Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I.

Der Antrag wird abgelehnt.

II.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

Die Antragsteller sind eigenen Angaben zufolge Staatsangehörige der Republik Aserbaidschan. Die Antragsteller zu 1) und 2) reisten nach ihren eigenen Angaben am 22. September 2015 in das Bundesgebiet ein, der Antragsteller zu 3) wurde am ... 2015 in Fürth geboren. Sie stellten am 15. Dezember 2015 einen Asylantrag.

Bei ihrer Anhörung zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 11. Februar 2016 gaben die Antragsteller an, Aserbaidschan am 19. September 2015 verlassen und nach drei Tagen Deutschland erreicht zu haben. Die Reise habe sie durch die Russische Föderation geführt, der Rest des Reisewegs sei ihnen unbekannt. Sie hätten in keinem anderen Mitgliedstatt der Europäischen Union internationalen Schutz beantragt. Bei der ebenfalls am 11. Februar 2016 durchgeführten Zweitbefragung gab der Antragsteller zu 1) an, er leide an Asthma, sei deshalb in ärztlicher Behandlung und nehme auch Medikamente. Hierzu legte er einen Arztbrief vom 30. Dezember 2015 vor.

Die Antragsteller befanden sich im Besitz von französischen Schengen-Visa, weshalb das Bundesamt am 29. Januar 2016 ein Übernahmeersuchen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Frankreich richtete. Unter dem 11. Februar 2016 erklärte Frankreich seine Bereitschaft, zur Rückübernahme der Antragsteller und seine Zuständigkeit gemäß Art 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Bearbeitung der Asylanträge.

Mit Bescheid vom 20. Mai 2016, zugestellt am 2. Juni 2016, lehnte das Bundesamt den Asylantrag der Antragsteller als unzulässig ab (Nr. 1), ordnete ihre Abschiebung nach Frankreich an (Nr. 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf 9 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Asylanträge seien gemäß § 27a Asylgesetz (AsylG) unzulässig, weil Frankreich aufgrund der erteilten Visa gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Zum einen habe der Antragsteller zu 1) bislang die behauptete Erkrankung nicht durch ein fachärztliches Attest nachgewiesen, zum anderen gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass Asthma in Frankreich nicht behandelbar sei. Nach dem Bericht von AIDA vom 7. Mai 2013 hätten Asylbewerber in Frankreich während des Verfahrens kostenlosen Zugang zur staatlichen Gesundheitsversorgung. Asylbewerber, die ein beschleunigtes Verfahren oder eine Dublinverfahren durchliefen, erhielten medizinische Grundversorgung. Gründe für die Annahme systemischer Mängel des französischen Asylsystems lägen nicht vor. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 AsylG.

Die Antragsteller erhoben am ... Juni 2016 Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 20. Mai 2016 und beantragen zugleich,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage wiederherzustellen, im Übrigen anzuordnen.

Sie seien besonders schutzbedürftig, was die Ausübung des Selbsteintrittsrechts rechtfertige. Der Asylantrag müsse im nationalen Verfahren überprüft werden. Die Antragstellerin zu 2) sei aus der Heimat geflohen, weil sie hätte zwangsverheiratet werden sollen. Sie sei mit dem Antragsteller nach Frankreich gereist, was ihre Verwandten aber inzwischen herausgefunden hätten. Diese seien hinter der Antragstellerin her, weil sie mit dem Antragsteller zu 1) ein uneheliches Kind, den Antragsteller zu 3), bekommen habe. In Frankreich gebe es Bekannte, die schon aktiv nach der Antragstellerin suchten. Die Eltern wollten einen Ehrenmord begehen. Die Familie habe auf Ehrenmord geschworen. Das Leben der Antragstellerin sei in Gefahr, wenn sie nach Frankreich zurückkehre. Sie sei durch die Geschehnisse stark traumatisiert. In Abwesenheit des Antragstellers zu 1) sei die Antragstellerin zudem in der Unterkunft von männlichen Asylsuchenden belästigt worden; auch sei es dem Neugeborenen unzumutbar, lange Reisen in die Ungewissheit zu unternehmen. Es wurde die Bescheinigung der ...-Klinik über einen Termin der Antragstellerin in der dortigen psychiatrischen Ambulanz am 28. Juni 2016 vorgelegt, ferner ein allgemeinärztliches Attest vom 27. Juni 2016 für den Antragsteller zu 1), dass er wegen des „bekannten Asthma“ nur eingeschränkt reisefähig sei. Schließlich wurde ein ärztliches Attest einer Allgemein- und Kinderärztin vom 28. Juni 2016 vorgelegt, worin berichtet wird, die Ärztin sei am 20. Januar 2016 zu den Antragstellern gerufen worden. Die Antragstellerin habe verunsichert und hilflos gewirkt, der Antragsteller zu 1) habe über gesundheitliche Probleme der Atemwege im Sinne eines Asthma bronchiale mit Rezidivpneumonien und einer chronischen Pansinusitis berichtet. Diese Erkrankungen hätten eine stationäre Behandlung vom 14. bis 18. März 2016 nötig gemacht. Die Familie habe an dem Ort ihrer Unterbringung allmählich Sicherheit gewonnen und Beziehungen aufgebaut. Es sei sehr zu empfehlen, diese Entwicklung nicht abzubrechen und damit das Wohlergehen der Familie zu gefährden. Schließlich ließen die Antragsteller ein vom 28. Juni 2016 datierendes Gedächtnisprotokoll eines Arztes vorlegen, der darin sein Zusammentreffen mit den Antragstellern am 19. Januar 2016 als Koordinator des örtlichen Helferkreises schildert und deren Hilfebedürfnis hervorhebt.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

II.

1. Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Da sich der angegriffene Bescheid des Bundesamts nach summarischer Prüfung als rechtmäßig erweist, führt die vorzunehmende Interessenabwägung zu einem Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses.

An der Rechtmäßigkeit der auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (vgl. § 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

1. Frankreich hat das Übernahmeersuchen vom 29. Januar 2016 mit Schreiben vom 11. Februar 2016 akzeptiert. Gründe i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO, die der Überstellung der Antragsteller nach Frankreich entgegenstehen, ergeben sich weder aus den Ausführungen zur Begründung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes noch sind sie sonst ersichtlich.

Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitglied-staaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris; B. v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - juris Rn. 5 f.).

Ausgehend hiervon stehen der Rückführung der Antragsteller nach Frankreich systemische Mängel des französischen Asylverfahrens und des dortigen Flüchtlingsaufnahmesystems i. S. d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht entgegen. Hierzu wird weder konkret vorgetragen noch sind systemische Mängel ersichtlich. In Bezug auf Frankreich ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass den Antragstellern im Falle seiner Rücküberstellung dort eine menschenunwürdige Behandlung droht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Frankreich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (vgl. VG München, U. v. 20.5.2016 - M 12 K 15.50772 - juris Rn. 32 m. w. N.).

Der Umstand, dass beim Antragsteller Hinweise auf ein Asthma bronchiale bestehen und die Antragstellerin zu 2) möglicherweise unter einer psychiatrischen Erkrankung leidet, führt ebenfalls nicht zur Übernahme der Zuständigkeit für die Asylverfahren der Antragsteller durch die Bundesrepublik Deutschland. Zum einen ist davon auszugehen, dass sowohl der Antragsteller zu 1) wie auch die Antragstellerin zu 2) in Frankreich die notwendige medizinische Behandlung erlangen können (vgl. die Informationen der französischen Botschaft zum Asylrecht in Frankreich http://www.ambafrance-de.org/Asylrecht-in-Frankreich sowie AIDA Länderreport Frankreich Dezember 2015, S. 85 f. http://www.asylumineurope.org/sites /default/files/report-download/aida_fr_update_iv.pdf ).

Die im Übrigen bislang nicht nachgewiesenen Erkrankungen stellen auch keinen individuellen, außergewöhnlichen humanitären Grund dar, der die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO rechtfertigen würde. Ebenso verhält es sich mit der erstmals im Gerichtsverfahren vorgebrachten Furcht der Antragsteller vor gewalttätigen Übergriffen der Familie der Antragstellerin wegen ihrer Beziehung zum Antragsteller zu 1) und der Geburt des Antragstellers zu 3). Im Falle einer tatsächlichen Gefährdung ist es den Antragstellern zumutbar, bei den französischen Sicherheitsbehörden Schutz zu suchen. Im Übrigen ist bereits nicht recht nachvollziehbar, warum die Antragsteller die behauptete Gefährdung durch einen Ehrenmord nicht schon beim Bundesamt vorgetragen, sondern im Gegenteil verschwiegen haben, in Frankreich gefährdet gewesen zu sein. Auch überzeugt nicht, warum die Antragsteller zwar in Frankreich aufgespürt worden, dann aber in Deutschland vor Entdeckung sicher sein wollen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sie - unterstellt die behauptete Gefährdung besteht tatsächlich - in Deutschland höchstens vorübergehend unentdeckt blieben.

2. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Beschluss, 29. Juli 2016 - M 1 S 16.50357

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 80 Ausschluss der Beschwerde


Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34a Abschiebungsanordnung


(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht

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(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig und die Anordnung seiner Überstellung nach Frankreich im Rahmen des so genannten „Dublin-Verfahrens“.

Der am ... ... ... geborene Kläger ist nach eigenen Angaben irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yedizidischer Religionszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge reiste er am 2. Februar 2015 zusammen mit seiner Schwester ..., der Klägerin im Verfahren M 12 K 15.50774, in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte hier am 13. März 2015 einen Asylantrag.

Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 23. April 2015 erklärte er unter anderem, sein Herkunftsland am 1. November 2014 mit dem Bus verlassen zu haben. Nachdem er sich zwei Monate in der Türkei aufgehalten habe, sei er zunächst mit seiner Schwester nach Brasilien geflogen. Von dort sei er nach ungefähr 20 Tagen weiter nach Paris geflogen, wo ihm Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Anschließend sei er zusammen mit seiner Schwester mit dem Taxi von Paris nach ... zu seinem in Deutschland lebenden Bruder gefahren. Sein Bruder sowie weitere Verwandte lebten in Deutschland. Er möchte in Deutschland eine Schule besuchen sowie eine Berufsausbildung absolvieren. In Deutschland fühle er sich wohl und in Sicherheit. Er sei auf die Hilfe seines Bruders angewiesen, der ihn bei sprachlichen Problemen unterstütze. Seine Schwester ... sei auf seine Unterstützung angewiesen, da er ihr bei sprachlichen Problemen helfe.

Ein Abgleich der Fingerabdrücke des Klägers am 16. März 2015 ergab einen EURODAC-Treffer (Nr. FR2...) für Frankreich. Auf das Übernahmeersuchen vom 26. März 2015 hin erklärten sich die französischen Behörden mit Schreiben vom 22. Mai 2015 mit der Wiederaufnahme des Klägers gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO einverstanden.

Mit Schreiben vom .... April 2015 zeigte der Bevollmächtigte des Klägers dessen Vertretung an und führte aus, dass sich die Frage einer Rückschiebung nach Frankreich nicht stelle. Während seines kurzen Aufenthalts in Paris habe der Kläger das Flughafengelände nicht verlassen. Die französischen Behörden hätten ihn vor die Wahl gestellt, entweder einen Asylantrag zu stellen oder weiterzureisen. Der Kläger habe von Anbeginn an nach Deutschland reisen wollen, wo sämtliche Angehörigen lebten. In Frankreich hätte er zu keinem Zeitpunkt einen Asylantrag stellen wollen. Er würde sich dort bereits deshalb fürchten, weil in Frankreich mehr Moslems als Yeziden lebten und er als Yezid dort keinerlei Sicherheit zu erwarten hätte.

Mit Bescheid vom 27. August 2015, ausweislich der Postzustellungsurkunde zugestellt am 4. September 2015, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Nr. 2 des Bescheides). Des Weiteren wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 0 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 3 des Bescheids).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da Frankreich aufgrund der illegalen Einreise nach Frankreich vor weniger als zwölf Monaten gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich. Auch die Einwände im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 23. April 2015 könnten nicht dazu führen. Zwar sei es möglich, dass nach Art. 9 Dublin III-VO der Antrag auf internationalen Schutz in dem Mitgliedstaat geprüft werde, in dem bereits ein Familienangehöriger in seiner Eigenschaft als Begünstigter internationalen Schutzes in einem Mitgliedstaat aufenthaltsberechtigt sei, oder nach Art. 10 Dublin III-VO der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sei, in dem über den Antrag auf internationalen Schutz eines Familienangehörigen entschieden werde, bei dem noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen sei. Nach Art. 2 lit. g Dublin III-VO handle es sich bei den Geschwistern des Klägers jedoch nicht um Familienangehörige im Sinne der Dublin III-VO. Ferner sei davon auszugehen, dass ihm in Frankreich der notwendige Schutz vor eventuellen Übergriffen durch Dritte gewährt werde. Er habe die Möglichkeit, sich an die französischen Behörden zu wenden, um Schutz zu erhalten. Eine mangelnde Schutzbereitschaft oder Schutzfähigkeit der französischen Behörden sei nicht bekannt. Daher werde der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland materiell nicht geprüft. Die Anordnung der Abschiebung nach Frankreich beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG. Das Bundesamt müsse des Weiteren das Einreiseverbot gemäß § 75 Ziff. 12 AufenthG im Fall einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG befristen. Die Festsetzung der Befristung des Einreiseverbots auf 0 Monate sei erfolgt, weil es in dem neuen Aufenthaltsgesetz vom 1. August 2015 keine Übergangsregelung für Altfälle gebe, in denen eine Gewährung rechtlichen Gehörs zur Befristung noch nicht erfolgt sei. Die notwendige nachträgliche Gehörsgewährung vor Festsetzung der Frist würde aus Zeitgründen die Einhaltung der Überstellungsfrist von sechs Monaten nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO gefährden und hätte deshalb unterbleiben müssen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger mit Telefax seines Bevollmächtigten vom .... September 2015 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,

den Bescheids vom 27. August 2015 aufzuheben.

Zur Begründung wurde mit Schreiben vom .... September 2015 im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Bescheid der Beklagten rechtswidrig sei. Ein Großteil der Familienangehörigen und Verwandten des Klägers lebe in Deutschland. Seit kurzem seien auch seine Eltern in Deutschland angekommen und hätten hier Asylantrag gestellt. Es lägen damit außergewöhnliche, humanitäre Gründe vor, die die Beklagte veranlassen müssten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auszuüben. Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO sehe vor, dass die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, dem Antragsteller mitzuteilen sei und dass diese zu begründen sei. Demnach sei auch die Ermessensentscheidung zur Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts zu begründen. Wenn in dem streitgegenständlichem Bescheid lediglich ausgeführt werde, dass keine außergewöhnlichen, humanitären Gründe vorlägen, die die Beklagte veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-Verordnung auszuüben, dann fehle jegliche Auseinandersetzung mit der Situation des Betroffenen. Nach der maßgeblichen Bescheidsbegründung liege ein völliger Ermessensausfall vor (vgl. VG Regensburg, U.v. 7.2.2012 - RO 7 K 11.30142 - juris).

Ein gleichzeitig mit der Klageerhebung gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wurde mit Beschluss des Gerichts vom 30. Dezember 2015 (Az.: M 12 S 15.50773) abgelehnt. Der Beschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers und dem Bundesamt am 19. Januar 2016 zugestellt.

Das Bundesamt legte mit Schreiben vom 9. September 2015 die Behördenakte vor. Ein Antrag wurde nicht gestellt.

Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 11. April 2016 zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Mit Schreiben vom .... April 2016 übersandte der Bevollmächtigte des Klägers das ärztliche Attest von Dr. med. ... B..., Allgemeinarzt - Naturheilverfahren, vom 12. April 2016. Dem Attest lässt sich entnehmen, dass der Kläger seit dem Abschiebungsversuch am Mittwoch vor zwei Wochen unter Durchschlafstörungen mit Albträumen und schweißgebadetem Aufwachen leide. Er träume, dass die Polizei wiederkommen und ihn in den Irak zurückschicken werde. Auch alte Erinnerungen vom IS im Irak kämen wieder hoch. Es bestehe der Verdacht, dass der Kläger eine akute Angststörung entwickle. Der Kläger sei medikamentös eingestellt worden. Eine psychiatrische Abklärung wäre im Verlauf ratsam.

In der mündlichen Verhandlung teilte der Bruder des Klägers, Herr ... ... ..., mit, dass die Eltern des Klägers sowie die miteingereisten minderjährigen Geschwister ... und ... inzwischen von der Beklagten als Asylberechtigte anerkannt worden seien. Eine weitere Schwester des Klägers lebe mit ihrem Sohn ebenfalls im Bundesgebiet. Insgesamt lebten ca. 150 Familienangehörige des Klägers in Bayern. Der Kläger besuche im Bundesgebiet die Berufsschule in ... ....

Des Weiteren wurde in der mündlichen Verhandlung ein ärztliches Attest von Herrn Dr. med. ...-... S..., Arzt für Neurologie und Psychiatrie, vom 29. April 2016 übergeben, wonach der Kläger an einem reaktivdepressivem Syndrom mit Angst- und Paniküberlagerung leide. Es werde eine medikamentöse Behandlung mit Pregabalin, Opipramol und Mirtazapin versucht.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren als auch in den Verfahren M 12 S 15.50773, M 12 S 15.50775 und M 12 K 15.50774 sowie auf die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 10. Mai 2016 entschieden werden, obwohl für die Beklagte kein Vertreter erschienen ist. Die Beklagte wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 21. April 2016 form- und fristgerecht zur mündlichen Verhandlung geladen und in den Ladungsanschreiben vom 14. April 2016 darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-). Die Regierung von Oberbayern, die sich als Vertreter des öffentlichen Interesses am Verfahren beteiligt, hat in den generellen Beteiligungserklärungen vom 11. Mai 2015 und vom 18. Mai 2015 darum gebeten, ihr ausschließlich die jeweilige Letzt- und Endentscheidung zu übersenden, und damit auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung verzichtet.

Die Klage ist nur zum Teil zulässig (1.). Soweit sie zulässig ist, ist sie unbegründet (2.).

1. Die Klage ist bereits unzulässig, soweit sie sich gegen das in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides vom 27. August 2015 enthaltene und auf der Grundlage von § 11 AufenthG erlassene Einreise - und Aufenthaltsverbot richtet. Denn die hier vom Bundesamt gewählte Befristung des Einreise - und Aufenthaltsverbots auf 0 Monate beinhaltet schon keine rechtliche Beschwer und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 42 Abs. 2 VwGO).

2. Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 27. August 2015 erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 des Asylgesetzes - AsylG; vormals: AsylVfG) als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2.1. Die Beklagte hat den Asylantrag des Klägers vom 13. März 2015 in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides vom 27. August 2015 zu Recht als unzulässig abgelehnt.

2.1.1. Gemäß § 27a AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das Bundesamt kann in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Im Fall des Klägers ist Frankreich aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union i. S.v. § 27a AsylG für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.

Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist vorliegend die am 19. Juli 2013 in Kraft getretene Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO). Diese findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle in der Bundesrepublik ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendung, also auch auf das am 13. März 2015 gestellte Schutzgesuch des Klägers.

Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien ist vorliegend Frankreich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO ist derjenige Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, über dessen Grenze der Asylbewerber aus einem Drittstaat illegal eingereist ist. Ausweislich des bei einer EURODAC-Abfrage für den Kläger erzielten Treffers mit der Kennzeichnung „FR2“ wurde dieser in Frankreich bei dem illegalen Überschreiten der Grenze auf dem Land-, See- oder Luftweg von den zuständigen französischen Kontrollbehörden aufgegriffen (vgl. Art. 24 Abs. 4 i. V. m. Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 vom 26. Juni 2013 (EURODAC-VO). Anhaltspunkte dafür, dass diese Daten unzutreffend sind, bestehen nicht, zumal nach Art. 23 Abs. 1 lit. c) EURODAC-VO eine europarechtliche Richtigkeitsgewähr der Mitgliedstaaten bezüglich der erhobenen und übermittelten Daten besteht. Der Kläger hat zudem bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 23. April 2015 bestätigt, dass er im Januar 2015 ohne gültiges Grenzübertrittspapier nach Frankreich eingereist ist und ihm dort Fingerabdrücke abgenommen wurden. Entgegen dem Vorbringen des Bevollmächtigten des Klägers ist auch anzunehmen, dass der Kläger den Transitbereich des Flughafens verlassen hat, so dass von einer illegalen Einreise in Frankreich auszugehen ist. Bereits nach seinen eigenen Angaben hat der Kläger den Transitbereich des Flughafens in Paris verlassen und ist von dort aus mit dem Taxi nach ... gefahren. Die Zuständigkeit Frankreichs ist auch nicht gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO erloschen, da zum Zeitpunkt der erstmaligen Asylantragstellung im März 2015 der illegale Grenzübertritt noch nicht länger als zwölf Monate zurücklag (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO). Damit ist vorliegend Frankreich der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat, unabhängig davon, ob der Kläger dort einen Asylantrag gestellt hat.

2.1.2. Die gegenüber Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO vorrangigen Zuständigkeitsbestimmungen der Art. 9, 10 und 11 Dublin III-VO kommen im Fall des Klägers nicht zur Anwendung. Diese beinhalten besondere Zuständigkeitsregelungen, die dem Schutz der familiären Beziehungen zwischen minderjährigen Kindern, ihren Eltern und Geschwistern dienen. Nach der bindenden Definition in Art. 2 g) Dublin III-VO gehören jedoch weder seine inzwischen im Bundesgebiet lebenden Eltern noch seine Geschwister zum Personenkreis der Familienangehörigen im Sinne der Verordnung, da der am... ... ... geborene Kläger nicht mehr minderjährig (vgl. Art. 2 i) Dublin III-VO) ist.

2.1.3. Die Zuständigkeit Frankreichs ist auch nicht aus verfahrensbezogenen Gründen auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Insbesondere wurde das Gesuch um Aufnahme des Klägers innerhalb von zwei Monaten nach Mitteilung der EURODAC-Treffermeldung an Frankreich gerichtet (Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin-III-VO). Auch auf Grundlage von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO ergibt sich keine Zuständigkeit der Beklagten. Gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO hat die Überstellung des Asylantragstellers vom ersuchenden Staat in den ersuchten Staat spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese nach Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat, zu erfolgen. Ein Rechtsbehelf bzw. eine Überprüfung mit aufschiebender Wirkung im unionsrechtlichen Sinne der Verordnung liegt nach Art. 27 Abs. 3 lit. c Dublin III-Verordnung dann vor, wenn der Asylantragsteller bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung beantragen kann. Der deutsche Gesetzgeber hat diesbezüglich in § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG geregelt, dass die Abschiebung bei rechtzeitiger Stellung eines Eilantrags nach § 80 Abs. 5 VwGO vor der gerichtlichen Entscheidung über diesen Antrag nicht zulässig ist. Dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO kommt damit aufschiebende Wirkung im Sinne des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO zu. Leitet der Asylantragsteller ein solches Verfahren ein, so beginnt die Überstellungsfrist daher nicht bereits mit dem Zugang der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat zu laufen, sondern nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung erst mit der Bekanntgabe der endgültigen Entscheidung über den auf § 34a Abs. 2 AsylG i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO gestützten Eilantrag (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 - AN 14 K 15.50316 - juris Rn. 18; Sächs. OVG, B.v. 5.10.2015 - 5 B 259/15.A - juris; VG Aachen, U. v. 19.8.2015 - 6 K 2553/14.A - juris; VG Düsseldorf, B.v. 29.12.2014 - 23 L 3127/14.A - juris; VG Karlsruhe, B.v. 30.11.2014 - A 5 K 2026/14 - juris; Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Kommentar, Stand: 1. 2. 2014, Art. 29 Anm. K4 und K7 ). Hiervon ausgehend ist die Überstellungsfrist zum maßgeglichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) noch nicht abgelaufen, da der Beschluss vom 30. Dezember 2015, mit dem der Antrag des Klägers nach § 80 Abs. 5 VwGO abgelehnt wurde, dem Bundesamt sowie seinem Bevollmächtigten erst am 19. Januar 2016 zugestellt wurde.

2.1.4. Besondere Umstände, die die Zuständigkeit der Beklagten nach Art. 3 Abs. 2 UnterAbs. 2 Dublin III-VO begründen würden, liegen nicht vor. Insbesondere kann der Kläger einer Überstellung nach Frankreich auch nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Frankreich systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so dass eine Überstellung nach Frankreich unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO).

Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention - EMRK - finden (EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 - juris). Daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EU-Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht (EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O., juris Rn. 80).

Die diesem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.) bzw. dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - juris) zugrunde liegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S.v. Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVwerG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 5 f. m. w.N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten - nicht rein quantitativen - Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegensprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 - A 11 S 1721/13 - juris).

In Bezug auf Frankreich ist nach aktuellem Kenntnisstand nicht davon auszugehen, dass dem Kläger im Falle seiner Rücküberstellung in dieses Land eine menschenunwürdige Behandlung im eben beschriebenen Sinn droht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Frankreich über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren verfügt, welches prinzipiell funktionsfähig ist und insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss (vgl. VG München, U.v. 24.11.2015 - M 12 K 15.50786; VG Augsburg, U.v. 19.10.2015 - Au 5 K 15.50438 - juris; VG Bayreuth, U.v. 18. 12. 2014 - B 3 K 14.50103 - juris; VG Bremen B.v. 4. 8. 2014 - 1 V 798/14 - juris; VG Dresden, B.v. 13.11.2014 - A 2 L 1278/14 - juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 10. 9. 2014 - 7a L 1301/14.A - juris; VG Ansbach, B.v. 29. 7. 2014 - AN 4 S 14.50055 - juris; VG Düsseldorf, B.v. 24. 7. 2014 - 13 L 1502/14.A - juris). Es ist weder konkret vorgetragen noch ersichtlich, dass in Frankreich systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen.

Frankreich gilt außerdem als sicherer Drittstaat i. S. des Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, § 26a AsylG. Hinderungsgründe für eine Abschiebung in einen derartigen sicheren Drittstaat ergeben sich nur ausnahmsweise dann, wenn der Asylsuchende individuelle konkrete Gefährdungstatbestände geltend machen kann, die ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts der normativen Vergewisserung von Verfassungs- und Gesetzes wegen berücksichtigt werden können und damit von vorneherein außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich heraus gesetzt sind. Dies ist - bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat - etwa dann der Fall, wenn sich die für die Qualifizierung des Drittstaats als sicher maßgebenden Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalls sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen (BVerfG, U.v. 14.5. 1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49). Die Sonderfälle in diesem Sinn entsprechen inhaltlich den systemischen Mängeln, die zu einer Gefahr für unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Asylsuchenden führen, im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Solche Sonderfälle liegen, wie oben dargestellt, im Falle Frankreichs nicht vor.

Auch in Anbetracht der bei ihm vor kurzem attestierten psychischen Erkrankung (reaktivdepressives Syndrom mit Angst- und Paniküberlagerung) ergeben sich keine Gründe, die ausnahmsweise zur Annahme einer individuellen Gefahr für den Kläger führen könnten, in Frankreich einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, als Frankreich über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die französischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage steht Asylsuchenden in Frankreich ein Anspruch auf kostenlose staatliche medizinische Versorgung zu. Die ärztliche Betreuung der Asylbewerber wird dabei in der ersten Zeit in den hierfür vorgesehenen Einrichtungen sichergestellt. Danach werden sie über die Basisversicherung für Bedürftige CMU und die Zusatzversicherung CMU-C kostenfrei abgesichert. Die Leistungen entsprechen dabei denen der allgemeinen Krankenversicherung (vgl. hierzu: Homepage der französischen Botschaft, abrufbar unter: http://www.ambafrancede.org/Reformdes-Asylrechts-Frankreichbeschleunigt-Verfahren; AIDA-Länderbericht zu Frankreich, Stand: Dezember 2015, Seiten 85 ff., abrufbar unter: http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/reportdownload/aida_fr_update_iv.pdf). Für das Gericht besteht daher kein Anlass zu Zweifeln daran, dass die vom Kläger geltend gemachte psychische Erkrankung in Frankreich als einem Mitgliedstaat der Europäischen Union mit hohem medizinischem Standard behandelt werden können und dass entsprechende Behandlungsmöglichkeiten auch Asylsuchenden offenstehen.

Ebenso wenig vermag das Vorbringen des Klägers, wonach er als Yezid in Frankreich keinerlei Sicherheit zu erwarten habe, seinem Antrag zum Erfolg zu verhelfen. Konkrete Anhaltspunkte für eine Schutzunfähigkeit oder Schutzunwilligkeit der französischen Behörden gibt es nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht. Diesbezüglich lebensbedrohliche Umstände in Frankreich wurden darüber hinaus auch nicht konkret vorgetragen.

2.1.5. Die Beklagte ist auch nicht gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO zu einer Familienzusammenführung des Klägers mit seinen Eltern und Geschwistern verpflichtet. Nach dieser Vorschrift entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller nicht von einem Elternteil oder einem seiner Geschwister zu trennen, wenn der Antragsteller wegen einer schweren Krankheit oder ernsthafter Behinderung auf die Unterstützung eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen ist, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, eines der Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben. Die Zuständigkeitsregelung des Art. 16 Abs. 1 Dublin III-VO beruht auf der humanitären Pflicht, Antragsteller, die auf die Hilfe bestimmter enger Bezugspersonen angewiesen sind, zusammenzuführen. Das die Zuständigkeit begründende Abhängigkeitsverhältnis bleibt dabei auf Ausnahmesituationen besonderer Hilfsbedürftigkeit beschränkt (vgl. Filzweiser/Sprung, Dublin III-Verordnung, Kommentar, Stand: 1.2.2014, K3 zu Art. 16; VG Ansbach, B.v. 5.3.2015 - AN 14 S 15.50026 - juris Rn. 21). Ein solches besonders Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Kläger und seinen Eltern oder Geschwistern ist vorliegend nicht ersichtlich. Den beiden vorgelegten ärztlichen Attesten vom 12. April 2016 und 29. April 2016 lässt sich nicht entnehmen, dass der Kläger infolge der bei ihm diagnostizierten psychischen Erkrankung in seiner Lebensführung derart beeinträchtigt ist, dass er zwingend auf die Lebenshilfe seiner Geschwister oder eines Elternteils angewiesen wäre. Auch die vom Kläger geltend gemachten Sprachprobleme sind nicht geeignet, um ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis im vorgenannten Sinne zu begründen.

2.1.6. Des Weiteren kann der Kläger auch keine Verpflichtung der Beklagten zum Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO beanspruchen. Nach dieser Vorschrift kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in der Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Bei Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO handelt es sich um eine restriktiv zu handhabende Ausnahmebestimmung, die eine Zuständigkeitsübernahme in Fällen ermöglicht, in denen außergewöhnliche humanitäre, familiäre oder krankheitsbedingte Gründe vorliegen, die nach Maßgabe der Werteordnung der Grundrechte einen Selbsteintritt erfordern. Vor diesem unionsrechtlichen Hintergrund ist die im weiten Ermessen der Beklagten stehende Entscheidung, von ihrem Selbsteintrittsrecht im Fall des Klägers keinen Gebrauch zu machen, hier rechtlich nicht zu beanstanden. Es erscheint nicht ermessensfehlerhaft, die in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden verwandtschaftlichen Beziehungen sowie die geltend gemachte psychische Erkrankung als nicht hinreichende besondere humanitäre Gründe zur Wahrnehmung des Selbsteintrittsrechts anzusehen. Allein das Vorhandensein einer - auch schweren - Erkrankung begründet noch keinen Anspruch auf die Ausübung des Selbsteintrittsrechts im Wege der Ermessensreduzierung auf Null, wenn diese regelmäßig auch im zuständigen Mitgliedstaat behandelbar ist (vgl. VG Köln, U.v. 6. 11. 2015 - 18 K 4016/15.A - juris Rn. 49). Für das Gericht besteht vorliegend auch kein Anlass zu Zweifeln daran, dass die attestierte psychische Erkrankung des Klägers auch in Frankreich behandelt werden könnte und entsprechende Behandlungsmöglichkeiten Asylsuchenden auch offenstehen (s.o.).

Darüber hinaus begründen die Bestimmungen der Dublin III-VO - auch hinsichtlich der Selbsteintrittskompetenz - grundsätzlich keine subjektiven Rechte des Asylbewerbers. Sie dienen als innerstaatliche Organisationsvorschriften vielmehr in erster Linie der klaren und praktikablen Bestimmung der Zuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten (vgl. hierzu die Erwägungsgründe 3 und 16 der Verordnung, OVG R-P, U.v. 21.2.2014 - 10 A 10656/13 - juris; VG Düsseldorf, B.v. 9.1.2015 - 13 L 2878/14.A - juris). Allenfalls in Fällen, in denen die Durchsetzung einer Zuständigkeit nach der Dublin III-VO eine Verletzung der EMRK bedeuten würde, käme möglicherweise ein subjektives Recht des Drittstaatsangehörigen auf Durchsetzung der Ausübung des Selbsteintrittsrechts in Betracht (Filzwieser/Sprung, a. a. O., K2 und K3 zu Art. 17). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

Nach alledem erweist sich die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig in Ziffer 1. des streitgegenständlichen Bescheids daher als rechtmäßig.

2.2. Auch die in Ziffer 2 des verfahrensgegenständlichen Bescheids auf Grundlage von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG angeordnete Abschiebung nach Frankreich ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen die rechtliche und tatsächliche Durchführbarkeit der Abschiebung des Klägers nach Frankreich bestehen keine Bedenken. Die französischen Behörden haben der Rückführung des Klägers mit Schreiben vom 22. Mai 2015 ausdrücklich zugestimmt. Ein der Abschiebung nach Frankreich entgegenstehendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis ist ebenfalls nicht ersichtlich:

Ein Anspruch auf Aussetzung der Abschiebung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist unter anderem gegeben, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert und wenn diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann. Diese Voraussetzungen können nicht nur erfüllt sein, wenn und solange der Ausländer ohne Gefährdung seiner Gesundheit nicht transportfähig ist (Reiseunfähigkeit im engeren Sinne), sondern auch, wenn die Abschiebung als solche außerhalb des Transportvorgangs eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bewirkt und diese Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne; vgl. BayVGH, U.v. 18.10.2013 - 10 CE 13.1890 - juris). Ebenso kann eine konkrete, ernstliche Suizidgefährdung mit Krankheitswert zu einem Abschiebungshindernis führen (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2013 - 10 CE 12.2396 - juris Rn. 11).

Bei einer psychischen Erkrankung kann außer in Fällen einer eigentlichen Flugreise- bzw. Transportuntauglichkeit nur dann von einer Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne ausgegangen werden, wenn entweder im Rahmen einer Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Ausländers droht, der auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise wirksam begegnet werden kann, oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung bzw. als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine erhebliche und nachhaltige Verschlechterung des Gesundheitszustands droht, die allerdings - in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen - nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betreffenden mit den Gegebenheiten im Zielstaat bewirkt werden darf. Ferner kann ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis aufgrund einer (auch psychischen) Erkrankung vorliegen, wenn dem Ausländer bei seiner Ankunft im Zielstaat eine Gefährdung im Sinne des oben aufgezeigten Maßstabs droht, weil es an einer erforderlichen, unmittelbar nach der Ankunft einsetzenden Versorgung und Betreuung fehlt.

Hiervon ausgehend lässt sich ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis vorliegend nicht festzustellen. Dass sich der Gesundheitszustand des Klägers durch und während des eigentlichen Vorgangs des „Reisens“ wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht, geht aus keinem der vom Kläger vorgelegten ärztlichen Atteste hervor. Die Atteste vom 12. April 2016 und vom 29. April 2016 lassen überdies weder darauf schließen, dass im Falle einer Abschiebung aus dem Bundesgebiet mit einem Suizidversuch des Klägers gerechnet werden müsste noch dass sich sein Gesundheitszustand durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert. Vielmehr beschränken sich die vorgenannten Atteste auf die Darstellung der beim Kläger zu beobachtenden Symptomatik, ohne hierbei auf die Frage der Reisefähigkeit des Klägers oder etwaige gesundheitliche Folgen infolge einer Abschiebung nach Frankreich einzugehen. Ein Attest, das die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, nicht nachvollziehbar darlegt, ist zur Glaubhaftmachung eines Abschiebungshindernisses nicht geeignet (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2013 - 10 CE 12.2396 - juris; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 8.2.2012 - 2 M 29/12 - juris).

Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die vom Kläger geltend gemachte psychische Erkrankung auch in Frankreich behandelbar ist (s.o.). Die überstellende Behörde ist nach Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO des Weiteren gehalten, dem zuständigen Mitgliedstaat Informationen über die besonderen Bedürfnisse bezüglich der Gesundheit der zu überstellenden Person zu übermitteln, um es den zuständigen Behörden im zuständigen Mitgliedsstaat gemäß dem innerstaatlichen Recht zu ermöglichen, diese Person in geeigneter Weise zu unterstützen - unter anderem die zum Schutz ihrer lebenswichtigen Interessen unmittelbar notwendige medizinische Versorgung zu leisten - und um die Kontinuität des Schutzes und der Rechte sicherzustellen, die die Verordnung und andere einschlägige Bestimmungen des Asylrechts bieten. Dem Zielstaat wird daher im Vorfeld der Rückführung bei Vereinbarung eines Überstellungstermins mitgeteilt, wenn eine Person unmittelbar nach der Ankunft in ärztliche Hände übergeben werden soll. Soweit dieser Informationsaustausch erfolgt, genügt der überstellende Staat grundsätzlich den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention, so dass selbst bei Überstellung von besonders schutzbedürftigen Personen wie etwa psychisch Kranken keine grundlegenden Einwände bestehen (vgl. Thym, ZAR 2013, 331 unter Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR; VG Würzburg, B.v. 5.3.2014 - W 6 S 14.30235 - juris).

3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Entscheidungen in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz können vorbehaltlich des § 133 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht mit der Beschwerde angefochten werden.