Verwaltungsgericht Münster Urteil, 22. Okt. 2015 - 8 K 436/15.A
Gericht
Tenor
Die Entscheidung zu 2. aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2015 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der 1976 geborene Kläger ist Kurde und Yezide syrischer Staatsangehörigkeit. Er besitzt arabische, kurdische sowie geringe englische und türkische Sprachkenntnisse. Er reiste im August 2013 aus seinem Heimatland aus und stellte am 2. Juni 2014 in Bulgarien einen Asylantrag. Für den Kläger wurde die Eurodac-Nr. xxxxxxxxxxxxxxxx vergeben. Am 9. Oktober 2014 wurde dem Kläger in Bulgarien der Flüchtlingsstatus zuerkannt.
3Der Kläger reiste von Bulgarien am 7. Dezember 2014 auf dem Landweg in das Bundesgebiet ein und stellte am 20. Januar 2015 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag. Er trug vor, er habe bereits in Bulgarien einen Asylantrag gestellt. Das Bundesamt richtete ein Übernahmeersuchen an Bulgarien. Die staatliche Flüchtlingsagentur Bulgariens teilte am 11. Februar 2015 mit, dem Kläger sei bereits am 9. Oktober 2014 Flüchtlingsschutz zuerkannt worden. Daher sei seine Übernahme nicht nach den Regelungen der Dublin III-VO möglich. Eine weitere Anfrage in Übereinstimmung mit dem Rückübernahmeabkommen solle das Bundesamt an die zuständige Grenzpolizeibehörde richten. Das Bundesamt stellte kein solches Rückübernahmeersuchen; eine Zustimmung der bulgarischen Grenzpolizei zur Rückübernahme des Klägers erfolgte nicht.
4Mit Bescheid vom 17. Februar 2015 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als unzulässig ab (1.), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung, im Falle der Klageerhebung nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, und drohte ihm die Abschiebung nach Bulgarien oder in einen anderen Staat, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rücknahme verpflichtet sei, an (2.). Schließlich stellte das Bundesamt fest, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden dürfe. Zur Begründung führte es wegen der Abschiebungsandrohung aus: Eine Abschiebungsandrohung sei nach § 34a AsylVfG zulässig, da es sich gegenüber der Anordnung um ein milderes Mittel handele.
5Am 27. Februar 2015 hat der Kläger Klage auf Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 17. Februar 2015 erhoben. Wegen der Entscheidung des Bundesamts zum Asylrecht hat er die Klage zurückgenommen.
6Zur Begründung trägt er vor: Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Es obliege dem Bundesamt, unabhängig von der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft das Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten in Bezug auf Bulgarien zu prüfen. Dort lägen systemische Mängel auch insbesondere in der Versorgung der Flüchtlinge nach Zuerkennung des Schutzstatus vor. … (wird ausgeführt)
7Der Kläger beantragt
8die Ziffer 2. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 17. Februar 2015 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Das Verwaltungsgericht kann über die Klage entscheiden, auch wenn die Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war. Sie wurde mit der Ladung darauf hingewiesen, dass bei ihrem Ausbleiben ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14Das Verfahren ist einzustellen, soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat (§ 92 Abs. 3 VwGO).
15Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet. Die Entscheidung zu 2. aus dem Bescheid des Bundesamtes vom 17. Februar 2015, mit der der Kläger zur Ausreise aufgefordert wurde und ihm die Abschiebung nach Bulgarien angedroht worden ist, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Für die Abschiebungsandrohung fehlt eine Rechtsgrundlage (dazu I.). Darüber hinaus ist eine Abschiebung des Klägers nach Bulgarien nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar (dazu II.).
16I. Die Abschiebungsandrohung nach Bulgarien kann nicht auf § 34a AsylVfG gestützt werden. Soll ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt nach dieser Vorschrift die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Ermächtigungsgrundlage sieht damit von einer Abschiebungsandrohung ab.
17Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. September 1996 – 25 A 790/96.A -, www.nrwe.de, Rdnr. 58 = Juris.
18Ihr Wortlaut erstreckt sich allein auf eine Abschiebungsanordnung. Motiv der Regelung einer Abschiebungsanordnung ist, dass eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann.
19vgl. BT-Drucksache 12/4450, S. 23.
20Der Zweck einer Abschiebungsandrohung spricht ebenfalls gegen die Möglichkeit einer solchen Vollstreckungsmaßnahme. Eine Abschiebungsandrohung hat die Funktion, den Ausländer vor einer drohenden zwangsweisen Abschiebung zu warnen und ihn an die gesetzliche Pflicht zur (freiwilligen) Ausreise zu erinnern,
21vgl. BVerwG, Urteil vom 30. August 2005 – 1 C 29.04 -, www.bverwg.de, Rdnr. 18 = Juris = InfAuslR 2006, 207.
22Diese Funktion kann sie im Falle einer Rückführung nach einem Rückführungsabkommen regelmäßig nicht erfüllen. Der Kläger kann nicht freiwillig ausreisen. Das Land seines Aufenthalts kann er nicht frei wählen. Anspruch auf Aufnahme hat er allein gegenüber seinem Herkunftsland Syrien, in das er aber nicht einreisen kann (§ 60 Abs. 1 AufenthG). Die Möglichkeit einer freiwilligen Einreise in einen Drittstaat besteht nicht. Eine freiwillige Einreise nach Bulgarien ist nicht möglich. Die Rückübernahmeabkommen begründen für den Ausländer im Allgemeinen kein individuelles Einreiserecht in den Drittstaat. Sie begründen allein Rechte der Vertragsparteien. Dies gilt auch für das deutsch-bulgarische Rückübernahmeabkommen vom 7. März 2006 (BGBl. II 259). Ein anderer Drittstaat wird den Kläger nicht aufnehmen. Deshalb kann nur eine Abschiebungsanordnung in Betracht kommen,
23vgl. BT-Drucksache 12/4450, S. 23; zur Überstellung nach den Dublin-Verordnungen vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 -, www.bverwg.de, Rdnr. 18 = Juris.
24Kann die Abschiebungsandrohung ihre Funktion nicht erfüllen, ist sie kein geeignetes Mittel der Vollstreckung. Ob sie ein milderes Mittel ist, ist daneben unerheblich.
25Rechtsgrundlage der Abschiebungsandrohung ist auch nicht § 34 AsylVfG. Die Vorschrift ist nicht neben § 34a AsylVfG anwendbar. Sie wird durch die spezielle Regelung des § 34a AsylVfG verdrängt. Mit § 34a AsylVfG hat der Gesetzgeber eine abschließende Sonderregelung geschaffen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll nur eine Abschiebungsanordnung in Betracht kommen. Das Absehen von einer Abschiebungsandrohung ist nach Auffassung des Gesetzgebers erforderlich,
26BT-Drucksache 12/4450, S. 23.
27Gegenteiliges folgt nicht aus § 60 Abs. 10 AufenthG, auf den § 34 AsylVfG verweist. Ist § 34 AsylVfG nicht anwendbar, kann § 60 Abs. 10 AufenthG nicht über § 34 AsylVfG angewendet werden. Durch die enge Verknüpfung von § 34a Abs. 1 mit § 26a AsylVfG hat der Gesetzgeber auch klargestellt, dass die Regelung im Sonderfall der Rückführung in den sicheren Drittstaat keine Geltung beanspruchen soll,
28vgl. VG Berlin, Urteil vom 4. Juni 2015 ‑ 23 K 906/14.A ‑, Juris, RdNrn. 34 – 37; VG Stade, Urteil vom 21. September 2015 – 1 A 791/14 -, www.rechtsprechung.niedersachsen.de, Rdnr. 30 = Juris, Rdnr. 30.
29Eine unmittelbare Anwendung des § 60 Abs. 10 AufenthG scheidet aus, weil das Asylverfahrensgesetz für seinen Geltungsbereich (§ 1 AsylVfG) Spezialgesetz im Verhältnis zum Aufenthaltsgesetz ist.
30II. Ungeachtet des Umstands, dass eine Abschiebungsandrohung im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt, kann eine Abschiebung des Klägers nach Bulgarien auch deshalb nicht durchgeführt werden, weil sie nicht mit Art. 3 EMRK vereinbar ist. Für den Kläger besteht in Bulgarien die konkrete Gefahr der längeren Obdachlosigkeit.
31Mit der Forderung, dass feststehen muss, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, obliegt dem Bundesamt u. a. die Prüfung, dass keine zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse vorliegen.
32Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 ‑ 2 BvR 1795/14 ‑, www.bundesverfassungsgericht.de, Rdnr. 9 = Juris; Schnell, Die Überstellung in den nach der Dublin-II Verordnung zuständigen Mitgliedstaat, NWVBl. 2013, 218 (226).
33Eine Gefahr im Sinn des Art. 3 EMRK begründet ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Art. 3 EMRK wird nicht durch das Recht der Europäischen Union oder durch sonstiges Recht verdrängt.
34Vgl. zum Recht der Europäischen Union BVerwG, Urteil vom 25. März 2015 – 1 C 16.14 -, www.bverwg.de, Rdnr. 25 = InfAuslR 2015, 285.
35Dass Bulgarien der Europäischen Menschenrechtskonvention beigetreten ist und damit die daraus folgenden Verpflichtungen übernommen hat, hindert nicht die Annahme, dass mit der Abschiebung eines Ausländers nach Bulgarien ein Verstoß gegen die Konvention verbunden sein kann. Eine Abschiebung in einen Staat, der gleichfalls Konventionsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention ist, lässt die Verantwortlichkeit des abschiebenden Staats unberührt, der verpflichtet ist, eine Abschiebung zu unterlassen, wenn es erwiesenermaßen ernsthafte Gründe gibt anzunehmen, dass der betroffene Ausländer wirklich der Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung ausgesetzt wird.
36Eine Behandlung ist unmenschlich im Sinne von Art. 3 EMRK, wenn sie absichtlich erfolgt und entweder tatsächliche körperliche Verletzungen oder schwere körperliche und psychische Leiden verursacht. Eine Behandlung ist hingegen als erniedrigend anzusehen, wenn sie eine Person demütigt oder herabwürdigt und dadurch fehlenden Respekt für ihre Menschenwürde zeigt oder diese herabmindert, oder wenn sie Angst, Furcht oder Unterlegenheit hervorruft, die geeignet sind, im moralischen oder psychischen Widerstand der Person zu brechen,
37Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – 30696/09 -, Inf-AuslR 2011, 271 = NVwZ 2011, 413, Rdnr. 220.
38Art. 3 EMRK kann zwar nicht so ausgelegt werden, dass er die Konventionsstaaten dazu verpflichtet, allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen das Recht auf eine Unterkunft zu gewähren. Aus dieser Vorschrift ergibt sich auch keine allgemeine Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren, damit sie einen gewissen Lebensstandard haben.
39Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a. a. O., Rdnr. 249; Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 -, NVwZ 2015, 127, Rdnr. 95 = NLMR 2014, 478; vgl. zum Maßstab auch BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, www.bverwg.de, Rdnr. 23
40Darum geht es aber nicht im vorliegenden Fall. Das positive Recht schreibt vor, dass anerkannten Flüchtlingen Unterkunft gewährt werden muss. Nach Art. 32 der Richtlinie 2011/95/EU (Flüchtlingsschutz-RL), deren Umsetzungsfrist abgelaufen ist, sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass Personen, denen internationalen Schutz zuerkannt worden ist, Zugang zu Wohnraum unter Bedingungen erhalten, die den Bedingungen gleichwertig sind, die für andere Drittstaatsangehörige gelten, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Diese europarechtliche Vorschrift bestimmt dem Grunde nach einen Anspruch auf Zugang zu Wohnraum und den Maßstab für diesen Zugang. Der Wortlaut der Vorschrift kann zwar auch dahin ausgelegt werden, dass der Regelungsinhalt ausschließlich eine Regel zur Gleichbehandlung enthält. Eine solche Auslegung entspricht aber nicht ihrem Zweck. Art. 32 Flüchtlingsschutz-RL erfüllt nicht einen sozialpolitischen Zweck. Vielmehr soll mit den Regelungen des Kapitels VII der Richtlinie der Flüchtlingsschutz wirksam ausgestaltet werden. Wie sich insbesondere aus der Kapitelüberschrift ergibt, soll auch mit Art. 32 der Richtlinie der Inhalt des Internationalen Schutzes ausgestaltet werden. Die Wirksamkeit des Flüchtlingsschutzes setzt einen Schutz vor Obdachlosigkeit voraus. Ein Aufenthaltsrecht bzw. der Schutz vor Zurückweisung allein (Art. 21 der Richtlinie) macht den Flüchtlingsschutz nicht wirksam. Fehlt den Schutzberechtigten jede materielle Lebensgrundlage, werden sie veranlasst sein, um im Zufluchtsland nicht zugrunde zu gehen, in ihren Herkunftsstaat und also in den Verfolgerstaat zurückzukehren. Ein anderer Staat wird sich kaum finden, der sie aufnimmt.
41Vgl. Moll/Pohl, Das Drittstaatenkonzept im unionsrechtlichen Kontext, ZAR 2012, 102, 105.
42Eine Beschränkung des Regelungsinhalts des Art. 32 Flüchtlingsschutz-RL auf ein Gleichbehandlungsgebot, das eine längere Obdachlosigkeit zulässt, ist auch systemwidrig. Bei einer solchen Auslegung der Vorschrift wäre ein anerkannter Flüchtling schlechter gestellt als ein Asylbewerber. Denn die Mitgliedstaaten sind gem. Art. 2 Buchstabe g, Art. 17 und Art. 18 Abs. 1 Richtlinie 2013/33/EU ‑ Aufnahmerichtlinie - verpflichtet, während des Verfahrens, in dem über einen Antrag auf internationalen Schutz entschieden wird, für eine Unterkunft der Asylbewerber zu sorgen.
43Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner Rechtsprechung nicht ausgeschlossen, dass die Verantwortlichkeit des Staates nach Art. 3 EMRK wegen der Behandlung einer Person begründet sein kann, der vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist und behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber steht, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
44Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011, a. a. O., Rdnr. 253; Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 -, a. a. O., Rdnr. 98 = NLMR 2014, 478; zur Inanspruchnahme von sozialen Leistungen vgl. auch EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - 26565/05 -, BeckRS, Rdnr. 42 = NVwZ 2008, 1334
45Im Bereich sozialer Fürsorge kann es unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Verbot, jemanden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu unterwerfen, aber von vorneherein nur um die Gewährleistung einer unabdingbaren Grundversorgung gehen.
46Vgl. dazu EGMR, Urteil vom 27. Mai 2008 - 26565/05 -, a. a. O., Rdnr. 42 ff.
47Die Eingriffsschwelle von Art. 3 EMRK wird durch Missstände im sozialen Bereich also nur unter strengen Voraussetzungen überschritten.
48Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2015 – 14 B 525/15.A –, www.nrwe.de = Juris.
49Davon ausgehend kann ein Staat im Rahmen von Art. 3 EMRK für eine Behandlung verantwortlich sein, bei der sich ein von staatlicher Unterstützung vollständig abhängiger Asylsuchender in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht, die mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
50Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, www.nrwe.de, Rdnr. 126 = Juris; vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2015 – 14 B 525/15.A –, www.nrwe.de, Rdnr. 14 = Juris.
51Ein solcher besonders gravierender Fall liegt hier vor. Die für den Kläger ohne Aussicht auf eine Verbesserung zu prognostizierenden Existenzbedingungen haben das für Art. 3 EMRK erforderliche Mindestmaß an Schwere erreicht. Der Kläger wäre im Falle seiner Abschiebung nach Bulgarien vollständig von staatlicher Unterstützung abhängig ist, stände aber behördlicher Gleichgültigkeit gegenüber, obwohl er sich in so ernsthafter Armut und Bedürftigkeit befindet, dass dies mit der Menschenwürde unvereinbar ist.
52Dem Status des Klägers als Flüchtling ist erhebliche Bedeutung zuzumessen. Aufgrund der Flüchtlingseigenschaft ist er Teil einer besonders unterprivilegierten und verletzlichen Gesellschaftsschicht mit speziellem Schutzbedürfnis. Die ihn in Bulgarien erwartete Behandlung begründet die Gefahr, dass der Kläger in Bulgarien den Schutz der Genfer Konvention trotz dessen formeller Zuerkennung aus praktischen Gründen nicht wahrnehmen kann. Er wäre im Falle seiner Abschiebung nach Bulgarien nämlich längerfristig obdachlos, ohne die Möglichkeit zu haben, an dieser Situation selbst etwas zu ändern. Die soziale Situation begründete - wie ausgeführt - den Zwang, trotz Flüchtlingsstatus das Land verlassen zu müssen.
53Vgl. dagegen zu ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen, deren Asylantrag in Bulgarien abgelehnt wurde, VG Aachen, Beschluss vom 1. April 2015 – 8 L 56/125.A -, www.nrwe.de = Juris.
54In Drittstaaten können betroffene Ausländer - anders als bei einer Rückführung in ihr Heimatland - regelmäßig weder auf verwandtschaftliche Hilfe noch auf ein soziales Netzwerk bei der Suche nach einer Unterkunft für die Zeit unmittelbar nach ihrer Rückkehr zurückgreifen.
55Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014 - 2 BvR 1795/14 ‑, www.bverfg.de = Juris.
56Auch für die Zeit danach besteht die konkrete Gefahr längerer Obdachlosigkeit und Verelendung. Zwar mögen die rechtlichen Vorgaben der Genfer Konvention, die hinsichtlich der öffentlichen Fürsorge und der sozialen Rechte eine Gleichbehandlung mit eigenen Staatsangehörigen verlangt (vgl. Art. 23 und 24 GK), von Gesetzes wegen eingehalten werden. Maßgeblich sind aber die tatsächlichen Verhältnisse.
57Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 1991 – 2 BvR 902/85 u. a. -, Juris, Rn. 37 = InfAuslR 1991, 200 zur Gefahr politischer Verfolgung.
58Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte sind in Bulgarien infolge der praktischen Handhabung der Behörden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit von Obdachlosigkeit, Armut und Verelendung bedroht. Nach den Erkenntnissen bedeutet der Erhalt eines Schutzstatus in Bulgarien in der Regel Obdachlosigkeit. Dies beruht auf den folgenden Feststellungen des Gerichts:
59Anerkannte Schutzberechtigte müssen nach einer gewissen Zeit die Aufnahmelager verlassen, die für Asylbewerber eingerichtet sind. Der Kläger kann auch in kein Aufnahmelager zurückkehren. Auf dem Wohnungsmarkt haben anerkannte Schutzberechtigte auf Grund der Voreingenommenheit der Bevölkerung geringe Chancen. In anderen Fällen wird ihre Situation durch das Verlangen hoher Mieten ausgenutzt, die nicht zu finanzieren sind.
60Die Finanzierung einer Unterkunft durch Erwerbseinkommen ist regelmäßig nicht möglich. Der Zugang zum Arbeitsmarkt für anerkannte Schutzberechtigte ist in Bulgarien äußerst erschwert. Selbst für Schutzberechtigte mit (akademischem) Berufsabschluss bestehen keine erhöhten Chancen. Dies hat seine Ursache - auch wegen einer selbständigen Tätigkeit - in fehlenden Kenntnissen der bulgarischen Sprache; gleichzeitig besteht derzeit kein hinreichendes Angebot für Sprachkurse. Eine weitere Ursache liegt in der oftmals fehlenden Bereitschaft der Arbeitgeber, anerkannte Schutzberechtigte als Arbeitskräfte einzustellen. Eine Arbeitsförderung durch Jobcenter ist nicht möglich. Die Meldung über eine Arbeitssuche hat bei demjenigen Jobcenter zu erfolgen, in dem der Arbeitssuchende vorübergehend oder dauerhaft wohnt, um dessen örtliche Zuständigkeit zu begründen. Zudem setzt die Registrierung beim Jobcenter die Vorlage eines Ausweisdokuments voraus. Der Antrag zur Ausstellung eines Ausweisdokuments setzt wiederum voraus, dass der Antragsteller im Bezirk der Ausstellungsbehörde wohnt, um deren örtliche Zuständigkeit zu begründen. Die Adresse der Aufnahmezentren können die Schutzberechtigten zu diesem Zweck nicht verwenden. Dies gilt erst recht für den Kläger, wenn er aus Deutschland nach Bulgarien überstellt wird. Eine Erwerbstätigkeit auf dem Schwarzmarkt kommt ebenfalls nicht in Betracht. Es mag dahingestellt bleiben, ob eine solche Tätigkeit Grundlage einer Erwerbsprognose sein darf. Jedenfalls sind auch auf dem Schwarzmarkt die Erwerbsmöglichkeiten für anerkannte Schutzberechtigte beschränkt, da dieser vorwiegend von einer anderen Bevölkerungsgruppe geprägt wird.
61Die Anmietung einer Unterkunft aus Sozialmitteln ist nicht möglich. Die Stellung eines Antrags auf Sozialleistungen ist ebenfalls an das Vorhandensein einer Unterkunft geknüpft. Der Antrag muss an das Sozialhilfedirektorat der Sozialhilfsagentur gestellt werden, in deren Bezirk der Antragsteller wohnt, um deren örtliche Zuständigkeit zu begründen. Gleichzeitig ist die Meldung beim Jobcenter Voraussetzung für die Gewährung von Sozialleistungen, die – wie ausgeführt – ebenfalls eine Unterkunft voraussetzt.
62Die Erlangung einer Unterkunft aus Mitteln von Nichtregierungsorganisationen ist nicht möglich. Zwar haben die staatliche Flüchtlingsbehörde und das bulgarische Rote Kreutz am 21. Juli 2015 eine Vereinbarung unterzeichnet, die das Ziel hat, Schutzberechtigten eine Unterkunft zu vermitteln. Bislang ist die Förderung aber noch nicht umgesetzt worden. Außerdem besteht die Prognose einer sehr niedrigen Erfolgsquote, weil die Förderung den Besitz eines Ausweisdokumentes voraussetzt, die Schutzberechtigten aber - wie ausgeführt - bereits eine Unterkunft vorweisen müssen, um die örtliche Zuständigkeit einer Behörde zu begründen.
63Der bulgarische Staat unternimmt gleichwohl keine Anstrengungen, um die Lage von Schutzberechtigten wirksam zu verbessern. Es gibt keinen konkreten nationalen Integrationsplan. Das „Nationale Programm zur Integration von Flüchtlingen in Bulgarien“ lief im Dezember 2013 aus. Ein Programmentwurf für eine Programmperiode 2014 – 2016 wurde vom Ministerrat nicht verabschiedet. Die Regierung wies die Integrationsaufgaben dem Ministerium für Arbeit und Soziales zu. Das Ministerium bestand auf die Verabschiedung einer nationalen Strategie für die Integration der international Schutzberechtigten, die im Juli 2014 erfolgte. In der Folgezeit wurde ein konkreter Integrationsplan nicht erarbeitet. Im Juni 2015 wurde eine Integrationsstrategie bis 2016 erlassen. Es fehlt aber weiterhin auch nur an einem Plan zur Umsetzung. Außerdem steht für effektive Integrationsmaßnahmen kein Budget zur Verfügung.
64Vgl. AA, Auskunft vom 23. Juli 2015 an das VG Stuttgart; Dr. Valeria Illareva, Bericht für den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg vom 27. August 2015 über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien.
65Auf dieser Grundlage ist nicht die Prognose gerechtfertigt, dass die beschlossenen Strategien derart und rechtzeitig umgesetzt werden, dass sie die für den Kläger bestehende Gefahr einer Obdachlosigkeit beseitigen.
66Die Sicherung einer Unterkunft ist auch sonst nicht gewährleistet. Wegen einer Rückführung des Klägers ist Ansprechpartner für die Beklagte die Grenzpolizei Bulgariens (vgl. die Erklärung Bulgariens vom 11. Februar 2015 sowie Art. 13 Abs. 1 des Rückübernahmeabkommens). Es ist nicht gewährleistet, dass die bulgarische Grenzpolizei nach einer Einreisekontrolle weitere Maßnahmen ergreift, die einer (Not-)Versorgung des Klägers dienen. Das Bundesamt hat auch weder Kontakt mit der zuständigen bulgarischen Behörde aufgenommen, um zu Gunsten des Klägers eine konkrete und belastbare Zusicherung zu erhalten, dass im Falle seiner Abschiebung für diesen eine zur Grundversorgung hinreichende Unterkunft zur Verfügung steht, noch eine andere Maßnahme zur Abwendung der zu erwartenden Notlage ergriffen.
67Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 -, Juris, Rdnr. 189 am Ende = NJW 1996, 1665; Beschluss vom 17. September 2014 ‑ 2 BvR 1795/14 -, www.bverfg.de, Rdnr. 8.
68Bei einer solchen Sachlage würde es elementaren Grundsätzen der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) zuwiderlaufen, Personen, die ohne Unterkunft und nicht in der Lage sind, sich aus eigenem Bemühen eine solche zu verschaffen, anstelle einer Unterbringung durch die zuständige Behörde auf das Wohlwollen dritter Personen oder Stellen zu verweisen.
69Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. März 1992 – 9 B 3839/91 -, Juris, Rdnr. 9 = NWVBl. 1992, 180.
70Art. 16a Abs. 2 GG steht der Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK nicht entgegen.
71Grundsätzlich ist nach dieser Verfassungsvorschrift davon auszugehen, dass die Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention in Bulgarien sichergestellt ist. Nach Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG ist Bulgarien ein sicherer Drittstaat, weil es 2007 der Europäischen Union beigetreten ist. Die Verfassungsnorm erfasst die Staaten, die nach 1993 der Union beigetreten sind (dynamische Verweisung). Die Regelung ist auch nicht auf das Asylrecht im Sinn des Art. 16a Abs. 1 GG beschränkt. Sie erstreckt sich auf Abschiebungsverbote, soweit diese aus der Europäischen Menschenrechtskonvention folgen.
72Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, a. a. O., Rdnr. 186.
73Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestimmt Art. 16a Abs. 2 GG aber nicht eine Regel, die keine Ausnahmen zulässt. Der Regelungsgehalt des Art. 16a Abs. 2 GG folgt aus dem mit dieser Verfassungsnorm verfolgten Konzept einer normativen Vergewisserung über die Sicherheit im Drittstaat. Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Art. 16a Abs. 2 GG sieht nicht vor, dass dies im Einzelfall überprüft wird. Die Beklagte hat allerdings Schutz zu gewähren, wenn Abschiebungsverbote durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. So könnte sich beispielsweise im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK, wonach die Todesstrafe nicht konventionswidrig ist, ein Ausländer gegenüber einer Überstellung in den Drittstaat auf das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG berufen, wenn ihm dort die Todesstrafe drohen sollte. Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz durch den Drittstaat sind auch Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen unmenschlicher Behandlung (Art. 3 EMRK) greift und dadurch zum Verfolgerstaat wird. Weiterhin sind von dem Konzept der normativen Vergewisserung nicht erfasst Verhältnisse im Drittstaat, die sich schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG hierauf noch aussteht.
74Vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, a. a. O., Rdnr. 181 und 189.
75Die Voraussetzungen einer der vom Bundesverfassungsgericht bisher für eine Ausnahmesituation angeführten fünf Fallgruppen liegen hier nicht vor. Insbesondere liegt wegen der festgestellten Verletzung des Art. 3 EMRK keine Ausnahmesituation im Sinn der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung vor. Sie betrifft nicht allein den Kläger oder wenige Einzelfälle, sondern eine Vielzahl der Personen, denen in Bulgarien internationaler Schutz zuerkannt wird. Soweit mit dem Auslaufen des „Nationalen Programms zur Integration von Flüchtlingen in Bulgarien“ eine schlagartige Veränderung der Verhältnisse eingetreten ist, liegt die vom Bundesverfassungsgericht genannte Fallgruppe hier nicht vor, da sie sich auf Drittstaaten erstreckt, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung bestimmt sind, Bulgarien aber bereits kraft Verfassung sicherer Drittstaat ist.
76Die fünf Ausnahme-Fallgruppen, die das Bundesverfassungsgericht angeführt hat, sind aber nicht abschließend. Es wird zwar die Rechtsauffassung vertreten, die vom Bundesverfassungsgericht angeführten Fallgruppen seien nicht erweiterungsfähig, weil das Bundesverfassungsgericht u. a. die Erläuterung der letzten der Fallgruppe mit dem Wort „schließlich“ eingeleitet habe.
77Vgl. dazu Randelshofer, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 16a Abs. 2 (Februar 1999), Rdnr. 69; Moll/Pohl, Das Drittstaatenkonzept im unionsrechtlichen Kontext, ZAR 2012, 102, 104.
78Dies ist aber nicht der Fall. Das Bundesverfassungsgericht hat einstweilige Anordnungen erlassen, die die Möglichkeit voraussetzen, dass weitere Ausnahmen vom Konzept der normativen Vergewisserung bestehen. Die damals anhängigen Verfassungsbeschwerden gaben dem Bundesverfassungsgericht Anlass zur Untersuchung, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 16a Abs. 2 Sätze 1 und 3 GG für die fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei der Anwendung des § 34a AsylVfG trifft.
79Vgl. BVerfG, z. B. Beschluss vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09 -, www.bverfg.de, Rdnr. 4 = Juris; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 2 BvR 2767/09 -, www.bverfg.de, Rdnr. 4 = Juris.
80Dies hat das Verfassungsgericht insbesondere auf den Zeitraum bezogen, den die Organe der Europäischen Union benötigen, Erkenntnisse über bedrohliche Defizite des Asylsystems eines Mitgliedstaats auszuwerten und gegenüber dem Mitgliedsstaat erforderliche Maßnahmen durchzusetzen.
81Vgl. BVerfG, z. B. Beschluss vom 12. Oktober 2010 – 2 BvR 1902/10 -, www.bverfg.de, Rn. 4 = Juris; Beschluss vom 10. Dezember 2009 - 2 BvR 2767/09 -, a. a. O.
82In anderen Fällen hat das Bundesverfassungsgericht die Frage angesprochen, ob selbst strukturelle Defizite, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union bestehen, einen im Konzept der normativen Vergewisserung nicht aufgefangenen Sonderfall darstellen können, die Frage aber infolge von Darlegungsmängeln keiner Klärung zuführen können.
83Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 17. September 2014 – 2 BvR 732/14, 2 BvR 1795/14, 2 BvR 991/14 und 2 Bv2 BvR 939/14 -, jeweils www.bverfg.de, Rn. 9 = Juris.
84Die festgestellte Situation, die mit dem Auslaufen des „Nationalen Programms zur Integration von Flüchtlingen in Bulgarien“ entstanden ist, liegt außerhalb der Grenzen der normativen Vergewisserung über die Situation in Bulgarien. Basis jeder Ausnahme vom Konzept einer normativen Vergewisserung ist, dass die Beklagte Schutz zu gewähren hat, wenn Abschiebungsverbote durch Umstände begründet werden, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich selbst heraus gesetzt sind. Denn Art. 16a Abs. 2 GG will nicht den notwendigen Schutz verweigern. Die Vorschrift bezweckt, eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung zwischen den an einem solchen System beteiligten Staaten zu erreichen.
85Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 -, a. a. O., Rdnr. 153.
86Das Bundesverfassungsgericht ging bei seiner Entscheidung von 1996 zwar davon aus, dass bei Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine rasante Veränderung der für die Verfolgungssicherheit relevanten tatsächlichen Verhältnisse ausgeschlossen ist. Dies folgt aus der Kombinierung der Fallgruppe zu den Verhältnissen, die sich schlagartig ändern, mit dem Merkmal des Zeitraums einer ausstehenden Reaktion der Bundesregierung nach § 26a Abs. 3 AsylVfG.
87Vgl. Randelshofer, a. a. O., Rdnr. 70.
88Mit Blick auf die heute vorherrschenden Verhältnisse kann aber die Erwartung nicht aufrecht erhalten werden, dass bei Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine rasante Veränderung der für eine Verfolgungssicherheit relevanten tatsächlichen Verhältnisse ausgeschlossen ist. Sind die vom Bundesverfassungsgericht bisher benannten fünf Fallgruppen nicht abschließend, muss analog zu der o. a. Fallgruppe einer Veränderung der maßgeblichen Umstände entsprechendes für den Zeitraum gelten, den die Organe der Europäischen Union benötigen, Erkenntnisse über bedrohliche Defizite des Asylsystems eines Mitgliedstaats auszuwerten und gegenüber dem Mitgliedsstaat erforderliche Maßnahmen durchzusetzen. Dass die EU solche Maßnahmen ergriffen hat, um Art. 32 der Flüchtlingsschutz-RL und damit den Flüchtlingsschutz in Bulgarien zu wahren, und sie zugleich wegen der längeren Obdachlosigkeit anerkannter Flüchtlinge in Bulgarien Erfolge erzielt hat, ist nicht erkennbar. Die Europäische Kommission hat zwar im Juni 2013 wegen der Flüchtlingsschutz-RL ein Aufforderungsschreiben an Bulgarien gerichtet. Nachdem Bulgarien die Richtlinie nicht umgesetzt bzw. der Kommission die nationalen Umsetzungsmaßnahmen nicht mitgeteilt hatte, hat die Kommission auch am 23. September 2015 im Verletzungsverfahren 2014/0026 beschlossen, Bulgarien wegen Nichtmittteilung nationaler Maßnahmen zur Umsetzung der Flüchtlingsschutz-RL eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln (Art. 258 AEUV; sog. zweite Stufe eines Vertragsverletzungsverfahrens).
89Vgl. Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 23. September 2015, “Mehr Verantwortung bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise: Europäische Kommission bringt Gemeinsames Europäisches Asylsystem auf Kurs und leitet 40 Vertragsverletzungsverfahren ein“, http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5699_de.htm; vgl. auch die Aufstellung der Generaldirektion Migration und Inneres zu den Verletzungsverfahren, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-is-new/eu-law-and-monitoring/infringements_by_country_bulgaria_en. htm.
90Es ist aber nicht festzustellen, dass Bulgarien auf dieser Grundlage Änderungen bei der Gewährung von Unterkünften oder bei der Gewährung finanzieller Mittel zur Anmietung von Unterkünften eingeleitet hat.
91Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.
(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.
(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.
(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.
(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.