Verwaltungsgericht Minden Urteil, 19. Feb. 2016 - 6 K 2210/15
Tenor
Der Beklagte wird unter Änderung seines Bescheides vom 15.7.2015 (Az. 25.3-148) verpflichtet, der Klägerin für das Kalenderjahr 2013 weitere Erstattungsleistungen in Höhe von 90.445,23 € zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bewilligen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen (Linien 000 bis 000) öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Am 27.12.2014 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gemäß §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 Satz 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2013 sowie auf Festsetzung der Vorauszahlung für das Kalenderjahr 2015. Dem Antrag fügte sie die Bescheinigung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft über die im Kalenderjahr 2013 erzielten Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 2.113.206,41 € sowie ein Testat der WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH (im Folgenden: WVI) vom 2.9.2014 über den durch die Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Kalenderjahr 2013 bei. Für das Kalenderjahr 2013 hatte die WVI auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 9,40 % ermittelt und testiert. Die Klägerin errechnete aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die WVI testierten Quote einen Erstattungsanspruch in Höhe von 198.641,40 € und beantragte nach Abzug der für das Kalenderjahr 2013 erhaltenen Vorauszahlungen in Höhe von 123.991,84 € die Auszahlung eines Erstattungsbetrags von 74.649,56 €.
4Mit Schreiben vom 5.5.2015 berichtete das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) der Bezirksregierung E1. über die Ergebnisse seiner Beobachtungen der Verkehrszählung der Klägerin. In der Winter-Zählperiode seien fünf nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Linienfahrten unerkannt von Beobachtungsteams begleiteten worden, im Einzelnen:
5- die Linie 000 von M1. Dorf nach C2. (Schule), Abfahrt am 21.2.2013 um 10:28 Uhr (ID 1),
6- die Linie 000 von C2. (Schule) nach M1. Dorf, Abfahrt am 21.2.2013 um 10:59 (ID 2),
7- die Linie 000 von M2. nach U. , Abfahrt am 21.2.2013 um 13:30 Uhr (ID 3),
8- die Linie 000 von U. nach M2. , Abfahrt am 21.2.2013 um 13:45 Uhr (ID 4), und
9- die Linie 000 von N. nach T1. , Abfahrt am 22.2.2013 um 7:14 Uhr (ID 5).
10Bei drei der fünf Linienfahrten seien die Erhebungen fehlerhaft durchgeführt worden, indem die Freifahrtberechtigung gar nicht oder nicht ordnungsgemäß auf ihre Gültigkeit geprüft, Befragungen nur sporadisch durchgeführt oder Fahrgäste ohne Befragung als Freifahrtberechtigte erhoben worden seien. Ein Abgleich der Beobachtungen mit den Zählprotokollen habe ergeben, dass eine freifahrtberechtigte Person nachträglich notiert worden sei. Nach der Varianzberechnung liege der tatsächliche Anteil fehlerhafter Linienerhebungen unter allen Linienerhebungen mit einer statistischen Sicherheit von 95 % bei 18,93 % oder höher. Die Verkehrszählung der Klägerin sei in vielen Punkten mit schwerwiegenden Erhebungsfehlern behaftet, die sich gravierend auf das Hochrechnungsergebnis auswirken könnten, und damit nicht als Nachweis geeignet, einen Anspruch auf Individualerstattung nach § 148 Abs. 5 SGB IX zu begründen.
11Im Rahmen ihrer nachfolgenden Anhörung äußerte die Klägerin erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit der Beobachtungsfahrten. Den beanstandeten Erhebungsfehlern trat sie im Einzelnen unter Bezugnahme auf eine ergänzende Stellungnahme der WVI vom 4.6.2015 entgegen. Mit Blick darauf, dass die betreffende Zählkraft auf derselben Linie bereits zuvor Zählungen vorgenommen und freifahrtberechtigte Schwerbehinderte kontrolliert habe, erscheine es als nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei den nicht ordnungsgemäßen Kontrollen um freifahrtberechtigte Personen gehandelt habe, die der Zählkraft als solche bekannt gewesen seien. Auch habe das Beobachtungsteam offensichtlich übersehen, dass sich noch eine zweite Zählkraft im Fahrzeug befunden habe, deren Erhebungen mit denen der ersten Zählkraft aufsummiert worden seien. Selbst wenn die Erhebungen fehlerhaft gewesen sein sollten, erlaube dies nicht, die gesamte Verkehrszählung in Frage zu stellen, da die Kontrollfahrten nicht zufällig ausgewählt worden seien und es an einer „Unabhängigkeit“ der ausgewählten Fahrten fehle. Zur näheren Begründung bezog sich die Klägerin insoweit auf die Stellungnahme eines von ihr benannten Prüfers. Schließlich meint sie, der „Rückfall“ auf die Gewährung lediglich der Pauschalerstattung sei nicht gerechtfertigt.
12Die Bezirksregierung E1. votierte gegenüber dem MAIS für die Anerkennung des von der Klägerin ermittelten Schwerbehindertenquotienten. Das MAIS blieb aber bei seiner Bewertung, dass drei der fünf Beobachtungsfahrten „negativ“ seien.
13Mit Bescheid vom 15.7.2015 - Az. 25.3-148 - setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag für das Kalenderjahr 2013 auf 81.147,13 € fest und informierte die Klägerin zugleich über einen sich unter Anrechnung der für das Jahr 2013 geleisteten Vorauszahlung ergebenden Rückzahlungsbetrag in Höhe von 42.844,72 €. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, der Klägerin sei der Nachweis, dass das Verhältnis zwischen den unentgeltlich beförderten und sonstigen Fahrgästen den nach § 148 Abs. 4 SGB IX festgelegten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteige, nicht gelungen. Mitarbeiter des MAIS hätten fünf zu erhebende Linienfahrten begleitet und dabei festgestellt, dass bei drei der Fahrten die Erhebungen nicht entsprechend der „Richtlinie zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 148 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX)“ - V B 3 - 4421.43 des MAIS vom 20.1.2012 (im Folgenden: Richtlinie zu § 148 SGB IX) durchgeführt worden seien. Dass die betreffende Zählkraft die Fahrgäste mit einer Freifahrtberechtigung gekannt und deshalb nicht geprüft habe, sei lediglich eine Vermutung. Dessen ungeachtet seien gemäß der Richtlinie zu § 148 SGB IX ausnahmslos alle Fahrgäste während der Erhebung zu prüfen, was auch die wiederholte Überprüfung des gleichen Fahrgastes auf weiteren Fahrten einschließe. Aufgrund mangelhafter Beweisführung sei der beantragte betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient nicht anzuerkennen und der für das Kalenderjahr 2013 bekanntgemachte Landessatz von 3,84 % zugrunde zu legen.
14Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage - Az. 25.3.51-37/148 - bewilligte die Bezirksregierung E1. der Klägerin gemäß § 150 Abs. 2 SGB IX für das Kalenderjahr 2015 Vorauszahlungen in Höhe von 64.917,70 €.
15Die Klägerin hat wegen des Bescheides zum Az. 25.3-148 am 21.8.2015 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung meint die Klägerin, sie sei nicht gehalten, den für die Individualerstattung erforderlichen Nachweis ausschließlich gemäß der Richtlinie zu § 148 SGB IX zu erbringen, da dieser keinerlei Bindung zukomme. Eine Nachweisführung müsse auch in sonstiger Weise erlaubt sein, wobei der Maßstab nicht so hoch sein dürfe, dass dem Unternehmer die Nachweisführung nur unter schweren Bedingungen überhaupt möglich sei. Die Ergebnisse der Beobachtungen durch das MAIS unterlägen einem Verwertungsverbot, da die Beobachtungsfahrten unzulässig seien. Das MAIS sei für die Durchführung der Beobachtungsfahrten nicht zuständig gewesen. Es begegne überdies datenschutz- und verfassungsrechtliche Bedenken, dass die Beobachtungsfahrten ohne Kenntnis („geheim“) und ohne Einverständnis der schwerbehinderten Fahrgäste durchgeführt worden seien. Dessen ungeachtet seien die Beanstandungen allesamt mit überzeugender Begründung ausgeräumt worden. Für die Ordnungsgemäßheit der Erhebungen spreche weiter, dass sie die von ihr eingesetzten Zählkräfte umfänglich in die korrekte Art und Weise der Erhebung eingewiesen habe und diese die ordnungsgemäße Durchführung mit ihrer Unterschrift unter den Erhebungsbögen bestätigt hätten. Einen Beweis für die Richtigkeit und Nachprüfbarkeit der Beobachtungen durch seine Mitarbeiter, z.B. durch Namensnennung oder schriftliche Dokumentation, sei das MAIS dagegen schuldig geblieben. Selbst wenn einzelne Erhebungen fehlerhaft gewesen seien, erlaube dies keine Hochrechnung auf die Gesamterhebung. Es seien nur wenige Beobachtungsfahrten durchgeführt worden, die in zeitlicher und räumlicher Hinsicht nicht nach dem Zufallsprinzip ausgewählt worden seien. Von den an 38 Erhebungstagen insgesamt erhobenen 240 Fahrten seien lediglich an zwei Tagen fünf Fahrten be-obachtet worden. Ein „Rückfall“ auf die Gewährung der Pauschalerstattung sei nicht gerechtfertigt bzw. nicht verhältnismäßig, da aufgrund einer in ihrem Gebiet der gelegenen Schwerbehinderteneinrichtung (Stiftung F. -F1. ) der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient unstreitig höher liege.
16Die Klägerin beantragt,
17den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 15.7.2015 (Az. 25.3-148) zu verpflichten, der Klägerin für das Kalenderjahr 2013 weitere Erstattungsleistungen in Höhe von 90.445,23 € zuzüglich Prozesszinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bewilligen.
18Der Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Er trägt zur Durchführung der Beobachtungsfahrten vor, diese seien bis auf eine Ausnahme von jeweils zwei - besonders qualifizierten und erfahrenen - Mitarbeitern des MAIS („Vier-Augen-Prinzip“) unerkannt begleitet worden. Die Beobachtungsteams hätten das Verhalten der Zählkräfte beobachtet, noch im Fahrzeug unauffällig notiert und unmittelbar nach Abschluss der Fahrt in einem Beobachtungsbogen festgehalten. Von den Beobachtungsteams sei vor allem beobachtet worden, ob etwaige zur Freifahrt berechtigende Unterlagen ordnungsgemäß geprüft worden seien. Die vorgezeigten Fahrausweise bzw. zur Freifahrt berechtigenden Unterlagen hätten von den Beobachtungsteams als Fahrausweis oder Freifahrtberechtigung unterschieden werden können, weil der zweifarbige Schwerbehindertenausweis nebst Beiblatt mit Wertmarke sich bereits wegen seiner Größe und Farbe optisch deutlich von sonstigen Fahrausweisen abhebe. Bei drei der fünf beobachteten Erhebungsfahrten seien die zur Freifahrt berechtigenden Unterlagen nicht bzw. nicht ordnungsgemäß auf ihre Gültigkeit geprüft, sondern allenfalls gesichtet, d.h. mit flüchtigem Blick gestreift worden. Eine Kontrolle sei unabdingbar, da nur ca. 40 % der Personen mit einem zweifarbigen Schwerbehindertenausweis auch eine zur Freifahrt berechtigende Wertmarke erwürben. Dass in den beanstandeten Fällen die Fahrgäste der Zählkraft als freifahrtberechtigt bekannt gewesen seien, stelle eine nicht bewiesene Spekulation dar. Dessen ungeachtet stehe es dem Erhebungspersonal nicht zu, über das Vorliegen einer Freifahrtberechtigung Vermutungen anzustellen oder aus einer möglichen Erinnerung heraus etwas zu dokumentieren. Der Beklagte meint, die Beobachtungen seien ein sachgerechtes und angemessenes Mittel der Sachverhaltsaufklärung. Das MAIS sei als Aufsichtsbehörde zu deren Durchführung befugt. Das Ziel der Beobachtungen sei nicht, eine repräsentative Grundlage für die Berechnung des Schwerbehindertenquotienten zu schaffen, sondern auf nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Fahrten stichprobenartig zu überprüfen, ob die Erhebung korrekt und zuverlässig durchgeführt werde. Die Zufälligkeit sei dadurch sichergestellt, dass die Auswahl der Fahrten von verschiedenen, von ihm unbeeinflussten Faktoren abhänge, z.B. der Erhebungsplanung der Klägerin bzw. anderer zur Beobachtung vorgesehener Verkehrsunternehmen sowie der Linienführung. Bei rund 240 Erhebungsfahrten im gesamten Kalenderjahr seien fünf Fahrten (ca. 2 %), bei denen immerhin drei der vier eingesetzten Zählkräfte beobachtet worden seien, ausreichend, um zu beurteilen, ob die Erhebungen der Klägerin korrekt und damit als Nachweis geeignet seien oder nicht. Aufgrund eines errechneten Fehleranteils von 18,93 % oder höher sei er zu Recht von der Validität der Erhebung nicht überzeugt. Da der Nachweis eines erhöhten Schwerbehindertenquotienten nicht gelungen sei, könne nur eine pauschale Erstattung gewährt werden. Die Tatsache, dass im Bedienungsgebiet der Klägerin Behinderteneinrichtungen lägen, mache den Nachweis durch Verkehrszählung nicht entbehrlich.
21Das Gericht hat zu den Erhebungen der Klägerin während der fünf beobachteten Linienfahrten am 21.2. und 22.2.2013 Beweis erhoben durch Vernehmung eines der die Fahrten begleitenden Beobachter des MAIS, Herrn S. , als Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll, wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des den Bescheid zum Az. 25.3.51-37/148 betreffenden, zeitgleich verhandelten Verfahrens 6 K 2211/15 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. (ein Heft) Bezug genommen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist zulässig und begründet.
24Die als Verpflichtungsklage, soweit die Klägerin weitere Erstattungsleistungen in Höhe von 90.445,23 € begehrt, und als (Teil-)Anfechtungsklage, soweit sie die Änderung des streitigen Bescheides hinsichtlich des darin festgesetzten Rückzahlungsbetrags von 42.844,72 € begehrt, statthafte Klage ist auch im Übrigen zulässig.
25Die Klage ist begründet. Die Versagung weiterer - über den festgesetzten Betrag von 81.147,13 € hinausgehender - Erstattungsleistungen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die Klägerin hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung weiterer Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in tenorierter Höhe für das Jahr 2013.
26Anspruchsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Erstattung weiterer Fahrgeldausfälle im Jahr 2013 in Höhe von 90.445,23 € ist § 145 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX.
27Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 Satz 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Für das Kalenderjahr 2013 betrug der sog. Landessatz in Nordrhein-Westfalen 3,84 %. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach § 148 Abs. 4 SGB IX festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gemäß § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach dessen Abs. 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
28Die formellen Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hat am 27.12.2014 bei der Bezirksregierung E1. als der gemäß § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. Ziff. 2.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX zuständigen Erstattungsbehörde die Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Kalenderjahr 2013 beantragt und dabei insbesondere die bis zum 31.12.2014 laufende Frist des § 150 Abs. 1 Satz 3 SGB IX gewahrt.
29Auch die materiellen Voraussetzungen einer Erstattung weiterer Fahrgeldausfälle sind gegeben. Die Klägerin als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen hat gemäß § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach dem 13. Kap. des SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen tatsächlich 9,40 % betrug und damit den nach § 148 Abs. 4 SGB IX festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel überstieg.
30Die Vorschrift des § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie der Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Es lassen sich lediglich aus der in § 148 Abs. 4 Satz 2 SGB IX geregelten Berechnung des Prozentsatzes nach dessen Abs. 1 Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es bei der Ermittlung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten insbesondere darauf ankommt, ob Fahrgäste, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, einen gültigen Ausweis im Sinne des § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX bei sich führen. Detaillierte Regelungen hinsichtlich der Durchführung der Verkehrszählungen enthält erst die Richtlinie zu § 148 SGB IX in deren Ziff. 5 bis 7. Als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift ist die Richtlinie zu § 148 SGB IX mangels Außenwirkung zwar grundsätzlich weder für das Gericht noch für die Klägerin bindend,
31vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.4.2015 - 12 A 2275/14 -, www.nrwe.de = juris (zu den „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 62 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG)“ des damaligen Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 - II B 1 - 4421.4, MBl. NRW 1988, S. 50 ff.),
32bleibt aber insofern beachtlich, als sie bestimmte Methoden des Nachweises als sachgerecht anerkennt und dadurch das erforderliche Niveau an Wertigkeit des Nachweises durch Verkehrszählung bestimmt.
33Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 22.6.2006 - Au 3 K 05.684 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 8.5.2015 - 13 K 5104/14 -, www.nrwe.de = juris; VG Köln, Urteil vom 13.10.2015 - 7 K 4343/14 -, www.nrwe.de = juris.
34Bei der Prüfung, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff. SGB IX sein kann, ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
35Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.10.1984 - 1 BvL 18/82 -, NVwZ 1985, 963, und Beschluss vom 19.3.2014 - 1 BvR 1417/10 -, NVwZ 2014, 1005.
36Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gemäß § 145 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst - zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung, aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen - als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
37Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.10.1984 - 1 BvL 18/82 -, a.a.O., und Beschluss vom 19.3.2014 - 1 BvR 1417/10 -, a.a.O.
38Die in § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
39Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.3.2014 - 1 BvR 1417/10 -, a.a.O.
40Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gemäß § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert, und daraus, dass nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
41Vgl. VG Minden, Urteile vom 5.9.2014 - 6 K 2793/13, 6 K 806/14, 6 K 808/14, 6 K 809/14, 6 K 811/14 und 6 K 1605/14 -, jew. www.nrwe.de = juris.
42Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
43Die Richtlinie zu § 148 SGB IX sieht in Ziff. 1.4 sachgerecht vor, dass die in § 148 Abs. 5 SGB IX geforderte Verkehrszählung als Nachweis anerkannt werden kann, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung gemäß der Richtlinie durchgeführt worden ist, wobei eine Stichprobenerhebung als Linien- oder Querschnittserhebung möglich ist (Ziff. 7.1.1). Bei einer eingeschränkten Vollerhebung wird nach Ziff. 6.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX jede Linienfahrt jedes Wochentages mindestens einmal innerhalb der Erhebungsperiode erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung werden nach Ziff. 7.1.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX die zu erfassenden Fahrgäste auf den auszuwählenden Linienfahrten in jeweils nur einer Wageneinheit gezählt. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden in der zufällig bestimmten Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger ab vollendetem sechsten Lebensjahr auf der gesamten Fahrt erhoben (Ziff. 7.2.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX).
44Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen gemäß Anlage 2 zur Richtlinie zu § 148 SGB IX im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Prozentsatz im Sinne des § 148 Abs. 5 SGB IX nach Ziff. 7.2.3 der Richtlinie zu § 148 SGB IX die 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten gilt.
45Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen - wie vorliegend - zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann, und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ im Sinne des § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
46Vgl. VG Minden, Urteile vom 5.9.2014 - 6 K 2793/13, 6 K 806/14, 6 K 808/14, 6 K 809/14, 6 K 811/14 und 6 K 1605/14 -, jew. a.a.O.
47An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung als „Nachweis“ im Sinne des § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX anzuerkennen ist. Nach der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles bestehen keine erheblichen Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Verkehrszählung.
48Die von der Bezirksregierung E1. vorgebrachten Beanstandungen vermögen solche (erheblichen) Zweifel nicht zu begründen. Die Bezirksregierung E1. macht - unter Verweis auf die Beobachtungen der Kontrolleure des MAIS - im Wesentlichen geltend, dass bei drei von fünf beobachteten Erhebungsfahrten die zur Freifahrt berechtigenden Unterlagen (zweifarbiger Schwerbehindertenausweis und Beiblätter mit Wertmarke) nicht oder nicht ordnungsgemäß auf ihre Gültigkeit geprüft worden seien. Ausweislich der im Klageverfahren vorgelegten Beobachtungsbögen haben die Beobachtungsteams bei den fünf Beobachtungsfahrten am 21.2. und 22.2.2013 im Einzelnen beobachtet, dass die eingesetzte Zählkraft
49- bei einer Fahrt (ID 1) sich den Schwerbehindertenausweis und die Wertmarke zwar zeigen lassen, aber in einem Fall („1x“) die Gültigkeit der Wertmarke „nicht genau“ kontrolliert sowie zwei sonstige Fahrgäste nicht „befragt“ bzw. nicht erfasst hat,
50- bei einer weiteren Fahrt (ID 2) in zwei Fällen („2x“) die Wertmarke nicht kontrolliert („Nur Sichtkontrolle) und einmal („1x“) einen Schwerbehinderten, der ihr aus einer vorherigen Fahrt bekannt war, ohne Kontrolle erfasst hat,
51- bei einer weiteren Fahrt (ID 5), bei der nur ein Schwerbehinderter zugestiegen war, die Wertmarke nur einer kurzen Sichtung unterzogen hat und
52- bei zwei weiteren Fahrten (ID 3 und ID 4) die Unterschrift auf dem Zählprotokoll bereits bei Erhebungsbeginn geleistet hat.
53Bei den zwei letztgenannten Fahrten (ID 3 und ID 4) sind - im Gesamtergebnis - in den entsprechenden Beobachtungsbögen ausdrücklich keine Beanstandungen vermerkt („Keine Auffälligkeiten“), wobei in beiden Fällen keine schwerbehinderten Fahrgäste zugestiegen waren. Allein eine vorzeitige Unterschriftsleistung auf einem Zählprotokoll stellt auch nach Auffassung der Kammer keinen relevanten Fehler dar. Die verbleibenden Beobachtungen während der Fahrten ID 1, 2 und 5 sind nicht geeignet, die Validität der Zählprotokolle der Klägerin nachhaltig in Zweifel zu ziehen.
54Entgegen der Ansicht der Klägerin besteht allerdings kein Verbot, die Ergebnisse der Beobachtungen zu verwerten. Weder begegnet es rechtlichen Bedenken, dass die Bezirksregierung E1. bei den Kontrollen der Verkehrserhebungen der Klägerin sich der (Amts-)Hilfe des MAIS als der Aufsicht führenden Behörde bediente, noch ist eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts schwerbehinderter Fahrgäste durch die Beobachtungen ersichtlich, da im Rahmen der Beobachtungen keine personenbezogenen Daten der Fahrgäste erhoben wurden. Die in den Beobachtungsbögen vermerkte Zahl der beförderten schwerbehinderten Fahrgäste lässt keinen Rückschluss auf eine bestimmte oder bestimmbare Person zu, zumal das Hauptaugenmerk der Beobachter dem Verhalten der Zählkräfte galt. Die Erhebung der Daten war zudem gerechtfertigt, da sie für eine wirksame Kontrolle der Verkehrszählungen erforderlich war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen beeinträchtigt wurden.
55Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht aber bereits nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die von der Klägerin eingesetzte Zählkraft die Gültigkeit der Wertmarken bei den Linienfahrten ID 1, ID 2 und ID 5 nicht bzw. nicht ordnungsgemäß überprüft hat.
56In den betreffenden Beobachtungsbögen ist dazu lediglich vermerkt, die Zählkraft habe die Wertmarke „nicht genau“ kontrolliert (ID 1) oder lediglich einer „Sichtkontrolle“ unterzogen (ID 2 und ID 5). Der Zeuge S. hat im Rahmen seiner Vernehmung ausgesagt, die eingesetzte Zählkraft, die ihn zu Beginn des zweiten Beobachtungstages persönlich begrüßt habe und ihm deshalb in besonderer Erinnerung sei, habe die ihr vorgelegten Fahrausweise der Fahrgäste in der Regel nur flüchtig angeschaut und dabei nur geprüft, ob eine Wertmarke überhaupt vorhanden gewesen sei. Bei dieser nur flüchtigen Kontrolle sei es nach seinem Eindruck nicht möglich gewesen, die Wertmarke auch auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Auch wenn die Zählkraft durch den Bus gegangen sei, habe er von seiner Position in der Nähe des Fahrers erkennen können, dass die Zählkraft stets die Gültigkeit der Wertmarke nicht kontrolliert habe. Durch ihren jeweils nur flüchtigen Blick habe sie die Gültigkeit der Wertmarke nicht erkennen können. Dass die Zählkraft die Gültigkeit der Wertmarke dabei tatsächlich nicht überprüfen bzw. nicht erkennen konnte, ist aber keine Tatsache, die als solche der Wahrnehmung des Zeugen zugänglich gewesen wäre, sondern eine (innere) Wertung der von ihm allein wahrgenommenen Tatsache, dass nämlich die Zählkraft jeweils nur einen kurzen („flüchtigen“) Blick auf die Wertmarke geworfen hat. Demgegenüber ist es aus Sicht der Kammer naheliegend, jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der kurze Blick einer geübten Zählkraft ausreicht, um - mit geschultem Auge - die Wertmarke vollständig zu erfassen und dabei auch ihre Gültigkeit zu kontrollieren.
57Jedenfalls erlauben die Beanstandungen nicht den vom Beklagten gezogenen Schluss, die Verkehrszählung der Klägerin sei „in vielen Punkten“ mit ausnahmslos „schwerwiegenden Erhebungsfehlern“ behaftet, die sich „gravierend“ auf das Hochrechnungsergebnis auswirken könnten.
58Der Beklagte stellt sich dabei - mit Verweis auf die Richtlinie zu § 148 SGB IX - auf den Standpunkt, die von der Klägerin eingesetzte Zählkraft hätte sich bei jeder Fahrt bei jedem betroffenen Fahrgast vom Vorliegen eines gültigen, zweifarbigen Schwerbehindertenausweises, dessen Bild zum Fahrgast passt, sowie eines Beiblattes mit monatsscharf gültiger Wertmarke überzeugen müssen. Die Kontrolle der Gültigkeit beider Dokumente sei unabdingbar, weil nur ca. 40 % der Inhaber eines zweifarbigen Schwerbehindertenausweises auch ein Beiblatt mit einer zur Freifahrt berechtigenden Wertmarke erwürben.
59Dem hält die Klägerin - unter Bezugnahme auf eine ergänzende Stellungnahme der WVI vom 4.6.2015 - entgegen, es erscheine nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei den nicht ordnungsgemäßen Kontrollen um freifahrtberechtigte Personen gehandelt habe, die der Zählkraft als solche bekannt gewesen seien. In der Stellungnahme des WVI wird dazu weiter ausgeführt, die Linie 000 sei ein „Zubringer“ zu einer Schwerbehinderteneinrichtung (Stiftung F. -F1. ), die regelmäßig von den in der Einrichtung beschäftigten Schwerbehinderten genutzt werde. Die (freifahrtberechtigten) Schwerbehinderten seien den drei von der Klägerin auf der Linie 000 eingesetzten Zählkräften im Laufe der Zeit bekannt gewesen. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass eine mehrfache Befragung derselben Fahrgäste von ein und derselben Zählkraft zu Unmut führe. Zu einer Verfälschung des Ergebnisses habe das nicht führen können.
60Tatsächlich bedient die Linie 000 - als einziger Stadtbus - die Strecke zu der am Stadtrand gelegenen Einrichtung der Stiftung F. -F1. , in der Menschen mit geistiger Behinderung in Wohngruppen bzw. Wohngemeinschaften zusammen leben und / oder in Werkstätten beschäftigt sind,
61vgl. http://www.F2. -F3. .de/F2. -F3. .html,
62weshalb es der Kammer durchaus lebensnah erscheint, dass die Linie 000 regelmäßig von den in der Einrichtung beschäftigten Schwerbehinderten genutzt wird, von denen zumindest ein Teil eine Wertmarke erworben haben und damit zur unentgeltlichen Beförderung berechtigt sein wird.
63Es ist aus Sicht der Kammer außerdem (menschlich) nachvollziehbar, dass eine Zählkraft, die in kurzer zeitlicher Folge wiederholt auf ein und derselben Linie eingesetzt wird, dann, wenn sie um die Freifahrtberechtigung eines Schwerbehinderten aus sicherer Erinnerung an eine vorausgegangene Überprüfung noch weiß, von einer wiederholten Prüfung der Wertmarke auf ihre Gültigkeit hin absieht. Sofern die Zählkraft um die Freifahrtberechtigung sicher weiß, ist ihr auch ohne wiederholte Gültigkeitsprüfung eine zuverlässige Zuordnung des Schwerbehinderten zur Gruppe der unentgeltlich beförderten Fahrgäste möglich. Selbst wenn man darin (formal) einen Verstoß gegen Ziff. 5.3.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX sehen wollte, wonach bei jeder Erhebungsfahrt die zu befragenden Fahrgäste ab vollendetem sechsten Lebensjahr dahingehend zu überprüfen sind, ob bei ihnen die Voraussetzungen für die unentgeltliche Beförderungen nachgewiesen werden können, bliebe ein solcher formaler Fehler jedenfalls ohne Auswirkungen auf das Hochrechnungsergebnis.
64Auch die Bezirksregierung E1. äußerte in einem Schreiben an das MAIS unter den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalles Verständnis dafür, dass kontrollierte Fahrgäste im Gedächtnis des Zählers haften bleiben könnten und somit, z.B. bei einer Rückfahrt des Fahrgastes, eine erneute genaue Überprüfung einer Freifahrtberechtigung vom Zähler als nicht notwendig erachtet werden könnte.
65Dafür, dass auch die von der Klägerin eingesetzte Zählkraft in den beanstandeten Fällen einer nicht ausreichenden Gültigkeitsprüfung - entgegen der Aussage des Zeugen S. , die Zählkraft habe „stets“ bzw. „in der Regel“ die Gültigkeit der Wertmarke nicht kontrolliert, sind in den Beobachtungsbögen nur einzelne Fälle fehlender Gültigkeitskontrolle vermerkt - um die Freifahrtberechtigung des Schwerbehinderten wusste, spricht der tatsächliche Umstand, dass die betreffende Zählkraft am 19.2. und am Morgen des 21.2.2013 bereits bei drei Fahrten der Linie 000 eingesetzt war und dabei insgesamt 20 unentgeltlich beförderte Schwerbehinderte erhoben hat, wovon sich die Kammer durch Inaugenscheinnahme der Original-Zählprotokolle hat überzeugen können. Es scheint der Kammer - insoweit ist der Klägerin beizupflichten - vor diesem Hintergrund nicht unwahrscheinlich, dass die Zählkraft um die Freifahrtberechtigung derjenigen Schwerbehinderten, deren Wertmarken sie bei den am 21.2. und 22.2.2013 beobachteten Fahrten der Linie 000 (ID 1, ID 2 und ID 5) nicht bzw. nicht ordnungsgemäß auf ihre Gültigkeit hin überprüft haben soll, aus einer vorausgegangenen Überprüfung bereits wusste. Hinzu tritt, dass in einem Falle (ID 2) ausdrücklich im entsprechenden Beobachtungsprotokoll vermerkt ist, ein Schwerbehinderter sei ohne Kontrolle erfasst worden, weil er der Zählkraft aus einer vorherigen Fahrt bekannt gewesen sei. Der Zeuge S. hat dazu sehr anschaulich und unter wörtlicher Wiedergabe des Gesprächs ausgeführt, die schwerbehinderte Frau, die nach seiner Erinnerung eine Gehhilfe bei sich geführt habe, habe sich in den Bus gesetzt, ohne einen Schwerbehindertenausweis vorzuzeigen. Die Zählkraft habe dann zu der Frau gesagt: „Ich kenne Sie ja noch von vorhin“ und einen Strich für den Zustieg eines schwerbehinderten Fahrgastes gemacht. Danach handelt es sich keineswegs mehr um eine bloße Spekulation, dass dieser Zählkraft jedenfalls bei den beobachteten Fahrten der Linie 000 schwerbehinderte Fahrgäste, die zur Freifahrt berechtigt waren, bereits aus einer Überprüfung während einer früheren Fahrt bekannt waren.
66Sonstige Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Verkehrserhebung durch die Klägerin sind nicht ersichtlich. Insbesondere die von der Kammer vollständig eingesehenen Original-Zählprotokolle enthalten keine Auffälligkeiten und vermitteln - im Gegenteil - den Eindruck einer äußerst gewissenhaften Erhebung. Soweit in den Beobachtungsprotokollen entsprechende Angaben (überhaupt) vermerkt sind, ergeben sich sowohl bei der absoluten Zahl der unentgeltlich beförderten bzw. sonstigen Fahrgäste als auch bei deren Zahlenverhältnis zueinander nur kleinere Abweichungen, wobei der Aussagewert der Beobachtungsbögen darunter leidet, dass zum Fahrgastaufkommen vielfach nur Näherungswerte auf einer Skala von (1) „leer“ über (2) „halb voll“, (3) „voll“ bis (4) „überfüllt“ enthalten sind.
67Nach dem Gesamteindruck aller Umstände hat die Klägerin - nachdem die von ihr durchgeführten Verkehrserhebungen in den vorausgegangenen Jahren 2006 bis 2010 noch mit erheblichen Zweifeln behaftet und Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen waren - alles in ihrer Macht Stehende getan, um eine ordnungsgemäße Verkehrserhebung durchzuführen.
68Sie hat nicht eigenes Fahrpersonal als Zählkräfte verwandt, sondern einen externen Dienstleister mit der Erhebung betraut. Dabei waren in den Stadtbussen mitunter zwei Zählkräfte eingesetzt. Zu deren Verhalten wird in einzelnen Beobachtungsbögen ausdrücklich vermerkt, dass jeder Fahrgast erfasst worden sei (ID 5). Besonderen Eindruck auf die Kammer hat zudem die Aussage des Zeugen S. zum Verhalten der Zählkraft C3. gemacht. Der Zeuge hat ausgesagt, diese Zählkraft habe, sofern sich nicht allzu viele Fahrgäste im Bus befunden hätten, sich vorn in den Bus gestellt, den Fahrgästen angekündigt, dass eine Fahrgastzählung vorgenommen werde, und sei dann durch den Bus zu den einzelnen Fahrgästen gegangen. Sofern sich eine größere Anzahl von Fahrgästen im Bus befunden habe, sei die Zählkraft ohne vorherige Ankündigung durch den Bus gegangen und habe jedem Fahrgast einzeln ihren Wunsch nach Überprüfung der etwaigen Freifahrtberechtigung und die Durchführung einer Fahrgastzählung mitgeteilt. Dass eine Zählkraft sich in dieser Weise verhalte, d.h. dass sie allen Fahrgästen deutlich die Absicht einer Fahrgastzählung ankündige, komme nach seinen Beobachtungen hin und wieder vor, sei aber eher die Ausnahme. Von einer nur sporadischen Befragung - wie sie der Beklagte beanstandet - kann danach keine Rede sein.
69Sollten in Einzelfällen die Gültigkeit der Wertmarke nicht bzw. nicht ordnungsgemäß geprüft worden oder versehentlich einzelne sonstige Fahrgäste nicht erhoben worden sein (ID 1), handelt es sich dabei um Fehler, die bei einer Verkehrszählung - auch bei Anwendung äußerster Sorgfalt - nicht auszuschließen sind, aber das Vertrauen in deren Ordnungsgemäßheit nicht zu erschüttern vermögen. Dies gilt umso mehr, als in Ansehung des Entschädigungscharakters der Erstattungsleistung keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen.
70Unter Zugrundelegung des von der Klägerin nachgewiesenen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 9,40 % ergibt sich nach alledem folgende Berechnung des (weiteren) Erstattungsanspruchs:
719,40 % - 1,28 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,84 % als sog. Selbstbehalt gemäß § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX) = 8,12 %
722.113.206,41 € (Fahrgeldeinnahmen 2013) / 100 x 8,12 = 171.592,36 €
73171.592,36 € - 81.147,13 € (bereits bewilligte Erstattungsleistungen) = 90.445,23 €
74Die Klägerin hat darüber hinaus entsprechend den §§ 291, 288 BGB Anspruch auf Zahlung von Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage, und zwar gemäß § 187 Abs. 1 BGB ab dem auf den Tag des Klageeingangs bei Gericht folgenden Tag.
75Vgl. BVerwG, Urteil vom 4.12.2001 - 4 C 2.00 -, NVwZ 2002, 718 = DVBl. 2002, 624, m.w.N.
76Da kein Verbraucher beteiligt ist, war die Zinshöhe entsprechend den §§ 288 Abs. 2, 247 BGB mit neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu veranschlagen.
77Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nicht nach § 188 Satz 1 VwGO gerichtskostenfrei, da es sich bei den Verfahren über die Erstattung von Fahrgeldausfällen durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Personennahverkehr nicht um eine Streitigkeit der Schwerbehindertenfürsorge handelt.
78Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8.5.1990 - 7 ER 101.90 -, juris; VG Düsseldorf, Urteil vom 8.5.2015 - 13 K 5104/14 -, a.a.O.; VG Köln, Urteil vom 13.10.2015 - 7 K 4343/14 -, a.a.O.
79Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Minden Urteil, 19. Feb. 2016 - 6 K 2210/15
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(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Abweichend von Kapitel 9 sind bei der Festsetzung von Leistungen für Leistungsberechtigte, die am 31. Dezember 2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 erhalten haben und von denen ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze gemäß § 87 des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 gefordert wurde, die am 31. Dezember 2019 geltenden Einkommensgrenzen nach dem Elften Kapitel des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 zugrunde zu legen, solange der nach Kapitel 9 aufzubringende Beitrag höher ist als der Einkommenseinsatz nach dem am 31. Dezember 2019 geltenden Recht.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Hilfsmerkmale sind
- 1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen, - 2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person, - 3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.
(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
(1) Hilfsmerkmale sind
- 1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen, - 2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person, - 3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.
(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Abweichend von Kapitel 9 sind bei der Festsetzung von Leistungen für Leistungsberechtigte, die am 31. Dezember 2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 erhalten haben und von denen ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze gemäß § 87 des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 gefordert wurde, die am 31. Dezember 2019 geltenden Einkommensgrenzen nach dem Elften Kapitel des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 zugrunde zu legen, solange der nach Kapitel 9 aufzubringende Beitrag höher ist als der Einkommenseinsatz nach dem am 31. Dezember 2019 geltenden Recht.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Abweichend von Kapitel 9 sind bei der Festsetzung von Leistungen für Leistungsberechtigte, die am 31. Dezember 2019 Leistungen nach dem Sechsten Kapitel des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 erhalten haben und von denen ein Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze gemäß § 87 des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 gefordert wurde, die am 31. Dezember 2019 geltenden Einkommensgrenzen nach dem Elften Kapitel des Zwölften Buches in der Fassung vom 31. Dezember 2019 zugrunde zu legen, solange der nach Kapitel 9 aufzubringende Beitrag höher ist als der Einkommenseinsatz nach dem am 31. Dezember 2019 geltenden Recht.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
(1) Hilfsmerkmale sind
- 1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen, - 2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person, - 3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.
(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Tenor
Die Berufung der Klägerin wird zugelassen.
Die Kostenverteilung bleibt der Endentscheidung im Berufungsverfahren vorbehalten.
1
G r ü n d e :
2Die Zulassung der Berufung beruht auf § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO. Mit Blick auf das Zulassungsvorbringen ergeben sich besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten bei der Beantwortung der entscheidungstragenden Frage, ob die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen den Mindestanforderungen genügen, die an eine Verkehrszählung zu stellen sind, wie sie gesetzlich in § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX zum Nachweis des betriebsindividuellen Schwerbehindertenprozentsatzes gefordert wird.
3Der nach § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX für die Erstattung der Fahrgeldausfälle auf der Grundlage des betriebsindividuellen Schwerbehindertenprozentsatzes erforderliche Nachweis durch Verkehrszählung ist im Einzelnen gesetzlich nicht weiter ausgestaltet. Im damaligen Gesetzgebungsverfahren ist der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die Verkehrszählung „nach den anerkannten Methoden für Verkehrserhebungen (z.B. Richtlinien für Verkehrserhebungen, herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für das Straßenwesen e.V.) zu erfolgen“ habe.
4Vgl. BT-Drucks. 10/335 vom 2. September 1983, S. 90.
5Den von der Bezirksregierung E. insoweit angewandten „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 62 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG)“, RdErl. d. Ministers für Arbeit, Gesundheit, Soziales vom 15. Dezember 1987 – II B 1 – 4421.4, MBl. NRW 1988, S. 50, kommt in Ermangelung einer diesbezüglichen Rechtsgrundlage eine die Gerichte bindende normkonkretisierende Funktion nicht zu. Als lediglich norminterpretierende Verwaltungsvorschriften geben sie das Normverständnis des Normgebers wieder, ohne dass das Gericht hieran gebunden ist.
6Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass lediglich die Differenz zwischen dem anerkannten Schwerbehindertenprozentsatz von 9,67 % und dem geltend gemachten Schwerbehindertenprozentsatz von 13,31 %, mithin 3,64 Prozentpunkte, streitig sind, und das Gerichtsverfahren nicht gerichtskostenfrei ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personennahverkehr.
3Die Klägerin betreibt den öffentlichen Personennahverkehr in T. .
4Mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die vorläufige Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung von schwerbehinderten Personen im öffentlichen Personenverkehr gemäß § 148 SGB IX für das Kalenderjahr 2012 sowie die Festsetzung der Vorauszahlung für das Kalenderjahr 2014. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2012 erzielten Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 16.878.971,02 Euro bei. Unter Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 7,52 Prozent, wie ihn das mit der Durchführung der Schwerbehinderten- und Fremdfahrscheinerhebung beauftragte Unternehmen „U. “ ermittelt habe, belaufe sich der Erstattungsanspruch für das Jahr 2012 auf 1.269.298,62 Euro. Abzüglich der bereits erhaltenen Vorauszahlung in Höhe von 846.251,68 Euro bestehe daher ein Restanspruch in Höhe von 423.046,94 Euro.
5Unter dem 12. Mai 2014 übersandte die Bezirksregierung E. der Klägerin das Schreiben des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) vom 28. April 2014 mit der Bitte, zu den dort benannten Erhebungsfehlern und Richtlinienverstößen Stellung zu nehmen. Danach sei bei den am 23. Juli 2012 durchgeführten sieben Beobachtungsfahrten durch einen Mitarbeiter des Ministeriums festgestellt worden, dass keine Verkehrserhebung auf diesen Linienfahrten den Richtlinien entsprochen habe. In der Herbstperiode seien am 15. November 2012 auf weiteren sechs Linienfahrten Beobachtungen durchgeführt worden, wobei nur drei Verkehrserhebungen entsprechend den Vorgaben der Richtlinien erfolgt seien. Folgende Richtlinienverstöße wurden im Wesentlichen beanstandet:
6- 7
Erhebung ohne ordnungsgemäße Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 8
Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke.
- 9
Schulpflichtige Kinder nicht nach dem Alter gefragt und auch nicht erfasst.
- 10
Teilweise Erhebung ohne Fahrgastbefragung bzw. Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 11
Teilweise keine Befragung der Fahrgäste wegen Unaufmerksamkeit (Unterhaltung).
- 12
Erhobene Freifahrtberechtigungen weichen extrem von der Beobachtung ab.
Nach der Varianzberechnung liege der Fehleranteil mit der statistischen Sicherheit von 95 Prozent bei 50,54 Prozent oder höher. Es handle sich allesamt um schwerwiegende Fehler, die sich gravierend auf das von der Klägerin vorgelegte Hochrechnungsergebnis auswirken könnten, weshalb der fehlerbehaftete Nachweis nicht geeignet sei, einen Anspruch der Klägerin auf Individualerstattung nach § 148 Absatz 5 SGB IX zu begründen.
14Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 führte die Klägerin aus, dass nur ein kleiner Anteil der insgesamt durchschnittlich fast 810 Fahrten kontrolliert worden sei. Die Kontrollrate liege dabei unter einem Prozent der Gesamtzahl, was nicht als ein repräsentativer Strichprobenumfang angesehen werden könne. Zudem ist sie nicht der Ansicht, dass die festgestellten Mängel ausreichende Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der gesamten Zählung begründen könnten.
15Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 16. Juli 2014 den Erstattungsbetrag für Fahrgeldausfälle für das Jahr 2012 vorläufig auf 639.883,41 Euro fest und forderte zugleich von der Klägerin 206.368,27 Euro zurück. Der seitens der Klägerin ermittelte betriebsindividuelle Wert in Höhe von 7,52 Prozent könne aufgrund der Anzahl und des Umfangs der bei den Erhebungen aufgetretenen Fehlern nicht als Nachweis nach § 148 Absatz 5 SGB IX gewertet werden. Die 13 überprüften Fahrten seien auch bei fast 800 durchgeführten Verkehrserhebungen sehr wohl repräsentativ. Das Argument, die Klägerin habe die Schulungen intensiviert, könne nicht überzeugen. Zum einen könnten diese Schulungen keine rückwirkenden Auswirkungen auf die Feststellungen der Sommerperiode entfalten; zum anderen führten sie auch nicht zu richtlinienkonformen Erhebungen während der Überprüfungen innerhalb der Herbstperiode.
16Am 6. August 2014 hat die Klägerin Klage erhoben.
17Der Bescheid sei widersprüchlich und irreführend, da auf Seite 1 ziffernmäßig ein Betrag in Höhe von 639.883,41 Euro aufgeführt sei, wohingegen es ausgeschrieben in Worten „Sechsmillionenneununddreißigtausendachthundertdreiundachtzig“ heiße.
18Überdies habe sie alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um eine einwandfreie Zählung sicherzustellen, dabei ließen sich menschliche Fehler und Schwächen nicht vermeiden. Die Fragebögen seien nicht leicht auszufüllen, zumal nicht nur eine Schwerbehindertenzählung durchgeführt worden sei, sondern auch eine allgemeine Verkehrszählung, welche die so genannten Umsteiger (Fremdfahrscheinerhebung) erfasse. Auch den durch den Beklagten eingesetzten Mitarbeitern des MAIS sei es nicht gelungen, zu 100 Prozent sichere Feststellungen – und das bei nur einer Stichprobe – zu treffen. Sie habe erhebliche Bedenken hinsichtlich des Kontrollergebnisses des Beklagten. So sei bei der Kontrolle vom 15. November 2012 auf der Linie 682 von T. -Hauptbahnhof nach I. -C. zwischen 9:12 Uhr und 9:57 Uhr die Anzahl der Fahrgäste von den Kontrolleuren mit ca. 100-120 geschätzt worden, tatsächlich seien es aber 171 Fahrgäste zuzüglich der Schwerbehinderten gewesen. Für die Linie 691 von I. nach T1. . M. -L. in der Zeit von 11:20 Uhr bis 11:51 Uhr seien zwei bis vier Schwerbehinderte geschätzt worden. Tatsächlich seien es acht gewesen. Bereits die Fragezeichen hinter den Zahlen würden zeigen, dass die Kontrolleure keine 100 Prozent sicheren Feststellungen haben treffen können. Der Beklagte könne aber von den Zählern, die sie einsetze, nicht mehr verlangen, als seine eigenen Kontrolleure zu leisten im Stande seien. Die Beobachtungen des Beklagten seien selbst so unsicher, dass sie kein Indiz für die Unrichtigkeit ihrer Zählung seien. Vielmehr gebe es Schwächen im System, die ihr nicht angelastet werden könnten. Das Ergebnis der Kontrolle durch die Mitarbeiter des MAIS sei auch deswegen anzuzweifeln, weil die Feststellungen erst nach Abschluss der Beobachtungsfahrt in Beobachtungsbögen eingetragen worden seien. Bei 100 Fahrgästen und mehr seien zuverlässige Beobachtungen mangels Übersicht ausgeschlossen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass bei den 13 Kontrollfahrten die Kontrollen teilweise nur von einer Person durchgeführt worden seien. Eine einzige Person sei aber nicht in der Lage, eine zuverlässige Überprüfung in einem Linienbus durchzuführen, wenn schon zwei Kontrolleure in einem schwach besetzten Fahrzeug hierzu nicht in der Lage gewesen seien. Dies belege die letzte Kontrollfahrt vom 27. November 2012 von V. bis H. -X. -Q. . Auf dem Beobachtungsbogen stehe bei zehn Personen „höchstwahrscheinlich ohne Schwerbehinderte“.
19Überdies sei es nicht rechtmäßig, Rückschlüsse von der stichprobenartigen Überprüfung auf das Gesamtergebnis zu ziehen. Das Ergebnis der Sommerzählung sei offensichtlich ein Ausreißer gewesen und dürfe daher einer Hochrechnung, wie sie der Beklagte im Hinblick auf die Fehlerquote vornehme, nicht zugrundegelegt werden. Stichprobenartige Prüfungen an einem Tag in zwei von vier Zählperioden könnten nicht ohne weiteres auf alle Fahrten übertragen werden. In der Herbstzählperiode habe die Klägerin insgesamt 810 Zählfahrten durchgeführt, so dass die sechs an nur einem Tag ausgewählten Linienfahrten, die einen Prozentsatz von unter einem Prozent der Gesamtheit der Zählfahrten ausmachten, nicht als repräsentativ angesehen werden könnten. Der Anteil der Stichprobenfahrten sei viel zu gering, um zuverlässig einen Rückschluss auf die Situation hinsichtlich der übrigen Fahrten und eine zuverlässige Hochrechnung bezüglich aller Fahrten zu ermöglichen. Um eine einigermaßen verlässliche Beurteilung vornehmen zu können, hätte erwartet werden können, dass zumindest in einer Novemberwoche alle Wochentage stichprobenartig überprüft würden. Unzulässig sei es insbesondere, das Ergebnis der Herbstzählung auf alle vier Erhebungsperioden zu übertragen.
20Die Klägerin beantragt,
21den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2014 zu verpflichten, den Erstattungsbetrag auf 1.269.298,62 Euro festzusetzen.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Die Ausführungen der Klägerin zu den Schulungen und anderen Vorkehrungen beträfen nicht die Durchführung der Erhebung und könnten die Beobachtungen des MAIS nicht relativieren. Das Verhalten der Zählkräfte bei der Durchführung der Zählung sei der Klägerin zuzurechnen. Bei den erstmaligen Beobachtungen im Sommer 2012 sei eine Beschäftigte des MAIS, in der Herbstperiode seien zwei Beschäftigte des MAIS bei zufällig ausgewählten Erhebungsfahrten der Klägerin mitgefahren. Jedes Mitglied des Beobachtungsteams habe sich so platziert, dass die im Fahrzeug verteilten Zähler bestmöglich und durchgehend hätten beobachtet werden können. Die Genauigkeit der Gültigkeitsprüfungen von Schwerbehindertenausweisen und Wertmarken sei beobachtet und festgehalten worden. Bei Unsicherheiten darüber, ob ein Kind über oder unter sechs Jahre alt gewesen sei, sei vermerkt worden, ob das Zählpersonal das Alter verifiziert habe. Nach jedem Zustieg sei beobachtet worden, ob das Zählpersonal sein Zählprotokoll aktualisiert habe. Nach Abschluss der Beobachtungsfahrt seien anhand der Notizen des Beobachters bzw. des Beobachtungsteams die Beobachtungsbögen ausgefüllt und unterzeichnet worden. Nach Abschluss der Erhebungsperiode seien die einschlägigen Zählprotokolle der Klägerin angefordert und mit den Beobachtungsbögen verglichen worden. Die Tatsache, dass die Klägerin gleichzeitig mit der Schwerbehindertenerhebung auch eine Fremdfahrscheinerhebung durchgeführt habe, dürfe sich entsprechend mindernd auf die Qualität der Schwerbehindertenerhebung ausgewirkt haben. Bei der Fremdfahrscheinerhebung würden die verschiedenen Fahrausweise auf dem Zählprotokoll detailliert zugeordnet werden, ohne dass eine Gültigkeitsprüfung der Fahrscheine vorgenommen werde. Diese sei aber bei der Schwerbehindertenerhebung unerlässlich. Die Klägerin verkenne, dass das Ziel der Kontrollen keineswegs darin bestehe, eine repräsentative Grundlage für die Berechnung der Schwerbehindertenquote zu schaffen. Vielmehr gehe es darum, sich durch anonyme Kontrollen auf nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Linienfahrten davon zu überzeugen, ob die Erhebung korrekt und zuverlässig durchgeführt worden sei. Eine repräsentative Anzahl oder eine bestimmte Verteilung von Beobachtungsfahrten sei hierfür nicht erforderlich, denn das relevante Merkmal für Seriosität und Aussagekraft der Kontrollergebnisse sei nicht die Anzahl oder die Verteilung, sondern die zufällige Auswahl der beobachteten Fahrten. Vor diesem Hintergrund seien 13 Fahrten ausreichend, um nach Abschluss der Varianzberechnung im Rahmen der Beweiswürdigung zu entscheiden, ob die Erhebung der Klägerin als korrekt anzusehen und damit als Nachweis geeignet sei oder nicht.
25Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die als Verpflichtungsklage, soweit die Klägerin die Festsetzung eines Erstattungsanspruchs in Höhe von 1.269.298,62 Euro begehrt, und als (Teil-)Anfechtungsklage, soweit sie die Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2014 hinsichtlich des darin festgesetzten Rückzahlungsbetrags 206.368,27 Euro begehrt, statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2014 ist rechtmäßig. Der Klägerin steht kein Erstattungsanspruch zu, der über die in diesem Bescheid festgesetzten Leistungen hinausgeht (I.). Die festgesetzte Rückforderung in Höhe von 206.368,27 Euro begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken (II.).
28I. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung weiterer Fahrgeldausfälle im Nahverkehr.
291. Anspruchsgrundlage für die seitens der Klägerin begehrten Fahrgeldausfälle in Höhe von 1.269.298,62 Euro ist § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX in Verbindung mit § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX. Die durch die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen nach den Absätzen 1 und 2 entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150, vorliegend nach Maßgabe des § 148 SGB IX, erstattet.
302. Zwar liegen die formellen Anspruchsvoraussetzungen vor.
31Die Klägerin hat mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 bei der Bezirksregierung E. als zuständige Erstattungsbehörde (im Sinne von § 150 Absatz 3 SGB IX in Verbindung mit der Richtlinie zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 148 SGB IX - RdErl des MAIS - 4421.43 vom 20. Januar 2012 [im folgenden Richtlinie zu § 148 SGB IX]) die vorläufige Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung von schwerbehinderten Personen im öffentlichen Personenverkehr gemäß § 148 SGB IX für das Kalenderjahr 2012 innerhalb der in § 150 Absatz 1 Satz 3 SGB IX geregelten Frist, d.h. bis zum 31. Dezember, beantragt (§ 150 Absatz 1 Satz 1 SGB IX).
323. Indes sind die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für eine weitergehende Erstattung von Fahrgeldausfällen nach § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX in Verbindung mit § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX nicht erfüllt. Der Beklagte hat der Berechnung des Erstattungsanspruchs der Klägerin zu Recht den in § 148 Absatz 4 Satz 1 SGB IX pauschal geregelten Prozentsatz zu Grunde gelegt und danach einen Erstattungsanspruch in Höhe von 639.883,41 Euro festgesetzt.
33Soweit es bei der Ausschreibung des Festsetzungsbetrages in Worten „Sechsmillionenneununddreißigtausendachthundertdreiundachtzig“ heißt, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der nicht von rechtlicher Relevanz ist.
34Denn die Klägerin hat nicht gemäß § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2012 den nach Absatz 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel überstieg. Dies ergibt sich im Einzelnen aus den nachfolgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen:
35Gemäß § 145 Absatz 1 Satz 1 SGB IX ist die Klägerin als ein Unternehmen, das öffentlichen Personenverkehr im Nahverkehr betreibt, verpflichtet, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, unentgeltlich zu befördern.
36Als Entschädigung für die Inanspruchnahme zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, namentlich der sozialen Fürsorge, sieht § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX vor, dass die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet werden. Gemäß § 148 Absatz 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet.
37Der für den Erstattungsanspruch nach § 148 SGB IX maßgebliche Prozentsatz wird gemäß § 148 Absatz 4 Satz 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Er wird berechnet nach dem Verhältnis zwischen dem in dem Land in dem betreffenden Kalenderjahr ausgegebenen Wertmarken im Sinne des § 145 Absatz 1 Satz 2 und 3 SGB IX zuzüglich der Hälfte der in dem Land am Jahresende in Umlauf befindlichen gültigen Schwerbehindertenausweise im Sinne des § 145 Absatz 1 Satz 1 SGB IX von schwerbehinderten Menschen, die das 6. Lebensjahr vollendet haben und bei denen die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung im Ausweis eingetragen ist, zu der in den jährlichen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zum Ende des Vorjahres nachgewiesenen Zahl der Wohnbevölkerung in dem Land abzüglich der Zahl der Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und abzüglich der Zahl der zu berücksichtigenden Wertmarken und Schwerbehindertenausweise (§ 148 Absatz 4 Satz 2 bis 4 SGB IX). Für das Land Nordrhein-Westfalen wurde dieser Prozentsatz für das Kalenderjahr 2012 durch das MAIS durch Erlass Nr. 3/2013 auf 3,79 Prozent festgesetzt. Verfahren und Ergebnis der Festsetzung des allgemeinen Prozentsatzes im Rahmen des § 148 Absatz 4 SGB IX sind von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen worden. Auch dem Gericht sind keine Fehler erkennbar. Diesen Prozentsatz hat der Beklagte bei seiner Berechnung des der Klägerin zustehenden Erstattungsbetrages in Ansatz gebracht. Bei Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 16.883.467,21 Euro, die der Beklagte seiner Berechnung zu Grunde gelegt hat, beträgt der Erstattungsbetrag im Ergebnis 639.883,41 Euro. Diesen Betrag hat der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid festgesetzt.
38Neben der Erstattung der Fahrgeldausfälle nach diesem landesweit festgesetzten Prozentsatz enthält § 148 Absatz 5 SGB IX eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung,
39vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 17. Oktober 1984 – 1 BvL 18/82, 1 BvL 46/83, 1 BvL 2/84 –, BVerfGE 68, 155-175 = juris Rn. 44,
40die die Möglichkeit einer weitergehenden Erstattung vorsieht. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei einzelnen Verkehrsunternehmen, insbesondere in Kur- und Erholungsgebieten, die Inanspruchnahme der unentgeltlichen Beförderung weit über dem landesweiten Durchschnittsvomhundertsatz liegen kann mit der Folge, dass die den betroffenen Unternehmen entstehenden Fahrgeldausfälle nur unzureichend ausgeglichen werden.
41Gesetzesbegründung zu § 60 Absatz 5 SchwbG BT-Drs. 10/335 S. 90.
42Voraussetzung hierfür ist, dass das Unternehmen durch Verkehrszählungen nachweist, dass das Verhältnis zwischen den nach diesem Kapitel unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Absatz 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt. Ist dies der Fall, wird neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet (§ 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX).
43Zur Verfassungsgemäßheit von § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX in seiner derzeitigen Fassung BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. März 2014 – 1 BvR 1417/10 –, juris, Rn. 15 ff.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. März 2010 – 3 C 26.09 –, BVerwGE 136, 157-165 = juris, Rn. 11 ff.; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG Lüneburg), Urteil vom 26. Mai 2009 – 4 LC 653/07 –, juris, Rn. 22 ff.
44Ein solcher Nachweis ist der Klägerin indes nicht gelungen. Sie hat zwar im Jahr 2012 Verkehrszählungen mit dem Ergebnis durchgeführt, dass ihr Anteil an unentgeltlich beförderten Schwerbehinderten bei 7,52 Prozent liegt.
45Insoweit weist das Gericht zunächst darauf hin, dass der Klägerin nach Abzug des in § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX geregelten Selbstbehalts in Höhe von einem Drittel des in Absatz 4 festgesetzten Prozentsatzes, mithin von 1,26 Prozent, allenfalls ein Erstattungsanteil in Höhe von 1.056.905,05 Euro zustünde, da danach ein Prozentsatz von 6,26 Prozent zur Grunde zu legen wäre. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm wird lediglich „der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet“.
46Vgl. auch BT-Drs. 15/4228, S. 31.
47Ungeachtet dessen ist der Klägerin nicht der ihr obliegende Nachweis durch Verkehrszählung gelungen.
48Ob die Klägerin den "Nachweis durch Verkehrszählung" erbracht hat, unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. § 148 Absatz 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein solcher Nachweis zu führen ist. Es lassen sich lediglich aus der in § 148 Absatz 4 Satz 2 SGB IX geregelten Berechnung des Prozentsatzes des Absatzes 1 Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es bei der Ermittlung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten insbesondere darauf ankommt, ob Fahrgäste, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, einen gültigen Ausweis im Sinne des § 145 Absatz 1 Satz 1 SGB IX bei sich führen. Allerdings enthält die Richtlinie zu § 148 SGB IX detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Wenngleich die Richtlinie zu § 148 SGB IX als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift mangels Außenwirkung grundsätzlich weder für das Gericht noch für die Klägerin bindend ist, ist sie insofern beachtlich, als sie bestimmte Methoden des Nachweises als sachgerecht anerkennt und insofern das erforderliche Niveau an Wertigkeit des Nachweises durch Verkehrszählung bestimmt.
49Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 22. Juni 2006 – Au 3 K 05.684 –, juris, Rn. 47.
50a) Gemäß Ziffer 1.4 der Richtlinie zu § 148 SGB IX kann die in § 148 Absatz 5 SGB IX geforderte Verkehrszählung als Nachweis anerkannt werden, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung (vgl. Ziffer 6) oder – wie vorliegend – als Stichprobenerhebung (Ziffer 7) nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
51Zwar hat die Klägerin die in Ziffer 7.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX vorgegebenen Grundlagen der Stichprobenerhebung gewahrt. Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen die Fahrtenauswahl und die Mindestzahl der erhobenen Fahrten. Allerdings entspricht die Art und Weise der Erhebungen nicht den Vorgaben der Richtlinie. In Ziffer 7.2.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX heißt es, dass bei der Linienerhebungalle Einsteiger ab vollendetem 6. Lebensjahr auf der gesamten Fahrt erhoben werden. Gemäß Ziffer 5.3.1 der Richtline zu § 148 SGB IX werden in jeder Erhebungsfahrt die zu befragenden Fahrgäste ab vollendetem 6. Lebensjahr dahingehend überprüft, ob bei ihnen die Voraussetzungen für die unentgeltliche Beförderung gemäß § 145 SGB IX durch einen gültigen Schwerbehindertenausweis und ein Beiblatt mit gültiger Wertmarke nachgewiesen werden können (gemäß SGB IX unentgeltlich beförderte Fahrgäste) oder nicht (sonstige Fahrgäste).
52Der Beklagte hat insgesamt dreizehn von der Klägerin zu erhebende Linienfahrten durch eigene Mitarbeiter überprüft und dabei festgestellt, dass auf zehn Linienfahrten die Vorgaben der Richtline zum SGB IX missachtet worden seien. Bei den während der Sommerzählperiode am 23. Juli 2012 durchgeführten Kontrollen sei keine Erhebung entsprechend diesen Vorgaben durchgeführt worden. Die während der Herbstperiode am 15. November 2012 durchgeführten Kontrollen hätten ergeben, dass nur drei der sechs Linienfahrten den Vorgaben entsprochen hätten. Dabei wurden im Ergebnis folgende Fehler festgestellt:
53- 54
Erhebung ohne ordnungsgemäße Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 55
Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke.
- 56
Schulpflichtige Kinder nicht nach dem Alter gefragt und auch nicht erfasst.
- 57
Teilweise Erhebung ohne Fahrgastbefragung bzw. Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 58
Teilweise keine Befragung der Fahrgäste wegen Unaufmerksamkeit (Unterhaltung).
- 59
Erhobene Freifahrtberechtigungen weichen extrem von der Beobachtung ab.
Hierbei handelt es sich um Fehler, die von Relevanz für das Erhebungsergebnis sein können. Findet eine Erhebung (teilweise) nicht statt, sei es weil Fahrgäste übersehen werden, sei es weil Kinder im zweifelhaften Alter nicht nach ihrem Alter gefragt werden und damit gegebenenfalls eine tatsächlich vorzunehmende Erhebung nicht stattfindet, oder erfolgt eine Erhebung ohne Fahrgastbefragung bzw. ohne ordnungsgemäße Überprüfung der Freifahrtberechtigung, sind die durchgeführten Erhebungen nicht geeignet, das Verhältnis zwischen den unentgeltlich beförderten Fahrgästen und sonstigen Fahrgäste hinreichend zuverlässig nachzuweisen. Eine ordnungsgemäße Überprüfung der Fahrgäste auf ihre Freifahrtberechtigung setzt insbesondere auch die Überprüfung der Beiblätter mit Wertmarke voraus, um eine zutreffende Zuordnung zu der Gruppe der gemäß SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgäste und der Gruppe der sonstigen Fahrgäste zu gewährleisten. Denn gemäß § 145 Absatz 1 Satz 2 SGB IX ist Voraussetzung einer unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Die Ausgabe der Wertmarke erfolgt auf Antrag durch die nach § 69 Absatz 5 SGB IX zuständige Behörde (§ 145 Absatz 1 Satz 12 SGB IX). Diese wird gegen Entrichtung eines Betrages von 72 Euro für ein Jahr oder 36 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben (§ 145 Absatz 1 Satz 3 SGB IX) bzw. gemäß § 145 Absatz 1 Satz 10 SGB IX unter den dort genannten Voraussetzungen auch unentgeltlich ausgegeben. Gemäß § 145 Absatz 1 Satz 11 SGB IX wird die Wertmarke hingegen nicht ausgegeben, solange der Ausweis einen gültigen Vermerk über die Inanspruchnahme von Kraftfahrzeugsteuerermäßigung trägt. Diese gesetzlichen Vorgaben für den Erhalt einer Wertmarke verdeutlichen, dass nicht allein die Sichtung eines Schwerbehindertenausweises mit orangefarbenen Flächenaufdruck (vgl. § 1 Absatz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung – SchwbAwV) für die Erfassung eines unentgeltlich beförderten Fahrgastes genügt, sondern der gültigen Wertmarke ganz entscheidende Bedeutung zukommt, da nicht jeder Schwerbehinderte Mensch zugleich auch im Besitz einer solchen sein wird.
61Die seitens des Beklagten durchgeführten stichprobenartigen Kontrollen sind entgegen der Ansicht der Klägerin auch geeignet, die bestehenden Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Verkehrserhebung zu begründen. Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung vom 28. November 2014 unter anderem durch Schilderung des Ablaufs der Beobachtungsfahrten und Vorlage der entsprechenden Beobachtungsbögen nachvollziehbar dargelegt, dass eine hinreichende Überprüfung der Verkehrserhebung durch die seitens des MAIS eingesetzten Mitarbeiter gewährleistet gewesen ist, ohne dass es der Klägerin gelungen ist dies substantiiert in Frage zu stellen.
62Vielmehr gesteht die Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren zumindest mittelbar ein, Fehler bei den Zählungen nicht ausschließen zu können. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juni 2014, sie könne keine Erklärung für die vereinzelten Abweichungen abgeben. In der Klagebegründung vom 12. September 2014 heißt es, die Klägerin habe alle Vorkehrungen getroffen, um ein ordnungsgemäßes Zählergebnis zu erzielen. Naturgemäß lasse sich nicht ausschließen, dass es im Einzelfall zu Fehlern komme. Diese Fehlerquelle sei nicht auszumerzen, solange Menschen am Werk seien. Die Fragebögen seien nicht leicht auszufüllen, zumal nicht nur eine Schwerbehindertenzählung, sondern auch eine Fremdfahrscheinerhebung durchgeführt worden sei. Ferner habe auch der Beklagte keine zu 100 Prozent sicheren Feststellungen treffen können. Es könne von ihr nicht mehr erwartet werden als von den Mitarbeitern des Beklagten.
63Insoweit verkennt die Klägerin aber, dass die vorstehend genannten Mängel nicht nur im Einzelfall, sondern – insbesondere mit Blick auf die unzureichende Überprüfung der Schwerbehindertenausweise – bei der überwiegenden Mehrzahl aller Kontrollfahrten beanstandet worden sind. Auch verkennt sie dabei, dass es ihr obliegt sicherzustellen, dass die von ihr eingesetzten Zähler nicht nur ordnungsgemäß geschult und belehrt werden, sondern auch in der praktischen Umsetzung die Zählungen ordnungsgemäß durchführen. Hierzu hat sie zum einen dafür zu sorgen, dass die Anzahl der eingesetzten Zähler stets – also auch in Stoßzeiten – zur ordnungsgemäßen Erfassung aller Fahrgäste ausreicht. Denn gemäß Ziffer 5.5.4 der Richtlinie zum SGB IX sind die Anzahl der Zählkräfte bei jeder Erhebungsart so zu bemessen, dass die Erfassung aller Fahrgäste gewährleistet ist (Hervorhebung durch das Gericht). Kommt es – wie vorliegend von der Klägerin vorgetragen – zu weiteren Schwierigkeiten durch die Verbindung der Schwerbehindertenzählung mit der Fremdfahrscheinerhebung, bei der gerade keine Gültigkeitsprüfung der Fahrscheine erfolgt, muss sich die Klägerin auch dies zurechnen lassen. Auch wenn eine zweite Zählung neben der Schwerbehindertenzählung durchgeführt werden kann, muss die Klägerin dafür sorgen, dass hierdurch die Qualität der Schwerbehindertenzählung nicht beeinträchtigt wird. Stellt sich heraus, dass die gemeinsame Durchführung der Fremdfahrscheinerhebung zusammen mit der Schwerbehindertenzählung auch trotz intensiver Schulungsmaßnahmen zu Qualitätsabstrichen führt, muss sie hiervon Abstand nehmen oder die Anzahl des Zählpersonals erhöhen bzw. sowohl für die Durchführung der Schwerbehindertenzählung als auch für die Durchführung der Fremdfahrscheinerhebung Zählpersonal einsetzen.
64Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Zählung von vornherein nicht möglich ist. Dies widerlegt bereits die Tatsache, dass in der Herbstperiode drei Zählungen der Klägerin beanstandungslos geblieben sind. Etwas anderes kann auch nicht daraus geschlossen werden, dass die vom MAIS eingesetzten Mitarbeiter ihrerseits keine sicheren Feststellungen über die Anzahl der freifahrtberechtigten Personen haben treffen können. Denn die Kontrolleure haben keine eigenen Erhebungen durchgeführt, sondern leidglich die Zähler bei ihrer Erhebung beobachtet. Entsprechend handelt es sich bei der am Ende des Kontrollbogens gemachten Angabe zur Anzahl der beförderten freifahrtberechtigten und sonstigen Fahrgäste lediglich um eine „Einschätzung“, denen das Gericht kein Verbindlichkeit zukommen lässt. Auch wenn Zählungen nicht ganz ohne Fehler möglich sein sollten, handelt es sich vorliegend um zahlreiche Fehler mit Ergebnisrelevanz bzw. möglicher Ergebnisrelevanz bei der überwiegenden Anzahl der Fahrten.
65Dahingestellt bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die seitens der Klägerin erhobenen Freifahrtberechtigungen extrem von den Beobachtungen der Kontrolleure des MAIS abgewichen sind. Zum einen hat der Beklagte die extreme Abweichung nur bei zwei Kontrollfahrten (ID 01 und ID 10) beanstandet. Zum anderen sind daneben jeweils weitere Fehler, insbesondere die nicht ordnungsgemäße Prüfung der Freifahrtberechtigung und die fehlende Sichtung des Beiblattes mit Wertmarke beanstandet worden. Mit anderen Worten wären die beanstandeten Erhebungsfahrten selbst bei Außerachtlassung der Abweichungen von den Beobachtungen des MAIS nicht fehlerfrei durchgeführt worden.
66Schließlich stellt auch die seitens des Beklagten durchgeführte stichprobenartige Kontrolle entgegen der Ansicht der Klägerin jedenfalls im vorliegenden Fall eine (noch) hinreichende repräsentative Grundlage für die Bewertung der Verkehrszählung der Klägerin dar. Weder die §§ 145 ff SGX IX noch die Richtline zum SGB IX enthalten konkrete Vorgaben, wie viele Kontrollen erforderlich sind, um über die Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Verkehrszählung verlässlich entscheiden zu können. Insbesondere lassen sich die in der Richtlinie zum SGB IX gestellten Vorgaben an die von den Verkehrsunternehmen durchgeführten Verkehrszählungen nicht auf die Kontrollen der Erstattungsbehörde übertragen. § 148 Absatz 5 SGB IX regelt als Ausnahmevorschrift zu § 148 Absatz 4 SGB IX zugleich die materielle Beweislast. D.h.: Für die Kontrollen durch das MAIS genügt es, dass die Korrektheit der Verkehrszählung ernstlichen Zweifeln unterliegt.
67Die Erstattungsbehörden sind bei der Gestaltung ihrer Kontrollfahrten (Anzahl, Zeitpunkt, Linien) grundsätzlich frei. Gemäß § 24 Absatz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG. NRW.) ermittelt die Behörde dem Sachverhalt von Amts wegen (Satz 1) und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen (Satz 2). Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung bestimmt sich nach den jeweiligen Erfordernissen des Einzelfalls. Die Ermittlungsmaßnahmen müssen unter Berücksichtigung der Belastung für die Betroffenen, der Bedeutung des jeweiligen öffentlichen Interesses und des Gebots, unnötige Kosten zu vermeiden, angemessen sein. Die Ermittlungen müssen im Hinblick auf Art, Umfang, Zeit, Auswahl der Mittel und Belastung für den Betroffenen und die Allgemeinheit angemessen sein. Sie müssen umso eingehender sein, je schwerwiegender die tatsächlichen und/oder rechtlichen Folgen der zu treffenden Entscheidung sind.
68Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 24, Rn. 26 und 36 m.w.N.
69Diesen Anforderungen genügen die seitens des Beklagten durchgeführten Stichprobenkontrollen (noch).
70Zwar ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass die Überprüfung von leidglich 13 Linienfahrten nicht im Verhältnis zu den seitens der Klägerin durchgeführten Zählfahrten steht (810 Zählfahrten allein während der Herbstperiode). Der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten ist für die Klägerin von wirtschaftlich erheblicher Bedeutung; das Feststellen von Verstößen gegen die Vorgaben der Richtlinie zu § 148 SGB IX kann unter Berücksichtigung der in Ziffer 13 vorgesehenen Rechtsfolge erhebliche wirtschaftliche Folgen für die Verkehrsunternehmen verursachen. Indes konnte der Beklagte – jedenfalls im vorliegenden Einzelfall – aufgrund des eindeutigen Ergebnisses der durchgeführten Stichproben von der Durchführung weiterer Kontrollfahrten absehen. Denn der Beklagte hat auf zehn von dreizehn Linienfahrten Verstöße gegen die Vorgaben der Richtlinie zum SGB IX festgestellt (76,9 Prozent), weshalb zu der Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die monierten Verstöße nicht nur in wenigen – vernachlässigbaren – Einzelfällen, sondern bei der einer großen Anzahl der Verkehrserhebungen aufgetreten sind, die damit das Zählergebnis insgesamt in relevanten Ausmaß in Frage stellen.
71Dabei hat der Beklagte sowohl die Erhebungen in der Sommerzählperiode als auch die in der Herbstperiode kontrolliert und dabei verschiedene Linien zu verschiedenen Zeiten und damit einhergehend auch unterschiedliche Zähler kontrolliert. Besonders schwer wiegt dabei der Umstand, dass während der Sommerzählperiode alle sieben Kontrollen nicht ohne Beanstandung geblieben sind, mit anderen Worten in dieser Periode – hochgerechnet – keine der Zählungen hätte berücksichtigt werden können. Wenn die Richtlinie vier Erhebungsperioden vorsieht und davon eine (nahezu) vollständig fehlerhaft durchgeführt worden ist, kann der Beklagte entgegen der Ansicht der Klägerin die in der Sommerzählperiode festgestellten Fehler auch nicht als „Ausreißer“ unberücksichtigt lassen. Ungeachtet dessen belegt das Ergebnis der während der Herbstperiode durchgeführten Kontrollen, dass es sich tatsächlich auch nicht um einen bloßen Ausreißer gehandelt hat. Wenngleich während der Herbstperiode – nachdem ein „klärendes“ Gespräch zwischen den Beteiligten stattgefunden hat – nicht mehr alle Fahrten beanstandet worden sind, sind aber immer noch auf drei von sechs Fahrten, mithin bei der Hälfte der überprüften Linienfahrten, Verstöße gegen die vorstehend genannten Vorgaben der Richtlinie zum SGB IX festgestellt worden. Wenn aber danach in zwei von vier Erhebungsperioden die Vorgaben der Richtlinie zum SGB IX nicht gewahrt worden sind, erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit der Beklagte auch während der anderen beiden Erhebungsperioden noch Stichproben hätte durchführen müssen. Denn selbst wenn während dieser Erhebungsperioden keine Verstöße mehr festgestellt worden wären, wären die Verstöße während der Sommer- und Herbstzählperiode hierdurch nicht beseitigt worden. Hinzu kommt, dass ausweislich der dem Gericht vorliegenden Zählprotokolle die Fehler nicht lediglich bei ein und demselben, sondern bei verschiedenen Zählern zu beobachten gewesen sind. Auch deshalb ist nicht ersichtlich, inwieweit es sich um einen bloßen Zufallsfund gehandelt haben soll. Ebenso wenig Beanstandung findet der Umstand, dass der Beklagte auf einigen Kontrollfahrten nur Teilstrecken überprüft hat. Denn auch auf Teilstrecken kann eine hinreichende Überprüfung der Verkehrszählung erfolgen, da es dem Beklagten gerade nicht oblag, sichere Feststellungen zu treffen, sondern nur die Verkehrserhebung der Klägerin zu kontrollieren.
72Steht damit fest, dass durch die Ergebnisse der Kontrollfahrten hinreichende Zweifel an der Belastbarkeit der durch die Klägerin durchgeführten Fahrgastzählungen bestehen, geht das zu ihren Lasten. Zwar unterliegt es gemäß § 108 Absatz 1 VwGO der freien richterlichen Beweiswürdigung, sich eine Überzeugung von der Anzahl tatsächlich beförderter Schwerbehinderter Menschen mit Fahrberechtigung zu verschaffen. Indes wird das Gericht regelmäßig keine Möglichkeit haben, durch eigene Aufklärungsmaßnahmen den in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt noch zu erhellen. Dies ist auch hier der Fall. Eine nachträgliche Verkehrszählung ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Die somit zumindest offen bleibende Frage der Abweichung von dem Prozentsatz nach § 148 Absatz 1 SGB IX geht zu Lasten der Klägerin. Denn das Gesetz trifft eine klare Regelung der materiellen Beweislast, indem es in § 148 Absatz 5 Satz 1 SBG IX von den Verkehrsunternehmen den Nachweis durch Verkehrszählung verlangt, dass eine erhebliche Abweichung von der allgemein gültigen Quote nach § 148 Absatz 1 SGB IX bestanden hat (s.o.).
73b) Zu einem entsprechenden Ergebnis kommt die Anwendung der Richtlinie zum SGB IX. Ziffer 13 der Richtlinie zu § 148 SGB IX regelt die Rechtsfolge von Verstößen gegen die Vorgabe der Richtlinie. Danach können Verstöße gegen die Richtlinie bewirken, dass das Ergebnis der Verkehrszählung nicht als Nachweis für die Individualerstattung nach § 148 Absatz 5 SGB IX anerkannt wird. Der Unternehmer erhält in diesem Fall für das entsprechende Jahr die Fahrgelderstattung in Höhe des Prozentsatzes nach § 148 Absatz 4 SGB IX als Pauschalerstattung. Ermessensfehler sind insoweit weder von der Klägerin beanstandet worden, noch sonst ersichtlich.
74II. Auch die Rückforderung der überzahlten Vorauszahlung in Höhe von 206.368,27 Euro ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO).
751. Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung der überzahlten Vorauszahlung ist § 49a VwVfG. NRW. analog. Eine spezialgesetzliche Regelung, die den Beklagten zur Rückforderung der Vorauszahlung ermächtigt, liegt nicht vor. Insbesondere greift nicht § 150 Absatz 2 Satz 4 SGB IX, wonach die Vorauszahlungen zurückzuzahlen sind, wenn Unterlagen, die für die Berechnung der Erstattung erforderlich sind, nicht bis zum 31. Dezember des auf die Vorauszahlung folgenden Kalenderjahres vorgelegt sind. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht. Einer direkten Anwendung des § 49a VwVfG. NRW. steht entgegen, dass der Vorauszahlungsbescheid nicht gemäß §§ 48,49 VwVfG aufgehoben und auch nicht mit einer auflösenden Bedingung versehen worden ist. Einer Aufhebung des Vorauszahlungsbescheides bedarf es nicht, da sich dieser im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides, in dem der Erstattungsbetrag durch den Beklagten festgesetzt wird, auf sonstige Weise im Sinne von § 43 Absatz 2 VwVfG. NRW. erledigt. Denn der Vorauszahlungsbescheid wird wie bei einer vorläufigen Regelung durch eine endgültige Regelung ersetzt und damit gegenstandslos.
76Zur vorläufigen Regelung BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7.09 –, juris.
77§ 49a Absatz 1 und 3 VwVfG. NRW. ist in einem solchen Fall im Wege eines „Erst-Recht-Schlusses“ analog anzuwenden. Es liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, da das VwVfG. NRW. zu vorläufigen Regelungen keine ausdrücklichen Regelungen enthält und nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber das Bedürfnis nach vorläufigen Regelungen bei der Schaffung des VwVfG. NRW. bereits im Blick gehabt hat. Die vergleichbare Interessenlage liegt vor, da der Empfänger – wie auch bei einer Aufhebung eines Verwaltungsaktes – keinen Vertrauensschutz genießt. Da ihm der vorläufige Charakter einer Vorauszahlung bekannt sein muss, ist er im Ergebnis sogar noch weniger schutzbedürftig.
782. Die Rückforderung ist formell rechtmäßig. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 12. Mai 2014 und damit vor Erlass des der Rückforderung zugrunde liegenden Festsetzungsbescheides angehört worden (§ 28 Absatz 1 VwVfG. NRW). Der Beklagte hat die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festgesetzt (§ 49a Absatz 1 Satz 2 VwVfG. NRW.).
793. Schließlich lagen auch die materiellen Voraussetzungen für eine Rückforderung des überzahlten Betrages nach § 49a Absatz 1 VwVfG analog vor. Danach sind die zu viel erbrachten Leistungen zu erstatten. Im vorliegenden Fall wurden der Klägerin 206.368,27 Euro zu viel gezahlt. Die Klägerin erhielt eine Vorauszahlung in Höhe von 846.251,68 Euro. Der Erstattungsanspruch beläuft sich aber bei einem Prozentsatz von 3,79 Prozent, den der Beklagte ausweislich der vorstehenden Ausführungen zu Recht in Ansatz gebracht hat, auf 639.883,41 Euro.
80Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO. Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 VwGO liegt nicht vor, da es sich bei den Verfahren über die Erstattung von Fahrgeldausfällen durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Personennahverkehr nicht um eine Streitigkeit der Schwerbehindertenfürsorge handelt.
81BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 1990 – 7 ER 101.90 –, juris; Zur analogen Anwendung des § 188 Satz 2 VwGO vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 11. März 2008 – 9 S 1369/06 –, juris, Rn. 34.
82Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollsteckungsbetrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin führt im Bereich der Stadt C. (Regionalverkehr Köln - RVK -) Linienverkehr des öffentlichen Personennahverkehrs mit Bussen durch.
3Mit Datum vom 12.12.2013 beantragte die Klägerin bei der Bezirksregierung Köln die individuelle Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen nach § 145 Abs. 3 i.V.m. §§ 148-150 SGB IX für das Jahr 2012. Hierbei bezifferte sie die Fahrgeldeinnahmen insgesamt auf 1.045.975,72 Euro. Den Erstattungsanspruch errechnete die Klägerin unter Zugrundelegung eines Satzes von 10,13 % auf 105.957,35 Euro, was abzüglich einer Vorauszahlung von 91.080,91 Euro eine Restforderung von 14.876,44 Euro ergab. Der Antrag bezog sich auf Linien mit Kraftfahrzeugen nach § 42 PBefG, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 km nicht überstieg (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). Im Einzelnen handelte es sich dabei um folgende Linien:
4000 C. Mitte – C. I.
5000/000 C. West, S. / X. über C. Mitte nach C. W.
6000/000/000 C. Ost, F. Straße nach C. C1.
7000 C. Mitte – C. F1. .
8Dem Antrag waren eine Aufschlüsselung der Fahrgeldeinnahmen sowie ein Testat Prof.Dr. X1. (Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung) vom 04.11.2013 beigefügt. Ausweislich des Testats erfolgte der Nachweis des betriebsindividuellen Prozentsatzes auf der Basis von Erhebungen, die anhand der anzuwendenden Verwaltungsvorschrift zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr durchgeführt werden. Die von der Regionalverkehr Köln GmbH im Auftrag der Klägerin erstellten Unterlagen seien stichprobenartig überprüft worden. Die Erhebungen hätten innerhalb der vorgegebenen Erhebungsperioden stattgefunden:
91. Periode (Winter) vom 27.02.12 bis zum 18.03.12
102. Periode (Frühjahr) vom 16.04.12 bis zum 29.04.12 und vom 07.05.12 bis zum 13.05.12
113. Periode (Sommer) vom 16.07.12 bis zum 05.08.12
124. Periode (Herbst) vom 05.11.12 bis zum 25.11.12
13Sämtliche Linien seien erfasst worden. Jeder Zähler habe die Zahl der freifahrtberechtigten schwerbehinderten Menschen und deren freifahrtberechtigten Begleitpersonen sowie die Zahlt der sonstigen Fahrgäste auf einem Zählformular angegeben. Auf dieser Grundlage ermittelte der Sachverständige einen Schätzwert für den fraglichen Anteil von 11,38 % und unter Berücksichtigung einer statistischen Sicherheitsgrenze von 10,13 %.
14In einem Schreiben an die Bezirksregierung Köln vom 28.04.2014 äußerte das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) Zweifel an den Erhebungen der Klägerin. In der Herbstperiode seien am 09.11.2012 Beobachtungen auf sieben Linienfahrten durchgeführt worden:
151 Linie 000 8,20 Uhr C. -Mitte
162 Linie 000 9,49 Uhr C. -Mitte
173 Linie 000 11,11 Uhr C. -Mitte
184 Linie 000 12,56 Uhr W. , G. Sraße
195 Linie 000 14,13 Uhr C. -Nord
206 Linie 000 15,45 Uhr C. -Mitte
217 Linie 000 16,40 Uhr C. -Mitte
22Hinsichtlich der Anforderungen an die Durchführung der Fahrgelderstattung verwies das Ministerium auf die Richtlinie zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr (Runderlass vom 20.01.2012 – V B 3 – 4421.13).
23Bei vier Linienfahrten seien Verstöße gegen die Richtlinien festgestellt worden. Bei den drei Linienfahrten ohne erkennbare Mängel seien keine freifahrberechtigten Personen zugestiegen. Bei den Fahrten 3-5 seien freifahrberechtigte Personen ohne ordnungsgemäße Prüfung der Fahrtberechtigung erhoben worden. Bei der Fahrten 3 und 4 habe nur eine Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke stattgefunden; bei der Fahrt 5 seien mehr Freifahrtberechtigungen erhoben worden als Sichtungen beobachtet worden seien. Bei der anschließenden Auswertung der angeforderten Zählprotokolle seien zum Teil erhebliche Abweichungen von den Beobachtungen und Dokumentationen des Ministeriums festgestellt worden. Bei der Fahrt 7 habe es nur eine Befragung und Erhebung einmalig an der Starthaltestelle gegeben. Die Zahl der sonstigen Fahrgäste habe von der Beobachtung abgewichen (4 statt 6). Bei der Vielzahl und Schwere der Erhebungsfehler könne das Ergebnis der Verkehrszählung 2012 nicht als Nachweis im Sinne des § 148 Abs. 5 SGB IX gewertet werden.
24Der Anteil von 4 der 7 Fahrten könne zwar nicht ohne Weiteres der Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Mit Hilfe mathematischer Statistik lasse sich aber durch Varianzberechnung eine untere Grenze bestimmen, die den Minimalwert fehlerhaften Erhebungen in der Gesamtheit aller Erhebungen absichere. Die Varianzberechnung ergebe vorliegend einen Fehleranteil von 22,53 %, d.h. der tatsächliche Anteil fehlerhafter Linienerhebungen unter allen Linienerhebungen mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 95 % bei 22,53 % oder höher liege. Zudem enthielten die Zählprotokolle nicht die in den Richtlinien vorgesehenen Angeben zu Erhebungsperiode, Erhebungsart, Anzahl der Zählkräfte etc. Auch seien Doppelerhebungen festzustellen. Entgegen 5.5.2 Abs. 3 der Richtlinien seien unterschiedliche Schreibgeräte verwendet worden; bei diesen Protokollen stimmen auch Zählername und Unterschrift nicht überein. Diese Mängel begründeten für sich gesehen bereits erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Verkehrszählung.
25In einem Schreiben vom 28.05.2014 an die Klägerin verweis Prof. Dr. X2. auf die Eigenverantwortung des erhebenden Verkehrsunternehmens. Die Aussage des MAIS, dass der Anteil nicht richtliniengemäß erhobener Fahrten mindestens 22,53 % betrage, sei statistisch korrekt. Im Übrigen setzte er sich mit den geltend gemachten formalen Fehlern der Zählprotokolle auseinander und teilte mit, dass für 2013 ein externes Büro mit der Erhebung beauftragt worden sei. Für 2013 sei betriebsintern ein Wert ermittelt worden, der den des Jahres 2012 etwas übersteige. Daher sei auch der für 2012 ermittelte Wert als glaubhaft einzustufen.
26In einer eigenen Stellungnahme verwies die S1. GmbH u.a. darauf, dass eine ordnungsgemäße Kontrolle möglicherweise unterblieben sei, weil die einsteigenden Fahrgäste den Fahrern bekannt gewesen seien. Eine weitere Kontrolle werde von den Fahrgästen dann oft als unfreundlicher Akt aufgefasst. Auch müsse sich das Fahrpersonal im Einzelfall primär seinen sicherheitsrelevanten Aufgaben zuwenden.
27Mit Bescheid vom 10.07.2014 wiederholte die Bezirksregierung nach Anhörung der Klägerin die Einwände gegen die Fahrgastzählung und setzte den für Fahrgeldausfälle zu erstattenden Betrag auf 39.642,48 Euro fest. Eine weitergehende Individualerstattung lehnte die Behörde ab. Möglich sei nur eine pauschale Erstattung entsprechend dem für das Jahr 2012 vom Ministerium festgelegten Vomhundertsatz von 3,79 %. Die aus der Vorauszahlung hiernach überzahlten Beträge von 50.824,61 Euro (Land) und 613,81 Euro (Bund) bat die Bezirksregierung zurück zu überweisen.
28In einem Schreiben vom 28.07.2014 an die Bezirksregierung nahm die Klägerin nochmals Stellung zu der Entscheidung und bat um Überprüfung. Der errechnete Fehleranteil liege deutlich zu hoch. Mögliche Erhebungsfehler seien nicht als „grob“ einzustufen und durch betriebliche Notwendigkeiten veranlasst.
29Die Klägerin hat am 08.08.2014 Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung eines Betrages von 50.824,61 Euro + 613,81 Euro = 51.438,42 Euro wehrt.
30Sie bestreitet die dargestellten Verstöße gegen die Vorgaben der Richtlinie. Selbst grobe Verstöße gegen Form und Inhalt der Zählprotokolle hätten nicht zwingend zur Folge, dass die festgehaltene Zahl der Freifahrtberechtigten unberücksichtigt bleibe. Der Behörde stehe insoweit Ermessen zu. Es lägen aber auch keine groben Verstöße vor. Eine Sachverhaltsaufklärung sei infolge des Zeitablaufs erschwert. Es sei lebensfremd, an jedem Tag und bei jeder Fahrt die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises und des Beiblatts mit gültiger Wertmarke zu verlangen, obgleich der Fahrgast dem Fahrer persönlich bekannt sei. Auch habe das Ministerium eine nur stichprobenartige Kontrolle durchgeführt. Im Übrigen wiederholt die Klägerin die Angaben der S1. GmbH und verweist darauf, dass diese keinen Anlass zu Manipulationen gehabt habe, da sie von der Zählung nicht selbst wirtschaftlich betroffen sei. Schließlich habe die Bezirksregierung Begleitpersonen nicht berücksichtigt, die ebenfalls freifahrtberechtigt seien. Auch sei zweifelhaft, ob die vom MAIS eingesetzten Kontrolleure die Wertmarken überhaupt hätten erkennen können.
31Die Klägerin beantragt,
32den Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 10.07.2014 aufzuheben.
33Die Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Sie beschreibt die Einzelheiten der Überprüfung: Bei den sieben Fahrten am 09.11.2012 seien jeweils zwei Kontrollpersonen eingesetzt gewesen und hätten sich jeweils links- bzw. rechtsseitig direkt hinter dem Fahrer platziert. Sie hätten ungehinderten Blick auf die gezeigten Ausweise gehabt. Die Ergebnisse seien unauffällig notiert und später auf die Beobachtungsbögen übertragen worden. Nach dem Ausstieg an der Endhaltestelle habe man zudem darauf geachtet, ob der Fahrer nicht wenigstens unmittelbar nach Abschluss einen Erhebungsbogen ausfüllt.
36Dass die Erhebungsbögen teilweise wissentlich unrichtig ausgefüllt worden seien, räume die Klägerin selbst ein. Darauf, dass einige der Fahrgäste von Person bekannt seien, könne sich die Klägerin nicht berufen, da die Gültigkeit einer Wertmarke im Verlauf des Erhebungszeitraums enden könne und nicht jeder Schwerbehinderte eine solche Wertmarke erwerbe. Auf die weiteren Aufgaben der Fahrer könne die Klägerin nicht verweisen, wenn sie sich für das individuelle Erstattungsverfahren entscheide.
37Sie – die Beklagte – behaupte nicht, dass Freifahrtberechtigte „erfunden“ worden seien; vielmehr sei die gesamte Erhebung aufgrund der schweren Fehler nicht als Nachweis anerkannt werden. Der tolerable Fehleranteil, ab dessen nicht mehr von einem validen Nachweis ausgegangen werden könne, werde von Experten unterschiedlich mit 0 % bis 2 % angesetzt und sei hier überschritten.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung Köln Bezug genommen.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40Die ausschließlich gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung der vereinnahmten Beträge von 50.824,61 Euro + 613,81 Euro = 51.438,42 Euro gerichtete Klage ist gemäß § 42 Abs. 1, 1. Variante VwGO als Anfechtungsklage statthaft. Insbesondere stellt die im streitgegenständlichen Bescheid vom 10.07.2014 geäußerte Bitte um Überweisung zu Lasten von Bund und Land überzahlter Vorauszahlungen für das Jahr 2012 eine verbindliche Festsetzung des Erstattungsbetrages und damit einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Denn die höfliche Formulierung ändert nichts an dem Umstand, dass die Rückzahlungsverpflichtung nach Höhe, Zeitpunkt („unverzüglich“) und Adressat abschließend bestimmt war und aus der Sicht der Klägerin auch nur in diesem Sinne aufgefasst werden konnte. Einer ausdrücklichen Bezeichnung als Leistungsbescheid o.ä. bedurfte es angesichts dessen nicht.
41Die Klage ist jedoch nicht begründet.
42Das beklagte Land kann durch die Bezirksregierung Köln als der nach § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. der Richtlinie des MAIS zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 148 SGB IX vom 20.01.2012 - V B 3 - 4421.43 - (MBl. NRW vom 24.02.2012, S. 81-110) auch für den Bundesanteil zuständigen Erstattungsbehörde die Rückzahlung der überzahlten Vorausleistung verlangen. Das Rückzahlungsverlangen findet seine Rechtsgrundlage in § 150 Abs. 7 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 49a Abs. 1 VwVfG NRW, bzw. in einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.
43Es kann offen bleiben, ob § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unmittelbar anzuwenden ist, weil die abschließende Abrechnung nach einem Vorausleistungsbescheid als auflösende Bedingung für dessen Fortbestand zu interpretieren ist,
44zur auflösenden Bedingung vgl. Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG-Großkommentar, 1. Auflage 2014, § 36, Rn. 24, 26,
45oder die Norm zumindest entsprechende Anwendung findet,
46so VG Düsseldorf, Urteil vom 08.05.2015 - 13 K 5101/14 - (auch zur Nichtanwendbarkeit des § 150 Abs. 2 Satz 4 SGB IX),
47oder ihre Anwendbarkeit sogar ausgeschlossen ist, weil sich der Fall, dass durch das Ergehen einer endgültigen negativen Entscheidung eine vorangegangene erledigt wird, nicht unter die Voraussetzungen des § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW subsumieren lässt, und statt dessen auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zurückzugreifen ist,
48vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.2009 - 3 C 7.09 -, NVwZ 2010, 643 f.; Sauerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG-Großkommentar, 1. Auflage 2014, § 49a, Rn. 14.
49Denn auch § 49a VwVfG NRW stellt nur eine positiv-rechtliche Verkörperung dieses aus dem zivilrechtlichen Bereicherungsrecht abgeleiteten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs dar, der grundsätzlich dann entsteht, wenn ein Rechtsgrund für den weiteren Behalt einer öffentlich-rechtlichen Leistung nicht oder nicht mehr besteht. Ob § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unmittelbar, analog oder gar nicht anwendbar ist, bleibt damit unerheblich, solange jedenfalls die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches gegeben sind.
50Keiner Klärung bedarf auch die Frage, ob ein Rechtsgrund für den Behalt der vereinnahmten Beträge schon dann nicht (mehr) besteht, wenn sich der Vorauszahlungsbescheid nach § 43 Abs. 2 VwVfG NRW auf andere Weise (hier durch Erlass des Bescheides vom 10.07.2014) erledigt hat, der Leistungsempfänger jedoch – wie hier – das Begehren auf Individualerstattung nicht durch eine Verpflichtungsklage, gerichtet auf Erlass eines für ihn günstigen Erstattungsbescheides, verfolgt, ein Rechtsgrund in Gestalt eines (Individual-)Erstattungsbescheides damit gar nicht angestrebt wird.
51Denn die Klägerin hat jedenfalls keinen Anspruch auf eine sog. Individualerstattung nach § 145 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX.
52Nach der gesetzlichen Konzeption des § 148 SGB IX erfolgt die Erstattung von Fahrgeldausfällen im öffentlichen Personennahverkehr, die durch die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter entstehen, im Grundsatz nach dem gemäß § 148 Abs. 4 SGB IX für jedes Jahr ermittelten und bekannt gemachten Prozentsatz. Hierbei handelt es sich um einen landesweiten Durchschnittswert, der auf der Anzahl ausgegebener Wertmarken, der Hälfte der im Umlauf befindlichen Ausweise auf der einen sowie den statistischen Zahlen der Wohnbevölkerung auf der anderen Seite basiert. Er ermöglicht im Regelfall eine angemessene und empirisch hinreichend abgesicherte Erstattung bei gleichzeitiger Verwaltungsvereinfachung, bleibt aber naturgemäß pauschal. Demgegenüber stellt die im Einzelfall mögliche und gebotene Individualerstattung nach § 148 Abs. 5 SGB IX eine besondere Härtefallregelung dar,
53vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 BvL 18/82, 46/83 und 2/84, BVerfGE 68. 155-175, Nichtannahmebeschluss vom 19.03.2014 - 1 BvR 1417/10 -, NVwZ 2014, 1005 ff.; ferner: BVerwG, Urteil vom 18.03.2010 - 3 C 26.09 -, BVerwGE 136, 157 ff., OVG Lüneburg, Urteil vom 26.05.2009 - 4 LC 653/07 -
54die eine Abweichung vom Regelfall gerade bedingt und deren einzelfallbezogenen Voraussetzungen vom Antragsteller in vollem Umfang zu beweisen sind. Dies ergibt sich nicht nur unzweideutig aus dem Wortlaut der Vorschrift („Weist ein Unternehmen ... nach, dass ...“), sondern auch aus ihrem Charakter als Ausnahmevorschrift.
55Die Frage, mit welchen Mitteln dieser Nachweis zu führen ist, wird vom Gesetz nur mit dem Hinweis auf das Instrument der Verkehrszählung beantwortet. Nähere Bestimmungen zu Art und Durchführung der Verkehrszählung finden sich im Gesetz nicht, sondern sind in den das Gericht zwar nicht bindenden, aber norminterpretierend heranzuziehenden Verwaltungsvorschriften in Gestalt der zitierten Richtlinie des MAIS zu entnehmen.
56Vgl. VG Düsseldorf, a.a.O.
57Die vorliegend durchgeführte Stichprobenerhebung war hiernach durchaus zulässig; auch fehlt es nicht an dem nach 3.2.3.1 erforderlichen Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers, resp. vergleichbaren Instituts. Zudem sind gegen den Zuschnitt der Erhebungsfahrten Einwände weder ersichtlich noch vorgetragen.
58Allerdings hat das beklagte Land durch den Hinweis auf das Ergebnis auf eigene Beobachtungen bei insgesamt sieben Linienfahrten, die mit Ausnahme der Linien 000 und 000 die von der Klägerin gezählten Linien erfassten, das Vertrauen in die inhaltliche Richtigkeit der Stichprobenerhebung nachhaltig erschüttert. Denn nach den Angaben des beklagten Landes wurden bei vier der sieben Linienfahrten Verstöße gegen die Richtlinien festgestellt. Bei den Fahrten 3-5 seien freifahrberechtigte Personen ohne ordnungsgemäße Prüfung der Fahrtberechtigung erhoben worden. Bei der Fahrten 3 und 4 habe nur eine Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke stattgefunden; bei der Fahrt 5 seien mehr Freifahrtberechtigungen erhoben worden als Sichtungen beobachtet worden seien. Soweit bei drei Linienfahrten keine Mängel erkannt worden sind, stiegen nach den Angaben des beklagten Landes gar keine freifahrberechtigten Personen zu. Es lassen sich aus ihnen daher weder Schlüsse für noch Schlüsse gegen den Standpunkt der Klägerin gewinnen.
59Die gegen dieses Ergebnis seitens der Klägerin vorgebrachten Einwände greifen nicht durch: Zwar ist es durchaus lebensnah, dass ein Fahrer von einer genauen Kontrolle der Ausweise mit den Wertmarken absieht, wenn ihm der Fahrgast persönlich bekannt ist und er die naheliegende Befürchtung hegt, die Aufforderung an den Fahrgast, den Ausweis zu zeigen, könne als unfreundlicher Akt ausgelegt werden. Jedoch könnte dem mit einer mündlichen Aufklärung des Fahrgastes darüber, dass es sich um eine notwendige Verkehrszählung handelt, begegnet werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass – wie die Klägerin ebenso lebensnah vorträgt – die Fahrer Besseres zu tun, namentlich sich um die Verkehrssicherheit zu kümmern hätten. Die für das fahrende Personal mit einer derartigen Erhebung verbundenen Erschwernisse sind gerade ein Motiv für die gesetzliche Ermächtigung der Länder in § 148 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, die Verkehrszählung durch Dritte auf Kosten des Unternehmens zu gestatten. Einen entsprechenden Weg ist die Klägerin offenkundig für die Folgejahre auch gegangen. Entscheidet sie sich aber wie für das Jahr 2012 für eine Erhebung durch das Fahrpersonal, trägt sie auch das hiermit verbundene Risiko derartiger Erhebungen.
60In diesem Sinne auch VG Düsseldorf a.a.O., juris, Rn. 61.
61Auch bleibt es spekulativ, wenn die Klägerin vorträgt, die Prüfer des MAIS hätten aus ihrer Position im Bus etwaige Wertmarken zu Ausweisen gar nicht erkennen können. Dem hat das beklagte Land nachvollziehbar entgegnet, dass sich die Prüfer bei den offenbar nachfrageschwacheren Fahrten auf den vorderen Sitzen platziert und gemeinsam einen guten Überblick über das Geschehen gehabt hätten. Dass die Umstände von Erhebung und Prüfung nach drei Jahren heute nicht mehr vollständig aufklärbar sind, liegt – solange es an einer umfänglichen elektronischen Erfassung der einzelnen Fahrtberechtigungen fehlt – in der Natur der Sache. Es ändert jedoch nichts daran, dass es an der Klägerin ist nachzuweisen, dass in ihrem Unternehmen der Anteil der nach SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgäste um mindestens 1/3 über dem errechneten Landesschnitt liegt.
62Nichts zu erinnern ist auch gegen die Aussage des beklagten Landes, mittels Varianzberechnung lasse sich ein Fehleranteil von 22,53 % ermitteln, wobei die Wahrscheinlichkeit dieses oder eines höheren Fehleranteils statistisch bei 95 % liege. Der von der Klägerin selbst herangezogene Gutachter Prof. Dr. X2. bezeichnet in seinem Schreiben vom 28.05.2014 diese Aussage als statistisch korrekt. Weiteres ist insoweit auch nicht vorgetragen worden. Nach dem für richtig erkannten mathematischen Rechenmodell ist es auch unerheblich, dass die Basis der MAIS-Prüfung mit sieben Fahrten an einem Tag eher schmal ist. Die Vertreter des Ministeriums haben in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sich die Anzahl der Prüfungsfahrten nach der Große des Verkehrsunternehmens richtet und die Anzahl der Prüffahrten in dem der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zugrunde liegenden Fall durchaus höher war. Da es im Fall der Klägerin lediglich um vier Linienwege bei sieben Linien ging, ist die getroffene Auswahl noch angemessen. Auch war der 09.11.2012 ein Freitag ohne kalendarische Besonderheiten, wie etwa Schulferien o.ä., die das Ergebnis zufallsbedingt hätten verfälschen können. Zudem standen nicht die quantitativen Ergebnisse der Zählung im Focus der Prüfung, sondern die Korrektheit der Erhebung. Diese wird nicht primär durch den gewählten Prüfungstag beeinflusst. Dass ein einzelner Tag ausreichen kann, valide Prüfergebnisse zu erhalten, ist durch die Varianzberechnung belegt.
63Der Umstand, dass die Erhebung 2013 nicht durch das Fahrpersonal, sondern durch externe Kräfte durchgeführt wurde und ein Ergebnis erbrachte, das sogar leicht über dem von 2012 lag, streitet ebenfalls nicht für die Auffassung der Klägerin, auch die Zahlen für 2012 müssten korrekt sein. Die Vertreter des MAIS haben in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und unwidersprochen ausgeführt, dass es in Nordrhein-Westfalen ca. 170 Verkehrsunternehmen gebe, die öffentlichen Personennahverkehr der hier fraglichen Art durchführten. Davon wählten etwa 40 jährlich die Individualerstattung. Nach einer Rüge des Landesrechnungshofes seien 2012 zunächst 27, danach etwa 10-15 Unternehmen hiervon überprüft worden. Die Klägerin habe für das Jahr 2013 nicht zu diesen nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Unternehmen gezählt. Damit fehlt es auch an einem nachvollziehbaren Beleg für die Richtigkeit der für 2013 ermittelten Daten, obgleich es nahe gelegen hätte, jenseits des Zufallsprinzips im Folgejahr gerade die Unternehmen erneut zu überprüfen, deren Meldungen zuvor auffällig geworden waren.
64Insgesamt drängt sich damit der Eindruck auf, dass die Erhebungen durch das Fahrpersonal zum Teil deutlich fehlerhaft durchgeführt wurden. Wenngleich die hierfür vorgetragenen Gründe bei lebensnaher Betrachtung durchaus nachvollziehbar sind und dem Personal nachträglich oft kaum ein Vorwurf zu machen sein wird, schmälert dies doch den Erkenntniswert der Erhebung erheblich. Das Ergebnis der Prüfung illustriert nur die Einschätzung, dass in der Praxis eine zutreffende Erhebung durch mit anderen Aufgaben ausgelastete Fahrer kaum je zuverlässig möglich sein dürfte. Dem hat die Klägerin durch die externe Vergabe ab 2013 nunmehr auch entsprochen.
65Ob die weiteren angeführten Mängel der Dokumentation – wie fehlende Angaben zur Erhebungsperiode etc., Doppelerhebungen, Abweichungen von Zählername und Unterschrift, Verwendung unterschiedlicher Schreibgeräte – für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit die Annahme einer fehlerhaften Erhebung begründen, bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn der Klägerin ist bereits nach dem Ergebnis der angesprochenen Prüfung der nach § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX erforderliche Nachweis nicht gelungen.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist trotz seines sozialrechtlichen Bezugs nicht nach § 188 Satz 1 VwGO gerichtskostenfrei. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 188 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO und daraus, dass die Gerichtskostenfreiheit auf originär fürsorgerechtliche Verfahren zugunsten des betroffenen Schwerbehinderten beschränkt ist,
67vgl BVerwG, Beschluss vom 08.05.1990 - 7 ER 101.90 -, Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 10; VG Köln, Urteil vom 14.02.2008 - 26 K 1650/07 -; nunmehr auch VG Düsseldorf, a.a.O.
68Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Hilfsmerkmale sind
- 1.
Name und Anschrift des Auskunftspflichtigen, - 2.
Name, Telefonnummer und E-Mail-Adresse der für eventuelle Rückfragen zur Verfügung stehenden Person, - 3.
für die Erhebung nach § 143 Nummer 1 die Kennnummer des Leistungsberechtigten.
(2) Die Kennnummern nach Absatz 1 Nummer 3 dienen der Prüfung der Richtigkeit der Statistik und der Fortschreibung der jeweils letzten Bestandserhebung. Sie enthalten keine Angaben über persönliche und sachliche Verhältnisse des Leistungsberechtigten und sind zum frühestmöglichen Zeitpunkt, spätestens nach Abschluss der wiederkehrenden Bestandserhebung, zu löschen.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Tenor
Der Bescheid vom 15.7.2013 wird aufgehoben, soweit in ihm ein Rückzahlungsbetrag für das Kalenderjahr 2011 von mehr als 66.698,08 € festgesetzt wurde.
Das beklagte Land wird verpflichtet, über den bereits mit vorläufigem Bescheid vom 15.7.2013 festgesetzten Betrag von 154.989,80 € hinaus weitere 61,38 € an Erstattungen für Fahrgeldausfälle für das Kalenderjahr 2011 zugunsten der Klägerin festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 14.12.2012 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2011. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2011 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.841.463 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 1.8.2011 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2010 bei. Für das Erstattungsjahr 2010 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2011 3,76 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 291.871 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2011 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 221.749 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 70.123 EUR.
4Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern. Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Kalenderjahr 2012 ein.
5Mit Bescheid vom 15.7.2013 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag für 2011 auf 154.998,80 EUR fest und informierte die Klägerin zugleich über einen sich unter Anrechnung der für 2011 ausgezahlten Vorauszahlungen ergebenden Rückzahlungsbetrag i.H.v. 66.759,46 EUR. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 15,85 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2010 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass viele Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich Verwendung von Tipp-Ex im Zählprotokoll, Verwendung mehrerer Stifte im Zählprotokoll, Zählungen außerhalb der Zählperiode, falsche Summenbildung, vertauschte Summen, keine Summenbildung und nachträglich beigefügte Zählstriche. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten. Sie lege daher den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % für das Kalenderjahr 2011 zu Grunde. Diese sei der einzige in Frage kommende Wert. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 154.989,80 EUR.
6Die Klägerin hat am 16.8.2013 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass die abweichende Festsetzung des Erstattungsbetrages ohne vorherige Anhörung erfolgt sei. Die von der Bezirksregierung E1. bemängelten Unregelmäßigkeiten in der dem Testat der IVV vom 1.8.2011 zu Grunde liegenden Verkehrszählung lägen nicht vor bzw. erlaubten der Bezirksregierung nicht, den beantragten Wert anzuzweifeln. Die für das Jahr 2010 geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Nachweises abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex, noch zu der Verwendung mehrerer Stifte oder zu einer fehlenden Summenbildung. Da bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs bereits aus Vereinfachungsgründen eine Pauschalierung vorgenommen werde, dürften an die erforderlichen Verkehrszählungen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Als maßgeblich müssten die nach verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen aussagekräftigen Erhebungen gelten. Die im vorliegenden Fall beauftragte IVV sei in der Branche anerkannt und habe die Erhebung für das Jahr 2010 richtlinienkonform durchgeführt, so dass der durch die IVV ermittelte Wert auch für das Jahr 2011 zu Grunde zu legen sei. Das von der Bezirksregierung in Bezug genommene Testat der WVI vom 30.4.2013 beziehe sich dagegen ausdrücklich auf das Jahr 2012. Das Testat der WVI sei auf Grundlage einer neuen, ab 2012 geltenden Richtlinie erstellt worden. Hieraus könnten keine Rückschlüsse auf das Jahr 2011 gezogen werden. Die Bezirksregierung sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2011 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen.
7Die Klägerin beantragt,
8das beklagte Land zu verpflichten, der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 15.7.2013 für das Jahr 2011 weitere Erstattungsleistungen i.H.v. 113.863,80 EUR zu bewilligen.
9Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie führt ergänzend zu dem Vorbringen in dem angegriffenen Bescheid aus, dass der individuelle Schwerbehindertenquotient nur berücksichtigt werden könne, wenn er korrekt ermittelt worden sei. Wenn erhebliche Fehler vorhanden seien, die das Ergebnis infrage stellten, könne der individuell errechnete Schwerbehindertenquotient nicht anerkannt werden. Im vorliegenden Fall lägen 8,33 % der Zählprotokolle außerhalb der Zählperiode, 4,92 % wiesen ein verändertes oder unvollständiges Datum auf, bei 3,79 % wichen Zählername und -unterschrift voneinander ab und bei 3,41 % sei eine falsche Summenbildung vorhanden. Die Verlässlichkeit der erforderlichen Nachweise zur Gewährung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten sei in der vorliegenden Form nicht ausreichend valide. Falls ein individuell errechneter Schwerbehindertenquotient wegen erheblicher Mängel nicht berücksichtigt werden könne, sei grundsätzlich nach der allgemeinen Landesquote abzurechnen. Sie sei jedoch bereit, ein anderes Verfahren zu akzeptieren, wenn damit nachgewiesen werden könne, dass der tatsächliche Schwerbehindertenquotient höher sei als die Landesquote. Es sei sachgerecht, zu Gunsten der Klägerin den von dem unabhängigen Institut WVI für das Jahr 2012 errechneten Wert auch für das Jahr 2011 heranzuziehen. Der hohe Schwerbehindertenquotient für die Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in dieser Einrichtung wohnenden Personen habe sich von 2010 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2011 deutlich höher sei als im Jahr 2012. Der höhere Wert könne nur durch falsche Zahlen erklärt werden. Diese Vorgehensweise wirke sich zu Gunsten der Klägerin aus. Gäbe es keine korrekte Berechnung, hätte für das Jahr 2011 die Landesquote von 3,76 % angesetzt werden müssen. Die Klägerin sei auch angehört worden. Es habe mehrere Besprechungen mit der Klägerin gegeben, in denen die Problematik erörtert worden sei.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, des das Jahr 2010 betreffenden Verfahrens 6 K 1605/14 nebst Beiakte, des das Jahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. Bezug genommen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
14Die als Verpflichtungsklage, soweit die Klägerin einen weiteren Erstattungsbetrag von 113.863,80 EUR begehrt, und als (Teil-)Anfechtungsklage, soweit sie die Änderung des Bescheides vom 15.7.2013 hinsichtlich des darin festgesetzten Rückzahlungsbetrags von 66.759,46 EUR begehrt, statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
15Die Klägerin hat für das Kalenderjahr 2011 einen Erstattungsanspruch gegen das beklagte Land in Höhe von 155.051,18 EUR aus §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1, Abs. 5 S. 1, 150 SGB IX wegen der aufgrund unentgeltlicher Beförderung schwerbehinderter Menschen entstandenen Fahrgeldausfällen. Zu dem mit Bescheid vom 15.7.2013 festgesetzten Erstattungsbetrag von 154.989,80 EUR ergibt sich eine Differenz in tenorierter Höhe. Darüber hinaus steht der Klägerin für das Jahr 2011 kein weitergehender Erstattungsanspruch zu. Da die Ablehnung einer weiteren Erstattung von 61,38 EUR insoweit rechtswidrig war und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, war die Verpflichtung des beklagten Landes zur Festsetzung des Differenzbetrages auszusprechen (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
16Unter Berücksichtigung für das Kalenderjahr 2011 erhaltener Vorauszahlungen i.H.v. 221.749,26 EUR – die Klägerin hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie in dem Erstattungsantrag vom 14.12.2012 auf die Angabe des Centbetrags verzichtet hatte – ergibt sich ein von der Klägerin zurück zu zahlender Betrag von 66.698,08 EUR. Soweit in dem angegriffenen Bescheid vom 15.7.2013 ein höherer Rückzahlungsbetrag festgesetzt wurde, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weswegen er insoweit aufzuheben war (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
17Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat die Bezirksregierung E1. den Bescheid auf §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX gestützt. Gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
18Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Dabei kann offen bleiben, ob – wie die Klägerin meint – im Verwaltungsverfahren entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor abweichender Festsetzung der Erstattungsleistungen ihre Anhörung erforderlich gewesen wäre und diese unterblieben ist. Nach dieser Vorschrift ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach § 150 Abs. 7 S. 1 SGB IX gelten für das Erstattungsverfahren hinsichtlich Fahrgeldausfällen das Verwaltungsverfahrensgesetz und die entsprechenden Gesetze der Länder. Ein entsprechender Verfahrensfehler wäre jedenfalls gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW unbeachtlich. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG NRW nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, was nach Absatz 2 der Vorschrift bis zum Abschluss der 1. Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geschehen darf. Die Heilung des Verfahrensfehlers muss dabei nicht in einem parallel zum anhängigen Gerichtsverfahren geführten Verwaltungsverfahren erfolgen. Sie kann vielmehr auch in einem Austausch von Sachäußerungen in einem gerichtlichen Verfahren bestehen, sofern die Behörde den Vortrag des Betroffenen zum Anlass nimmt, ihre Entscheidung noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und zu erwägen, ob sie unter Berücksichtigung der nunmehr vorgebrachten Tatsachen und rechtlichen Erwägungen an ihrer Entscheidung mit diesem konkreten Inhalt festhalten will und das Ergebnis der Überprüfung mitteilt.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1.6.2012 – 15 A 48/12 –, und Beschluss vom 14.6.2010 – 10 B 270/10 –, jeweils abrufbar unter: www.nrwe.de (= juris).
20Dies ist hier jedenfalls im Rahmen der Klageerwiderung geschehen, in der sich die Bezirksregierung E1. mit dem Vorbringen der Klägerin inhaltlich auseinander gesetzt hat. Durch die Stellung eines Klageabweisungsantrags in der mündlichen Verhandlung hat sie ferner dokumentiert, dass sie an dem Bescheid vom 15.7.2013 mit dessen konkretem Inhalt festhalten will.
21Ein eventueller Verfahrensfehler würde hier auch gem. § 46 VwVfG NRW nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides führen. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So liegt der Fall hier. Der Klägerin war bereits seit Ende 2011 klar, dass bei der Bezirksregierung E1. ein Überprüfungsverfahren hinsichtlich der durch die eigenen Verkehrszählungen ermittelten Schwerbehindertenquotienten in den Jahren 2006 und 2008 stattfand. Die Bezirksregierung trat sogar mit Manipulationsvorwürfen an die Klägerin heran. Da – wie auch im Kalenderjahr 2010 – der im Erstattungsantrag hinsichtlich des Jahres 2011 angesetzte betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient auf der Verkehrszählung des Jahres 2010 beruhte, die noch vom Personal der Klägerin selbst durchgeführt wurde, musste die Klägerin damit rechnen, dass es nunmehr zu einer abweichenden Festsetzung kommen konnte. Dies gilt vorliegend umso mehr, als bereits in dem Gespräch am 24.10.2012 thematisiert wurde, dass hinsichtlich der Fahrgelderstattungen für die vergangenen Jahre rückwirkend ein Schwerbehindertenquotient angenommen werden könnte, der auf der durch das Institut WVI für das Kalenderjahr 2012 durchgeführten Verkehrszählung beruht. Hinsichtlich der Fahrgelderstattungen und möglicher Rückzahlungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 hatte die Klägerin am 31.1.2012 und 3.5.2013 im Verwaltungsverfahren ausführlich Stellung genommen. Es wird von der Klägerin nicht vorgetragen und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, was die Klägerin im Erstattungsverfahren für das Kalenderjahr 2011 noch hätte vorbringen können, um die Bezirksregierung E1. von ihrem Entschluss, die Erstattungen auf Basis des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 nachträglich neu festzusetzen, abzubringen. Im Gegenteil ergibt sich gerade daraus, dass die Bezirksregierung E1. im Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Fahrgelderstattungen für die Kalenderjahre 2006 bis 2010 trotz dort erfolgter Anhörung sämtliche ursprünglichen Festsetzungsbescheide zurücknahm und die jeweiligen Erstattungsbeträge auf Basis des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 nachträglich neu festsetzte, dass eine eventuelle Verletzung des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW im vorliegenden Verfahren die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte.
22Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2011 tatsächlich 15,85 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,76 % um mindestens ein Drittel überstieg.
23Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2010 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2010 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2010 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
24Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
25Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
26Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
27Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
28Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
29Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
31Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
32Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
33Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
34Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
35Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
36An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
37Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
38Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 22 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung (8,33 % der Zählprotokolle) – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 23 ff. der Beiakte I nachvollzogen werden – eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Beispiel: Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 15:28 – Ankunft 15:57 am 8.5.2010; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2010 in dem Zeitraum 12.4.2010 bis 30.4.2010).
39Gem. Ziffern 3 und 3.1 der Richtlinie 1987 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Die Klägerin trägt dazu vor, dass vereinzelt Erhebungen außerhalb der vorgeschriebenen Zählperioden durchgeführt wurden, wenn beispielsweise eine Fahrt ausgefallen oder die jeweilige Zählperson erkrankt war. Es sei dann ein „vergleichbares Datum“ zur Nacherhebung ausgewählt worden, damit eine Vergleichbarkeit weiterhin gegeben sei.
40Nach Auffassung der Kammer kann eine innerhalb der Erhebungsperiode zu prüfende Fahrt nicht ohne weiteres durch eine „vergleichbare Fahrt“ außerhalb der jeweiligen Erhebungsperiode ersetzt werden. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
41Bei Ausfällen von Fahrten oder Zählpersonal hätte es der Klägerin daher oblegen, zu dokumentieren und deutlich zu machen, welche Fahrt im Einzelnen zusätzlich erhoben wurde, um welche ausgefallene Erhebung zu ersetzen. Allein aus dem Umstand, dass die Richtlinie 1987 – wie der Klägerin zuzugeben ist – an keiner Stelle Ausführungen dazu enthält, wie Abweichungen zu dokumentieren sind, kann die Klägerin nicht herleiten, dass eventuelle Abweichungen vom vorgeschriebenen Erhebungsmodus überhaupt nicht dokumentiert werden müssen. Im Gegenteil hat die Klägerin als das den Nachweis i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX führende Verkehrsunternehmen stets sicherzustellen, dass gerade im Falle von Abweichungen die jederzeitige Nachprüfbarkeit der Verkehrszählung erhalten bleibt.
42Die Bezirksregierung verweist weiter darauf, dass in 13 von 264 Zählprotokollen (4,92 %) eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel: Protokoll Linie 9883 –Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 7.4.2010 und Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7./8.4.2010). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
43Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne vorkommen, dass sich ein Zähler verschreibe. Da dieser nur ein Protokoll zur Verfügung habe, sei eine Korrektur auf dem Protokoll besser, als dort ein falsches Datum stehen zu haben, dass im Nachhinein zu Irritationen und Zweifeln an der Korrektheit führe.
44Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7.4. oder 8.4.2010 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
45Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung fehlt in 2 von 264 Zählprotokollen (0,76 %) die Angabe des Namens des Zählers. Dies betrifft die Protokolle Linie 9885 – Abfahrt 15:45 – Ankunft 16:12 am 23.2.2010 und Linie 9885 – Abfahrt 16:15 – Ankunft 16:45 am 23.2.2010. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten. Ohne die Namensangabe sind die beiden Protokolle zum Nachweis der während dieser Fahrt erhobenen Zahlen mangels Nachprüfbarkeit unbrauchbar.
46Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 37 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2010 (rund 14 %) unbrauchbar, kommen sie zur Überzeugung der Kammer insgesamt nicht mehr als zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten in Betracht.
47Da das Gesetz eine Rechtsfolge für einen nicht ausreichenden Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht vorsieht und die Fahrgelderstattung ansonsten pauschal gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach Landessatz zu erfolgen hat, wäre es grundsätzlich richtig gewesen, dem Unternehmer, der den Nachweis nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX nicht korrekt führt, Fahrgelderstattungen nur nach dem Landessatz zuzugestehen. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch unbillig, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz.
48Obwohl dies einer gesetzlichen Grundlage entbehrt, ist es wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Erstattungsleistung als Ausgleich für die Indienstnahme eines Privaten im öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreis in einem solchen Fall im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Bewilligungsbehörde einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde legt, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Die Bezirksregierung E1. ist so vorgegangen, indem sie anstelle des Wertes von 15,85 % den nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % auch für das Jahr 2011 zum Zweck der Berechnung des Erstattungsanspruchs angenommen hat. Die Vorgehensweise der Bezirksregierung E1. weist daher einen sich zum Nachteil der Klägerin auswirkenden Rechtsanwendungsfehler nicht auf.
49Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
509,67 % - 1,25 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,76 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) = 8,42 %
511.841.463,00 € (Fahrgeldeinnahmen 2011) / 100 x 8,42 = 155.051,18 €
52Die abweichende Festsetzung im Bescheid vom 15.7.2013 rührt daher, dass die Bezirksregierung E1. offenbar wie folgt gerechnet hat: 9,67 (angenommener Schwerbehindertenquotient aus 2012) – 3,76 / 3 (Drittel des Landessatzes) x 1.841.463,00 (Fahrgeldeinnahmen) / 100 = 154.989,80 €. Die von der Behörde zur Berechnung der Erstattungsleistung im Bescheid offenbar verwendete Rechenmethode berücksichtigt wesentlich mehr Nachkommastellen und gelangt so zu einem abweichenden Ergebnis.
53Die Berechnung ist dagegen auch bei der Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX so vorzunehmen, dass der einzustellende Prozentsatz auf zwei Nachkommastellen zu runden ist, wie es § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX vorsieht. Nach § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX sind bei der Festsetzung des Landessatzes sich ergebende Bruchteile von 0,005 und mehr auf ganze Hundertstel aufzurunden und im Übrigen abzurunden. Dies führt bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach Landessatz dazu, dass entsprechend mit einem auf zwei Nachkommastellen gerundeten Wert zu rechnen ist. Aus Sicht der Kammer gibt es keinen sachlichen Grund, bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach betriebsindividuellem Schwerbehindertenquotienten anders zu verfahren.
54Abzüglich erhaltener Vorauszahlungen für das Kalenderjahr 2011 von 221.749,26 € errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 66.698,08 €.
55Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Es war sachgerecht, der Klägerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil das beklagte Land nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
56Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 14.12.2007 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2006. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2006 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.569.122,27 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 27.3.2007 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2006 bei. Für das Erstattungsjahr 2006 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2006 3,62 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 208.850,17 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2006 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 160.373,76 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 48.476,41 EUR.
4Mit Bescheid vom 30.6.2008 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 189.863,79 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 29.490,03 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 26.2.2014, abgesandt am 4.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 30.6.2008 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2006 auf 132.800,05 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 57.063,74 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 13,31 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2006 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten und sonstigen Fahrgäste, Erfassung in nur einer Fahrtrichtung, obwohl beide Fahrtrichtungen hätten erfasst werden müssen, Erhebung in falscher Wochenzeitschicht bzw. nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel, gleichzeitiges Zählen an zwei verschiedenen Orten durch denselben Zähler und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 30.6.2008 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 30.6.2008 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2006 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2006 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 13,31 % sei daher für das Jahr 2006 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2006 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 132.800,05 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2006 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 189.863,79 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 57.063,74 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 30.6.2008 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 26.2.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 30.6.2008 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2006 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2006. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2006 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2006 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2006 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 26.2.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2006 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 26.2.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 26.2.2014 die Regelung des Bescheids vom 30.6.2008 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 26.2.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 30.6.2008 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 132.800,05 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 26.2.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 30.6.2008 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 30.6.2008 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 30.6.2008 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2006 tatsächlich 13,31 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,62 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2006 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2006 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2006 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 13 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils entweder durch eigenes Nachzählen in den Originalzählprotokollen in der Beiakte I oder anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 246 ff. der Beiakte II nachvollzogen werden – eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel für fehlendes Datum: Protokoll Linie 9881 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58, Einsatzplan 188, Periode 2, Mo-Fr, Umlauf 881038; Beispiel für Veränderungen: Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
43Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass die Datumsangaben „häufig geändert“ worden seien. Vereinzelte Fehler führten nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
44Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
45Die Bezirksregierung macht weiter geltend, dass eine Zählperson laut 2 von 248 Protokollen gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten zählte. Dies betrifft die Protokolle vom 04.07.2006 auf der Linie 9882 – Abfahrt 07:00 – Ankunft 07:29 und gleichzeitig ebenfalls ab demselben Einstiegsort der gleichen Linie die Fahrt Abfahrt 07:30 – Ankunft 07:59. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten.
46Die Klägerin meint hierzu, dass dies nur ein Versehen sein könne. Der Zähler habe sich schlicht beim Kalenderdatum eines der beiden Bögen vertan. Dieser Einzelfall erlaube ebenfalls keinen Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
47In diesem Fall sind beide Zählprotokolle unbrauchbar, ganz gleich, ob es sich dabei um ein Versehen der Zählperson handelte oder nicht. In beiden Fällen kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson welche Fahrt tatsächlich erhoben hat.
48Die Bezirksregierung verweist ferner darauf, dass in wenigstens einem Fall (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 15:15 – Ankunft 15:29 am 8.3.2006) Zählername und Unterschrift auf dem Zählprotokoll nicht korrespondierten (Zählername „T. “, Unterschrift wohl „M1. “). Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll die Unterschrift des Zählers enthalten.
49Die Klägerin trägt hierzu vor, dass ein Mitarbeiter, der nachträglich die Zählbögen überprüfte, bemerkt habe, dass der Zähler seine Namensangabe vergessen hatte. Diesen Namen habe der Mitarbeiter nachträglich hinzugefügt, hierbei die Unterschrift falsch gedeutet und entsprechend einen falschen Zählernamen eingetragen.
50Auch dieses Zählprotokoll ist zum Nachweis der dort enthaltenen Daten unbrauchbar, denn es kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson die betreffende Fahrt tatsächlich erhoben hat.
51Die Bezirksregierung, führt aus, dass in wenigstens einem Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 09:45 – Ankunft 09:59 am 27.5.2006; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2006 in dem Zeitraum 24.4.2006 bis 19.5.2006). Ferner seien in der Zählperiode 1 (Winterperiode) bei der Linie 9882 keine Zählungen an einem Samstag durchgeführt worden.
52Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung relevanten Wochenzeitschichten.
53Die Klägerin trägt dazu vor, dass es sich bei dem Datum außerhalb der Zählperiode um ein Versehen im Einzelfall handele.
54Das Zählprotokoll vom 27.5.2006 ist ebenfalls unbrauchbar. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
55Auch die Nichterhebung von Samstagsfahrten bei der Linie 9882 in der Winterperiode stellt einen ergebnisrelevanten Fehler der Verkehrserhebung dar. Es hätten entweder am 11.3.2006, 18.3.2006 oder am 25.3.2006 Erhebungen auf dieser Linie durchgeführt werden müssen, was nicht geschehen ist. Diese Erhebungsergebnisse wären nach Ziffer 9.211 ff. der Richtlinie 1987 im Rahmen der Wochenzeitschichten (Kombination aus Wochentagstypen und Tageszeitschichten) bei der Berechnung des Schwerbehindertenquotienten mit eingeflossen.
56Schließlich verweist die Bezirksregierung darauf, dass die Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode verwendet wurden. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend ein neuer Stichprobenplan zu erstellen und die zu erfassenden Linien zufällig auszuwählen seien. Ferner seien in die Stichprobenpläne keine Schulfahrten aufgenommen worden.
57Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
58Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Verwendung der Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode repräsentativ sei.
59Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Damit sind alle Erhebungen der 2. Zählperiode (62 von 248 Zählprotokollen) unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Hierbei wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, dass nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen.
60Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 79 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2006 (rund 32 %) unbrauchbar und liegen darüber hinaus mit der Nichterhebung von Samstagsfahrten der Linie 9882 in der Winterzählperiode und der Nichterhebung von Schulfahrten in zwei Zählperioden gravierende Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl vor, liegt zur Überzeugung der Kammer insgesamt keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
61Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 30.6.2008 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
62Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 30.6.2008) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
63Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
64Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
65Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
66An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 30.6.2008 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 14.12.2007 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
68Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
69Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
70Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 30.6.2008 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
71Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
72Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
73Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
74Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
75Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2006 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 30.6.2008 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 132.800,05 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
76Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
77Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
78BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
79Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
81Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 26.2.2014, der am 4.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
82Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 30.6.2008 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
83Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
849,67 % - 1,21 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,62 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,46 %
851.569.122,27 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2006) / 100 x 8,46 = 132.747,74 EUR
86Die abweichende Festsetzung im Bescheid vom 26.2.2014 rührt daher, dass die Bezirksregierung E1. offenbar wie folgt gerechnet hat: 9,67 (angenommener Schwerbehindertenquotient aus 2012) – 3,62 / 3 (Drittel des Landessatzes) x 1.569.122,27 (Fahrgeldeinnahmen) / 100 = 132.800,05 €. Die von der Behörde zur Berechnung der Erstattungsleistung im Bescheid offenbar verwendete Rechenmethode berücksichtigt wesentlich mehr Nachkommastellen und gelangt so zu einem abweichenden Ergebnis.
87Die Berechnung ist dagegen auch bei der Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX so vorzunehmen, dass der einzustellende Prozentsatz auf zwei Nachkommastellen zu runden ist, wie es § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX vorsieht. Nach § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX sind bei der Festsetzung des Landessatzes sich ergebende Bruchteile von 0,005 und mehr auf ganze Hundertstel aufzurunden und im Übrigen abzurunden. Dies führt bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach Landessatz dazu, dass entsprechend mit einem auf zwei Nachkommastellen gerundeten Wert zu rechnen ist. Aus Sicht der Kammer gibt es keinen sachlichen Grund, bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach betriebsindividuellem Schwerbehindertenquotienten anders zu verfahren.
88Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2006 von insgesamt 189.863,79 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 57.115,26 EUR.
89Die Bezirksregierung E1. errechnete dagegen nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 57.063,74 EUR, was sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
90Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
91Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 8.12.2008 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2007. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2007 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.625.570,00 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 27.3.2007 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2006 bei. Für das Erstattungsjahr 2006 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2007 3,59 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 216.363,37 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2007 erhaltenen Vorauszahlungen von 172.750,29 EUR die Auszahlung eines Restbetrages von noch 43.613,08 EUR.
4Mit Bescheid vom 30.6.2009 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 196.856,53 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 24.106,24 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 26.2.2014, abgesandt am 4.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 30.6.2009 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2007 auf 137.739,96 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 59.116,57 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 13,31 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2006 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten und sonstigen Fahrgäste, Erfassung in nur einer Fahrtrichtung, obwohl beide Fahrtrichtungen hätten erfasst werden müssen, Erhebung in falscher Wochenzeitschicht bzw. nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel, gleichzeitiges Zählen an zwei verschiedenen Orten durch denselben Zähler und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 30.6.2009 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 30.6.2009 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2007 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2007 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 13,31 % sei daher für das Jahr 2007 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2007 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 137.739,96 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2007 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 196.856,53 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 59.116,57 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 30.6.2009 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 26.2.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 30.6.2009 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2006 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2007. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2007 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2006 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2006 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 26.2.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2007 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 26.2.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 26.2.2014 die Regelung des Bescheids vom 30.6.2009 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 26.2.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 30.6.2009 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 137.739,96 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 26.2.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 30.6.2009 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 30.6.2009 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 30.6.2009 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2007 tatsächlich 13,31 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,59 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2006 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2006 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2006 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 13 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils entweder durch eigenes Nachzählen in den Originalzählprotokollen in der Beiakte I zum Verfahren 6 K 806/14 oder anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 246 ff. der Beiakte II zum Verfahren 6 K 806/14 nachvollzogen werden – eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel für fehlendes Datum: Protokoll Linie 9881 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58, Einsatzplan 188, Periode 2, Mo-Fr, Umlauf 881038; Beispiel für Veränderungen: Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
43Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass die Datumsangaben „häufig geändert“ worden seien. Vereinzelte Fehler führten nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
44Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
45Die Bezirksregierung macht weiter geltend, dass eine Zählperson laut 2 von 248 Protokollen gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten zählte. Dies betrifft die Protokolle vom 04.07.2006 auf der Linie 9882 – Abfahrt 07:00 – Ankunft 07:29 und gleichzeitig ebenfalls ab demselben Einstiegsort der gleichen Linie die Fahrt Abfahrt 07:30 – Ankunft 07:59. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten.
46Die Klägerin meint hierzu, dass dies nur ein Versehen sein könne. Der Zähler habe sich schlicht beim Kalenderdatum eines der beiden Bögen vertan. Dieser Einzelfall erlaube ebenfalls keinen Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
47In diesem Fall sind beide Zählprotokolle unbrauchbar, ganz gleich, ob es sich dabei um ein Versehen der Zählperson handelte oder nicht. In beiden Fällen kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson welche Fahrt tatsächlich erhoben hat.
48Die Bezirksregierung verweist ferner darauf, dass in wenigstens einem Fall (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 15:15 – Ankunft 15:29 am 8.3.2006) Zählername und Unterschrift auf dem Zählprotokoll nicht korrespondierten (Zählername „T. “, Unterschrift wohl „M1. “). Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll die Unterschrift des Zählers enthalten.
49Die Klägerin trägt hierzu vor, dass ein Mitarbeiter, der nachträglich die Zählbögen überprüfte, bemerkt habe, dass der Zähler seine Namensangabe vergessen hatte. Diesen Namen habe der Mitarbeiter nachträglich hinzugefügt, hierbei die Unterschrift falsch gedeutet und entsprechend einen falschen Zählernamen eingetragen.
50Auch dieses Zählprotokoll ist zum Nachweis der dort enthaltenen Daten unbrauchbar, denn es kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson die betreffende Fahrt tatsächlich erhoben hat.
51Die Bezirksregierung führt aus, dass in wenigstens einem Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 09:45 – Ankunft 09:59 am 27.5.2006; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2006 in dem Zeitraum 24.4.2006 bis 19.5.2006). Ferner seien in der Zählperiode 1 (Winterperiode) bei der Linie 9882 keine Zählungen an einem Samstag durchgeführt worden.
52Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung relevanten Wochenzeitschichten.
53Die Klägerin trägt dazu vor, dass es sich bei dem Datum außerhalb der Zählperiode um ein Versehen im Einzelfall handele.
54Das Zählprotokoll vom 27.5.2006 ist ebenfalls unbrauchbar. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
55Auch die Nichterhebung von Samstagsfahrten bei der Linie 9882 in der Winterperiode stellt einen ergebnisrelevanten Fehler der Verkehrserhebung dar. Es hätten entweder am 11.3.2006, 18.3.2006 oder am 25.3.2006 Erhebungen auf dieser Linie durchgeführt werden müssen, was nicht geschehen ist. Diese Erhebungsergebnisse wären nach Ziffer 9.211 ff. der Richtlinie 1987 im Rahmen der Wochenzeitschichten (Kombination aus Wochentagstypen und Tageszeitschichten) bei der Berechnung des Schwerbehindertenquotienten mit eingeflossen.
56Schließlich verweist die Bezirksregierung darauf, dass die Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode verwendet wurden. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend ein neuer Stichprobenplan zu erstellen und die zu erfassenden Linien zufällig auszuwählen seien. Ferner seien in die Stichprobenpläne keine Schulfahrten aufgenommen worden.
57Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
58Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Verwendung der Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode repräsentativ sei.
59Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Damit sind alle Erhebungen der 2. Zählperiode (62 von 248 Zählprotokollen) unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Hierbei wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, dass nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen.
60Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 79 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2006 (rund 32 %) unbrauchbar und liegen darüber hinaus mit der Nichterhebung von Samstagsfahrten der Linie 9882 in der Winterzählperiode und der Nichterhebung von Schulfahrten in zwei Zählperioden gravierende Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl vor, liegt zur Überzeugung der Kammer insgesamt keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
61Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 30.6.2009 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
62Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 30.6.2009) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
63Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
64Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
65Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
66An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 30.6.2009 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 8.12.2008 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
68Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
69Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
70Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 30.6.2009 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
71Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
72Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
73Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
74Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
75Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2007 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 30.6.2009 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 137.739,96 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
76Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
77Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
78BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
79Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
81Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 26.2.2014, der am 4.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
82Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 30.6.2009 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
83Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
849,67 % - 1,2 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,59 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,47 %
851.625.570,00 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2007) / 100 x 8,47 = 137.685,78 EUR
86Die abweichende Festsetzung im Bescheid vom 26.2.2014 rührt daher, dass die Bezirksregierung E1. offenbar wie folgt gerechnet hat: 9,67 (angenommener Schwerbehindertenquotient aus 2012) – 3,59 / 3 (Drittel des Landessatzes) x 1.625.570,00 (Fahrgeldeinnahmen) / 100 = 137.739,96 €. Die von der Behörde zur Berechnung der Erstattungsleistung im Bescheid offenbar verwendete Rechenmethode berücksichtigt wesentlich mehr Nachkommastellen und gelangt so zu einem abweichenden Ergebnis.
87Die Berechnung ist dagegen auch bei der Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX so vorzunehmen, dass der einzustellende Prozentsatz auf zwei Nachkommastellen zu runden ist, wie es § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX vorsieht. Nach § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX sind bei der Festsetzung des Landessatzes sich ergebende Bruchteile von 0,005 und mehr auf ganze Hundertstel aufzurunden und im Übrigen abzurunden. Dies führt bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach Landessatz dazu, dass entsprechend mit einem auf zwei Nachkommastellen gerundeten Wert zu rechnen ist. Aus Sicht der Kammer gibt es keinen sachlichen Grund, bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach betriebsindividuellem Schwerbehindertenquotienten anders zu verfahren.
88Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2007 von insgesamt 196.856,53 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 59.170,75 EUR.
89Die Bezirksregierung E1. errechnete dagegen nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 59.116,57 EUR, was sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
90Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
91Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 30.12.2009 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2008. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2008 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.767.387,17 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 2.7.2009 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2008 bei. Für das Erstattungsjahr 2008 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2008 3,66 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 292.325,84 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2008 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 151.891,04 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 140.434,80 EUR.
4Mit Bescheid vom 23.2.2011 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 270.762,80 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 118.871,77 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 12.3.2014, abgesandt am 19.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 23.2.2011 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2008 auf 149.344,22 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 121.418,58 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 16,54 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2008 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten, Erfassung nicht im auf den Zählprotokollen angegebenen Haltestellenumfang, Erhebung nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 23.2.2011 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 23.2.2011 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2008 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2008 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 16,54 % sei daher für das Jahr 2008 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2008 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 149.344,22 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2008 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 270.762,80 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 121.418,58 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 23.2.2011 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 12.3.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 23.2.2011 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2008 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2008. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2008 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2008 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2008 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 12.3.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2008 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 12.3.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 12.3.2014 die Regelung des Bescheids vom 23.2.2011 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 12.3.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 23.2.2011 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 149.344,22 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 12.3.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 23.2.2011 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 23.2.2011 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 23.2.2011 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2008 tatsächlich 16,54 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,66 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2008 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2008 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2008 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgendem von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehler in der Auswahl der Erhebungsfahrten der Verkehrszählung getragen, so dass es auf die gerügten Fehler in den Zählprotokollen im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung wurden in die Stichprobenpläne der Verkehrszählung keine Schulfahrten aufgenommen. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend eine zufällige Auswahl der zu erfassenden Linien vorzunehmen sei, um ein repräsentatives Zählergebnis zu sichern.
43Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung nach den Ziffern 9.1 ff. relevanten Wochenzeitschichten. Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
44Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Ausklammerung von Schulfahrten gleichwohl die Anforderungen an eine Stichprobenerhebung erfülle.
45Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Die gesamte Verkehrserhebung ist unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Es stellt daher einen besonders gravierenden Fehler dar, dass keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend zumindest in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen. Sachliche Gründe für die Ausklammerung dieses Fahrttypus sind nicht ersichtlich. Wird ein bestimmter Fahrttypus innerhalb einer Linie, für die eine Liniengenehmigung vorliegt und die tatsächlich in den Erhebungsperioden angeboten und durchgeführt wird, pauschal und sachgrundlos von der Verkehrszählung ausgenommen, ist nach Auffassung der Kammer insgesamt der Charakter einer Stichprobenerhebung nicht mehr gegeben.
46Ist danach aus den vorgenannten Gründen schon ein gravierender Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl gegeben, liegt zur Überzeugung der Kammer mit der durchgeführten Verkehrszählung keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
47Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 23.2.2011 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
48Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 23.2.2011) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
49Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
50Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
51Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
52An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 23.2.2011 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 30.12.2009 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
53Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
54Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
55Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
56Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 23.2.2011 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
57Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
58Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
59Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
60Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
61Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2008 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 23.2.2011 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 149.344,22 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
62Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
63Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
64BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
65Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
67Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 12.3.2014, der am 19.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
68Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 23.2.2011 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
69Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
709,67 % - 1,22 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,66 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,45 %
711.767.387,17 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2008) / 100 x 8,45 = 149.344,22 EUR
72Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2008 von insgesamt 270.762,80 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 121.418,58 EUR.
73Die Festsetzung des Rückzahlungsbetrags durch die Bezirksregierung E1. ist damit auch rechnerisch nicht zu beanstanden.
74Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
75Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 14.12.2010 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2009. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2009 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.812.071,76 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 2.7.2009 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2008 bei. Für das Erstattungsjahr 2008 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2009 3,73 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 299.716,67 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2009 erhaltenen Vorauszahlungen von 157.485,24 EUR die Auszahlung eines Restbetrages von noch 142.231,43 EUR.
4Mit Bescheid vom 11.7.2011 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 277.186,58 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 119.701,36 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 12.3.2014, abgesandt am 19.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 11.7.2011 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2009 auf 152.757,65 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 124.428,93 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 16,54 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2008 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten, Erfassung nicht im auf den Zählprotokollen angegebenen Haltestellenumfang, Erhebung nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 11.7.2011 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 11.7.2011 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2009 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2009 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 16,54 % sei daher für das Jahr 2009 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2009 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 152.757,65 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2009 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 277.186,58 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 124.428,93 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 11.7.2011 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 12.3.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 11.7.2011 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2008 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2009. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2009 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2008 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2008 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 12.3.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2009 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 12.3.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 12.3.2014 die Regelung des Bescheids vom 11.7.2011 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 12.3.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 11.7.2011 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 152.757,65 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 12.3.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 11.7.2011 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 11.7.2011 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 11.7.2011 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2009 tatsächlich 16,54 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,73 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2008 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2008 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2008 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung wurden in die Stichprobenpläne der Verkehrszählung keine Schulfahrten aufgenommen. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend eine zufällige Auswahl der zu erfassenden Linien vorzunehmen sei, um ein repräsentatives Zählergebnis zu sichern.
43Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung nach den Ziffern 9.1 ff. relevanten Wochenzeitschichten. Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
44Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Ausklammerung von Schulfahrten gleichwohl die Anforderungen an eine Stichprobenerhebung erfülle.
45Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Die gesamte Verkehrserhebung ist unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Es stellt daher einen besonders gravierenden Fehler dar, dass keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend zumindest in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen. Sachliche Gründe für die Ausklammerung dieses Fahrttypus sind nicht ersichtlich. Wird ein bestimmter Fahrttypus innerhalb einer Linie, für die eine Liniengenehmigung vorliegt und die tatsächlich in den Erhebungsperioden angeboten und durchgeführt wird, pauschal und sachgrundlos von der Verkehrszählung ausgenommen, ist nach Auffassung der Kammer insgesamt der Charakter einer Stichprobenerhebung nicht mehr gegeben.
46Ist danach aus den vorgenannten Gründen schon ein gravierender Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl gegeben, liegt zur Überzeugung der Kammer mit der durchgeführten Verkehrszählung keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
47Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 11.7.2011 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
48Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 11.7.2011) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
49Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
50Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
51Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
52An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 11.7.2011 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 14.12.2010 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
53Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
54Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
55Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
56Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 11.7.2011 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
57Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
58Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
59Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
60Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
61Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2009 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 11.7.2011 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 152.757,65 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
62Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
63Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
64BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
65Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
67Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 12.3.2014, der am 19.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
68Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 11.7.2011 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
69Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
709,67 % - 1,24 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,73 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,43 %
711.812.071,76 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2009) / 100 x 8,43 = 152.757,65 EUR
72Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2009 in Höhe von insgesamt 277.186,58 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 124.428,93 EUR.
73Die Festsetzung des Rückzahlungsbetrags durch die Bezirksregierung E1. ist damit auch rechnerisch nicht zu beanstanden.
74Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
75Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 13.12.2011 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2010. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2010 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.965.373,45 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 1.8.2011 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2010 bei. Für das Erstattungsjahr 2010 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2010 3,74 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 311.118,62 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2010 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 324.859,87 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 77.258,75 EUR.
4Mit „vorläufigem“ Bescheid vom 5.7.2012 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 287.010,04 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen, die sie mit 216.610,24 EUR bezifferte, noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 70.399,80 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Unter Ziffer 2 des Bescheides führte die Bezirksregierung E1. unter anderem aus, dass der festgesetzte Ausgleichsanspruch für das Jahr 2010 vorerst nur vorläufig gewährt werde, da die Ergebnisse der Überprüfung der Verkehrszählungen der Vorjahre Zweifel an der Richtigkeit der Angaben auch für das Jahr 2010 aufkommen ließen. Wegen der abweichenden Festsetzung aufgrund der Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX erging der Bescheid gem. dessen Ziffer 4 vorläufig bis zum Abschluss eines anhängigen Musterstreitverfahrens zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. Der Bescheid enthielt ferner unter Ziffer 3 eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Laut internem Vermerk vom 26.9.2012 wurde die Bezirksregierung E1. in einem internen Prüfprotokoll der „Projektgruppe SGB IX“ des MAIS darauf hingewiesen, dass auch in den bisher ungeprüften Zählprotokollen der Verkehrszählung des Jahres 2010 Unregelmäßigkeiten gleicher Art und gleichen Umfangs vermutet würden. Dies betreffe auch das Jahr 2011. Es sei noch zu entscheiden, ob auch die Verkehrszählungen für diese Jahre einer detaillierten Nachprüfung zu unterziehen seien. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit Schreiben vom 6.6.2013 forderte die Bezirksregierung E1. die Klägerin auf, auch die Original-Zählprotokolle für das Jahr 2010 zu übersenden. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Bei einem Termin im MAIS am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Schreiben vom 20.2.2014 machte die Bezirksregierung E1. die Klägerin auf einzelne Beanstandungen in den Zählprotokollen der Verkehrszählung des Jahres 2010 aufmerksam und kündigte an, dass sie beabsichtige, ihren Bewilligungsbescheid für das Jahr 2010 zurück zu nehmen und überzahlte Beträge zurück zu fordern. Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben vom 22.4.2014 Stellung.
8Mit Bescheid vom 28.5.2014, zugestellt am 12.6.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 5.7.2012 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2010 auf 165.484,44 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 121.525,59 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 15,85 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2010 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass viele Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten und sonstigen Fahrgäste, Erhebungen außerhalb der maßgeblichen Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel und fehlende oder falsche Summenbildung. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
9Der Bescheid vom 5.7.2012 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
10Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 5.7.2012 zurückzunehmen.
11Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2010 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2010 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2010 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 15,85 % sei daher für das Jahr 2010 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2010 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 165.484,44 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2010 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 287.010,04 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 121.525,59 EUR.
12Am 3.7.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2012 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Mitte 2012 aufgrund des Hinweises des MAIS in dem internen Vermerk vom 26.9.2012 die vermeintlichen Fehler der Zählbögen habe feststellen können. Die Bezirksregierung habe sie indes erst mit Schreiben vom 6.6.2013 aufgefordert, auch die Original-Zählprotokolle für das Jahr 2010 zu übersenden. Erst danach seien diese Unterlagen ausgewertet worden. Die Bezirksregierung E1. habe dem Verfahren daher nicht in gebotener Weise Fortgang gegeben. Sie könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 5.7.2012 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2010 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2010. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2010 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. könnten allein nicht ausschlaggebend sein, um auf einen niedrigeren Schwerbehindertenquotienten im Jahr 2010 zu schließen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2010 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2010 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) hätten die Fahrtenauswahl vollständig dem Zufall überlassen. Die aktuell geltende Richtlinie zwinge indes bei der Erhebungsfahrtenauswahl zur Streuung, was Auswirkungen auf den Schwerbehindertenquotienten habe und einen geringeren Wert begründen könne.
13Die Klägerin beantragt,
14den Bescheid vom 28.5.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2010 aufzuheben.
15Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie nimmt auf die Begründung des angegriffenen Bescheides Bezug. Ergänzend vertritt sie die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Erst mit Schreiben vom 6.6.2013 habe sie die Original-Zählunterlagen von der Klägerin angefordert. Ohne diese sei eine sachgerechte Entscheidung über die Rücknahme des Bewilligungsbescheides überhaupt nicht möglich gewesen. Die Jahresfrist habe erst nach Eingang der Stellungnahme der Klägerin vom 22.4.2014 auf das Anhörungsschreiben vom 20.2.2014 begonnen. In 22 von 264 Fällen seien Zählungen außerhalb der Zählperiode erfolgt. Dies sei ein eindeutiger Richtlinienverstoß und stelle eine erhebliche Fehlerquote dar. In 13 von 264 Fällen sei ein verändertes oder unvollständiges Datum auf dem Zählprotokoll enthalten. In zwei Fällen fehle die Angabe des Namens des Zählers auf dem Protokoll. Auch wenn die einzelnen Fehler das Ergebnis der Verkehrszählung jeweils nicht allein in Frage stellten, sei bei einer Gesamtschau der festgestellten Fehler eine ordnungsgemäße Dokumentation und Berechnung nicht mehr gegeben. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie – die Bezirksregierung – habe nicht wissen können, dass die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten falsch gewesen sei. Aus dem Testat der IVV vom 1.8.2011 für das Kalenderjahr 2010 hätten sich keine Anhaltspunkte für Fehler ergeben. Die Klägerin habe den Bewilligungsbescheid vom 5.7.2012 durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen seien. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben liege nicht vor. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Es lägen nicht nur leichte Formfehler vor. Es sei zwischen den Beteiligten auch mehrfach erörtert worden, dass eine entsprechende Anwendung und Übertragung des für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten auch auf das Jahr 2010 in Betracht komme. Dies wirke sich nur zu Gunsten der Klägerin aus, da ansonsten der Landessatz von 3,74 % hätte festgesetzt werden müssen. Die unterschiedlichen Werte für die Jahre 2010 und 2012 könnten nicht allein mit Unterschieden in den jeweils geltenden Erhebungsrichtlinien erklärt werden, denn die für die Verkehrszählung des Jahres 2012 geltende (neue) Richtlinie sehe keine inhaltlich andere Erfassungsmethode vor.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 28.5.2014 die Regelung des Bescheids vom 5.7.2012 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 28.5.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 5.7.2012 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 165.484,44 EUR festgesetzt wurden.
21Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 28.5.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
22Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 5.7.2012 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
23Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 20.2.2014 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
24Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 5.7.2012 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
25Die Bezirksregierung E1. hat den Bescheid vom 5.7.2012 auf §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX gestützt.
26Gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
27Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2010 tatsächlich 15,85 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,74 % um mindestens ein Drittel überstieg.
28Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2010 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2010 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2010 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
29Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
30Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
31Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
32Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
33Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
34Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
35Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
36Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
37Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
38Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
39Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
40Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
41An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
42Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
43Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 22 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung (8,33 % der Zählprotokolle) – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 23 ff. der Beiakte I nachvollzogen werden – eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Beispiel: Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 15:28 – Ankunft 15:57 am 8.5.2010; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2010 in dem Zeitraum 12.4.2010 bis 30.4.2010).
44Gem. Ziffern 3 und 3.1 der Richtlinie 1987 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Die Klägerin trägt dazu vor, dass vereinzelt Erhebungen außerhalb der vorgeschriebenen Zählperioden durchgeführt wurden, wenn beispielsweise eine Fahrt ausgefallen oder die jeweilige Zählperson erkrankt war. Es sei dann ein „vergleichbares Datum“ zur Nacherhebung ausgewählt worden, damit eine Vergleichbarkeit weiterhin gegeben sei.
45Nach Auffassung der Kammer kann eine innerhalb der Erhebungsperiode zu prüfende Fahrt nicht ohne weiteres durch eine „vergleichbare Fahrt“ außerhalb der jeweiligen Erhebungsperiode ersetzt werden. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
46Bei Ausfällen von Fahrten oder Zählpersonal hätte es der Klägerin daher oblegen, zu dokumentieren und deutlich zu machen, welche Fahrt im Einzelnen zusätzlich erhoben wurde, um welche ausgefallene Erhebung zu ersetzen. Allein aus dem Umstand, dass die Richtlinie 1987 – wie der Klägerin zuzugeben ist – an keiner Stelle Ausführungen dazu enthält, wie Abweichungen zu dokumentieren sind, kann die Klägerin nicht herleiten, dass eventuelle Abweichungen vom vorgeschriebenen Erhebungsmodus überhaupt nicht dokumentiert werden müssen. Im Gegenteil hat die Klägerin als das den Nachweis i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX führende Verkehrsunternehmen stets sicherzustellen, dass gerade im Falle von Abweichungen die jederzeitige Nachprüfbarkeit der Verkehrszählung erhalten bleibt.
47Die Bezirksregierung verweist weiter darauf, dass in 13 von 264 Zählprotokollen (4,92 %) eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel: Protokoll Linie 9883 –Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 7.4.2010 und Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7./8.4.2010). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
48Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne vorkommen, dass sich ein Zähler verschreibe. Da dieser nur ein Protokoll zur Verfügung habe, sei eine Korrektur auf dem Protokoll besser, als dort ein falsches Datum stehen zu haben, dass im Nachhinein zu Irritationen und Zweifeln an der Korrektheit führe.
49Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7.4. oder 8.4.2010 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
50Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung fehlt in 2 von 264 Zählprotokollen (0,76 %) die Angabe des Namens des Zählers. Dies betrifft die Protokolle Linie 9885 – Abfahrt 15:45 – Ankunft 16:12 am 23.2.2010 und Linie 9885 – Abfahrt 16:15 – Ankunft 16:45 am 23.2.2010. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten. Ohne die Namensangabe sind die beiden Protokolle zum Nachweis der während dieser Fahrt erhobenen Zahlen mangels Nachprüfbarkeit unbrauchbar.
51Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 37 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2010 (rund 14 %) unbrauchbar, kommen sie zur Überzeugung der Kammer insgesamt nicht mehr als zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten in Betracht.
52Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 5.7.2012 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
53Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 5.7.2012) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
55Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
56Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
57An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 5.7.2012 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 13.12.2011 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
58Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
59Entgegen ihrer Ansicht kann die Klägerin auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
60Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
61Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 5.7.2012 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Im Übrigen enthielt Ziffer 2 des Bescheides vom 5.7.2012 den ausdrücklichen Hinweis, dass der festgesetzte Ausgleichsanspruch für das Jahr 2010 zunächst nur vorläufig gewährt werde, da die Ergebnisse der Überprüfung der Verkehrszählungen der Vorjahre Zweifel an der Richtigkeit der Angaben auch für das Jahr 2010 aufkommen ließen. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
62Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
63Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
64Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
65Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
66Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2010 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 5.7.2012 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 165.484,44 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zugunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
67Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
68Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
69BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
70Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
72Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 24.4.2014 zu laufen und war mit Eingang des Bescheids vom 28.5.2014 bei den Bevollmächtigten der Klägerin am 12.6.2014 noch nicht abgelaufen. Das seit Ende 2011 durchgeführte Überprüfungsverfahren bezog sich zunächst nur auf die Fahrgelderstattung in den Kalenderjahren 2006 bis 2009. Erst nachdem hinsichtlich der Zählprotokolle für die Jahre 2006 und 2008 aus Sicht der Bezirksregierung Auffälligkeiten zu Tage getreten waren, geriet nach internem Vermerk vom 26.9.2012 erstmals auch die Verkehrszählung in 2010 und die darauf basierende Fahrgelderstattung in den Kalenderjahren 2010 und 2011 in den Blick. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bezirksregierung jedoch noch keine gesicherte Kenntnis darüber, dass auch die Zählprotokolle des Jahres 2010 – aus ihrer Sicht – derart erhebliche Fehler aufwiesen, dass auch die Verkehrszählung des Jahres 2010 insgesamt nicht zur Nachweisführung i.S.v. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX brauchbar war. Die Bezirksregierung forderte erstmals mit Schreiben vom 6.6.2013 die Zählprotokolle des Jahres 2010 zur Einsichtnahme an und wertete diese anschließend aus. Sie konnte daher überhaupt erst nach dem 6.6.2013 positive und sichere Kenntnis von den Tatsachen haben, die die Rücknahme des auf den Zählprotokollen des Jahres 2010 beruhenden Bescheides vom 5.7.2012 rechtfertigen konnten. Zur korrekten Durchführung des Rücknahmeverfahrens war es ferner gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erforderlich, die Klägerin anzuhören. Die Anhörung erfolgte mit Schreiben vom 20.2.2014. Die schriftliche Stellungnahme der Klägerin vom 22.4.2014 ging bei der Bezirksregierung E1. am 24.4.2014 ein. Erst nach Eingang dieser Stellungnahme lag die notwendige Entscheidungsreife vor.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, a.a.O. = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 154.
74Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 5.7.2012 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
75Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
769,67 % - 1,25 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,74 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,42 %
771.965.373,45 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2010) / 100 x 8,42 = 165.484,44 EUR
78Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2010 von insgesamt 287.010,04 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 121.525,60 EUR.
79Die Bezirksregierung E1. errechnete dagegen nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 121.525,59 EUR, was sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
80Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
81Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Tenor
Der Bescheid vom 15.7.2013 wird aufgehoben, soweit in ihm ein Rückzahlungsbetrag für das Kalenderjahr 2011 von mehr als 66.698,08 € festgesetzt wurde.
Das beklagte Land wird verpflichtet, über den bereits mit vorläufigem Bescheid vom 15.7.2013 festgesetzten Betrag von 154.989,80 € hinaus weitere 61,38 € an Erstattungen für Fahrgeldausfälle für das Kalenderjahr 2011 zugunsten der Klägerin festzusetzen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 14.12.2012 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2011. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2011 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.841.463 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 1.8.2011 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2010 bei. Für das Erstattungsjahr 2010 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2011 3,76 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 291.871 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2011 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 221.749 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 70.123 EUR.
4Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern. Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Kalenderjahr 2012 ein.
5Mit Bescheid vom 15.7.2013 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag für 2011 auf 154.998,80 EUR fest und informierte die Klägerin zugleich über einen sich unter Anrechnung der für 2011 ausgezahlten Vorauszahlungen ergebenden Rückzahlungsbetrag i.H.v. 66.759,46 EUR. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 15,85 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2010 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass viele Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich Verwendung von Tipp-Ex im Zählprotokoll, Verwendung mehrerer Stifte im Zählprotokoll, Zählungen außerhalb der Zählperiode, falsche Summenbildung, vertauschte Summen, keine Summenbildung und nachträglich beigefügte Zählstriche. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten. Sie lege daher den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % für das Kalenderjahr 2011 zu Grunde. Diese sei der einzige in Frage kommende Wert. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 154.989,80 EUR.
6Die Klägerin hat am 16.8.2013 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass die abweichende Festsetzung des Erstattungsbetrages ohne vorherige Anhörung erfolgt sei. Die von der Bezirksregierung E1. bemängelten Unregelmäßigkeiten in der dem Testat der IVV vom 1.8.2011 zu Grunde liegenden Verkehrszählung lägen nicht vor bzw. erlaubten der Bezirksregierung nicht, den beantragten Wert anzuzweifeln. Die für das Jahr 2010 geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Nachweises abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex, noch zu der Verwendung mehrerer Stifte oder zu einer fehlenden Summenbildung. Da bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs bereits aus Vereinfachungsgründen eine Pauschalierung vorgenommen werde, dürften an die erforderlichen Verkehrszählungen keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Als maßgeblich müssten die nach verkehrswissenschaftlichen Erkenntnissen aussagekräftigen Erhebungen gelten. Die im vorliegenden Fall beauftragte IVV sei in der Branche anerkannt und habe die Erhebung für das Jahr 2010 richtlinienkonform durchgeführt, so dass der durch die IVV ermittelte Wert auch für das Jahr 2011 zu Grunde zu legen sei. Das von der Bezirksregierung in Bezug genommene Testat der WVI vom 30.4.2013 beziehe sich dagegen ausdrücklich auf das Jahr 2012. Das Testat der WVI sei auf Grundlage einer neuen, ab 2012 geltenden Richtlinie erstellt worden. Hieraus könnten keine Rückschlüsse auf das Jahr 2011 gezogen werden. Die Bezirksregierung sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2011 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen.
7Die Klägerin beantragt,
8das beklagte Land zu verpflichten, der Klägerin unter Änderung des Bescheides vom 15.7.2013 für das Jahr 2011 weitere Erstattungsleistungen i.H.v. 113.863,80 EUR zu bewilligen.
9Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie führt ergänzend zu dem Vorbringen in dem angegriffenen Bescheid aus, dass der individuelle Schwerbehindertenquotient nur berücksichtigt werden könne, wenn er korrekt ermittelt worden sei. Wenn erhebliche Fehler vorhanden seien, die das Ergebnis infrage stellten, könne der individuell errechnete Schwerbehindertenquotient nicht anerkannt werden. Im vorliegenden Fall lägen 8,33 % der Zählprotokolle außerhalb der Zählperiode, 4,92 % wiesen ein verändertes oder unvollständiges Datum auf, bei 3,79 % wichen Zählername und -unterschrift voneinander ab und bei 3,41 % sei eine falsche Summenbildung vorhanden. Die Verlässlichkeit der erforderlichen Nachweise zur Gewährung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten sei in der vorliegenden Form nicht ausreichend valide. Falls ein individuell errechneter Schwerbehindertenquotient wegen erheblicher Mängel nicht berücksichtigt werden könne, sei grundsätzlich nach der allgemeinen Landesquote abzurechnen. Sie sei jedoch bereit, ein anderes Verfahren zu akzeptieren, wenn damit nachgewiesen werden könne, dass der tatsächliche Schwerbehindertenquotient höher sei als die Landesquote. Es sei sachgerecht, zu Gunsten der Klägerin den von dem unabhängigen Institut WVI für das Jahr 2012 errechneten Wert auch für das Jahr 2011 heranzuziehen. Der hohe Schwerbehindertenquotient für die Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in dieser Einrichtung wohnenden Personen habe sich von 2010 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe daher keine Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2011 deutlich höher sei als im Jahr 2012. Der höhere Wert könne nur durch falsche Zahlen erklärt werden. Diese Vorgehensweise wirke sich zu Gunsten der Klägerin aus. Gäbe es keine korrekte Berechnung, hätte für das Jahr 2011 die Landesquote von 3,76 % angesetzt werden müssen. Die Klägerin sei auch angehört worden. Es habe mehrere Besprechungen mit der Klägerin gegeben, in denen die Problematik erörtert worden sei.
12Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, des das Jahr 2010 betreffenden Verfahrens 6 K 1605/14 nebst Beiakte, des das Jahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. Bezug genommen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
14Die als Verpflichtungsklage, soweit die Klägerin einen weiteren Erstattungsbetrag von 113.863,80 EUR begehrt, und als (Teil-)Anfechtungsklage, soweit sie die Änderung des Bescheides vom 15.7.2013 hinsichtlich des darin festgesetzten Rückzahlungsbetrags von 66.759,46 EUR begehrt, statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
15Die Klägerin hat für das Kalenderjahr 2011 einen Erstattungsanspruch gegen das beklagte Land in Höhe von 155.051,18 EUR aus §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1, Abs. 5 S. 1, 150 SGB IX wegen der aufgrund unentgeltlicher Beförderung schwerbehinderter Menschen entstandenen Fahrgeldausfällen. Zu dem mit Bescheid vom 15.7.2013 festgesetzten Erstattungsbetrag von 154.989,80 EUR ergibt sich eine Differenz in tenorierter Höhe. Darüber hinaus steht der Klägerin für das Jahr 2011 kein weitergehender Erstattungsanspruch zu. Da die Ablehnung einer weiteren Erstattung von 61,38 EUR insoweit rechtswidrig war und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt ist, war die Verpflichtung des beklagten Landes zur Festsetzung des Differenzbetrages auszusprechen (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO).
16Unter Berücksichtigung für das Kalenderjahr 2011 erhaltener Vorauszahlungen i.H.v. 221.749,26 EUR – die Klägerin hat diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie in dem Erstattungsantrag vom 14.12.2012 auf die Angabe des Centbetrags verzichtet hatte – ergibt sich ein von der Klägerin zurück zu zahlender Betrag von 66.698,08 EUR. Soweit in dem angegriffenen Bescheid vom 15.7.2013 ein höherer Rückzahlungsbetrag festgesetzt wurde, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, weswegen er insoweit aufzuheben war (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
17Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt die Klägerin daher nicht in ihren Rechten. Zu Recht hat die Bezirksregierung E1. den Bescheid auf §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX gestützt. Gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
18Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Dabei kann offen bleiben, ob – wie die Klägerin meint – im Verwaltungsverfahren entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG NRW vor abweichender Festsetzung der Erstattungsleistungen ihre Anhörung erforderlich gewesen wäre und diese unterblieben ist. Nach dieser Vorschrift ist vor Erlass eines Verwaltungsakts, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach § 150 Abs. 7 S. 1 SGB IX gelten für das Erstattungsverfahren hinsichtlich Fahrgeldausfällen das Verwaltungsverfahrensgesetz und die entsprechenden Gesetze der Länder. Ein entsprechender Verfahrensfehler wäre jedenfalls gem. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW unbeachtlich. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 VwVfG NRW nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird, was nach Absatz 2 der Vorschrift bis zum Abschluss der 1. Instanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens geschehen darf. Die Heilung des Verfahrensfehlers muss dabei nicht in einem parallel zum anhängigen Gerichtsverfahren geführten Verwaltungsverfahren erfolgen. Sie kann vielmehr auch in einem Austausch von Sachäußerungen in einem gerichtlichen Verfahren bestehen, sofern die Behörde den Vortrag des Betroffenen zum Anlass nimmt, ihre Entscheidung noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und zu erwägen, ob sie unter Berücksichtigung der nunmehr vorgebrachten Tatsachen und rechtlichen Erwägungen an ihrer Entscheidung mit diesem konkreten Inhalt festhalten will und das Ergebnis der Überprüfung mitteilt.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1.6.2012 – 15 A 48/12 –, und Beschluss vom 14.6.2010 – 10 B 270/10 –, jeweils abrufbar unter: www.nrwe.de (= juris).
20Dies ist hier jedenfalls im Rahmen der Klageerwiderung geschehen, in der sich die Bezirksregierung E1. mit dem Vorbringen der Klägerin inhaltlich auseinander gesetzt hat. Durch die Stellung eines Klageabweisungsantrags in der mündlichen Verhandlung hat sie ferner dokumentiert, dass sie an dem Bescheid vom 15.7.2013 mit dessen konkretem Inhalt festhalten will.
21Ein eventueller Verfahrensfehler würde hier auch gem. § 46 VwVfG NRW nicht zur formellen Rechtswidrigkeit des angegriffenen Bescheides führen. Nach dieser Vorschrift kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 VwVfG NRW nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. So liegt der Fall hier. Der Klägerin war bereits seit Ende 2011 klar, dass bei der Bezirksregierung E1. ein Überprüfungsverfahren hinsichtlich der durch die eigenen Verkehrszählungen ermittelten Schwerbehindertenquotienten in den Jahren 2006 und 2008 stattfand. Die Bezirksregierung trat sogar mit Manipulationsvorwürfen an die Klägerin heran. Da – wie auch im Kalenderjahr 2010 – der im Erstattungsantrag hinsichtlich des Jahres 2011 angesetzte betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient auf der Verkehrszählung des Jahres 2010 beruhte, die noch vom Personal der Klägerin selbst durchgeführt wurde, musste die Klägerin damit rechnen, dass es nunmehr zu einer abweichenden Festsetzung kommen konnte. Dies gilt vorliegend umso mehr, als bereits in dem Gespräch am 24.10.2012 thematisiert wurde, dass hinsichtlich der Fahrgelderstattungen für die vergangenen Jahre rückwirkend ein Schwerbehindertenquotient angenommen werden könnte, der auf der durch das Institut WVI für das Kalenderjahr 2012 durchgeführten Verkehrszählung beruht. Hinsichtlich der Fahrgelderstattungen und möglicher Rückzahlungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 hatte die Klägerin am 31.1.2012 und 3.5.2013 im Verwaltungsverfahren ausführlich Stellung genommen. Es wird von der Klägerin nicht vorgetragen und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich, was die Klägerin im Erstattungsverfahren für das Kalenderjahr 2011 noch hätte vorbringen können, um die Bezirksregierung E1. von ihrem Entschluss, die Erstattungen auf Basis des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 nachträglich neu festzusetzen, abzubringen. Im Gegenteil ergibt sich gerade daraus, dass die Bezirksregierung E1. im Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Fahrgelderstattungen für die Kalenderjahre 2006 bis 2010 trotz dort erfolgter Anhörung sämtliche ursprünglichen Festsetzungsbescheide zurücknahm und die jeweiligen Erstattungsbeträge auf Basis des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 nachträglich neu festsetzte, dass eine eventuelle Verletzung des § 28 Abs. 1 VwVfG NRW im vorliegenden Verfahren die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte.
22Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2011 tatsächlich 15,85 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,76 % um mindestens ein Drittel überstieg.
23Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2010 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2010 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2010 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
24Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
25Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
26Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
27Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
28Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
29Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
31Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
32Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
33Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
34Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
35Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
36An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
37Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
38Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 22 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung (8,33 % der Zählprotokolle) – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 23 ff. der Beiakte I nachvollzogen werden – eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Beispiel: Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 15:28 – Ankunft 15:57 am 8.5.2010; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2010 in dem Zeitraum 12.4.2010 bis 30.4.2010).
39Gem. Ziffern 3 und 3.1 der Richtlinie 1987 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Die Klägerin trägt dazu vor, dass vereinzelt Erhebungen außerhalb der vorgeschriebenen Zählperioden durchgeführt wurden, wenn beispielsweise eine Fahrt ausgefallen oder die jeweilige Zählperson erkrankt war. Es sei dann ein „vergleichbares Datum“ zur Nacherhebung ausgewählt worden, damit eine Vergleichbarkeit weiterhin gegeben sei.
40Nach Auffassung der Kammer kann eine innerhalb der Erhebungsperiode zu prüfende Fahrt nicht ohne weiteres durch eine „vergleichbare Fahrt“ außerhalb der jeweiligen Erhebungsperiode ersetzt werden. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
41Bei Ausfällen von Fahrten oder Zählpersonal hätte es der Klägerin daher oblegen, zu dokumentieren und deutlich zu machen, welche Fahrt im Einzelnen zusätzlich erhoben wurde, um welche ausgefallene Erhebung zu ersetzen. Allein aus dem Umstand, dass die Richtlinie 1987 – wie der Klägerin zuzugeben ist – an keiner Stelle Ausführungen dazu enthält, wie Abweichungen zu dokumentieren sind, kann die Klägerin nicht herleiten, dass eventuelle Abweichungen vom vorgeschriebenen Erhebungsmodus überhaupt nicht dokumentiert werden müssen. Im Gegenteil hat die Klägerin als das den Nachweis i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX führende Verkehrsunternehmen stets sicherzustellen, dass gerade im Falle von Abweichungen die jederzeitige Nachprüfbarkeit der Verkehrszählung erhalten bleibt.
42Die Bezirksregierung verweist weiter darauf, dass in 13 von 264 Zählprotokollen (4,92 %) eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel: Protokoll Linie 9883 –Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 7.4.2010 und Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7./8.4.2010). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
43Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne vorkommen, dass sich ein Zähler verschreibe. Da dieser nur ein Protokoll zur Verfügung habe, sei eine Korrektur auf dem Protokoll besser, als dort ein falsches Datum stehen zu haben, dass im Nachhinein zu Irritationen und Zweifeln an der Korrektheit führe.
44Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7.4. oder 8.4.2010 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
45Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung fehlt in 2 von 264 Zählprotokollen (0,76 %) die Angabe des Namens des Zählers. Dies betrifft die Protokolle Linie 9885 – Abfahrt 15:45 – Ankunft 16:12 am 23.2.2010 und Linie 9885 – Abfahrt 16:15 – Ankunft 16:45 am 23.2.2010. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten. Ohne die Namensangabe sind die beiden Protokolle zum Nachweis der während dieser Fahrt erhobenen Zahlen mangels Nachprüfbarkeit unbrauchbar.
46Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 37 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2010 (rund 14 %) unbrauchbar, kommen sie zur Überzeugung der Kammer insgesamt nicht mehr als zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten in Betracht.
47Da das Gesetz eine Rechtsfolge für einen nicht ausreichenden Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht vorsieht und die Fahrgelderstattung ansonsten pauschal gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach Landessatz zu erfolgen hat, wäre es grundsätzlich richtig gewesen, dem Unternehmer, der den Nachweis nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX nicht korrekt führt, Fahrgelderstattungen nur nach dem Landessatz zuzugestehen. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch unbillig, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz.
48Obwohl dies einer gesetzlichen Grundlage entbehrt, ist es wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Erstattungsleistung als Ausgleich für die Indienstnahme eines Privaten im öffentlich-rechtlichen Pflichtenkreis in einem solchen Fall im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Bewilligungsbehörde einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde legt, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Die Bezirksregierung E1. ist so vorgegangen, indem sie anstelle des Wertes von 15,85 % den nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % auch für das Jahr 2011 zum Zweck der Berechnung des Erstattungsanspruchs angenommen hat. Die Vorgehensweise der Bezirksregierung E1. weist daher einen sich zum Nachteil der Klägerin auswirkenden Rechtsanwendungsfehler nicht auf.
49Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
509,67 % - 1,25 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,76 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) = 8,42 %
511.841.463,00 € (Fahrgeldeinnahmen 2011) / 100 x 8,42 = 155.051,18 €
52Die abweichende Festsetzung im Bescheid vom 15.7.2013 rührt daher, dass die Bezirksregierung E1. offenbar wie folgt gerechnet hat: 9,67 (angenommener Schwerbehindertenquotient aus 2012) – 3,76 / 3 (Drittel des Landessatzes) x 1.841.463,00 (Fahrgeldeinnahmen) / 100 = 154.989,80 €. Die von der Behörde zur Berechnung der Erstattungsleistung im Bescheid offenbar verwendete Rechenmethode berücksichtigt wesentlich mehr Nachkommastellen und gelangt so zu einem abweichenden Ergebnis.
53Die Berechnung ist dagegen auch bei der Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX so vorzunehmen, dass der einzustellende Prozentsatz auf zwei Nachkommastellen zu runden ist, wie es § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX vorsieht. Nach § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX sind bei der Festsetzung des Landessatzes sich ergebende Bruchteile von 0,005 und mehr auf ganze Hundertstel aufzurunden und im Übrigen abzurunden. Dies führt bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach Landessatz dazu, dass entsprechend mit einem auf zwei Nachkommastellen gerundeten Wert zu rechnen ist. Aus Sicht der Kammer gibt es keinen sachlichen Grund, bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach betriebsindividuellem Schwerbehindertenquotienten anders zu verfahren.
54Abzüglich erhaltener Vorauszahlungen für das Kalenderjahr 2011 von 221.749,26 € errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 66.698,08 €.
55Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Es war sachgerecht, der Klägerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, weil das beklagte Land nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
56Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 14.12.2007 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2006. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2006 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.569.122,27 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 27.3.2007 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2006 bei. Für das Erstattungsjahr 2006 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2006 3,62 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 208.850,17 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2006 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 160.373,76 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 48.476,41 EUR.
4Mit Bescheid vom 30.6.2008 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 189.863,79 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 29.490,03 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 26.2.2014, abgesandt am 4.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 30.6.2008 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2006 auf 132.800,05 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 57.063,74 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 13,31 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2006 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten und sonstigen Fahrgäste, Erfassung in nur einer Fahrtrichtung, obwohl beide Fahrtrichtungen hätten erfasst werden müssen, Erhebung in falscher Wochenzeitschicht bzw. nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel, gleichzeitiges Zählen an zwei verschiedenen Orten durch denselben Zähler und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 30.6.2008 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 30.6.2008 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2006 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2006 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 13,31 % sei daher für das Jahr 2006 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2006 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 132.800,05 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2006 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 189.863,79 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 57.063,74 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 30.6.2008 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 26.2.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 30.6.2008 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2006 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2006. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2006 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2006 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2006 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 26.2.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2006 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 26.2.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 26.2.2014 die Regelung des Bescheids vom 30.6.2008 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 26.2.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 30.6.2008 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 132.800,05 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 26.2.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 30.6.2008 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 30.6.2008 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 30.6.2008 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2006 tatsächlich 13,31 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,62 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2006 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2006 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2006 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 13 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils entweder durch eigenes Nachzählen in den Originalzählprotokollen in der Beiakte I oder anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 246 ff. der Beiakte II nachvollzogen werden – eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel für fehlendes Datum: Protokoll Linie 9881 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58, Einsatzplan 188, Periode 2, Mo-Fr, Umlauf 881038; Beispiel für Veränderungen: Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
43Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass die Datumsangaben „häufig geändert“ worden seien. Vereinzelte Fehler führten nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
44Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
45Die Bezirksregierung macht weiter geltend, dass eine Zählperson laut 2 von 248 Protokollen gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten zählte. Dies betrifft die Protokolle vom 04.07.2006 auf der Linie 9882 – Abfahrt 07:00 – Ankunft 07:29 und gleichzeitig ebenfalls ab demselben Einstiegsort der gleichen Linie die Fahrt Abfahrt 07:30 – Ankunft 07:59. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten.
46Die Klägerin meint hierzu, dass dies nur ein Versehen sein könne. Der Zähler habe sich schlicht beim Kalenderdatum eines der beiden Bögen vertan. Dieser Einzelfall erlaube ebenfalls keinen Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
47In diesem Fall sind beide Zählprotokolle unbrauchbar, ganz gleich, ob es sich dabei um ein Versehen der Zählperson handelte oder nicht. In beiden Fällen kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson welche Fahrt tatsächlich erhoben hat.
48Die Bezirksregierung verweist ferner darauf, dass in wenigstens einem Fall (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 15:15 – Ankunft 15:29 am 8.3.2006) Zählername und Unterschrift auf dem Zählprotokoll nicht korrespondierten (Zählername „T. “, Unterschrift wohl „M1. “). Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll die Unterschrift des Zählers enthalten.
49Die Klägerin trägt hierzu vor, dass ein Mitarbeiter, der nachträglich die Zählbögen überprüfte, bemerkt habe, dass der Zähler seine Namensangabe vergessen hatte. Diesen Namen habe der Mitarbeiter nachträglich hinzugefügt, hierbei die Unterschrift falsch gedeutet und entsprechend einen falschen Zählernamen eingetragen.
50Auch dieses Zählprotokoll ist zum Nachweis der dort enthaltenen Daten unbrauchbar, denn es kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson die betreffende Fahrt tatsächlich erhoben hat.
51Die Bezirksregierung, führt aus, dass in wenigstens einem Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 09:45 – Ankunft 09:59 am 27.5.2006; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2006 in dem Zeitraum 24.4.2006 bis 19.5.2006). Ferner seien in der Zählperiode 1 (Winterperiode) bei der Linie 9882 keine Zählungen an einem Samstag durchgeführt worden.
52Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung relevanten Wochenzeitschichten.
53Die Klägerin trägt dazu vor, dass es sich bei dem Datum außerhalb der Zählperiode um ein Versehen im Einzelfall handele.
54Das Zählprotokoll vom 27.5.2006 ist ebenfalls unbrauchbar. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
55Auch die Nichterhebung von Samstagsfahrten bei der Linie 9882 in der Winterperiode stellt einen ergebnisrelevanten Fehler der Verkehrserhebung dar. Es hätten entweder am 11.3.2006, 18.3.2006 oder am 25.3.2006 Erhebungen auf dieser Linie durchgeführt werden müssen, was nicht geschehen ist. Diese Erhebungsergebnisse wären nach Ziffer 9.211 ff. der Richtlinie 1987 im Rahmen der Wochenzeitschichten (Kombination aus Wochentagstypen und Tageszeitschichten) bei der Berechnung des Schwerbehindertenquotienten mit eingeflossen.
56Schließlich verweist die Bezirksregierung darauf, dass die Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode verwendet wurden. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend ein neuer Stichprobenplan zu erstellen und die zu erfassenden Linien zufällig auszuwählen seien. Ferner seien in die Stichprobenpläne keine Schulfahrten aufgenommen worden.
57Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
58Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Verwendung der Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode repräsentativ sei.
59Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Damit sind alle Erhebungen der 2. Zählperiode (62 von 248 Zählprotokollen) unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Hierbei wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, dass nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen.
60Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 79 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2006 (rund 32 %) unbrauchbar und liegen darüber hinaus mit der Nichterhebung von Samstagsfahrten der Linie 9882 in der Winterzählperiode und der Nichterhebung von Schulfahrten in zwei Zählperioden gravierende Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl vor, liegt zur Überzeugung der Kammer insgesamt keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
61Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 30.6.2008 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
62Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 30.6.2008) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
63Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
64Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
65Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
66An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 30.6.2008 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 14.12.2007 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
68Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
69Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
70Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 30.6.2008 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
71Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
72Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
73Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
74Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
75Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2006 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 30.6.2008 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 132.800,05 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
76Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
77Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
78BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
79Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
81Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 26.2.2014, der am 4.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
82Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 30.6.2008 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
83Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
849,67 % - 1,21 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,62 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,46 %
851.569.122,27 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2006) / 100 x 8,46 = 132.747,74 EUR
86Die abweichende Festsetzung im Bescheid vom 26.2.2014 rührt daher, dass die Bezirksregierung E1. offenbar wie folgt gerechnet hat: 9,67 (angenommener Schwerbehindertenquotient aus 2012) – 3,62 / 3 (Drittel des Landessatzes) x 1.569.122,27 (Fahrgeldeinnahmen) / 100 = 132.800,05 €. Die von der Behörde zur Berechnung der Erstattungsleistung im Bescheid offenbar verwendete Rechenmethode berücksichtigt wesentlich mehr Nachkommastellen und gelangt so zu einem abweichenden Ergebnis.
87Die Berechnung ist dagegen auch bei der Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX so vorzunehmen, dass der einzustellende Prozentsatz auf zwei Nachkommastellen zu runden ist, wie es § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX vorsieht. Nach § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX sind bei der Festsetzung des Landessatzes sich ergebende Bruchteile von 0,005 und mehr auf ganze Hundertstel aufzurunden und im Übrigen abzurunden. Dies führt bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach Landessatz dazu, dass entsprechend mit einem auf zwei Nachkommastellen gerundeten Wert zu rechnen ist. Aus Sicht der Kammer gibt es keinen sachlichen Grund, bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach betriebsindividuellem Schwerbehindertenquotienten anders zu verfahren.
88Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2006 von insgesamt 189.863,79 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 57.115,26 EUR.
89Die Bezirksregierung E1. errechnete dagegen nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 57.063,74 EUR, was sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
90Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
91Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 8.12.2008 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2007. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2007 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.625.570,00 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 27.3.2007 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2006 bei. Für das Erstattungsjahr 2006 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2007 3,59 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 216.363,37 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2007 erhaltenen Vorauszahlungen von 172.750,29 EUR die Auszahlung eines Restbetrages von noch 43.613,08 EUR.
4Mit Bescheid vom 30.6.2009 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 196.856,53 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 24.106,24 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 26.2.2014, abgesandt am 4.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 30.6.2009 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2007 auf 137.739,96 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 59.116,57 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 13,31 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2006 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten und sonstigen Fahrgäste, Erfassung in nur einer Fahrtrichtung, obwohl beide Fahrtrichtungen hätten erfasst werden müssen, Erhebung in falscher Wochenzeitschicht bzw. nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel, gleichzeitiges Zählen an zwei verschiedenen Orten durch denselben Zähler und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 30.6.2009 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 30.6.2009 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2007 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2007 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 13,31 % sei daher für das Jahr 2007 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2007 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 137.739,96 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2007 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 196.856,53 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 59.116,57 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 30.6.2009 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 26.2.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 30.6.2009 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2006 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2007. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2007 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2006 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2006 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 26.2.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2007 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 26.2.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 26.2.2014 die Regelung des Bescheids vom 30.6.2009 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 26.2.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 30.6.2009 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 137.739,96 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 26.2.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 30.6.2009 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 30.6.2009 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 30.6.2009 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2007 tatsächlich 13,31 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,59 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2006 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 13,31 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2006 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2006 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 13 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils entweder durch eigenes Nachzählen in den Originalzählprotokollen in der Beiakte I zum Verfahren 6 K 806/14 oder anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 246 ff. der Beiakte II zum Verfahren 6 K 806/14 nachvollzogen werden – eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel für fehlendes Datum: Protokoll Linie 9881 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58, Einsatzplan 188, Periode 2, Mo-Fr, Umlauf 881038; Beispiel für Veränderungen: Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
43Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne nicht davon gesprochen werden, dass die Datumsangaben „häufig geändert“ worden seien. Vereinzelte Fehler führten nicht zu einer Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
44Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Protokoll 9883 – Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 29.4.2006 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
45Die Bezirksregierung macht weiter geltend, dass eine Zählperson laut 2 von 248 Protokollen gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten zählte. Dies betrifft die Protokolle vom 04.07.2006 auf der Linie 9882 – Abfahrt 07:00 – Ankunft 07:29 und gleichzeitig ebenfalls ab demselben Einstiegsort der gleichen Linie die Fahrt Abfahrt 07:30 – Ankunft 07:59. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten.
46Die Klägerin meint hierzu, dass dies nur ein Versehen sein könne. Der Zähler habe sich schlicht beim Kalenderdatum eines der beiden Bögen vertan. Dieser Einzelfall erlaube ebenfalls keinen Rückschluss auf die Fehlerhaftigkeit der Gesamterhebung.
47In diesem Fall sind beide Zählprotokolle unbrauchbar, ganz gleich, ob es sich dabei um ein Versehen der Zählperson handelte oder nicht. In beiden Fällen kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson welche Fahrt tatsächlich erhoben hat.
48Die Bezirksregierung verweist ferner darauf, dass in wenigstens einem Fall (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 15:15 – Ankunft 15:29 am 8.3.2006) Zählername und Unterschrift auf dem Zählprotokoll nicht korrespondierten (Zählername „T. “, Unterschrift wohl „M1. “). Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll die Unterschrift des Zählers enthalten.
49Die Klägerin trägt hierzu vor, dass ein Mitarbeiter, der nachträglich die Zählbögen überprüfte, bemerkt habe, dass der Zähler seine Namensangabe vergessen hatte. Diesen Namen habe der Mitarbeiter nachträglich hinzugefügt, hierbei die Unterschrift falsch gedeutet und entsprechend einen falschen Zählernamen eingetragen.
50Auch dieses Zählprotokoll ist zum Nachweis der dort enthaltenen Daten unbrauchbar, denn es kann nachträglich nicht mehr überprüft werden, welche Zählperson die betreffende Fahrt tatsächlich erhoben hat.
51Die Bezirksregierung führt aus, dass in wenigstens einem Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Protokoll Linie 9884 – Abfahrt 09:45 – Ankunft 09:59 am 27.5.2006; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2006 in dem Zeitraum 24.4.2006 bis 19.5.2006). Ferner seien in der Zählperiode 1 (Winterperiode) bei der Linie 9882 keine Zählungen an einem Samstag durchgeführt worden.
52Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung relevanten Wochenzeitschichten.
53Die Klägerin trägt dazu vor, dass es sich bei dem Datum außerhalb der Zählperiode um ein Versehen im Einzelfall handele.
54Das Zählprotokoll vom 27.5.2006 ist ebenfalls unbrauchbar. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
55Auch die Nichterhebung von Samstagsfahrten bei der Linie 9882 in der Winterperiode stellt einen ergebnisrelevanten Fehler der Verkehrserhebung dar. Es hätten entweder am 11.3.2006, 18.3.2006 oder am 25.3.2006 Erhebungen auf dieser Linie durchgeführt werden müssen, was nicht geschehen ist. Diese Erhebungsergebnisse wären nach Ziffer 9.211 ff. der Richtlinie 1987 im Rahmen der Wochenzeitschichten (Kombination aus Wochentagstypen und Tageszeitschichten) bei der Berechnung des Schwerbehindertenquotienten mit eingeflossen.
56Schließlich verweist die Bezirksregierung darauf, dass die Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode verwendet wurden. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend ein neuer Stichprobenplan zu erstellen und die zu erfassenden Linien zufällig auszuwählen seien. Ferner seien in die Stichprobenpläne keine Schulfahrten aufgenommen worden.
57Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
58Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Verwendung der Stichprobenpläne der 1. Zählperiode auch in der 2. Zählperiode repräsentativ sei.
59Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Damit sind alle Erhebungen der 2. Zählperiode (62 von 248 Zählprotokollen) unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Hierbei wiegt im vorliegenden Fall besonders schwer, dass nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen.
60Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 79 von 248 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2006 (rund 32 %) unbrauchbar und liegen darüber hinaus mit der Nichterhebung von Samstagsfahrten der Linie 9882 in der Winterzählperiode und der Nichterhebung von Schulfahrten in zwei Zählperioden gravierende Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl vor, liegt zur Überzeugung der Kammer insgesamt keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
61Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 30.6.2009 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
62Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 30.6.2009) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
63Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
64Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
65Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
66An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 30.6.2009 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 8.12.2008 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
68Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
69Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
70Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 30.6.2009 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
71Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
72Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
73Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
74Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
75Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2007 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 30.6.2009 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 137.739,96 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
76Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
77Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
78BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
79Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
80Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
81Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 26.2.2014, der am 4.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
82Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 30.6.2009 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
83Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
849,67 % - 1,2 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,59 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,47 %
851.625.570,00 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2007) / 100 x 8,47 = 137.685,78 EUR
86Die abweichende Festsetzung im Bescheid vom 26.2.2014 rührt daher, dass die Bezirksregierung E1. offenbar wie folgt gerechnet hat: 9,67 (angenommener Schwerbehindertenquotient aus 2012) – 3,59 / 3 (Drittel des Landessatzes) x 1.625.570,00 (Fahrgeldeinnahmen) / 100 = 137.739,96 €. Die von der Behörde zur Berechnung der Erstattungsleistung im Bescheid offenbar verwendete Rechenmethode berücksichtigt wesentlich mehr Nachkommastellen und gelangt so zu einem abweichenden Ergebnis.
87Die Berechnung ist dagegen auch bei der Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nach § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX so vorzunehmen, dass der einzustellende Prozentsatz auf zwei Nachkommastellen zu runden ist, wie es § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX vorsieht. Nach § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX sind bei der Festsetzung des Landessatzes sich ergebende Bruchteile von 0,005 und mehr auf ganze Hundertstel aufzurunden und im Übrigen abzurunden. Dies führt bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach Landessatz dazu, dass entsprechend mit einem auf zwei Nachkommastellen gerundeten Wert zu rechnen ist. Aus Sicht der Kammer gibt es keinen sachlichen Grund, bei der Berechnung des Erstattungsanspruchs nach betriebsindividuellem Schwerbehindertenquotienten anders zu verfahren.
88Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2007 von insgesamt 196.856,53 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 59.170,75 EUR.
89Die Bezirksregierung E1. errechnete dagegen nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 59.116,57 EUR, was sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
90Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
91Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 30.12.2009 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2008. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2008 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.767.387,17 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 2.7.2009 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2008 bei. Für das Erstattungsjahr 2008 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2008 3,66 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 292.325,84 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2008 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 151.891,04 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 140.434,80 EUR.
4Mit Bescheid vom 23.2.2011 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 270.762,80 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 118.871,77 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 12.3.2014, abgesandt am 19.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 23.2.2011 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2008 auf 149.344,22 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 121.418,58 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 16,54 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2008 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten, Erfassung nicht im auf den Zählprotokollen angegebenen Haltestellenumfang, Erhebung nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 23.2.2011 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 23.2.2011 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2008 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2008 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 16,54 % sei daher für das Jahr 2008 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2008 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 149.344,22 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2008 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 270.762,80 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 121.418,58 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 23.2.2011 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 12.3.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 23.2.2011 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2008 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2008. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2008 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2008 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2008 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 12.3.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2008 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 12.3.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 12.3.2014 die Regelung des Bescheids vom 23.2.2011 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 12.3.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 23.2.2011 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 149.344,22 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 12.3.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 23.2.2011 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 23.2.2011 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 23.2.2011 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2008 tatsächlich 16,54 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,66 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2008 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2008 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2008 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgendem von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehler in der Auswahl der Erhebungsfahrten der Verkehrszählung getragen, so dass es auf die gerügten Fehler in den Zählprotokollen im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung wurden in die Stichprobenpläne der Verkehrszählung keine Schulfahrten aufgenommen. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend eine zufällige Auswahl der zu erfassenden Linien vorzunehmen sei, um ein repräsentatives Zählergebnis zu sichern.
43Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung nach den Ziffern 9.1 ff. relevanten Wochenzeitschichten. Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
44Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Ausklammerung von Schulfahrten gleichwohl die Anforderungen an eine Stichprobenerhebung erfülle.
45Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Die gesamte Verkehrserhebung ist unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Es stellt daher einen besonders gravierenden Fehler dar, dass keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend zumindest in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen. Sachliche Gründe für die Ausklammerung dieses Fahrttypus sind nicht ersichtlich. Wird ein bestimmter Fahrttypus innerhalb einer Linie, für die eine Liniengenehmigung vorliegt und die tatsächlich in den Erhebungsperioden angeboten und durchgeführt wird, pauschal und sachgrundlos von der Verkehrszählung ausgenommen, ist nach Auffassung der Kammer insgesamt der Charakter einer Stichprobenerhebung nicht mehr gegeben.
46Ist danach aus den vorgenannten Gründen schon ein gravierender Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl gegeben, liegt zur Überzeugung der Kammer mit der durchgeführten Verkehrszählung keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
47Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 23.2.2011 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
48Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 23.2.2011) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
49Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
50Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
51Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
52An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 23.2.2011 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 30.12.2009 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
53Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
54Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
55Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
56Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 23.2.2011 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
57Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
58Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
59Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
60Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
61Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2008 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 23.2.2011 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 149.344,22 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
62Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
63Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
64BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
65Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
67Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 12.3.2014, der am 19.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
68Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 23.2.2011 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
69Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
709,67 % - 1,22 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,66 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,45 %
711.767.387,17 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2008) / 100 x 8,45 = 149.344,22 EUR
72Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2008 von insgesamt 270.762,80 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 121.418,58 EUR.
73Die Festsetzung des Rückzahlungsbetrags durch die Bezirksregierung E1. ist damit auch rechnerisch nicht zu beanstanden.
74Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
75Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 14.12.2010 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2009. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2009 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.812.071,76 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 2.7.2009 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2008 bei. Für das Erstattungsjahr 2008 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2009 3,73 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 299.716,67 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2009 erhaltenen Vorauszahlungen von 157.485,24 EUR die Auszahlung eines Restbetrages von noch 142.231,43 EUR.
4Mit Bescheid vom 11.7.2011 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 277.186,58 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 119.701,36 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Der Bescheid enthielt eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. dem MAIS noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Bescheid vom 12.3.2014, abgesandt am 19.3.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 11.7.2011 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2009 auf 152.757,65 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 124.428,93 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 16,54 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2008 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass die Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten, Erfassung nicht im auf den Zählprotokollen angegebenen Haltestellenumfang, Erhebung nicht innerhalb der zutreffenden Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel und keine konsequente Zufallsauswahl der zu erhebenden Linien. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
8Der Bescheid vom 11.7.2011 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
9Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 11.7.2011 zurückzunehmen.
10Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2009 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2006 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2009 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 16,54 % sei daher für das Jahr 2009 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2009 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 152.757,65 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2009 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 277.186,58 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 124.428,93 EUR.
11Am 28.3.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 11.7.2011 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Ende 2011 von den Auffälligkeiten in den Zählprotokollen Kenntnis gehabt habe. Sie – die Klägerin – habe hierzu mit Schreiben vom 31.1.2012 ausführlich Stellung genommen. Hiernach habe bereits Entscheidungsreife vorgelegen. Auch nach erfolgter eigener Prüfung und den Schreiben an das MAIS vom 23.3.2012 und 29.6.2012 habe die Bezirksregierung E1. vollständige Kenntnis aller entscheidungserheblichen Tatsachen gehabt. Dass eine Rückforderung von gezahlten Leistungen in Höhe von insgesamt rd. 130.000 EUR beabsichtigt sei, habe man ihr bereits während des Gesprächs am 3.7.2012 mitgeteilt. Hierzu habe sie noch einmal mit Schreiben vom 14.9.2012 Stellung genommen. Danach sei kein neuer Vortrag mehr erfolgt, so dass die Rücknahme mit Bescheid vom 12.3.2014 jedenfalls verfristet sei. Die Bezirksregierung E1. könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig durch weitere Ermittlungen hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 11.7.2011 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2008 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2009. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2009 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2008 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2008 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) regelten die Anforderungen an die Antragstellung sowie die Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten abschließend und träfen weder Aussagen zu einem Verbot von Tipp-Ex noch zu der Verwendung mehrerer Stifte.
12Die Klägerin beantragt,
13den Bescheid vom 12.3.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2009 aufzuheben.
14Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie vertritt ergänzend zu den Ausführungen in ihrem Bescheid vom 12.3.2014 die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Es sei zwischen formalen Fehlern in den Zählprotokollen und der inhaltlichen Unrichtigkeit des durch sie belegten Schwerbehindertenquotienten zu differenzieren. Formale Fehler in den Zählprotokollen führten nicht zwingend dazu, dass die inhaltlichen Angaben unrichtig seien. Bei der Ermessensausübung in einer korrekten Rücknahmeentscheidung müsse der „materiell richtige“ Schwerbehindertenquotient berücksichtigt und dafür ermittelt werden. Einziger Anhaltspunkt hierfür seien die Berechnungen für das Kalenderjahr 2012 durch die WVI gewesen, da diese nicht nur die Berechnungen, sondern auch die Zählungen verantwortet habe. Der Wert für 2012 lasse auch Rückschlüsse auf die Jahre 2006 bis 2010 zu. Die Beteiligten hätten sich in dem Gespräch am 24.10.2012 darauf verständigt, dass das Ergebnis der Verkehrszählung für 2012 in die behördliche Entscheidung mit einfließen soll. Das Gesamtergebnis für 2012 habe hierfür abgewartet werden müssen. Durch das Ergebnis der Zählung in 2012 sei eindeutig bewiesen, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient in den Jahren 2006 bis 2011 inhaltlich unrichtig gewesen sei. Die Jahresfrist habe daher nicht vor Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2012 durch die WVI am 30.4.2013 zu laufen begonnen. Die Ergebnisse der Verkehrserhebung in 2012 seien eine ganz wesentliche Tatsachengrundlage für die Entscheidung gewesen, in welchem Umfang der ursprüngliche Bewilligungsbescheid aufzuheben bzw. aufrecht zu erhalten gewesen sei. Für die Frage des Vertrauensschutzes spiele es keine Rolle, dass sie die bislang beantragten Quotienten stets bewilligt habe. Es habe zum Bewilligungszeitpunkt keine Anhaltspunkte gegeben, das Ergebnis in Frage zu stellen. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben sei nicht gegeben. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Die Übertragung des Werts für 2012 auf die Kalenderjahre 2006 bis 2011 wirke sich im Übrigen nur zu ihren Gunsten aus. Ansonsten hätte der Landessatz festgesetzt werden müssen.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten Bezug genommen.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
19Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 12.3.2014 die Regelung des Bescheids vom 11.7.2011 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 12.3.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 11.7.2011 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 152.757,65 EUR festgesetzt wurden.
20Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 12.3.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
21Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 11.7.2011 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
22Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 7.12.2011 und im Rahmen der Besprechung am 24.10.2012 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
23Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 11.7.2011 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
24Der Bescheid vom 11.7.2011 findet seine Rechtsgrundlage in §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX.
25Nach § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
26Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2009 tatsächlich 16,54 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,73 % um mindestens ein Drittel überstieg.
27Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2008 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 16,54 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2008 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2008 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
28Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2008 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
29Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
30Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
31Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
32Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
33Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
34Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
35Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
36Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
37Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
38Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
39Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
40An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
41Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
42Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung wurden in die Stichprobenpläne der Verkehrszählung keine Schulfahrten aufgenommen. Sie vertritt hierzu die Auffassung, dass nach Ziff. 10.3 der Richtlinie 1987 zwingend eine zufällige Auswahl der zu erfassenden Linien vorzunehmen sei, um ein repräsentatives Zählergebnis zu sichern.
43Gem. Ziffer 6.11 der Richtlinie 1987 ist bei der Stichprobenerhebung in jeder der vier Erhebungsperioden jede Linie an jedem Wochentagstyp zu bestimmten Tageszeitschichten zu erfassen. Gem. Ziffern 3 und 3.1 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Gem. Ziffer 3.2 sind Wochentagstypen: Montag bis Freitag, Samstag und Sonntag. Die Kombination der Wochentagstypen mit den Tageszeitschichten ergibt nach Ziffer 6.11 die später für die Berechnung nach den Ziffern 9.1 ff. relevanten Wochenzeitschichten. Gem. Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 ist der Unternehmer verpflichtet, alle Nachweise vorzulegen, die den dem Fahrgelderstattungsantrag zugrunde gelegten Vomhundertsatz begründen. Bei durchgeführter Stichprobenerhebung gehören hierzu u.a. die vor jeder Erhebungsperiode neu zu erstellenden Stichprobenpläne (Auflistung aller Linienfahrten geordnet nach Linie, Richtung, Wochentag und Tagesstunde und der daraus ausgewählten zu kontrollierenden zu kontrollierenden Fahrten). Gem. Ziffer 6.22 sind die in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten je Linie innerhalb einer Wochenzeitschicht zufällig auszuwählen.
44Die Klägerin vertritt hierzu die Ansicht, dass eine Zufallsauswahl durch die Richtlinie 1987 nicht verlangt werde und die durchgeführte Verkehrszählung trotz unstreitiger Ausklammerung von Schulfahrten gleichwohl die Anforderungen an eine Stichprobenerhebung erfülle.
45Die Kammer schließt sich der Auffassung der Bezirksregierung an. Die gesamte Verkehrserhebung ist unbrauchbar. Die in Ziffer 10.3 der Richtlinie 1987 enthaltene Verpflichtung, bei – wie hier – durchgeführter Stichprobenerhebung vor jeder Erhebungsperiode neue Stichprobenpläne zu erstellen, ergibt überhaupt nur dann einen Sinn, wenn diese Stichprobenpläne entsprechend der Auswahlkriterien in den Ziffern 6.1 ff. der Richtlinie 1987 neu erstellt werden, wozu nach Ziffer 6.22 die Zufallsauswahl der in die Erhebung einzubeziehenden Linienfahrten zählt. Erst durch konsequente Zufallsauswahl der Linienfahrten erhält die Verkehrszählung den Charakter einer Stichprobenerhebung. Es stellt daher einen besonders gravierenden Fehler dar, dass keine Schulfahrten in die Stichprobenpläne aufgenommen wurden, obwohl es sich dabei um reguläre Linienfahrten handelt, deren einzige Besonderheit ist, dass sie in den Schulferien nicht angeboten werden. Auch diese Fahrten hätten zwingend zumindest in die Auswahl der Erhebungsfahrten mit einbezogen werden müssen. Sachliche Gründe für die Ausklammerung dieses Fahrttypus sind nicht ersichtlich. Wird ein bestimmter Fahrttypus innerhalb einer Linie, für die eine Liniengenehmigung vorliegt und die tatsächlich in den Erhebungsperioden angeboten und durchgeführt wird, pauschal und sachgrundlos von der Verkehrszählung ausgenommen, ist nach Auffassung der Kammer insgesamt der Charakter einer Stichprobenerhebung nicht mehr gegeben.
46Ist danach aus den vorgenannten Gründen schon ein gravierender Fehler in der Erhebungsfahrtenauswahl gegeben, liegt zur Überzeugung der Kammer mit der durchgeführten Verkehrszählung keine zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten vor.
47Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 11.7.2011 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
48Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 11.7.2011) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
49Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
50Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
51Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
52An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 11.7.2011 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 14.12.2010 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
53Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
54Entgegen der Ansicht der Klägerin kann diese auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
55Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
56Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 11.7.2011 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
57Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
58Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
59Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
60Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
61Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2009 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 11.7.2011 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 152.757,65 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zu Gunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
62Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
63Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
64BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
65Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
66Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
67Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 7.5.2013 zu laufen und war mit Bekanntgabe des Bescheids vom 12.3.2014, der am 19.3.2014 zur Post gegeben wurde, noch nicht abgelaufen. Bei ihrer Entscheidungsfindung ist die Bezirksregierung dergestalt vorgegangen, dass sie die Frage, ob der Ausgangsbescheid überhaupt zurückzunehmen ist („Ob“ der Rücknahme) mit der Frage verknüpft hat, in welcher Höhe ggf. der Erstattungsanspruch dann neu festzusetzen ist („Wie“ der Rücknahme bzw. Neufestsetzung). Dies war vorliegend – wie bereits festgestellt – vom Rücknahmeermessen der Behörde gedeckt und damit sachgerecht, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient gegeben ist. Die Bezirksregierung E1. musste daher von Anfang an auch ermitteln, in welcher Höhe der Erstattungsbetrag ggf. neu festzusetzen ist. Da sie nicht einfach einen beliebigen Wert ohne objektive Anhaltspunkte aus der Luft greifen wollte und dies für eine rechts- und ermessensfehlerfreie Entscheidung auch nicht durfte, war es sachgerecht, zunächst das Ergebnis der parallel zum Verwaltungsverfahren laufenden Verkehrszählung für das Jahr 2012 abzuwarten, zumal die Fahrgastzählungen hier ebenfalls durch die WVI durchgeführt wurden, was aus Sicht aller Beteiligten eine höhere Gewähr für die Richtigkeit der Ergebnisse versprach. Hiermit war zunächst auch die Klägerin ausweislich des Protokolls des Gesprächs am 24.10.2012 einverstanden. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde thematisiert, dass die Zahlen für das gesamte Jahr 2012 abgewartet werden sollten, da der aufgrund der vorläufigen Zahlen berechnete Schwerbehindertenquotient je nach Erhebungsperiode zwischen 9 % und 14 % schwankte. Die endgültigen Zahlen für das Kalenderjahr 2012 übermittelte die Klägerin an die Bezirksregierung mit Schreiben vom 3.5.2013, das dort am 7.5.2013 einging. Erst hierdurch lag positive und vollständige Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn vor, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant waren, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen.
68Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 11.7.2011 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
69Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
709,67 % - 1,24 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,73 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,43 %
711.812.071,76 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2009) / 100 x 8,43 = 152.757,65 EUR
72Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2009 in Höhe von insgesamt 277.186,58 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 124.428,93 EUR.
73Die Festsetzung des Rückzahlungsbetrags durch die Bezirksregierung E1. ist damit auch rechnerisch nicht zu beanstanden.
74Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
75Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100,00 € abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist ein kommunales Verkehrsunternehmen und führt auf der Basis entsprechender Liniengenehmigungen öffentlichen Personennahverkehr im Gebiet der Stadt M. durch.
3Mit Schreiben vom 13.12.2011 stellte die Klägerin bei der Bezirksregierung E1. einen Antrag auf Erstattung von Fahrgeldausfällen gem. §§ 148 Abs. 1, Abs. 5, 150 Abs. 1 S. 1 SGB IX für das Kalenderjahr 2010. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2010 erzielten Fahrgeldeinnahmen i.H.v. 1.965.373,45 EUR sowie ein Testat der Ingenieurgruppe IVV GmbH & Co. KG (im Folgenden: IVV) vom 1.8.2011 über den durch Verkehrszählung ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten für das Erstattungsjahr 2010 bei. Für das Erstattungsjahr 2010 hatte die IVV auf Grundlage einer als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung einen betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % ermittelt und testiert. Der Landessatz gemäß § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX betrug für das Jahr 2010 3,74 %. Die Klägerin ermittelte aus den nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen und der durch die IVV testierten Quote einen Erstattungsanspruch i.H.v. 311.118,62 EUR und beantragte nach Abzug von für das Kalenderjahr 2010 erhaltenen Vorauszahlungen, die sie in ihrem Antrag mit 324.859,87 EUR angab, die Auszahlung eines Restbetrages von noch 77.258,75 EUR.
4Mit „vorläufigem“ Bescheid vom 5.7.2012 setzte die Bezirksregierung E1. den Erstattungsbetrag unter Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX abweichend auf 287.010,04 EUR fest und ermittelte nach Abzug der Vorauszahlungen, die sie mit 216.610,24 EUR bezifferte, noch einen Auszahlungsbetrag zugunsten der Klägerin von 70.399,80 EUR, der auch zur Auszahlung kam. Unter Ziffer 2 des Bescheides führte die Bezirksregierung E1. unter anderem aus, dass der festgesetzte Ausgleichsanspruch für das Jahr 2010 vorerst nur vorläufig gewährt werde, da die Ergebnisse der Überprüfung der Verkehrszählungen der Vorjahre Zweifel an der Richtigkeit der Angaben auch für das Jahr 2010 aufkommen ließen. Wegen der abweichenden Festsetzung aufgrund der Berücksichtigung der Drittelregelung in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX erging der Bescheid gem. dessen Ziffer 4 vorläufig bis zum Abschluss eines anhängigen Musterstreitverfahrens zur Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung. Der Bescheid enthielt ferner unter Ziffer 3 eine Regelung, wonach sich die Bewilligungsbehörde die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrags durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehielt. Ferner enthielt der Bescheid die Verpflichtung, die vollständigen Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft des Bescheides aufzubewahren.
5Hinsichtlich der entsprechenden Erstattungsansprüche für die Kalenderjahre 2006 bis 2009 führte die Bezirksregierung E1. bereits seit Ende 2011 / Anfang 2012 ein Überprüfungsverfahren durch. Hintergrund dieser Überprüfung war, dass das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: MAIS) die Bezirksregierung E1. mit Schreiben vom 31.10.2011 über Auffälligkeiten in den der Verkehrserhebung zu Grunde liegenden Zählprotokollen informiert hatte. Mit Schreiben vom 7.12.2011 setzte die Bezirksregierung E1. die Klägerin hierüber in Kenntnis und äußerte den Verdacht einer vorsätzlichen Manipulation der Zählprotokolle mit dem Ziel, einen höheren Schwerbehindertenquotienten zu erreichen. Mit Schreiben vom 31.1.2012 nahm die Klägerin ausführlich hierzu Stellung. Die Klägerin wies die Manipulationsvorwürfe zurück und erklärte die Absicht, die anstehende Zählung für das Kalenderjahr 2012 nicht mehr von eigenem Personal, sondern extern durchführen zu lassen. Mit Schreiben vom 15.2.2012 berichtete die Bezirksregierung E1. an das MAIS, dass zunächst abgewartet werden solle, ob die Klägerin die Erhebungen für 2012 tatsächlich durch ein externes Institut durchführen lasse. Die dadurch gewonnenen Ergebnisse könnten die Korrektheit der Zählergebnisse der Vorjahre bekräftigen. So könne der Vorwurf einer Manipulation entkräftet werden. Mit Schreiben vom 20.3.2012 teilte die Klägerin mit, dass die Erhebungen für das Kalenderjahr 2012 durch die „WVI Prof. Dr. X. Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung GmbH“ in C1. (im Folgenden: WVI) durchgeführt würden. Im Rahmen eines Gesprächs am 3.7.2012 teilte die Bezirksregierung E1. der Klägerin mit, dass beabsichtigt sei, Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009 zurückzufordern. Die Beteiligten vereinbarten, dass die Klägerin intern den Sachverhalt weiter aufklären solle, um die Manipulationsvorwürfe zu entkräften. Mit Schreiben vom 14.9.2012 nahm die Klägerin noch einmal zu den Vorwürfen Stellung und übermittelte der Bezirksregierung E1. die Ergebnisse der nachträglichen Befragung des eigenen Zählpersonals. Laut internem Vermerk vom 26.9.2012 wurde die Bezirksregierung E1. in einem internen Prüfprotokoll der „Projektgruppe SGB IX“ des MAIS darauf hingewiesen, dass auch in den bisher ungeprüften Zählprotokollen der Verkehrszählung des Jahres 2010 Unregelmäßigkeiten gleicher Art und gleichen Umfangs vermutet würden. Dies betreffe auch das Jahr 2011. Es sei noch zu entscheiden, ob auch die Verkehrszählungen für diese Jahre einer detaillierten Nachprüfung zu unterziehen seien. Im Rahmen eines weiteren Gesprächs zwischen den Beteiligten am 24.10.2012 informierte die Bezirksregierung E1. die Klägerin darüber, dass der Manipulationsverdacht fallen gelassen, jedoch die Richtigkeit der durch das Personal der Klägerin durchgeführten Verkehrszählung wegen formaler Fehler weiterhin in Zweifel gezogen werde und deshalb beabsichtigt sei, einen neuen, annähernd verlässlichen Schwerbehindertenquotienten festzulegen. Als Richtwert für die vergangenen Jahre könne man die laufende Schwerbehindertenzählung, die durch die WVI durchgeführt werde, heranziehen. Da gegenwärtig nur Zählergebnisse für die Frühjahrs- und Sommerperiode 2012 vorlägen und diese stark variierten, sollten die noch ausstehenden Ergebnisse für Herbst 2012 und Winter 2013 abgewartet werden, um ein verlässliches und einheitliches Bild zu bekommen. Gegebenenfalls seien Erstattungsleistungen für die Jahre 2006 bis 2009, möglicherweise bis 2011, zurückzufordern.
6Am 7.5.2013 ging bei der Bezirksregierung E1. ein von der Klägerin übersandtes Testat der WVI vom 30.4.2013 über den für das Kalenderjahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten ein. Mit Schreiben vom 6.6.2013 forderte die Bezirksregierung E1. die Klägerin auf, auch die Original-Zählprotokolle für das Jahr 2010 zu übersenden. Mit E-Mail vom 30.10.2013 holte die Bezirksregierung E1. eine Auskunft über die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. , einer im Gebiet der Stadt M. gelegenen Behinderteneinrichtung, ein und erfuhr, dass die Belegungszahlen in den Jahren 2006 bis 2012 dort annähernd gleich geblieben waren. Bei einem Termin im MAIS am 31.10.2013 berichtete die Bezirksregierung E1. noch einmal von den jüngsten Entwicklungen, insbesondere von den Zählergebnissen für das Jahr 2012. Das Ministerium verwies darauf, dass Mindeststandards bei den Zählungen nicht eingehalten worden seien. Man wolle in Bezug auf die in Rede stehenden Rückforderungen in Kürze durch Erlass entscheiden. Am 12.12.2013 teilte das MAIS der Bezirksregierung E1. mit, dass die Entscheidung über das weitere Vorgehen allein der Bezirksregierung obliege. Gemäß internem Vermerk vom 20.1.2014 entschied sich die Bezirksregierung E1. hinsichtlich der bereits für die Jahre 2006 bis 2010 bestandskräftig festgesetzten Fahrgelderstattungen dazu, den betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten der Klägerin für die Jahre 2006 bis 2010 gemäß dem Testat der WVI vom 30.4.2013 auf 9,67 % festzusetzen und auf dieser Grundlage die Fahrgelderstattungen neu zu berechnen.
7Mit Schreiben vom 20.2.2014 machte die Bezirksregierung E1. die Klägerin auf einzelne Beanstandungen in den Zählprotokollen der Verkehrszählung des Jahres 2010 aufmerksam und kündigte an, dass sie beabsichtige, ihren Bewilligungsbescheid für das Jahr 2010 zurück zu nehmen und überzahlte Beträge zurück zu fordern. Hierzu nahm die Klägerin mit Schreiben vom 22.4.2014 Stellung.
8Mit Bescheid vom 28.5.2014, zugestellt am 12.6.2014, nahm die Bezirksregierung E1. den Bescheid vom 5.7.2012 gem. § 48 VwVfG NRW zurück, setzte den Erstattungsbetrag für 2010 auf 165.484,44 EUR neu fest und forderte einen überzahlten Betrag von 121.525,59 EUR gem. § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW von der Klägerin zurück. Zur Begründung führte die Bezirksregierung E1. aus, dass der durch die IVV ermittelte Schwerbehindertenquotient von 15,85 % nicht anerkannt werden könne. Sie habe die Zählprotokolle der Schwerbehindertenzählung aus dem Jahr 2010 eingesehen. Dabei sei festgestellt worden, dass viele Zählprotokolle Unregelmäßigkeiten aufwiesen, nämlich nachträgliche Erhöhungen der Werte für die Schwerbehinderten und sonstigen Fahrgäste, Erhebungen außerhalb der maßgeblichen Zählperiode, fehlende oder falsche Angaben bei den Stammdaten in den Zählprotokollen, die Verwendung von Tipp-Ex, die Verwendung verschiedenfarbiger Schreibmittel und fehlende oder falsche Summenbildung. Die Zählprotokolle enthielten in so erheblichem Umfang Unregelmäßigkeiten und formale Fehler, dass sie als belastbare Nachweise für den testierten Schwerbehindertenquotienten und damit als Bemessungsgrundlage für die Ausgleichsansprüche nicht anerkannt werden könnten.
9Der Bescheid vom 5.7.2012 sei daher rechtswidrig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 VwVfG NRW lägen vor. Zwar habe die Klägerin die gewährten Leistungen verbraucht. Auf Vertrauen in den Bestand des Bescheides könne sich die Klägerin jedoch gem. § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW nicht berufen, da sie den ursprünglichen Bescheid durch Angaben erwirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG NRW lägen vor, denn die Klägerin habe die Rechtswidrigkeit des Bescheids infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
10Die Rücknahme des Bescheids stehe im behördlichen Ermessen. Zweck der Ermessensnorm sei die Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustandes und die Schaffung der Voraussetzungen für eine Rückforderung überzahlter öffentlicher Mittel. Sie – die Bezirksregierung E1. – bezwecke dies mit dem Rücknahmebescheid. Die Rücknahme sei auch verhältnismäßig, denn sie sei zur Erreichung des Zwecks geeignet, weil der gewünschte Erfolg – die Unwirksamkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheids und der Wegfall des Rechtsgrundes für das Behaltendürfen der erbrachten Leistungen – damit erreicht werde. Die Rücknahme sei auch erforderlich, denn es sei kein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung ersichtlich. Schließlich sei die Rücknahme auch angemessen. Die Interessen der Beteiligten seien gegeneinander abzuwägen. Das öffentliche Interesse bestehe in einer sachgerechten Verwendung öffentlicher Gelder. Angesichts knapper Kassen des Landes NRW fordere die Allgemeinheit eine korrekte und gerechte Verteilung von Leistungen. Es bestehe bei einem Rechtsverstoß nicht nur ein rechtliches Interesse an dessen Beseitigung, sondern auch ein fiskalisches Interesse an der Rückführung zu Unrecht erbrachter Leistungen in den öffentlichen Haushalt. Außerdem liege es im öffentlichen Interesse, einer negativen Vorbildwirkung zu begegnen, die sich daraus ergeben könnte, dass auch andere Leistungsempfänger versuchen könnten, eine Leistungsbewilligung durch unrichtige oder unvollständige Angaben zu erwirken, wenn dies ohne rechtliche Konsequenzen bliebe. Das Interesse der Klägerin bestehe im Bestand des ursprünglichen Leistungsbescheids und damit im Behaltendürfen der erhaltenen Gelder. Vorliegend überwiege das öffentliche Rücknahmeinteresse jedoch das private Interesse am Behaltendürfen. Es liege kein erkennbares Missverhältnis zwischen dem gewählten Mittel und dem erstrebten Erfolg vor. Nur eine vollständige Rücknahme des Ursprungsbescheides sei sachgerecht und entspreche dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit. Im Übrigen liege hier ein Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW vor, weshalb gemäß § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit angezeigt sei. Hinweise auf einen atypischen Fall bestünden nicht. Sie übe daher ihr Ermessen dahingehend aus, den Bescheid vom 5.7.2012 zurückzunehmen.
11Hinsichtlich der Neufestsetzung des Erstattungsbetrages für das Kalenderjahr 2010 lege sie den durch die WVI für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % zu Grunde. Dies sei der einzige in Frage kommende valide Wert. Im Gegensatz zu früheren Erhebungen habe bei dieser Erhebung das unabhängige Institut auch die Zählungen in eigener Verantwortung durchgeführt. Die so erzielten Ergebnisse seien glaubwürdig. Der hohe Schwerbehindertenquotient auf den Linien der Klägerin stehe maßgeblich in Zusammenhang mit der Stiftung F1. -F2. , einer Einrichtung für behinderte Menschen. Die Zahl der in der Stiftung wohnenden Personen habe sich von 2010 bis 2012 nur geringfügig verändert. Es gebe keine sonstigen Anhaltspunkte dafür, dass der Schwerbehindertenquotient im Jahr 2010 deutlich höher gewesen sei als im Jahr 2012. Ein Wert von 15,85 % sei daher für das Jahr 2010 nicht möglich, wenn der korrekte Wert für das Jahr 2012 nur 9,67 % betrage. Für das Jahr 2012 sei ein korrekter Wert durch korrekte Zählung ermittelt worden, weshalb es sachgerecht sei, den Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % auch für das Jahr 2010 zugrunde zu legen. Hieraus ergebe sich unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX ein Erstattungsbetrag von 165.484,44 EUR. Nach Abzug von für das Kalenderjahr 2010 erhaltenen Zahlungen i.H.v. 287.010,04 EUR ergebe sich ein Gesamtrückforderungsbetrag von 121.525,59 EUR.
12Am 3.7.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass eine Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2012 bereits wegen Verjährung ausscheide. Es sei eine frühe Entscheidungsreife anzunehmen, da die Bezirksregierung E1. schon Mitte 2012 aufgrund des Hinweises des MAIS in dem internen Vermerk vom 26.9.2012 die vermeintlichen Fehler der Zählbögen habe feststellen können. Die Bezirksregierung habe sie indes erst mit Schreiben vom 6.6.2013 aufgefordert, auch die Original-Zählprotokolle für das Jahr 2010 zu übersenden. Erst danach seien diese Unterlagen ausgewertet worden. Die Bezirksregierung E1. habe dem Verfahren daher nicht in gebotener Weise Fortgang gegeben. Sie könne den Beginn der Verjährungsfrist nicht beliebig hinausschieben. Auch könne die Rücknahme nicht auf § 48 VwVfG NRW gestützt werden, da der Bescheid vom 5.7.2012 rechtmäßig sei. Die von der Bezirksregierung E1. angeführten Beanstandungen stellten keinen Verstoß dar, der zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führen könne. Die Beanstandungen seien überwiegend nicht nachvollziehbar. Auch wenn einzelne Erhebungsbögen kritikwürdig seien, könne deswegen nicht die gesamte Erhebung und Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten in Frage gestellt werden. Der Bescheid hätte nur gemäß § 49 Abs. 3 VwVfG NRW widerrufen werden können, dessen Voraussetzungen indes nicht vorlägen. Selbst wenn der Bescheid als rechtswidrig anzusehen sei, könne er nicht zurückgenommen werden, weil sie – die Klägerin – schutzwürdiges Vertrauen genieße. Die Ausschlussgründe des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW lägen nicht vor. Sie habe den Bescheid insbesondere nicht durch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt. Die Bezirksregierung E1. habe die in Ansatz gebrachten Werte stets akzeptiert, ohne neue Erhebungen oder Erläuterungen zu verlangen. Beanstandungen seien erst nach Prüfung durch das MAIS erfolgt. Sie – die Klägerin – habe auch keine Kenntnis oder grob fahrlässig Unkenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bescheides gehabt. Ferner müsse die vorzunehmende Interessenabwägung zu Gunsten ihrer Schutzwürdigkeit ausgehen. Soweit die Bezirksregierung E1. auf eine negative Vorbildfunktion abstelle, übersehe sie, dass der Vorwurf der vorsätzlichen Manipulation der Zählergebnisse bereits im Verwaltungsverfahren fallen gelassen worden sei. Sie – die Klägerin – hege als kommunales Unternehmen keine Bereicherungsabsichten. Auch verstoße es gegen die Grundsätze des § 242 BGB und sei treuwidrig, den Bescheid zurückzunehmen, wenn es eine Mitverantwortung der Behörde für die Rechtswidrigkeit des Bescheids gebe. Es sei unzulässig, den durch die IVV ermittelten Schwerbehindertenquotienten für das Jahr 2010 durch den Wert aus dem Testat der WVI für das Jahr 2012 zu ersetzen. Dieser Wert beziehe sich nur auf das Jahr 2012 und erlaube keine Rückschlüsse für das Jahr 2010. Die Bezirksregierung E1. sei nicht berechtigt gewesen, einen von ihr – der Klägerin – nicht autorisierten Wert eigenmächtig für das Jahr 2010 zu übernehmen und diesen ohne ihre Veranlassung und gegen ihren Willen zur Ermittlung des Erstattungsbetrages zu Grunde zu legen. Die Belegungszahlen der Stiftung F1. -F2. könnten allein nicht ausschlaggebend sein, um auf einen niedrigeren Schwerbehindertenquotienten im Jahr 2010 zu schließen. Die Verkehrszählungen der Jahre 2010 und 2012 seien auf der Grundlage unterschiedlicher Erhebungsrichtlinien durchgeführt worden. Die für das Jahr 2010 noch geltenden „Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“ (Runderlass des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4, im Folgenden: Richtlinie 1987) hätten die Fahrtenauswahl vollständig dem Zufall überlassen. Die aktuell geltende Richtlinie zwinge indes bei der Erhebungsfahrtenauswahl zur Streuung, was Auswirkungen auf den Schwerbehindertenquotienten habe und einen geringeren Wert begründen könne.
13Die Klägerin beantragt,
14den Bescheid vom 28.5.2014 bezüglich der Erstattung von Fahrgeldausfällen für das Jahr 2010 aufzuheben.
15Die Bezirksregierung E1. als Vertreterin des beklagten Landes beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie nimmt auf die Begründung des angegriffenen Bescheides Bezug. Ergänzend vertritt sie die Auffassung, dass sie die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW eingehalten habe. Erst mit Schreiben vom 6.6.2013 habe sie die Original-Zählunterlagen von der Klägerin angefordert. Ohne diese sei eine sachgerechte Entscheidung über die Rücknahme des Bewilligungsbescheides überhaupt nicht möglich gewesen. Die Jahresfrist habe erst nach Eingang der Stellungnahme der Klägerin vom 22.4.2014 auf das Anhörungsschreiben vom 20.2.2014 begonnen. In 22 von 264 Fällen seien Zählungen außerhalb der Zählperiode erfolgt. Dies sei ein eindeutiger Richtlinienverstoß und stelle eine erhebliche Fehlerquote dar. In 13 von 264 Fällen sei ein verändertes oder unvollständiges Datum auf dem Zählprotokoll enthalten. In zwei Fällen fehle die Angabe des Namens des Zählers auf dem Protokoll. Auch wenn die einzelnen Fehler das Ergebnis der Verkehrszählung jeweils nicht allein in Frage stellten, sei bei einer Gesamtschau der festgestellten Fehler eine ordnungsgemäße Dokumentation und Berechnung nicht mehr gegeben. Die Klägerin könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie – die Bezirksregierung – habe nicht wissen können, dass die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten falsch gewesen sei. Aus dem Testat der IVV vom 1.8.2011 für das Kalenderjahr 2010 hätten sich keine Anhaltspunkte für Fehler ergeben. Die Klägerin habe den Bewilligungsbescheid vom 5.7.2012 durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig gewesen seien. Eine Mitverantwortung der Behörde für die unrichtigen Angaben liege nicht vor. Die Ermittlung des korrekten Schwerbehindertenquotienten habe im alleinigen Verantwortungsbereich der Klägerin gelegen. Es lägen nicht nur leichte Formfehler vor. Es sei zwischen den Beteiligten auch mehrfach erörtert worden, dass eine entsprechende Anwendung und Übertragung des für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten auch auf das Jahr 2010 in Betracht komme. Dies wirke sich nur zu Gunsten der Klägerin aus, da ansonsten der Landessatz von 3,74 % hätte festgesetzt werden müssen. Die unterschiedlichen Werte für die Jahre 2010 und 2012 könnten nicht allein mit Unterschieden in den jeweils geltenden Erhebungsrichtlinien erklärt werden, denn die für die Verkehrszählung des Jahres 2012 geltende (neue) Richtlinie sehe keine inhaltlich andere Erfassungsmethode vor.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, des das Kalenderjahr 2006 betreffenden Verfahrens 6 K 806/14 nebst Beiakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung E1. Bezug genommen.
19E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
20Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als einheitliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) statthaft, da durch die begehrte Beseitigung der Neufestsetzung der Erstattungsleistungen in dem angegriffenen Bescheid vom 28.5.2014 die Regelung des Bescheids vom 5.7.2012 im Übrigen wieder auflebt. Denn der Bescheid vom 28.5.2014 enthält entgegen seinem insoweit missverständlichen Tenor zu 1. und 2. keine vollständige Rücknahme des Bescheids vom 5.7.2012 und vollständige Neufestsetzung der Erstattungsleistungen, sondern nur insoweit eine Teil-rücknahme, als mit dem Ursprungsbescheid Erstattungsleistungen von mehr als 165.484,44 EUR festgesetzt wurden.
21Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet, da der angegriffene Bescheid vom 28.5.2014 rechtmäßig ist und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
22Die Bezirksregierung stützt den angegriffenen Bescheid in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW, soweit durch ihn der Bescheid vom 5.7.2012 zurückgenommen und auf § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW, soweit eine Erstattung bereits erbrachter Leistungen festgesetzt wird. Nach diesen Vorschriften kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist, sind gemäß § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW bereits erbrachte Leistungen zu erstatten.
23Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Insbesondere ist die Klägerin mit Schreiben vom 20.2.2014 vor Erlass des Rücknahmebescheides angehört worden.
24Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW liegen vor. Der Bescheid vom 5.7.2012 ist, soweit er zurückgenommen wurde, rechtswidrig.
25Die Bezirksregierung E1. hat den Bescheid vom 5.7.2012 auf §§ 145 Abs. 3, 148 Abs. 1 bis 3 und 5, 150 Abs. 1, 4 und 5 SGB IX gestützt.
26Gemäß § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, unentgeltlich befördert. Die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet. Nach § 148 Abs. 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet. Der Prozentsatz im Sinne des Abs. 1 wird nach § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Weist ein Unternehmen durch Verkehrszählung nach, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Abs. 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt, wird gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet.
27Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, denn die Klägerin hat als das den Personennahverkehr durchführende Unternehmen nicht gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2010 tatsächlich 15,85 % betrug und damit den Landesquotienten gem. § 148 Abs. 4 S. 1 SGB IX von 3,74 % um mindestens ein Drittel überstieg.
28Die Bezirksregierung E1. zieht dabei nicht grundsätzlich in Zweifel, dass bei der Klägerin ein den Landessatz um mehr als ein Drittel übersteigender betriebsindividueller Schwerbehindertenquotient vorliegt. Sie zweifelt lediglich den durch die Verkehrszählung im Jahr 2010 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 15,85 % der Höhe nach an. Sie beanstandet im Einzelnen bestimmte Fehler in den der Verkehrszählung des Jahres 2010 zugrunde liegenden Zählprotokollen, die nach ihrer Ansicht in der Gesamtschau so schwerwiegend sind, dass die Verkehrszählung des Jahres 2010 für die Ermittlung des Schwerbehindertenquotienten nicht geeignet ist.
29Die Kammer folgt nach eigener Prüfung der Bezirksregierung in ihrer Einschätzung. § 148 Abs. 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein Nachweis durch Verkehrszählung durchzuführen ist. Verkehrszählungen waren im Land Nordrhein-Westfalen im Jahr 2010 auf der Grundlage des Runderlasses des Ministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 15.12.1987 – II B 1 – 4421.4 („Richtlinien zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr“, im Folgenden: Richtlinie 1987) durchzuführen. Diese Richtlinien enthalten detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Dabei ist die vorliegend als Stichprobenerhebung durchgeführte Linienerhebung gemäß Ziff. 4 und Ziff. 6 der Richtlinie 1987 zulässig. Die Richtlinie 1987 enthält in Ziffer 7 Regelungen darüber, welche Angaben in dem vom Zählpersonal auszufüllenden Zählprotokoll enthalten sein müssen. Dazu, welche Auswirkungen Verstöße gegen diese Regelungen haben oder wie gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen sind, verhält sich die Richtlinie 1987 dagegen nicht.
30Mangels gesetzlicher oder untergesetzlicher Vorgaben kann daher nur anhand allgemeiner Grundsätze beurteilt werden, ob im Einzelfall eine durchgeführte Verkehrszählung taugliche Grundlage für ein Erstattungsbegehren nach §§ 145 ff SGB IX sein kann. Hierbei ist zu beachten, dass es sich bei der Verpflichtung der Verkehrsunternehmen, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, gem. § 145 Abs. 1 S. 1 SGB IX unentgeltlich zu befördern, um die Indienstnahme Privater zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe handelt.
31Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, NVwZ 2014, 1005, Rn. 17; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, NVwZ 1985, 963, Rn. 37.
32Die Verkehrsunternehmen übernehmen kraft gesetzlicher Verpflichtung eine eigentlich dem Staat obliegende Aufgabe der sozialen Fürsorge. Bei der gesetzlich vorgesehenen Erstattung hierdurch entstehender Fahrgeldausfälle gem. § 145 Abs. 3 S. 1 SGB IX i.V.m. §§ 148 ff. SGB IX handelt es sich in der Folge um eine finanzielle Entschädigung des Privaten für seine Indienstnahme im öffentlichen Pflichtenkreis. Der Entschädigungscharakter der Erstattungsleistung bedingt auf der einen Seite, dass aus Sicht des Verkehrsunternehmens keine zu strengen Anforderungen an den Erhalt dieser Leistung gestellt werden dürfen, weil ansonsten die über Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit tangiert wäre. Auf der anderen Seite hat der Gesetzgeber das System der Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr in § 148 SGB IX bewusst – zur Vereinfachung der Handhabung für die Verwaltung aber auch für die betroffenen Verkehrsunternehmen – als pauschales Erstattungssystem ausgestaltet, was verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
33Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.; und Urteil vom 17.10.1984 – 1 BvL 18/82, a.a.O.
34Die in § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX für das Verkehrsunternehmen vorgesehene Möglichkeit, durch Verkehrszählung einen den Landessatz um mindestens ein Drittel übersteigenden betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nachzuweisen, stellt insoweit eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung zu der an sich in § 148 Abs. 1 SGB IX vorgesehenen pauschalen Erstattung dar, deren konkrete gesetzliche Ausgestaltung ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist.
35Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.3.2014 – 1 BvR 1417/10 –, a.a.O.
36Wenn ein Verkehrsunternehmen statt der pauschalen Erstattung nach Landessatz in § 148 Abs. 1 bis Abs. 4 SGB IX einen betriebsindividuellen, höheren Prozentsatz an unentgeltlich beförderten Fahrgästen im Erstattungsverfahren gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX geltend macht, müssen an den Nachweis dieses betriebsindividuellen Prozentsatzes insoweit strengere Anforderungen gestellt werden, als der durch Verkehrszählung zu erbringende Nachweis schlüssig, nachvollziehbar und einer nachträglichen behördlichen Überprüfung zugänglich sein muss. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX, der einen „Nachweis“ fordert und nur der „nachgewiesene“, über dem Drittel des Landessatzes liegende Anteil der unentgeltlich beförderten Fahrgäste zusätzlich bei der Berechnung der Erstattungsleistung berücksichtigt wird.
37Dieser Nachweis ist als rein tatsächliches Tatbestandsmerkmal des Erstattungsanspruchs uneingeschränkt durch das Verwaltungsgericht überprüfbar.
38Die Richtlinie 1987 sieht in Ziffer 1.2 vor, dass die in § 62 Abs. 5 SchwbG (der Vorgängervorschrift zu § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX) geforderte Verkehrszählung als Nachweis anzuerkennen ist, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung oder als Stichprobenerhebung nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist, wobei die Stichprobenerhebung nach Ziffer 4 der Richtlinie 1987 als Linienerhebung oder als Querschnittserhebung durchgeführt werden kann. Bei einer eingeschränkten Vollerhebung werden nach Ziffer 5 der Richtlinie 1987 während jeder Linien- und Einsatzfahrt jedes Wochentags einmal innerhalb der Erhebungsperiode alle nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten sowie alle sonstigen Fahrgäste erfasst. Im Falle einer Stichprobenerhebung wird nach Ziffer 6 der Richtlinie 1987 die Gesamtzahl der innerhalb einer Wageneinheit nach dem SchwbG unentgeltlich beförderten und der sonstigen Fahrgäste auf einzelnen Linienfahrten erfasst, die nach einem im Einzelnen vorgegebenen Auswahlverfahren bestimmt werden. Bei der als Linienerhebung durchgeführten Stichprobenerhebung werden nach Ziffer 6.2 der Richtlinie 1987 in der Wageneinheit jeder ausgewählten Linienfahrt alle Einsteiger auf der gesamten Fahrt befragt.
39Die eingeschränkte Vollerhebung bietet naturgemäß aufgrund ihrer breiteren und umfangreicheren Datenbasis eine höhere Gewähr für die Richtigkeit des Ergebnisses, ist für die Verkehrsunternehmen aber mit einem höheren Erhebungsaufwand verbunden. Die in der Durchführung im Vergleich „einfachere“ Stichprobenerhebung ist dagegen aufgrund ihrer geringeren Erhebungsdichte ungenauer, was dadurch ausgeglichen wird, dass bei der Berechnung des Prozentsatzes der unentgeltlich beförderten Fahrgäste bei Stichprobenerhebungen in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 im Unterschied zur Berechnung bei eingeschränkter Vollerhebung in Ziffer 8 ff. wesentlich umfangreichere Varianzberechnungen vorzunehmen sind und als Bemessungswert für die Erstattung der Fahrgeldausfälle nicht der Schwerbehindertenquotient, sondern nach Ziffer 9.23 die untere 95-Prozentgrenze des Schwerbehindertenquotienten errechnet wird.
40Entscheidet sich das Verkehrsunternehmen – wie vorliegend – zu der im Vergleich „einfacheren“ Stichprobenerhebung, dürfen auch insofern strengere Anforderungen an die Korrektheit der Verkehrszählung und insbesondere an die Korrektheit der ihr zugrunde liegenden Verkehrserhebung gestellt werden, als sich eventuelle Fehler in einzelnen Zählprotokollen, die naturgemäß bei jeder Verkehrserhebung vorkommen, wesentlich stärker auf das Gesamtergebnis auswirken können, als dies bei einer Vollerhebung der Fall wäre. Hierbei entzieht sich die Bewertung der Validität einer Verkehrszählung jeder schematischen Betrachtung. Es ist in jedem Einzelfall auf die Art der Fehlerhaftigkeit, die konkreten Auswirkungen des einzelnen Fehlers auf die Frage, ob das betroffene Zählprotokoll noch als Nachweis für die durchgeführte Zählung anerkannt werden kann und auf die Anzahl der von dem Fehler betroffenen Zählprotolle abzustellen. Nur im Rahmen einer insoweit gebotenen Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalles kann eine Aussage darüber getroffen werden, ob diese noch als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann oder aufgrund einer in erheblicher Weise ergebnisrelevanten Fehlerhäufung schon nicht mehr geeignet ist, die Erstattungsbehörde bzw. das Gericht von der Richtigkeit des durch sie ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zu überzeugen. Liegt eine Fehlerhäufung vor, die sicher ergebnisrelevant ist, kann die Verkehrszählung nicht mehr Gewähr für die Richtigkeit der durch sie ermittelten Ergebnisse bieten und nicht die erforderliche Überzeugung der Behörde oder des Gerichts tragen.
41An diesen Grundsätzen gemessen geht die Kammer nach ihrer freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 108 Abs. 1 S. 1 VwGO) davon aus, dass die vorliegend der Berechnung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten zugrunde liegende Verkehrszählung nicht als „Nachweis“ i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX anerkannt werden kann.
42Hierbei wird die Überzeugungsbildung der Kammer bereits maßgeblich von folgenden von der Bezirksregierung E1. gerügten Fehlern in den Zählprotokollen getragen, so dass es auf die gerügten Fehler im Übrigen nicht mehr entscheidend ankommt:
43Die Bezirksregierung macht geltend, dass in 22 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung (8,33 % der Zählprotokolle) – die jeweilige Anzahl der betroffenen Protokolle wurde von der Klägerin nicht im Einzelnen angegriffen und konnte von der Kammer jeweils anhand der tabellarischen Auswertungen auf Blatt 23 ff. der Beiakte I nachvollzogen werden – eine Datumsangabe enthalten ist, die außerhalb der vorgeschriebenen Zählperiode liegt (Beispiel: Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 15:28 – Ankunft 15:57 am 8.5.2010; die Frühjahrsperiode lag im Jahr 2010 in dem Zeitraum 12.4.2010 bis 30.4.2010).
44Gem. Ziffern 3 und 3.1 der Richtlinie 1987 werden als Erhebungsperioden für die Verkehrszählung vorgegeben: die drei vollständigen Schulwochen beginnend jeweils mit dem Montag nach Aschermittwoch (Winterperiode), die drei vollständigen Schulwochen beginnend mit dem Montag nach Ostermontag (Frühjahrsperiode), die zweite, dritte und vierte vollständige Ferienwoche der Sommerferien (Sommerperiode) sowie die drei ersten vollständigen Schulwochen im November (Herbstperiode). Die Klägerin trägt dazu vor, dass vereinzelt Erhebungen außerhalb der vorgeschriebenen Zählperioden durchgeführt wurden, wenn beispielsweise eine Fahrt ausgefallen oder die jeweilige Zählperson erkrankt war. Es sei dann ein „vergleichbares Datum“ zur Nacherhebung ausgewählt worden, damit eine Vergleichbarkeit weiterhin gegeben sei.
45Nach Auffassung der Kammer kann eine innerhalb der Erhebungsperiode zu prüfende Fahrt nicht ohne weiteres durch eine „vergleichbare Fahrt“ außerhalb der jeweiligen Erhebungsperiode ersetzt werden. Die genaue Vorgabe von Erhebungszeiträumen in der Richtlinie 1987 soll die Vergleichbarkeit der Zählergebnisse sicherstellen. Die später in Ziffer 9 ff. der Richtlinie 1987 vorgegebene Methode zur Berechnung des Prozentsatzes bei der Linienerhebung knüpft in Ziffer 9.217, 9.223, 9.224 und 9.225 der Richtlinie 1987 jeweils entweder mittelbar oder unmittelbar an die Zählergebnisse der jeweiligen Zählperiode an. Diese Berechnung wird abweichend beeinflusst, wenn Ergebnisse berücksichtigt werden, die außerhalb der Zählperioden erhoben wurden.
46Bei Ausfällen von Fahrten oder Zählpersonal hätte es der Klägerin daher oblegen, zu dokumentieren und deutlich zu machen, welche Fahrt im Einzelnen zusätzlich erhoben wurde, um welche ausgefallene Erhebung zu ersetzen. Allein aus dem Umstand, dass die Richtlinie 1987 – wie der Klägerin zuzugeben ist – an keiner Stelle Ausführungen dazu enthält, wie Abweichungen zu dokumentieren sind, kann die Klägerin nicht herleiten, dass eventuelle Abweichungen vom vorgeschriebenen Erhebungsmodus überhaupt nicht dokumentiert werden müssen. Im Gegenteil hat die Klägerin als das den Nachweis i.S.d. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX führende Verkehrsunternehmen stets sicherzustellen, dass gerade im Falle von Abweichungen die jederzeitige Nachprüfbarkeit der Verkehrszählung erhalten bleibt.
47Die Bezirksregierung verweist weiter darauf, dass in 13 von 264 Zählprotokollen (4,92 %) eine entweder nur unvollständige Datumsangabe vorhanden oder die Datumsangabe nachträglich verändert worden ist (Beispiel: Protokoll Linie 9883 –Abfahrt 14:29 – Ankunft 14:58 am 7.4.2010 und Protokoll Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7./8.4.2010). Gemäß Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll eine Datumsangabe enthalten.
48Die Klägerin behauptet hierzu, dass die Angaben auf den betroffenen Protokollen lediglich korrigiert worden seien. Es könne vorkommen, dass sich ein Zähler verschreibe. Da dieser nur ein Protokoll zur Verfügung habe, sei eine Korrektur auf dem Protokoll besser, als dort ein falsches Datum stehen zu haben, dass im Nachhinein zu Irritationen und Zweifeln an der Korrektheit führe.
49Die Kammer hat sich durch Einsichtnahme in die Zählprotokolle ein Bild von den vorgenommenen Veränderungen verschafft. Diese sind nicht so erfolgt, dass das vorher eingetragene Datum durchgestrichen und durch ein neues ersetzt worden wäre. Stattdessen wurde das vorhandene Datum überschrieben, was am Beispiel des Protokolls der Linie 9883 – Abfahrt 14:58 – Ankunft 15:27 am 7.4. oder 8.4.2010 zur Folge hat, dass nicht mehr sicher festgestellt werden kann, welches Datum gemeint sein soll, bzw. ursprünglich eingetragen war und korrigiert werden sollte. Um die erforderliche Nachprüfbarkeit der Zählergebnisse sicherzustellen, wäre es dagegen angezeigt gewesen, den vorherigen Eintrag lediglich durchzustreichen, damit dieser noch erkannt werden kann, und die Korrektur daneben, darüber oder darunter vorzunehmen. Dies ist hier nicht geschehen. So kann weder die Erstattungsbehörde noch das Gericht überprüfen, welche Fahrt tatsächlich erhoben wurde und ob die Korrektur durch das Zählpersonal oder nachträglich durch einen Dritten erfolgte.
50Nach den unstreitigen Feststellungen der Bezirksregierung fehlt in 2 von 264 Zählprotokollen (0,76 %) die Angabe des Namens des Zählers. Dies betrifft die Protokolle Linie 9885 – Abfahrt 15:45 – Ankunft 16:12 am 23.2.2010 und Linie 9885 – Abfahrt 16:15 – Ankunft 16:45 am 23.2.2010. Gem. Ziffer 7 der Richtlinie 1987 muss das Zählprotokoll den Namen des Zählers enthalten. Ohne die Namensangabe sind die beiden Protokolle zum Nachweis der während dieser Fahrt erhobenen Zahlen mangels Nachprüfbarkeit unbrauchbar.
51Sind danach aus den vorgenannten Gründen schon 37 von 264 Zählprotokollen der Verkehrserhebung 2010 (rund 14 %) unbrauchbar, kommen sie zur Überzeugung der Kammer insgesamt nicht mehr als zuverlässige Datenbasis zur Ermittlung des betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten in Betracht.
52Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der – wie hier der Bescheid vom 5.7.2012 – eine einmalige Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 S. 1 VwVfG NRW). Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG NRW).
53Auf Vertrauensschutz kann sich die Klägerin hier aber deshalb nicht berufen, weil sie den Verwaltungsakt (Bescheid vom 5.7.2012) durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW). Da die Klägerin den Nachweis durch Verkehrszählung nicht ordnungsgemäß erbracht hat, lagen dem Bescheid damit zugleich auch in wesentlicher Beziehung unrichtige oder unvollständige Angaben zugrunde. Durch diese Angaben hat die Klägerin den Bescheid auch im Rechtssinne „erwirkt“. Ein Verwaltungsakt wird im Sinne des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW erwirkt, wenn der Begünstigte diesen durch auf Erlass des Verwaltungsakts gerichtetes zweck- und zielgerichtetes Handeln erreicht und die Angaben entscheidungserheblich waren. Dass das Handeln des Beteiligten mitursächlich war, genügt. Ursächlich sind die unvollständigen bzw. unrichtigen Angaben, wenn anzunehmen ist, dass die Behörde bei vollständiger bzw. richtiger Angabe den Fehler nicht gemacht und den Verwaltungsakt nicht mit der erlassenen oder nur mit einer ungünstigeren Regelung erlassen hätte.
54Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116 f, m.w.N.
55Unerheblich ist, ob der Betroffene schuldhaft gehandelt hat, insbesondere weil er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit kannte, hätte erkennen können oder hätte erkennen müssen.
56Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 119, m.w.N.
57An diesen Grundsätzen gemessen liegt ein „Erwirken“ des Verwaltungsakts vor. Die Klägerin hat den Bescheid vom 5.7.2012 bereits dadurch erreicht, dass sie in ihrem Antrag vom 13.12.2011 einen auf unbrauchbarer Datenbasis ermittelten betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten angegeben hat. Dass die Bezirksregierung E1. den von der Klägerin angegebenen Wert zunächst nicht überprüfte, sondern unbesehen übernahm, ist unerheblich. Selbst wenn darin ein Mitverschulden der Behörde zu sehen sein sollte, würde sich dies bei der Frage des „Erwirkens“ des Verwaltungsakts nicht auswirken, da eine Mitursächlichkeit der Handlung der Klägerin jedenfalls genügt und weitere Ursachen gegebenenfalls bei der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen sind.
58Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 116.
59Entgegen ihrer Ansicht kann die Klägerin auch kein zusätzliches, gesteigertes Vertrauen in den Bestand des Ursprungsbescheides für sich in Anspruch nehmen. In einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG NRW – wie hier –, entfällt grundsätzlich eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Klägerin in den Bestand des zurückgenommenen Bescheides und es besteht nach § 48 Abs. 2 S. 4 VwVfG NRW für den Regelfall eine Rücknahmepflicht mit Wirkung für die Vergangenheit, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden darf. Die Frage, ob ein derartiger atypischer Fall gegeben ist, unterliegt der vollständigen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle. Ein Ausnahmefall liegt vor, wenn der Unrechtsgehalt, der mit einem Fall des § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG NRW typischerweise verbunden ist – hier das Erwirken des Verwaltungsakts durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben –, wegen der Besonderheiten des Einzelfalls nicht vorliegt.
60Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127c.
61Das Vorliegen eines Ausnahmefalls hat die Bezirksregierung ausdrücklich geprüft und zutreffend verneint. Für einen solchen ist nichts ersichtlich. Ein Ausnahmefall liegt insbesondere auch nicht deshalb vor, weil die Bezirksregierung vor Erlass des Ursprungsbescheides selbst keine nähere Überprüfung der Zählprotokolle vorgenommen hat. Die Klägerin musste im Gegenteil damit rechnen, dass es noch zu einer Überprüfung der Zählprotokolle kommen konnte, denn die Bezirksregierung hat sich im Bescheid vom 5.7.2012 ausdrücklich die Prüfung des festgesetzten Erstattungsbetrages durch Einsicht in die Bücher, Belege und sonstigen Geschäftsunterlagen sowie durch örtliche Erhebungen im Unternehmen vorbehalten und zu diesem Zweck angeordnet, die Unterlagen über die Verkehrszählung bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Eintritt der Bestandskraft aufzubewahren. Im Übrigen enthielt Ziffer 2 des Bescheides vom 5.7.2012 den ausdrücklichen Hinweis, dass der festgesetzte Ausgleichsanspruch für das Jahr 2010 zunächst nur vorläufig gewährt werde, da die Ergebnisse der Überprüfung der Verkehrszählungen der Vorjahre Zweifel an der Richtigkeit der Angaben auch für das Jahr 2010 aufkommen ließen. Vor diesem Hintergrund sind entgegen der Ansicht der Klägerin Anhaltspunkte für ein i.S.d. § 242 BGB treuwidriges Verhalten der Behörde nicht ersichtlich.
62Die Bezirksregierung E1. hat bei ihrer Rücknahmeentscheidung auch das ihr in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW eingeräumte Ermessen fehlerfrei ausgeübt.
63Nach § 40 VwVfG NRW hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Zu den Zwecken der Ermächtigung zählen im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW neben dem Ziel der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände auch fiskalische Interessen der öffentlichen Hand an der Vermeidung von unberechtigten Leistungen aus öffentlichen Kassen auf der einen und die Berücksichtigung angemessenen Vertrauensschutzes auf der anderen Seite.
64Vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 127d.
65Diesen Zweck der Ermächtigung hat die Bezirksregierung E1. vorliegend zutreffend erkannt und die zutreffend bestimmten widerstreitenden Interessen – das Interesse der Klägerin am Bestand des ursprünglichen Bescheides und das Interesse der öffentlichen Hand an der Wiederherstellung gesetzeskonformer Zustände – ohne ersichtlichen Ermessensfehler gegeneinander abgewogen.
66Dass sie sich zu einer Neuberechnung der Erstattungsleistungen auf Grundlage des nachgewiesenen und von ihr anerkannten Schwerbehindertenquotienten aus dem Jahre 2012 von 9,67 % entschied, diesen Wert fiktiv für das Jahr 2010 übernahm und ihr Rücknahmeermessen daher dergestalt ausübte, nur eine Teilrücknahme des Bescheids vom 5.7.2012 vorzunehmen, soweit durch ihn Erstattungsleistungen von mehr als 165.484,44 EUR festgesetzt wurden, ist nicht zu beanstanden und wirkt sich jedenfalls nicht zum Nachteil der Klägerin aus. Wird der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten nicht erbracht, verbleibt es grundsätzlich bei einer Fahrgelderstattung gem. § 148 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 SGB IX nach dem Landessatz. Dies wäre im hier vorliegenden Einzelfall jedoch wohl unbillig und ermessensfehlerhaft gewesen, da zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass der betriebsindividuelle Schwerbehindertenquotient aufgrund der im Gebiet der Klägerin gelegenen Stiftung F1. -F2. deutlich höher ist als der Landessatz. Es ist daher vom Rücknahmeermessen der Bezirksregierung aus § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW gedeckt, zugunsten der Klägerin einen anderen über dem Landessatz liegenden Schwerbehindertenquotienten für die Berechnung der Erstattungsleistungen zugrunde zu legen, sofern dieser nicht willkürlich bestimmt wird, sondern es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dieser jedenfalls richtiger ist als der Landessatz. Dies ist mit dem von ihr geprüften und akzeptierten für das Jahr 2012 ermittelten Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % jedenfalls der Fall.
67Die Bezirksregierung E1. hat auch die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW eingehalten. Die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes ist gemäß § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen.
68Die Frist beginnt erst zu laufen mit positiver und vollständiger Kenntnis aller Tatsachen im weitesten Sinn, die für die Entscheidung der Behörde über die Rücknahme relevant sind oder sein können, einschließlich der für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen. Dabei genügt die bloße Tatsachenkenntnis allein nicht, sondern es ist zusätzlich erforderlich, dass die Behörde auch die fehlerhafte Rechtsanwendung auf ihr bekannt gewordene oder von Anfang an bekannte Tatsachen erkennt, d.h. sich der Rechtswidrigkeit des betroffenen Verwaltungsakts und der Notwendigkeit, wegen dieser Rechtswidrigkeit über eine eventuelle Rücknahme zu entscheiden, bewusst wird oder ist.
69BVerwG, Beschlüsse vom 19.12.1984 – GrSen 1.84 und GrSen 2.84 –, BVerwGE 70, 356 = NJW 1985, 819 = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 153 f., m.w.N.
70Die Frist ist eine reine Entscheidungsfrist, die erst ab Entscheidungsreife des Falles zu laufen beginnt. Es genügt deshalb nicht, dass die Behörde nur Kenntnis von einzelnen oder auch zahlreichen Tatsachen, Gesichtspunkten usw. hat oder erlangt, die geeignet sind, eine sorgfältige und gewissenhaft arbeitende Behörde zu veranlassen, die Frage der Rücknahme zu prüfen. Die Frist beginnt erst ab dem Zeitpunkt zu laufen, ab dem bei objektiver Betrachtung keine Notwendigkeit für eine weitere Aufklärung hinsichtlich der Rücknahme mehr besteht oder sich die Rücknahme geradezu aufdrängt.
71Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, NVwZ 2002, 485 = juris; OVG NRW, Urteil vom 15.7.1987 – 12 A 954/86 –, NVwZ 1988, 71; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 156.
72Gemessen daran hat die Bezirksregierung E1. hier die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 VwVfG NRW gewahrt, denn diese begann frühestens am 24.4.2014 zu laufen und war mit Eingang des Bescheids vom 28.5.2014 bei den Bevollmächtigten der Klägerin am 12.6.2014 noch nicht abgelaufen. Das seit Ende 2011 durchgeführte Überprüfungsverfahren bezog sich zunächst nur auf die Fahrgelderstattung in den Kalenderjahren 2006 bis 2009. Erst nachdem hinsichtlich der Zählprotokolle für die Jahre 2006 und 2008 aus Sicht der Bezirksregierung Auffälligkeiten zu Tage getreten waren, geriet nach internem Vermerk vom 26.9.2012 erstmals auch die Verkehrszählung in 2010 und die darauf basierende Fahrgelderstattung in den Kalenderjahren 2010 und 2011 in den Blick. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Bezirksregierung jedoch noch keine gesicherte Kenntnis darüber, dass auch die Zählprotokolle des Jahres 2010 – aus ihrer Sicht – derart erhebliche Fehler aufwiesen, dass auch die Verkehrszählung des Jahres 2010 insgesamt nicht zur Nachweisführung i.S.v. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX brauchbar war. Die Bezirksregierung forderte erstmals mit Schreiben vom 6.6.2013 die Zählprotokolle des Jahres 2010 zur Einsichtnahme an und wertete diese anschließend aus. Sie konnte daher überhaupt erst nach dem 6.6.2013 positive und sichere Kenntnis von den Tatsachen haben, die die Rücknahme des auf den Zählprotokollen des Jahres 2010 beruhenden Bescheides vom 5.7.2012 rechtfertigen konnten. Zur korrekten Durchführung des Rücknahmeverfahrens war es ferner gem. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erforderlich, die Klägerin anzuhören. Die Anhörung erfolgte mit Schreiben vom 20.2.2014. Die schriftliche Stellungnahme der Klägerin vom 22.4.2014 ging bei der Bezirksregierung E1. am 24.4.2014 ein. Erst nach Eingang dieser Stellungnahme lag die notwendige Entscheidungsreife vor.
73Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.9.2001 – 7 C 6.01 –, a.a.O. = juris; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 48 Rn. 154.
74Auch das Erstattungsverlangen der Bezirksregierung E1. ist rechtmäßig. Es findet seine Grundlage in § 49a Abs. 1 S. 1 VwVfG NRW. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen oder widerrufen worden ist. Die Bezirksregierung hat den Bescheid vom 5.7.2012 nur teilweise zurückgenommen und die Erstattungsleistungen auf Grundlage eines Schwerbehindertenquotienten von 9,67 % neu ermittelt und festgesetzt.
75Es ergibt sich nach alldem folgende Berechnung des Erstattungsanspruchs:
769,67 % - 1,25 % (ein Drittel des Landessatzes von 3,74 % als Selbstbehalt gem. § 148 Abs. 5 S. 1 SGB IX; gerundet auf zwei Nachkommastellen in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 4 S. 4 SGB IX) = 8,42 %
771.965.373,45 EUR (Fahrgeldeinnahmen 2010) / 100 x 8,42 = 165.484,44 EUR
78Abzgl. erhaltener Zahlungen für das Kalenderjahr 2010 von insgesamt 287.010,04 EUR errechnet sich ein Rückzahlungsanspruch von 121.525,60 EUR.
79Die Bezirksregierung E1. errechnete dagegen nur einen Rückzahlungsanspruch in Höhe von 121.525,59 EUR, was sich nicht zum Nachteil der Klägerin auswirkt.
80Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
81Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Die in sich schlüssigen und nach einheitlichen Standards formatierten Einzeldatensätze sind von den Auskunftspflichtigen elektronisch bis zum Ablauf von 40 Arbeitstagen nach Ende des jeweiligen Berichtszeitraums an das jeweilige statistische Landesamt zu übermitteln.
(2) An die fachlich zuständigen obersten Bundes- oder Landesbehörden dürfen für die Verwendung gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften und für Zwecke der Planung, jedoch nicht für die Regelung von Einzelfällen, vom Statistischen Bundesamt und von den statistischen Ämtern der Länder Tabellen mit statistischen Ergebnissen übermittelt werden, auch soweit Tabellenfelder nur einen einzigen Fall ausweisen. Tabellen, die nur einen einzigen Fall ausweisen, dürfen nur dann übermittelt werden, wenn sie nicht differenzierter als auf Regierungsbezirksebene, bei Stadtstaaten auf Bezirksebene, aufbereitet sind.
(3) Die statistischen Ämter der Länder stellen dem Statistischen Bundesamt für Zusatzaufbereitungen des Bundes jährlich unverzüglich nach Aufbereitung der Bestandserhebung und der Erhebung im Laufe des Berichtsjahres die Einzelangaben aus der Erhebung zur Verfügung. Angaben zu den Hilfsmerkmalen nach § 145 dürfen nicht übermittelt werden.
(4) Die Ergebnisse der Bundesstatistik nach diesem Kapitel dürfen auf die einzelnen Gemeinden bezogen veröffentlicht werden.
Eine Geldschuld hat der Schuldner von dem Eintritt der Rechtshängigkeit an zu verzinsen, auch wenn er nicht im Verzug ist; wird die Schuld erst später fällig, so ist sie von der Fälligkeit an zu verzinsen. Die Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Abs. 3 und des § 289 Satz 1 finden entsprechende Anwendung.
(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.
(1) Ist für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend, so wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt.
(2) Ist der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt, so wird dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet. Das Gleiche gilt von dem Tage der Geburt bei der Berechnung des Lebensalters.
(1) Eine Geldschuld ist während des Verzugs zu verzinsen. Der Verzugszinssatz beträgt für das Jahr fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(2) Bei Rechtsgeschäften, an denen ein Verbraucher nicht beteiligt ist, beträgt der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz.
(3) Der Gläubiger kann aus einem anderen Rechtsgrund höhere Zinsen verlangen.
(4) Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
(5) Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.
(6) Eine im Voraus getroffene Vereinbarung, die den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf Verzugszinsen ausschließt, ist unwirksam. Gleiches gilt für eine Vereinbarung, die diesen Anspruch beschränkt oder den Anspruch des Gläubigers einer Entgeltforderung auf die Pauschale nach Absatz 5 oder auf Ersatz des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ausschließt oder beschränkt, wenn sie im Hinblick auf die Belange des Gläubigers grob unbillig ist. Eine Vereinbarung über den Ausschluss der Pauschale nach Absatz 5 oder des Ersatzes des Schadens, der in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist, ist im Zweifel als grob unbillig anzusehen. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn sich der Anspruch gegen einen Verbraucher richtet.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch den Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen im öffentlichen Personennahverkehr.
3Die Klägerin betreibt den öffentlichen Personennahverkehr in T. .
4Mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die vorläufige Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung von schwerbehinderten Personen im öffentlichen Personenverkehr gemäß § 148 SGB IX für das Kalenderjahr 2012 sowie die Festsetzung der Vorauszahlung für das Kalenderjahr 2014. Zur Berechnung des Erstattungsanspruchs fügte die Klägerin dem Antrag einen Nachweis über die im Kalenderjahr 2012 erzielten Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 16.878.971,02 Euro bei. Unter Berücksichtigung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten von 7,52 Prozent, wie ihn das mit der Durchführung der Schwerbehinderten- und Fremdfahrscheinerhebung beauftragte Unternehmen „U. “ ermittelt habe, belaufe sich der Erstattungsanspruch für das Jahr 2012 auf 1.269.298,62 Euro. Abzüglich der bereits erhaltenen Vorauszahlung in Höhe von 846.251,68 Euro bestehe daher ein Restanspruch in Höhe von 423.046,94 Euro.
5Unter dem 12. Mai 2014 übersandte die Bezirksregierung E. der Klägerin das Schreiben des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) vom 28. April 2014 mit der Bitte, zu den dort benannten Erhebungsfehlern und Richtlinienverstößen Stellung zu nehmen. Danach sei bei den am 23. Juli 2012 durchgeführten sieben Beobachtungsfahrten durch einen Mitarbeiter des Ministeriums festgestellt worden, dass keine Verkehrserhebung auf diesen Linienfahrten den Richtlinien entsprochen habe. In der Herbstperiode seien am 15. November 2012 auf weiteren sechs Linienfahrten Beobachtungen durchgeführt worden, wobei nur drei Verkehrserhebungen entsprechend den Vorgaben der Richtlinien erfolgt seien. Folgende Richtlinienverstöße wurden im Wesentlichen beanstandet:
6- 7
Erhebung ohne ordnungsgemäße Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 8
Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke.
- 9
Schulpflichtige Kinder nicht nach dem Alter gefragt und auch nicht erfasst.
- 10
Teilweise Erhebung ohne Fahrgastbefragung bzw. Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 11
Teilweise keine Befragung der Fahrgäste wegen Unaufmerksamkeit (Unterhaltung).
- 12
Erhobene Freifahrtberechtigungen weichen extrem von der Beobachtung ab.
Nach der Varianzberechnung liege der Fehleranteil mit der statistischen Sicherheit von 95 Prozent bei 50,54 Prozent oder höher. Es handle sich allesamt um schwerwiegende Fehler, die sich gravierend auf das von der Klägerin vorgelegte Hochrechnungsergebnis auswirken könnten, weshalb der fehlerbehaftete Nachweis nicht geeignet sei, einen Anspruch der Klägerin auf Individualerstattung nach § 148 Absatz 5 SGB IX zu begründen.
14Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 führte die Klägerin aus, dass nur ein kleiner Anteil der insgesamt durchschnittlich fast 810 Fahrten kontrolliert worden sei. Die Kontrollrate liege dabei unter einem Prozent der Gesamtzahl, was nicht als ein repräsentativer Strichprobenumfang angesehen werden könne. Zudem ist sie nicht der Ansicht, dass die festgestellten Mängel ausreichende Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der gesamten Zählung begründen könnten.
15Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 16. Juli 2014 den Erstattungsbetrag für Fahrgeldausfälle für das Jahr 2012 vorläufig auf 639.883,41 Euro fest und forderte zugleich von der Klägerin 206.368,27 Euro zurück. Der seitens der Klägerin ermittelte betriebsindividuelle Wert in Höhe von 7,52 Prozent könne aufgrund der Anzahl und des Umfangs der bei den Erhebungen aufgetretenen Fehlern nicht als Nachweis nach § 148 Absatz 5 SGB IX gewertet werden. Die 13 überprüften Fahrten seien auch bei fast 800 durchgeführten Verkehrserhebungen sehr wohl repräsentativ. Das Argument, die Klägerin habe die Schulungen intensiviert, könne nicht überzeugen. Zum einen könnten diese Schulungen keine rückwirkenden Auswirkungen auf die Feststellungen der Sommerperiode entfalten; zum anderen führten sie auch nicht zu richtlinienkonformen Erhebungen während der Überprüfungen innerhalb der Herbstperiode.
16Am 6. August 2014 hat die Klägerin Klage erhoben.
17Der Bescheid sei widersprüchlich und irreführend, da auf Seite 1 ziffernmäßig ein Betrag in Höhe von 639.883,41 Euro aufgeführt sei, wohingegen es ausgeschrieben in Worten „Sechsmillionenneununddreißigtausendachthundertdreiundachtzig“ heiße.
18Überdies habe sie alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um eine einwandfreie Zählung sicherzustellen, dabei ließen sich menschliche Fehler und Schwächen nicht vermeiden. Die Fragebögen seien nicht leicht auszufüllen, zumal nicht nur eine Schwerbehindertenzählung durchgeführt worden sei, sondern auch eine allgemeine Verkehrszählung, welche die so genannten Umsteiger (Fremdfahrscheinerhebung) erfasse. Auch den durch den Beklagten eingesetzten Mitarbeitern des MAIS sei es nicht gelungen, zu 100 Prozent sichere Feststellungen – und das bei nur einer Stichprobe – zu treffen. Sie habe erhebliche Bedenken hinsichtlich des Kontrollergebnisses des Beklagten. So sei bei der Kontrolle vom 15. November 2012 auf der Linie 682 von T. -Hauptbahnhof nach I. -C. zwischen 9:12 Uhr und 9:57 Uhr die Anzahl der Fahrgäste von den Kontrolleuren mit ca. 100-120 geschätzt worden, tatsächlich seien es aber 171 Fahrgäste zuzüglich der Schwerbehinderten gewesen. Für die Linie 691 von I. nach T1. . M. -L. in der Zeit von 11:20 Uhr bis 11:51 Uhr seien zwei bis vier Schwerbehinderte geschätzt worden. Tatsächlich seien es acht gewesen. Bereits die Fragezeichen hinter den Zahlen würden zeigen, dass die Kontrolleure keine 100 Prozent sicheren Feststellungen haben treffen können. Der Beklagte könne aber von den Zählern, die sie einsetze, nicht mehr verlangen, als seine eigenen Kontrolleure zu leisten im Stande seien. Die Beobachtungen des Beklagten seien selbst so unsicher, dass sie kein Indiz für die Unrichtigkeit ihrer Zählung seien. Vielmehr gebe es Schwächen im System, die ihr nicht angelastet werden könnten. Das Ergebnis der Kontrolle durch die Mitarbeiter des MAIS sei auch deswegen anzuzweifeln, weil die Feststellungen erst nach Abschluss der Beobachtungsfahrt in Beobachtungsbögen eingetragen worden seien. Bei 100 Fahrgästen und mehr seien zuverlässige Beobachtungen mangels Übersicht ausgeschlossen. Insoweit sei auch zu berücksichtigen, dass bei den 13 Kontrollfahrten die Kontrollen teilweise nur von einer Person durchgeführt worden seien. Eine einzige Person sei aber nicht in der Lage, eine zuverlässige Überprüfung in einem Linienbus durchzuführen, wenn schon zwei Kontrolleure in einem schwach besetzten Fahrzeug hierzu nicht in der Lage gewesen seien. Dies belege die letzte Kontrollfahrt vom 27. November 2012 von V. bis H. -X. -Q. . Auf dem Beobachtungsbogen stehe bei zehn Personen „höchstwahrscheinlich ohne Schwerbehinderte“.
19Überdies sei es nicht rechtmäßig, Rückschlüsse von der stichprobenartigen Überprüfung auf das Gesamtergebnis zu ziehen. Das Ergebnis der Sommerzählung sei offensichtlich ein Ausreißer gewesen und dürfe daher einer Hochrechnung, wie sie der Beklagte im Hinblick auf die Fehlerquote vornehme, nicht zugrundegelegt werden. Stichprobenartige Prüfungen an einem Tag in zwei von vier Zählperioden könnten nicht ohne weiteres auf alle Fahrten übertragen werden. In der Herbstzählperiode habe die Klägerin insgesamt 810 Zählfahrten durchgeführt, so dass die sechs an nur einem Tag ausgewählten Linienfahrten, die einen Prozentsatz von unter einem Prozent der Gesamtheit der Zählfahrten ausmachten, nicht als repräsentativ angesehen werden könnten. Der Anteil der Stichprobenfahrten sei viel zu gering, um zuverlässig einen Rückschluss auf die Situation hinsichtlich der übrigen Fahrten und eine zuverlässige Hochrechnung bezüglich aller Fahrten zu ermöglichen. Um eine einigermaßen verlässliche Beurteilung vornehmen zu können, hätte erwartet werden können, dass zumindest in einer Novemberwoche alle Wochentage stichprobenartig überprüft würden. Unzulässig sei es insbesondere, das Ergebnis der Herbstzählung auf alle vier Erhebungsperioden zu übertragen.
20Die Klägerin beantragt,
21den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2014 zu verpflichten, den Erstattungsbetrag auf 1.269.298,62 Euro festzusetzen.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Die Ausführungen der Klägerin zu den Schulungen und anderen Vorkehrungen beträfen nicht die Durchführung der Erhebung und könnten die Beobachtungen des MAIS nicht relativieren. Das Verhalten der Zählkräfte bei der Durchführung der Zählung sei der Klägerin zuzurechnen. Bei den erstmaligen Beobachtungen im Sommer 2012 sei eine Beschäftigte des MAIS, in der Herbstperiode seien zwei Beschäftigte des MAIS bei zufällig ausgewählten Erhebungsfahrten der Klägerin mitgefahren. Jedes Mitglied des Beobachtungsteams habe sich so platziert, dass die im Fahrzeug verteilten Zähler bestmöglich und durchgehend hätten beobachtet werden können. Die Genauigkeit der Gültigkeitsprüfungen von Schwerbehindertenausweisen und Wertmarken sei beobachtet und festgehalten worden. Bei Unsicherheiten darüber, ob ein Kind über oder unter sechs Jahre alt gewesen sei, sei vermerkt worden, ob das Zählpersonal das Alter verifiziert habe. Nach jedem Zustieg sei beobachtet worden, ob das Zählpersonal sein Zählprotokoll aktualisiert habe. Nach Abschluss der Beobachtungsfahrt seien anhand der Notizen des Beobachters bzw. des Beobachtungsteams die Beobachtungsbögen ausgefüllt und unterzeichnet worden. Nach Abschluss der Erhebungsperiode seien die einschlägigen Zählprotokolle der Klägerin angefordert und mit den Beobachtungsbögen verglichen worden. Die Tatsache, dass die Klägerin gleichzeitig mit der Schwerbehindertenerhebung auch eine Fremdfahrscheinerhebung durchgeführt habe, dürfe sich entsprechend mindernd auf die Qualität der Schwerbehindertenerhebung ausgewirkt haben. Bei der Fremdfahrscheinerhebung würden die verschiedenen Fahrausweise auf dem Zählprotokoll detailliert zugeordnet werden, ohne dass eine Gültigkeitsprüfung der Fahrscheine vorgenommen werde. Diese sei aber bei der Schwerbehindertenerhebung unerlässlich. Die Klägerin verkenne, dass das Ziel der Kontrollen keineswegs darin bestehe, eine repräsentative Grundlage für die Berechnung der Schwerbehindertenquote zu schaffen. Vielmehr gehe es darum, sich durch anonyme Kontrollen auf nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Linienfahrten davon zu überzeugen, ob die Erhebung korrekt und zuverlässig durchgeführt worden sei. Eine repräsentative Anzahl oder eine bestimmte Verteilung von Beobachtungsfahrten sei hierfür nicht erforderlich, denn das relevante Merkmal für Seriosität und Aussagekraft der Kontrollergebnisse sei nicht die Anzahl oder die Verteilung, sondern die zufällige Auswahl der beobachteten Fahrten. Vor diesem Hintergrund seien 13 Fahrten ausreichend, um nach Abschluss der Varianzberechnung im Rahmen der Beweiswürdigung zu entscheiden, ob die Erhebung der Klägerin als korrekt anzusehen und damit als Nachweis geeignet sei oder nicht.
25Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die als Verpflichtungsklage, soweit die Klägerin die Festsetzung eines Erstattungsanspruchs in Höhe von 1.269.298,62 Euro begehrt, und als (Teil-)Anfechtungsklage, soweit sie die Aufhebung des Bescheides vom 16. Juli 2014 hinsichtlich des darin festgesetzten Rückzahlungsbetrags 206.368,27 Euro begehrt, statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 16. Juli 2014 ist rechtmäßig. Der Klägerin steht kein Erstattungsanspruch zu, der über die in diesem Bescheid festgesetzten Leistungen hinausgeht (I.). Die festgesetzte Rückforderung in Höhe von 206.368,27 Euro begegnet daher keinen rechtlichen Bedenken (II.).
28I. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung weiterer Fahrgeldausfälle im Nahverkehr.
291. Anspruchsgrundlage für die seitens der Klägerin begehrten Fahrgeldausfälle in Höhe von 1.269.298,62 Euro ist § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX in Verbindung mit § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX. Die durch die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen nach den Absätzen 1 und 2 entstehenden Fahrgeldausfälle werden gemäß § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX nach Maßgabe der §§ 148 bis 150, vorliegend nach Maßgabe des § 148 SGB IX, erstattet.
302. Zwar liegen die formellen Anspruchsvoraussetzungen vor.
31Die Klägerin hat mit Schreiben vom 2. Dezember 2013 bei der Bezirksregierung E. als zuständige Erstattungsbehörde (im Sinne von § 150 Absatz 3 SGB IX in Verbindung mit der Richtlinie zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 148 SGB IX - RdErl des MAIS - 4421.43 vom 20. Januar 2012 [im folgenden Richtlinie zu § 148 SGB IX]) die vorläufige Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung von schwerbehinderten Personen im öffentlichen Personenverkehr gemäß § 148 SGB IX für das Kalenderjahr 2012 innerhalb der in § 150 Absatz 1 Satz 3 SGB IX geregelten Frist, d.h. bis zum 31. Dezember, beantragt (§ 150 Absatz 1 Satz 1 SGB IX).
323. Indes sind die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für eine weitergehende Erstattung von Fahrgeldausfällen nach § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX in Verbindung mit § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX nicht erfüllt. Der Beklagte hat der Berechnung des Erstattungsanspruchs der Klägerin zu Recht den in § 148 Absatz 4 Satz 1 SGB IX pauschal geregelten Prozentsatz zu Grunde gelegt und danach einen Erstattungsanspruch in Höhe von 639.883,41 Euro festgesetzt.
33Soweit es bei der Ausschreibung des Festsetzungsbetrages in Worten „Sechsmillionenneununddreißigtausendachthundertdreiundachtzig“ heißt, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler, der nicht von rechtlicher Relevanz ist.
34Denn die Klägerin hat nicht gemäß § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX durch Verkehrszählung nachgewiesen, dass das Verhältnis zwischen den nach §§ 145 ff. SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen im Kalenderjahr 2012 den nach Absatz 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel überstieg. Dies ergibt sich im Einzelnen aus den nachfolgenden tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen:
35Gemäß § 145 Absatz 1 Satz 1 SGB IX ist die Klägerin als ein Unternehmen, das öffentlichen Personenverkehr im Nahverkehr betreibt, verpflichtet, schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, unentgeltlich zu befördern.
36Als Entschädigung für die Inanspruchnahme zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe, namentlich der sozialen Fürsorge, sieht § 145 Absatz 3 Satz 1 SGB IX vor, dass die durch die unentgeltliche Beförderung entstehenden Fahrgeldausfälle nach Maßgabe der §§ 148 bis 150 SGB IX erstattet werden. Gemäß § 148 Absatz 1 SGB IX werden Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach einem Prozentsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr erstattet.
37Der für den Erstattungsanspruch nach § 148 SGB IX maßgebliche Prozentsatz wird gemäß § 148 Absatz 4 Satz 1 SGB IX für jedes Land von der Landesregierung oder der von ihr bestimmten Behörde für jeweils ein Jahr bekannt gemacht. Er wird berechnet nach dem Verhältnis zwischen dem in dem Land in dem betreffenden Kalenderjahr ausgegebenen Wertmarken im Sinne des § 145 Absatz 1 Satz 2 und 3 SGB IX zuzüglich der Hälfte der in dem Land am Jahresende in Umlauf befindlichen gültigen Schwerbehindertenausweise im Sinne des § 145 Absatz 1 Satz 1 SGB IX von schwerbehinderten Menschen, die das 6. Lebensjahr vollendet haben und bei denen die Notwendigkeit einer ständigen Begleitung im Ausweis eingetragen ist, zu der in den jährlichen Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes zum Ende des Vorjahres nachgewiesenen Zahl der Wohnbevölkerung in dem Land abzüglich der Zahl der Kinder, die das 6. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, und abzüglich der Zahl der zu berücksichtigenden Wertmarken und Schwerbehindertenausweise (§ 148 Absatz 4 Satz 2 bis 4 SGB IX). Für das Land Nordrhein-Westfalen wurde dieser Prozentsatz für das Kalenderjahr 2012 durch das MAIS durch Erlass Nr. 3/2013 auf 3,79 Prozent festgesetzt. Verfahren und Ergebnis der Festsetzung des allgemeinen Prozentsatzes im Rahmen des § 148 Absatz 4 SGB IX sind von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen worden. Auch dem Gericht sind keine Fehler erkennbar. Diesen Prozentsatz hat der Beklagte bei seiner Berechnung des der Klägerin zustehenden Erstattungsbetrages in Ansatz gebracht. Bei Fahrgeldeinnahmen in Höhe von 16.883.467,21 Euro, die der Beklagte seiner Berechnung zu Grunde gelegt hat, beträgt der Erstattungsbetrag im Ergebnis 639.883,41 Euro. Diesen Betrag hat der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid festgesetzt.
38Neben der Erstattung der Fahrgeldausfälle nach diesem landesweit festgesetzten Prozentsatz enthält § 148 Absatz 5 SGB IX eine verfassungsrechtlich gebotene Härtefallregelung,
39vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 17. Oktober 1984 – 1 BvL 18/82, 1 BvL 46/83, 1 BvL 2/84 –, BVerfGE 68, 155-175 = juris Rn. 44,
40die die Möglichkeit einer weitergehenden Erstattung vorsieht. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei einzelnen Verkehrsunternehmen, insbesondere in Kur- und Erholungsgebieten, die Inanspruchnahme der unentgeltlichen Beförderung weit über dem landesweiten Durchschnittsvomhundertsatz liegen kann mit der Folge, dass die den betroffenen Unternehmen entstehenden Fahrgeldausfälle nur unzureichend ausgeglichen werden.
41Gesetzesbegründung zu § 60 Absatz 5 SchwbG BT-Drs. 10/335 S. 90.
42Voraussetzung hierfür ist, dass das Unternehmen durch Verkehrszählungen nachweist, dass das Verhältnis zwischen den nach diesem Kapitel unentgeltlich beförderten Fahrgästen und den sonstigen Fahrgästen den nach Absatz 4 festgesetzten Prozentsatz um mindestens ein Drittel übersteigt. Ist dies der Fall, wird neben dem sich aus der Berechnung nach Absatz 4 ergebenden Erstattungsbetrag auf Antrag der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet (§ 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX).
43Zur Verfassungsgemäßheit von § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX in seiner derzeitigen Fassung BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. März 2014 – 1 BvR 1417/10 –, juris, Rn. 15 ff.; Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. März 2010 – 3 C 26.09 –, BVerwGE 136, 157-165 = juris, Rn. 11 ff.; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht (OVG Lüneburg), Urteil vom 26. Mai 2009 – 4 LC 653/07 –, juris, Rn. 22 ff.
44Ein solcher Nachweis ist der Klägerin indes nicht gelungen. Sie hat zwar im Jahr 2012 Verkehrszählungen mit dem Ergebnis durchgeführt, dass ihr Anteil an unentgeltlich beförderten Schwerbehinderten bei 7,52 Prozent liegt.
45Insoweit weist das Gericht zunächst darauf hin, dass der Klägerin nach Abzug des in § 148 Absatz 5 Satz 1 SGB IX geregelten Selbstbehalts in Höhe von einem Drittel des in Absatz 4 festgesetzten Prozentsatzes, mithin von 1,26 Prozent, allenfalls ein Erstattungsanteil in Höhe von 1.056.905,05 Euro zustünde, da danach ein Prozentsatz von 6,26 Prozent zur Grunde zu legen wäre. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm wird lediglich „der nachgewiesene, über dem Drittel liegende Anteil erstattet“.
46Vgl. auch BT-Drs. 15/4228, S. 31.
47Ungeachtet dessen ist der Klägerin nicht der ihr obliegende Nachweis durch Verkehrszählung gelungen.
48Ob die Klägerin den "Nachweis durch Verkehrszählung" erbracht hat, unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung. § 148 Absatz 5 SGB IX enthält selbst keine näheren Regelungen darüber, wie ein solcher Nachweis zu führen ist. Es lassen sich lediglich aus der in § 148 Absatz 4 Satz 2 SGB IX geregelten Berechnung des Prozentsatzes des Absatzes 1 Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass es bei der Ermittlung eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten insbesondere darauf ankommt, ob Fahrgäste, die das sechste Lebensjahr vollendet haben, einen gültigen Ausweis im Sinne des § 145 Absatz 1 Satz 1 SGB IX bei sich führen. Allerdings enthält die Richtlinie zu § 148 SGB IX detaillierte Durchführungsbestimmungen zur Vornahme einer Verkehrszählung. Wenngleich die Richtlinie zu § 148 SGB IX als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift mangels Außenwirkung grundsätzlich weder für das Gericht noch für die Klägerin bindend ist, ist sie insofern beachtlich, als sie bestimmte Methoden des Nachweises als sachgerecht anerkennt und insofern das erforderliche Niveau an Wertigkeit des Nachweises durch Verkehrszählung bestimmt.
49Vgl. VG Augsburg, Urteil vom 22. Juni 2006 – Au 3 K 05.684 –, juris, Rn. 47.
50a) Gemäß Ziffer 1.4 der Richtlinie zu § 148 SGB IX kann die in § 148 Absatz 5 SGB IX geforderte Verkehrszählung als Nachweis anerkannt werden, wenn sie in Form einer eingeschränkten Vollerhebung (vgl. Ziffer 6) oder – wie vorliegend – als Stichprobenerhebung (Ziffer 7) nach diesen Richtlinien durchgeführt worden ist. Letzteres ist vorliegend nicht der Fall.
51Zwar hat die Klägerin die in Ziffer 7.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX vorgegebenen Grundlagen der Stichprobenerhebung gewahrt. Insbesondere bestehen keine Bedenken gegen die Fahrtenauswahl und die Mindestzahl der erhobenen Fahrten. Allerdings entspricht die Art und Weise der Erhebungen nicht den Vorgaben der Richtlinie. In Ziffer 7.2.1 der Richtlinie zu § 148 SGB IX heißt es, dass bei der Linienerhebungalle Einsteiger ab vollendetem 6. Lebensjahr auf der gesamten Fahrt erhoben werden. Gemäß Ziffer 5.3.1 der Richtline zu § 148 SGB IX werden in jeder Erhebungsfahrt die zu befragenden Fahrgäste ab vollendetem 6. Lebensjahr dahingehend überprüft, ob bei ihnen die Voraussetzungen für die unentgeltliche Beförderung gemäß § 145 SGB IX durch einen gültigen Schwerbehindertenausweis und ein Beiblatt mit gültiger Wertmarke nachgewiesen werden können (gemäß SGB IX unentgeltlich beförderte Fahrgäste) oder nicht (sonstige Fahrgäste).
52Der Beklagte hat insgesamt dreizehn von der Klägerin zu erhebende Linienfahrten durch eigene Mitarbeiter überprüft und dabei festgestellt, dass auf zehn Linienfahrten die Vorgaben der Richtline zum SGB IX missachtet worden seien. Bei den während der Sommerzählperiode am 23. Juli 2012 durchgeführten Kontrollen sei keine Erhebung entsprechend diesen Vorgaben durchgeführt worden. Die während der Herbstperiode am 15. November 2012 durchgeführten Kontrollen hätten ergeben, dass nur drei der sechs Linienfahrten den Vorgaben entsprochen hätten. Dabei wurden im Ergebnis folgende Fehler festgestellt:
53- 54
Erhebung ohne ordnungsgemäße Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 55
Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke.
- 56
Schulpflichtige Kinder nicht nach dem Alter gefragt und auch nicht erfasst.
- 57
Teilweise Erhebung ohne Fahrgastbefragung bzw. Prüfung der Freifahrtberechtigung.
- 58
Teilweise keine Befragung der Fahrgäste wegen Unaufmerksamkeit (Unterhaltung).
- 59
Erhobene Freifahrtberechtigungen weichen extrem von der Beobachtung ab.
Hierbei handelt es sich um Fehler, die von Relevanz für das Erhebungsergebnis sein können. Findet eine Erhebung (teilweise) nicht statt, sei es weil Fahrgäste übersehen werden, sei es weil Kinder im zweifelhaften Alter nicht nach ihrem Alter gefragt werden und damit gegebenenfalls eine tatsächlich vorzunehmende Erhebung nicht stattfindet, oder erfolgt eine Erhebung ohne Fahrgastbefragung bzw. ohne ordnungsgemäße Überprüfung der Freifahrtberechtigung, sind die durchgeführten Erhebungen nicht geeignet, das Verhältnis zwischen den unentgeltlich beförderten Fahrgästen und sonstigen Fahrgäste hinreichend zuverlässig nachzuweisen. Eine ordnungsgemäße Überprüfung der Fahrgäste auf ihre Freifahrtberechtigung setzt insbesondere auch die Überprüfung der Beiblätter mit Wertmarke voraus, um eine zutreffende Zuordnung zu der Gruppe der gemäß SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgäste und der Gruppe der sonstigen Fahrgäste zu gewährleisten. Denn gemäß § 145 Absatz 1 Satz 2 SGB IX ist Voraussetzung einer unentgeltlichen Beförderung schwerbehinderter Menschen, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Die Ausgabe der Wertmarke erfolgt auf Antrag durch die nach § 69 Absatz 5 SGB IX zuständige Behörde (§ 145 Absatz 1 Satz 12 SGB IX). Diese wird gegen Entrichtung eines Betrages von 72 Euro für ein Jahr oder 36 Euro für ein halbes Jahr ausgegeben (§ 145 Absatz 1 Satz 3 SGB IX) bzw. gemäß § 145 Absatz 1 Satz 10 SGB IX unter den dort genannten Voraussetzungen auch unentgeltlich ausgegeben. Gemäß § 145 Absatz 1 Satz 11 SGB IX wird die Wertmarke hingegen nicht ausgegeben, solange der Ausweis einen gültigen Vermerk über die Inanspruchnahme von Kraftfahrzeugsteuerermäßigung trägt. Diese gesetzlichen Vorgaben für den Erhalt einer Wertmarke verdeutlichen, dass nicht allein die Sichtung eines Schwerbehindertenausweises mit orangefarbenen Flächenaufdruck (vgl. § 1 Absatz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung – SchwbAwV) für die Erfassung eines unentgeltlich beförderten Fahrgastes genügt, sondern der gültigen Wertmarke ganz entscheidende Bedeutung zukommt, da nicht jeder Schwerbehinderte Mensch zugleich auch im Besitz einer solchen sein wird.
61Die seitens des Beklagten durchgeführten stichprobenartigen Kontrollen sind entgegen der Ansicht der Klägerin auch geeignet, die bestehenden Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Verkehrserhebung zu begründen. Der Beklagte hat in seiner Klageerwiderung vom 28. November 2014 unter anderem durch Schilderung des Ablaufs der Beobachtungsfahrten und Vorlage der entsprechenden Beobachtungsbögen nachvollziehbar dargelegt, dass eine hinreichende Überprüfung der Verkehrserhebung durch die seitens des MAIS eingesetzten Mitarbeiter gewährleistet gewesen ist, ohne dass es der Klägerin gelungen ist dies substantiiert in Frage zu stellen.
62Vielmehr gesteht die Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im gerichtlichen Verfahren zumindest mittelbar ein, Fehler bei den Zählungen nicht ausschließen zu können. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juni 2014, sie könne keine Erklärung für die vereinzelten Abweichungen abgeben. In der Klagebegründung vom 12. September 2014 heißt es, die Klägerin habe alle Vorkehrungen getroffen, um ein ordnungsgemäßes Zählergebnis zu erzielen. Naturgemäß lasse sich nicht ausschließen, dass es im Einzelfall zu Fehlern komme. Diese Fehlerquelle sei nicht auszumerzen, solange Menschen am Werk seien. Die Fragebögen seien nicht leicht auszufüllen, zumal nicht nur eine Schwerbehindertenzählung, sondern auch eine Fremdfahrscheinerhebung durchgeführt worden sei. Ferner habe auch der Beklagte keine zu 100 Prozent sicheren Feststellungen treffen können. Es könne von ihr nicht mehr erwartet werden als von den Mitarbeitern des Beklagten.
63Insoweit verkennt die Klägerin aber, dass die vorstehend genannten Mängel nicht nur im Einzelfall, sondern – insbesondere mit Blick auf die unzureichende Überprüfung der Schwerbehindertenausweise – bei der überwiegenden Mehrzahl aller Kontrollfahrten beanstandet worden sind. Auch verkennt sie dabei, dass es ihr obliegt sicherzustellen, dass die von ihr eingesetzten Zähler nicht nur ordnungsgemäß geschult und belehrt werden, sondern auch in der praktischen Umsetzung die Zählungen ordnungsgemäß durchführen. Hierzu hat sie zum einen dafür zu sorgen, dass die Anzahl der eingesetzten Zähler stets – also auch in Stoßzeiten – zur ordnungsgemäßen Erfassung aller Fahrgäste ausreicht. Denn gemäß Ziffer 5.5.4 der Richtlinie zum SGB IX sind die Anzahl der Zählkräfte bei jeder Erhebungsart so zu bemessen, dass die Erfassung aller Fahrgäste gewährleistet ist (Hervorhebung durch das Gericht). Kommt es – wie vorliegend von der Klägerin vorgetragen – zu weiteren Schwierigkeiten durch die Verbindung der Schwerbehindertenzählung mit der Fremdfahrscheinerhebung, bei der gerade keine Gültigkeitsprüfung der Fahrscheine erfolgt, muss sich die Klägerin auch dies zurechnen lassen. Auch wenn eine zweite Zählung neben der Schwerbehindertenzählung durchgeführt werden kann, muss die Klägerin dafür sorgen, dass hierdurch die Qualität der Schwerbehindertenzählung nicht beeinträchtigt wird. Stellt sich heraus, dass die gemeinsame Durchführung der Fremdfahrscheinerhebung zusammen mit der Schwerbehindertenzählung auch trotz intensiver Schulungsmaßnahmen zu Qualitätsabstrichen führt, muss sie hiervon Abstand nehmen oder die Anzahl des Zählpersonals erhöhen bzw. sowohl für die Durchführung der Schwerbehindertenzählung als auch für die Durchführung der Fremdfahrscheinerhebung Zählpersonal einsetzen.
64Das Gericht vermag auch nicht festzustellen, dass eine ordnungsgemäße Zählung von vornherein nicht möglich ist. Dies widerlegt bereits die Tatsache, dass in der Herbstperiode drei Zählungen der Klägerin beanstandungslos geblieben sind. Etwas anderes kann auch nicht daraus geschlossen werden, dass die vom MAIS eingesetzten Mitarbeiter ihrerseits keine sicheren Feststellungen über die Anzahl der freifahrtberechtigten Personen haben treffen können. Denn die Kontrolleure haben keine eigenen Erhebungen durchgeführt, sondern leidglich die Zähler bei ihrer Erhebung beobachtet. Entsprechend handelt es sich bei der am Ende des Kontrollbogens gemachten Angabe zur Anzahl der beförderten freifahrtberechtigten und sonstigen Fahrgäste lediglich um eine „Einschätzung“, denen das Gericht kein Verbindlichkeit zukommen lässt. Auch wenn Zählungen nicht ganz ohne Fehler möglich sein sollten, handelt es sich vorliegend um zahlreiche Fehler mit Ergebnisrelevanz bzw. möglicher Ergebnisrelevanz bei der überwiegenden Anzahl der Fahrten.
65Dahingestellt bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob die seitens der Klägerin erhobenen Freifahrtberechtigungen extrem von den Beobachtungen der Kontrolleure des MAIS abgewichen sind. Zum einen hat der Beklagte die extreme Abweichung nur bei zwei Kontrollfahrten (ID 01 und ID 10) beanstandet. Zum anderen sind daneben jeweils weitere Fehler, insbesondere die nicht ordnungsgemäße Prüfung der Freifahrtberechtigung und die fehlende Sichtung des Beiblattes mit Wertmarke beanstandet worden. Mit anderen Worten wären die beanstandeten Erhebungsfahrten selbst bei Außerachtlassung der Abweichungen von den Beobachtungen des MAIS nicht fehlerfrei durchgeführt worden.
66Schließlich stellt auch die seitens des Beklagten durchgeführte stichprobenartige Kontrolle entgegen der Ansicht der Klägerin jedenfalls im vorliegenden Fall eine (noch) hinreichende repräsentative Grundlage für die Bewertung der Verkehrszählung der Klägerin dar. Weder die §§ 145 ff SGX IX noch die Richtline zum SGB IX enthalten konkrete Vorgaben, wie viele Kontrollen erforderlich sind, um über die Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Verkehrszählung verlässlich entscheiden zu können. Insbesondere lassen sich die in der Richtlinie zum SGB IX gestellten Vorgaben an die von den Verkehrsunternehmen durchgeführten Verkehrszählungen nicht auf die Kontrollen der Erstattungsbehörde übertragen. § 148 Absatz 5 SGB IX regelt als Ausnahmevorschrift zu § 148 Absatz 4 SGB IX zugleich die materielle Beweislast. D.h.: Für die Kontrollen durch das MAIS genügt es, dass die Korrektheit der Verkehrszählung ernstlichen Zweifeln unterliegt.
67Die Erstattungsbehörden sind bei der Gestaltung ihrer Kontrollfahrten (Anzahl, Zeitpunkt, Linien) grundsätzlich frei. Gemäß § 24 Absatz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG. NRW.) ermittelt die Behörde dem Sachverhalt von Amts wegen (Satz 1) und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen (Satz 2). Art und Umfang der Sachverhaltsermittlung bestimmt sich nach den jeweiligen Erfordernissen des Einzelfalls. Die Ermittlungsmaßnahmen müssen unter Berücksichtigung der Belastung für die Betroffenen, der Bedeutung des jeweiligen öffentlichen Interesses und des Gebots, unnötige Kosten zu vermeiden, angemessen sein. Die Ermittlungen müssen im Hinblick auf Art, Umfang, Zeit, Auswahl der Mittel und Belastung für den Betroffenen und die Allgemeinheit angemessen sein. Sie müssen umso eingehender sein, je schwerwiegender die tatsächlichen und/oder rechtlichen Folgen der zu treffenden Entscheidung sind.
68Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 24, Rn. 26 und 36 m.w.N.
69Diesen Anforderungen genügen die seitens des Beklagten durchgeführten Stichprobenkontrollen (noch).
70Zwar ist der Klägerin darin zuzustimmen, dass die Überprüfung von leidglich 13 Linienfahrten nicht im Verhältnis zu den seitens der Klägerin durchgeführten Zählfahrten steht (810 Zählfahrten allein während der Herbstperiode). Der Nachweis eines betriebsindividuellen Schwerbehindertenquotienten ist für die Klägerin von wirtschaftlich erheblicher Bedeutung; das Feststellen von Verstößen gegen die Vorgaben der Richtlinie zu § 148 SGB IX kann unter Berücksichtigung der in Ziffer 13 vorgesehenen Rechtsfolge erhebliche wirtschaftliche Folgen für die Verkehrsunternehmen verursachen. Indes konnte der Beklagte – jedenfalls im vorliegenden Einzelfall – aufgrund des eindeutigen Ergebnisses der durchgeführten Stichproben von der Durchführung weiterer Kontrollfahrten absehen. Denn der Beklagte hat auf zehn von dreizehn Linienfahrten Verstöße gegen die Vorgaben der Richtlinie zum SGB IX festgestellt (76,9 Prozent), weshalb zu der Überzeugung des Gerichts feststeht, dass die monierten Verstöße nicht nur in wenigen – vernachlässigbaren – Einzelfällen, sondern bei der einer großen Anzahl der Verkehrserhebungen aufgetreten sind, die damit das Zählergebnis insgesamt in relevanten Ausmaß in Frage stellen.
71Dabei hat der Beklagte sowohl die Erhebungen in der Sommerzählperiode als auch die in der Herbstperiode kontrolliert und dabei verschiedene Linien zu verschiedenen Zeiten und damit einhergehend auch unterschiedliche Zähler kontrolliert. Besonders schwer wiegt dabei der Umstand, dass während der Sommerzählperiode alle sieben Kontrollen nicht ohne Beanstandung geblieben sind, mit anderen Worten in dieser Periode – hochgerechnet – keine der Zählungen hätte berücksichtigt werden können. Wenn die Richtlinie vier Erhebungsperioden vorsieht und davon eine (nahezu) vollständig fehlerhaft durchgeführt worden ist, kann der Beklagte entgegen der Ansicht der Klägerin die in der Sommerzählperiode festgestellten Fehler auch nicht als „Ausreißer“ unberücksichtigt lassen. Ungeachtet dessen belegt das Ergebnis der während der Herbstperiode durchgeführten Kontrollen, dass es sich tatsächlich auch nicht um einen bloßen Ausreißer gehandelt hat. Wenngleich während der Herbstperiode – nachdem ein „klärendes“ Gespräch zwischen den Beteiligten stattgefunden hat – nicht mehr alle Fahrten beanstandet worden sind, sind aber immer noch auf drei von sechs Fahrten, mithin bei der Hälfte der überprüften Linienfahrten, Verstöße gegen die vorstehend genannten Vorgaben der Richtlinie zum SGB IX festgestellt worden. Wenn aber danach in zwei von vier Erhebungsperioden die Vorgaben der Richtlinie zum SGB IX nicht gewahrt worden sind, erschließt sich dem Gericht nicht, inwieweit der Beklagte auch während der anderen beiden Erhebungsperioden noch Stichproben hätte durchführen müssen. Denn selbst wenn während dieser Erhebungsperioden keine Verstöße mehr festgestellt worden wären, wären die Verstöße während der Sommer- und Herbstzählperiode hierdurch nicht beseitigt worden. Hinzu kommt, dass ausweislich der dem Gericht vorliegenden Zählprotokolle die Fehler nicht lediglich bei ein und demselben, sondern bei verschiedenen Zählern zu beobachten gewesen sind. Auch deshalb ist nicht ersichtlich, inwieweit es sich um einen bloßen Zufallsfund gehandelt haben soll. Ebenso wenig Beanstandung findet der Umstand, dass der Beklagte auf einigen Kontrollfahrten nur Teilstrecken überprüft hat. Denn auch auf Teilstrecken kann eine hinreichende Überprüfung der Verkehrszählung erfolgen, da es dem Beklagten gerade nicht oblag, sichere Feststellungen zu treffen, sondern nur die Verkehrserhebung der Klägerin zu kontrollieren.
72Steht damit fest, dass durch die Ergebnisse der Kontrollfahrten hinreichende Zweifel an der Belastbarkeit der durch die Klägerin durchgeführten Fahrgastzählungen bestehen, geht das zu ihren Lasten. Zwar unterliegt es gemäß § 108 Absatz 1 VwGO der freien richterlichen Beweiswürdigung, sich eine Überzeugung von der Anzahl tatsächlich beförderter Schwerbehinderter Menschen mit Fahrberechtigung zu verschaffen. Indes wird das Gericht regelmäßig keine Möglichkeit haben, durch eigene Aufklärungsmaßnahmen den in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt noch zu erhellen. Dies ist auch hier der Fall. Eine nachträgliche Verkehrszählung ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Die somit zumindest offen bleibende Frage der Abweichung von dem Prozentsatz nach § 148 Absatz 1 SGB IX geht zu Lasten der Klägerin. Denn das Gesetz trifft eine klare Regelung der materiellen Beweislast, indem es in § 148 Absatz 5 Satz 1 SBG IX von den Verkehrsunternehmen den Nachweis durch Verkehrszählung verlangt, dass eine erhebliche Abweichung von der allgemein gültigen Quote nach § 148 Absatz 1 SGB IX bestanden hat (s.o.).
73b) Zu einem entsprechenden Ergebnis kommt die Anwendung der Richtlinie zum SGB IX. Ziffer 13 der Richtlinie zu § 148 SGB IX regelt die Rechtsfolge von Verstößen gegen die Vorgabe der Richtlinie. Danach können Verstöße gegen die Richtlinie bewirken, dass das Ergebnis der Verkehrszählung nicht als Nachweis für die Individualerstattung nach § 148 Absatz 5 SGB IX anerkannt wird. Der Unternehmer erhält in diesem Fall für das entsprechende Jahr die Fahrgelderstattung in Höhe des Prozentsatzes nach § 148 Absatz 4 SGB IX als Pauschalerstattung. Ermessensfehler sind insoweit weder von der Klägerin beanstandet worden, noch sonst ersichtlich.
74II. Auch die Rückforderung der überzahlten Vorauszahlung in Höhe von 206.368,27 Euro ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO).
751. Ermächtigungsgrundlage für die Rückforderung der überzahlten Vorauszahlung ist § 49a VwVfG. NRW. analog. Eine spezialgesetzliche Regelung, die den Beklagten zur Rückforderung der Vorauszahlung ermächtigt, liegt nicht vor. Insbesondere greift nicht § 150 Absatz 2 Satz 4 SGB IX, wonach die Vorauszahlungen zurückzuzahlen sind, wenn Unterlagen, die für die Berechnung der Erstattung erforderlich sind, nicht bis zum 31. Dezember des auf die Vorauszahlung folgenden Kalenderjahres vorgelegt sind. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend nicht. Einer direkten Anwendung des § 49a VwVfG. NRW. steht entgegen, dass der Vorauszahlungsbescheid nicht gemäß §§ 48,49 VwVfG aufgehoben und auch nicht mit einer auflösenden Bedingung versehen worden ist. Einer Aufhebung des Vorauszahlungsbescheides bedarf es nicht, da sich dieser im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides, in dem der Erstattungsbetrag durch den Beklagten festgesetzt wird, auf sonstige Weise im Sinne von § 43 Absatz 2 VwVfG. NRW. erledigt. Denn der Vorauszahlungsbescheid wird wie bei einer vorläufigen Regelung durch eine endgültige Regelung ersetzt und damit gegenstandslos.
76Zur vorläufigen Regelung BVerwG, Urteil vom 19. November 2009 – 3 C 7.09 –, juris.
77§ 49a Absatz 1 und 3 VwVfG. NRW. ist in einem solchen Fall im Wege eines „Erst-Recht-Schlusses“ analog anzuwenden. Es liegt eine planwidrige Regelungslücke vor, da das VwVfG. NRW. zu vorläufigen Regelungen keine ausdrücklichen Regelungen enthält und nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber das Bedürfnis nach vorläufigen Regelungen bei der Schaffung des VwVfG. NRW. bereits im Blick gehabt hat. Die vergleichbare Interessenlage liegt vor, da der Empfänger – wie auch bei einer Aufhebung eines Verwaltungsaktes – keinen Vertrauensschutz genießt. Da ihm der vorläufige Charakter einer Vorauszahlung bekannt sein muss, ist er im Ergebnis sogar noch weniger schutzbedürftig.
782. Die Rückforderung ist formell rechtmäßig. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 12. Mai 2014 und damit vor Erlass des der Rückforderung zugrunde liegenden Festsetzungsbescheides angehört worden (§ 28 Absatz 1 VwVfG. NRW). Der Beklagte hat die zu erstattende Leistung durch schriftlichen Verwaltungsakt festgesetzt (§ 49a Absatz 1 Satz 2 VwVfG. NRW.).
793. Schließlich lagen auch die materiellen Voraussetzungen für eine Rückforderung des überzahlten Betrages nach § 49a Absatz 1 VwVfG analog vor. Danach sind die zu viel erbrachten Leistungen zu erstatten. Im vorliegenden Fall wurden der Klägerin 206.368,27 Euro zu viel gezahlt. Die Klägerin erhielt eine Vorauszahlung in Höhe von 846.251,68 Euro. Der Erstattungsanspruch beläuft sich aber bei einem Prozentsatz von 3,79 Prozent, den der Beklagte ausweislich der vorstehenden Ausführungen zu Recht in Ansatz gebracht hat, auf 639.883,41 Euro.
80Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Absatz 1 VwGO. Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 VwGO liegt nicht vor, da es sich bei den Verfahren über die Erstattung von Fahrgeldausfällen durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im öffentlichen Personennahverkehr nicht um eine Streitigkeit der Schwerbehindertenfürsorge handelt.
81BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 1990 – 7 ER 101.90 –, juris; Zur analogen Anwendung des § 188 Satz 2 VwGO vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 11. März 2008 – 9 S 1369/06 –, juris, Rn. 34.
82Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollsteckungsbetrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin führt im Bereich der Stadt C. (Regionalverkehr Köln - RVK -) Linienverkehr des öffentlichen Personennahverkehrs mit Bussen durch.
3Mit Datum vom 12.12.2013 beantragte die Klägerin bei der Bezirksregierung Köln die individuelle Erstattung von Fahrgeldausfällen für die unentgeltliche Beförderung schwerbehinderter Menschen nach § 145 Abs. 3 i.V.m. §§ 148-150 SGB IX für das Jahr 2012. Hierbei bezifferte sie die Fahrgeldeinnahmen insgesamt auf 1.045.975,72 Euro. Den Erstattungsanspruch errechnete die Klägerin unter Zugrundelegung eines Satzes von 10,13 % auf 105.957,35 Euro, was abzüglich einer Vorauszahlung von 91.080,91 Euro eine Restforderung von 14.876,44 Euro ergab. Der Antrag bezog sich auf Linien mit Kraftfahrzeugen nach § 42 PBefG, bei denen die Mehrzahl der Beförderungen eine Strecke von 50 km nicht überstieg (§ 147 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX). Im Einzelnen handelte es sich dabei um folgende Linien:
4000 C. Mitte – C. I.
5000/000 C. West, S. / X. über C. Mitte nach C. W.
6000/000/000 C. Ost, F. Straße nach C. C1.
7000 C. Mitte – C. F1. .
8Dem Antrag waren eine Aufschlüsselung der Fahrgeldeinnahmen sowie ein Testat Prof.Dr. X1. (Verkehrsforschung und Infrastrukturplanung) vom 04.11.2013 beigefügt. Ausweislich des Testats erfolgte der Nachweis des betriebsindividuellen Prozentsatzes auf der Basis von Erhebungen, die anhand der anzuwendenden Verwaltungsvorschrift zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr durchgeführt werden. Die von der Regionalverkehr Köln GmbH im Auftrag der Klägerin erstellten Unterlagen seien stichprobenartig überprüft worden. Die Erhebungen hätten innerhalb der vorgegebenen Erhebungsperioden stattgefunden:
91. Periode (Winter) vom 27.02.12 bis zum 18.03.12
102. Periode (Frühjahr) vom 16.04.12 bis zum 29.04.12 und vom 07.05.12 bis zum 13.05.12
113. Periode (Sommer) vom 16.07.12 bis zum 05.08.12
124. Periode (Herbst) vom 05.11.12 bis zum 25.11.12
13Sämtliche Linien seien erfasst worden. Jeder Zähler habe die Zahl der freifahrtberechtigten schwerbehinderten Menschen und deren freifahrtberechtigten Begleitpersonen sowie die Zahlt der sonstigen Fahrgäste auf einem Zählformular angegeben. Auf dieser Grundlage ermittelte der Sachverständige einen Schätzwert für den fraglichen Anteil von 11,38 % und unter Berücksichtigung einer statistischen Sicherheitsgrenze von 10,13 %.
14In einem Schreiben an die Bezirksregierung Köln vom 28.04.2014 äußerte das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (MAIS) Zweifel an den Erhebungen der Klägerin. In der Herbstperiode seien am 09.11.2012 Beobachtungen auf sieben Linienfahrten durchgeführt worden:
151 Linie 000 8,20 Uhr C. -Mitte
162 Linie 000 9,49 Uhr C. -Mitte
173 Linie 000 11,11 Uhr C. -Mitte
184 Linie 000 12,56 Uhr W. , G. Sraße
195 Linie 000 14,13 Uhr C. -Nord
206 Linie 000 15,45 Uhr C. -Mitte
217 Linie 000 16,40 Uhr C. -Mitte
22Hinsichtlich der Anforderungen an die Durchführung der Fahrgelderstattung verwies das Ministerium auf die Richtlinie zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr (Runderlass vom 20.01.2012 – V B 3 – 4421.13).
23Bei vier Linienfahrten seien Verstöße gegen die Richtlinien festgestellt worden. Bei den drei Linienfahrten ohne erkennbare Mängel seien keine freifahrberechtigten Personen zugestiegen. Bei den Fahrten 3-5 seien freifahrberechtigte Personen ohne ordnungsgemäße Prüfung der Fahrtberechtigung erhoben worden. Bei der Fahrten 3 und 4 habe nur eine Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke stattgefunden; bei der Fahrt 5 seien mehr Freifahrtberechtigungen erhoben worden als Sichtungen beobachtet worden seien. Bei der anschließenden Auswertung der angeforderten Zählprotokolle seien zum Teil erhebliche Abweichungen von den Beobachtungen und Dokumentationen des Ministeriums festgestellt worden. Bei der Fahrt 7 habe es nur eine Befragung und Erhebung einmalig an der Starthaltestelle gegeben. Die Zahl der sonstigen Fahrgäste habe von der Beobachtung abgewichen (4 statt 6). Bei der Vielzahl und Schwere der Erhebungsfehler könne das Ergebnis der Verkehrszählung 2012 nicht als Nachweis im Sinne des § 148 Abs. 5 SGB IX gewertet werden.
24Der Anteil von 4 der 7 Fahrten könne zwar nicht ohne Weiteres der Beweiswürdigung zugrunde gelegt werden. Mit Hilfe mathematischer Statistik lasse sich aber durch Varianzberechnung eine untere Grenze bestimmen, die den Minimalwert fehlerhaften Erhebungen in der Gesamtheit aller Erhebungen absichere. Die Varianzberechnung ergebe vorliegend einen Fehleranteil von 22,53 %, d.h. der tatsächliche Anteil fehlerhafter Linienerhebungen unter allen Linienerhebungen mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 95 % bei 22,53 % oder höher liege. Zudem enthielten die Zählprotokolle nicht die in den Richtlinien vorgesehenen Angeben zu Erhebungsperiode, Erhebungsart, Anzahl der Zählkräfte etc. Auch seien Doppelerhebungen festzustellen. Entgegen 5.5.2 Abs. 3 der Richtlinien seien unterschiedliche Schreibgeräte verwendet worden; bei diesen Protokollen stimmen auch Zählername und Unterschrift nicht überein. Diese Mängel begründeten für sich gesehen bereits erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Verkehrszählung.
25In einem Schreiben vom 28.05.2014 an die Klägerin verweis Prof. Dr. X2. auf die Eigenverantwortung des erhebenden Verkehrsunternehmens. Die Aussage des MAIS, dass der Anteil nicht richtliniengemäß erhobener Fahrten mindestens 22,53 % betrage, sei statistisch korrekt. Im Übrigen setzte er sich mit den geltend gemachten formalen Fehlern der Zählprotokolle auseinander und teilte mit, dass für 2013 ein externes Büro mit der Erhebung beauftragt worden sei. Für 2013 sei betriebsintern ein Wert ermittelt worden, der den des Jahres 2012 etwas übersteige. Daher sei auch der für 2012 ermittelte Wert als glaubhaft einzustufen.
26In einer eigenen Stellungnahme verwies die S1. GmbH u.a. darauf, dass eine ordnungsgemäße Kontrolle möglicherweise unterblieben sei, weil die einsteigenden Fahrgäste den Fahrern bekannt gewesen seien. Eine weitere Kontrolle werde von den Fahrgästen dann oft als unfreundlicher Akt aufgefasst. Auch müsse sich das Fahrpersonal im Einzelfall primär seinen sicherheitsrelevanten Aufgaben zuwenden.
27Mit Bescheid vom 10.07.2014 wiederholte die Bezirksregierung nach Anhörung der Klägerin die Einwände gegen die Fahrgastzählung und setzte den für Fahrgeldausfälle zu erstattenden Betrag auf 39.642,48 Euro fest. Eine weitergehende Individualerstattung lehnte die Behörde ab. Möglich sei nur eine pauschale Erstattung entsprechend dem für das Jahr 2012 vom Ministerium festgelegten Vomhundertsatz von 3,79 %. Die aus der Vorauszahlung hiernach überzahlten Beträge von 50.824,61 Euro (Land) und 613,81 Euro (Bund) bat die Bezirksregierung zurück zu überweisen.
28In einem Schreiben vom 28.07.2014 an die Bezirksregierung nahm die Klägerin nochmals Stellung zu der Entscheidung und bat um Überprüfung. Der errechnete Fehleranteil liege deutlich zu hoch. Mögliche Erhebungsfehler seien nicht als „grob“ einzustufen und durch betriebliche Notwendigkeiten veranlasst.
29Die Klägerin hat am 08.08.2014 Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung eines Betrages von 50.824,61 Euro + 613,81 Euro = 51.438,42 Euro wehrt.
30Sie bestreitet die dargestellten Verstöße gegen die Vorgaben der Richtlinie. Selbst grobe Verstöße gegen Form und Inhalt der Zählprotokolle hätten nicht zwingend zur Folge, dass die festgehaltene Zahl der Freifahrtberechtigten unberücksichtigt bleibe. Der Behörde stehe insoweit Ermessen zu. Es lägen aber auch keine groben Verstöße vor. Eine Sachverhaltsaufklärung sei infolge des Zeitablaufs erschwert. Es sei lebensfremd, an jedem Tag und bei jeder Fahrt die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises und des Beiblatts mit gültiger Wertmarke zu verlangen, obgleich der Fahrgast dem Fahrer persönlich bekannt sei. Auch habe das Ministerium eine nur stichprobenartige Kontrolle durchgeführt. Im Übrigen wiederholt die Klägerin die Angaben der S1. GmbH und verweist darauf, dass diese keinen Anlass zu Manipulationen gehabt habe, da sie von der Zählung nicht selbst wirtschaftlich betroffen sei. Schließlich habe die Bezirksregierung Begleitpersonen nicht berücksichtigt, die ebenfalls freifahrtberechtigt seien. Auch sei zweifelhaft, ob die vom MAIS eingesetzten Kontrolleure die Wertmarken überhaupt hätten erkennen können.
31Die Klägerin beantragt,
32den Bescheid der Bezirksregierung Köln vom 10.07.2014 aufzuheben.
33Die Beklagte beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Sie beschreibt die Einzelheiten der Überprüfung: Bei den sieben Fahrten am 09.11.2012 seien jeweils zwei Kontrollpersonen eingesetzt gewesen und hätten sich jeweils links- bzw. rechtsseitig direkt hinter dem Fahrer platziert. Sie hätten ungehinderten Blick auf die gezeigten Ausweise gehabt. Die Ergebnisse seien unauffällig notiert und später auf die Beobachtungsbögen übertragen worden. Nach dem Ausstieg an der Endhaltestelle habe man zudem darauf geachtet, ob der Fahrer nicht wenigstens unmittelbar nach Abschluss einen Erhebungsbogen ausfüllt.
36Dass die Erhebungsbögen teilweise wissentlich unrichtig ausgefüllt worden seien, räume die Klägerin selbst ein. Darauf, dass einige der Fahrgäste von Person bekannt seien, könne sich die Klägerin nicht berufen, da die Gültigkeit einer Wertmarke im Verlauf des Erhebungszeitraums enden könne und nicht jeder Schwerbehinderte eine solche Wertmarke erwerbe. Auf die weiteren Aufgaben der Fahrer könne die Klägerin nicht verweisen, wenn sie sich für das individuelle Erstattungsverfahren entscheide.
37Sie – die Beklagte – behaupte nicht, dass Freifahrtberechtigte „erfunden“ worden seien; vielmehr sei die gesamte Erhebung aufgrund der schweren Fehler nicht als Nachweis anerkannt werden. Der tolerable Fehleranteil, ab dessen nicht mehr von einem validen Nachweis ausgegangen werden könne, werde von Experten unterschiedlich mit 0 % bis 2 % angesetzt und sei hier überschritten.
38Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Bezirksregierung Köln Bezug genommen.
39E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
40Die ausschließlich gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung der vereinnahmten Beträge von 50.824,61 Euro + 613,81 Euro = 51.438,42 Euro gerichtete Klage ist gemäß § 42 Abs. 1, 1. Variante VwGO als Anfechtungsklage statthaft. Insbesondere stellt die im streitgegenständlichen Bescheid vom 10.07.2014 geäußerte Bitte um Überweisung zu Lasten von Bund und Land überzahlter Vorauszahlungen für das Jahr 2012 eine verbindliche Festsetzung des Erstattungsbetrages und damit einen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Denn die höfliche Formulierung ändert nichts an dem Umstand, dass die Rückzahlungsverpflichtung nach Höhe, Zeitpunkt („unverzüglich“) und Adressat abschließend bestimmt war und aus der Sicht der Klägerin auch nur in diesem Sinne aufgefasst werden konnte. Einer ausdrücklichen Bezeichnung als Leistungsbescheid o.ä. bedurfte es angesichts dessen nicht.
41Die Klage ist jedoch nicht begründet.
42Das beklagte Land kann durch die Bezirksregierung Köln als der nach § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB IX i.V.m. der Richtlinie des MAIS zur Erstattung der Fahrgeldausfälle im Nahverkehr nach § 148 SGB IX vom 20.01.2012 - V B 3 - 4421.43 - (MBl. NRW vom 24.02.2012, S. 81-110) auch für den Bundesanteil zuständigen Erstattungsbehörde die Rückzahlung der überzahlten Vorausleistung verlangen. Das Rückzahlungsverlangen findet seine Rechtsgrundlage in § 150 Abs. 7 Satz 1 SGB IX i.V.m. § 49a Abs. 1 VwVfG NRW, bzw. in einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch.
43Es kann offen bleiben, ob § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unmittelbar anzuwenden ist, weil die abschließende Abrechnung nach einem Vorausleistungsbescheid als auflösende Bedingung für dessen Fortbestand zu interpretieren ist,
44zur auflösenden Bedingung vgl. Weiß, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG-Großkommentar, 1. Auflage 2014, § 36, Rn. 24, 26,
45oder die Norm zumindest entsprechende Anwendung findet,
46so VG Düsseldorf, Urteil vom 08.05.2015 - 13 K 5101/14 - (auch zur Nichtanwendbarkeit des § 150 Abs. 2 Satz 4 SGB IX),
47oder ihre Anwendbarkeit sogar ausgeschlossen ist, weil sich der Fall, dass durch das Ergehen einer endgültigen negativen Entscheidung eine vorangegangene erledigt wird, nicht unter die Voraussetzungen des § 49a Abs. 1 Satz 1 VwVfG NRW subsumieren lässt, und statt dessen auf den allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zurückzugreifen ist,
48vgl. BVerwG, Urteil vom 19.11.2009 - 3 C 7.09 -, NVwZ 2010, 643 f.; Sauerbaum, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG-Großkommentar, 1. Auflage 2014, § 49a, Rn. 14.
49Denn auch § 49a VwVfG NRW stellt nur eine positiv-rechtliche Verkörperung dieses aus dem zivilrechtlichen Bereicherungsrecht abgeleiteten allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs dar, der grundsätzlich dann entsteht, wenn ein Rechtsgrund für den weiteren Behalt einer öffentlich-rechtlichen Leistung nicht oder nicht mehr besteht. Ob § 49a Abs. 1 VwVfG NRW unmittelbar, analog oder gar nicht anwendbar ist, bleibt damit unerheblich, solange jedenfalls die Voraussetzungen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches gegeben sind.
50Keiner Klärung bedarf auch die Frage, ob ein Rechtsgrund für den Behalt der vereinnahmten Beträge schon dann nicht (mehr) besteht, wenn sich der Vorauszahlungsbescheid nach § 43 Abs. 2 VwVfG NRW auf andere Weise (hier durch Erlass des Bescheides vom 10.07.2014) erledigt hat, der Leistungsempfänger jedoch – wie hier – das Begehren auf Individualerstattung nicht durch eine Verpflichtungsklage, gerichtet auf Erlass eines für ihn günstigen Erstattungsbescheides, verfolgt, ein Rechtsgrund in Gestalt eines (Individual-)Erstattungsbescheides damit gar nicht angestrebt wird.
51Denn die Klägerin hat jedenfalls keinen Anspruch auf eine sog. Individualerstattung nach § 145 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX.
52Nach der gesetzlichen Konzeption des § 148 SGB IX erfolgt die Erstattung von Fahrgeldausfällen im öffentlichen Personennahverkehr, die durch die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter entstehen, im Grundsatz nach dem gemäß § 148 Abs. 4 SGB IX für jedes Jahr ermittelten und bekannt gemachten Prozentsatz. Hierbei handelt es sich um einen landesweiten Durchschnittswert, der auf der Anzahl ausgegebener Wertmarken, der Hälfte der im Umlauf befindlichen Ausweise auf der einen sowie den statistischen Zahlen der Wohnbevölkerung auf der anderen Seite basiert. Er ermöglicht im Regelfall eine angemessene und empirisch hinreichend abgesicherte Erstattung bei gleichzeitiger Verwaltungsvereinfachung, bleibt aber naturgemäß pauschal. Demgegenüber stellt die im Einzelfall mögliche und gebotene Individualerstattung nach § 148 Abs. 5 SGB IX eine besondere Härtefallregelung dar,
53vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 17.10.1984 - 1 BvL 18/82, 46/83 und 2/84, BVerfGE 68. 155-175, Nichtannahmebeschluss vom 19.03.2014 - 1 BvR 1417/10 -, NVwZ 2014, 1005 ff.; ferner: BVerwG, Urteil vom 18.03.2010 - 3 C 26.09 -, BVerwGE 136, 157 ff., OVG Lüneburg, Urteil vom 26.05.2009 - 4 LC 653/07 -
54die eine Abweichung vom Regelfall gerade bedingt und deren einzelfallbezogenen Voraussetzungen vom Antragsteller in vollem Umfang zu beweisen sind. Dies ergibt sich nicht nur unzweideutig aus dem Wortlaut der Vorschrift („Weist ein Unternehmen ... nach, dass ...“), sondern auch aus ihrem Charakter als Ausnahmevorschrift.
55Die Frage, mit welchen Mitteln dieser Nachweis zu führen ist, wird vom Gesetz nur mit dem Hinweis auf das Instrument der Verkehrszählung beantwortet. Nähere Bestimmungen zu Art und Durchführung der Verkehrszählung finden sich im Gesetz nicht, sondern sind in den das Gericht zwar nicht bindenden, aber norminterpretierend heranzuziehenden Verwaltungsvorschriften in Gestalt der zitierten Richtlinie des MAIS zu entnehmen.
56Vgl. VG Düsseldorf, a.a.O.
57Die vorliegend durchgeführte Stichprobenerhebung war hiernach durchaus zulässig; auch fehlt es nicht an dem nach 3.2.3.1 erforderlichen Testat eines vereidigten Wirtschaftsprüfers, resp. vergleichbaren Instituts. Zudem sind gegen den Zuschnitt der Erhebungsfahrten Einwände weder ersichtlich noch vorgetragen.
58Allerdings hat das beklagte Land durch den Hinweis auf das Ergebnis auf eigene Beobachtungen bei insgesamt sieben Linienfahrten, die mit Ausnahme der Linien 000 und 000 die von der Klägerin gezählten Linien erfassten, das Vertrauen in die inhaltliche Richtigkeit der Stichprobenerhebung nachhaltig erschüttert. Denn nach den Angaben des beklagten Landes wurden bei vier der sieben Linienfahrten Verstöße gegen die Richtlinien festgestellt. Bei den Fahrten 3-5 seien freifahrberechtigte Personen ohne ordnungsgemäße Prüfung der Fahrtberechtigung erhoben worden. Bei der Fahrten 3 und 4 habe nur eine Sichtung der Schwerbehindertenausweise ohne Beiblätter mit Wertmarke stattgefunden; bei der Fahrt 5 seien mehr Freifahrtberechtigungen erhoben worden als Sichtungen beobachtet worden seien. Soweit bei drei Linienfahrten keine Mängel erkannt worden sind, stiegen nach den Angaben des beklagten Landes gar keine freifahrberechtigten Personen zu. Es lassen sich aus ihnen daher weder Schlüsse für noch Schlüsse gegen den Standpunkt der Klägerin gewinnen.
59Die gegen dieses Ergebnis seitens der Klägerin vorgebrachten Einwände greifen nicht durch: Zwar ist es durchaus lebensnah, dass ein Fahrer von einer genauen Kontrolle der Ausweise mit den Wertmarken absieht, wenn ihm der Fahrgast persönlich bekannt ist und er die naheliegende Befürchtung hegt, die Aufforderung an den Fahrgast, den Ausweis zu zeigen, könne als unfreundlicher Akt ausgelegt werden. Jedoch könnte dem mit einer mündlichen Aufklärung des Fahrgastes darüber, dass es sich um eine notwendige Verkehrszählung handelt, begegnet werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass – wie die Klägerin ebenso lebensnah vorträgt – die Fahrer Besseres zu tun, namentlich sich um die Verkehrssicherheit zu kümmern hätten. Die für das fahrende Personal mit einer derartigen Erhebung verbundenen Erschwernisse sind gerade ein Motiv für die gesetzliche Ermächtigung der Länder in § 148 Abs. 5 Satz 2 SGB IX, die Verkehrszählung durch Dritte auf Kosten des Unternehmens zu gestatten. Einen entsprechenden Weg ist die Klägerin offenkundig für die Folgejahre auch gegangen. Entscheidet sie sich aber wie für das Jahr 2012 für eine Erhebung durch das Fahrpersonal, trägt sie auch das hiermit verbundene Risiko derartiger Erhebungen.
60In diesem Sinne auch VG Düsseldorf a.a.O., juris, Rn. 61.
61Auch bleibt es spekulativ, wenn die Klägerin vorträgt, die Prüfer des MAIS hätten aus ihrer Position im Bus etwaige Wertmarken zu Ausweisen gar nicht erkennen können. Dem hat das beklagte Land nachvollziehbar entgegnet, dass sich die Prüfer bei den offenbar nachfrageschwacheren Fahrten auf den vorderen Sitzen platziert und gemeinsam einen guten Überblick über das Geschehen gehabt hätten. Dass die Umstände von Erhebung und Prüfung nach drei Jahren heute nicht mehr vollständig aufklärbar sind, liegt – solange es an einer umfänglichen elektronischen Erfassung der einzelnen Fahrtberechtigungen fehlt – in der Natur der Sache. Es ändert jedoch nichts daran, dass es an der Klägerin ist nachzuweisen, dass in ihrem Unternehmen der Anteil der nach SGB IX unentgeltlich beförderten Fahrgäste um mindestens 1/3 über dem errechneten Landesschnitt liegt.
62Nichts zu erinnern ist auch gegen die Aussage des beklagten Landes, mittels Varianzberechnung lasse sich ein Fehleranteil von 22,53 % ermitteln, wobei die Wahrscheinlichkeit dieses oder eines höheren Fehleranteils statistisch bei 95 % liege. Der von der Klägerin selbst herangezogene Gutachter Prof. Dr. X2. bezeichnet in seinem Schreiben vom 28.05.2014 diese Aussage als statistisch korrekt. Weiteres ist insoweit auch nicht vorgetragen worden. Nach dem für richtig erkannten mathematischen Rechenmodell ist es auch unerheblich, dass die Basis der MAIS-Prüfung mit sieben Fahrten an einem Tag eher schmal ist. Die Vertreter des Ministeriums haben in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass sich die Anzahl der Prüfungsfahrten nach der Große des Verkehrsunternehmens richtet und die Anzahl der Prüffahrten in dem der Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zugrunde liegenden Fall durchaus höher war. Da es im Fall der Klägerin lediglich um vier Linienwege bei sieben Linien ging, ist die getroffene Auswahl noch angemessen. Auch war der 09.11.2012 ein Freitag ohne kalendarische Besonderheiten, wie etwa Schulferien o.ä., die das Ergebnis zufallsbedingt hätten verfälschen können. Zudem standen nicht die quantitativen Ergebnisse der Zählung im Focus der Prüfung, sondern die Korrektheit der Erhebung. Diese wird nicht primär durch den gewählten Prüfungstag beeinflusst. Dass ein einzelner Tag ausreichen kann, valide Prüfergebnisse zu erhalten, ist durch die Varianzberechnung belegt.
63Der Umstand, dass die Erhebung 2013 nicht durch das Fahrpersonal, sondern durch externe Kräfte durchgeführt wurde und ein Ergebnis erbrachte, das sogar leicht über dem von 2012 lag, streitet ebenfalls nicht für die Auffassung der Klägerin, auch die Zahlen für 2012 müssten korrekt sein. Die Vertreter des MAIS haben in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und unwidersprochen ausgeführt, dass es in Nordrhein-Westfalen ca. 170 Verkehrsunternehmen gebe, die öffentlichen Personennahverkehr der hier fraglichen Art durchführten. Davon wählten etwa 40 jährlich die Individualerstattung. Nach einer Rüge des Landesrechnungshofes seien 2012 zunächst 27, danach etwa 10-15 Unternehmen hiervon überprüft worden. Die Klägerin habe für das Jahr 2013 nicht zu diesen nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Unternehmen gezählt. Damit fehlt es auch an einem nachvollziehbaren Beleg für die Richtigkeit der für 2013 ermittelten Daten, obgleich es nahe gelegen hätte, jenseits des Zufallsprinzips im Folgejahr gerade die Unternehmen erneut zu überprüfen, deren Meldungen zuvor auffällig geworden waren.
64Insgesamt drängt sich damit der Eindruck auf, dass die Erhebungen durch das Fahrpersonal zum Teil deutlich fehlerhaft durchgeführt wurden. Wenngleich die hierfür vorgetragenen Gründe bei lebensnaher Betrachtung durchaus nachvollziehbar sind und dem Personal nachträglich oft kaum ein Vorwurf zu machen sein wird, schmälert dies doch den Erkenntniswert der Erhebung erheblich. Das Ergebnis der Prüfung illustriert nur die Einschätzung, dass in der Praxis eine zutreffende Erhebung durch mit anderen Aufgaben ausgelastete Fahrer kaum je zuverlässig möglich sein dürfte. Dem hat die Klägerin durch die externe Vergabe ab 2013 nunmehr auch entsprochen.
65Ob die weiteren angeführten Mängel der Dokumentation – wie fehlende Angaben zur Erhebungsperiode etc., Doppelerhebungen, Abweichungen von Zählername und Unterschrift, Verwendung unterschiedlicher Schreibgeräte – für sich genommen oder in ihrer Gesamtheit die Annahme einer fehlerhaften Erhebung begründen, bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn der Klägerin ist bereits nach dem Ergebnis der angesprochenen Prüfung der nach § 148 Abs. 5 Satz 1 SGB IX erforderliche Nachweis nicht gelungen.
66Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist trotz seines sozialrechtlichen Bezugs nicht nach § 188 Satz 1 VwGO gerichtskostenfrei. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 188 Satz 2, 2. Halbsatz VwGO und daraus, dass die Gerichtskostenfreiheit auf originär fürsorgerechtliche Verfahren zugunsten des betroffenen Schwerbehinderten beschränkt ist,
67vgl BVerwG, Beschluss vom 08.05.1990 - 7 ER 101.90 -, Buchholz 310 § 188 VwGO Nr. 10; VG Köln, Urteil vom 14.02.2008 - 26 K 1650/07 -; nunmehr auch VG Düsseldorf, a.a.O.
68Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.