie ausgeführt, kommt es zudem auf Anlass und Charakter der betreffenden Veranstaltungen an. In Anbetracht des konkreten Falles ist jedenfalls der Hinweis des Verwaltungsgerichts unverständlich, man könne einer Versammlung oder Veranstaltung auch „kopfschüttelnd“ zu Informationszwecken beiwohnen, ohne eine „unterstützende Haltung“ durch Applaus, Rufen von Parolen, Tragen von Schildern oder Transparenten einzunehmen. Dabei wird verkannt, dass bereits die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen wie den angeführten, welche erkennbar auch dazu dienen, die PKK einschließlich ihrer terroristischen Aktionen zu fördern, eine Unterstützung der PKK darstellt. Die durch die – auch rein passive – Teilnahme ausgedrückte innere Nähe und Verbundenheit zur PKK kann deren Stellung in der Gesellschaft, hier insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, günstig beeinflussen, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld erweitern und dadurch insgesamt dazu beitragen, das latente Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.).
59 
Soweit der Kläger vorträgt, die Vereine, bei denen er Mitglied gewesen und auch heute noch Mitglied sei und in deren Vorstand er gewesen sei, seien nicht verboten gewesen, er sei doch kein Terrorist und er habe auch nur an erlaubten Veranstaltungen teilgenommen, verkennt er, dass § 54 Nr. 5 AufenthG der effektiven Bekämpfung der Vorfeldunterstützung des internationalen Terrorismus durch Herabsetzen der Eingriffsschwelle dient. Sinn und Zweck ist die präventive Gefahrenabwehr. Für die Verwirklichung des Tatbestands kommt es danach weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.).
60 
In Anbetracht der bereits zur Überzeugung des Senats festgestellten Umstände kommt weiteren länger zurückliegenden Tatsachen wie etwa der Ingewahrsamnahme des Klägers anlässlich der Besetzung des griechischen Generalkonsulats nach der Festnahme von Öcalan am 16.02.1999 und der Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung im Jahr 2001 nur noch eine das Gesamtbild abrundende Bedeutung zu.
61 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Übrigen keinen Zweifel an seiner Verehrung von Abdullah Öcalan und seiner Anhängerschaft zur PKK gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass er auf Veranstaltungen wie die angeführten, auch solche zur Feier des Gründungsjahrestages der PKK, weiter gehen werde, solange diese nicht verboten seien. Seiner Meinung nach trete die PKK – wie auch er selbst – für die Freiheit der Kurden ein und sei nicht terroristisch. Wenn man die PKK als terroristisch ansähe, wäre er auch ein Terrorist. Soweit der Kläger mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er aber kein „Vertreter“ der PKK sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt.
62 
c) Die hiernach maßgeblichen Umstände – die Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeiten in den Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ...“ und die beschriebenen Teilnahmen an PKK-nahen Veranstaltungen – sind auch noch zu berücksichtigen, soweit sie bereits länger zurückliegen.
63 
Das Verwertungsverbot für getilgte Strafen nach § 51 Abs. 1 BZRG kann schon deshalb nicht greifen, weil der Kläger wegen der angeführten Umstände bzw. Aktivitäten nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ob seine Teilnahme an einer Demonstration der PKK in Dortmund am 16.03.1996 noch berücksichtigt werden könnte, obwohl die deswegen gegen den Kläger mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot verhängte Geldstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister getilgt ist, kann hier offen bleiben. Denn auf diese Tat kommt es in Anbetracht der Vielzahl von sonstigen maßgeblichen Tatsachen – wie die Teilnahme an den angeführten Veranstaltungen 2002 bis 2010 und die Vorstandstätigkeit sowie die Mitgliedschaft in den kurdischen Vereinen in H... – hier nicht an. Jedenfalls ist weder bei Unterstützungshandlungen, die strafbar gewesen wären, aber nicht zu einer Verurteilung geführt haben, noch bei den nicht mit einer Strafe bewehrten Aktivitäten eine „fiktive Tilgung“ mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG vorzunehmen (ausführlich dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - InfAuslR 2011, 193, m.w.N.; zu den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2010 - 19 A 1491/05 - AuAS 2011, 89; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2011 - 5 N 30.08 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -, juris – auch zum Fall einer möglichen Atypik im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
64 
Die länger zurückliegenden Tätigkeiten des Klägers sowie insbesondere seine Stellung als Vorstand in den Vereinen sind auch nicht aus anderen Gründen nicht mehr „verwertbar“. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen „Verbrauch“, etwa weil die Ausländerbehörde dem Kläger in Kenntnis der Ausweisungsgründe einen Aufenthaltstitel erteilt hätte (vgl. dazu GK-AufenthG, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 106 ff., m.w.N.). Soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.02.2011 die Aktivitäten des Klägers und seine Tätigkeiten in den Vereinsvorständen in solche bis zum Jahr 2002 und solche danach aufgeteilt und nur die neueren berücksichtigt worden sind, ist diese Aufteilung nicht nachvollziehbar. Da der Kläger noch im Mai Jahr 2002 als 2. Vorsitzender in den Vorstand des Vereins „E... ...“ gewählt wurde und diese Funktion danach mindestens ein Jahr lang - so seinen eigenen Angaben nach -, ausweislich des Vereinsregisters sogar bis zur Löschung des Vereins im Jahr 2007 innehatte, hätte diese Vorstandsmitgliedschaft ohnehin mit einbezogen werden müssen. Jedenfalls fehlt es schon in Anbetracht der bis heute andauernden Aktivitäten des Klägers in und für PKK-nahe Vereine in H... bzw. für die PKK und seiner fortdauernden Mitgliedschaft in den Nachfolgevereinen des Vereins „Kurd... V...“ an einer Zäsur, die zur Folge haben könnte, dass frühere Unterstützungshandlungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
65 
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Bestimmung des § 54 Nr. 5 AufenthG (anders als die des § 54 Nr. 5a AufenthG) grundsätzlich weder vom Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck, aber auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine vom Betroffenen ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefährdung voraussetzt. Eine “gegenwärtige Gefährlichkeit“ muss nur dann festgestellt werden, wenn eine vergangene Mitgliedschaft des Ausländers oder zurückliegende Unterstützungshandlungen (außerhalb einer Mitgliedschaft) zu beurteilen sind (ausführlich dazu Urteile des Senats vom 25.05.2011- 11 S 308/11 - und vom 21.04.2010 - 11 S 200/11 - jew. a.a.O.). Wegen der fortdauernden Unterstützungshandlungen des Klägers und seiner ständigen Präsenz bei lokalen PKK-Veranstaltungen liegt eine solche im Übrigen hier eindeutig vor.
III.
66 
Die Entscheidung, den Kläger wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG auszuweisen, lässt sich rechtlich nicht beanstanden.
67 
1. Das Regierungspräsidiums ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 55 AufenthG über die Ausweisung zu entscheiden hat.
68 
a) Offen bleiben kann, ob schon deshalb Ermessen auszuüben ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 54 AufenthG gegeben ist. Allerdings geht das Regierungspräsidium zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst davon aus, dass der Kläger jedenfalls derzeit „aus familiären Gründen“ (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK), und zwar vor allem im Hinblick auf sein jüngstes, noch minderjähriges Kind A..., welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat, nicht abgeschoben werden kann. Mit Schreiben vom 02.12.2011 hat das dafür zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, dass dem Kläger daher eine Duldung erteilt werde. Das Vorliegen eines Duldungsgrundes oder eines Abschiebungsverbots führt zwar nicht zur Unzulässigkeit einer Ausweisung, kann aber atypische Umstände in Bezug auf den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG begründen (so zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG: Beschluss des Senats vom 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - InfAuslR 2011, 19; Urteil des Senats vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - a.a.O., m.w.N.¸ vgl. zur Atypik auch GK-AufenthG, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 50 ff., 124 ff.) mit der Folge, dass der Betreffende nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Ob deshalb oder aus anderen Gründen von einer Atypik auszugehen ist, bedarf hier aber keiner anschließenden Klärung.
69 
b) Denn die Entscheidung über die Ausweisung des Klägers hat bereits mit Blick auf den dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG nach Ermessen zu erfolgen.
70 
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unstreitig nicht vor, weil der Kläger nicht „im Besitz“ einer Niederlassungserlaubnis ist. Weil er mit seinem jüngsten, am ...2005 geborenen deutschen Sohn A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kommt ihm aber nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderer Ausweisungsschutz zu. Er kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen solche Gründe in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vorliegen, nach Ermessen über die Ausweisung zu entscheiden.
71 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der der Kläger trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter an PKK-nahen Veranstaltungen teilgenommen hat, und der in der mündlichen Verhandlung von ihm demonstrierten tiefen Verehrung von Öcalan und Anhängerschaft zur PKK ist damit zu rechnen, dass der Kläger weiter die PKK unterstützt.
72 
2. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung ist vom Regierungspräsidium in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden (§ 114 Satz 1 VwGO).
73 
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind bei der nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zur Ermessensausweisung herabgestuften Regelausweisung die vom Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einerseits und dessen private schutzwürdige Belange andererseits auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Beschluss vom 21.01.2011 - 1 B 17.10, 1 PKH 8/10 - juris, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300).
74 
Danach sind hier zugunsten des Klägers in erster Linie seine Familie bzw. seine familiären Bindungen zu berücksichtigen. Seine Ehefrau und fast alle Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nicht nur der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsgenhöriger; vielmehr hat sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat inzwischen auch seine älteste Tochter einbürgern lassen, bei einer anderen laufe derzeit das Einbürgerungsverfahren. Der Kläger hat berichtet, noch mit allen Kindern in einem Haushalt zu leben. Diesen Umständen, denen sicherlich eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, hat das Regierungspräsidium Stuttgart jedoch hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der von ihm angestellten und in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen hat es auch alle anderen relevanten Belange eingestellt und zutreffend gewichtet.
75 
Zwar hat das Regierungspräsidium in der Ausgangsentscheidung noch angenommen, dass der Kläger auch tatsächlich ausreisen müsse. Es hat aber später allein darauf abgestellt, dass er mit Rücksicht auf seine familiäre Situation nicht abgeschoben werden könne. Im Hinblick darauf ist dem Kläger inzwischen die Duldung aus familiären Gründen erteilt worden. In der mündlichen Verhandlung ist zudem die im Bescheid vom 10.06.2010 verfügte Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bis auf Weiteres – das bedeutet jedenfalls solange seinen familiären Belangen insbesondere im Hinblick auf das jüngste deutsche Kind keine geringere Bedeutung einzuräumen ist oder sich andere maßgebliche Umstände ändern – zumindest geduldet wird und seine Familie nicht verlassen muss. Die Ausweisung ist damit schon deshalb auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
76 
Die Entscheidung, den Kläger auszuweisen, begegnet auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil sich das in erster Linie mit einer Ausweisung verfolgte Ziel, die von dem betreffenden Ausländer ausgehende (Wiederholungs-) Gefahr mit der Ausreise zu bannen, hier bis auf Weiteres nicht verwirklichen lässt. Denn immerhin wird mit der Ausweisung zum einen konsequent jeder Aufenthaltsverfestigung entgegengewirkt, zum anderen werden dadurch die Aufenthaltsbeschränkungen des § 54a AufenthG ausgelöst bzw. der Erlass entsprechender Überwachungsmaßnahmen ermöglicht (Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O., ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 10.07.2009 - 10 ZB 09.950 - juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49).
77 
Auch die sonstigen Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Ausweisungsverfügung selbstständig tragend auf den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt sei und dass für diese schon allein die angestellten spezialpräventiven Erwägungen ausschlaggebend seien. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Klägers und schutzwürdige persönliche wirtschaftliche und sonstige Bindungen (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) wurden eingestellt und zutreffend gewürdigt. Dabei durfte zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass dieser nur sehr schlecht Deutsch spricht, lediglich wechselnden und unqualifizierten Berufstätigkeiten nachgegangen ist und offensichtlich bis heute nur im Umfeld seiner kurdischen Landsleute und „des Vereins“ Umgang und Bekanntschaften pflegt.
78 
Beim Kläger handelt es sich zwar um keine führende Persönlichkeit in der PKK. Angesichts seiner jahrelangen Unterstützung der PKK, der beschriebenen Hartnäckigkeit, mit der er trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter einschlägige Veranstaltungen besucht hat, und der deshalb weiter bestehenden gegenwärtigen Gefährlichkeit im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erweist sich die Ausweisung aber auch in Ansehung des langjährigen Aufenthalts des Klägers und insbesondere seiner familiären Bindungen nicht als unverhältnismäßig, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht weiter geduldet würde (vgl. dazu auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - 41548/06 - [Trabelsi]).
IV.
79 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
80 
Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht odernicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
81 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/ Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
82 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
83 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).
84 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
85 
Die hier vom Senat allein zu beurteilende Ausweisungsverfügung bleibt nach dem Vorgesagten aber hiervon unberührt.
B)
86 
Die Klage gegen die die Meldeauflage sowie die räumliche Beschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids vom 10.06.2010 ist vom Verwaltungsgericht zu Recht als zulässig angesehen worden. Beide Verfügungen stellen die gesetzlichen Pflichten des § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. § 54a Abs. 2 AufenthG konkretisierende Regelungen dar (ebenso Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.).
87 
Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zwar setzen beide Maßnahmen voraus, dass die Ausweisung sofort vollziehbar ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.11.2010 - 11 S 2481/10 - juris). Dementsprechend wurde auch unter Ziffer 5 des Bescheids vom 10.06.2011 die sofortige Vollziehung angeordnet, weshalb zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Verfügung unter dem hier zu behandelnden Aspekt nicht zu beanstanden war. Allerdings wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.11.2010 (11 K 2430/10 - juris) unter anderem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung nunmehr allein wegen der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausweisung vorübergehend als rechtswidrig anzusehen wären. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Senatsurteils wäre die Erlassvoraussetzung der Vollziehbarkeit wieder erfüllt. Namentlich müsste in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden in einem von den Beteiligten angestrengten Revisionsverfahren das Bundesverwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit ihrem Erlass notwendigerweise rechtkräftig wird, die Klage gegen die auf § 54a AufenthG gestützten Maßnahmen als unbegründet abweisen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung galt bzw. gilt lediglich vorläufig – bis zum Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft der Ausweisung. Dies legt ein Verständnis der aufschiebenden Wirkung nahe, nach welchem auch die Folgemaßnahmen nach § 54a AufenthG vom Wiedereintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung bezüglich der Ausweisung in ihrer Wirksamkeit nur vorläufig suspendiert sind, selbst wenn die aufschiebende Wirkung insoweit nicht ausdrücklich angeordnet wurde (ebenso zu vergleichbaren verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellationen Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 80 Rn. 31; Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 23). Schließlich würden die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung nach § 54a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG auch ohne Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt, wie sie hier erfolgt ist, unmittelbar mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung kraft Gesetzes (wieder) eintreten. Weitergehende Rechtswirkungen müssen der aufschiebenden Wirkung im Interesse des Betroffenen, insbesondere aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung, nicht beigemessen werden.
88 
In Anbetracht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der aktuell bestehenden Gefahr weiterer Unterstützung der PKK durch den Kläger lassen sich die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden; sie verstoßen insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO.
90 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
91 
Beschluss
92 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 und 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
93 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
28 
Soweit die Beteiligten - nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung unter Ziffer 2 des Bescheids vom 10.06.2010 in der mündlichen Verhandlung - den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen; das Urteil des Verwaltungsgerichts ist insoweit unwirksam (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO entspr.).
29 
Im Übrigen ist die aufgrund der Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthafte Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 14.02.2011 zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage gegen die Ausweisung unter Ziffer 1 (dazu unter A) und die Meldeauflage sowie die Aufenthaltsbeschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 10.06.2010 (B) abweisen müssen. Denn diese Verfügungen sind zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20) rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
30 
Rechtsgrundlage der Ausweisung ist § 55 i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG (I.). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG liegen vor (II.), die Ausweisungsentscheidung lässt sich auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden (III.).
I.
31 
Das Regierungspräsidium hat diese rechtsfehlerfrei auf § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob als Rechtsgrundlage daneben § 55 AufenthG i.V.m. § 54 Nr. 5a oder Nr. 6 AufenthG herangezogen werden könnten.
32 
Diese Regelungen sind hier uneingeschränkt anwendbar.
33 
1. Aus der Tatsache, dass der Kläger Vater eines minderjährigen deutschen Kindes – dem am ...2005 geborenen A... A... – ist, folgt nicht, dass er wie ein Unionsbürger oder nach unionsrechtlichen Grundsätzen zu behandeln wäre.
34 
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 08.03.2011 in der Rechtssache Ruiz Zambrano (C-34/09 - InfAuslR 2011, 179) entschieden, dass dem drittstaatsangehörigen Vater eines minderjährigen Kindes mit der Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates, dem er Unterhalt gewährt, unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft (des Kindes) nach Art. 20 AEUV ein Aufenthalts- und Arbeitsanspruch zustehen kann. Ausschlaggebend war ausweislich der Gründe der Umstand, dass die Kinder, welche Unionsbürger waren, bei einer „Verweigerung von Aufenthalt und Arbeitserlaubnis“ ihrer drittstaatsangehörigen Eltern gezwungen gewesen wären, das Unionsgebiet zu verlassen. Art. 20 AEUV sei daher dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehre, einem Drittstaatsangehörigen, der seinen minderjährigen Kindern, die Unionsbürger sind, Unterhalt gewährt, den Aufenthalt im Wohnsitzstaat und eine Arbeitserlaubnis zu verweigern, da derartige Entscheidungen diesen Kindern den tatsächlichen Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleihe, verwehren würden. Folge eines entsprechenden Aufenthaltsrechts wäre eine allenfalls eingeschränkte Anwendbarkeit der Ausweisungsvorschriften der §§ 53 ff. AufenthG (vgl. dazu Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291; allgemein zum Urteil des EuGH vom 08.03.2011: OVG NRW, Beschluss vom 29.04.2011 - 18 B 377/11 -; Hess. VGH, Beschluss vom 27.10.2011 - 6 D 1633/11 - juris). Wie auch inzwischen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 05.05.2011 in der Rechtssache McCarthy (C-434/09 - InfAuslR 2011, 268) und vom 15.11.2011 in der Rechtssache Dereci (C-256/11 - juris) deutlich machen, ist ein Aufenthaltsanspruch des Drittstaatsangehörigen aus der Unionsbürgerschaft seines Kindes – oder auch seines Ehepartners – aber nur abzuleiten, wenn der betreffende Unionsbürger andernfalls zwingend das Unionsgebiet verlassen müsste (weitergehend noch Urteil des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - a.a.O., und Beschluss des Senats vom 12.05.2011 - 11 S 765/11 - NVwZ 2011, 1213). Vorliegend kann aber das jüngste deutsche Kind des Klägers zusammen mit dessen Ehefrau, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist, in Deutschland bleiben und wäre daher nicht gezwungen, das Unionsgebiet zu verlassen. Ob gegebenenfalls eine Trennung des Klägers von seiner Familie, insbesondere seinem minderjährigen deutschen Kind zulässig ist, ist somit keine unionsrechtliche Fragestellung, sondern nach den allgemeinen Maßstäben (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK) zu beantworten.
35 
2. Eine nur beschränkte Anwendbarkeit der Regelungen der §§ 53 ff. AufenthG folgt hier auch nicht aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB 1/80; vgl. insbesondere Art. 14 ARB 1/80). Der Kläger verfügt über kein Aufenthaltsrecht gemäß der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmung des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80.
36 
Nach dem gestuften Regelungssystem des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 kann im Rahmen der ersten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht bei einjähriger Beschäftigung nur zum Zwecke der Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses bei dem gleichen Arbeitgeber erworben werden. Im Rahmen der zweiten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 2) wird nach dreijähriger ordnungsgemäßer Beschäftigung das Recht erworben, Stellenangebote eines anderen Arbeitgebers im gleichen Beruf zu akzeptieren. Erst im Rahmen der dritten Verfestigungsstufe (Spiegelstrich 3), d.h. nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung, erwirbt der türkische Arbeitnehmer gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht nur das Recht, auf ein bereits existierendes Stellenangebot einzugehen, sondern auch das unbedingte Recht, Arbeit zu suchen und jede beliebige Beschäftigung aufzunehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 23.01.1997 - C-171/95 - [Tetik] InfAuslR 1997, 146). Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 berühren Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche. Entsprechendes gilt auch bei einem „unverschuldeten Arbeitgeberwechsel“ (vgl. Renner, AufenthG, 9. Aufl. 2011, § 4 AufenthG Rn. 124 f.), und zwar selbst dann, wenn keine Unterbrechung der Beschäftigung eingetreten ist. Voraussetzung ist nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 allerdings, dass die Zeiten der unverschuldeten Arbeitslosigkeit „von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind“, das bedeutet, dass sich der Betreffende arbeitslos gemeldet und der Arbeitsverwaltung zur Verfügung gestanden hat.
37 
Nach diesen Grundsätzen verfügt der Kläger nicht über ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht. Seine Arbeitstätigkeit in einer Gebäudereinigung im Jahr 2002 war zu kurz, um zum Erwerb von Ansprüchen nach dem ARB 1/80 zu führen. Selbst wenn man die sozialversicherungsfreien (Neben-)Tätigkeiten in einem Internetcafé in H... vom 13.03.2004 bis zum 31.01.2006 und die Tätigkeit bei einer Vertriebs GmbH vom 01.04.2006 bis zum 15.06.2006 insgesamt anerkennen und die damaligen Unterbrechungen durch – ordnungsgemäß festgestellte – Arbeitslosigkeit sowie den Wechsel der Arbeitgeber wegen unverschuldeter Arbeitslosigkeit als unschädlich ansehen würde, wäre der Kläger danach zum 15.06.2006 maximal 2 Jahre 3 Monate und 2 Tage ordnungsgemäß beschäftigt gewesen. Die damit allenfalls erreichte Rechtsposition nach dem ersten Spiegelstrich des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wäre durch die anschließende beschäftigungslose Zeit bis zur Aufnahme einer Arbeit bei einem Abbruchunternehmen in L... unterbrochen gewesen. Denn ausweislich der vorliegenden Auskünfte der Deutschen Rentenversicherung (vgl. den vom Kläger mit Schriftsatz vom 30.06.2011 vorgelegten Versicherungsverlauf vom 06.06.2011) war er in dieser Zeit nicht arbeitslos gemeldet. Letztlich kommt es aber darauf nicht an. Selbst wenn man – trotz des Betriebsinhaberwechsels – die anschließende Beschäftigung bei den Abbruchunternehmen in L... vom 17.07.2006 bis zum 31.01.2007 hinzurechnen würde, wäre der Kläger seit dem 13.03.2004 noch keine drei Jahre beschäftigt gewesen, hätte also nur die Rechtsposition der ersten Stufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erreicht gehabt. Diese hätte er durch die anschließende Kündigung und die folgende zweimonatige Arbeitslosigkeit aber wieder verloren gehabt. Denn diese Kündigung erfolgte nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung durch ihn. Da seine Kinder sich geweigert hätten, zu ihm nach L... zu ziehen, habe er wieder zu seiner Familie ziehen wollen.
38 
Im Anschluss war der Kläger zwar noch vom 02.04.2007 bis zum 31.05.2009 als Fahrer bei einer Firma in H... beschäftigt und ist seit dem 01.07.2009 bei einer Gebäudereinigung angestellt. Die Beschäftigungszeiten als Fahrer können aber schon deshalb nicht mehr zum Erreichen eines Rechts nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 führen, weil der Kläger seinen Angaben nach zwar entlassen wurde, sich aber nicht unmittelbar anschließend bei der Arbeitsverwaltung gemeldet hat. Abgesehen davon war er seit dem 13.09.2007 nicht mehr „ordnungsgemäß beschäftigt“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Denn seine letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 12.09.2007 aus und galt lediglich aufgrund seines Antrags auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis als fortbestehend (§ 81 Abs. 4 AufenthG). Grundsätzlich setzt aber eine „ordnungsgemäße Beschäftigung“ im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt voraus (vgl. nur EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], NVwZ 1991, 255). Keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige verfahrenssichernde Rechtsstellung hat ein türkischer Arbeitnehmer während des Zeitraums, in dem sein Widerspruch oder seine Klage aufschiebende Wirkung gegen eine die Erteilung oder die Verlängerung eines Aufenthaltstitels ablehnende behördliche Entscheidung entfaltet (vgl. EuGH, Urteil vom 16.12.1992 - C-237/91 - [Kus], InfAuslR 1993, 41). Dies gilt auch in Bezug auf die Titelfunktion des § 81 Abs. 4 AufenthG (vgl. Renner, a.a.O., § 4 AufenthG, Rn. 117 m.w.N.). Etwas anderes folgt hier auch nicht daraus, dass über die am 25.05.2009 gegen das Land Baden-Württemberg erhobene Klage des Klägers auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (11 K 2004/09) noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist. Zwar können Zeiten der Arbeitstätigkeit, in denen der Betreffende lediglich über ein fiktives Aufenthaltsrecht verfügt hat, später - rückwirkend - doch wieder als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung zu berücksichtigen sein, wenn in der Folge eine positive behördliche oder gerichtliche Entscheidung getroffen wird. Denn dann werden die zurückliegenden Beschäftigungszeiten anrechnungsfähig (EuGH, Urteil vom 20.09.1990 - C-192/89 - [Sevince], a.a.O.), und zwar gegebenenfalls selbst dann, wenn während kurzer Zeiträume kein Aufenthaltstitel und auch keine Fiktionswirkung bestand, etwa weil der Betreffende eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis erst kurz nach Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis beantragt hatte (EuGH, Urteil vom 16.03.2000 - C-329/97 - [Ergat], InfAuslR 2000, 217). Diese Fragen können hier jedoch dahingestellt bleiben. Denn es ist wegen des vom Kläger verwirklichten Ausweisungsgrundes nach § 54 Nr. 5 AufenthG (dazu unten) offensichtlich, dass er keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis oder auf Verlängerung der früher bestehenden Aufenthaltserlaubnis hat (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG). Abgesehen davon kommt es darauf auch deshalb nicht an, weil die Fiktionswirkung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG jedenfalls mit Bekanntgabe der Ausweisung vom 10.06.2010 – und damit vor Ablauf eines Jahres seit Beginn der Tätigkeit am 01.07.2009 und Erreichen einer Position nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 – erloschen ist. Zwar kommt der vom Kläger gegen die Ausweisung erhobenen Klage aufschiebende Wirkung zu, weil das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 19.11.2010 - 11 K 2430/10 - auch insoweit die aufschiebende Wirkung wiederhergestellt hat. Nach § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG lassen jedoch Widerspruch und Klage unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung die Wirksamkeit unter anderem der Ausweisung unberührt, solange diese nicht unanfechtbar aufgehoben worden ist.
II.
39 
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 54 Nr. 5 AufenthG sind erfüllt.
40 
Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer in der Regel ausgewiesen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, wobei die Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Die Zugehörigkeit zu einer entsprechenden Vereinigung oder ihre Unterstützung muss danach nicht erwiesen sein, es genügt das Vorliegen von Tatsachen, die die entsprechende Schlussfolgerung rechtfertigen. Dass es sich dabei um eine Vereinigung handelt, die den Terrorismus unterstützt, muss hingegen feststehen (Bay.VGH, Urteil vom 22.02.2010 - 19 B 09.929 - juris, bestätigt mit Urteil des BVerwG vom 25.10.2011 - 1 C 13.10 -).
41 
1. Zunächst sind das Verwaltungsgericht und das Regierungspräsidium Stuttgart zu Recht davon ausgegangen, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) und ihre Nachfolgeorganisationen KADEK (Freiheits- und Demokratiekongress Kurdistans), KONGRA-GEL (Volkskongress Kurdistans), KKK (Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) oder KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans) - im Folgenden PKK - dem Terrorismus zuzurechnen und damit jedenfalls als eine den Terrorismus im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG unterstützende Vereinigung anzusehen sind (vgl. hierzu Urteile des Senats vom 29.09.2010 - 11 S 597/10 - VBlBW 2011, 478, und vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - juris sowie Beschlüsse des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vom 16.12.2010 - 11 S 2374/10 - und vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - InfAuslRAuslR 2011, 105). Eine Vereinigung unterstützt den Terrorismus, wenn sie selbst ihre Ziele auch mit terroristischen Mitteln – wie dem Einsatz gemeingefährlicher Waffen und mit Angriffen auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele – verfolgt (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - juris, m.w.N.; vgl. im Einzelnen zum Begriff des Terrorismus GK-AufenthG, Stand: Sept. 2011, § 54 Rn. 436 ff.). Das ist bei der PKK in dem hier maßgeblichen Zeitraum von 1997 bis heute der Fall. Insbesondere verzichtete die PKK auch während der Phase des 1999 ausgerufenen und 2004 wieder beendeten „Friedenskurses“ nicht auf Gewalt. Das seit vielen Jahren weitgehend friedliche Auftreten der PKK in Europa ist Teil einer „Doppelstrategie“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 26.10.2010 - 1 A 111/09 - InfAuslR 2011, 37) und ändert nichts an deren grundsätzlich bestehender Gewaltbereitschaft und der Anwendung von terroristischen Mitteln, etwa bei Anschlägen in der Türkei (so etwa am 22.06.2010 in Istanbul, vgl. ZEIT-ONLINE vom 23.06.2010: www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/kurden-tuerkei-politik; WELT ONLINE vom 22.06.2010 www.welt.de/politik/ausland/ article8142791/Tuerkei-Touristen-im-Fadenkreuz-kurdischen-Terrors.html; am 27. und 28.08 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, vgl. SPIEGEL ONLINE vom 28.08.2006 www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,434039,00.html) oder der Entführung Unbeteiligter (vgl. zur Entführung von drei deutschen Staatsangehörigen am Berg Ararat am 08.07.2008 SPIEGEL ONLINE vom 09.07.2011: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,564783,00.html). Insoweit wird ergänzend auf die ausführliche und zutreffende Darstellung im angefochtenen Bescheid des Regierungspräsidiums vom 10.06.2010 verwiesen (vgl. auch Landesamt für Verfassungsschutz Bad.-Württ., „Ausländerextremismus“, August 2007, S. 9 ff., sowie Bundesamt für Verfassungsschutz, „Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL)“, März 2007). Abgesehen davon ist die PKK seit Mai 2002 auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt (vgl. Ziff. 2.9 des Anhangs zum Gemeinsamen Standpunkt des Rates vom 02.05.2002 betreffend die Aktualisierung des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GSAP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus - 2002/340/GSAP – ABl. L 116, S. 75). Entgegen der Auffassung des Klägers erlaubt eine solche Aufnahme die Feststellung, dass die Vereinigung terroristischer Art ist (EuGH, Urteil vom 09.11.2010 - C-57/09 und C-101/09 - InfAuslR 2011, 40; vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 07.12.2010 - 1 B 24.10 - juris; noch offengelassen im Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - juris).
42 
2. Ob der Kläger der PKK „angehört“ im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, kann hier offen bleiben. Denn aus den vorliegenden Tatsachen ist jedenfalls die Folgerung gerechtfertigt, dass er diese seit vielen Jahren in mehrfacher Weise unterstützt hat und weiter unterstützt.
43 
Als tatbestandserhebliches Unterstützen ist jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirkt. Dazu zählt zum Beispiel auch jedes Tätigwerden eines Nichtmitglieds, das die innere Organisation und den Zusammenhalt der Vereinigung fördert, ihren Fortbestand oder die Verwirklichung ihrer auf die Unterstützung terroristischer Bestrebungen gerichteten Ziele fördert und damit ihre potenzielle Gefährlichkeit festigt und ihr Gefährdungspotenzial stärkt. Auf einen beweis- und messbaren Nutzen für die Verwirklichung der missbilligten Ziele kommt es ebenso wenig an wie auf eine subjektive Vorwerfbarkeit. Allerdings kann nicht jede Handlung, die sich zufällig als für die betreffende Vereinigung bzw. den Terrorismus objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen verstanden werden. Vielmehr muss die eine Unterstützung der Vereinigung bezweckende Zielrichtung des Handelns für den Ausländer regelmäßig erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auch fehlt es an einem Unterstützen, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der Organisation, nicht aber auch die Unterstützung des internationalen Terrorismus befürwortet - und sich hiervon gegebenenfalls deutlich distanziert - und lediglich dies durch seine Teilnahme an erlaubten Veranstaltungen in Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt. Dienen solche Veranstaltungen allerdings erkennbar dazu, nicht nur einzelne Meinungen kundzutun, wie sie auch die Vereinigung vertritt, sondern durch die - auch massenhafte - Teilnahme jedenfalls auch diese Vereinigung selbst vorbehaltlos und unter Inkaufnahme des Anscheins der Billigung ihrer terroristischen Bestrebungen (beispielsweise wegen des angekündigten Auftretens von Funktionären einer verbotenen Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt) zu fördern, dann liegt ein im Hinblick auf den Normzweck potenziell gefährliches Unterstützen im Sinne von § 54 Nr. 5 AufenthG vor, der die Freiheit der Meinungsäußerung insoweit verhältnismäßig beschränkt. Eine Unterstützung kann ferner dann in Betracht kommen, wenn durch zahlreiche Beteiligungen an Demonstrationen und Veranstaltungen im Umfeld einer Vereinigung - wie der verbotenen PKK - bei einer wertenden Gesamtschau zur Überzeugung des Tatsachengerichts feststeht, dass der Ausländer auch als Nichtmitglied in einer inneren Nähe und Verbundenheit zu der Vereinigung selbst steht, die er durch sein Engagement als ständiger (passiver) Teilnehmer zum Ausdruck bringt, und damit deren Stellung in der Gesellschaft (vor allem unter Landsleuten) begünstigend beeinflusst, ihre Aktionsmöglichkeiten und eventuell auch ihr Rekrutierungsfeld erweitert und dadurch insgesamt zu einer Stärkung ihres latenten Gefahrenpotenzials beiträgt. Dabei muss allerdings die terroristische oder den Terrorismus unterstützende Tätigkeit der Vereinigung im In- oder Ausland zum jeweiligen Zeitpunkt feststehen und das Verhalten des Einzelnen auch unter Berücksichtigung etwaiger glaubhafter Distanzierungen von der Unterstützung des Terrorismus (oder das Fehlen jeglicher Distanzierung) gewürdigt werden. Eine darüber hinausgehende konkrete oder persönliche Gefährdung der inneren oder äußeren Sicherheit ist dagegen nicht erforderlich. Ebenso wenig ist ein "aktives Tätigwerden" erforderlich (BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 -BVerwGE 123, 114 - zur früheren Regelung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 AuslG; vgl. auch Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O., m.w.N.; Beschluss des Senats vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O.; Urteile des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - juris und vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.).
44 
Nach diesen Grundsätzen liegen hier eine Vielzahl von Tatsachen vor, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Kläger die PKK und damit den Terrorismus unterstützt im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG, so die Mitgliedschaft und die Übernahme von Vorstandsfunktionen in PKK-nahen Vereinen (a) und die über Jahre hinweg fortgesetzte Teilnahme an den unterschiedlichsten PKK-nahen Aktionen und Veranstaltungen (b). Dabei sind entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die länger zurückliegenden Tatsachen noch zu berücksichtigen (c).
45 
a) Zunächst steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die kurdischen Vereine in H..., in denen der Kläger Vorstandsmitglied war, den Terrorismus unterstützen. Dabei zu berücksichtigen, dass - wie dargelegt - bereits jede Tätigkeit als tatbestandliches Unterstützen anzusehen ist, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der betreffenden Vereinigung, hier der PKK, auswirkt.
46 
aa) Der Verein „Kurd... V...“ e.V. wurde in den 1990-er Jahren gegründet und im Jahr 2000 wieder aufgelöst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung unmissverständlich deutlich gemacht, dass er in dem im Anschluss gegründeten „Kurd... K...“ und in dem derzeit bestehenden Verein „Kurd... G...“ Nachfolgevereine des Vereins Kurdx ... V...“ sieht. Es handle sich um „den Verein“, in welchem er bis heute Mitglied sei und mit seinen Familienangehörigen jedes Wochenende verbringe. Er hat damit die entsprechende Einschätzung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, die in der mündlichen Verhandlung von dem angehörten Mitarbeiter I.V. weiter erläutert worden ist, bestätigt. Der Kläger ist in einer Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 in den Vorstand des Vereins „K... V...“ gewählt worden und war als solcher für die Bücherei des Vereins zuständig. Darauf hat er sich auch in seinem Asylverfahren berufen und geltend gemacht, dass ihm deshalb bei einer Rückkehr in die Türkei Verfolgung drohe (Schriftsatz vom 01.07.1997 zum Verfahren A 3 K 12680/98).
47 
Für eine PKK-Nähe des Vereins spricht schon der Umstand, dass dieser Mitglied bei der YEK-KOM, der „Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.“ war. Dies lässt sich dem vom Kläger im Asylverfahren vorgelegten Protokoll über die Mitgliederversammlung vom 25.01.1997 entnehmen, in welcher die Vereinsmitglieder – nach Darstellung der Arbeit und der Bedeutung der YEK-KOM – für eine Mitgliedschaft des Vereins in dieser Dachorganisation gestimmt haben. Die YEK-KOM, deren Sitz in Düsseldorf ist und der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK durch eine Vielzahl von Aktionen. Dies wird in der überzeugenden „Einschätzung“ des Landesamts für Verfassungsschutz vom 17.06.2010“ im Einzelnen ausführlich dargelegt. Die YEK-KOM sei ihrerseits Mitglied der „Konföderation der Kurdischen Vereine in Europa“ (KON-KURD). Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen bzw. ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie „Freiheit für Öcalan“ und „Frieden für Kurdistan“. In einer zusammenfassenden Bewertung heißt es, im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die „logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans“ verankert. Die von der YEK-KOM sowohl in ihren Publikationen als auch bei ihren Veranstaltungen und Aktionen aufgegriffenen Themen lägen im Interessenbereich der PKK. Zu nennen seien insbesondere die Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung Abdullah Öcalans. Der Verein biete der PKK bzw. ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass eine eindeutige Nähe des Vereins YEK-KOM zur PKK bzw. zu ihren Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL vorliege.
48 
Hinzu kommen die Veranstaltungen, die vom Verein „Kurd... V...“ durchgeführt wurden, so zum Beispiel aus der Zeit, in der der Kläger Vorstandsmitglied war, eine Demonstration zum Newroz-Fest am 20.03.1998. In einem Bericht der Stadt H... vom 29.04.1998 über diese Demonstration wird dargelegt, dass Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt worden seien. Nach Einschätzung der Polizei und der Stadt H... habe nicht das Thema „Newroz-Fest“ im Vordergrund gestanden, sondern das Thema „Politische Lösung der kurdischen Frage und Aufhebung des Verbots der PKK“. Wie sich außerdem einem Bescheid der Stadt H... vom 14.05.1998 über das Verbot einer für den 17.05.1998 im Schlachthof in H... geplanten Veranstaltung entnehmen lässt, wurde zu dieser angeblichen „Folkloreveranstaltung“ mit Flugblättern der ENRK (Nationale Befreiungsfront Kurdistans, eine Organisation der PKK) eingeladen. In den Räumen des Vereins wurde dafür mit einem Aushang mit dem Text „Sieg im Frieden, Freiheit im Leben, Volksversammlung wird stattfinden. Ort = Schlachthof“ geworben. Herr I.V. vom Landesamt für Verfassungsschutz hat zudem in der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren überzeugend dargelegt, dass „der Verein“ in H... – derzeit die „Kurd... G...“ – seit Jahren durch regelmäßige PKK-Veranstaltungen auffalle. Er rufe immer wieder zu Veranstaltungen und zu Kundgebungen auf, die inhaltlich die PKK, Abdullah Öcalan als PKK-Führer u.ä zum Thema hätten. Insofern trete der Verein immer wieder aktiv auf und führe diese Kundgebungen durch. Bei den Veranstaltungen würden PKK-Slogans skandiert, es werde die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert und die Türkei werde als terroristischer Staat bezeichnet. Das alles seien für das Landesamt für Verfassungsschutz Indizien, um die entsprechende Veranstaltung – anders als normale kulturelle Veranstaltungen von Kurden – als „PKK-nah“ anzusehen. Schließlich existierten auch zahlreiche andere kurdische Vereine, die vom Verfassungsschutz nicht als „PKK-nah“ eingestuft würden, etwa solche, die dem Dachverband der KOMKAR (Verband der Vereine aus Kurdistan) angehörten. Es gebe also eine Alternative. Der Verein in H... wie auch andere PKK-nahe Vereine fielen dadurch auf, dass sie sich stets und immer wieder PKK-spezifischen Themen annähmen. Das ziehe sich seit den 1980er-Jahren wie ein „roter Faden“ durch die Betätigung des Vereins.
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bb) Dass sich auch der Verein „Gebetshaus E... ... - I... ... e.V., H...“ – in dessen Vorstand der Kläger erstmals im Dezember 1998 (als stellvertretendes Vorstandsmitglied) und erneut im Mai 2002 (als 2. Vorsitzender des Vorstands) gewählt worden war – der PKK verbunden gefühlt hat, folgt bereits aus dem Formular zur Anmeldung des Vereins am 29.04.1998 bei der Stadt H... Darin wird ausgeführt, „Wir glauben, dass die kurdische Sache unter Führung der PKK gelöst wird“ und „Abgrenzung zum Kurd... V... e.V. durch Schwerpunkt Religion“. Auch wird als Zweck des Vereins angegeben „Versammlung von allen Kurden, auch revolutionäre Kurden, unter einem Dach“. Außerdem verdeutlicht die vorliegende Stellungnahme des Bundeskriminalamts, Stand 11/2006, „Religiöse Vereinigungen innerhalb der PKK“ die Anbindung auch dieses Vereins an die PKK. Danach sei im Zuge des 4. Parteikongresses der PKK im Dezember 1990 die Gründung der Union der patriotischen Gläubigen aus Kurdistan (kurz: YOWK, ab 1991 YDK), einem Dachverband von Muslimen, beschlossen worden. 1993 sei die Umbenennung in „Islamischer Bund Kurdistans - HIK“ bzw. „Islamische Bewegung Kurdistans - KIH“ erfolgt. Die regionale Aufteilung sei in drei Funktionsbereiche, darunter eine Föderation in Süddeutschland mit Sitz in Heilbronn, erfolgt. Im Mai 2005 sei eine erneute Umbenennung, diesmal in „Islamische Gesellschaft Kurdistans - CIK“ beschlossen worden. Nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz sei die CIK/HIK eine Massenorganisation der PKK, über die muslimische Kurden an die PKK gebunden werden sollen. In der Herbstausgabe der Baweri, dem seit 1995 erscheinenden Publikationsorgan der CIK/HIK, werde diese als eine religiös-politische Kampfesbewegung bezeichnet, die den nationalen Befreiungskampf Kurdistans unterstütze. In diesem Rahmen rufe sie regelmäßig zu Spenden oder Kampagnen auf, wie beispielsweise zur Sammlung von Spenden für kurdische Bedürftige und Waisen oder der Opferkampagne. Zu den der CIK/HIK angehörenden Moschen gehöre u.a. die „Mizgevta E... ...“ in H... ... Die Anbindung der CIK/HIK an die PKK und deren Abhängigkeit von der Organisation werde auch durch verschiedene Asservate belegt. In einem Fazit heißt es, die PKK unterhalte eine Vielzahl von Organisationen, mit deren Hilfe sie ihren Einfluss auf alle Lebensbereiche auszudehnen versuche. In ihrem Bestreben, auch die religiösen Gruppierungen der Kurden in ihren Strukturen einzubinden, habe sie die Gruppe der Muslime durch die CIK/HIK an ihre Organisation angebunden. Die Verlautbarungen führender Parteikader sowie die Organisationsbeschlüsse belegten die strukturelle Anbindung an die CDK (Nachfolgeorganisation der YDK) und damit an eine in der Bundesrepublik Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Organisation.
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Ist danach davon auszugehen, dass beide ausländerrechtlichen Vereine, in deren Vorstand der Kläger gewählt war, die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen unterstützt haben, so ist dem Kläger diese Unterstützung bereits aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied zuzurechnen, ohne dass der Frage seiner tatsächlichen inneren Einstellung weiter nachgegangen werden müsste (vgl. zu § 11 StAG: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 11.06.2008 - 13 S 2613/03 - VBlBW 2009, 29, m.w.N). Davon abgesehen greift § 54 Nr. 5 AufenthG auch in Fällen, in denen der Betreffende einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt, hier dem Verein „Kurdx... V...“ und der „E... ...“, d.h. es kommt auch deshalb nicht darauf an, ob und in welchem Umfang er persönlich Unterstützung geleistet hat.
51 
b) Hinzu kommt, dass schon allein wegen der Teilnahme des Klägers an diversen PKK-nahen Veranstaltungen davon auszugehen ist, dass er die PKK unterstützt hat und bis heute unterstützt. Denn er war bei einer Reihe von Veranstaltungen, die geeignet sind, den ideologischen und emotionalen Zusammenhalt der PKK, ihrer Nachfolgeorganisationen und Organisationen im politischen Umfeld zu stärken. Diese Teilnahmen sind daher bereits für sich genommen ohne Weiteres als selbstständige Unterstützungshandlungen zu qualifizieren, die zum Vorliegen des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG führen. Umso mehr gilt dies bei einer Gesamtschau aller festgestellten Aktivitäten des Klägers einschließlich der Vorstandstätigkeiten in den Vereinen.
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Zu den Veranstaltungen, deren Besuch als Unterstützung der PKK anzusehen ist, gehören insbesondere die Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK. Nach den Mitteilungen des Landesamts für Verfassungsschutz hat der Kläger in den Jahren 2005, 2007, 2008 und 2009, jeweils in I... bei H..., den 27., 29., 30. und den 31. Gründungsjahrestag der PKK mitgefeiert. Dies wurde von ihm in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt. Nach den Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz seien bei diesen Feiern Fahnen der KONGRA-GEL bzw. der KCK oder der KKK und Bilder Öcalans aufgehängt gewesen bzw. entrollt worden (27.11.2005, 23.11.2008 und 27.11.2009), Filme über das Leben des Öcalan (27.11.2005 und 23.11.2008) oder die Guerilla (27.11.2009) vorgeführt und jeweils Reden über die PKK gehalten worden – zum Beispiel mit einem Überblick über die Entwicklung der PKK seit deren Gründung (23.11.2008). Regelmäßig werde die Bedeutung der PKK für die Kurden in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hervorgehoben. Zudem werde regelmäßig die PKK-Guerilla positiv herausgestellt, wenn nicht gar glorifiziert, indem zum Beispiel - wie im Jahr 2009 - ein Film über diese gezeigt werde (vgl. Bericht des LfV vom 17.12.2010). Solche Veranstaltungen haben in spezifischer Weise Propagandacharakter und dienen erkennbar der Förderung und Stärkung der PKK. Mit dem Besuch zeigt der Teilnehmer seine Anhängerschaft und fördert den Zusammenhalt der Organisation und ihrer Anhänger (vgl. Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -). Typisch für PKK-nahe Veranstaltungen ist auch der Personenkult um den in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Öcalan. Seiner Person kommt nach wie vor ein Symbolgehalt auch für den bewaffneten Kampf der PKK gegen den Staat zu (BVerwG, Beschluss vom 24.02.2010 - 6 A 7.08 - a.a.O.). Es ist daher auch bezeichnend, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf die Fragen zu dem vom Landesamt für Verfassungsschutz geschilderten Ablauf der Veranstaltung zum 31. Gründungsjahrestag der PKK am 27.11.2009 und nach dem Hinweis darauf, dass dort auch ein Film über den Guerilla-Kampf und Öcalan vorgeführt worden sei, entgegnete: Man brauche ihm nicht zu sagen, dass in diesem Saal ein Bild von Öcalan angebracht gewesen sei; Öcalan sei in seinem Herzen.
53 
Ebenso als Unterstützung der PKK zu werten ist der Besuch einer Veranstaltung am 17.08.2008 anlässlich des 24. Jahrestages der Gründung des militärischen Arms der PKK, bei welchem in einer Rede Öcalan und die PKK gewürdigt worden seien.
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Besonders ins Gewicht fallen auch die vom Kläger nicht in Abrede gestellten Besuche bei so genannten Volksversammlungen in den Räumlichkeiten des „Kurd... K...“ bzw. der „Kurd... G... H...“ am 17.12.2005, 30.03.2008 und am 28.02.2010. Den vorliegenden Berichten des Landesamts für Verfassungsschutz (vgl. vor allem Bericht vom 17.12.2010) lässt sich entnehmen, dass es – anders als bei Vereinsversammlungen, die sich schwerpunktmäßig mit Vereinsthemen beschäftigten – bei Volksversammlungen thematisch im Wesentlichen um den mit einem Betätigungsverbot belegten und deshalb streng konspirativ arbeitenden Teil der PKK bzw. ihrer Nachfolgeorganisationen gehe. Demgemäß dienten Volksversammlungen in erster Linie der Information und Mobilisierung der Basis durch Funktionäre der PKK. Meist halte ein hochrangiger PKK-Funktionär eine „emotionalisierende“ Rede, die durchaus ein bis zwei Stunden dauern könne. Dabei würden die Zuhörer über alle Aspekte, die die PKK beträfen, ausführlich informiert, insbesondere über Verlautbarungen, Haftbedingungen und Gesundheitszustand des PKK-Führers Öcalan, Anweisungen der Organisation, Lageentwicklung in der Türkei, in Deutschland und in Europa und aktuelle Kampagnen. Sie würden außerdem unter Hinweis auf die angebliche patriotische Verpflichtung zur Teilnahme an entsprechenden Aktionen aufgerufen. Häufig legten in Volksversammlungen Frontarbeiter und Aktivisten Rechenschaft gegenüber höherrangigen Funktionären ab und übten dabei gegebenenfalls – bei Schlechterfüllung ihrer Pflichten – entsprechende Selbstkritik. Bei der Versammlung am 28.02.2010 sei nach einer Gedenkminute für die verstorbenen „PKK-Märtyrer“ die aktuelle Lage in der Türkei thematisiert und ein Bericht des Volksgebietsrats verlesen worden. Anschließend hätten die Vertreter verschiedener Kommissionen (Justiz, Außenkontakte u.ä.) des Volksgebietsrats über ihre Arbeit berichtet. Danach seien der Leiter des Volksgebietsrats und die Vertreter dieser Kommissionen neu gewählt worden. Eine Ausnahme gelte für zwei Kommissionen: Die „Vereinskommission“ bestehe „automatisch“ aus dem Vorstand der „Kurd... G...“. Die „Organisationskommission“ verfüge über 25 „Frontarbeiter“; diese Aktivisten hätten gute Arbeit geleistet.
55 
Hinzu kommt die Teilnahme des Klägers an Treffen, bei denen der gefallenen und verstorbenen PKK-Kämpfer oder -Aktivisten gedacht wird (18.05.2008 und ...2008). Wie dem Senat aus einer Reihe anderer Verfahren bekannt ist, sind gerade auch solche Märtyrergedenkveranstaltungen ein wesentliches Element zur Herstellung eines engeren ideologischen und emotionalen Zusammenhalts der PKK-Mitglieder und PKK-Sympathisanten und führen damit zur Verbreiterung und Stärkung der Basis der PKK (Beschluss des Senats vom 17.03.2011 - 11 S 460/11 -, vgl. zum Märtyrerkult bei der PKK auch BVerwG, Beschluss vom 24.02.1010 - 6 A 7.08 - a.a.O.).
56 
Bezeichnend ist der Besuch von Versammlungen anlässlich des Geburtstages von Öcalan (06.04.2003, 03.04.2005). Auch hat der Kläger ausweislich der Feststellungen des Landesamts für Verfassungsschutz an mehreren Demonstrationen zu verschiedenen Anlässen (05.02.2005, 28.01.2006, 16.02.2007, 27.10.2007, 25.10.2008, 20.11.2010) teilgenommen, bei denen jeweils Rufe wie „ Es lebe Öcalan“, „Hoch leben Apo“ oder „PKK“ skandiert und „Freiheit für Öcalan“ gefordert wurde. Bei einer „Kurdistan-Solidaritätsdemonstration“ in H... am 20.11.2010 seien auch Parolen wie „Die PKK ist das Volk, das Volk ist hier“ gerufen und Plakate bzw. Transparente mit der Aufschrift „Freiheit für Öcalan – Frieden für Kurdistan“ mitgeführt worden. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich eingeräumt, an dieser Veranstaltung vom 20.11.2010 teilgenommen zu haben, und darüber hinaus erklärt, er nehme an (allen) „offiziell genehmigten Demonstrationen“ teil. Es sei um die Freiheit der Kurden gegangen.
57 
Tatsächlich ist bei der Teilnahme an Demonstrationen besonders zu beachten, dass nicht unverhältnismäßig in das Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.; Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.). Zum einen können aber auch Aktivitäten, die dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit unterfallen, das Tatbestandsmerkmal des Unterstützens im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erfüllen (BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.). Zum anderen ging es bei diesen Demonstrationen nicht nur um Themen, die nicht ausschließlich von der PKK besetzt sind – wie die Forderung eines unabhängigen Kurdistans, die Kritik am Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdisches Zivilbevölkerung, die Anmahnung der Einhaltung von Menschenrechten, oder auch die Kritik an Haftbedingung politischer Gefangener einschließlich Öcalans – sondern um die Bekundung der Anhängerschaft zu Öcalan und der PKK durch entsprechende Parolen und Transparente. Damit bestand eine klare politisch-ideologische Verbindung zur PKK und ihren Zielen bzw. ihren Mitteln zur Durchsetzung dieser Ziele, zu denen auch der Terror zählte und zählt. Dies war und ist auch für den Kläger erkennbar. Er hat dazu in der mündlichen Verhandlung erklärt, es sei ihm egal, welche Parolen gerufen und welche Transparente getragen würden; er selbst habe weder Parolen gerufen noch Plakate getragen. Wie ausgeführt, kommt es darauf jedoch nicht an. Auch überzeugt die Erklärung des Klägers nicht, er habe die Plakate bzw. Transparente nicht lesen können, weil er dann von vorne gegen die Demonstration hätte laufen müssen. Jedenfalls konnte ihm die Solidarisierung mit der PKK schon vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen bei ähnlichen Veranstaltungen und den offensichtlich eindeutigen Parolen nicht entgehen, so dass ihm diese zuzurechnen ist.
58 
Vor dem Hintergrund des Charakters und der Vielzahl der vom Kläger besuchten anderen Veranstaltungen, wie den Volksversammlungen, den Feiern anlässlich des Gründungsjahrestages der PKK und dem Geburtstag von Öcalan sowie den Märtyrergedenkfeiern, ist die Auffassung des Verwaltungsgerichts in dem angegriffenen Urteil, es wären zusätzliche Erkenntnisse darüber erforderlich, was der Kläger bei den Veranstaltungen getan habe, unzutreffend. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts waren bereits zum Zeitpunkt von dessen Entscheidung mehr als 13 Beteiligungen des Klägers an Veranstaltungen bekannt. Inzwischen sind es 20, die vom Landesamt für Verfassungsschutz benannt worden sind. Wie ausgeführt, kommt es zudem auf Anlass und Charakter der betreffenden Veranstaltungen an. In Anbetracht des konkreten Falles ist jedenfalls der Hinweis des Verwaltungsgerichts unverständlich, man könne einer Versammlung oder Veranstaltung auch „kopfschüttelnd“ zu Informationszwecken beiwohnen, ohne eine „unterstützende Haltung“ durch Applaus, Rufen von Parolen, Tragen von Schildern oder Transparenten einzunehmen. Dabei wird verkannt, dass bereits die regelmäßige Teilnahme an Veranstaltungen wie den angeführten, welche erkennbar auch dazu dienen, die PKK einschließlich ihrer terroristischen Aktionen zu fördern, eine Unterstützung der PKK darstellt. Die durch die – auch rein passive – Teilnahme ausgedrückte innere Nähe und Verbundenheit zur PKK kann deren Stellung in der Gesellschaft, hier insbesondere unter den in Deutschland lebenden Kurden, günstig beeinflussen, ihre Aktionsmöglichkeiten und ihr Rekrutierungsfeld erweitern und dadurch insgesamt dazu beitragen, das latente Gefährdungspotential der Vereinigung zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.03.2005 - 1 C 26.03 - a.a.O.).
59 
Soweit der Kläger vorträgt, die Vereine, bei denen er Mitglied gewesen und auch heute noch Mitglied sei und in deren Vorstand er gewesen sei, seien nicht verboten gewesen, er sei doch kein Terrorist und er habe auch nur an erlaubten Veranstaltungen teilgenommen, verkennt er, dass § 54 Nr. 5 AufenthG der effektiven Bekämpfung der Vorfeldunterstützung des internationalen Terrorismus durch Herabsetzen der Eingriffsschwelle dient. Sinn und Zweck ist die präventive Gefahrenabwehr. Für die Verwirklichung des Tatbestands kommt es danach weder darauf an, dass die in Frage stehende Vereinigung verboten ist noch darauf, dass die konkrete Unterstützungshandlung strafbar wäre (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 23.09.2011 - 1 B 19.11 - a.a.O.).
60 
In Anbetracht der bereits zur Überzeugung des Senats festgestellten Umstände kommt weiteren länger zurückliegenden Tatsachen wie etwa der Ingewahrsamnahme des Klägers anlässlich der Besetzung des griechischen Generalkonsulats nach der Festnahme von Öcalan am 16.02.1999 und der Unterzeichnung der PKK-Selbsterklärung im Jahr 2001 nur noch eine das Gesamtbild abrundende Bedeutung zu.
61 
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Übrigen keinen Zweifel an seiner Verehrung von Abdullah Öcalan und seiner Anhängerschaft zur PKK gelassen. Er hat deutlich gemacht, dass er auf Veranstaltungen wie die angeführten, auch solche zur Feier des Gründungsjahrestages der PKK, weiter gehen werde, solange diese nicht verboten seien. Seiner Meinung nach trete die PKK – wie auch er selbst – für die Freiheit der Kurden ein und sei nicht terroristisch. Wenn man die PKK als terroristisch ansähe, wäre er auch ein Terrorist. Soweit der Kläger mehrmals darauf hingewiesen hat, dass er aber kein „Vertreter“ der PKK sei, verkennt er, dass es darauf nicht ankommt.
62 
c) Die hiernach maßgeblichen Umstände – die Mitgliedschaft und Vorstandstätigkeiten in den Vereinen „Kurd... V...“ und „E... ...“ und die beschriebenen Teilnahmen an PKK-nahen Veranstaltungen – sind auch noch zu berücksichtigen, soweit sie bereits länger zurückliegen.
63 
Das Verwertungsverbot für getilgte Strafen nach § 51 Abs. 1 BZRG kann schon deshalb nicht greifen, weil der Kläger wegen der angeführten Umstände bzw. Aktivitäten nicht strafrechtlich verurteilt worden ist. Ob seine Teilnahme an einer Demonstration der PKK in Dortmund am 16.03.1996 noch berücksichtigt werden könnte, obwohl die deswegen gegen den Kläger mit Urteil des Landgerichts Dortmund vom 05.03.1998 wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot verhängte Geldstrafe bereits aus dem Bundeszentralregister getilgt ist, kann hier offen bleiben. Denn auf diese Tat kommt es in Anbetracht der Vielzahl von sonstigen maßgeblichen Tatsachen – wie die Teilnahme an den angeführten Veranstaltungen 2002 bis 2010 und die Vorstandstätigkeit sowie die Mitgliedschaft in den kurdischen Vereinen in H... – hier nicht an. Jedenfalls ist weder bei Unterstützungshandlungen, die strafbar gewesen wären, aber nicht zu einer Verurteilung geführt haben, noch bei den nicht mit einer Strafe bewehrten Aktivitäten eine „fiktive Tilgung“ mit der Folge eines Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG vorzunehmen (ausführlich dazu OVG Hamburg, Beschluss vom 18.06.2010 - 3 Bs 2/10 - InfAuslR 2011, 193, m.w.N.; zu den Einbürgerungsvoraussetzungen des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.12.2010 - 19 A 1491/05 - AuAS 2011, 89; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.10.2011 - 5 N 30.08 - juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 06.05.2009 - 13 S 2428/08 -, juris – auch zum Fall einer möglichen Atypik im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).
64 
Die länger zurückliegenden Tätigkeiten des Klägers sowie insbesondere seine Stellung als Vorstand in den Vereinen sind auch nicht aus anderen Gründen nicht mehr „verwertbar“. Insbesondere bestehen keinerlei Anhaltspunkte für einen „Verbrauch“, etwa weil die Ausländerbehörde dem Kläger in Kenntnis der Ausweisungsgründe einen Aufenthaltstitel erteilt hätte (vgl. dazu GK-AufenthG, a.a.O., § 5 AufenthG Rn. 106 ff., m.w.N.). Soweit im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14.02.2011 die Aktivitäten des Klägers und seine Tätigkeiten in den Vereinsvorständen in solche bis zum Jahr 2002 und solche danach aufgeteilt und nur die neueren berücksichtigt worden sind, ist diese Aufteilung nicht nachvollziehbar. Da der Kläger noch im Mai Jahr 2002 als 2. Vorsitzender in den Vorstand des Vereins „E... ...“ gewählt wurde und diese Funktion danach mindestens ein Jahr lang - so seinen eigenen Angaben nach -, ausweislich des Vereinsregisters sogar bis zur Löschung des Vereins im Jahr 2007 innehatte, hätte diese Vorstandsmitgliedschaft ohnehin mit einbezogen werden müssen. Jedenfalls fehlt es schon in Anbetracht der bis heute andauernden Aktivitäten des Klägers in und für PKK-nahe Vereine in H... bzw. für die PKK und seiner fortdauernden Mitgliedschaft in den Nachfolgevereinen des Vereins „Kurd... V...“ an einer Zäsur, die zur Folge haben könnte, dass frühere Unterstützungshandlungen nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
65 
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die hier maßgebliche Bestimmung des § 54 Nr. 5 AufenthG (anders als die des § 54 Nr. 5a AufenthG) grundsätzlich weder vom Wortlaut noch nach deren Sinn und Zweck, aber auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit eine vom Betroffenen ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefährdung voraussetzt. Eine “gegenwärtige Gefährlichkeit“ muss nur dann festgestellt werden, wenn eine vergangene Mitgliedschaft des Ausländers oder zurückliegende Unterstützungshandlungen (außerhalb einer Mitgliedschaft) zu beurteilen sind (ausführlich dazu Urteile des Senats vom 25.05.2011- 11 S 308/11 - und vom 21.04.2010 - 11 S 200/11 - jew. a.a.O.). Wegen der fortdauernden Unterstützungshandlungen des Klägers und seiner ständigen Präsenz bei lokalen PKK-Veranstaltungen liegt eine solche im Übrigen hier eindeutig vor.
III.
66 
Die Entscheidung, den Kläger wegen des Vorliegens des Ausweisungsgrundes des § 54 Nr. 5 AufenthG auszuweisen, lässt sich rechtlich nicht beanstanden.
67 
1. Das Regierungspräsidiums ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 55 AufenthG über die Ausweisung zu entscheiden hat.
68 
a) Offen bleiben kann, ob schon deshalb Ermessen auszuüben ist, weil eine Ausnahme von der Regel des § 54 AufenthG gegeben ist. Allerdings geht das Regierungspräsidium zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst davon aus, dass der Kläger jedenfalls derzeit „aus familiären Gründen“ (Art. 6 GG, Art. 8 EMRK), und zwar vor allem im Hinblick auf sein jüngstes, noch minderjähriges Kind A..., welches die deutsche Staatsangehörigkeit hat, nicht abgeschoben werden kann. Mit Schreiben vom 02.12.2011 hat das dafür zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe erklärt, dass dem Kläger daher eine Duldung erteilt werde. Das Vorliegen eines Duldungsgrundes oder eines Abschiebungsverbots führt zwar nicht zur Unzulässigkeit einer Ausweisung, kann aber atypische Umstände in Bezug auf den Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG begründen (so zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG: Beschluss des Senats vom 28.09.2010 - 11 S 1978/10 - InfAuslR 2011, 19; Urteil des Senats vom 21.07.2010 - 11 S 541/10 - a.a.O., m.w.N.¸ vgl. zur Atypik auch GK-AufenthG, a.a.O., § 54 AufenthG Rn. 50 ff., 124 ff.) mit der Folge, dass der Betreffende nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Ob deshalb oder aus anderen Gründen von einer Atypik auszugehen ist, bedarf hier aber keiner anschließenden Klärung.
69 
b) Denn die Entscheidung über die Ausweisung des Klägers hat bereits mit Blick auf den dem Kläger zustehenden besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG nach Ermessen zu erfolgen.
70 
Zwar liegen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG unstreitig nicht vor, weil der Kläger nicht „im Besitz“ einer Niederlassungserlaubnis ist. Weil er mit seinem jüngsten, am ...2005 geborenen deutschen Sohn A... in familiärer Lebensgemeinschaft lebt, kommt ihm aber nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG besonderer Ausweisungsschutz zu. Er kann daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden (vgl. § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG liegen solche Gründe in der Regel in den Fällen der §§ 53 und 54 Nr. 5 bis 5b und 7 AufenthG vor. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ist in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 54 AufenthG vorliegen, nach Ermessen über die Ausweisung zu entscheiden.
71 
Ein Ausnahmefall von der Regel des § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG ist hier nicht gegeben (vgl. zu den Voraussetzungen Hailbronner, AuslR, Stand: Sept. 2011, § 56 AufenthG Rn. 23 ff., m.w.N.). Insbesondere liegen keine „tatbezogenen“ besonderen Umstände vor, die den an sich schwerwiegenden Ausweisungsanlass als weniger gewichtig erscheinen lassen. In Anbetracht der Hartnäckigkeit und Unbelehrbarkeit, mit der der Kläger trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter an PKK-nahen Veranstaltungen teilgenommen hat, und der in der mündlichen Verhandlung von ihm demonstrierten tiefen Verehrung von Öcalan und Anhängerschaft zur PKK ist damit zu rechnen, dass der Kläger weiter die PKK unterstützt.
72 
2. Die danach erforderliche Ermessensentscheidung ist vom Regierungspräsidium in rechtlich nicht zu beanstandender Weise getroffen worden (§ 114 Satz 1 VwGO).
73 
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der für die Ausweisung sprechenden öffentlichen Belange und der gegenläufigen Interessen des Ausländers unter Beachtung der insbesondere vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu Art. 8 EMRK entwickelten Kriterien vorzunehmen (BVerwG, Beschluss vom 10.02.2011 - 1 B 22.10 - juris, m.w.N.). Dabei sind neben allen ehelichen und familiären Umstände auch andere gewichtige persönlichen Belange (unter dem Aspekt des durch Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens) zu berücksichtigen. Im Übrigen sind bei der nach § 56 Abs. 1 Satz 5 AufenthG zur Ermessensausweisung herabgestuften Regelausweisung die vom Ausländer ausgehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung einerseits und dessen private schutzwürdige Belange andererseits auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung umfassend zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.10.2007 - 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367, Beschluss vom 21.01.2011 - 1 B 17.10, 1 PKH 8/10 - juris, vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - NVwZ 2007, 1300).
74 
Danach sind hier zugunsten des Klägers in erster Linie seine Familie bzw. seine familiären Bindungen zu berücksichtigen. Seine Ehefrau und fast alle Kinder sind im Besitz einer Niederlassungserlaubnis. Nicht nur der jüngste Sohn A... ist deutscher Staatsgenhöriger; vielmehr hat sich nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat inzwischen auch seine älteste Tochter einbürgern lassen, bei einer anderen laufe derzeit das Einbürgerungsverfahren. Der Kläger hat berichtet, noch mit allen Kindern in einem Haushalt zu leben. Diesen Umständen, denen sicherlich eine aufenthaltsrechtlich erhebliche und weitreichende, durch Art. 6 Abs. 1 Abs. 2 GG und Art. 8 EMRK vermittelte Schutzwirkung zukommt, hat das Regierungspräsidium Stuttgart jedoch hinreichend Rechnung getragen. Im Rahmen der von ihm angestellten und in späteren Schriftsätzen sowie in der mündlichen Verhandlung ergänzten umfassenden Ermessenserwägungen hat es auch alle anderen relevanten Belange eingestellt und zutreffend gewichtet.
75 
Zwar hat das Regierungspräsidium in der Ausgangsentscheidung noch angenommen, dass der Kläger auch tatsächlich ausreisen müsse. Es hat aber später allein darauf abgestellt, dass er mit Rücksicht auf seine familiäre Situation nicht abgeschoben werden könne. Im Hinblick darauf ist dem Kläger inzwischen die Duldung aus familiären Gründen erteilt worden. In der mündlichen Verhandlung ist zudem die im Bescheid vom 10.06.2010 verfügte Abschiebungsandrohung aufgehoben worden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Kläger bis auf Weiteres – das bedeutet jedenfalls solange seinen familiären Belangen insbesondere im Hinblick auf das jüngste deutsche Kind keine geringere Bedeutung einzuräumen ist oder sich andere maßgebliche Umstände ändern – zumindest geduldet wird und seine Familie nicht verlassen muss. Die Ausweisung ist damit schon deshalb auch im Hinblick auf Art. 6 GG und Art. 8 EMRK als verhältnismäßig anzusehen.
76 
Die Entscheidung, den Kläger auszuweisen, begegnet auch nicht deshalb rechtlichen Bedenken, weil sich das in erster Linie mit einer Ausweisung verfolgte Ziel, die von dem betreffenden Ausländer ausgehende (Wiederholungs-) Gefahr mit der Ausreise zu bannen, hier bis auf Weiteres nicht verwirklichen lässt. Denn immerhin wird mit der Ausweisung zum einen konsequent jeder Aufenthaltsverfestigung entgegengewirkt, zum anderen werden dadurch die Aufenthaltsbeschränkungen des § 54a AufenthG ausgelöst bzw. der Erlass entsprechender Überwachungsmaßnahmen ermöglicht (Urteil des Senats vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 - a.a.O.; vgl. auch Beschluss vom 08.12.2010 - 11 S 2366/10 - a.a.O., ebenso Bayer. VGH, Beschluss vom 10.07.2009 - 10 ZB 09.950 - juris; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 - InfAuslR 2005, 49).
77 
Auch die sonstigen Ermessenserwägungen des Regierungspräsidiums sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Vertreterin des beklagten Landes hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass die Ausweisungsverfügung selbstständig tragend auf den Ausweisungsgrund des § 54 Nr. 5 AufenthG gestützt sei und dass für diese schon allein die angestellten spezialpräventiven Erwägungen ausschlaggebend seien. Die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts des Klägers und schutzwürdige persönliche wirtschaftliche und sonstige Bindungen (vgl. § 55 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG) wurden eingestellt und zutreffend gewürdigt. Dabei durfte zu Lasten des Klägers berücksichtigt werden, dass dieser nur sehr schlecht Deutsch spricht, lediglich wechselnden und unqualifizierten Berufstätigkeiten nachgegangen ist und offensichtlich bis heute nur im Umfeld seiner kurdischen Landsleute und „des Vereins“ Umgang und Bekanntschaften pflegt.
78 
Beim Kläger handelt es sich zwar um keine führende Persönlichkeit in der PKK. Angesichts seiner jahrelangen Unterstützung der PKK, der beschriebenen Hartnäckigkeit, mit der er trotz des laufenden Ausweisungsverfahrens weiter einschlägige Veranstaltungen besucht hat, und der deshalb weiter bestehenden gegenwärtigen Gefährlichkeit im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG erweist sich die Ausweisung aber auch in Ansehung des langjährigen Aufenthalts des Klägers und insbesondere seiner familiären Bindungen nicht als unverhältnismäßig, und zwar selbst dann, wenn der Kläger nicht weiter geduldet würde (vgl. dazu auch die vom EGMR entwickelten sog. „Boultif/Üner-Kriterien, mit denen die Verhältnismäßigkeitsprüfung plausibel und operationabel gemacht werden kann; vgl. Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 - [Boultif] InfAuslR 2001, 476, vom 18.10.2006 - 46410/99 - [Üner] NVwZ 2007, 1279, vom 23.06.2008 - 1683/04 - [Maslov II] InfAuslR 2008, 333, vom 25.03.2010 - 40601/05 - [Mutlag] InfAuslR 2010, 325, und vom 13.10.2011 - 41548/06 - [Trabelsi]).
IV.
79 
Die Ausweisung ist auch nicht etwa deshalb als rechtswidrig anzusehen, weil sie unbefristet erfolgt ist. Insbesondere ergibt sich solches nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348/2008, S. 98 ff. – Rückführungsrichtlinie, im Folgenden RFRL), deren Art. 11 Abs. 1 grundsätzlich die Befristung des mit einer Rückkehrentscheidung einhergehenden Einreiseverbots anordnet. Denn eine Ausweisung ist keine Rückkehrentscheidung im Sinne dieser Richtlinie.
80 
Diese Richtlinie, deren Umsetzungsfrist am 24.12.2010 abgelaufen war, soll mit dem zum 26.11.2011 in Kraft getreten „Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex“ vom 22.11.2011 (BGBl. I, 2258) umgesetzt werden. Nach Art. 2 Abs. 1 RFRL findet sie auf solche Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten; sie regelt die Vorgehensweise zu deren Rückführung. Art. 3 Nr. 2 RFRL definiert den illegalen Aufenthalt wie folgt: „die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht odernicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet diese Mitgliedstaats“ (vgl. auch den 5. Erwägungsgrund).
81 
Der Umstand, dass eine Ausweisung gegebenenfalls erst das Aufenthaltsrecht des Ausländers zum Erlöschen bringt (vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG) und damit dessen „illegalen Aufenthalt“ begründet (vgl. auch § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG), macht diese nicht zu einer Rückführungsentscheidung. Daran ändert nichts, dass nach der deutschen Rechtslage häufig die Abschiebungsandrohung mit der die Illegalität des Aufenthalts herbeiführenden Verfügung verbunden ist (vgl. hierzu den ausdrücklichen Vorbehalt in Art. 6 Abs. 6 RFRL). Art. 3 Nr. 4 RFRL umschreibt die Rückkehrentscheidung als „die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.“ Nach der Struktur des deutschen Aufenthaltsrechts stellt die Ausweisung hiernach aber keine „Rückkehrentscheidung“ im Sinne von Art. 6 und Art. 3 Nr. 4 RFRL dar (so schon Urteile des Senats vom 04.05.2011 - 11 S 207/11 - InfAuslR 2011, 291, und vom 20.10.2011 - 11 S 1929/11 - juris ; Gutmann, InfAuslR 2011, 13; Westphal/ Stoppa, Report Ausländer- und Europarecht Nr. 24, November 2011 unter www.westphal-stoppa.de; a.A. Hörich, ZAR 2011, 281, 283 f.; Fritzsch, ZAR 2011, 297, 302 f.; Stiegeler, Asylmagazin 2011, 62, 63 ff.; vorl. Anwendungshinweise des Bundesinnenministeriums vom 16.12.2010 zur einstweiligen Umsetzung der Richtlinie - Az.: M I 3 - 215 734/25, S. 3; vgl. auch Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 30.06.2011 - 24 K 5524/10 - juris). Dass die Ausweisung selbst nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, macht auch folgende Überlegung deutlich: Die Richtlinie ist Teil des Programms der Union zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Mit ihr soll mitgliedstaatsübergreifend das Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung (aus dem gesamten Gebiet der Union) von solchen Drittstaatsangehörigen, die von vornherein oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise und den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erfüllen, vereinheitlicht und unter Wahrung der berechtigten Belange der Betroffenen und der Humanität effektiviert werden (vgl. etwa die 5. und 11. Begründungserwägung). Zugleich soll auch durch Einreiseverbote, die unionsweit Geltung beanspruchen, die vollzogene Aufenthaltsbeendigung für die Zukunft abgesichert werden (vgl. die 14. Begründungserwägung). Andererseits soll – gewissermaßen als Kehrseite des Einreiseverbots – durch dessen grundsätzliche Befristung unübersehbar den Betroffenen eine Perspektive der Rückkehr eröffnet werden. Der Zweck der Richtlinie geht jedoch nicht dahin, ein eigenständiges unionsrechtliches Instrumentarium zur Bekämpfung der Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu schaffen, die von Drittstaatsangehörigen ausgehen, namentlich von solchen, die bislang einen legalen Aufenthalt hatten. Der Aspekt der Wahrung bzw. Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung hat nur insoweit mittelbare, dort aber zentrale Relevanz, als es um die Modalitäten der Aufenthaltsbeendigung geht, wie sie etwa in Art. 7 und 8 bzw. Art. 15 ff. RFRL bestimmt sind. Er ist jedoch nicht der eigentliche Geltungsgrund der Richtlinie. Ob gegebenenfalls nach der nationalen Rechtsordnung eines anderen Mitgliedstaats eine Ausweisung auch eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Richtlinie darstellen kann, ist insoweit unerheblich (vgl. zu Italien EuGH, Urteil vom 28.04.2011 - C-61/11 PPU - [El Dridi] InfAuslR 2011, 320, Rn. 50).
82 
Eine andere Beurteilung folgt nicht daraus, dass nach dem nationalen Ausländerrecht eine Ausweisung auch gegenüber solchen Ausländern erlassen werden kann, die sich bereits illegal im Mitgliedstaat aufhalten. Auch eine derartige Ausweisung stellt nicht die Illegalität fest und erlegt nicht dem Betroffenen die Ausreisepflicht auf. Die Feststellung der Illegalität und damit der bereits bestehenden Ausreisepflicht geschieht, da der Gesetzgeber kein eigenständiges Institut der „Rückkehrentscheidung“ eingeführt hat, nach dem nationalen Recht vielmehr typischerweise gerade durch die Abschiebungsandrohung – sofern nicht ausnahmsweise auf eine solche verzichtet werden darf (vgl. z.B. § 58a AufenthG); in diesem Fall wäre die Abschiebungsanordnung als Rückkehrentscheidung zu qualifizieren. Die Abschiebungsandrohung enthält auch die nach Art 7 RFRL in einer Rückkehrentscheidung zu setzende Frist für eine freiwillige Ausreise (vgl. § 59 Abs. 1 a.F. sowie § 59 Abs. 1 AufenthG n.F.).
83 
Die Ausweisung ist nicht etwa deshalb als „Rückkehrentscheidung“ anzusehen, weil sie nach nationalem Recht als solche ausgestaltet wäre. Wie ausgeführt, verbindet allerdings nach der bisherigen, wie auch nach der aktuellen Rechtslage das nationale Recht in § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG mit der Ausweisung ausdrücklich ein Einreiseverbot, das in Satz 2 zusätzlich um das Verbot der Erteilung eines Aufenthaltstitels erweitert wird. Zwar bestimmt Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL ausdrücklich, dass auch in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen kann. Das nationale Recht kann danach vorsehen, dass selbst dann, wenn kein Fall des Absatzes Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL vorliegt (d.h. keine Fristsetzung in der Abschiebungsandrohung oder tatsächliche Abschiebung), in Folge einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot verhängt werden kann. Es muss sich jedoch immer noch um eine Rückkehrentscheidung handeln. Das ist hier nicht der Fall. Die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, an die Ausweisung ein Einreiseverbot zu knüpfen, überschreitet die begrifflichen Vorgaben der Rückführungsrichtlinie. Daran ändert der Umstand nichts, dass der nationale Gesetzgeber der (irrigen) Auffassung war, mit der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 AufenthG spezifisch und ausschließlich für die Ausweisung von der „Opt-Out-Klausel“ des Art. 2 Abs. 2 lit. b) RFRL Gebrauch zu machen (vgl. ausdrücklich BTDrucks 17/5470, S. 39). Diese „Opt-Out-Klausel“ beträfe etwa den Abschiebungsfall des § 58 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG; insoweit wurde aber in Bezug auf die Folgen einer Abschiebung gerade hiervon kein Gebrauch gemacht. Da die Ausweisung keine Rückkehrentscheidung darstellt, steht die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, nach wie vor an die Ausweisung selbst ein zunächst unbefristetes Einreiseverbot zu knüpfen, nicht im Widerspruch zu unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. hierzu noch im Folgenden).
84 
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass demgegenüber unter dem Aspekt des Einreiseverbots die Abschiebungsandrohung sowie die Abschiebungsanordnung einer abweichenden und differenzierten Betrachtung bedürfen. Nach Art. 11 Abs. 1 UA 1 RFRL gehen „Rückkehrentscheidungen“ mit einem Einreiseverbot einher, a) falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, oder b) falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde. Gemäß Art. 11 Abs. 1 UA 2 RFRL kann in anderen Fällen eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen. Nach Art. 11 Abs. 2 RFRL wird die Dauer des Einreiseverbots in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Art. 3 Nr. 6 RFRL definiert das Einreiseverbot als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Daraus folgt, dass spätestens mit der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eines „illegal aufhältigen“ Ausländers von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung (vgl. auch Art. 12 Abs. 1 RFRL) über das Einreiseverbot und dessen Dauer zu treffen ist (vgl. auch den 14. Erwägungsgrund). Mit diesen unionsrechtlichen Vorgaben ist es bereits nicht zu vereinbaren, wenn § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG an die Abschiebung selbst unmittelbar kraft Gesetzes ein Einreiseverbot knüpft. Es ist demnach unerlässlich, dass die zuständige Behörde entweder in der Rückkehrentscheidung (also etwa der Abschiebungsandrohung) oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang hiermit für den unter Umständen noch nicht feststehenden Fall einer späteren Vollstreckung (vgl. Art. 11 Abs. 1 UA 1 lit. b) RFRL) von Amts wegen eine individuelle Einzelfallentscheidung trifft. Spätestens jedoch mit der Anordnung der Abschiebung, ungeachtet der Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht (vgl. GK-AufenthG, § 58 AufenthG Rn. 52 ff.), oder aber wiederum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit muss diese Entscheidung über ein Einreiseverbot und dessen Befristung getroffen werden, wobei nach Art. 11 Abs. 2 RFRL eine Befristung des Einreiseverbots die Regel ist und ein unbefristetes Verbot allenfalls ausnahmsweise erfolgen kann. Diesen Vorgaben genügt § 11 Sätze 1, 3 und 4 AufenthG nicht (a.A. Saarl. OVG, Beschluss vom 18.10.2011 - 2 A 352/11 - a.a.O.). Mit der aktuellen Regelung, wonach erst später und nur auf Antrag eine Befristung vorzunehmen ist, würde das von der Richtlinie intendierte Regel-Ausnahme-Verhältnis „auf den Kopf gestellt“ und das unbefristete Einreiseverbot zunächst zum gesetzlichen Regelfall ausgestaltet. Dies lässt sich auch nicht mit einer dem nationalen Gesetzgeber grundsätzlich eingeräumten Verfahrensautonomie rechtfertigen (so aber Thym und Kluth in der Anhörung des Innenausschusses am 27.6.2011, Drs 17(A)282 F, S. 3 bzw. 17(4)282 A, S. 2). Denn der Rekurs auf eine dem Grundsatz nach richtigerweise anzuerkennende Verfahrensautonomie wäre hier unauflösbar widersprüchlich, weil mit der Konzeption der Richtlinie unvereinbar. Der Vorbehalt zugunsten der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie reicht nur soweit, als Unionsrecht keine abweichenden bindenden Vorgaben enthält, was hier gerade der Fall ist. Diese Konzeption dient im Übrigen nicht nur den öffentlichen Interessen der Mitgliedstaaten und der Union (vgl. 14. Erwägungsgrund), sondern soll, wie bereits erwähnt, auch den Betroffenen sofort eine Rückkehrperspektive für die Zukunft eröffnen (oder ausnahmsweise auch deutlich machen, dass eine solche jedenfalls derzeit nicht besteht). Die Entscheidung der Behörde hat daher nach der Konzeption des Art. 11 RFRL auch von Amts wegen zu erfolgen. Dieses bereits von Anfang an festzusetzende Einreiseverbot unterliegt dann weitergehend nach Art. 11 Abs. 3 RFRL der Überprüfung und Korrektur. Demzufolge hat die Ausländerbehörde entgegen § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG spätestens im Zuge der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung eine Entscheidung darüber zu treffen, wie lange das Einreiseverbot gelten soll.
85 
Die hier vom Senat allein zu beurteilende Ausweisungsverfügung bleibt nach dem Vorgesagten aber hiervon unberührt.
B)
86 
Die Klage gegen die die Meldeauflage sowie die räumliche Beschränkung unter Ziffer 4 des Bescheids vom 10.06.2010 ist vom Verwaltungsgericht zu Recht als zulässig angesehen worden. Beide Verfügungen stellen die gesetzlichen Pflichten des § 54a Abs. 1 Satz 1 AufenthG bzw. § 54a Abs. 2 AufenthG konkretisierende Regelungen dar (ebenso Urteil des Senats vom 25.05.2011 - 11 S 308/11 - a.a.O.).
87 
Die Klage ist jedoch auch insoweit unbegründet. Zwar setzen beide Maßnahmen voraus, dass die Ausweisung sofort vollziehbar ist (vgl. dazu Beschluss des Senats vom 29.11.2010 - 11 S 2481/10 - juris). Dementsprechend wurde auch unter Ziffer 5 des Bescheids vom 10.06.2011 die sofortige Vollziehung angeordnet, weshalb zum Zeitpunkt ihres Erlasses die Verfügung unter dem hier zu behandelnden Aspekt nicht zu beanstanden war. Allerdings wurde mit Beschluss des Verwaltungsgericht Stuttgart vom 19.11.2010 (11 K 2430/10 - juris) unter anderem die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausweisung wiederhergestellt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung nunmehr allein wegen der fehlenden Vollziehbarkeit der Ausweisung vorübergehend als rechtswidrig anzusehen wären. Denn mit Eintritt der Rechtskraft des Senatsurteils wäre die Erlassvoraussetzung der Vollziehbarkeit wieder erfüllt. Namentlich müsste in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden in einem von den Beteiligten angestrengten Revisionsverfahren das Bundesverwaltungsgericht, dessen Entscheidung mit ihrem Erlass notwendigerweise rechtkräftig wird, die Klage gegen die auf § 54a AufenthG gestützten Maßnahmen als unbegründet abweisen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung galt bzw. gilt lediglich vorläufig – bis zum Eintritt der Bestands- bzw. Rechtskraft der Ausweisung. Dies legt ein Verständnis der aufschiebenden Wirkung nahe, nach welchem auch die Folgemaßnahmen nach § 54a AufenthG vom Wiedereintritt der aufschiebenden Wirkung bis zur Rechtskraft der Entscheidung bezüglich der Ausweisung in ihrer Wirksamkeit nur vorläufig suspendiert sind, selbst wenn die aufschiebende Wirkung insoweit nicht ausdrücklich angeordnet wurde (ebenso zu vergleichbaren verwaltungsverfahrensrechtlichen Konstellationen Kopp/ Schenke, VwGO, 17. Aufl. 2011, § 80 Rn. 31; Bader, VwGO, 5. Aufl. 2011, § 80 Rn. 23). Schließlich würden die Meldepflicht und die räumliche Beschränkung nach § 54a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG auch ohne Konkretisierung durch einen Verwaltungsakt, wie sie hier erfolgt ist, unmittelbar mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung kraft Gesetzes (wieder) eintreten. Weitergehende Rechtswirkungen müssen der aufschiebenden Wirkung im Interesse des Betroffenen, insbesondere aus Gründen effektiver Rechtsschutzgewährung, nicht beigemessen werden.
88 
In Anbetracht der Rechtmäßigkeit der Ausweisung und der aktuell bestehenden Gefahr weiterer Unterstützung der PKK durch den Kläger lassen sich die Meldeauflage und die räumliche Beschränkung auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden; sie verstoßen insbesondere nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
89 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO.
90 
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keine der Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.
91 
Beschluss
92 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 2 und 39 Abs. 1 GKG auf 10.000,-- EUR festgesetzt.
93 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antragsteller verfolgt mit seiner Beschwerde die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. September 2015 weiter. Mit diesem Bescheid wurde er sofort vollziehbar aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, seine Abschiebung aus der Haft heraus angeordnet und für den Fall, dass dies nicht möglich sein sollte, unter Fristsetzung die Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina oder in einen anderen Staat angedroht, in den er einreisen darf bzw. der zu seiner Übernahme verpflichtet ist.

Der Antragsgegner hat am 18. November 2016 mitgeteilt, dass der Antragsteller am 17. November 2016 in den Kosovo abgeschoben worden ist.

Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die der Verwaltungsgerichtshof seine Prüfung nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, rechtfertigen unabhängig von der Frage der Zulässigkeit seines unveränderten Eilrechtsschutzantrags nach bereits vollzogener Abschiebung (vgl. dazu Discher in Gemeinschaftskommentar AufenthG, Stand: August 2016, II - Vor §§ 53 ff. Rn. 1592 ff.) nicht die Abänderung oder Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

1. Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass das öffentliche Vollzugsinteresse überwiege, weil die Klage des Antragstellers gegen den Ausweisungsbescheid voraussichtlich erfolglos bleiben werde. Die Ausweisung erweise sich gemessen an den Bestimmungen der §§ 53 ff. AufenthG in der aktuell gültigen Fassung des Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27. Juli 2015 (BGBl I S. 1386) voraussichtlich als rechtmäßig, weil die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Antragstellers im Bundesgebiet ergebe, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiege. Die nach § 53 Abs. 1 AufenthG erforderliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei gegeben. Beim Antragsteller bestehe eine erhebliche konkrete Wiederholungsgefahr hinsichtlich der Begehung weiterer Straftaten gegen das Eigentum, aber auch gegen die körperliche Unversehrtheit. Er sei in den Jahren 1993 bis 1998 insgesamt 9 Mal wegen verschiedener Delikte wie Diebstahl, gefährliche Körperverletzung, versuchte Nötigung, versuchte Strafvereitelung und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs verurteilt worden. Trotz der gegen ihn verhängten Maßnahmen (Geld- und Bewährungsstrafen) sei er immer wieder straffällig geworden. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts L. vom 19. September 2012 sei er dann u. a. wegen schweren Bandendiebstahls in sechs tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Diese Delikte hätten der Antragsteller und seine Mittäter im Rahmen organisierter Kriminalität begangen; dabei hätten sie eine hohe kriminelle Energie an den Tag gelegt und über einen langen Zeitraum arbeitsteilig und professionell zusammengewirkt. Die insbesondere von schwerem Bandendiebstahl aber auch gefährlicher Körperverletzung ausgehenden Gefahren seien schwerwiegend und berührten ein Grundinteresse der Gesellschaft. Der Annahme einer Wiederholungsgefahr stehe nicht entgegen, dass zwischen den Vorverurteilungen und dem Strafurteil des Landgerichts ein Zeitraum von mehr als zehn Jahren liege. Zum einen sei für die vorliegende Prognose der Nachweis lückenloser Verurteilungen nicht notwendig. Zum anderen reichten für die angestellte Gefahrenprognose allein schon die vom Antragsteller ab 2010 verwirklichten Delikte aus. Die Teilnahme des Antragstellers an Maßnahmen zur Tataufbereitung und Rückfallvermeidung führe ebenfalls zu keiner anderen Bewertung. Bei der somit anzustellenden Gesamtabwägung erweise sich die Ausweisung des Antragstellers trotz seiner schwerwiegenden Bleibeinteressen voraussichtlich als rechtmäßig. Einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 1 Buchst. a AufenthG stehe ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG gegenüber. Nach der Haftentlassung habe er die familiäre Lebensgemeinschaft mit seiner Ehefrau und seinen Kindern, die alle die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten, wiederhergestellt. Im Hinblick auf die Art und Schwere der vom Antragsteller begangenen Straftaten und wegen der konkreten Gefahr der Begehung erneuter schwerer Diebstahlsdelikte sei jedoch dem Ausweisungsinteresse der Vorrang einzuräumen. Auch generalpräventive Gründe sprächen für die Ausweisung. Gerade bei Straftaten der organisierten Kriminalität wie denjenigen des Antragstellers bestehe ein dringendes Bedürfnis für die Abschreckung anderer Ausländer vor ähnlichen Straftaten. Auch die Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid sei nicht zu beanstanden.

Demgegenüber rügt der Antragsteller mit der Beschwerde, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Gefahrenprognose sei fehlerhaft, weil das Gericht wesentliche Aspekte außer Acht gelassen habe. Es habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass er lediglich einmal wegen eines Aggressionsdeliktes im August 1994 - also vor über 22 Jahren - verurteilt worden sei und die in den Jahren 1993 bis 1995 weiter begangenen Straftaten von geringem Gewicht gewesen seien. Ebenso wenig sei berücksichtigt worden, dass er sich dann bis zum Jahr 2010 straffrei geführt habe, was positiv zu würdigen sei. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass die zuletzt abgeurteilten Straftaten schon mehr als sechs Jahre zurücklägen und er sich in der zwischenzeitlichen Haft gut geführt habe. Zudem habe die zuständige Strafvollstreckungskammer den Rest der gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe mit Beschluss vom 5. November 2016 zur Bewährung ausgesetzt. Die Beurteilung der Strafvollstreckungskammer sei für die Gefahrenprognose von erheblichem tatsächlichem Gewicht. Unter Berücksichtigung der durch die Strafvollstreckungskammer in die Beurteilung eingestellten, für ihn günstigen Umstände (insbesondere beanstandungsfreie Führung im Strafvollzug, Teilnahme am Behandlungsangebot, geklärte Entlassungssituation) könnte auch hinsichtlich der Begehung von Eigentumsdelikten nicht mehr von einer Wiederholungsgefahr ausgegangen werden.

Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch nicht die Aufhebung oder Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Bei der von den Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eigenständig zu treffenden Prognose zur Wiederholungsgefahr sind die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (st. Rspr., vgl. z. B. BayVGH, B. v. 3.3.2016 - 10 ZB 14.844 - juris Rn. 11 m. w. N.). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BayVGH, B. v. 3.3.2016 a. a. O.; BVerwG, U. v. 4.10.2012 - 1 C 13.11 - juris Rn. 18). Gemessen daran kommt auch der Senat zum maßgeblichen Zeitpunkt seiner Entscheidung zu der Bewertung, dass nach dem Verhalten des Antragstellers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass er erneut jedenfalls durch vergleichbare gravierende Eigentumsdelikte die öffentliche Sicherheit beeinträchtigen wird. Dahinstehen kann daher, ob insbesondere mit Blick auf die durch Urteil des Amtsgerichts E. vom 10. April 1995 abgeurteilte gefährliche Körperverletzung - der Antragsteller hatte mit einem Mittäter den Geschädigten auf brutale Weise zusammengeschlagen und dabei mit seinem Fuß mit erheblicher Wucht gegen den Kopf des Geschädigten getreten - auch hinsichtlich Körperverletzungsdelikten aktuell (noch) von einer konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen ist. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht bei seiner Bewertung berücksichtigt, dass der Antragsteller schon in der Vergangenheit wiederholt und nicht nur mit Bagatelledelikten straffällig geworden ist und sich trotz zahlreicher - auch einschlägiger - Verurteilungen letztlich uneinsichtig und unbelehrbar gezeigt hat und als einer der führenden Köpfe einer organisierten Bande arbeitsteilig, professionell und mit hoher krimineller Energie über einen langen Zeitraum gravierende Einbruchsdiebstähle mit sehr hohem Beute- und Sachschaden beging. Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist insoweit auch nach Auffassung des Senats nicht „positiv zu würdigen“, dass es beim Antragsteller in der Zwischenzeit nicht zu weiteren strafrechtlichen Verurteilungen gekommen ist. Der Einwand, die zuletzt abgeurteilten Straftaten lägen selbst schon über sechs Jahre zurück, geht schon deshalb ins Leere, weil sich der Antragsteller deswegen bis Anfang November 2016 in Strafhaft befand. Dieser Gefahrenprognose steht schließlich nicht entgegen, dass die zuständige Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 27. August 2016 die Vollstreckung des Rests der Gesamtfreiheitsstrafe (von 7 Jahren 6 Monaten) aus dem Urteil des Landgerichts ab dem 5. November 2016 zur Bewährung (Bewährungszeit 5 Jahre) ausgesetzt hat. Auch wenn solche Entscheidungen - jenseits der Frage einer nicht gegebenen Bindungswirkung - grundsätzlich ein wesentliches Indiz auch bei der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose darstellen (vgl. BVerwG, U. v. 15.1.2013 - 1 C 10.12 - juris Rn. 18; BayVGH, B. v. 3.3.2016 a. a. O. Rn. 13) ist die Annahme einer Wiederholungsgefahr beim Antragsteller gleichwohl (noch) gerechtfertigt. Denn die Strafvollstreckungskammer hat insbesondere aufgrund einer „im Wesentlichen beanstandungsfreien“ Führung während des Strafvollzugs, seiner Teilnahme am Behandlungsangebot der Vollzugsbehörde, der geklärten „Entlassungssituation“ sowie des glaubhaft vernünftigen Eindrucks während der Anhörungen die Auffassung vertreten, „dass der Verurteilte nochmals eine Bewährungschance verdient hat“. Auch wenn die Strafvollstreckungskammer damit beim Antragsteller die vorzeitige Entlassung für die Dauer der Bewährungszeit unter den im Beschluss aufgeführten Auflagen als im Sinne einer nochmaligen Bewährungschance verantwortbar ansieht, fällt zur Überzeugung des Verwaltungsgerichtshofs (§ 108 Abs. 1 VwGO) die Beurteilung, ob es dem Antragsteller langfristig gelingen wird, auch über die Bewährungszeit hinaus ein straffreies Leben zu führen, derzeit negativ aus. Entscheidend dafür ist, dass er trotz mehrfacher strafrechtlicher Verurteilung und entsprechender „Warnschüsse“ sowie einer 1995 erfolgten Abschiebung (nach Albanien) auch nach einem längeren Zeitraum und der Geburt weiterer Söhne wieder in alte Verhaltensmuster zurückgefallen ist und - im Übrigen ohne Rücksicht auf seine familiäre Situation - nunmehr sogar mit erheblich gesteigerter krimineller Energie massive Eigentumsdelikte als führender Kopf einer organisierten Bande begangen hat.

Soweit der Antragsteller mit seiner Beschwerde weiter geltend macht, auch die Gewichtung des Bleibeinteresses durch das Verwaltungsgericht erweise sich bei der vorgenommenen Gesamtabwägung als rechtsfehlerhaft, weil der familiären Lebensgemeinschaft mit seiner Frau und seinen Kindern unter Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK ausschlaggebende Bedeutung zukomme, greift dieser Einwand ebenfalls nicht durch. Entgegen diesem Vorbringen ist die angefochtene Ausweisung weder unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG (nicht abschließend) aufgeführten Umstände noch mit Blick auf die Anforderungen der wertentscheidenden Grundsatznormen des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK unverhältnismäßig. Dazu hat das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt, dass der Antragsteller seine Interessen am Profit aus seinen Straftaten in der Vergangenheit über das Wohl seiner Familie gestellt und diese (Ehefrau) teilweise sogar für strafrechtliche Zwecke instrumentalisiert habe. Zutreffend ist auch die Annahme des Verwaltungsgerichts, die 1996, 2001 und 2003 geborenen Söhne des Antragstellers (mit deutscher Staatsangehörigkeit) hätten aufgrund der Inhaftierung des Antragstellers schon bisher wesentliche Abschnitte ihrer Kindheit bzw. Jugend (räumlich) getrennt von ihrem Vater verbringen müssen und könnten - im Gegensatz zu noch sehr kleinen Kindern - die Folgen der Ausweisung und der damit verbundenen räumlichen Trennung begreifen. Rechtlich nicht zu beanstanden ist schließlich, wenn das Verwaltungsgericht davon ausgeht, dass die Familie jedenfalls so mobil sei, um den Kontakt zum Ehemann und Vater - von Telefonaten und anderen Kommunikationsmedien abgesehen - auch durch Besuche zu halten, weshalb eine Fortsetzung der - schon während der Haft auf Besuchskontakte reduzierten - familiären Beziehungen „länderübergreifend“ möglich sei. Eine Fehlgewichtung der schützenswerten Belange aus Art. 6 GG und Art. 8 EMRK vermag auch der Senat nach alledem nicht zu erkennen.

Schließlich sprechen beim Antragsteller nach zutreffender Auffassung des Verwaltungsgerichts vor allem unter Berücksichtigung der den Ausweisungsanlass bildenden Straftaten auch generalpräventive Erwägungen für die verfügte Ausweisung. Dieser Zweck, andere Ausländer von der Begehung ähnlicher (Banden-)Straftaten abzuhalten, fällt nicht etwa schon deshalb weg, weil seit der Begehung dieser Straftaten ein Zeitraum von inzwischen mehr als sechs Jahren verstrichen ist.

Soweit der Antragsteller schließlich rügt, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass er nicht bosnisch-herzegowinischen Staatsangehöriger, sondern vielmehr staatenlos sei, weshalb seiner Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina auch ein rechtliches Hindernis entgegenstehe, verhilft auch das der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn der Antragsteller ist inzwischen nicht nach Bosnien-Herzegowina, sondern in den Kosovo und damit in einen anderen aufnahmebereiten Staat (s. § 59 Abs. 2 AufenthG) abgeschoben worden. Der Bezeichnung des Zielstaats in der Abschiebungsandrohung kommt insoweit keine Bindungswirkung zu (vgl. Kluth in Beck‘scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand: 15.8.2016, AufenthG § 59 Rn. 29). Ist - wie der Antragsteller geltend macht - seine Staatsangehörigkeit vielmehr ungeklärt, kann (noch) im Verfahren der Abschiebung geklärt werden, welcher Staat zur Übernahme bereit bzw. verpflichtet ist (vgl. Kluth, a. a. O., AufenthG § 59 Rn. 30).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 sowie § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger in das Bundesgebiet eingereist ist und sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
3.
eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und mit einem der in den Nummern 1 und 2 bezeichneten Ausländer in ehelicher oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt,
4.
mit einem deutschen Familienangehörigen oder Lebenspartner in familiärer oder lebenspartnerschaftlicher Lebensgemeinschaft lebt, sein Personensorgerecht für einen minderjährigen ledigen Deutschen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt oder
5.
eine Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Absatz 4, den §§ 24, 25 Absatz 4a Satz 3 oder nach § 29 Absatz 2 oder 4 besitzt.

(2) Das Bleibeinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt insbesondere schwer, wenn

1.
der Ausländer minderjährig ist und eine Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens fünf Jahren im Bundesgebiet aufhält,
3.
der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder mit diesem sein Umgangsrecht ausübt,
4.
der Ausländer minderjährig ist und sich die Eltern oder ein personensorgeberechtigter Elternteil rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten beziehungsweise aufhält,
5.
die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist oder
6.
der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Absatz 4a Satz 1 besitzt.

(3) Aufenthalte auf der Grundlage von § 81 Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 werden als rechtmäßiger Aufenthalt im Sinne der Absätze 1 und 2 nur berücksichtigt, wenn dem Antrag auf Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels entsprochen wurde.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Aufhebung, hilfsweise die Befristung des mit seiner Ausweisung eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf unter vier Jahre.

2

Der Kläger, ein 1977 geborener marokkanischer Staatsangehöriger, reiste 1997 zu Studienzwecken nach Deutschland ein. Nach Heirat einer deutschen Staatsangehörigen erhielt er eine Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug, die nach Trennung von seiner Ehefrau als Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AufenthG verlängert worden ist.

3

Mit Verfügung vom 24. August 2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von sieben Jahren aus dem Bundesgebiet aus (Ziffer 1), drohte ihm die Abschiebung an (Ziffer 3 und 4), verpflichtete ihn, sich regelmäßig bei der örtlichen Polizeiinspektion zu melden (Ziffer 5), beschränkte seinen Aufenthalt auf das Gebiet des Landkreises (Ziffer 6), drohte ihm Zwangsmittel an, wenn er den Verpflichtungen aus Ziffer 5 und 6 nicht nachkommt (Ziffer 7), und lehnte einen Antrag des Klägers auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 9). Die Ausweisung wurde damit begründet, dass der Kläger durch Bezahlung von Telefonrechnungen für einen Terrorverdächtigen die Terrororganisation Al-Qaida unterstützt und in Sicherheitsgesprächen falsche oder unrichtige Angaben über seine Kontakte zu terrorverdächtigen Personen und Organisationen gemacht habe.

4

Die gegen diese Verfügung erhobene Klage hatte beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg. Im Berufungsverfahren wandte sich der Kläger nur noch gegen die Regelungen in Ziffer 1 (Ausweisung und Befristung), 5, 6 und 7. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stellte der Beklagte die Ausweisung wegen eines zwischenzeitlich vom Kläger gestellten Asylantrags unter die Bedingung, dass das Asylverfahren unanfechtbar ohne Anerkennung als Asylberechtigter oder ohne die Zuerkennung internationalen Schutzes abgeschlossen wird oder dass eine nach den Vorschriften des Asylgesetzes erlassene Abschiebungsandrohung vollziehbar geworden ist. Nach Aufhebung der Regelungen Ziffer 5, 6 und 7 haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt.

5

Mit Urteil vom 10. Mai 2016 hat das Oberverwaltungsgericht auf den Hilfsantrag des Klägers die Befristung aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, insoweit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden; im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung hat es damit begründet, dass der Kläger die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährde und an seiner Ausweisung nach § 54 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ein schwerwiegendes Interesse bestehe, weil er den der Unterstützung des Terrorismus verdächtigen "Ali" mehr als nur flüchtig kenne und diesen Umstand im Sicherheitsgespräch vom 31. Oktober 2011 bewusst verschwiegen habe. Für die Annahme eines gegenwärtigen Sicherheitsrisikos spreche, dass er nach wie vor nicht bereit sei, dies einzuräumen und zu erklären. Das öffentliche Interesse an der Ausreise des Klägers überwiege dessen Bleibeinteresse, auch wenn er sich seit über 18 Jahren überwiegend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, die deutsche Sprache spreche, hier unterschiedliche Erwerbstätigkeiten ausgeübt habe, strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sei und unterstellt werde, dass er über Kontakte zu in Deutschland lebenden Personen verfüge. Er habe aber auch noch erhebliche Bindungen an seinen Heimatstaat Marokko, in dem er den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht habe, dessen Sprache er beherrsche, in dem seine Eltern, fünf Geschwister und sein 2013 geborenes Kind lebten und in dem er sich angesichts seines bisherigen Werdegangs eine Existenzgrundlage aufbauen könne. Auch dem Umstand, dass er eine deutsche Staatsangehörige heiraten wolle, komme angesichts des überwiegenden Ausweisungsinteresses keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bestehe ein Anspruch auf Neubescheidung, da die festgesetzte Frist von sieben Jahren zu lang sei. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Verbots nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG lägen nicht vor. Über die Länge der Frist sei nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nach Ermessen zu entscheiden. Dies sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Die bei der Fristbestimmung einzuhaltenden unions-, verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben stellten ebenso wie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine gesetzliche Ermessensgrenze dar, deren Einhaltung nach § 114 VwGO gerichtlich überprüfbar sei. Unerheblich sei, dass der Behörde bei der Ausweisung kein Ermessen zustehe. Auch der Richtlinie 2008/115/EG sei nicht zu entnehmen, dass ein Ermessensspielraum bei der Fristbemessung unionsrechtswidrig wäre. Für eine über fünf Jahre andauernde Frist fehle es aber an einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Kläger sei strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten, ihm sei nur eine vereinzelte Falschangabe anzulasten, die mehrere Jahre zurückliege und der kein gesteigertes Gewicht zukomme. Bei der Neubestimmung habe sich der Beklagte deshalb im Fristrahmen von bis zu fünf Jahren zu bewegen, wobei eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falles kaum vertretbar sein dürfte. Im Übrigen seien das Gewicht des Ausweisungsinteresses und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Bei einer spezialpräventiv motivierten Ausweisung bedürfe es der prognostischen Einschätzung, wie lange das der Ausweisung zugrunde liegende Verhalten das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Frist müsse sich an höherrangigem Recht messen und ggf. relativieren lassen. Dabei seien insbesondere die in § 53 Abs. 2, § 55 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange in den Blick zu nehmen. Die Abwägung sei nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren unter Kontrolle zu halten.

6

Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hinsichtlich der Ausweisung hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 92.16 - verworfen.

7

Der Kläger begehrt mit seiner Revision die Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, hilfsweise zur Befristung auf unter vier Jahre. Das Berufungsgericht hätte nicht zur Neubescheidung verpflichten dürfen, sondern selbst eine kürzere Frist bestimmen müssen. Soweit § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der Behörde einen Entscheidungsspielraum einräume, sei dies mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem Unionsrecht, nicht zu vereinbaren.

8

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.

9

Der Kläger ist im Juli 2016 nach Marokko zurückgekehrt. Mit Bescheid vom 24. November 2016 hat der Beklagte das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf den 25. Juli 2020 befristet.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur die Frage, ob der Kläger hinsichtlich des mit seiner Ausweisung kraft Gesetzes eingetretenen Einreise- und Aufenthaltsverbots - über den Bescheidungsausspruch des Berufungsgerichts hinaus - einen Anspruch auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren hat. Dieses Begehren hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Beklagte - in Umsetzung der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung zur Neubescheidung - das Einreise- und Aufenthaltsverbot inzwischen auf vier Jahre seit der Ausreise festgesetzt hat.

11

Soweit der Kläger primär die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots erstrebt, ist die Revision mangels Zulassung nicht statthaft (1.). Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist sie zwar zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verstößt insoweit nicht gegen revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer bestimmten Frist von weniger als vier Jahren, da die Befristung im Ermessen der Ausländerbehörde liegt und die Voraussetzungen für eine Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten nicht vorliegen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der klägerischen Begehren ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 6). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155). Durch die während des Revisionsverfahrens eingetretenen Gesetzesänderungen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der hier maßgeblichen Regelungen in § 11 AufenthG aber nicht geändert.

13

1. Die Revision ist hinsichtlich der vom Kläger mit seinem Hauptantrag begehrten Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mangels Zulassung nicht statthaft.

14

Das Berufungsgericht hat die Revision (nur) zugelassen, soweit sich die Klage auf die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots bezieht. Begründet hat es dies mit den in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertretenen unterschiedlichen Auffassungen zum Rechtscharakter der Befristungsentscheidung (UA S. 33). Damit bezieht sich die Zulassung nur auf die vom Kläger hilfsweise begehrte Befristung und nicht (auch) auf die vorrangig angestrebte Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots. Zwar bedarf es nach dem Gesetzeswortlaut des § 11 Abs. 4 AufenthG ("kann") auch bei der Aufhebung einer Ermessensentscheidung. Die Frage des Rechtscharakters war für das Berufungsgericht insoweit aber nicht entscheidungserheblich, da es schon das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für eine Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG verneint hat.

15

Die Beschränkung der Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht ist wirksam, weil es sich bei der Aufhebung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots prozessual um unterschiedliche Streitgegenstände handelt. Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der - wie der Kläger - ausgewiesen worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Dieses (gesetzliche) Verbot ist nach § 11 Abs. 2 AufenthG gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung von Amts wegen zu befristen und kann unter den Voraussetzungen des § 11 Abs. 4 AufenthG aufgehoben oder nachträglich verkürzt oder verlängert werden. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (AufenthBeendBlReNG) vom 27. Juli 2015 (BGBl. I S. 1386) eingeführten Differenzierung hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Senats aufgegriffen, wonach unter engen Voraussetzungen eine vollständige Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung ohne vorherige Ausreise geboten sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. März 2014 - 1 C 2.13 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 20 Rn. 13 m.w.N.), und hierfür in § 11 Abs. 4 AufenthG eine spezielle Rechtsgrundlage geschaffen (BT-Drs. 18/4097 S. 36 f.). Seit dieser gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zur Beseitigung der Wirkungen einer Ausweisung bedarf die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots einer eigenständigen, von der Befristung zu trennenden Entscheidung, die von der Ausländerbehörde nicht nur nachträglich, sondern zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers auch schon zusammen mit der Ausweisung getroffen werden kann.

16

2. Hinsichtlich des auf Befristung gerichteten Hilfsantrags ist die Revision zulässig, aber unbegründet.

17

Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kläger insoweit - anstelle des im Berufungsverfahren gestellten Bescheidungsantrags - im Revisionsverfahren auf einen Verpflichtungsantrag übergegangen ist. Diese Neuformulierung des Klagebegehrens stellt keine nach § 142 Abs. 1 VwGO unzulässige Klageänderung dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. November 2004 - 1 C 23.03 - BVerwGE 122, 193 = juris Rn. 10). Der Kläger hat - über die vom Berufungsgericht ausgesprochene Verpflichtung der Behörde zur Neubescheidung hinaus - aber keinen Anspruch auf Verpflichtung zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren.

18

Nach § 11 Abs. 2 AufenthG ist das mit einer Ausweisung verbundene Einreise- und Aufenthaltsverbot von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise und ist gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung festzusetzen. Über die Länge der Frist wird nach § 11 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen entschieden (Satz 1). Die Frist darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht (Satz 2), und soll zehn Jahre nicht überschreiten (Satz 3).

19

Damit hat der Ausländer einen Anspruch auf eine Befristungsentscheidung zusammen mit der Ausweisungsverfügung ("ob"). Hinsichtlich der Länge der festzusetzenden Frist ("wie") bestimmt § 11 Abs. 3 AufenthG in seiner aktuellen Fassung ausdrücklich, dass hierüber im Rahmen der gesetzlichen Vorgabe nach Ermessen zu entscheiden ist, dass die Frist nur unter bestimmten Voraussetzungen fünf Jahre überschreiten darf und zehn Jahre nicht überschreiten soll. Mit dieser durch das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung im Jahr 2015 eingeführten Regelung hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des Senats reagiert, wonach die Bemessung der Frist nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde stand, es sich vielmehr um eine gebundene Entscheidung handelte. Dies hat der Senat vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift mit dessen unionsrechtlicher Prägung durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie - (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Mit der Änderung in § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wollte der Gesetzgeber den früheren Rechtszustand wieder herstellen, indem er den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift konkretisiert und damit klargestellt hat, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36).

20

Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass diese gesetzgeberische Entscheidung mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist. Die - jedenfalls in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Ausweisung - gegenteilige Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Mannheim (Urteil vom 9. Dezember 2015 - 11 S 1857/15 - InfAuslR 2016, 138 = juris Rn. 25 ff.) überzeugt im Ergebnis nicht (so im Ergebnis auch VGH München, Urteil vom 28. Juni 2016 - 10 B 15.1854 - juris Rn. 49; OVG Koblenz, Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 11058/15 - juris Rn. 26; Hailbronner, AuslR, Stand Februar 2017, § 11 AufenthG Rn. 72 ff.). Die Entscheidung des Senats vom 14. Februar 2012 (BVerwG 1 C 7.11) zu § 11 AufenthG a.F. erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen.

21

Eine gebundene Entscheidung folgt zunächst nicht aus der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie), und zwar ungeachtet der vom Senat bislang offengelassenen Frage, ob die Befristung der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung an den Bestimmungen dieser Richtlinie zu messen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 45). Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG enthält mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist, sondern schreibt nur die Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls vor. Hierzu bedarf es nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung. Auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 der Richtlinie 2008/115/EG ist nicht zu entnehmen, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf. Denn die Wirksamkeit eines Rechtsbehelfs bezieht sich auf die umfassende gerichtliche Überprüfung der normativ vorgegebenen Grenzen behördlichen Handelns.

22

Die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen strukturellen Erwägungen stehen einer Ermessensregelung ebenfalls nicht zwingend entgegen. Der Umstand, dass es sich bei der Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG inzwischen um eine gebundene Entscheidung mit einer tatbestandsbezogenen Abwägung handelt, zwingt den Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht zu einer Regelung, nach der dies auch in Bezug auf die Dauer der mit der Ausweisung verbundenen gesetzlichen Rechtsfolgen der Fall sein muss. Die Ausgestaltung der Ausweisung als gerichtlich voll überprüfbare Abwägungsentscheidung ist auf das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel zurückzuführen, eine "Beschleunigung des Verfahrens und schnellere Rechtssicherheit" zu erreichen (BT-Drs. 18/4097 S. 49 f.). Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber, dass über die Dauer der Sperrfrist von der zuständigen Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Dieser gesetzgeberischen Entscheidung stehen auch die vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim herangezogenen verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben nicht entgegen. Die Befristung der gesetzlichen Wirkungen einer Ausweisung wirkt sich zwar mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK auf die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 33 m.w.N. aus der Rechtsprechung des EGMR). Die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung kann aber nicht nur durch eine gebundene Befristungsentscheidung sichergestellt werden. Denn auch bei einer Ermessensentscheidung ist die Frage der Verhältnismäßigkeit (auf der Rechtsfolgenseite) zu beachten.

23

Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert auch nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG), sowie unions- und konventionsrechtlich den Vorgaben aus Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007 (BGBl. 2008 II S. 1165) und Art. 8 EMRK gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange. Da für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung - wie oben dargelegt - auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen ist, trifft die Ausländerbehörde auch während des gerichtlichen Verfahrens - wie nach altem Recht bei der Ermessensausweisung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 20 m.w.N.) - eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihrer Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung ihrer Ermessenserwägungen.

24

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle. Zutreffend weist das Berufungsgericht darauf hin, dass bei der Ermessensausübung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die Behörde eine gesetzliche Ermessensgrenze darstellt, ein Verstoß dagegen zu einer Ermessensüberschreitung führt und der gerichtlichen Überprüfung nach § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO unterliegt. Nichts anderes gilt in Bezug auf unionsrechtlich zu beachtende Vorgaben. Die Entscheidung des Gesetzgebers, der Ausländerbehörde bei der Bestimmung der Frist einen gewissen Spielraum einzuräumen, führt daher im Ergebnis nicht zu einer Verschlechterung der Rechtsstellung des Betroffenen, da die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens von dem im Einzelfall zulässigen Höchstmaß der Frist nicht zu Lasten des Ausländers abweichen darf. Die Einhaltung dieser Obergrenze unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.

25

Bei einer Ermessensentscheidung obliegt die konkrete Festsetzung der Dauer der Frist grundsätzlich der Ausländerbehörde. Setzt sie ermessensfehlerhaft eine zu lange Frist fest, ist diese Entscheidung im gerichtlichen Verfahren aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu verpflichten. Dabei kann das Gericht in den Entscheidungsgründen eine sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebende absolute Obergrenze für die Dauer der Frist festlegen. Verpflichtet sind die Gerichte hierzu aber nicht. Allerdings dürfte bei einem hinreichend geklärten Sachverhalt eine grobe Eingrenzung des zulässigen Rahmens der Ausländerbehörde eine sachgerechte Ermessensausübung regelmäßig erheblich erleichtern.

26

Die von der Behörde bei einer Neubescheidung zu beachtenden gerichtlichen Vorgaben können auch den Kläger (materiell) beschweren, denn die in einem rechtskräftigen Bescheidungsurteil (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) verbindlich zum Ausdruck gebrachte Rechtsauffassung des Gerichts wirkt sich auf die Rechtskraft im Sinne des § 121 VwGO aus. Folglich beschwert ein stattgebendes Bescheidungsurteil nicht allein die Behörde, sondern auch den Kläger, wenn sich die vom Gericht als verbindlich erklärte Rechtsauffassung nicht mit der des Klägers deckt und für ihn ungünstiger ist, so dass bei der erneuten Bescheidung auf ihrer Grundlage mit einem ungünstigeren Ergebnis zu rechnen ist als bei Anwendung der vom Kläger für richtig gehaltenen Rechtsansicht. Auf Grund der in § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO angeordneten Bindung an die einem Bescheidungsurteil zugrunde liegende Rechtsauffassung führt ein Rechtsmittel gegen ein solches Urteil auch dann zu einer anderen Entscheidung, wenn sich die Rechtsauffassung, die bei der Neubescheidung maßgebend sein soll, als unzutreffend erweist. In diesem Fall hat das Rechtsmittelgericht das angefochtene Urteil aufzuheben und ggf. selbst ein Bescheidungsurteil zu erlassen, in dem es seine eigene bei der Neubescheidung zu beachtende Rechtsauffassung zum Ausdruck bringt (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1995 - 8 C 8.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 70 = juris Rn. 13 und vom 18. Juli 2013 - 5 C 8.12 - BVerwGE 147, 216 Rn. 15 f., jeweils m.w.N.).

27

In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsurteil nicht zu beanstanden. Da die Entscheidung über die Länge des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Ermessen der Ausländerbehörde liegt, hat der Kläger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf die von ihm begehrte Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren nur im Falle einer entsprechenden Ermessensverdichtung zu seinen Gunsten. Hierfür ist auf der Grundlage der vom Kläger nicht angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts ersichtlich. § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG bestimmt lediglich, unter welchen Voraussetzungen die Frist fünf Jahre überschreiten darf. Dies steht hier nicht (mehr) im Streit, nachdem das Berufungsgericht festgestellt hat, dass diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet unter den gegebenen Umständen nicht die Festsetzung einer Frist von unter vier Jahren. Auch ansonsten weisen die vom Berufungsgericht seinem Bescheidungsausspruch zugrunde gelegten Erwägungen keine Rechtsfehler zu Lasten des Klägers auf. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Neubescheidung verpflichtet, weil es der Auffassung war, dass die zusammen mit der Ausweisung festgesetzte Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots von sieben Jahren zu lang und damit ermessensfehlerhaft ist. In diesem Zusammenhang hat es der Behörde keine über die gesetzliche Grenze des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hinausgehende, der revisionsgerichtlichen Rechtskontrolle unterliegende Obergrenze verbindlich vorgegeben, sondern lediglich angemerkt, dass eine Frist von mehr als vier Jahren nach den Umständen des Falls kaum vertretbar sein dürfte. Ob die vom Beklagten inzwischen - in Umsetzung der gerichtlichen Verpflichtung zur Neubescheidung - mit Bescheid vom 24. November 2016 verfügte Befristung auf vier Jahre ermessensfehlerfrei ergangen ist, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

28

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland. Hilfsweise erstrebt er eine neue Entscheidung des Beklagten über die Befristung des mit der Ausweisung verbundenen Einreise- und Aufenthaltsverbots.

2

Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger mit kurdischer Volkszugehörigkeit. Er wurde 1973 in der Türkei geboren, ist verheiratet und hat sieben Kinder. Er reiste 1997 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl, da er in der Türkei wegen seines Engagements in prokurdischen Vereinen und Parteien sowie verwandtschaftlichen Beziehungen zu Guerillakämpfern der sog. Arbeiterpartei Kurdistans - PKK - an Leib und Leben bedroht sei. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) vom 9. Oktober 1997 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach dem damaligen § 51 Abs. 1 AuslG 1990 zuerkannt und zu seinen Gunsten ein Abschiebungsverbot wegen drohender Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK (damals § 53 Abs. 4 AuslG 1990) festgestellt. Der Kläger ist lediglich sporadisch und für kurze Zeiträume einer Erwerbstätigkeit nachgegangen, gleiches gilt für seine Ehefrau. Er bezieht mit seiner Familie Leistungen nach dem SGB II.

3

Vom 1. April 1998 bis zum 1. Dezember 2009 war der Kläger im Besitz jeweils befristeter Aufenthaltstitel. Am 13. März 2009 teilte das Bundesamt der Ausländerbehörde mit, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 73 Abs. 1 oder 2 AsylVfG nicht vorlägen. Im März 2009 stellte der Kläger bei der Ausländerbehörde der Stadt M. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. Auf Anfrage teilte das Landeskriminalamt Baden-Württemberg der Ausländerbehörde im Mai 2009 mit, dass hinsichtlich der Person des Klägers "Erkenntnisse" vorlägen, über die das Innenministerium Baden-Württemberg gesondert informiert worden sei. Dessen ungeachtet wurde dem Kläger am 4. Dezember 2009 ohne weitere Mitteilung zum Stand der Sicherheitsüberprüfung eine Niederlassungserlaubnis nach § 26 Abs. 3 AufenthG erteilt.

4

Das Regierungspräsidium K. teilte dem Kläger mit Schreiben vom 23. Juli 2010 mit, dass die Niederlassungserlaubnis in Unkenntnis der Sicherheitsbedenken erteilt worden sei und derzeit deren Rücknahme und eine Ausweisung geprüft werde. Hierzu werde dem Kläger die Möglichkeit eines Sicherheitsgesprächs zur weiteren Aufklärung gegeben. Dieses fand im Februar 2011 statt; allerdings verweigerte der Kläger mit Ausnahme eines durch ihn ausgefüllten Fragebogens die weitere Mitwirkung.

5

Mit Verfügung vom 10. Januar 2012 wies das Regierungspräsidium K. den Kläger aus (Ziffer 1) und stützte sich dabei auf § 54 Nr. 5, § 56 Abs. 1, § 55 AufenthG a.F. Zudem wurde der Kläger verpflichtet, sich zweimal wöchentlich unter Vorlage eines amtlichen Identifikationspapiers bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, und sein Aufenthalt wurde auf den Bereich der Stadt M. begrenzt (Ziffer 2).

6

Die Ausweisung sei gerechtfertigt, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger Vereinigungen unterstütze, die ihrerseits den Terrorismus unterstützten. So habe der Kläger nach den vorliegenden Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in den Jahren 2001 bis 2010 regelmäßig an näher bezeichneten Veranstaltungen und Demonstrationen der PKK-Nachfolgeorganisationen KADEK und KONGRA-GEL teilgenommen und sei teilweise auch selbst als Redner bei derartigen Veranstaltungen aufgetreten. Von 2001 bis 2003/2004 sei er Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Kurdischer Kulturverein e.V." in L. gewesen. Außerdem sei er seit langem Vorstandsmitglied und nunmehr sogar zweiter Vorsitzender des der KONGRA-GEL nahestehenden "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM). Die Ausweisung sei trotz des dem Kläger als anerkanntem Flüchtling zustehenden besonderen Ausweisungsschutzes aus spezialpräventiven Gründen gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Bleibeinteressen des Klägers verhältnismäßig. Sie führe zudem nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung, vielmehr bleibe seine Abschiebung ausgesetzt, da ihr Abschiebungsverbote aufgrund der Rechtsstellung des Klägers als Flüchtling sowie nach § 60 Abs. 5 AufenthG entgegenstünden. Die angeordnete zweimalige wöchentliche Meldepflicht und die räumliche Beschränkung auf den Stadtbezirk M. beruhten auf § 54a AufenthG (a.F.) und seien mit Blick auf die gebotene Überwachung des Klägers und zur Eindämmung seiner gefahrbegründenden Aktivitäten erforderlich und angemessen.

7

Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Verfügung gerichtete Klage mit Urteil vom 27. Januar 2015 abgewiesen, zugleich aber den Beklagten verpflichtet, die Wirkungen der Ausweisung auf acht Jahre nach Ausreise des Klägers zu befristen. Mit Urteil vom 13. Januar 2016 hat der Verwaltungsgerichtshof die Berufung zurückgewiesen. Dabei hat er die angefochtene Ausweisungsverfügung an der seit dem 1. Januar 2016 geltenden Fassung des AufenthG gemessen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere ausgeführt: Im Fall des Klägers liege ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vor, weil der Kläger in überwiegend herausgehobener Funktion die PKK und damit eine terroristische oder den Terrorismus unterstützende Vereinigung unterstützt habe. Dabei seien allerdings nur Aktivitäten nach Juli 2010 heranzuziehen, also nach der an den Kläger gerichteten Mitteilung, wegen seiner Aktivitäten werde die Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft. Als tatbestandserhebliches Unterstützen sei hiernach jede Tätigkeit des Ausländers anzusehen, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeiten der Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, auswirke. Nach diesem Maßstab seien die im Urteil im Einzelnen näher bezeichneten und durch den Kläger in der Sache eingeräumten Betätigungen als Teilnehmer, Mitglied, Redner und Versammlungsleiter bei diversen die PKK unterstützenden Veranstaltungen sowie als Vorstandsmitglied der die PKK unterstützenden YEK-KOM und deren Nachfolgeorganisation NAV-DEM als Unterstützungshandlung zu werten. Angesichts des Ablaufs der Veranstaltungen, der dort gehaltenen Reden und der klaren Ausrichtung auf den Führerkult um den PKK-Führer Öcalan sowie gefallene Märtyrer bestünden für das Berufungsgericht keine Zweifel daran, dass sich der Kläger den Zielen der PKK verpflichtet fühle und sie mit seinem Tun unterstützen wolle.

8

Die Ausweisungsverfügung werde auch dem erhöhten Ausweisungsschutz gerecht, der dem Kläger als anerkanntem Flüchtling nach § 53 Abs. 3 AufenthG zustehe. Denn es lägen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne von Art. 24 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU vor, wonach ein einem Flüchtling erteilter Aufenthaltstitel widerrufen werden könne.

9

Dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse stehe ein gleichfalls besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers gegenüber. Denn er habe eine Niederlassungserlaubnis besessen, die gerade durch die Ausweisungsverfügung betroffen sei. Er lebe mit deutschen Familienangehörigen (sechs seiner Kinder) in familiärer Lebensgemeinschaft und übe sein Personensorgerecht für seine minderjährigen Kinder aus. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse des Klägers.

10

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Revision und rügt in mehrfacher Hinsicht eine Verletzung von Bundesrecht. Zunächst habe das Berufungsgericht den Begriff des "Unterstützens" in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG fehlerhaft ausgelegt und angewandt. Der von ihm in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht angewandte Unterstützungsbegriff sei rechtsstaatlich nicht hinreichend konkret. Jedenfalls auf der Grundlage des neuen, seit Jahresanfang 2016 geltenden Ausweisungsrechts, das nach "schwerwiegenden" und "besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen" differenziere, sei dieser Unterstützungsbegriff nicht mehr als Abgrenzungskriterium geeignet. Notwendig sei ein gefahrenabwehrrechtlich ausgerichteter Unterstützungsbegriff, der sich etwa in Anlehnung an strafrechtliche Zurechnungskriterien wie Anstiftung oder Beihilfe oder die im Strafrecht für Organisationsdelikte entwickelten Zurechnungskriterien gewinnen lassen könne.

11

Fehlerhaft sei zudem die Auslegung und Anwendung von § 53 Abs. 3 AufenthG im Hinblick auf die sich aus Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie ergebenden Voraussetzungen. Denn das Berufungsgericht habe weder festgestellt, dass der Kläger unmittelbar der PKK angehöre, noch dass sich die YEK-KOM oder die NAV-DEM selbst terroristischer Methoden bedienten. Weiterhin verkenne das Berufungsgericht die durch den Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) aufgestellten Anforderungen an die festzustellenden Unterstützungshandlungen. Danach sei insbesondere zu prüfen, ob der Betroffene selbst terroristische Handlungen begangen habe, ob und in welchem Maße er an der Planung, an Entscheidungen oder an der Anleitung anderer Personen zum Zwecke der Begehung solcher Handlungen beteiligt war und ob und in welchem Umfang er solche Handlungen finanziert oder anderen Personen die Mittel für ihre Begehung verschafft habe. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts habe der EuGH damit nicht lediglich beispielhaft die in den maßgeblichen Vorlagefragen des Ausgangsverfahrens vorgehaltenen Handlungen herausgegriffen, sondern in einem abschließenden Sinne bestimmte Kriterien vorgegeben.

12

Weiter setze der Gefahrenbegriff des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine "konkrete Gefahr" voraus. Weder der Wortlaut noch die der Vorschrift zugrunde liegende Entstehungsgeschichte rechtfertigten eine Absenkung dieser Gefahrenschwelle. Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob der Kläger die für die objektive Unterstützung zu Grunde gelegten Tatsachen und Umstände gekannt und eine zweckgerichtete Unterstützung auch gewollt habe.

13

Schließlich habe das Berufungsgericht verkannt, dass dem Kläger nach dem Urteil des EuGH vom 24. Juni 2015 selbst dann, wenn ihm der Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie entzogen werden dürfe, für die Zeit der Fortdauer seines Flüchtlingsstatus die Rechte nach Kapitel VII dieser Richtlinie erhalten bleiben. Deshalb beantragte der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hilfsweise, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass ihm auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie.

14

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und tritt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts bei.

15

Während des Revisionsverfahrens hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 20. Oktober 2016 die Zuerkennung des Flüchtlingsschutzes für den Kläger widerrufen und entschieden, ihm weder die Flüchtlingseigenschaft noch den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Gegen den Bescheid hat der Kläger Klage erhoben.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision ist im Wesentlichen unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Ausweisung des Klägers und die ihm auferlegte Meldepflicht und Aufenthaltsbeschränkung im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig eingestuft. Allerdings war auf der Grundlage der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG der Beklagte zu einer nunmehr gebotenen Ermessensentscheidung über die festzusetzende Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG zu verpflichten.

17

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Begehren des Klägers auf Aufhebung der Ausweisung (Ziffer 1 des Bescheids) sowie der Meldeauflagen und Aufenthaltsbeschränkung (Ziffer 2 des Bescheids). Aber auch der Streit über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ist - entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs - im Berufungsverfahren und anschließend im Revisionsverfahren angefallen. Denn das Befristungsbegehren ist als Minus notwendiger Bestandteil des Begehrens auf Aufhebung einer Ausweisung und kann daher von den Parteien nicht gesondert aus dem Verfahren ausgegliedert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 28 ff.). Hiervon sind im Übrigen vorliegend auch die Parteien übereinstimmend ausgegangen.

18

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, der Meldepflicht und der Aufenthaltsbeschränkung sowie der vom Kläger hilfsweise begehrten Befristung der Wirkungen der Ausweisung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Berufungsgerichts. Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 8 m.w.N.). Der Entscheidung sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162) zugrunde zu legen, zuletzt geändert durch das am 29. Dezember 2016 in Kraft getretene Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (AuslPersGrSiuSHRegG) vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3155).

19

A. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AufenthG, weil der Kläger anerkannter Flüchtling ist.

20

1. Nach dem seit 1. Januar 2016 geltenden Ausweisungsrecht ergibt sich der Grundtatbestand der Ausweisung aus § 53 Abs. 1 AufenthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt.

21

Das neue Ausweisungsrecht gibt das mit dem Ausländergesetz 1990 eingeführte dreistufige Konzept der Ist-, Regel- und Kann-Ausweisung auf. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber für ein einheitliches System der rechtlich gebundenen Ausweisung entschieden ("wird ausgewiesen"), das vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. § 54 AufenthG benennt konkret die Gründe, wann das Ausweisungsinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt und knüpft damit an Tatbestände der früheren Ist- und Regelausweisung an. In § 55 AufenthG werden - spiegelbildlich hierzu - Tatbestände normiert, denen zufolge das Bleibeinteresse "besonders schwer" oder "schwer" wiegt, wobei auch die Aufzählung der "schwer" wiegenden Bleibeinteressen nicht abschließend ist. In § 53 Abs. 2 AufenthG werden Gesichtspunkte genannt, die bei der Abwägung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sind, insbesondere die Dauer des Aufenthalts, Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat, Folgen der Ausweisung für Angehörige und Partner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat.

22

Die Rechtsprechung des Senats, die ihrerseits Vorgaben des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) aufgreift (vgl. Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <301 ff.> und vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 14 ff.), hat bei der Entwicklung des neuen Ausweisungsrechts eine entscheidende Rolle gespielt (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 25. Februar 2015, BT-Drs. 18/4097 S. 49). Dabei griff der Gesetzgeber Vorschläge zur Neuregelung des Ausweisungsrechts auf, die Vertreter der Rechtsprechung unterbreitet haben (vgl. Dörig, NVwZ 2010, 921 <922>; Bergmann, ZAR 2013, 318 <322> sowie Gesetzesvorschlag Bergmann/Dörig vom Januar 2014, veröffentlicht in: Barwig u.a., Steht das europäische Migrationsrecht unter Druck?, 2014, S. 111 f.). Die Ausweisung setzt nunmehr nach § 53 Abs. 1 AufenthG eine umfassende und ergebnisoffene Abwägung aller Umstände des Einzelfalls voraus, die vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet wird. Sofern nach dieser Gesamtabwägung das öffentliche Interesse an der Ausreise das Interesse des Ausländers am Verbleib in Deutschland überwiegt, wird der Ausländer ausgewiesen, andernfalls kommt eine Aufenthaltsbeendigung nach § 53 Abs. 1 AufenthG nicht in Betracht.

23

Die Tatbestandsmerkmale der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" im ausweisungsrechtlichen Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG sind nach der Begründung des Gesetzgebers im Sinne des Polizei- und Ordnungsrechts zu verstehen (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Auch die Gefährdung dieser Schutzgüter bemisst sich nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen. Erforderlich ist die Prognose, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der aufgeführten Schutzgüter eintreten wird. Mit Blick auf die verwendeten Begriffe sollte keine Ausweitung des Gefahrenbegriffs gegenüber dem bislang geltenden Recht erfolgen, vielmehr sollten lediglich die bislang verwandten unterschiedlichen Formulierungen aneinander angeglichen werden. Die von § 53 Abs. 1 AufenthG geforderte Abwägung der Interessen an der Ausweisung mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers in Deutschland erfolgt dabei nach der Intention des Gesetzgebers nicht auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen eines der Ausländerbehörde eröffneten Ermessens, sondern auf der Tatbestandsseite einer nunmehr gebundenen Ausweisungsentscheidung und ist damit gerichtlich voll überprüfbar.

24

Der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG erfährt durch die weiteren Ausweisungsvorschriften mehrfache Konkretisierungen. So wird einzelnen in die Abwägung einzustellenden Ausweisungs- und Bleibeinteressen durch den Gesetzgeber in den §§ 54, 55 AufenthG von vornherein ein spezifisches, bei der Abwägung zu berücksichtigendes Gewicht beigemessen, jeweils qualifiziert als entweder "besonders schwerwiegend" (Absatz 1) oder als "schwerwiegend" (Absatz 2). Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sind neben den explizit in den §§ 54, 55 AufenthG aufgeführten Interessen aber noch weitere, nicht ausdrücklich benannte sonstige Bleibe- oder Ausweisungsinteressen denkbar (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 49). Die Katalogisierung schließt demnach die Berücksichtigung weiterer Umstände im Rahmen der nach § 53 Abs. 2 AufenthG zu treffenden Abwägungsentscheidung nicht aus. Dies folgt bereits aus dem Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG, ist aber für die schwerwiegenden, aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssituationen bewusst nicht abschließend aufgezählten Bleibeinteressen in § 55 Abs. 2 AufenthG nochmals ausdrücklich normiert. Die nunmehr als schwerwiegend oder besonders schwerwiegend qualifizierten Ausweisungsinteressen im Sinne von § 54 AufenthG decken sich weitgehend - aber nicht vollständig - mit den früheren Gründen für eine Regel- und Ist-Ausweisung, die schwerwiegenden und besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen greifen Fälle des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 AufenthG a.F. auf.

25

Bei der Abwägung sind schließlich gemäß § 53 Abs. 2 AufenthG nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere die Dauer des Aufenthalts, die persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Bei diesem Kriterienkatalog hat sich der Gesetzgeber an den Maßstäben orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Rahmen von Art. 8 Abs. 2 EMRK als maßgeblich ansieht ("Boultif/Üner-Kriterien"). Die in § 53 Abs. 2 AufenthG genannten Umstände sollen sowohl zugunsten als auch zulasten des Ausländers wirken können und sind nach Auffassung des Gesetzgebers nicht als abschließend zu verstehen.

26

Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 3 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht.

27

2. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zutreffend ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1, § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG festgestellt. Ein solches liegt dann vor, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wobei hiervon u.a. dann auszugehen ist, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass der Ausländer einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er (jedenfalls) eine solche Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat, es sei denn, er nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand.

28

a) Der Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ist dem Wortlaut nach weitgehend an den früheren Regelausweisungstatbestand des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung angelehnt, auf den die Ausweisungsverfügung auch ursprünglich gestützt war. Das Berufungsgericht hat für die Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu Recht dieselben rechtlichen Maßstäbe herangezogen, die der Senat zur Auslegung des früheren Regelausweisungstatbestandes nach § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung entwickelt hat.

29

In der Rechtsprechung des Senats war die Auslegung des Regelausweisungstatbestands des § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung weitgehend geklärt. So ist anerkannt, dass eine Vereinigung den Terrorismus unterstützt, wenn sie sich selbst terroristisch betätigt oder wenn sie die Begehung terroristischer Taten durch Dritte veranlasst, fördert oder befürwortet. Die Schwelle der Strafbarkeit muss dabei nicht überschritten sein, da die Vorschrift der präventiven Gefahrenabwehr dient und auch die Vorfeldunterstützung durch sogenannte Sympathiewerbung erfasst. Der Tatbestand des Unterstützens des Terrorismus durch eine Vereinigung setzt allerdings voraus, dass die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung (auch) auf die Unterstützung des Terrorismus gerichtet sind; ein bloßes Ausnutzen der Strukturen einer Vereinigung durch Dritte in Einzelfällen reicht hierfür nicht aus (vgl. BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 20 ff. und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 13 ff.).

30

Für den im Gesetz verwandten Begriff des Terrorismus sind Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen. Jedoch können wesentliche Kriterien aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (ABl. L 164 S. 3) sowie dem gemeinsamen Standpunkt des Rates 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist die Aufnahme einer Organisation in die vom Rat der Europäischen Union angenommene Liste terroristischer Organisationen im Anhang zum Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93 - vgl. auch ABl. L 116 vom 3. Mai 2002, S. 75) ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass die Organisation terroristischer Art ist oder im Verdacht steht, eine solche zu sein (vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 [ECLI:EU:C:2015:413], H.T./Land Baden-Württemberg - Rn. 83). Hier sind von den Tatsachengerichten ergänzende Feststellungen zu treffen. Dabei ist trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs anerkannt, dass als terroristisch jedenfalls der Einsatz gemeingefährlicher Waffen und Angriffe auf das Leben Unbeteiligter zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sind (Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>, vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 und Beschluss vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 - BVerwGE 132, 79 <87> m.w.N.).

31

Weiterhin ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass die individuelle Unterstützung einer terroristischen Vereinigung oder einer Vereinigung, die eine terroristische Vereinigung unterstützt, im Sinne des § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. alle Verhaltensweisen erfasst, die sich in irgendeiner Weise positiv auf die Aktionsmöglichkeit der Vereinigung auswirken. Darunter kann die Mitgliedschaft in der terroristischen oder in der unterstützenden Vereinigung ebenso zu verstehen sein wie eine Tätigkeit für eine solche Vereinigung ohne gleichzeitige Mitgliedschaft. Auch die bloße Teilnahme an Demonstrationen oder anderen Veranstaltungen kann eine Unterstützung in diesem Sinne darstellen, wenn sie geeignet ist, eine positive Außenwirkung im Hinblick auf die durch § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. missbilligten Ziele zu entfalten. Auf einen nachweisbaren oder messbaren Nutzen für diese Ziele kommt es nicht an, ebenso wenig auf die subjektive Vorwerfbarkeit der Unterstützungshandlungen. Im Hinblick auf den Schutz der Meinungsfreiheit und das Gebot der Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit des Einzelnen erfüllen allerdings solche Handlungen den Tatbestand der individuellen Unterstützung nicht, die erkennbar nur auf einzelne, mit terroristischen Zielen und Mitteln nicht im Zusammenhang stehende - etwa humanitäre oder politische - Ziele der Vereinigung gerichtet sind. Für den Ausländer muss schließlich die eine Unterstützung der Vereinigung, ihrer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung seines Handelns erkennbar und ihm deshalb zurechenbar sein. Auf eine darüber hinaus gehende innere Einstellung des Ausländers kommt es hingegen nicht an (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 15 und 18 m.w.N.).

32

Diese vom Senat zur Auslegung von § 54 Nr. 5 AufenthG a.F. entwickelten Grundsätze lassen sich entgegen dem Vorbringen der Revision auch auf den Tatbestand des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung nach dem neu gefassten § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen. Ein Vergleich der Textfassungen ergibt, dass der Gesetzgeber die früheren Regelausweisungstatbestände nach § 54 Nr. 5, 5a und 5b AufenthG a.F. in der neuen Vorschrift des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zusammengefasst hat, wobei unter den vorliegenden Umständen die Fälle staatsgefährdender Gewalttaten nach § 89a StGB außer Betracht bleiben können. Gegenüber dem früheren Recht ist der Hinweis entfallen, dass eine Ausweisung auf zurückliegende Mitgliedschaften oder Unterstützungshandlungen nur gestützt werden kann, soweit diese eine gegenwärtige Gefährlichkeit begründen. Eine Änderung der materiellen Rechtslage ist damit aber nicht verbunden, da auch nach neuem Recht eine fortbestehende Gefahr erforderlich ist. Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ("gefährdet") und ist implizit auch dem neuen Zusatz in § 54 Abs. 1 Nr. 2 letzter Halbsatz AufenthG zu entnehmen, wonach von einer Gefährdung nicht auszugehen ist, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt.

33

Den Gesetzgebungsmaterialien ist nichts dafür zu entnehmen, dass sich der Gesetzgeber hinsichtlich des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung für eine Abkehr von dem bisherigen Verständnis des Ausweisungstatbestandes hat entscheiden wollen. Zwar hat er in Satz 2 einen Halbsatz neu eingefügt, wonach ein Unterstützen nicht vorliegt, wenn der Ausländer erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt. Das stellt jedoch keine inhaltliche Änderung des Unterstützerbegriffs dar, sondern normiert lediglich ein in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits entwickeltes Kriterium zur individuellen Zurechnung eines Unterstützerverhaltens. Denn der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die objektive Tatsache der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in der Vergangenheit dem Ausländer dann nicht mehr zugerechnet werden kann, wenn er sich glaubhaft hiervon distanziert (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <131>, vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 35 und vom 30. Juli 2013 - 1 C 9.12 - BVerwGE 147, 261 Rn. 17). Die nunmehr normierten Tatbestandsmerkmale lassen keine Abkehr von der Senatsrechtsprechung erkennen, denn ein "erkennbares Abstandnehmen" vom sicherheitsgefährdenden Handeln entspricht dem Distanzieren im Sinne der Senatsrechtsprechung. Allerdings findet sich in der Begründung zu dieser Neuregelung die Aussage, die Möglichkeit der "Exkulpation" zeige, dass der Betroffene Kenntnis davon gehabt haben müsse, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstütze, der "undolose Unterstützer" daher nicht unter die Regelung falle (BT-Drs. 18/4097 S. 51). Aus diesem Satz in der Gesetzesbegründung könnte man ableiten, der Gesetzgeber habe eine Regelung treffen wollen, nach der für die subjektive Seite des Unterstützens mehr erforderlich ist (Vorsatz) als nach dem bisherigen Verständnis (Erkennbarkeit). Wäre dies tatsächlich so Gesetz geworden, hätte dies eine nicht unerhebliche Einschränkung der Rechtsprechung zur subjektiven Zurechnung bedeutet, nach der es ausreicht, dass der Ausländer erkennen konnte, dass die Vereinigung den Terrorismus unterstützt. Die Begründung hat jedoch im Gesetzestext keinen Niederschlag gefunden, denn nach diesem wird Vorsatz im Hinblick auf die terroristische Betätigung der unterstützten Vereinigung nicht verlangt. Es reicht somit auch für die Erfüllung des subjektiven Unterstützertatbestands weiterhin die Erkennbarkeit einer terroristischen Betätigung der Vereinigung aus. Vorsatz bleibt hingegen weiter erforderlich für das eigene Handeln des Ausländers, das von dem Ziel geleitet sein muss, die Vereinigung zu unterstützen. Für diese Auslegung spricht auch, dass der Gesetzgeber der Vorfeldunterstützung des Terrorismus durch die Gesetzesänderung erhöhte Bedeutung beimessen wollte, indem er den bisher als Tatbestand für eine Regelausweisung normierten Ausweisungsgrund zu einem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 AufenthG heraufstufte, was im bisherigen Recht dem Tatbestand einer zwingenden Ausweisung entsprochen hätte. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, dass das stärkere Gewicht, das der Gesetzgeber diesem Ausweisungsinteresse beimessen wollte (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 23), mit einer engeren Interpretation seiner Tatbestandsmerkmale einhergehen sollte.

34

Eine vom früheren Begriffsverständnis abweichende Auslegung des Tatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass dieser bisher eigenständige Tatbestand nunmehr in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG funktional mit einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verknüpft wird ("hiervon ist auszugehen, wenn"). Vielmehr ergibt eine systematische Auslegung der Vorschrift, dass der Inhalt des Ausweisungstatbestandes des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung unverändert geblieben ist, während der Begriff der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland eine Erweiterung erfahren hat. Denn der Gesetzgeber hat mit § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nunmehr kraft Gesetzes definiert, wann von einer Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland auszugehen ist, nämlich (jedenfalls) dann, wenn eine der dort genannten Tatbestandsalternativen erfüllt ist. Die Auslegung des Begriffs der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland richtet sich daher (auch) nach diesen Tatbestandsalternativen, nicht umgekehrt. Anderes lässt sich hinsichtlich des Gefahrenmaßstabs auch nicht der Regelung des § 53 Abs. 1 AufenthG entnehmen. Denn anders als bei den übrigen Ausweisungsinteressen hat der Gesetzgeber in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG das Erfordernis einer Gefahr (nochmals) ausdrücklich aufgeführt, was unter systematischen Gesichtspunkten für eine gewisse Eigenständigkeit des Gefahrentatbestandes gegenüber § 53 Abs. 1 AufenthG fruchtbar gemacht werden kann. Es gilt damit nunmehr, dass das Gesetz bereits die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Bundesgebiet als eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ansieht, unabhängig davon ob die terroristische Vereinigung Gewaltakte auch auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland oder gegen deutsche Einrichtungen im Ausland begeht. Weiterhin gilt jedenfalls für die Fälle des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung ein abgesenkter Gefahrenmaßstab, der auch Vorfeldmaßnahmen erfasst und keine von der Person des Unterstützers ausgehende konkrete und gegenwärtige Gefahr erfordert. Die Rechtsprechung des Senats zur Unterstützung des Terrorismus durch Handlungen in dessen Vorfeld hat dem Rechnung zu tragen und dabei auch die Bedeutung zu berücksichtigen, die der Unionsgesetzgeber dieser Vorfeldunterstützung durch den Erwägungsgrund 37 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - EU-Anerkennungsrichtlinie - beimisst.

35

Ein Anlass für eine verfassungsrechtliche Neubewertung des Gefahrenmaßstabs besteht entgegen dem umfangreichen Revisionsvorbringen nicht. In der Rechtsprechung des Senats ist seit dem Urteil zum Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus - Terrorismusbekämpfungsgesetz - vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) anerkannt, dass der Unterstützungsbegriff weit auszulegen und anzuwenden ist, um damit der auch völkerrechtlich begründeten Zielsetzung des Gesetzes gerecht zu werden, dem Terrorismus schon im Vorfeld die logistische Basis zu entziehen (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <127 ff.>). Maßgeblich ist, inwieweit das festgestellte Verhalten des Einzelnen zu den latenten Gefahren der Vorfeldunterstützung des Terrorismus nicht nur ganz unwesentlich oder geringfügig beiträgt und deshalb selbst potenziell gefährlich erscheint. Wegen der tatbestandlichen Weite des Unterstützungsbegriffs ist allerdings bei der Anwendung der Vorschrift darauf zu achten, dass nicht unverhältnismäßig namentlich in das auch Ausländern zustehende Recht auf freie Meinungsäußerung jenseits der zumindest mittelbaren Billigung terroristischer Bestrebungen eingegriffen wird. Einen bislang nicht berücksichtigten verfassungsrechtlichen Rechtssatz, der den so umschriebenen Ausgleich zwischen dem legitimen und schon wegen seiner völkerrechtlichen Vorgaben besonders gewichtigen gesetzgeberischen Ziel der Terrorismusbekämpfung und den geschützten Grundrechtspositionen eines Ausländers infrage stellen würde, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere sprechen der Charakter der Ausweisung als Maßnahme der Gefahrenabwehr sowie die spezifische Zielsetzung der Terrorismusbekämpfung gegen eine Übertragung strafrechtlicher Rechtsprechungsgrundsätze, wie sie etwa für die Abgrenzung strafbarer und straffreier Meinungsäußerungen gelten. Der Senat hält auch unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben an seiner bisherigen Rechtsprechung fest.

36

b) Das Berufungsgericht hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG angenommen. Dies gilt sowohl für die Qualifizierung der PKK als terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung (aa) als auch - jedenfalls im Ergebnis - für die Qualifizierung der Handlungen des Klägers als relevante Unterstützungshandlungen (bb). Ebenso wenig zu beanstanden ist die Annahme des Berufungsgerichts, dass der Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand genommen hat (cc).

37

(aa) Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Qualifizierung der PKK als eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Das Gericht legt seiner Entscheidung die in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze für die Definition einer terroristischen Vereinigung zugrunde (UA Bl. 27 f.) und geht damit von einem zutreffenden Maßstab aus. Für die Bewertung der PKK als eine solche Vereinigung hat das Gericht zunächst darauf abgestellt, dass sie auch noch aktuell auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist, ohne diesem Umstand eine über einen deutlichen Anhaltspunkt hinausgehende Bedeutung beizumessen (UA Bl. 31). Hieran anknüpfend hat das Berufungsgericht sodann auf der Grundlage der ihm vorliegenden Erkenntnismittel festgestellt, dass die PKK zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei weiterhin Gewalttaten gegen staatliche Einrichtungen und Amtsträger sowie die Zivilbevölkerung verübt und im Übrigen etwa zur Finanzierung ihrer Aktivitäten oder zur Bekämpfung von Kritikern auch nicht vor Verbrechen gegenüber ihren eigenen Anhängern und auch darüber hinaus gegenüber der kurdischstämmigen Bevölkerung insgesamt zurückschreckt. Insbesondere sei die zwischen dem türkischen Staat und der PKK ausgehandelte (relative) Waffenruhe seitens der PKK zuletzt Ende Juli 2015 ausdrücklich aufgekündigt worden (UA Bl. 32 f.). Diese tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts sind von der Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden und daher für den Senat bindend. Sie erlauben dem Senat zudem eine eigene rechtliche Bewertung des Inhalts, dass die PKK eine terroristische Vereinigung darstellt und nicht lediglich eine den Terrorismus unterstützende Vereinigung.

38

(bb) Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist auch die tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, dass der Kläger die PKK in rechtserheblicher Weise individuell unterstützt hat. Allerdings ist das Gericht unter Verstoß gegen Bundesrecht davon ausgegangen, dass zu Lasten des Klägers nur solche Unterstützungshandlungen berücksichtigt werden dürfen, die in zeitlicher Hinsicht nach der Mitteilung des Regierungspräsidiums vom Juli 2010 lagen, wonach eine Rücknahme der Niederlassungserlaubnis und eine Ausweisung geprüft würden.

39

Das Berufungsgericht ist insoweit rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ein Ausweisungsinteresse bereits dann aus Gründen des Vertrauensschutzes verbraucht ist und nicht mehr zur Begründung einer Ausweisung herangezogen werden kann, wenn ein Aufenthaltstitel in Kenntnis oder dem Staat zuzurechnender Unkenntnis erteilt oder verlängert wurde (UA S. 34 f.). Zwar ist in der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich anerkannt ist, dass Ausweisungsgründe in Anwendung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes einem Ausländer nur dann und so lange entgegengehalten werden dürfen, als sie noch aktuell und nicht verbraucht sind und die Ausländerbehörde auf ihre Geltendmachung nicht ausdrücklich oder konkludent verzichtet hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <313> und vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <121 f.>). Aus der Ableitung dieser Kriterien aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes folgt jedoch, dass die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen haben muss, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung nicht entgegengehalten. Aus der Rechtsprechung des Senats ergibt sich zudem, dass ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein muss. Hieran fehlt es, wenn die Ausländerbehörde - wie vorliegend - dem Kläger auf dessen Anfrage zum Stand des Verfahrens auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis lediglich mitteilt, dass gegenwärtig noch eine Sicherheitsüberprüfung stattfinde, und dann zu einem späteren Zeitpunkt ohne jegliche Erläuterung zum Ausgang der Sicherheitsüberprüfung die begehrte Niederlassungserlaubnis erteilt. Auf dieser Grundlage kann der Betroffene nämlich weder wissen, welchen konkreten Umständen die Ausländerbehörde im Rahmen ihrer Sicherheitsüberprüfung nachgegangen ist, noch zu welchen konkreten Erkenntnissen sie hierbei nach Abschluss der Überprüfung gelangt ist. Daher kann der Betroffene aus der Erteilung der Niederlassungserlaubnis billigerweise auch nicht schließen, dass die Ausländerbehörde bei ihrer Sicherheitsüberprüfung alle als potentielle Versagungsgründe in Betracht kommenden Umstände tatsächlich ermittelt und sodann als für die Erteilung der begehrten Niederlassungserlaubnis unbeachtlich eingestuft hat.

40

Das angefochtene Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Rechtsverstoß, weil das Berufungsgericht auch ohne Berücksichtigung der vor dem für maßgeblich erachteten Zeitpunkt liegenden Umstände von rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen des Klägers ausgegangen ist und die diesbezüglichen Feststellungen revisionsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Im Übrigen wäre der Kläger durch die Nichtberücksichtigung weiterer, ihn belastender Umstände auch nicht beschwert. Im Einzelnen hat das Berufungsgericht für die Bestimmung der rechtserheblichen individuellen Unterstützungshandlungen zutreffend auf die in der Rechtsprechung des Senats entwickelten Maßstäbe zu § 54 Nr. 5 AufenthG in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung abgestellt (UA Bl. 35 ff.). Keine abweichende Beurteilung ergibt sich aus dem Einwand des Klägers, die PKK nicht unmittelbar unterstützt zu haben, sondern sich in legalen Vereinigungen betätigt zu haben, die ihrerseits die PKK im Wissen um deren Charakter gewollt und gezielt unterstützen. Denn es stellt keine verminderte Gefahr der Vorfeldunterstützung des Terrorismus dar, wenn die Unterstützung terroristischer Vereinigungen nicht durch isolierte Einzelhandlungen, sondern in Vereinigung mit anderen erfolgt. Hierin liegt auch kein Fehlen der Unmittelbarkeit der Unterstützungshandlungen.

41

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht sodann nach Auswertung der ihm vorliegenden umfangreichen Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden festgestellt, dass der Kläger über mehrere Jahre in teils hervorgehobener Funktion als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter oder Redner regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen und mitgewirkt hat, bei denen offene Propaganda für die PKK betrieben worden ist (UA Bl. 39 - 42). Unter Einbeziehung der Aktivitäten des Klägers in der Zeit seit 2001, wie sie in der Ausweisungsverfügung (S. 3 - 9, 16 - 23) aufgelistet, vom Kläger nicht in Abrede gestellt und vom Berufungsgericht in Bezug genommen worden sind (UA S. 39 f.), stellt sich das Unterstützungshandeln des Klägers wie folgt dar: Der Kläger war von 2001 bis 2003/2004 Vorsitzender des "Kurdischen Kulturverein e.V." in L., der der KONGRA-GEL nahestand. Im Oktober 2004 wurde er in das 15-köpfige Führungskomitee der "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) gewählt und gehörte diesem bis zur Auflösung der YEK-KOM im Jahr 2014 an, zeitweilig (bis 2011) war er der 2. Vorsitzende der Vereinigung. Er hat sich im Juni 2014 in den fünfköpfigen Vorstand der die PKK unterstützenden NAV-DEM wählen lassen und diese Vorstandstätigkeit bis zum Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeübt (UA Bl. 43 - 45).

42

Der Kläger beteiligte sich seit Mitte 2003 regelmäßig an Kundgebungen und Demonstrationen in unterschiedlichen deutschen Städten (u.a. Mannheim, Ludwigshafen, Heidelberg, Frankfurt, Gelsenkirchen, Düsseldorf, Stuttgart) und in Straßburg/Frankreich, die sich unter anderem für eine Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aussprachen, des Gründungsjahrestags der PKK und/oder der "Märtyrer des kurdischen Freiheitskampfes" gedachten und Parolen auf die PKK ausriefen. Der Kläger hielt auf einigen dieser Veranstaltungen eine Rede, im Februar 2007 hob er dabei die Bedeutung der Gefallenen für die kurdische Sache hervor, im Januar 2009 sprach er zur aktuellen Lage der Kurden in ihrer Heimat, im März 2010 kritisierte er die Exekutivmaßnahmen der belgischen Polizei gegenüber dem kurdischen TV-Sender ROJ-TV, im November 2011 sprach er auf einer Kundgebung, die zum Thema u.a. die Verwendung von Napalmgas und chemischer Waffen gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei hatte, im Januar 2013 verurteilte er auf einer Kundgebung die Ermordung von drei PKK-Aktivisten in Paris, im Oktober 2015 hielt er anlässlich einer Protestaktion der NAV-DEM in Frankfurt eine Rede.

43

Nicht zu beanstanden ist die Würdigung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger nicht nur seine individuellen Unterstützungshandlungen, sondern sämtliche Aktionen der YEK-KOM und der NAV-DEM aufgrund seiner Stellung als Vorstandsmitglied persönlich zuzurechnen sind. Die YEK-KOM, der deutschlandweit etwa 60 kurdische Vereine angeschlossen sind, unterstützt die PKK nach den gerichtlichen Feststellungen durch eine Vielzahl von Aktionen. Sie betreibe eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, darunter immer wieder Aktionen und Aufrufe mit dem Ziel der Aufhebung des Betätigungsverbots der Kurdischen Arbeiterpartei in Deutschland. Auch mobilisiere sie jedes Jahr aus Anlass der Newroz-Feier die kurdische Bevölkerung in Europa zu zentralen Kundgebungen. Dabei würden Grußworte von Öcalan oder von anderen PKK-Führungsmitgliedern vorgelesen oder ausgestrahlt. Im Zentrum stünden dann die aktuellen politischen Interessen der PKK. Auf der Agenda der vergangenen Jahre hätten Themen gestanden wie "Freiheit für Öcalan" und "Frieden für Kurdistan". Im Arbeitsprogramm der YEK-KOM sei die "logistische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes Kurdistans" verankert. Der Verein biete der PKK oder ihren Nachfolgeorganisationen eine Plattform, indem er ihre Erklärungen und Äußerungen von Funktionären unkommentiert, d.h. auch unkritisch veröffentliche. Auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden oder der Justiz gegen Personen und Einrichtungen mit dem Verdacht eines PKK-Bezugs reagiere die YEK-KOM stets mit einer verurteilenden Erklärung. Hochrangige YEK-KOM-Funktionäre beteiligten sich an PKK-Aktionen und träten auf PKK-Veranstaltungen als Redner auf. Für die NAV-DEM gilt nach den getroffenen Feststellungen nichts anderes. Der Verein sei keine Neugründung, sondern eine Umbenennung des Vereins YEK-KOM. Im Übrigen werde deutlich, dass die NAV-DEM ihre Veranstaltungen und Kundgebungen mit gleichem Ablauf und gleichen Themen durchführe wie zuvor schon unter dem Namen YEK-KOM. Diese zutreffende Würdigung bedeutet auch nicht, dass jeder Einsatz für die Interessen und Belange kurdischer Volkszugehöriger (oder eine Kritik an der Kurdenpolitik der Türkischen Republik) als eine Unterstützung der PKK und damit des Terrorismus einzuordnen wäre.

44

(cc) Soweit schließlich nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ausscheidet, wenn der Ausländer ernsthaft und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand nimmt, hat das Berufungsgericht ebenfalls in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass der Kläger ausweislich seines auch während des Ausweisungsverfahrens fortgesetzten Engagements als Vorstandsmitglied, Versammlungsleiter und Redner auch künftig an seiner Unterstützung der PKK festhalten wird. Die Feststellungen des Berufungsgerichts zum Unterstützerverhalten des Klägers sind detailreich und stellen - entgegen der Auffassung der Revision - keine zu schmale Tatsachengrundlage für die getroffenen Feststellungen dar. Damit erfüllt der Kläger die gesetzlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, und es liegt ein Ausweisungsinteresse vor, das besonders schwer wiegt.

45

3. Die angefochtene Verfügung des Beklagten erfüllt auch die besonderen Voraussetzungen, die nach § 53 Abs. 3 AufenthG an die Ausweisung eines anerkannten Flüchtlings zu stellen sind. Ein solcher darf nur ausgewiesen werden, wenn das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und die Ausweisung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist.

46

a) Diese den Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 AufenthG ergänzende Vorschrift legt erhöhte Ausweisungsvoraussetzungen für mehrere rechtlich privilegierte Personengruppen fest, nämlich für Ausländer, die als Asylberechtigte anerkannt sind, die im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings genießen, die einen von einer Behörde der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Reiseausweis als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention besitzen, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht oder die eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt - EU besitzen. Für all diese Personengruppen gilt der besondere aus Art. 12 der Daueraufenthaltsrichtlinie 2003/109/EG abgeleitete Maßstab, den der Gerichtshof der Europäischen Union auch auf Ausländer erstreckt hat, denen nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - Slg. 2011, I-12735 Rn. 79, 86). Der Senat folgt nicht der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach die Voraussetzungen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 53 Abs. 3 AufenthG von vornherein "bereichsspezifisch" gemäß dem durch das Unionsrecht für den jeweiligen Personenkreis bestimmten Ausweisungsschutz auszulegen sind. Vielmehr hat der Gesetzgeber den unionsrechtlichen Schutzstandard für daueraufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige für ausreichend befunden und dessen Geltung für alle genannten Personengruppen angeordnet. Dies entbindet freilich nicht davon, in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob für die jeweils betrachtete Personengruppe der so durch den nationalen Gesetzgeber definierte Ausweisungsschutz dem unionsrechtlichen Maßstab tatsächlich genügt. Nur wenn der unionsrechtliche Maßstab strenger ist als derjenige, der durch den Gesetzgeber in § 53 Abs. 3 AufenthG festgelegt worden ist, bedarf § 53 Abs. 3 AufenthG nach allgemeinen Grundsätzen einer unionsrechtskonformen Auslegung, die angesichts der Weite der Tatbestandsmerkmale und des erkennbaren gesetzgeberischen Willens, europarechtlichen Maßstäben zu genügen, auch möglich ist (so auch Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 53 AufenthG Rn. 54).

47

Im vorliegenden Fall ist § 53 Abs. 3 AufenthG unionsrechtskonform nach den Vorgaben der EU-Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU auszulegen. Die Richtlinie formuliert keine Vorgaben für eine Ausweisung im Sinne des deutschen Rechts, wohl aber für eine Zurückweisung in den Herkunftsstaat (Art. 21 Abs. 2 und 3) und für den Entzug des Aufenthaltstitels (Art. 24 Abs. 1).

48

b) Nach Art. 21 Abs. 3 der EU-Anerkennungsrichtlinie darf ein Mitgliedstaat den einem Flüchtling erteilten Aufenthaltstitel widerrufen, wenn die Voraussetzungen für eine Zurückweisung nach Art. 21 Abs. 2 vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2012 - 1 C 8.11 - BVerwGE 143, 138 Rn. 21). Fällt ein Flüchtling nicht in den Anwendungsbereich von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie, kann auch Abs. 3 dieser Vorschrift nicht zu Anwendung kommen (EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 - C-373/13 - Rn. 44). Eine Zurückweisung ist nach Art. 21 Abs. 2 Buchst. a zulässig, wenn es stichhaltige Gründe für die Annahme gibt, dass der Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Mitgliedstaats darstellt, in dem er sich aufhält. Es kann offenbleiben, ob vom Kläger eine Gefahr im Sinne dieser Vorschrift ausgeht, denn die Zurückweisung ist nur unter der weiteren Voraussetzung rechtmäßig, dass sie dem Mitgliedstaat nicht aufgrund seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen untersagt ist (Art. 21 Abs. 2). Dazu zählen die Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK (vgl. Begründung der Kommission im Richtlinienvorschlag vom 12. September 2001 KOM (2001) 510 endg. S. 33 zu Art. 19). Dem Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK kommt absoluter Charakter zu; es kann mithin - anders als das Refoulement-Verbot nach Art. 33 Abs. 1 GFK - nicht unter den Voraussetzungen von Art. 21 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU i.V.m. Art. 35 Abs. 2 GFK durchbrochen werden (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU [ECLI:EU:C:2016:198], Aranyosi und Căldăraru - Rn. 85 - 87; EGMR, Urteil vom 17. Dezember 1996 - Nr. 71/1995/577/663, Ahmed/Österreich - NVwZ 1997, 1100 Rn. 39 - 41). Für den Kläger besteht ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK. Denn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat im Anerkennungsbescheid vom 9. Oktober 1997 nicht nur die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nach dem seinerzeit maßgeblichen § 51 Abs. 1 AuslG 1990, sondern auch ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 4 AuslG 1990 hinsichtlich der Türkei festgestellt und dieses damit begründet, dass dem Kläger in der Türkei unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Diese Feststellung des Bundesamts begründet hier ein - absolutes - nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Insoweit kommt der Feststellung des Bundesamts im vorliegenden Verfahren über § 42 AsylG auch Bindungswirkung zu. Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU begrenzt damit den behördlichen Handlungsspielraum für eine Abschiebung in einen Verfolgerstaat oder einen Staat, in dem Gefahren nach Art. 3 EMRK drohen. Die Vorschrift setzt jedoch keine Maßstäbe für eine lediglich "inlandsbezogene" Ausweisung, die - wie hier - insbesondere den Verlust des Aufenthaltstitels zur Folge hat.

49

c) Unionsrechtliche Maßstäbe für eine zum Verlust des Aufenthaltstitels eines Flüchtlings führende inlandsbezogene Ausweisung lassen sich aus Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie gewinnen. Die Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, einem Flüchtling so bald wie möglich nach der Anerkennung einen Aufenthaltstitel auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

50

(aa) Der Inhalt dieser Norm wurde vom Gerichtshof der Europäischen Union in einem auf ein Vorlageersuchen des Berufungsgerichts ergangenen Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) näher bestimmt. Die Entscheidung bezieht sich zwar auf Art. 24 Abs. 1 der EG-Anerkennungsrichtlinie 2004/83/EG, ihre Aussagen sind aber uneingeschränkt auf die in der Sache unveränderte Vorschrift des Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU übertragbar. Danach kann einem Flüchtling nach Art. 24 Abs. 1 nicht nur die Erteilung eines Aufenthaltstitels versagt werden, sondern der erteilte Aufenthaltstitel auch nachträglich widerrufen werden, wenn zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Sinne dieser Bestimmung vorliegen (a.a.O. Rn. 55). Soweit in der Neufassung der Vorschrift nunmehr von zwingenden Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung die Rede ist, ist damit keine inhaltliche Änderung verbunden. Diese Wirkung einer Entziehung des Aufenthaltstitels kommt der hier verfügten Ausweisung zu, die wegen des entgegenstehenden Abschiebungsverbots nach Art. 3 EMRK nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führt. Entgegen einer am Wortlaut orientierten Auslegung von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie hat der darin verwendete Begriff der "zwingenden Gründe" nach dem EuGH-Urteil eine weitere Bedeutung als der Begriff der "stichhaltigen Gründe" in Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie. Das bedeutet, dass bestimmte Umstände, die nicht den Schweregrad aufweisen, um eine Zurückweisung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 der Richtlinie verfügen zu können, den Mitgliedstaat gleichwohl dazu berechtigen können, auf der Grundlage von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie dem betroffenen Flüchtling seinen Aufenthaltstitel zu entziehen (a.a.O. Rn. 75).

51

Bei der Bestimmung des Bedeutungsgehalts der "zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" hat der EuGH zunächst Bezug auf seine Rechtsprechung zu den Begriffen der "öffentlichen Sicherheit" und der "öffentlichen Ordnung" in Art. 27 und 28 der Unionsbürgerrichtlinie 2004/38/EG genommen (a.a.O. Rn. 77 ff.). Danach umfasst der Begriff "öffentliche Sicherheit" im Sinne von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit eines Mitgliedstaats. Die öffentliche Sicherheit kann danach berührt sein, wenn das Funktionieren staatlicher Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste beeinträchtigt wird oder eine Gefahr für das Überleben der Bevölkerung oder einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker besteht oder militärische Interessen beeinträchtigt werden. Dabei deutet der Begriff der "zwingenden Gründe" auf einen besonders hohen Schweregrad der Beeinträchtigung hin (a.a.O. Rn. 78). Den Begriff der "öffentlichen Ordnung" hat der EuGH für die Unionsbürgerrichtlinie dahin ausgelegt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (a.a.O. Rn. 79). Zugleich betont er, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen, die je nach Mitgliedstaat und Zeitpunkt unterschiedlich sein können, zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung und Sicherheit erfordern (a.a.O. Rn. 77).

52

Für den Fall der Unterstützung des Terrorismus hat der EuGH zudem auf den 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/83/EG, heute 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/95/EU hingewiesen, wonach der Begriff der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" auch für die Fälle gilt, in denen ein Drittstaatsangehöriger einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine derartige Vereinigung unterstützt. Dabei muss das nationale Gericht in einem ersten Schritt prüfen, ob die Handlungen der fraglichen Organisation die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Wird eine vom Flüchtling unterstützte Vereinigung in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABI. L 344 S. 93) geführt, ist dies ein deutlicher Anhaltspunkt dafür, dass sie entweder eine terroristische Organisation ist oder im Verdacht steht, eine solche Organisation zu sein (a.a.O. Rn. 83). Allein der Umstand, dass ein Flüchtling eine solche Organisation unterstützt hat, darf jedoch nicht automatisch zur Aufhebung seines Aufenthaltstitels führen. Vielmehr ist in einem zweiten Schritt einzelfallbezogen die Rolle zu prüfen, die der Betreffende im Rahmen seiner Unterstützung dieser Organisation tatsächlich gespielt hat (a.a.O. Rn. 90), und auch der Schweregrad der Gefahr zu beurteilen, die von seinen Handlungen für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (a.a.O. Rn. 92).

53

(bb) Das Berufungsgericht hat die vom Kläger geleisteten und ihm zuzurechnenden Unterstützungshandlungen an dem vom EuGH präzisierten Maßstab für die Auslegung des Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie gemessen und ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass sich hieraus zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung ergeben, die einen Entzug des Aufenthaltstitels gegenüber dem Kläger rechtfertigen. Das Gericht hat bereits im Rahmen seiner Prüfung des besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG ausführlich begründet, warum die PKK eine terroristische oder jedenfalls den Terrorismus unterstützende Vereinigung darstellt (UA S. 27 - 34). Dabei hat es gewürdigt, dass die PKK auf der vom Rat der Europäischen Union erstellten Liste der Terrororganisationen aufgeführt ist und auch weiterhin terroristische Aktivitäten entfaltet. In einem zweiten Schritt hat es näher dargelegt, warum die in Deutschland agierenden Vereinigungen YEK-KOM und NAV-DEM, für die der Kläger seit mehr als zwölf Jahren in hervorgehobenen Funktionen wirkte, und der Kläger auch individuell durch Anmeldung und Leitung von Versammlungen sowie Redebeiträge und weitere Aktivitäten die PKK unterstützt haben und weiter unterstützen (UA S. 55, 34 - 48). Die Bewertung des Berufungsgerichts, dass der Kläger damit die Voraussetzungen für den Entzug seines Aufenthaltstitels nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie erfüllt, steht mit der Rechtsprechung des EuGH in Einklang. Zwar hat er selbst keine terroristischen Handlungen begangen, auch nicht andere Personen hierzu angeleitet oder sich an der Planung oder Finanzierung terroristischer Aktionen beteiligt, wie das der EuGH als mögliches Unterstützerhandeln erwähnt (a.a.O. Rn. 90). Diese Aufzählung des Gerichtshofs ist jedoch nur beispielhaft, macht zugleich aber deutlich, dass der Betreffende eine gewichtige Rolle im Rahmen seiner Unterstützung der terroristischen Organisation gespielt haben muss.

54

Bei der Frage, was als gewichtig anzusehen ist, ist der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie zu berücksichtigen, wonach auch die Zugehörigkeit zu einer Vereinigung, die den internationalen Terrorismus unterstützt, und die Unterstützung einer derartigen Vereinigung als Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung anzusehen sind. Die abschließende Bewertung, ob die Unterstützungshandlung hinreichend gewichtig ist, um "zwingende Gründe" darzustellen, überlässt der Gerichtshof dem verantwortlichen nationalen Gericht und erkennt auch einen Einschätzungsspielraum der Mitgliedstaaten an, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordern. Diese abschließende Bewertung hat das Berufungsgericht dahin getroffen, dass die Unterstützungshandlungen des Klägers dem von Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie geforderten Gewicht entsprechen. Es hat dies auf der Grundlage der Gewichtungsvorgabe des nationalen Gesetzgebers in § 54 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG nachvollziehbar mit dem mehr als zwölfjährigem Unterstützerhandeln des Klägers in hervorgehobener Position innerhalb zweier Vereinigungen begründet, in dessen Rahmen er an zahlreichen Veranstaltungen mitwirkte, an denen sich Akteure beteiligten, die offen für die PKK warben und deren Kurs vorbehaltlos befürworteten (Auftreten in Guerillauniform, Märtyrergedenken, Grußbotschaften an die Kämpfer an der Front usw.). Für das Gewicht seines Unterstützerhandelns durfte das Gericht auch berücksichtigen, dass der Kläger nach den tatrichterlichen Feststellungen in vollem Bewusstsein um dessen Bedeutung für den ideologischen Zusammenhalt der PKK und in dem Willen gehandelt hat, diese vorbehaltlos auch in Bezug auf deren terroristische Aktivitäten zu unterstützen (UA S. 55).

55

(cc) Der EuGH hat in seinem Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13 Rn. 95 ff.) aber hervorgehoben, dass ein Flüchtling, dessen Aufenthaltstitel nach Art. 24 Abs. 1 der EU-Anerkennungsrichtlinie aufgehoben wird, seinen Flüchtlingsstatus behält, sofern und solange ihm nicht dieser Status entzogen worden ist. Daher ist er auch nach dem Verlust seines Aufenthaltstitels weiterhin Flüchtling und hat in dieser Eigenschaft weiterhin Anspruch auf die Vergünstigungen, die das Kapitel VII der Richtlinie jedem Flüchtling gewährleistet, so insbesondere auf Schutz vor Zurückweisung, auf Wahrung des Familienverbands, auf Ausstellung von Reisedokumenten, auf Zugang zur Beschäftigung, zu Bildung, zu Sozialhilfeleistungen, zu medizinischer Versorgung und zu Wohnraum, auf Freizügigkeit innerhalb des fraglichen Mitgliedstaats sowie auf Zugang zu Integrationsmaßnahmen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift. Diese Rechte dürfen, auch soweit sie nach nationalem Recht an den Besitz eines Aufenthaltstitels anknüpfen, von den zuständigen Behörden daher nicht mit der Begründung versagt werden, dass der Aufenthalt des Flüchtlings infolge der Ausweisung rechtswidrig geworden ist. Allerdings darf die Ausstellung eines Reiseausweises nach Art. 25 EU-Anerkennungsrichtlinie versagt werden, wenn - etwa zur Begegnung der Gefahr terroristischen Unterstützungshandelns - zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Ebenso dürfen nach Art. 33 der Richtlinie aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen verfügt werden, wenn diese aus Gründen der öffentlichen Sicherheit auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern zulässig sind.

56

Eventuelle Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der dem Flüchtling auch nach Entzug des Aufenthaltstitels weiter zustehenden Rechte nach Kapitel VII der EU-Anerkennungsrichtlinie infolge unzureichender Umsetzung der Richtlinie in den einschlägigen nationalen Fachgesetzen berühren nicht die Rechtmäßigkeit der verfügten Ausweisung. An die Beachtung der einen Flüchtling unmittelbar begünstigenden Vorschriften in Kapitel VII der Richtlinie und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH sind seit Ablauf der Umsetzungsfrist alle nationalen Behörden gebunden. Der Flüchtling hat seine Rechte gegenüber den jeweils zuständigen Behörden und erforderlichenfalls Gerichten geltend zu machen. Auch die Generalanwältin hat es insoweit als die Pflicht der nationalen Gerichte angesehen, für die volle Wirksamkeit der Bestimmungen der Richtlinie Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Vorschrift des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 11. September 2014 - C-373/13 - Rn. 114 letzter Absatz).

57

4. Dem öffentlichen Ausweisungsinteresse stehen gewichtige Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1, § 55 AufenthG gegenüber. Diese hat das Berufungsgericht zutreffend bestimmt (UA S. 59 f.). Es hat berücksichtigt, dass der Kläger eine Niederlassungserlaubnis besessen hat, die durch die Ausweisungsverfügung betroffen ist, er mit deutschen Familienangehörigen in familiärer Lebensgemeinschaft lebt und er sein Personensorgerecht für minderjährige ledige Deutsche ausübt (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 und 4 AufenthG).

58

5. Das Berufungsgericht hat das öffentliche Ausweisungsinteresse gegen die Bleibeinteressen des Klägers und seiner Familie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 AufenthG unter Berücksichtigung der den Einzelfall prägenden Umstände abgewogen und ist unter Beachtung des hierfür zentralen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Ausweisungsinteresse überwiegt (UA S. 60 - 64). Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Gericht hat berücksichtigt, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 24 Abs. 1 EU-Anerkennungsrichtlinie genießt, hier allerdings auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung beabsichtigt ist, da ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht. Es hat seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt und seine familiären Bindungen im Sinne von Art. 6 GG, Art. 8 EMRK gewürdigt, diesen durch die Verfügung allerdings insoweit nicht als beeinträchtigt angesehen, als keine Aufenthaltsbeendigung erfolgt. Es hat bei seiner Abwägung berücksichtigt, dass der Kläger in seinen geschützten Bindungen dadurch betroffen ist, dass sein Aufenthalt auf das Gebiet der Stadt M. beschränkt und er Meldeauflagen unterworfen ist. Weitere schützenswerte Bindungen hat das Gericht nicht anerkannt und dies nachvollziehbar damit begründet, dass der Kläger ungeachtet seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland kaum deutsch spricht, nur sporadisch und für kürzere Zeiträume erwerbstätig war und seit längerem von Sozialleistungen abhängig ist. Schließlich hat das Berufungsgericht in die Abwägung eingestellt, dass es der Kläger in der Hand hat, durch eine glaubhafte Abkehr von seinem bisherigen Verhalten eine Aufhebung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zu erreichen.

59

6. Ohne Rechtsverstoß wertet das Berufungsurteil die in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung angeordnete Aufenthaltsbeschränkung und die verfügten Meldeauflagen als rechtmäßig gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG. Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 AufenthG unterliegt ein Ausländer, gegen den - wie hier - eine Ausweisungsverfügung aufgrund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AufenthG besteht, der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Gestützt auf diese Ermächtigung hat der Beklagte bestimmt, dass sich der Kläger zweimal wöchentlich zu melden hat. Ferner hat er den Aufenthalt des Klägers auf den Bereich der Stadt M. beschränkt, wie das § 56 Abs. 2 AufenthG vorsieht, wenn die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft. Diese aufenthaltsbeschränkenden Maßnahmen durften gegenüber dem Kläger trotz dessen Rechtsstellung als Flüchtling ergehen. Dadurch wird sein Recht auf Freizügigkeit gemäß Art. 33 EU-Anerkennungsrichtlinie nicht verletzt. Denn derartige Maßnahmen dürfen aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, wie sie hier wegen des Erfordernisses der Abwehr von terrorismusfördernden Aktivitäten vorliegen, auch gegenüber sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltenden Ausländern verfügt werden (§ 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG).

60

7. Zutreffend ist das Berufungsgericht auch zu dem Ergebnis gekommen, dass die für die Ausweisung des Klägers anwendbaren Regelungen des Ausweisungsrechts nicht gegen assoziationsrechtliche Verschlechterungsverbote aus Art. 13 ARB 1/80, Art. 7 ARB 2/76 und Art. 41 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (BGBl. 1972 II S. 385) verstoßen. Dabei kann offenbleiben, ob hier überhaupt eines der Verschlechterungsverbote Anwendung findet. Denn der zum 1. Januar 2016 eingeführte Übergang von einer Ermessensentscheidung zu einer gebundenen Entscheidung stellt keine Verschlechterung der Rechtsstellung des betroffenen Ausländers dar (a). Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung bewirkte zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für betroffene Ausländer, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt (b).

61

a) Die zum 1. Januar 2016 eingeführte Neuregelung des Ausweisungsrechts, die die bisherige Ermessensausweisung durch eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte gebundene Ausweisung abgelöst hat, hat die Rechtsstellung der Ausländer in der hier gebotenen und auch unionsrechtlich statthaften Gesamtschau nicht verschlechtert, sondern jedenfalls teilweise verbessert. Denn bisher sah das Gesetz Tatbestände einer zwingenden Ausweisung (Ist-Ausweisung), regelmäßig erfolgenden Ausweisung (Soll-Ausweisung) und Ausweisung nach Ermessen (Kann-Ausweisung) vor. Die zwingende Ausweisung und die regelmäßig erfolgende Ausweisung widersprachen für den Personenkreis der unionsrechtlich privilegierten Ausländer der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, wonach eine Ausweisung ausschließlich auf ein persönliches Verhalten des Ausländers gestützt werden darf, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 [ECLI:EU:C:2004:262], Orfanopoulos und Oliveri - Slg. 2004, I-5257 Rn. 66 f.). Der Gerichtshof hat weiter entschieden, dass eine Regelung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt, wonach eine Ausweisung automatisch aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung verfügt wird, ohne dass das persönliche Verhalten des Täters oder die von ihm ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung berücksichtigt wird (a.a.O. Rn. 70). Aber auch die nationale Bestimmung über die Regelausweisung hat für den Gerichtshof den Anschein erweckt, dass trotz der Berücksichtigung individueller Umstände ein gewisser Automatismus oder jedenfalls eine Vermutung besteht, dass der betreffende Staatsangehörige auszuweisen ist (a.a.O. Rn. 92).

62

Daraus hat das Bundesverwaltungsgericht die Schlussfolgerung gezogen, dass die gesetzliche Regelung zur zwingenden Ausweisung und Regelausweisung auf unionsrechtlich privilegierte Ausländer nicht mehr angewendet werden darf (BVerwG, Urteile vom 3. August 2004 - 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <302> betreffend Unionsbürger und - 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <321> betreffend Assoziationsberechtigte nach ARB 1/80). Der Gesetzgeber hat daraus durch das zum 1. Januar 2016 in Kraft getretene neue Ausweisungsrecht die Konsequenzen gezogen. Insofern stellt die neue Rechtslage eine Verbesserung gegenüber der bisherigen dar. Eine Ausweisung nach neuem Recht hat eine einzelfallbezogene umfassende Güter- und Interessenabwägung vorzunehmen und orientiert sich dabei strikt am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 53 Abs. 1 und 2 AufenthG). Damit setzt der Gesetzgeber Vorgaben um, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteil vom 29. April 2004 - C-482/01 und C-493/01 - Rn. 99) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR , Urteil vom 18. Oktober 2006 - Nr. 46410/99, Üner/Niederlande - NVwZ 2007, 1279 Rn. 57 - 60) ergeben.

63

Es stellt keine Verschlechterung der Rechtslage für unionsrechtlich privilegierte Ausländer dar, dass ihre Ausweisung nach früherer Rechtslage im Wege einer Ermessensentscheidung erfolgte, nach neuem Recht hingegen im Wege einer rechtlich gebundenen Ausweisung, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Damit entfällt zwar die Möglichkeit, aus Gründen der Zweckmäßigkeit von einer Aufenthaltsbeendigung abzusehen. Auf ein solches Absehen von einer rechts- und ermessensfehlerfrei möglichen Ausweisung hatte der Ausländer aber zu keinem Zeitpunkt einen Anspruch, auch die gerichtliche Kontrolle war insoweit durch § 114 VwGO eingeschränkt; durch die gesetzliche Neuregelung wird also keine individuelle Rechtsposition beeinträchtigt. Im Übrigen ist für die Beachtung des Verschlechterungsverbots auf die tatsächliche Praxis und nicht allein auf die abstrakte Rechtslage abzustellen. Die Rechtspraxis wurde maßgeblich durch die Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz des Bundesministeriums des Innern vom 26. Oktober 2009 gesteuert. Danach lag die Ausweisungsentscheidung im pflichtgemäßen Ermessen der Ausländerbehörde, bei der Ermessensausübung waren das schutzwürdige Interesse des Ausländers am weiteren Verbleib in Deutschland und das öffentliche Interesse an der Ausweisung gegeneinander abzuwägen (Ziffer 55.1.3). Das weist auf eine Rechtspraxis hin, die der heute normierten gebundenen Ausweisung entspricht, die von einer einzelfallbezogenen Verhältnismäßigkeitsprüfung geleitet wird. Insofern hat sich die Rechtsstellung des Ausländers nicht verschlechtert.

64

b) Die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 erfolgte Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung hat zwar eine Verschlechterung der Rechtslage für die betroffenen Ausländer bewirkt, diese ist aber durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Die seinerzeitige Einführung des Regelausweisungstatbestands des Unterstützens einer terroristischen Vereinigung (§ 54 Nr. 5 AufenthG a.F.) führte zu einer Verschärfung des Ausweisungsrechts gegenüber der früheren Rechtslage, die allein den Tatbestand der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland kannte. Durch die Rechtsänderung wurde nun auch die Vorfeldunterstützung des Terrorismus erfasst. Diese ist jedoch mit Blick auf das Verschlechterungsverbot aus Art. 13 ARB 1/80 aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 14 ARB 1/80, jedenfalls aber durch ein zwingendes Allgemeininteresse, namentlich die völkerrechtlich gebotene Terrorismusbekämpfung auch bereits im Vorfeld unmittelbarer terroristischer Handlungen, gerechtfertigt.

65

8. Nach der seit 1. August 2015 geltenden Neuregelung des § 11 AufenthG ist über die Länge der Frist für das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufenthaltsverbot nach Ermessen zu entscheiden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Diese gesetzgeberische Entscheidung ist mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 1 C 27.16 - Rn. 20 ff.). Das Urteil des Senats zur Vorläuferfassung des § 11 AufenthG a.F., wonach eine gebundene Entscheidung zu treffen war (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.), erging ausdrücklich vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift. Ihm ist nicht zu entnehmen, dass die bei der Auslegung der damaligen Gesetzesfassung herangezogenen verfassungs-, unions- und menschenrechtlichen Vorgaben der gesetzlichen Einräumung eines behördlichen Ermessensspielraums zwingend entgegenstehen. Eine solche Ermessensentscheidung hat der Beklagte hier noch nicht getroffen. Vielmehr hat bisher das Verwaltungsgericht das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der seinerzeit geltenden Rechtslage im Wege einer gebundenen Entscheidung auf acht Jahre festgesetzt.

66

Der Beklagte hat die nach neuem Recht nunmehr gebotene Ermessensentscheidung nachzuholen. Das Erfordernis einer Ermessensentscheidung ändert nichts am behördlichen Prüfprogramm. Die Ausländerbehörde muss bei der allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzenden Frist das Gewicht des Ausweisungsinteresses und den mit der Ausweisung verfolgten Zweck berücksichtigen. Hierzu bedarf es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das seiner Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag. Die auf diese Weise an der Erreichung des Ausweisungszwecks ermittelte Höchstfrist muss von der Behörde in einem zweiten Schritt an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den unions- und konventionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 7 GRC und Art. 8 EMRK, gemessen und ggf. relativiert werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - BVerwGE 143, 277 Rn. 42). Über dieses normative Korrektiv lassen sich auch bei einer Ermessensentscheidung die einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen begrenzen. Dabei sind von der Ausländerbehörde nicht nur die nach § 55 Abs. 1 und 2 AufenthG schutzwürdigen Bleibeinteressen des Ausländers in den Blick zu nehmen, sondern bedarf es nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles einer umfassenden Abwägung der betroffenen Belange.

67

B. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gestellte (weitere) Hilfsantrag, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass dem Kläger auch nach Bestandskraft der Ausweisung weiterhin die Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie 2011/95/EU zustehen mit Ausnahme der Rechte aus Art. 24 der Richtlinie, ist unzulässig. Er stellt eine unzulässige Klageerweiterung im Revisionsverfahren dar (§ 142 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen bedarf es einer solchen behördlichen Feststellung auch nicht. Aus dem für alle nationalen Behörden verbindlichen EuGH-Urteil vom 24. Juni 2015 (C-373/13) ergibt sich bis zu einer dem Gesetzgeber vorbehaltenen Anpassung der einschlägigen Fachgesetze hinreichend deutlich, dass dem Kläger - solange er die Rechtsstellung eines Flüchtlings im Sinne der EU-Anerkennungsrichtlinie genießt - auch die mit dieser Rechtsstellung einhergehenden Rechte nach Kapitel VII der Richtlinie zustehen, sofern nicht eine in der Richtlinie selbst ausdrücklich vorgesehene Ausnahme eingreift (vgl. dazu auch die vorstehenden Ausführungen in Rn. 55 f. dieses Urteils).

68

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung, die Meldeauflage, die Aufenthaltsbeschränkung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5 (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juli 2012 - 1 C 19.11 - juris Rn. 46).

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.

(2) Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tatbestand

1

Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.

2

Der Kläger reiste 1976 in das Bundesgebiet zu seinen Eltern ein. Seine Mutter war von 1969 bis 1982 als Arbeitnehmerin beschäftigt. Nach dem Besuch der Hauptschule schloss er eine Lehre als Elektrokaufmann ab. Im Dezember 1987 erhielt er eine Aufenthaltsberechtigung. Aus der im März 1988 geschlossenen Ehe mit einer türkischen Staatsangehörigen sind zwei Töchter hervorgegangen. Die Ehe wurde mittlerweile geschieden.

3

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich aufgefallen: Wegen Vergewaltigung seiner damaligen Ehefrau wurde er im November 2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt. Das Landgericht Krefeld verhängte gegen ihn im Oktober 2005 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 11 Fällen und Körperverletzung. Dem Strafurteil ist zu entnehmen, dass der Kläger ab Januar 2004 Zeiten berufsbedingter Abwesenheit seiner Ehefrau zur Vornahme sexueller Handlungen an seiner älteren Tochter ausnutzte. Als er bemerkte, dass diese trotz des elterlichen Verbots Kontakt zu einem Jungen hatte, schlug er sie mit der Hand und der Faust ins Gesicht.

4

Der Beklagte wies den Kläger mit Bescheid vom 2. Mai 2006 aus und drohte ihm für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Über die Ausweisung des assoziationsberechtigten Klägers sei im Ermessenswege zu entscheiden. Wegen der als Niederlassungserlaubnis fortgeltenden Aufenthaltsberechtigung genieße dieser besonderen Ausweisungsschutz, so dass er nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden könne. Diese lägen in spezialpräventiver Ausprägung vor, denn der Schutz von Kindern vor Sexualdelikten und gewalttätigen Übergriffen sei eine überragend wichtige Aufgabe der Gemeinschaft und berühre ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die den Ausweisungsanlass bildende Tat wiege schwer; besonders fielen die Ausnutzung der Vertrauensstellung, die Wehrlosigkeit des Opfers und die Intensität der Tatbegehung ins Gewicht. Angesichts der Gesamtpersönlichkeit des Klägers und seines bisherigen Verhaltens bestehe eine hohe Wiederholungsgefahr. Er sei einschlägig vorbestraft und habe weder Einsicht in das begangene Unrecht gezeigt noch seien eine Aufarbeitung der Geschehnisse und der Versuch einer Überwindung seiner Neigungen erkennbar. Trotz Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen sowie familiärer Bindungen sei die Ausweisung angesichts der künftig vom Kläger ausgehenden Gefahren für elementare Rechtsgüter auch mit Blick auf Art. 8 EMRK gerechtfertigt. Die Ausweisung werde zunächst auf unbefristete Zeit ausgesprochen, da über eine Befristung erst nach positiven Veränderungen in der Person des Klägers entschieden werden könne. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung Düsseldorf am 25. August 2006 zurück.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2007 ab. Die auf § 55 AufenthG und Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 gestützte Ermessensausweisung sei nicht zu beanstanden, weil der weitere Aufenthalt des Klägers eine tatsächliche und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefährdung begründe. Die spezialpräventive Ausweisung stütze sich nicht allein auf die strafrechtliche Verurteilung. Vielmehr bestünden Anhaltspunkte dafür, dass eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch neue Verfehlungen des Klägers drohe, wenn er zu seiner Familie und damit auch zu seiner jüngeren minderjährigen Tochter in das Umfeld komme, das seine Straftaten ermöglicht habe. Art. 8 EMRK und Art. 6 GG seien nicht verletzt, da bei der Abwägung die Art und Schwere der begangenen Straftaten sowie die Wiederholungsgefahr erheblich zulasten des Klägers ins Gewicht fielen.

6

Während des Berufungsverfahrens hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 7. März 2008 die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe wegen erhöhter Rückfallgefährdung des Klägers abgelehnt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 13. Mai 2008 verworfen.

7

Mit Beschluss vom 5. September 2008 hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat sich die Begründung des Verwaltungsgerichts zu eigen gemacht und darüber hinaus ausgeführt, dass das Ausweisungsverfahren nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens nicht zu beanstanden sei. Die Ausweisung sei auch materiell rechtmäßig, denn die Gefahrenprognose habe - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - weiterhin Bestand. Der Kläger sei in erhöhtem Maße rückfallgefährdet. Dies verdeutlichten die Beschlüsse der Strafvollstreckungskammer sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf.

8

Auf die Revision des Klägers hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53) ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die Frage vorgelegt, ob sich der Schutz vor Ausweisung gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zugunsten eines türkischen Staatsangehörigen, der eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80 gegenüber dem Mitgliedstaat besitzt, in dem er seinen Aufenthalt in den letzten zehn Jahren gehabt hat, nach Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG richtet. Der EuGH hat die Frage mit Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08 - (Ziebell) in einem Parallelverfahren verneint und entschieden, dass Art. 14 ARB 1/80 einer Ausweisung nicht entgegensteht, sofern das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2011 den Vorlagebeschluss aufgehoben.

9

Der Kläger rügt mit der Revision eine Verletzung des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG (Vier-Augen-Prinzip), das nach der Stand-Still-Klausel des Art. 13 ARB 1/80 weiter anzuwenden sei. Die Befassung der Widerspruchsbehörde im Nachgang zur Ausweisung genüge dem nicht. Bei der Gefahrenprognose seien auch nach der letzten Behördenentscheidung eingetretene Veränderungen zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, der sich nach der Entlassung aus der Strafhaft im September 2009 einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und straffrei geführt habe. Klärungsbedürftig sei, was der EuGH in der Ziebell-Entscheidung mit der Schranke der Unerlässlichkeit der Ausweisung meine. Im Übrigen verstoße die unbefristete Ausweisung gegen das Übermaßverbot sowie Art. 6 GG und Art. 8 EMRK. Der Kläger sei faktischer Inländer, da er sich wirtschaftlich und sozial integriert habe. Schließlich verletze die Ausweisung Art. 24 Abs. 3 der Grundrechte-Charta. Hilfsweise begehrt der Kläger im Revisionsverfahren, die Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung zu befristen. Er habe einen Befristungsanspruch aus der Rückführungsrichtlinie sowie § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011.

10

Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung. Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich am Verfahren beteiligt und hält die Revision für unbegründet.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Revision des Klägers hat nur in geringem Umfang Erfolg. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) die Ausweisung (1.) und die Abschiebungsandrohung (3.) als rechtmäßig angesehen. Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG i.d.F. des während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 ist der Beklagte jedoch zu verpflichten, die in Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen (2.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung, des Befristungsbegehrens und der noch nicht vollzogenen Abschiebungsandrohung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts, hier also des Berufungsgerichts am 5. September 2008 (Urteil vom 15. November 2007 - BVerwG 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 für die Ausweisung; Urteil vom 22. März 2012 - BVerwG 1 C 3.11 - Rn. 13 - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen - für die Abschiebungsandrohung). Rechtsänderungen während des Revisionsverfahrens sind allerdings zu beachten, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (Urteil vom 11. Januar 2011 - BVerwG 1 C 1.10 - BVerwGE 138, 371 Rn. 10 m.w.N.). Maßgeblich sind deshalb die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2011 (BGBl I S. 3044). Damit sind insbesondere auch die Änderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) - im Folgenden: Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 - zu beachten.

13

1. Die Ausweisung des Klägers ist rechtmäßig.

14

1.1 Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 (ANBA 1981, 4 = InfAuslR 1982, 33) - ARB 1/80 -. Denn der Kläger besitzt eine Rechtsposition nach Art. 7 ARB 1/80. Er ist im Alter von 12 Jahren zum Zweck der Familienzusammenführung erlaubt in das Bundesgebiet eingereist. Die Vorinstanzen haben festgestellt, dass seine Mutter von 1969 bis 1982 dem regulären Arbeitsmarkt angehört hat. Der Kläger hat bei seinen Eltern gelebt und die Mindestaufenthaltszeiten des Art. 7 Satz 1 ARB 1/80 erfüllt. Nach Abschluss der Lehre zum Elektrokaufmann greift auch Art. 7 Satz 2 ARB 1/80 zu seinen Gunsten. Demzufolge kann der Kläger gemäß Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 nur ausgewiesen werden, wenn sein persönliches Verhalten gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland darstellt und die Maßnahme für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - Rs. C-371/08, Ziebell - NVwZ 2012, 422). Das ist hier der Fall. Damit liegen auch schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i.S.d. § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG vor.

15

1.2 Der Senat hat bereits in dem Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 - BVerwG 1 C 25.08 - (Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 53 Rn. 21) darauf hingewiesen, dass die Vergewaltigung der Ehefrau und der mehrfache sexuelle Missbrauch der älteren Tochter einen Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht bilden. Das strafrechtlich geahndete persönliche Verhalten des Klägers begründet eine - über die mit jedem Rechtsverstoß verbundene Störung der öffentlichen Ordnung hinausgehende - tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter der sexuellen Selbstbestimmung und der körperlichen Integrität nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen sehr hohen Rang ein und lösen - insbesondere bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen - staatliche Schutzpflichten aus, die sich auch gegen die Eltern richten.

16

In dem Vorlagebeschluss (a.a.O. Rn. 22) hat der Senat des Weiteren ausgeführt, dass bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen gelten (ebenso Urteile vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 17 und vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 30.02 - BVerwGE 121, 297 <305 f.>). An diesem differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung Kritik geäußert worden, da er dem Interesse einer möglichst umfassenden Effektivierung der Grundfreiheiten und der daher gebotenen engen Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen für die Aufenthaltsbeendigung als ultima ratio nicht gerecht werde (VGH Mannheim, Urteile vom 4. Mai 2011 - 11 S 207/11 - NVwZ 2011, 1210 und vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492). Dem vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, da jede sicherheitsrechtliche Gefahrenprognose nach den allgemeinen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts eine Korrelation aus Eintrittswahrscheinlichkeit und (möglichem) Schadensausmaß ist. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (Urteile vom 6. September 1974 - BVerwG 1 C 17.73 - BVerwGE 47, 31 <40>; vom 17. März 1981 - BVerwG 1 C 74.76 - BVerwGE 62, 36 <39> und vom 3. Juli 2002 - BVerwG 6 CN 8.01 - BVerwGE 116, 347 <356>). Auch die den Gerichten der Mitgliedstaaten obliegende und auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Beurteilung, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O.), kann im Hinblick auf die erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts den Rang des bedrohten Rechtsguts nicht außer Acht lassen, denn dieser bestimmt die mögliche Schadenshöhe. Das bedeutet aber nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet. Der Senat hat schon zu § 12 Abs. 3 AufenthG/EWG entschieden, dass im Hinblick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Freizügigkeit an die nach dem Ausmaß des möglichen Schadens differenzierende hinreichende Wahrscheinlichkeit keine zu geringen Anforderungen gestellt werden dürfen (Urteil vom 27. Oktober 1978 - BVerwG 1 C 91.76 - BVerwGE 57, 61 <65>).

17

Diesen Maßgaben genügt die von dem Beklagten gestellte und von den Vorinstanzen bestätigte Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr beim Kläger. Beklagter und Verwaltungsgericht haben die Tatumstände, die Persönlichkeitsstruktur des Klägers, bei dem Einsicht, Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Geschehenen fehlen, sowie die mangelnde Überwindung seiner Neigungen durch therapeutische Unterstützung umfassend gewürdigt. Das Berufungsgericht hat sich das zu eigen gemacht. Darüber hinaus hat es darauf abgestellt, dass die Strafvollstreckungskammer wegen der erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und die Justizvollzugsanstalt sich dahingehend geäußert hat, dass bereits eine Gewährung von Hafturlaub nicht kalkulierbare Sicherheitsrisiken berge. Auf der Grundlage dieser das Revisionsgericht bindenden tatrichterlichen Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zur erhöhten Rückfallgefährdung des Klägers ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass das Berufungsgericht seiner Prognose zulasten des Klägers einen zu niedrigen und damit unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt hat. Die ausführliche Würdigung der Persönlichkeit des Klägers und die aus konkreten Umständen abgeleitete Wiederholungsgefahr belegen, dass der Beklagte nicht allein die strafrechtliche Verurteilung zum Anlass für die ausschließlich spezialpräventiv motivierte Ausweisung genommen, sondern die zukünftig vom Kläger ausgehende Gefahr in den Blick genommen hat.

18

Entgegen der Auffassung des Klägers rechtfertigt die Zeitspanne, die infolge der Aussetzung des Verfahrens und der Vorlage an den EuGH zwischen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts und der Verhandlung vor dem Senat verstrichen ist, weder die Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen neuen tatsächlichen Umstände im Revisionsverfahren noch eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist - abgesehen von Fällen begründeter Verfahrensrügen - entsprechend seiner vornehmlich auf die Rechtsprüfung beschränkten Aufgabenstellung nach § 137 Abs. 2 VwGO an die vom Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Diese das Rechtsmittel der Revision kennzeichnende Beschränkung führt dazu, dass das Revisionsgericht den Streitfall nicht in gleichem Umfang wie das Berufungsgericht prüft und dass es deshalb - im Gegensatz zum Berufungsgericht (§ 128 VwGO) - neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel nicht berücksichtigt (Urteil vom 3. Juni 1977 - BVerwG 4 C 37.75 - BVerwGE 54, 73 <75>). Dies schließt auch eine Zurückverweisung der Sache nur wegen nachträglicher Veränderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts grundsätzlich aus. Damit soll gleichzeitig der Gefahr einer "Endlosigkeit" des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorgebeugt und verhindert werden, dass einer in rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstandenden Berufungsentscheidung nachträglich die Grundlage entzogen wird (Urteile vom 28. Februar 1984 - BVerwG 9 C 981.81 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 19 S. 48<51 f.> und vom 20. Oktober 1992 - BVerwG 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <105 f.>).

19

Die in § 137 Abs. 2 VwGO enthaltene revisionsrechtliche Sperre für die Berücksichtigung neuer tatsächlicher Umstände wird nicht dadurch überwunden, dass Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 für die Ausweisung eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen das Vorliegen einer gegenwärtigen, d.h. aktuellen Gefahr verlangt (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 80, 82 und insbesondere Rn. 84). Damit wird der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage angesprochen, der infolge der der Verwaltungsgerichtsordnung zu entnehmenden Trennung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsinstanz nur für Entscheidungen der Tatsachengerichte maßgeblich ist. Denn nur ihnen obliegt gemäß § 86 Abs. 1 und 2, §§ 108 und 128 VwGO die Erforschung des Sachverhalts und die Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen im Wege freier richterlicher Beweiswürdigung. Diese Trennung der Funktionen von Tatsachen- und Rechtsinstanz wird durch das Unionsrecht nicht modifiziert, da es nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich Aufgabe des innerstaatlichen Rechts der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das gerichtliche Verfahrensrecht auch insoweit zu regeln, als es den Schutz von aus dem Unionsrecht erwachsenden individuellen Rechten gewährleisten soll. Dabei dürfen die prozessrechtlichen Regelungen jedoch nicht weniger günstig ausgestaltet sein als bei entsprechenden, nur auf nationales Recht gestützten Rechtsbehelfen (Äquivalenzgrundsatz). Zudem darf nach dem Effektivitätsgrundsatz die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden (EuGH, Urteile vom 12. Februar 2008 - Rs. C-2/06, Kempter - Slg. 2008, I-411 Rn. 57 und vom 10. April 2003 - Rs. C-276/01, Steffensen - Slg. 2003, I-3735 Rn. 60 ff. - jeweils m.w.N.). Beiden Grundsätzen wird die Bindung des Revisionsgerichts aus § 137 Abs. 2 VwGO auch in der vorliegenden Fallkonstellation gerecht. Die Eröffnung der auf eine reine Rechtskontrolle beschränkten dritten Instanz widerspricht auch nicht dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf aus Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh). Denn der dort niedergelegte Grundsatz effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes eröffnet dem Einzelnen den Zugang zu einem Gericht und nicht zu mehreren Gerichtsinstanzen (EuGH, Urteil vom 28. Juli 2011 - Rs. C-69/10, Samba Diouf - NVwZ 2011, 1380 Rn. 69). Er verlangt nicht, dass ein nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats eröffnetes Rechtsmittel wie die Revision eine Überprüfung der Tatsachen auf aktuellem Sachstand ermöglicht. Im Übrigen steht dem Kläger im Hinblick auf nach der Berufungsentscheidung eingetretene Umstände, die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr mit sich bringen können, die Möglichkeit zur Beantragung einer Verkürzung der von der Ausländerbehörde gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG bereits mit der Ausweisung festzusetzenden Frist offen (dazu unter 2.).

20

1.3 Da der Kläger ein assoziationsrechtlich begründetes Aufenthaltsrecht besitzt, darf er nur auf der Grundlage einer Ermessensentscheidung ausgewiesen werden. Bei deren gerichtlicher Überprüfung ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen (EuGH, Urteil vom Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 84; so bereits Urteil vom 3. August 2004 - BVerwG 1 C 29.02 - BVerwGE 121, 315 <320 f.>). Die Ermessensentscheidung der Ausländerbehörde über den Erlass einer Ausweisung erfordert eine sachgerechte Abwägung der öffentlichen Interessen an der Ausreise mit den privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet. Zugunsten des Ausländers sind die Gründe für einen besonderen Ausweisungsschutz (§ 56 AufenthG) sowie die Dauer seines rechtmäßigen Aufenthalts und die schutzwürdigen persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen des Ausländers im Bundesgebiet zu berücksichtigen. Außerdem sind die Folgen der Ausweisung für die Familienangehörigen des Ausländers, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten und mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft leben, in die Abwägung einzustellen (§ 55 Abs. 3 AufenthG). Die von Art. 2 Abs. 1 GG sowie Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und Art. 8 EMRK geschützten Belange auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind dabei entsprechend ihrem Gewicht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in der Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Das gilt insbesondere bei im Bundesgebiet geborenen und aufgewachsenen Ausländern, zumal wenn sie über keine Bindungen an das Land ihrer Staatsangehörigkeit verfügen.

21

Mit Blick auf diese Vorgaben hat der Senat bereits im Vorlagebeschluss vom 25. August 2009 (a.a.O. Rn. 24) ausgeführt, dass die Ermessensausübung des Beklagten nicht zu beanstanden ist. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden angesichts der vom Kläger ausgehenden konkreten Gefahr für die hochrangigen Rechtsgüter der sexuellen Selbstbestimmung sowie der körperlichen Integrität von Frauen in seiner Umgebung nicht überschritten. Es begegnet keinen Bedenken, dass der Beklagte das durch den Rechtsgüterschutz geprägte und durch grundrechtliche Schutzpflichten zusätzlich verstärkte öffentliche Interesse daran, den Aufenthalt des Klägers zu beenden, höher gewichtet hat als dessen Interesse an einem Verbleib in Deutschland. Zwar schlägt sein über dreißigjähriger rechtmäßiger Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erheblich zu seinen Gunsten zu Buche. Dennoch ist zu berücksichtigen, dass er über ausreichende persönliche Bindungen in die Türkei verfügt, so dass ihm die Ausreise dorthin zumutbar ist. Der Schutz des Familienlebens und der elterlichen Sorge genießt hohe Bedeutung, verliert aber an Gewicht, wenn man das Kindeswohl der minderjährigen Tochter mitberücksichtigt, so dass die Aufenthaltsbeendigung auch im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK und Art. 24 Abs. 3 der GRCh gerechtfertigt ist. In der Gesamtabwägung aller gegenläufigen Belange ist die Ausweisung verhältnismäßig und "unerlässlich" im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 86). Denn mit diesem Begriff hat der Gerichtshof lediglich die gebotene Abwägung der öffentlichen mit den privaten Interessen des Betroffenen, d.h. dessen tatsächlich vorliegende Integrationsfaktoren, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen (ebenso VGH Mannheim, Urteil vom 10. Februar 2012 - 11 S 1361/11 - NVwZ-RR 2012, 492).

22

1.4 Die weiteren Rügen der Revision sind unbegründet; insbesondere ist das Ausweisungsverfahren fehlerfrei durchgeführt worden. Zwar war das in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltene "Vier-Augen-Prinzip" auf assoziationsrechtlich begünstigte türkische Staatsangehörige zu übertragen (Urteil vom 13. September 2005 - BVerwG 1 C 7.04 - BVerwGE 124, 217 <221 f.> im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 - Rs. C-136/03, Dörr und Ünal - Slg. 2005, I-4759 = NVwZ 2006, 72). In dem hier vorliegenden Fall hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid aber am 2. Mai 2006 und damit erst nach Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG zum 30. April 2006 (Art. 38 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG) erlassen. Zu diesem Zeitpunkt galt Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG nicht mehr; stattdessen ist nunmehr Art. 12 der Richtlinie 2003/109/EG als unionsrechtlicher Bezugsrahmen für die Anwendung des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 heranzuziehen (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 79). Nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG steht langfristig Aufenthaltsberechtigten zur Überprüfung einer Ausweisung der Rechtsweg offen; die Beteiligung einer unabhängigen Stelle im Ausweisungsverfahren zur Prüfung der Zweckmäßigkeit der Maßnahme ist nicht vorgeschrieben.

23

Im Übrigen hat der Gerichtshof vor Aufhebung der Richtlinie 64/221/EWG die Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige damit begründet, dass die im Rahmen von Art. 48 EGV eingeräumten Rechtspositionen so weit wie möglich auf assoziationsberechtigte türkische Arbeitnehmer übertragen werden müssen. Um effektiv zu sein, müssten diese (materiellen) Rechte von den türkischen Staatsangehörigen vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können. Zur Gewährleistung der Wirksamkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes sei es unabdingbar, ihnen die Verfahrensgarantien zuzuerkennen, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden. Daher müsse es ihnen ermöglicht werden, sich u.a. auf Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG zu berufen, da die Verfahrensgarantien untrennbar mit den materiellen subjektiven Rechten verbunden seien, auf die sie sich beziehen (EuGH, Urteil vom 2. Juni 2005 a.a.O. Rn. 62 und 67). Da Ausgangspunkt der Betrachtung des Gerichtshofs die Verfahrensgarantien sind, die den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten durch das Gemeinschaftsrecht gewährleistet werden, erweist sich seine Rechtsprechung zur Übertragung auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige schon im Ansatz offen für Fälle von Rechtsänderungen, die die Stellung der Unionsbürger betreffen. Für diese gewährleistet Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG gegen Entscheidungen, die aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung getroffen werden, einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde. Im Rechtsbehelfsverfahren sind nach Art. 31 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2004/38/EG die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände zu überprüfen, auf denen die Entscheidung beruht. Nach Satz 2 gewährleistet das Rechtsbehelfsverfahren, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG nicht unverhältnismäßig ist. Demzufolge gebietet Unionsrecht bei Ausweisungen von Unionsbürgern keine behördliche Kontrolle mehr nach dem "Vier-Augen-Prinzip". Dann können assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige nach der dynamisch angelegten Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Übertragung von Rechten auf diese Gruppe keine bessere verfahrensrechtliche Rechtsstellung beanspruchen.

24

Demgegenüber beruft sich der Kläger auf die Stillhalteklauseln in Art. 13 ARB 1/80 und Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Abkommen vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei für die Übergangsphase der Assoziation (BGBl 1972 II S. 385) - ZP. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 ZP werden die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen. Aus diesen Stand-Still-Klauseln ergibt sich nach Auffassung des Klägers, dass Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG bei der Ausweisung assoziationsberechtigter türkischer Staatsangehöriger weiterhin anzuwenden sei. Dem folgt der Senat nicht.

25

Gegen die Auffassung des Klägers spricht bereits, dass Art. 13 ARB 1/80 seinem Wortlaut nach nur die Mitgliedstaaten, nicht aber die Europäische Union verpflichtet. Art. 41 Abs. 1 ZP betrifft sachlich nur Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs, nicht aber die der Arbeitnehmerfreizügigkeit zuzurechnende aufenthaltsrechtliche Stellung aus Art. 7 ARB 1/80. Des Weiteren erscheint fraglich, ob die auf den Zugang zum Arbeits- bzw. Binnenmarkt zugeschnittenen Stand-Still-Klauseln überhaupt Verfahrensregelungen bei der Aufenthaltsbeendigung erfassen (vgl. Urteil vom 30. April 2009 - BVerwG 1 C 6.08 - BVerwGE 134, 27 Rn. 20 zu den gesetzlichen Erlöschenstatbeständen für Aufenthaltstitel) und ob die Aufhebung des "Vier-Augen-Prinzips" mit Blick auf die gerichtliche Überprüfbarkeit nach Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2003/109/EG eine merkliche Verschlechterung der Rechtsposition darstellt. Das kann aber dahinstehen, da die weitere Anwendung des Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG auf assoziationsberechtigte türkische Staatsangehörige selbst bei Annahme einer rechtserheblichen Verschlechterung gegen Art. 59 ZP verstoßen würde. Nach dieser Vorschrift darf der Türkei in den von diesem Protokoll erfassten Bereichen keine günstigere Behandlung gewährt werden als diejenige, die sich die Mitgliedstaaten untereinander aufgrund des Vertrages zur Gründung der Gemeinschaft einräumen. Das wäre aber bei weiterer Anwendung des "Vier-Augen-Prinzips" im Vergleich zu den Verfahrensrechten von Unionsbürgern aus Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38/EG - wie oben dargelegt - der Fall.

26

Im Übrigen entspricht das im vorliegenden Fall durchgeführte Widerspruchsverfahren nach §§ 68 ff. VwGO den Anforderungen der in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG enthaltenen Verfahrensgarantien (Urteil vom 13. September 2005 a.a.O. S. 221 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat mangels durchgreifender neuer Argumente der Revision fest.

27

2. Auf den Hilfsantrag des Klägers, mit dem dieser die Befristung der Wirkungen der Ausweisung mit sofortiger Wirkung begehrt, ist die Beklagte zu verpflichten, die in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung auf die Dauer von sieben Jahren zu befristen. Im Übrigen ist der Antrag unbegründet.

28

2.1 Der erst in der Revisionsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Das Verbot der Klageänderung im Revisionsverfahren in § 142 VwGO steht dem nicht entgegen. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift soll sich das Revisionsgericht grundsätzlich auf die rechtliche Prüfung des in der Vorinstanz bereits erörterten und aufbereiteten Streitstoffes beschränken, um nicht wegen eines erstmals im Revisionsverfahren gestellten Klageantrags ohne weitere Rechtsprüfung zu einer Zurückverweisung gemäß § 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO gezwungen zu sein (Urteil vom 14. April 1989 - BVerwG 4 C 21.88 - Buchholz 442.40 § 6 LuftVG Nr. 21 = NVwZ 1990, 260<261>). Eine solche Situation liegt aber hier nicht vor. Während des Revisionsverfahrens ist § 11 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 in der Weise geändert worden, dass der Kläger nunmehr einen Anspruch auf gleichzeitige Befristung der in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AufenthG genannten Wirkungen der Ausweisung hat (s.u. 2.2.2). Dieser Änderung des materiellen Rechts trägt der gestellte Hilfsantrag Rechnung. Durch dessen Einbeziehung wird der Streitstoff auch nicht verändert, da der Befristungsanspruch in tatsächlicher Hinsicht vollumfänglich auf dem gegen die Ausweisung gerichteten Anfechtungsbegehren aufbaut (vgl. Urteil vom 26. Januar 1995 - BVerwG 3 C 21.93 - BVerwGE 97, 331 <342>).

29

2.2 Der Hilfsantrag ist nur in geringem Umfang begründet. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. darf ein Ausländer, der ausgewiesen worden ist, nicht erneut in das Bundesgebiet einreisen und sich darin aufhalten. Ihm wird nach Satz 2 der Vorschrift auch bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Anspruchs nach diesem Gesetz kein Aufenthaltstitel erteilt. Satz 3 der Vorschrift ordnet an, dass diese kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen auf Antrag befristet werden. Die Frist ist gemäß Satz 4 unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls festzusetzen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht. Bei Bemessung der Länge der Frist wird berücksichtigt, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist (Satz 5). Die Frist beginnt nach Satz 6 mit der Ausreise. Nach Satz 7 erfolgt keine Befristung, wenn ein Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG aus dem Bundesgebiet abgeschoben wurde.

30

2.2.1 Seit Inkrafttreten des § 11 AufenthG in der Neufassung des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 haben Ausländer grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit einer Ausweisung zugleich das daran geknüpfte gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot sowie die Titelerteilungssperre befristet (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 14. Februar 2012 - BVerwG 1 C 7.11 - juris Rn. 28 f.). Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

31

Die Regelungen zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung und Abschiebung sind seit dem Ausländergesetz 1965 kontinuierlich zugunsten der betroffenen Ausländer verbessert worden. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 AuslG 1965 stand die Befristung der Wirkungen von Ausweisung und Abschiebung noch vollumfänglich im Ermessen der Ausländerbehörde. § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990 sah vor, dass auf Antrag eine Befristung in der Regel erfolgte (ebenso § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG 2004); die Länge der Frist lag im Auswahlermessen der Behörde. Diese Entwicklung belegt die gewachsene Sensibilität des Gesetzgebers für die Verhältnismäßigkeit der gesetzlichen Wirkungen der Ausweisung in zeitlicher Dimension angesichts der einschneidenden Folgen für die persönliche Lebensführung des Ausländers und die ihn ggf. treffenden sozialen, familiären und wirtschaftlichen Nachteile (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1979 - 1 BvR 650/77 - BVerfGE 51, 386 <398 ff.>). Denn typischerweise genügt eine zeitlich befristete Ausweisung zur Erreichung der mit dieser ordnungsrechtlichen Maßnahme verfolgten präventiven Zwecke (Urteile vom 7. Dezember 1999 - BVerwG 1 C 13.99 - BVerwGE 110, 140 <147> und vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <371 ff.>).

32

Die Befristung der Wirkungen der Ausweisung setzte nach den bisher geltenden Vorschriften grundsätzlich die vorherige Ausreise des Ausländers voraus (Beschluss vom 17. Januar 1996 - BVerwG 1 B 3.96 - Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 5; Urteil vom 7. Dezember 1999 a.a.O. S. 147; vgl. auch BTDrucks 11/6321 S. 57 zu § 8 Abs. 2 AuslG 1990). Die gesetzliche Systematik von Ausweisung und Befristung war zweitaktig angelegt, da im Zeitpunkt des Erlasses einer (auch) spezialpräventiv motivierten Ausweisung typischerweise kaum zu prognostizieren ist, wie der Betroffene sich zukünftig verhalten wird. Das Verhalten nach der Ausweisung ist aber neben dem Gewicht des Ausweisungsgrundes, der Berücksichtigung des Ausweisungszwecks und der Folgenbetrachtung im Hinblick auf das Übermaßverbot einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren (Urteil vom 11. August 2000 a.a.O. S. 372 ff.). Die im Gesetz angelegte Trennung von Ausweisung einerseits und Befristung ihrer Wirkungen andererseits hat zur Folge, dass eine fehlerhafte Befristungsentscheidung nicht zur Rechtswidrigkeit der Ausweisung führt, sondern selbstständig angreifbar ist (Beschlüsse vom 31. März 1981 - BVerwG 1 B 853.80 - Buchholz 402.24 § 15 AuslG Nr. 3 und vom 10. Dezember 1993 - BVerwG 1 B 160.93 - Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 2; Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30).

33

Der Senat hat bereits zur früheren Rechtslage mehrfach entschieden, dass die Ausländerbehörde zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung im Einzelfall auch von Amts wegen verpflichtet sein kann, die Wirkungen der Ausweisung schon bei Erlass der Ausweisung zu befristen. Ob dies erforderlich war, hing bei einer spezialpräventiven Ausweisung von den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere dem Ausmaß der von dem Ausländer ausgehenden Gefahr, der Vorhersehbarkeit der zukünftigen Entwicklung dieser Gefahr und den schutzwürdigen Belangen des Ausländers und seiner Angehörigen ab (Urteile vom 15. März 2005 - BVerwG 1 C 2.04 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 42, vom 23. Oktober 2007 - BVerwG 1 C 10.07 - BVerwGE 129, 367 Rn. 18 und vom 2. September 2009 - BVerwG 1 C 2.09 - Buchholz 451.901 Assoziationsrecht Nr. 54 Rn. 25 sowie Beschluss vom 20. August 2009 - BVerwG 1 B 13.09 - Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr. 4 Rn. 8). Bei einer allein generalpräventiv motivierten Ausweisung eines Ausländers mit besonderem Ausweisungsschutz war es demgegenüber regelmäßig geboten, über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung von Amts wegen zugleich mit der Ausweisung zu entscheiden. Denn in diesen Fällen lässt sich bereits in dem für die Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt beurteilen, wie lange der Betroffene unter Berücksichtigung seiner schutzwürdigen privaten Belange vom Bundesgebiet ferngehalten werden muss, um die notwendige generalpräventive Wirkung zu erzielen, so dass es unverhältnismäßig wäre, ihn über diesen für seine Lebensplanung wichtigen Umstand im Unklaren zu lassen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 29). Sowohl bei der generalpräventiven als auch bei der spezialpräventiven Ausweisung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit i.V.m. Art. 6 GG ausnahmsweise sogar die Befristung der Sperrwirkung einer Ausweisung "auf Null" gebieten, ohne dass der Ausländer zur vorherigen Ausreise verpflichtet ist (Urteil vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 43.06 - BVerwGE 129, 226 LS 4 und Rn. 28).

34

Das Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 hat die Rechtslage für die betroffenen Ausländer weiter verbessert: § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. verschafft dem Betroffenen nunmehr - vorbehaltlich der Ausnahmen in Satz 7 der Vorschrift - einen uneingeschränkten, auch hinsichtlich der Dauer der Befristung voller gerichtlicher Überprüfung unterliegenden Befristungsanspruch (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 32 f. - zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen). Zugleich ist hinsichtlich der Dauer der Frist geregelt, dass diese unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles festzusetzen ist und fünf Jahre nur überschreiten darf, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (§ 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG n.F.).

35

Diese Änderungen des § 11 AufenthG dienen der Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 - Rückführungsrichtlinie (ABl EU Nr. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98). Diese Richtlinie, die auf Art. 63 Abs. 3 Buchst. b EG (jetzt: Art. 79 Abs. 2 Buchst. c AEUV) gestützt ist und die illegale Einwanderung bekämpfen soll, ergänzt die Migrationspolitik um eine wirksame Rückkehrpolitik mit klaren, transparenten und fairen Vorschriften (4. Erwägungsgrund). Die Richtlinie findet gemäß Art. 2 Abs. 1 - vorbehaltlich der Opt-out-Klausel in Absatz 2 der Vorschrift - Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese die Voraussetzungen für die Einreise bzw. den Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllen (5. Erwägungsgrund). Im Einklang mit allgemeinen Grundsätzen des EU-Rechts sollen Entscheidungen gemäß dieser Richtlinie auf Grundlage des Einzelfalls und anhand objektiver Kriterien getroffen werden (6. Erwägungsgrund). Um die Interessen der Betroffenen wirksam zu schützen, sollen für Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr eine Reihe gemeinsamer rechtlicher Mindestgarantien gelten (11. Erwägungsgrund). Die Wirkung der einzelstaatlichen Rückführungsmaßnahmen soll einen europäischen Zuschnitt erhalten (14. Erwägungsgrund). Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie definiert die Rückkehrentscheidung als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Rückkehrentscheidungen gehen in den in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie genannten Fällen mit einem Einreiseverbot einher; gemäß Satz 2 der Vorschrift können sie in anderen Fällen mit einem Einreiseverbot einhergehen. Das Einreiseverbot definiert Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie als die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt werden und die mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht. Die Dauer des Einreiseverbots wird gemäß Art. 11 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Die Dauer des Einreiseverbots kann jedoch nach Satz 2 der Vorschrift fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Verfahrensrechtlich garantiert Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie die Möglichkeit der Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen nach Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie, also Rückkehrentscheidungen sowie ggf. Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung.

36

Die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz 2011 geht davon aus, dass große Teile der in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Vorgaben durch die Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes zur Aufenthaltsbeendigung bereits erfüllt werden. Da die Richtlinie - anders als das geltende Aufenthaltsrecht mit der Differenzierung zwischen Ausreisepflichten kraft Verwaltungsakts und kraft Gesetzes - eine "Rückkehrentscheidung" verlange, an die unterschiedliche prozedurale bzw. formelle Garantien geknüpft würden, seien punktuelle gesetzliche Anpassungen erforderlich. Diese erfolgten jedoch innerhalb der geltenden Systematik, indem sie an den die Ausreisepflicht begründenden Verwaltungsakt (z.B. Ausweisung) oder an die Abschiebungsandrohung nach § 59 des Aufenthaltsgesetzes geknüpft würden. Die Umsetzung der Rückführungsrichtlinie erfordere darüber hinaus die Einführung einer Regelobergrenze von fünf Jahren für die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 AufenthG (BTDrucks 17/5470 S. 17).

37

Das macht deutlich, dass sich der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 11 AufenthG auch hinsichtlich der in Absatz 1 Satz 1 und 2 der Vorschrift genannten gesetzlichen Folgen der Ausweisung und deren Befristung an den unionsrechtlichen Vorgaben für eine Rückkehrentscheidung orientiert hat. Im Regelungsmodell der Richtlinie ist das Einreiseverbot jedoch als antragsunabhängige, mit einer Rückkehrentscheidung von Amts wegen einhergehende Einzelfallentscheidung ausgestaltet, in der die Dauer der befristeten Untersagung des Aufenthalts in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt wird (Art. 3 Nr. 6 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 und 2 Satz 1 der Richtlinie). Aus der Absicht des Gesetzgebers, dieses Modell trotz der beibehaltenen systematischen Trennung von Ausweisung und Befristung nachzuvollziehen, ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen gebietet § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. den gleichzeitigen Erlass von Ausweisung und Befristung. Zum anderen genügt für den in dieser Vorschrift vorgesehenen Antrag jede Form der Willensbekundung des Betroffenen, mit der dieser sich gegen eine Ausweisung wendet (anders noch zu § 8 Abs. 2 Satz 3 AuslG 1990: Beschluss vom 14. Juli 2000 - BVerwG 1 B 40.00 - Buchholz 402.240 § 8 AuslG Nr. 18). Dieser Auslegungsbefund des einfachen Rechts trägt zugleich der besonderen Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK Rechnung. Denn der EGMR zieht die Frage der Befristung bei der Prüfung von Ausweisungen am Maßstab des Art. 8 Abs. 2 EMRK als ein wesentliches Kriterium heran (EGMR, Urteile vom 17. April 2003 - Nr. 52853/99, Yilmaz/Deutschland - NJW 2004, 2147; vom 27. Oktober 2005 - Nr. 32231/02, Keles/Deutschland - InfAuslR 2006, 3 <4>; vom 22. März 2007 - Nr. 1638/03, Maslov/Österreich - InfAuslR 2007, 221 <223> und vom 25. März 2010 - Nr. 40601/05, Mutlag/Deutschland - InfAuslR 2010, 325 <327>). Diese grund- und menschenrechtlichen Impulse verbunden mit der Absicht des Gesetzgebers, sich am Regelungsmodell der Rückführungsrichtlinie zu orientieren, führen in der Gesamtschau zu dem Ergebnis, dass der Erlass einer Entscheidung zur Befristung der Wirkungen einer Ausweisung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht mehr die vorherige Ausreise des Ausländers voraussetzt.

38

Dagegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden, aus § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergebe sich, dass der Gesetzgeber nach wie vor von einer nachträglichen Befristung ausgehe. Nach dieser Vorschrift ist bei der Bemessung der Fristlänge zu berücksichtigen, ob der Ausländer rechtzeitig und freiwillig ausgereist ist. Es liegt auf der Hand, dass sich diese Umstände erst nach Erlass der Ausweisung feststellen lassen. Dennoch läuft die Vorschrift bei gleichzeitigem Erlass von Ausweisung und Befristung nicht leer. Denn die Ausländerbehörde hat ihre zusammen mit der Ausweisung getroffene Befristungsentscheidung, die sich u.a. auf eine Prognose des künftigen Verhaltens des Ausländers stützt und die Folgen der Ausweisung im Hinblick auf das zeitliche Übermaßverbot berücksichtigt, auf Antrag zu überprüfen und ggf. neu zu fassen, wenn einer der für die Fristbestimmung maßgeblichen Faktoren sich im Nachhinein ändert. Neben nachgewiesenen entscheidungserheblichen Änderungen der Sachlage kennzeichnet § 11 Abs. 1 Satz 5 AufenthG einen zusätzlichen Punkt, der von der Ausländerbehörde bei einer nachträglich beantragten Verkürzung der Frist zu berücksichtigen ist. Im Übrigen haben auch die Gerichte bei ihrer Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Befristungsentscheidung, die auch hinsichtlich der Bemessung der Fristdauer seit Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde steht (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31), die rechtzeitige und freiwillige Ausreise des Betroffenen zu berücksichtigen.

39

2.2.2 Fehlt die notwendige Befristung der Wirkungen der Ausweisung, hat das aber auch nach Inkrafttreten des Richtlinienumsetzungsgesetzes 2011 nicht zur Folge, dass die - als solche rechtmäßige - Ausweisung aufzuheben ist. Vielmehr kann der Ausländer zugleich mit Anfechtung der Ausweisung seinen Anspruch auf Befristung der Wirkungen der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gerichtlich durchsetzen (Urteil vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 30). Damit wird dem sich aus dem materiellen Recht ergebenden Anspruch des Betroffenen auf gleichzeitige Entscheidung über die Ausweisung und die Befristung ihrer Wirkungen Rechnung getragen und die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung im Ergebnis gewährleistet. Diese verfahrensrechtliche Ausgestaltung entspricht der gesetzlichen Systematik, die nach wie vor zwei getrennte Verwaltungsakte - die Ausweisung einerseits und die Befristung ihrer Wirkungen andererseits - vorsieht (s.o. Rn. 32). Prozessual wird dieses Ergebnis dadurch sichergestellt, dass in der Anfechtung der Ausweisung zugleich - als minus - für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung ein (Hilfs-)Antrag auf Verpflichtung der Ausländerbehörde zu einer angemessenen Befristung ihrer Wirkungen gesehen wird, sofern eine solche nicht bereits von der Ausländerbehörde verfügt worden ist. Das Prozessrecht muss gewährleisten, dass der Ausländer gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. nicht auf ein eigenständiges neues Verfahren verwiesen wird. Daher ist im Fall der gerichtlichen Bestätigung der Ausweisung auf den Hilfsantrag zugleich eine Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung zu treffen.

40

Erachtet das Gericht die Ausweisung für rechtmäßig, hat es auf den Hilfsantrag des Betroffenen hin die Befristungsentscheidung der Ausländerbehörde vollumfänglich zu überprüfen. Hat eine Ausländerbehörde eine zu lange Frist festgesetzt oder fehlt - wie hier - eine behördliche Befristungsentscheidung, hat das Gericht über die konkrete Dauer einer angemessenen Frist selbst zu befinden und die Ausländerbehörde zu einer entsprechenden Befristung der Ausweisung zu verpflichten (Weiterentwicklung des Urteils vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 31).

41

2.2.3 Der Senat hält im vorliegenden Fall - bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts und auf der Grundlage von dessen tatsächlichen Feststellungen - eine Frist von sieben Jahren für angemessen.

42

Die allein unter präventiven Gesichtspunkten festzusetzende Frist ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen und darf fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (zu der zuletzt genannten Voraussetzung vgl. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG). Bei der Bestimmung der Länge der Frist sind das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der mit der Ausweisung verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Es bedarf der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr mit Blick auf die im vorliegenden Fall bedeutsame Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 zu tragen vermag. Die sich an der Erreichung des Ausweisungszwecks orientierende Höchstfrist muss sich aber an höherrangigem Recht, d.h. verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen (Art. 2 Abs. 1, Art. 6 GG) und den Vorgaben aus Art. 7 GRCh, Art. 8 EMRK messen und ggf. relativieren lassen. Dieses normative Korrektiv bietet der Ausländerbehörde und den Verwaltungsgerichten ein rechtsstaatliches Mittel, um die fortwirkenden einschneidenden Folgen des Einreise- und Aufenthaltsverbots für die persönliche Lebensführung des Betroffenen zu begrenzen (vgl. Urteile vom 11. August 2000 - BVerwG 1 C 5.00 - BVerwGE 111, 369 <373> und vom 4. September 2007 - BVerwG 1 C 21.07 - BVerwGE 129, 243 Rn. 19 ff.). Dabei sind insbesondere die in § 55 Abs. 3 Nr. 1 und 2 AufenthG genannten schutzwürdigen Belange des Ausländers in den Blick zu nehmen. Die Abwägung ist nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalles im Zeitpunkt der Behördenentscheidung vorzunehmen bzw. von den Verwaltungsgerichten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Gerichts zu überprüfen oder bei fehlender behördlicher Befristungsentscheidung - wie hier - durch eine eigene Abwägung als Grundlage des Verpflichtungsausspruchs zu ersetzen.

43

Die in § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannte Höchstfrist von fünf Jahren ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung, da von dem Kläger - im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts - eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht; das ergibt sich aus den Ausführungen zu den Ausweisungsvoraussetzungen. Wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter und der vom Berufungsgericht festgestellten hohen Wiederholungsgefahr erachtet der Senat auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von sieben Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential in der Person des Klägers Rechnung tragen zu können. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Rückfallgefahr bei Delikten dieser Art, des Alters des Klägers, seines (Nach-)Tatverhaltens ohne therapeutische Auf- und Verarbeitung des Geschehens sowie seines familiären Umfelds ist nicht zu erwarten, dass er die hier maßgebliche Gefahrenschwelle des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 vor Ablauf der festgesetzten Frist unterschreiten wird. Zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass der Beklagte auf den bei ihm während des Revisionsverfahrens gestellten Befristungsantrag auf aktueller Tatsachengrundlage zu prüfen hat, ob sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Entwicklung seit dem 5. September 2008 Anhaltspunkte für eine Verkürzung der Frist ergeben.

44

3. Die Abschiebungsandrohung ist rechtmäßig. Der Kläger ist ausreisepflichtig (§ 50 Abs. 1 AufenthG), da infolge der Ausweisung seine gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis fortgeltende Aufenthaltsberechtigung erloschen ist (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Die im angefochtenen Bescheid vom Beklagten getroffene Festsetzung der Ausreisefrist von einem Monat legt der Senat in Übereinstimmung mit § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. zugunsten des Klägers dahingehend aus, dass ihm eine Frist von 31 Tagen für die freiwillige Ausreise zur Verfügung steht.

45

4. Die Frage, ob die Ausweisung, die Befristung ihrer Wirkungen und die Abschiebungsandrohung an den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zu messen sind, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Der Senat ist bisher davon ausgegangen, dass die Rückführungsrichtlinie, die von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG bis zum 24. Dezember 2010 umzusetzen war, für davor erlassene und mit der Klage angegriffene Abschiebungsandrohungen keine Geltung beansprucht (Urteile vom 14. Februar 2012 a.a.O. Rn. 35 und vom 22. März 2012 a.a.O. Rn. 15; a.A. VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2012 - 11 S 4/12 - juris Rn. 49 ff.; vgl. auch VerwGH Wien, Urteile vom 16. Juni 2011 - Az. 2011/18/0064 - und vom 20. März 2012 - Az. 2011/21/0298). Für den sachlichen Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist zudem umstritten, ob die Ausweisung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 der Richtlinie 2008/115/EG angesehen werden kann (dafür: Basse/Burbaum/Richard, ZAR 2011, 361<364>; Hörich, ZAR 2011, 281 <284 Fn. 45>; dagegen: VGH Mannheim, Urteil vom 7. Dezember 2011 - 11 S 897/11 - NVwZ-RR 2012, 412; offen: OVG Münster, Urteil vom 22. März 2012 - 18 A 951/09 - juris Rn. 88). Das alles kann indes hier dahinstehen. Denn selbst wenn man die intertemporale Geltung und die sachliche Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie auf die (Wirkungen der) Ausweisung und die Abschiebungsandrohung unterstellt, verhilft das der Revision im vorliegenden Fall nicht in weitergehendem Umfang zum Erfolg. Da der Kläger mit seinem Hilfsantrag die gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG n.F. gebotene Befristung der Wirkungen seiner Ausweisung zusammen mit deren gerichtlicher Prüfung durchsetzen kann, wird den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie im Ergebnis Genüge getan. In dem hier vorliegenden Fall konnte die Dauer des Einreiseverbots auch die Regelfrist von fünf Jahren überschreiten, da der Kläger eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung i.S.d. Art. 11 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2008/115/EG darstellt.

46

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Senat gewichtet den gegen die Ausweisung und die Abschiebungsandrohung gerichteten Anfechtungsantrag mit 4/5 und den auf Befristung zielenden Verpflichtungsantrag mit 1/5. Nachdem der Kläger aber mit seinem Hilfsantrag nur zum Teil obsiegt hat, hat er 9/10 der Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

Tenor

I.

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, ihm für seine Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 29. März 2016 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und seine Prozessbevollmächtigte beizuordnen.

Mit diesem Bescheid hat der Beklagte die Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus nach Afghanistan angeordnet (Nr. 1) und für den Fall, dass die Abschiebung aus der Haft heraus nicht möglich ist, mit einer Ausreisefrist von längstens einer Woche nach Haftentlassung die Abschiebung angedroht (Nr. 2). Die Wirkungen der Abschiebung wurden auf fünf Jahre nach Ausreise befristet (Nr. 3).

Die zulässige Beschwerde gegen den (ablehnenden) Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 30. September 2016 ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sowohl die Anordnung der Abschiebung aus der Haft nach Afghanistan als auch die Androhung der Abschiebung nach Afghanistan für den Fall, dass keine freiwillige Ausreise innerhalb der Ausreisefrist erfolgt, sind voraussichtlich rechtmäßig.

Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger aufgrund des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. November 2010 vollziehbar ausreisepflichtig ist. Die Aufenthaltsgestattung des Klägers ist nach § 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AsylG mit der Bestandskraft des Bescheides vom 17. November 2010 erloschen. Die Ausreisepflicht folgt aus § 50 Abs. 1 AufenthG. Sie ist gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG vollziehbar.

Es liegen keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder Gründe für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 AufenthG vor. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch die Anordnung bzw. Androhung einer Abschiebung nach Afghanistan zulässig (§ 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG). Insbesondere steht seiner Abschiebung nach Afghanistan nicht die Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 (Au 6 K 11.30299) entgegen. Mit diesem Urteil war das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verpflichtet worden, festzustellen, dass beim Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegen. Daraufhin erließ das Bundesamt den Bescheid vom 5. Juni 2012, in dem die entsprechende Feststellung getroffen wurde. Diesen Bescheid nahm das Bundesamt jedoch mit Bescheid vom 11. Juli 2014 zurück, weil die Feststellung des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG fehlerhaft gewesen sei (§ 73c Abs. 1 AsylG). Im Urteil des Landgerichts Kempten vom 5. Februar 2013 sei festgestellt worden, dass beim Kläger keinerlei objektive Anhaltspunkte vorlägen, die auf eine Krankheit, insbesondere eine psychische Störung oder auch eine Hirnschädigung, hinwiesen. Gegenüber dem Gutachter habe der Kläger zugestanden, dass er die psychischen Auffälligkeiten im Rahmen seines Abschiebungsverfahrens nur vorgebracht habe, um einer Abschiebung zu entgehen. Dies sei auch dadurch bestätigt worden, dass er sich im Rahmen des Abschiebungsverfahrens kurzfristig habe ins Bezirkskrankenhaus einweisen lassen, sich nach wenigen Tagen aber wieder selbst entlassen habe. Die Klage des Klägers gegen den Rücknahmebescheid vom 11. Juli 2014 blieb erfolglos (Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2015 im Verfahren Au 6 K 14.30440).

Auf die im Beschwerdeverfahren aufgeworfene Frage, ob die Rücknahme des mit Bescheid vom 5. Juni 2012 festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG durch den Bescheid vom 11. Juli 2014 wegen der entgegenstehenden Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 rechtmäßig war, kommt es nicht an. Denn die Rücknahmeentscheidung des Bundesamtes vom 11. Juli 2014 ist ebenfalls rechtskräftig. Damit steht rechtskräftig fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Afghanistan nicht besteht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. April 2012 ist durch den Bescheid des Bundesamtes vom 5. Juni 2012 umgesetzt worden. Die gerichtliche Entscheidung über die vom Kläger erhobene Klage auf Verpflichtung des Bundesamtes zur Feststellung der Voraussetzung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezieht sich zwar nicht nur auf die begehrte Rechtsfolge (den Erlass des Verwaltungsaktes), sondern auch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Anspruchsgrundlage vorliegen (Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 121 Rn. 28). Die Bindungswirkung des rechtskräftigen Verpflichtungsurteil endet aber dann, wenn spätere Änderungen der Sach- oder Rechtslage (hier das vom Landgericht Kempten eingeholte Gutachten) zu einer neuen Entscheidungssituation führen (Clausing in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 121 Rn. 71). Soweit der Kläger meint, die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheids vom 5. Juni 2012 durch den Bescheid des Bundesamtes vom 11. Juli 2014 hätten nicht vorgelegen (vgl. hierzu allgemein BVerwG, U. v. 9.11.2013 - 10 C 27/12 - juris Rn. 18 ff.), steht dem wiederum das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 5. Februar 2015 entgegen, mit dem die Klage auf Aufhebung des Rücknahmebescheides abgewiesen wurde. Das Gericht hat in den Urteilsgründen ausdrücklich festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 5. Juni 2012 vorlagen. Die nunmehr im Beschwerdeverfahren bezüglich der Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine Klage gegen die Abschiebungsanordnung bzw. -androhung vorgebrachten Einwände gegen die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 11. Juli 2014 hätten im diesbezüglichen Klageverfahren (Au 6 K 14.30440) vorgebracht werden müssen.

Bei der im Rahmen des Prozesskostenhilfeantrags gebotenen summarischen Überprüfung der Rechtslage wird voraussichtlich die Klage gegen Nr. 1 des Bescheides, mit der die Abschiebung des Klägers aus der Haft heraus angeordnet wurde, auch insoweit ohne Erfolg bleiben, als ihm keine Möglichkeit zur freiwilligen Ausreise eingeräumt wird. Diesbezüglich stellt sich die Frage, ob die Androhung bzw. Anordnung der Abschiebung aus der Haft ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise nach § 59 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ohne individuelle Prüfung der Überwachungsbedürftigkeit der Ausreise mit Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vereinbar ist (vgl. VGH BW, B. v. 30.8.2016 - 11 S 1660/16 - juris Rn. 7). Einen Widerspruch zu den Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG sieht der Senat insoweit nicht (vgl. Kluth in Beck´scher Online-Kommentar AuslR, Stand:

15.8.2016, AufenthG, § 59 Rn. 20 ff.; Hailbronner, AuslR, Stand: Februar 2016, AufenthG, § 59 Rn. 79, wenn wie hier die Haft als Folge der Begehung einer strafbaren Handlung verhängt worden ist; Hocks in Hofmann, AuslR, 2. Aufl. 2016, § 59 Rn. 17). Während nach § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG nur unter den näher genannten Bedingungen von der Bestimmung einer angemessenen Ausreisefrist abgesehen werden kann, stellt § 59 Abs. 5 AufenthG einen speziellen Fall dar, in dem die Setzung einer Ausreisefrist entbehrlich ist, weil im Falle der Abschiebung aus der Haft ohnehin keine freiwillige Ausreise möglich ist (Funke/Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum AufenthG, Stand: August 2016, § 59 Rn. 141).

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Gebühr anfällt.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 29. August 2016 - 12 K 5080/16 - mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die aufschiebende Wirkung der Klage (12 K 4453/16) gegen die Abschiebungsandrohung gemäß Ziffern 2 und 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 5. Juli 2016 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Das Verwaltungsgericht hat zwar bislang lediglich den Tenor seines Beschlusses vom 29.08.2016 an die Beteiligten übermittelt. Für die Einlegung der Beschwerde ist im vorliegenden Fall besonderer Eilbedürftigkeit nicht erforderlich, dass ein mit Gründen abgefasster Beschluss vorliegt. Mit der Zustellung des Tenors ist der Beschluss existent und wirksam und kann mit der Beschwerde angefochten werden (Funke-Kaiser, in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfaut/von Albedyll, VwGO, 6. Aufl. 2014, § 80 Rn. 102 Happ, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 147 Rn. 3). Aufgrund der für heute vorgesehenen Abschiebung kann vom Antragsteller mangels eines begründeten Beschlusses des Verwaltungsgerichts auch nicht die Beachtung der Vorgaben des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO verlangt werden.
Die Beschwerde ist begründet. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft und ist sachdienlich gerichtet gegen die Ziffern 2 und 3 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.06.2016 (vgl. auch § 123 Abs. 5 VwGO). Der Senat misst im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Abwägung dem Interesse des Antragstellers, vorläufig im Bundesgebiet bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache verbleiben zu dürfen, höhere Bedeutung zu als dem öffentlichen Interesse an der Vollziehung der Verfügung. Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand bestehen schon erhebliche Bedenken, ob dem Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Abschiebung in das Kosovo angedroht werden durfte (vgl. Ziffer 2 und 3 der Verfügung), weil aufgrund des am 26.07.2010 - und damit rechtzeitig - gestellten Antrags auf Verlängerung der bis 28.08.2010 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 32 Abs. 3 AufenthG eine noch heute wirksame Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG bestehen könnte (1.). Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel, ob Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.07.2016, wonach dem Antragsteller die Abschiebung aus der Haft heraus in das Kosovo ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird, den Vorgaben des Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98) - RFRL - genügt (2.). Selbst wenn man grundsätzlich davon ausgehen würde, dass die Ausweisung zum Erlöschen der Fiktionswirkung geführt hat, bedarf die Ausweisung einer näheren Prüfung im Hauptsacheverfahren (3.).
1. Die Ausweisungsverfügung vom 05.07.2016, deren sofortige Vollziehung nicht angeordnet ist, geht davon aus, dass der Antragsteller seit mehreren Jahren nur noch im Besitz einer Duldung ist. Die Verfügung vom 05.07.2016 hat auch nicht die Ablehnung einer Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Gegenstand.
Aus der Ausländerakte der Stadt ... ist ersichtlich, dass über den wohl anfänglich nur mündlich gestellten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 26.07.2010 (von diesem Tag datiert die Fiktionsbescheinigung) zunächst nicht entschieden worden war, weil die Sicherung des Lebensunterhalts zweifelhaft gewesen und der Antragsteller bereits zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich in Erscheinung getreten war. Die in einem „Aktenvermerk“ niedergeschriebene „Erklärung über den Verzicht der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis für eine Bewährungswährungszeit von vorerst 1/2 Jahr und dem Erhalt einer Duldung“ vom 12.04.2012 ist der Sache nach die Zusicherung einer Duldung für eine Bewährungszeit von sechs Monaten und einer erneuten Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis, wobei für die Titelerteilung nach Ablauf der Bewährungszeit weitere Voraussetzung formuliert werden, die der Antragsteller erfüllen muss. Hierzu gehören unter anderem, dass er nach Ablauf der Bewährungszeit keine weiteren Straftaten begangen hat, den Lebensunterhalt und Wohnraum sichert sowie im Besitz eines gültigen Passes ist (vgl. im Einzelnen den genauen Wortlaut der Erklärung). Die in Aussicht gestellte Duldung und spätere Titelerteilung knüpfen an eine vorher erklärte Rücknahme des Verlängerungsantrags an. Für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG an einen vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer bzw. deren Zusicherung ist auch zum damaligen Zeitpunkt ausschließlich das Regierungspräsidium Karlsruhe zuständig gewesen (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Nr. 1 AAZuVO in der ab 01.01.2009 geltenden Fassung). Die Zusicherung durch eine unzuständige Behörde hat deren Nichtigkeit zur Folge (§ 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 LVwVfG; siehe auch Stuhlfauth, in: Obermayer/Funke-Kaiser, VwVfG, 4. Aufl., 2014, § 38 Rn. 21; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 16. Aufl. 2015, § 38 Rn. 28). Des Weiteren und ungeachtet dessen spricht nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand alles dafür, dass die Zusicherung zudem wegen Verletzung des Schriftformerfordernisses unwirksam ist. Das Schriftformerfordernis bezweckt, dass sich die Behörde - vor allem im Hinblick auf die sich aus einer Zusicherung ergebenden Bindungswirkung - über deren Inhalt und Umfang klar wird und keine übereilten Zusagen erteilt; darüber hinaus dient das Erfordernis der Schriftform (vgl. insoweit § 37 Abs. 3 LVwVfG) der Rechtssicherheit (Stuhlfauth, a.a.O., § 38 Rn. 24 f.; Kopp/Ramsauer, a.a.O., Rn. 20). Die Erklärung vom 12.04.2012 ist vom damals 16 Jahre alten Antragsteller und einem Erziehungsberechtigten unterschrieben worden. Von Seiten der Stadt ... ist die Erklärung von einer Sachbearbeiterin gezeichnet worden, allerdings mit dem Zusatz „Belehrung durchgeführt“. Jedenfalls letzteres deutet darauf hin, dass sich die Unterschrift nur auf eine - nicht im Einzelnen dokumentierte - Belehrung bezogen hat und nicht die Zusage bestimmter Verwaltungsakte unterschrieben worden ist.
Sieht man die Zusicherung als nichtig an, so ist auch eine ggf. erklärte Rücknahme des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, die Teil der „Gesamtabmachung“ gewesen ist, voraussichtlich wirkungslos mit der Folge, dass dem Antrag vom 26.07.2010 über den 12.04.2012 hinaus die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zukommt.
Ob die Fiktionswirkung durch die wirksame Ausweisung vom 05.07.2016 in entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG erloschen ist, kann angesichts des Umstands, dass der Senat innerhalb weniger Stunden über die Beschwerde entscheiden muss und die Meinungen in Literatur und Rechtsprechung hierzu uneinheitlich sind, nicht mit einer insoweit die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes rechtfertigenden Eindeutigkeit zu Lasten des Antragstellers beantwortet werden. Das in § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG gesetzlich angeordnete Erlöschen eines Aufenthaltstitels durch eine wirksame Ausweisung könnte im Wege eines „Erst-Recht-Schlusses“ auf die Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG übertragen werden (so Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 81 Rn. 99, 63, 67 ; Hailbronner, AuslR, § 81 Rn. 24 ; wohl auch HambOVG, Beschluss vom 18.01.1995 - Bs V 262/94 -, juris Rn. 3 - zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990 mwN). Die Gegenansicht verweist insbesondere darauf, die Regelung sei nicht analogiefähig (etwa Jakober/Welte, Aktuelles AuslR, § 81 Rn. 122 ; SchlHolstOVG, Beschluss vom 09.02.1993 - 4 M 146/92 -, juris Rn26 ff. - zu § 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG 1990; VG Augsburg, Beschluss vom 15.02.2010 - Au 1 S 10.217 -, juris Rn. 31 ff.). Soweit man bei der im vorliegenden Eilverfahren an dieser Stellung gebotenen günstigeren Betrachtungsweise für den Antragsteller ein Erlöschen der Fiktionswirkung verneint, liegen auch die Voraussetzungen einer Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG nicht vor.
2. Es bestehen auch aus einem weiteren Grund erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Ziffer 2 der Verfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.07.2016, die durch die für heute geplante Abschiebung vollzogen werden soll, und mit der dem Antragsteller die Abschiebung aus der Haft heraus in das Kosovo auf seine Kosten ohne Setzen einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht wird. Ob die unter Hinweis auf § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG unterlassene Fristsetzung mit den unionsrechtlichen Anforderungen nach Art. 7 Abs. 4 RFRL für das Absehen von einer Frist zur freiwilligen Ausreise in Einklang steht, ist jedenfalls zweifelhaft.
Zwar hat das Regierungspräsidium Karlsruhe dem Antragsteller unter dem 18.08.2016 unter Bezugnahme auf die Ausweisungsverfügung des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 05.07.2016 mitgeteilt, seine Rückführung sei am 30.08.2016 nach Pristina/Kosovo geplant. Hierin kann jedoch keine Ausreisefrist im Sinne des Art. 7 Abs. 1 RFRL gesehen werden. Nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 RFRL ist unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise in der Rückkehrentscheidung vorzusehen - und nicht an anderer Stelle. Die Ankündigung des Regierungspräsidiums Karlsruhe ist nicht Teil der Rückkehrentscheidung des Regierungspräsidiums Stuttgart. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 RFRL die Abschiebungsandrohung (vgl. etwa Urteile vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, NVwZ-RR 2012, 492 und vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, NVwZ-RR 2012, 412; Beschluss vom 19.12.2012 - 1 S 2303/12 -, InfAuslR 2013, 98), die hier das Regierungspräsidium Stuttgart erlassen hat.
Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 4 RFRL davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen.
10 
Nach Art. 7 Abs. 4 RFRL darf daher von der Gewährung einer Frist zur freiwilligen Ausreise unter anderem nur dann abgesehen werden, wenn die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung, wie er in Art. 7 Abs. 4 RFRL vorgesehen ist, setzt jedenfalls voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (EuGH, Urteil vom 11.06.2015 - C-554/13 - Z.Zh.; I.O. -, NVwZ 2015, 1200, Rn. 60). Die Annahme dieser Voraussetzungen verlangt nach der ständigen und gefestigten Rechtsprechung des EuGH zwingend eine individuelle Prüfung des Einzelfalls und kann nicht - wie dies das nationale Recht in § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG vorsieht - allein aus der Tatsache geschlossen werden, dass sich der Betreffende in (Straf-)haft befindet (EuGH, Urteil vom 11.06.2015, a.a.O., Rn.70 ff.; vgl. zur Notwendigkeit der Einzelfallprüfung auch Urteil vom 21.03.2013 - C-522/11 - Mbaye -, Rn. 31 f.; Lutz, in: Hailbronner/Thym, EU Migration and Asylum Law, 2nd Ed., 2016, Part C VII Art. 7 Rn. 14). Diese konkrete Einzelfallprüfung hat die zuständige Behörde bislang nicht vorgenommen. Demgemäß ist auch die nach Unionsrecht wohl erforderliche Ermessensentscheidung nicht getroffen worden.
11 
Ob die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers in § 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Schluss zulässt, dass jedenfalls in den Fällen des Strafvollzugs typisierend von einer Fluchtgefahr im Sinne des Art. 7 Abs. 4 RFRL ausgegangen werden darf, die ebenfalls ein Absehen von der Einräumung einer Frist zur freiwilligen Ausreise zulässt, dürfte mit Blick auf die Anforderungen an die Feststellung des Vorliegens der Fluchtgefahr im Sinne der Rückführungsrichtlinie (vgl. Art. 3 Nr. 7, Art. 15 Abs. 1 lit. a) RFRL sowie etwa EuGH, Urteil vom 05.06.2014 - C-146/14 PPU - Mahdi; Mananashvili, in: Hailbronner/Thym, a.a.O., Art. 15 Rn. 32 ff.) äußerst zweifelhaft und angesichts der vielfältigen und höchst unterschiedlichen persönlichen Verhältnisse und Lebensumstände der jeweils Inhaftierten zu verneinen sei.
12 
Jedenfalls bedarf es hier keiner abschließenden Erörterung, ob die Rückführungsrichtlinie - vor allem auch mit Blick auf den Zusammenhang zwischen Art. 7 Abs. 4 und Art 8 RFRL - verlangt, immer dann, wenn die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 RFRL für ein Absehen von jeglicher Fristsetzung nicht vorliegen, tatsächlich eine freiwillige Ausreise aus der Haft zu ermöglichen (vgl. auch den 10. Erwägungsgrund). Festzuhalten bleibt, dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Fluchtgefahr und für die Bejahung einer Gefahr für die öffentliche Ordnung nicht identisch sind (vgl. Lutz, a.a.O., Art. 7 Rn. 14).
13 
3. Selbst wenn man im Übrigen entgegen den Ausführungen oben unter 1. annehmen würde, dass die Ausweisung zum Erlöschen der durch den Verlängerungsantrag ausgelösten Fiktionswirkung geführt hätte, ist mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG einer sorgfältigen und umfassenden Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsentscheidung geboten (Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 84 Rn. 60 ). Zum jetzigen Verfahrenszeitpunkt spricht zwar einiges dafür, dass das Regierungspräsidium Stuttgart im Ergebnis die Ausweisung zurecht verfügt haben könnte. Dies bedarf aber einer weiterer Aufklärung, die hier nur im Hauptsacheverfahren geleistet werden und ggfs. etwa die Beiziehung der Akten aus dem Vollzug und die persönliche Anhörung des Antragstellers erfordern kann.
14 
Der Antragsteller hat schon im Alter von 13 Jahren begonnen - meist im Zusammenwirken mit anderen - gegen Strafrecht zu verstoßen. So gehörten vor allem Diebstähle und „Schwarzfahrten“ zu seinen „Einstiegsdelikten“. Seine kriminelle Karriere steigerte sich in der Folgezeit und führte zu weiteren Verurteilungen (vgl. im Einzelnen Bl. 4 der Ausweisungsverfügung sowie ausführlich zur strafrechtlichen Biographie das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Stuttgart - 2. große Jugendkammer - vom 09.02.2016 - 2 Ns 45 Js 69100/15 Hw -). Es gibt aber Anhaltspunkte dafür, dass nunmehr durch die Verurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und zehn Monaten und vor allem durch deren Vollzug (im Anschluss an die Untersuchungshaft ab 16.07.2015 in der JVA ..., ab 16.02.2016 in der JVA ...) die bisherigen Fehlentwicklungen des am ...1995 geborenen Antragstellers eine Korrektur erfahren haben (vgl. ausführlich zu den bislang gegebenen Defiziten, wie z.B. in der persönlichen Entwicklung und Tagesstruktur, das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Stuttgart - 2. große Jugendkammer - vom 09.02.2016, a.a.O.). Unter dem Einfluss der erstmaligen Erfahrung der Verbüßung einer Jugendstrafe und der erzieherischen Wirkungen des Jugendstrafvollzugs (siehe etwa die Stellungnahme der JVA - Zugangsabteilung - zum Erziehungsplan vom 22.02.2016) hat sich der Antragsteller - wohl -positiv entwickelt. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Schreiben der JVA ... vom 03.06.2016 an das Regierungspräsidium Stuttgart, sondern auch aus der Stellungnahme der Hauskonferenz der JVA vom 18.07.2016 zur bedingten Entlassung. Danach wird dem Antragsteller eine positive Entwicklung während der bisherigen Inhaftierung bescheinigt und eine bedingte Entlassung trotz der noch ungeklärten ausländerrechtlichen Situation befürwortet, wenn die Nachweise über den Wohnsitz und Arbeitsplatz/Ausbildungsplatz vorgelegt würden. Dass der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Jugendstrafe zur Bewährung mit Beschluss des Amtsgerichts ... vom 17.08.2016 abgelehnt worden ist, beruht nach der Begründung des Beschlusses ausschließlich darauf, dass er ausgewiesen und vollziehbar zur Ausreise verpflichtet sowie durch das Amtsgericht ... zur Abschiebung freigegeben sei, weshalb es an einer legalen Perspektive in Deutschland fehle. Die Einschätzung der JVA ... zur Entwicklung des Antragstellers wird hierdurch nicht infrage gestellt.
15 
Ob die dem Antragsteller von der JVA ... attestierte positive Entwicklung nachhaltig ist und es ggfs. gebieten könnte, die Frage, welcher Grad der Wiederholungsgefahr vom ihm ausgeht, abweichend vom Regierungspräsidium in der Ausweisungsverfügung vom 05.07.2016 zu beantworten, muss dem Hauptsacheverfahren überlassen bleiben.
16 
Die Kostenentscheidung folge aus § 154 Abs. 1 VwGO.
17 
De Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.
18 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.