Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 13. Aug. 2015 - 5 K 4117/14
Tenor
Das Verfahren wird im Umfang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt.
Im Übrigen wird festgestellt, dass sich die Zwangsgeldfestsetzung vom 5. August 2014 erledigt hat.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beteiligten je zur Hälfte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen die Festsetzung eines Zwangsgeldes durch die Beklagte aufgrund ungenehmigter Nutzungsänderung im Erdgeschoss des Gebäudes „G. Straße 328“ in F. .
3Das Grundstück „G. Straße 328“ (Gemarkung C. , Flur °, Flurstück °°°) steht ausweislich des Grundbuchauszugs im Eigentum der Frau J. N. und ist mit einem zweigeschossigen Wohn- und Geschäftshaus bebaut.
4Zuletzt genehmigte die Beklagte mit Baugenehmigung vom 9. Januar 1992 die Nutzung des Erdgeschosses als Sonnenstudio.
5Am 9. Februar 2012 beantragte der Kläger die Erteilung eines bauplanungsrechtlichen Vorbescheids hinsichtlich der Nutzungsänderung für einen Großteil des Erdgeschosses in eine „T. (Gastronomie) ohne Wettgeschäfte“.
6Anlässlich der Bauvoranfrage führte die Beklagte im April 2012 eine Ortskontrolle durch und stellte fest, dass der Kläger einen Teil des Erdgeschosses als Wettbüro betrieb. Daraufhin leitete diese gegenüber dem Kläger ein ordnungsbehördliches Verfahren ein.
7Mit Ordnungsverfügung vom 25. Juni 2012 untersagte die Beklagte dem Kläger die Nutzung des Erdgeschosses als Wettbüro sofort nach Zustellung der Verfügung (Ziffer 1). Für den Fall, dass der Kläger dem nicht bzw. nicht fristgerecht oder nicht vollständig nachkomme, drohte sie die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 2.500,00 € an (Ziffer 2).
8Gegen die Ordnungsverfügung erhob der Kläger am 9. Juli 2012 Klage (5 K 3188/12) und beantragte die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (5 L 829/12).
9Den Eilantrag lehnte die Kammer mit Beschluss vom 13. November 2012 ab. Zur Begründung führte die Kammer u. a. aus, dass die Inanspruchnahme des Klägers in zulässiger Weise auf § 17 Abs. 1 des Ordnungsbehördengesetzes (OBG) beruhe. Die hiergegen eingelegte Beschwerde begründete der Kläger u. a. damit, dass die Betriebsstätte nicht von ihm persönlich, sondern von der K. GmbH betrieben werde. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2012 (10 B 1326/12) wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) die Beschwerde im Wesentlichen mit der Begründung zurück, aufgrund der aktenkundigen Feststellungen sei der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung für die Nutzung der Räume im Erdgeschoss des in Rede stehenden Gebäudes als Handlungs- und Zustandsstörer im Sinne der §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 2 OBG NRW verantwortlich gewesen.
10Am 16. Januar 2013 führte die Beklagte erneut eine Ortskontrolle durch und stellte fest, dass die Räumlichkeiten weiterhin als Wettbüro betrieben wurden.
11Mit Bescheid vom 21. Januar 2013 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 2.500,00 € fest und drohte zugleich die Festsetzung eines weiteren Zwangsgeldes in Höhe von 5.000,00 € an für den Fall, dass der Kläger der Ordnungsverfügung auch nach Zustellung der Zwangsgeldfestsetzung nicht nachkomme. Daraufhin erweiterte der Kläger seine anhängige Klage auf diesen Festsetzungsbescheid.
12Die Kammer wies die Klage vom 9. Juli 2012 (5 K 3188/12) mit Urteil vom 7. März 2013 ab. Die gegen das Urteil beantragte Zulassung der Berufung lehnte das OVG NRW mit Beschluss vom 28. April 2014 ab (10 A 1018/13). Die Entscheidung begründete der Senat unter anderem damit, der Kläger habe als Störer zur Beendigung des festgestellten rechtswidrigen Zustands in Anspruch genommen werden dürfen. Insbesondere befreie der Umstand, dass das Handeln des Klägers der K. GmbH als Handeln ihres Geschäftsführers zugerechnet werden könne, den Kläger selbst nicht von seiner Verantwortlichkeit für sein eigenes bauordnungsrechtlich relevantes Tun. Die Beklagte habe auch davon ausgehen dürfen, dass der Kläger persönlich tatsächlich und rechtlich in der Lage sein werde, dem ihm gegenüber ausgesprochenen Nutzungsverbot Folge zu leisten und so den mit der ungenehmigten Nutzung der Räume bestehenden baurechtswidrigen Zustand zu beenden.
13Mit Schreiben vom 2. Juni 2014 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten mit, es stehe inzwischen fest, dass nicht der Kläger, sondern die K. GmbH Inhaberin der Betriebsstätte sei und der Kläger nur als Anscheinsstörer in Anspruch habe genommen werden dürfen. Die Firma K. GmbH sei der Ordnungsverfügung bereits seit langer Zeit nachgekommen und betreibe die Betriebsstätte im Erdgeschoss des Gebäudes „G. Straße 328“ nicht mehr als Wettbüro. Lediglich ein kleiner, vollständig abgetrennter Bereich im vorderen Teil der Betriebsstätte werde als reine Tippannahme ohne Verweilcharakter genutzt. Der gesamte hintere Bereich, in dem sich auch die Aufenthaltsmöglichkeiten befunden hätten, sei seit geraumer Zeit vollständig geschlossen. Die Vollstreckung des am 21. Januar 2013 festgesetzten Zwangsgeldes sei nicht zulässig, da es sich bei dem Zwangsgeld um ein Beugemittel handele, das nicht mehr beigetrieben werden dürfe, wenn der Sinn und Zweck der Verfügung erreicht sei.
14Die Beklagte erwiderte darauf mit Schriftsatz vom 26. Juni 2014, aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des OVG NRW sei sie berechtigt, die Ordnungsverfügung zu vollstrecken und die Beitreibung des festgesetzten Zwangsgeldes vorzunehmen. Da ein Teil des Erdgeschosses immer noch als Tippannahme genutzte werde, die ebenfalls unter den Begriff „Wettbüro“ falle, sei der Kläger der Ordnungsverfügung nicht nachgekommen. Aus dem Gesetzeswortlaut ergebe sich außerdem, dass das Zwangsgeld selbst dann noch beizutreiben sei, wenn der Ordnungspflichtige sich schließlich rechtstreu verhalte und der Ordnungsverfügung nachkomme, da es sich bei einer Nutzungsuntersagung um eine Unterlassungspflicht handele.
15Am 25. Juli 2014 führte die Beklagte eine weitere Ortskontrolle durch und stellte fest, dass das Erdgeschoss weiter als Wettbüro betrieben wurde und die Verbindung zum dahinter liegenden Raum (T. ) geöffnet war.
16Mit Bescheid vom 5. August 2014 setzte die Beklagte gegenüber dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 € fest und drohte die Festsetzung eines weiteren Zwangsgeldes in Höhe von 10.000,00 € an für den Fall, dass der Kläger der Verfügung vom 25. Juni 2012 nicht sofort nach Zustellung des Zwangsgeldbescheides erfülle.
17Unter dem gleichen Datum erging gegenüber dem Kläger ein Bußgeldbescheid wegen ungenehmigter Nutzungsänderung in Höhe von 6.000,00 €. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein, über den bislang noch nicht entschieden wurde.
18Mit Schreiben vom 12. August 2014 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegenüber der Beklagten mit, der Kläger sei nur als Anscheinsstörer in Anspruch genommen worden. Es könnten nicht Jahre später Zwangsgelder gegen einen Anscheinsstörer verhängt werden, wenn mittlerweile Klarheit darüber bestehe, dass tatsächlicher Betreiber des Geschäfts eine GmbH und damit ein anderer Adressat sei. Ungeachtet dessen habe allerdings auch die K. GmbH mitgeteilt, dass sie die Tätigkeit in der Betriebsstätte nunmehr einstellen werde. Das Gewerbe werde ab kommenden Montag vollständig eingestellt. Da der Zweck der Verfügung somit erreicht sei, dürfte die Beitreibung nicht mehr rechtmäßig und angemessen sein. Das am 21. Januar 2013 verhängte Zwangsgeld in Höhe von 2.500,00 € werde bereits in Raten abgezahlt.
19Die Beklagte führte am 19. August 2014 eine weitere Ortskontrolle durch und stellte fest, dass das Wettbüro zwar geöffnet war, ein Mitarbeiter jedoch angab, dass er keine Wetten mehr entgegen nehme, sondern nur Auszahlungen vornehmen würde. Im Lokal lag zudem eine an Kunden gerichtete Information aus, nach der unter anderem der Betrieb ab Montag, den 18. August 2014, aus baurechtlichen Gründen eingestellt werden müsse.
20Gegen die Zwangsgeldfestsetzung vom 5. August 2014 hat der Kläger am 12. September 2014 Klage erhoben.
21Er ist der Ansicht, das Zwangsgeld habe nicht ihm gegenüber festgesetzt werden dürfen, da die Beklagte inzwischen sichere Kenntnis habe, dass nicht der Kläger, sondern die K. GmbH Betreiberin gewesen sei. Da der Betrieb jedoch eingestellt worden sei, sei faktisch Erledigung eingetreten und die Beklagte dürfe das Zwangsgeld nicht weiter beitreiben. Dies folge insbesondere daraus, dass das Zwangsgeld keinen Strafcharakter habe, sondern ein Beugemittel sei.
22Selbst wenn der Zwangsgeldbescheid rechtmäßig sei, so sei jedenfalls die Beitreibung nicht mehr zulässig. Es bestehe auch keine Wiederholungsgefahr, da die Betriebsstätte dauerhaft geschlossen sei und der Kläger selbst keinen Zugriff mehr darauf habe. Bei der Ordnungsverfügung vom 25. Juni 2012 handele es sich auch nicht um eine Unterlassungspflicht, sondern um eine Handlungspflicht, da der Kläger aufgefordert worden sei, die Tätigkeit des Betriebes als Wettbüro aktiv einzustellen. Er sei daher gehalten gewesen, die Räumlichkeiten so umzustellen und teilweise auch leerzuräumen, dass der Betrieb nicht mehr als Wettbüro einzuordnen sei. Auch die Schließung der Betriebsstätte sei faktisch eine Handlung. Es sei schließlich nicht nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber Handlungs- und Unterlassungspflichten unterschiedlich behandle.
23Zur Glaubhaftmachung der Betriebseinstellung legt der Kläger eine Gewerbe-Abmeldung vom 20. August 2014 vor, aus der hervorgeht, dass der Betriebsinhaber, die Firma K. GmbH, vertreten durch den Kläger, die Tätigkeit „P. -Tippannahmestelle“ in der G. Straße 328 zum 18. August 2014 aufgegeben hat.
24Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in Bezug auf die weitere Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 5. August 2014 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.
25Im Übrigen beantragt der Kläger,
26festzustellen, dass die Zwangsgeldfestsetzung im Bescheid vom 5. August 2014 sich erledigt hat,
27hilfsweise,
28festzustellen, dass die Beitreibung aus der Zwangsgeldfestsetzung im Bescheid vom 5. August 2014 unzulässig ist,
29äußerst hilfsweise,
30die Zwangsgeldfestsetzung im Bescheid vom 5. August 2014 aufzuheben.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, die Vollstreckung beruhe auf der bestandskräftigen Ordnungsverfügung vom 25. Juni 2012. Es sei auch keine Erledigung eingetreten. Insbesondere sei nach dem Wortlaut des Gesetzes ein Zwangsgeld beizutreiben, wenn der Unterlassungspflicht – wie hier der Nutzungsuntersagung - zuwider gehandelt worden sei, deren Erfüllung durch die Androhung des Zwangsgeldes habe erreicht werden sollen. Insofern sei das Zwangsgeld auch dann noch beizutreiben, wenn der Ordnungspflichtige sich schließlich rechtstreu verhalte und der Ordnungsverfügung nachkomme. Entscheidend sei allein, dass der Verstoß gegen die vollziehbare Ordnungsverfügung nach der Androhung des Zwangsgeldes und während der Zeit, als das Verbot noch gegolten habe, erfolgt sei. Dies sei vorliegend der Fall gewesen, so dass die Beitreibung des Zwangsgeldes nicht unterbleiben könne und somit auch keine Erledigung eingetreten sei. Der Beklagten stehe nach dem Wortlaut des Gesetzes auch kein Ermessen zu. Im Übrigen habe das Zwangsgeld auch gegen den Kläger festgesetzt werden dürfen, da – wie das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 28. April 2014 ausgeführt habe – der Kläger durch den Umstand, dass er der Geschäftsführer der Betreiberin sei, nicht von der Verantwortlichkeit für sein eigenes bauordnungsrechtlich relevantes Tun befreit sei. Ob der Kläger dabei persönlich die Betriebsabläufe des Wettbüros zentral und umfassend steuere und als für die Betriebsabläufe Verantwortlicher auch die Sachherrschaftsgewalt über die Betriebsräumlichkeiten inne habe, könne dabei offen bleiben. An der Verantwortlichkeit des Klägers für die ungenehmigte Nutzung der in Rede stehenden Räumlichkeiten bestünden nach Auffassung des Oberverwaltungsgerichts jedenfalls keine Zweifel.
34Die Beklagte hat am 22. September 2014 und am 26. September 2014 jeweils eine weitere Ortskontrolle durchgeführt und festgestellt, dass der Betrieb augenscheinlich eingestellt worden ist, da das Ladenlokal verschlossen war.
35Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
36Entscheidungsgründe:
37Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
38Im Übrigen hat die Klage mit ihrem Hauptantrag Erfolg.
39Die Klage ist zulässig.
40Statthafte Klageart ist hier die Feststellungsklage, da der Kläger die Feststellung begehrt, dass sich die Zwangsgeldfestsetzung vom 5. August 2014 erledigt hat, § 88 VwGO. Bei dieser Frage handelt es sich auch um ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO, da durch Feststellung der Erledigung die Rechtsbeziehungen der Beteiligten im Hinblick auf die Beitreibung des Zwangsgeldes geklärt werden.
41Die Feststellungsklage wird auch nicht durch die Möglichkeit der Erhebung einer Anfechtungsklage bzw. einer Fortsetzungsfeststellungsklage im Wege der Subsidiarität verdrängt, da es dem Kläger ausweislich seines Vortrags nicht vorrangig um die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldfestsetzung vom 5. August 2014 geht. Mit der Klage will der Kläger allein festgestellt wissen, dass sich die Zwangsgeldfestsetzung erledigt hat mit der Folge, dass die Beklagte bei Stattgabe der Klage wegen Erledigung der Zwangsgeldfestsetzung das Zwangsgeld nicht mehr beitreiben kann. Dieses Klageziel kann der Kläger allein mit der Feststellungsklage erreichen.
42Vgl. Sodann / Ziekow, VwGO Kommentar, 3. Auflage 2010, § 43 Rn. 137.
43Der Kläger kann auch ein berechtigten Feststellungsinteresse geltend machen, da die Beklagte ausweislich ihres Vortrags und ihrer Ankündigung, das festgesetzte Zwangsgeld beitreiben zu wollen, nicht von der Erledigung der Zwangsgeldfestsetzung ausgeht.
44Die Klage ist begründet, da sich die Zwangsgeldfestsetzung vom 5. August 2014 – unabhängig von der Frage, ob das Zwangsgeld gegenüber dem Kläger festgesetzt werden durfte – materiell erledigt hat.
45Materiell erledigt sich ein Verwaltungsakt in sonstiger Weise gemäß § 43 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW), wenn von ihm keine Rechtswirkungen bzw. keine Beschwer mehr ausgehen. Dies ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung,
46vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 113 VwGO Rn. 35,
47der Fall. Mit der Einstellung des Betriebs des Wettbüros in den Räumlichkeiten des Erdgeschosses „G. Straße 328“ in F. zum 18. August 2014 ist der Kläger seiner mit Nutzungsuntersagung vom 25. Juni 2012 begründeten Pflicht, die Nutzung des Erdgeschosses als Wettbüro aufzugeben, nachgekommen. Dies hat zur Folge, dass das am 5. August 2014 festgesetzte Zwangsgeld nicht mehr beigetrieben werden darf, womit die in der Zwangsgeldfestsetzung enthaltene Beschwer zugunsten des Klägers entfallen ist und sich die Zwangsgeldfestsetzung mithin erledigt hat.
48Die Vorschrift des § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVG NRW) steht dem nicht entgegen. Bei der nach dem Wortlaut einschlägigen Norm (I.) handelt sich um eine – eng auszulegende – Ausnahmevorschrift (II.), die aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur angewendet werden darf, wenn die Gefahr weiterer Verstöße gegen die Grundverfügung anzunehmen ist, da die Beitreibung nur dann den legitimen Zweck der Willensbeugung verfolgt (III.). Da eine derartige Wiederholungsgefahr im vorliegenden Fall nicht vorliegt, ist von der Beitreibung des festgesetzten Zwangsgeldes abzusehen (IV.).
49I.
50Nach § 60 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz VwVG NRW unterbleibt die Beitreibung, sobald der Betroffene die gebotene Handlung ausführt oder die zu duldende Maßnahme gestattet. Nach § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW ist ein Zwangsgeld jedoch beizutreiben, wenn der Duldungs- oder Unterlassungspflicht zuwidergehandelt worden ist, deren Erfüllung durch die Androhung des Zwangsgeldes erreicht werden sollte; § 26 findet entsprechende Anwendung. Der Kläger hat vorliegend einer Unterlassungspflicht zuwidergehandelt. Durch die bestandskräftige Ordnungsverfügung vom 25. Juni 2012 untersagte die Beklagte dem Kläger die Nutzung des Erdgeschosses in dem Gebäude auf dem Grundstück „G. Straße 328“ als Wettbüro. Das Regelungsziel der Nutzungsuntersagung ist damit eine Unterlassungspflicht hinsichtlich der Nutzung des Erdgeschosses als Wettbüro.
51Vgl. zu der Annahme einer Unterlassungspflicht im Falle einer bauordnungsrechtlichen Nutzungsuntersagung Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 12. Mai 2011 – 2 A 192/10 –, zitiert nach juris, und Beschluss vom 10. November 2006 – 10 B 1941/06 -, nicht veröffentlicht.
52Indem der Kläger den Betrieb eines Wettbüros in den Räumlichkeiten des Erdgeschosses in dem Gebäude G. Straße 328 innerhalb der ihm in dem Bescheid vom 21. Januar 2013 gesetzten Frist nicht eingestellt hat, hat er der Unterlassungspflicht zuwidergehandelt, so dass das Zwangsgeld iHv 5.000,00 € dem Wortlaut nach beizutreiben ist.
53II.
54Durch den Zusatz „jedoch“ in § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW und das Verhältnis zum 1. Halbsatz des Absatzes 3, wonach die Beitreibung unterbleibt, sobald der Betroffene die gebotene Handlung ausführt oder die zu duldende Maßnahme gestattet, wird deutlich, dass die Vorschrift eine Ausnahme von der grundsätzlichen Verpflichtung zur Einstellung der Zwangsvollstreckung bei Erfüllung der Ordnungspflichten für den Fall der Zuwiderhandlung gegen eine Duldungs- oder Unterlassungspflicht enthält.
55Der Ausnahmecharakter hinsichtlich der Möglichkeit der Beitreibung trotz Erfüllen der Unterlassungspflicht kommt auch in § 65 Abs. 3 Satz 2 VwVG NRW zum Ausdruck. Nach Satz 1 dieser Vorschrift, der die allgemeinen Grundsätze enthält, ist der Vollzug einzustellen, sobald sein Zweck erreicht ist, dem Betroffenen die Erfüllung der zu erzwingenden Leistung unmöglich geworden ist oder die Vollstreckungsvoraussetzungen nachträglich weggefallen sind. Da der zweite Satz des Absatzes 3 jedoch vorsieht, dass § 60 Abs. 3 VwVG NRW unberührt bleibt, also eine Beitreibung des Zwangsgeldes ungeachtet der Zweckerreichung, der Unmöglichkeit der Erfüllung der Grundverfügung oder des Wegfalles der Vollstreckungsvoraussetzungen zu erfolgen hat, wird auch hierdurch deutlich, dass es sich bei § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW um eine Ausnahmevorschrift zu dem allgemeinen Grundsatz, wann der Vollzug einzustellen ist, handelt.
56Schließlich wird auch durch die Vorschrift des § 57 Abs. 3 Satz 1 VwVG NRW der Ausnahmecharakter des § 60 Abs. 3 Satz 2 VwVG NRW bestätigt. Danach darf ein Zwangsmittel (nur) solange wiederholt und gewechselt werden, bis der Verwaltungsakt befolgt worden ist oder sich auf andere Weise erledigt hat. Auch insoweit gilt unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW Abweichendes.
57Das Verständnis des § 65 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW als Ausnahmevorschrift hat zur Folge, dass diese nach allgemeinen Auslegungsmaßstäben, um den Ausnahmecharakter aufrecht zu erhalten, aufgrund der normativen Wertentscheidung des Gesetzgebers eng auszulegen ist.
58vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 30. März 2015 – 16 A 1610/13 – juris Rn. 65.
59III.
60Neben dem Erfordernis der grundsätzlich engen Auslegung der Ausnahmevorschrift kommt entscheidend hinzu, dass bei der Auslegung des § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus § 58 VwVG NRW zu beachten ist. Nach § 58 Abs. 1 VwVG NRW muss das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen. Dabei ist das Zwangsmittel möglichst so zu bestimmen, dass der Einzelne und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden. Gemäß Abs. 2 darf ein durch ein Zwangsmittel zu erwartender Schaden nicht erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen. Damit normiert das VwVG NRW die Eckpunkte des verfassungsrechtlichen Gebotes der Verhältnismäßigkeit hoheitlicher Eingriffe, wonach diese auf einen gesetzeslegitimen Zweck zurückgeführt und hierzu geeignet, erforderlich und angemessen – verhältnismäßig im engeren Sinne – sein müssen. § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW kann aufgrund der verfassungsrechtlichen Dimension des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,
61so mit Blick auf das Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 21. Januar 2003 – 1 C 5.02 –, Rz.19, zitiert nach juris.
62nicht als lex specialis fungieren und vermag § 58 VwVG NRW daher nicht unangewendet zu lassen oder einzuschränken. Vielmehr ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf jeder Stufe der Zwangsvollstreckung und damit auch bei der Beitreibung uneingeschränkt zu berücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass jede Vollstreckungsmaßnahme des gestuften Zwangsgeldverfahrens gemäß § 58 Abs. 1 VwVG NRW einem legitimen Zweck dienen muss. Das bedeutet, dass die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit auf jeder Stufe bzw. dem hiermit korrelierenden Zeitpunkt zu beachten sind. Dies gilt insbesondere bei der Beitreibung des Zwangsgeldes, die als „Griff ins Portemonnaie“ den schwerwiegendsten Eingriff in die Rechte des Vollstreckungsschuldner beinhaltet, und damit strengeren Verhältnismäßigkeitsanforderungen genügen muss als die Androhung und die Festsetzung des Zwangsgeldes.
63Zunächst setzt die Verhältnismäßigkeit nach § 58 Abs. 1 VwVG NRW einen legitimen Zweck der jeweiligen Verwaltungsvollstreckungsmaßnahme voraus. Zweck der Festsetzung eines Zwangsgeldes ist die Beugung des Willens des Ordnungspflichtigen,
64So zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 23. Juni 2015, - 7 B 351/15 –, juris Rn. 13,
65Ein darüber hinaus gehender Sanktionscharakter ist dem Zwangsgeld dagegen fremd, wie aus § 57 Abs. 3 Satz 1 VwVG NRW zum Ausdruck kommt, wo zwischen den Zwangsmitteln – mit Willensbeugungsfunktion – einerseits und Geldbußen und Strafen – mit Sanktionscharakter – andererseits differenziert wird. Diese Differenzierung wäre zumindest unscharf, ließe der Landesgesetzgeber auch Sanktionszwecke des Zwangsgeldes zu.
66Der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 60 Abs. 3 VwVG NRW,
67Landtagsdrucksache Nr. 13/3192 vom 7. November 2002, Seite 67,
68lässt sich auch im Hinblick auf die ausnahmsweise Beitreibungsmöglichkeit nach § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW kein Sanktionszweck entnehmen. Die Beitreibung wird im Ausnahmefall dadurch gerechtfertigt, dass die Androhung des Zwangsgeldes nur dann geeignet sei, von Anfang an den zur Einwirkung auf den Pflichtigen notwendigen Druck auszuüben, wenn diesem bewusst sei, dass jede Zuwiderhandlung ohne Weiteres die Festsetzung und Beitreibung des Zwangsgeldes nach sich ziehe. Zweck der Beitreibung ist demnach auch nach der Gesetzesbegründung allein die Beugung des Willens zur Durchsetzung der Ordnungspflicht.
69Nach Auffassung der Kammer erfüllt die Beitreibung eines festgesetzten Zwangsgeldes nach Befolgen der Unterlassungspflicht nicht den legitimen Zweck der Willensbeugung und ist damit grundsätzlich unverhältnismäßig.
70Zwar geht das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
71Urteil vom 30. September 1992 – 4 A 3840/91 –, juris Rn. 15 f.,
72davon aus, dass die Beitreibung nach der Nutzungsaufgabe noch einen Beugezweck erfülle. Danach könne die Androhung bei erledigten oder bei befristeten Verboten die Beugefunktion erfüllen, indem der Pflichtige durch die Androhung in einen Zustand versetzt werde, der ihn veranlasse, das Verbot zu beachten. Die nachfolgende Festsetzung und Beitreibung solle dem Beugemittel Nachdruck verleihen. Ohne diese nachträgliche Durchsetzung gehe die Androhung in diesen Fällen ins Leere, weil die Androhung allein kein Übel darstelle, das den Pflichtigen zu dem erforderlichen Verhalten veranlassen könne. Demgemäß komme dem Gesichtspunkt, dass nach Fristablauf oder Erledigung der Verfügung nichts mehr zu beugen sei, bei der Unterlassungsverpflichtung keine Bedeutung bei.
73Dieser Argumentation schließt die Kammer sich nicht an. Sie staucht das gestufte Vollstreckungsverfahren in Gestalt von Androhung, Festsetzung und Beitreibung des Zwangsgeldes in der Konstellation von Verstößen gegen Duldungs- und Unterlassungspflichten ohne sachlichen Grund zusammen. Nach der gesetzgeberischen Konzeption ist das Verwaltungsvollstreckungsverfahren dreistufig ausgestaltet. Die Beugungsintensität des Zwangsmittels nimmt auf jeder Stufe zu. Diese Konstruktion des Vollstreckungsverfahrens ist dabei unabhängig von der Art der zugrundeliegenden Ordnungspflicht (Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungsgebot). Der Androhung kommt – wie die Bezeichnung verdeutlich – nicht mehr Vollstreckungs“intensität“ zu, als den Pflichtigen auf die zu erfolgende Festsetzung des Zwangsgeldes hinzuweisen. Die Beitreibung stellt dagegen – wie bereits dargelegt – den schwersten Eingriff in die Rechte des Vollstreckungsschuldners dar, was wiederum zur Folge hat, dass gerade auf dieser Stufe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße Berücksichtigung finden muss.
74Kommt der Vollstreckungsschuldner seiner Unterlassungspflicht nach – wie hier durch vollständige Räumung und Betriebsaufgabe – ist durch die Beitreibung des Zwangsgeldes kein Wille mehr zu beugen. Der Zweck der Beitreibung eines Zwangsgeldes wird vielmehr verfehlt. Das Zwangsgeld wird so zur reinen Sanktion.
75Vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 12. März 1996 – 1 S 2858/95 –, juris Rn. 16; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Juni 1996 – 3 M 3/96 –, juris Rn. 17 ff.; Hessischer VGH, Beschluss vom 2. September 2004 – 6 TG 1549/04 –, juris Rn. 8; VG Potsdam, Urteil vom 13. Juli 2005 – 3 L 50/05 –, juris Rn. 10; OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. April 2009 – 11 ME 478/08 –, juris Rn. 41 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2011 – 10 B 7.10 –, juris Rn. 21.
76Der Vollstreckungsschuldner würde durch die Beitreibung des Zwangsgeldes der Sache nach dafür bestraft, dass er der Grundverfügung nicht rechtzeitig Folge geleistet hat. Nach Auffassung der Kammer kann die reine Sanktionierung des Ordnungspflichtigen kein legitimer Zweck für die Beitreibung eines Zwangsgeldes sein.
77Für die oben zitierte Auffassung des OVG NRW lässt sich auch nicht die Effektivität der Verwaltungsvollstreckung anführen. Das Argument, ohne die Vorverlagerung der Verhältnismäßigkeitsanforderungen auf den Zeitpunkt der Zwangsgeldandrohung ginge von der Zwangsgeldandrohung nicht das erforderliche Gewicht aus, trägt nicht.
78Vgl. auch: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Mai 2011 – 10 B 7.10 –, juris Rn. 22.
79Es ist bereits nicht ersichtlich, weshalb eine Zwangsgeldandrohung bei einem Verstoß gegen eine Unterlassungspflicht keine willensbeugende Wirkung auf den Ordnungspflichtigen entfalten sollte. Der Pflichtige muss bei Erhalt einer Zwangsgeldandrohung damit rechnen, dass, soweit er der Unterlassungspflicht weiterhin nicht nachkommt, das Zwangsgeld festgesetzt wird. Bei einer Unterlassungspflicht kann das Zwangsgeld grundsätzlich ohne Einhaltung einer Frist gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW festgesetzt werden. Danach kann es – sollte er zu diesem Zeitpunkt der Pflicht immer noch nicht Folge geleistet haben – zeitnah beigetrieben werden. Wie nachdrücklich die Wirkung der Zwangsgeldandrohung ist, hängt vom konkreten Vollstreckungsverfahren ab. Überprüft die Behörde zeitnah nach der Androhung die Einhaltung der Unterlassungspflicht, setzt sodann ein Zwangsgeld fest und treibt dieses zügig bei, so geht von der Androhung sehr wohl eine willensbeugende Wirkung aus, zumal Rechtsbehelfe gegen die Zwangsmaßnahmen gemäß § 110 Abs. 2 Nr. 5 JustizG NRW keine aufschiebende Wirkung entfalten.
80Die Effektivität der Verwaltungsvollstreckung ist auch in Konstellationen – hier nicht im Streit stehender – sich kurzfristig erledigender Grundverwaltungsakte kein durchgreifendes Argument. In dem dem Urteil des OVG NRW vom 30. September 1992 – 4 A 3840/91 –, juris, zugrunde liegenden Sachverhalt wurde einem Gastwirt per Ordnungsverfügung aufgegeben, den Ausschank von Getränken und die Ausgabe von Speisen zu unterlassen. Dieser wollte während des Dampfdreschfestes, das nur einige Tage lang dauerte, Getränke ausschenken. Auch hier kann nicht mit unzureichenden Vollstreckungsmöglichkeiten argumentiert werden. Entweder setzt die Vollstreckungsbehörde von vornherein entsprechend kurze Fristen, um noch vor Ablauf des Festes Zwangsgelder beitreiben zu können, oder sie macht bei Unterlassungspflichten gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW von der Möglichkeit Gebrauch, auf eine Frist zu verzichten und sorgt dadurch für die Möglichkeit der effektiven Vollstreckung, oder sie wählt von Beginn an ein geeigneteres Zwangsmittel, im Beispiel des Dampfdreschfestes etwa die Versiegelung des Ausschankes durch Maßnahmen unmittelbaren Zwangs,
81vgl. Dünchheim, NVwZ 1996, 117 (121).
82Da bereits ein legitimer (Beuge-)Zweck der Beitreibung des Zwangsgeldes in der vorliegenden Konstellation zu verneinen ist, kann die Beitreibung von Zwangsgeld auch nicht im Übrigen verhältnismäßig sein. Die Geeignetheit ist auf einen legitimen Zweck bezogen, fehlt dieser, kann die Beitreibung nicht legitim sein. Gleiches gilt für die Erforderlichkeit und die Angemessenheit der Zwangsgeldbeitreibung.
83Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob eine Beitreibung des Zwangsgeldes wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht auch dann unterbleiben muss, wenn gegen den Vollstreckungsschuldner – wie hier - wegen desselben Verstoßes ein Bußgeldbescheid verhängt worden ist und die Beitreibung des Zwangsgeldes dadurch – unterstellt, die Beitreibung dürfe entgegen der hier vertretenen Auffassung Sanktionszwecken dienen – eine doppelte Sanktionierung darstellt,
84vgl. hierzu (im Ergebnis offen lassend) BVerwG, Urteil vom Urteil vom 21. Januar 2003 – 1 C 5/02 –, juris Rn. 29.
85Der Anwendungsbereich des § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW ist nach der nach Auffassung der Kammer gebotenen Auslegung der Vorschrift unter Beachtung ihres Ausnahmecharakters und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach auf solche Fälle beschränkt, in denen die Beitreibung (noch) den legitimen Zweck der Willensbeugung erfüllt. Damit kann eine Beitreibung des Zwangsgeldes nur in den Fällen zulässig sein, in denen zum Beitreibungszeitpunkt noch Verstöße gegen die Grundverfügung – in Gestalt einer Wiederholungsgefahr – zu befürchten stehen.
86So auch Dünchheim, NVwZ 1996, 117 (122); VGH Hessen, a. a. O juris Rn. 8 f.; OVG Lüneburg a. a. O, juris Rn. 30.
87Liegen demnach Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vollstreckungsschuldner die zu unterlassende Tätigkeit zukünftig wieder aufnehmen könnte, ginge es mit dem Beugungszweck des Zwangsgeldes konform, das Zwangsgeld noch beizutreiben. Denn der dem Vollstreckungsschuldner auferlegten Unterlassungspflicht wird im Falle einer Wiederholungsgefahr noch nicht endgültig Folge geleistet. Insoweit verstieße eine Beitreibung aufgrund des legitimen (Willensbeugungs-)Zwecks nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
88IV.
89Diese Maßstäbe zugrundegelegt, ist die Beitreibung des Zwangsgeldes gegenüber dem Kläger unverhältnismäßig und damit unzulässig mit der Folge, dass die Festsetzung des Zwangsgeldes den Kläger nicht mehr beschwert und sich damit erledigt hat. Nach der hergeleiteten Auslegung des § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz VwVG NRW kommt vorliegend eine Beitreibung des Zwangsgeldes mangels einer Wiederholungsgefahr nicht mehr in Betracht. Der Kläger hat zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass er die Nutzung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss auf dem Grundstück G. Straße 328 als Wettbüro endgültig aufgegeben hat. Zum einen hat er bereits im Verwaltungsverfahren eine Gewerbeabmeldung vorgelegt. Zum anderen hat die Beklagte selbst im Rahmen einer Ortskontrolle festgestellt, dass der Betrieb abgewickelt wurde. Hinzu kommt, dass Anhaltspunkte für eine Wiederholungsgefahr nach Aktenlage nicht vorliegen. Dies wird auch bestätigt durch die Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass das Wettbüro nicht wiedereröffnet werden solle.
90Für die Frage der besonderen Härte, vgl. § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz a. E. in Verbindung mit § 26 VwVG NRW verbleibt damit kein Raum, da die Beitreibung bereits unverhältnismäßig ist. Der neben der Frage der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigende § 60 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz a. E. VwVG NRW ist nach dem Wortlaut des § 26 VwVG NRW auf ganz besondere Umstände des Einzelfalles beschränkt, die die Kammer hier jedoch nicht zu erkennen vermag.
91Da die Klage bereits mit dem Hauptantrag Erfolg hat, braucht die Kammer über die Hilfsanträge nicht zu entscheiden.
92Die Kostenentscheidung beruht, soweit über den Hauptantrag entschieden worden ist, auf § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, hat der Kläger nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erledigung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen, da gegen die Zwangsgeldandrohung in dem Bescheid vom 5. August 2014 mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt noch nicht befolgte Grundverfügung keine rechtlichen Bedenken bestehen. Aufgrund des Unterliegens des Klägers insoweit ergibt sich die Kostenquotelung je zur Hälfte.
93Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
94Die Zulassung der Berufung beruht gem. § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO auf der Abweichung des Urteils von der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
95vgl. zuletzt: OVG NRW, Beschluss vom 2. Juni 2010 – 13 B 191/10 –, juris.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 13. Aug. 2015 - 5 K 4117/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 20.100,00 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
3Aus den innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegten Gründen ergeben sich weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder ihre grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) oder eine Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, auf der das Urteil beruht (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
4Stützt der Rechtsmittelführer seinen Zulassungsantrag auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts auseinandersetzen. Dabei muss er den tragenden Rechtssatz oder die Feststellungen tatsächlicher Art bezeichnen, die er mit seinem Antrag angreifen will, und mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellen. Daran fehlt es hier.
5Der Kläger begehrt die Aufhebung einer Ordnungsverfügung der Beklagten vom 25. Juni 2012, mit der ihm die Nutzung der im Erdgeschoss des Gebäudes G. Straße 328 in F. gelegenen Räume (im Folgenden: Räume) zur Vermittlung von Wetten untersagt worden ist. Er wendet sich in erster Linie gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach er für die Nutzung der Räume verantwortlich und damit als Störer der richtige Adressat der Ordnungsverfügung sei. Diese Auffassung lasse außer Acht, dass in den Räumen eine gewerbliche Wettannahmestelle auf die K. GmbH angemeldet sei, die als Betreiberin und Mieterin die tatsächliche Gewalt über die Räume ausgeübt habe und ausübe und bereits im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung alleinige Handlungsstörerin gewesen sei. Die Beklagte habe allein auf Grund der Angaben in dem von ihm gestellten Bauantrag nicht davon ausgehen dürfen, dass er selbst der Betreiber der Wettannahmestelle und Nutzer der Räume sei. Zur Ermittlung des richtigen Adressaten der Ordnungsverfügung hätte es genügt, einen Auszug aus dem Gewerberegister einzuholen. Da die Beklagte dies unterlassen habe, liege hinsichtlich der Störerauswahl ein Ermessensfehler vor. Nichts deute darauf hin, dass er selbst als natürliche Person im Zusammenhang mit dem Betrieb der Wettannahmestelle Handlungsstörer sein könnte. Vielmehr sei allein die K. GmbH für die beanstandete formell illegale Nutzung der Räume verantwortlich. Sein eigenes Handeln als Geschäftsführer sei der K. GmbH zwar zuzurechnen, doch sei er in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der K. GmbH zu keiner Zeit in Anspruch genommen worden. Es sei auch nicht im Interesse einer effektiven Gefahrenabwehr erforderlich und geboten gewesen, gegen ihn persönlich vorzugehen. Darüber hinaus werde in den Räumen kein Wettbüro, sondern eine Wettannahmestelle betrieben. Eine solche Wettannahmestelle, die ihre Besucher nicht zum Verweilen einlade, gehöre zu den im reinen Wohngebiet zulässigen Läden. Eine pauschale Untersagung einer „Wettvermittlung“ sei daher nicht zulässig. Insoweit liege sowohl ein Bestimmtheitsmangel der Ordnungsverfügung als auch ein Ermessensfehler vor. Ferner hätte die Genehmigungsfähigkeit einer von der Sportsbar getrennt betriebenen Wettannahmestelle berücksichtigt werden müssen.
6Dieser Vortrag begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung.
7Zur Frage der Bestimmtheit der Ordnungsverfügung im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 21. Dezember 2012 im zugehörigen Eilverfahren 10 B 1326/12 ausgeführt, dass mit der Ordnungsverfügung unzweideutig die Nutzung der gesamten Räume zur Vermittlung des Abschlusses von Wetten untersagt ist und die Beklagte zu dieser Maßnahme auf der Grundlage von § 61 Abs. 1 BauO NRW auch berechtigt gewesen sei. Jedenfalls ein Teil der Räume, die im Verhältnis zu der übrigen Nutzfläche keine selbständige Nutzungseinheit darstellten, würden für ein Wettbüro genutzt. Daran hält der Senat mit Blick auf die in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Lichtbilder vom 11. April 2012 (Blatt 2 bis 9 der Beiakte Heft 1), auf denen auch Sitzgruppen abgelichtet sind, weiterhin fest. An diesen tatsächlichen Verhältnissen hat sich offenbar – ohne dass es für die Entscheidung darauf ankäme – auch in der Folgezeit nichts geändert, da ausweislich eines Vermerks der Beklagten in den Verwaltungsvorgängen vom 16. Januar 2013 anlässlich einer am Vortag durchgeführten Kontrolle festgestellt worden sei, dass in den Räumen weiterhin ein Wettbüro ohne räumliche Trennung von der Sportsbar betrieben werde. Die vorhandenen Schiebeelemente zwischen den als Wettbüro und als Sportsbar genutzten Bereichen genügen aus baurechtlicher Sicht zur Aufteilung der Räume in verschiedene selbstständige Nutzungseinheiten nicht.
8Der Kläger durfte auch als Störer im ordnungsrechtlichen Sinne zur Beendigung des festgestellten baurechtswidrigen Zustandes in Anspruch genommen werden. Die Störereigenschaft des Ordnungspflichtigen gehört zu den Eingriffsvoraussetzungen des § 61 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW, sodass auch insoweit für die gerichtliche Prüfung der Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung maßgeblich ist. Zwar hat der Kläger nach dem Beschluss des Senates vom 21. Dezember 2012 Unterlagen vorgelegt, die die Stellung der K. GmbH als Mieterin der Räume und als Arbeitgeberin für das dort beschäftigte Personal und damit ihre bauordnungsrechtliche Verantwortlichkeit für die formell illegale Nutzung der Räume belegen. Jedoch befreit der Umstand, dass das Handeln des Klägers der K. GmbH als Handeln ihres Geschäftsführers zugerechnet werden kann, den Kläger selbst nicht von seiner Verantwortlichkeit für sein eigenes bauordnungsrechtlich relevantes Tun. Ob sich insoweit eine Störereigenschaft – wie vom Verwaltungsgericht vorrangig angenommen – bereits daraus ergibt, dass der Kläger persönlich die Betriebsabläufe des Wettbüros zentral und umfassend gesteuert und als für die Betriebsabläufe Verantwortlicher auch die Sachherrschaftsgewalt über die Räume innegehabt hat,
9vgl. zur Verantwortlichkeit einer für eine juristische Person verantwortlich tätigen natürlichen Person neben der juristischen Person OVG NRW, Urteil vom 21. November 2012 – 16 A 85/09 – sowie Beschluss vom 26. März 2007 – 20 B 61/07 –, juris,
10kann offen bleiben. Denn auch derjenige muss sich nach ordnungsrechtlichem Verständnis als Ordnungspflichtiger behandeln lassen, der nach außen als Bauherr auftritt und sich aus Sicht der Bauaufsichtsbehörde auch so benimmt.Im Bauordnungsrecht gelten die im Polizei- und Ordnungsrecht zum so genannten Anscheinsstörer entwickelten Grundsätze ebenfalls.
11Vgl OVG NRW, Beschluss vom 26. Februar 2013 – 2 A 1674/10 –; OVG des Saarlandes, Beschluss vom 2. Juli 2012 – 2 A 446/11 –; VG München, Urteil vom 28. Mai 1996 – M 1 K 94.3966 –, juris.
12Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger von der Beklagten zu Recht durch das an ihn gerichtete Nutzungsverbot als Ordnungspflichtiger in Anspruch genommen. Davon ist auch das Verwaltungsgericht unter anderem ausgegangen. Mit dieser rechtlichen Wertung setzt sich das Zulassungsvorbringen nicht durchgreifend auseinander. Vielmehr tragen die Prozessbevollmächtigten des Klägers selbst vor, dass sie ebenso wie die Beklagte bis zum Beschwerdeverfahren 10 B 1326/12 keine Kenntnis von der Existenz der K. GmbH gehabt hätten. Aus Sicht der Beklagten sprachen im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung am 25. Juni 2012 alle äußeren Umstände dafür, dass der Kläger selbst die ungenehmigte Nutzung der Räume zu verantworten hatte. So hatte der Kläger in dem gegen ihn eingeleiteten bauaufsichtlichen Ordnungsverfahren zu keinem Zeitpunkt die K. GmbH als Betreiberin eines mit der ungenehmigten Nutzung der Räume in Verbindung zu bringenden Gewerbes oder als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt über diese Räume benannt oder überhaupt einen Hinweis auf eine juristische Person gegeben, für die er handele. Er hat vielmehr mit dem im eigenen Namen gestellten Bauantrag zur Legalisierung der ungenehmigten Nutzung der Räume, mit seinem Verhalten in dem gegen ihn wegen der ungenehmigten Nutzung der Räume betriebenen Ordnungswidrigkeitenverfahren und anlässlich der behördlichen Kontrollen vor Ort, mit seinen Reaktionen auf das im bauaufsichtlichen Ordnungsverfahren an ihn als natürliche Person gerichtete Anhörungsschreiben sowie mit der Bevollmächtigung seiner Prozessbevollmächtigten im eigenen Namen gegenüber der Beklagten den Anschein erweckt, selbst verantwortlicher Betreiber des Wettbüros zu sein, und zugleich die tatsächlichen Betriebsverhältnisse verschleiert. Die Beklagte durfte daher im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung mangels irgendwelcher Anhaltspunkte für die Existenz eines für die ungenehmigte Nutzung der Räume eigentlich verantwortlichen Dritten, davon ausgehen, dass der Kläger persönlich tatsächlich und rechtlich in der Lage sein werde, dem ihm gegenüber ausgesprochenen Nutzungsverbot Folge zu leisten und so den mit der ungenehmigten Nutzung der Räume bestehenden baurechtswidrigen Zustand zu beenden.
13Die Beklagte hat auch nicht ermessensfehlerhaft gehandelt, indem sie den Kläger als Anscheinsstörer in Anspruch genommen hat. Die Nichtberücksichtigung der K. GmbH kann ihr nicht zum Vorwurf gemacht werden. Denn sie war entgegen der Ansicht des Klägers nicht nach § 24 Abs. 1 VwVfG NRW verpflichtet, weitere Ermittlungen in Bezug auf den für die festgestellte illegale Nutzung der Räume Verantwortlichen anzustellen. Soweit der Kläger meint, die Beklagte sei im Vorfeld der Störerauswahl zur Einsichtnahme in das städtische Gewerberegister verpflichtet gewesen, um dort gegebenenfalls Informationen über den verantwortlichen Nutzer aufzufinden, überspannt er die Anforderungen, die an eine behördliche Sachverhaltsaufklärung zu stellen sind. Deren Umfang bestimmt sich maßgeblich nach den konkreten Umständen des Einzelfalles und korreliert mit der Mitwirkungspflicht der Beteiligten aus § 26 Abs. 2 VwVfG NRW.
14Allerdings ist es im Rahmen des in § 24 Abs. 1 VwVfG NRW verankerten Untersuchungsgrundsatzes grundsätzlich Sache der Behörde, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt im Verwaltungsverfahren zu ermitteln und festzustellen,
15vgl. OVG NRW; Urteil vom 18. Februar 2010
16– 10 A 1013/08 –, juris,
17wobei Art und Umfang der Ermittlungen im Verantwortungsbereich der Behörde liegen und von den formellen und materiellen Voraussetzungen der von der Behörde beabsichtigten Entscheidung abhängen. Sie muss die entscheidungserheblichen Tatsachen und Umstände soweit aufklären, dass die Voraussetzungen für den Abschluss des Verwaltungsverfahrens zu ihrer Überzeugung vorliegen.
18Gegen diese Grundsätze hat die Beklagte jedoch nicht verstoßen. Denn die behördliche Aufklärungspflicht findet dort ihre Grenzen, wo ein Beteiligter oder sein Vertreter zu Fragen Aufklärung geben kann, dies aber unterlässt, obwohl ihm die Bedeutung für das Verfahren bewusst sein muss und die Aufklärung von ihm erwartet werden kann, weil sie ihm zumutbar ist. Diese Mitwirkungsobliegenheit erstreckt sich insbesondere auf solche Tatsachen, die für den Betroffenen günstig sind und die die Behörde nicht ohne weiteres festzustellen vermag.
19Vgl. Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage, § 24 Rn. 28; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 24 Rn. 12f, jeweils mit weiteren Nachweisen.
20Die Beklagte hatte hier nach den oben beschriebenen Umständen keine Veranlassung, an der Verantwortlichkeit des Klägers für die ungenehmigte Nutzung der Räume zu zweifeln. Für diesen war auch klar erkennbar, dass die Beklagte ihn aufgrund dieser Umstände persönlich für den allein Verantwortlichen hielt und beabsichtigte mit den Mitteln des Bauordnungsrechts gegen ihn vorzugehen. In dieser Situation oblag es dem Kläger, die gegen seine bauordnungsrechtliche Inanspruchnahme sprechenden, für ihn günstigen Tatsachen offenzulegen, statt die Beklagte in ihrem durch sein eigenes Verhalten hervorgerufenen Irrtum zu belassen oder diesen sogar noch zu verstärken.
21Die Inanspruchnahme des Klägers war auch nicht wegen etwaiger entgegenstehender Rechte Dritter – der K. GmbH – ausgeschlossen. Denn mit der Nutzungsuntersagungsverfügung wird von ihm nichts rechtlich Unmögliches verlangt. Als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der K. GmbH ist der Kläger auch privatrechtlich zur Aufgabe der ungenehmigten Nutzung der Räume ohne Weiteres in der Lage. Sollten gleichwohl bei der Vollstreckung der Ordnungsverfügung Maßnahmen gegen die K. GmbH erforderlich werden, ließen sich diese nachholen. Für die Rechtmäßigkeit der Ordnungsverfügung ist dies ohne Bedeutung.
22Angesichts dessen, dass der Kläger mit der auf die Räume bezogenen Bauvoranfrage vom 9. Februar 2012 lediglich eine Nutzungsänderung von „Ladenlokal in eine Sportsbar (Gastronomie)“ gestellt hat, liegen seine Ausführungen zur vermeintlichen Genehmigungsfähigkeit der untersagten Nutzung der Räume als Wettbüro und dem daraus angeblich folgenden Ermessensfehler erkennbar neben der Sache. Der Senat hat bereits in dem oben erwähnten Beschluss im zugehörigen Eilverfahren ausgeführt, dass die Nutzungsuntersagung mit Blick auf die mögliche Genehmigungsfähigkeit der untersagten Nutzung nur dann ermessensfehlerhaft wäre, wenn für die Nutzung ein bescheidungsfähiger Bauantrag vorläge und dieser aus Sicht der Beklagten genehmigungsfähig wäre.
23Die Rechtssache weist auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe des Klägers gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in diesem Sinne offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens nicht feststellen, denn der Kläger hat – wie oben ausgeführt – die Richtigkeit des Urteils nicht ernsthaft in Frage gestellt.
24Die Berufung ist auch nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes ist die Rechtsfrage, auf deren Beantwortung es nach Auffassung des Rechtsmittelführers ankommen soll, auszuformulieren und substantiiert darzulegen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus beigemessen wird. Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen zur behaupteten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht gerecht.
25Es ist nicht ersichtlich, dass sich die aufgeworfene Frage,
26ob ein alleiniger Geschäftsführer einer GmbH alternativ zur GmbH als Störer in Anspruch genommen werden darf,
27in einem möglichen Berufungsverfahren stellen würde. Der zum Beleg der grundsätzlichen Bedeutung dieser Rechtsfrage angeführte Beschluss des OVG Berlin-Brandenburg vom 5. Februar 2009 – 1 S 22.08 – betrifft eine andere Fallkonstellation.
28Die weitere Frage,
29wie weit die Aufklärungspflicht einer Behörde geht,
30ist einer allgemeingültigen Klärung nicht zugänglich, sondern kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles beantwortet werden.
31Auch der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist nicht gegeben. Insoweit wäre es notwendig darzulegen, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift von einem in dem in Bezug genommenen Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2012 im zugehörigen Eilverfahren 10 B 1326/12 aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abweicht. Dem genügen die Ausführungen in der Zulassungsschrift nicht. Sie zeigen keine divergierenden abstrakten Rechtssätze in den angesprochenen Entscheidungen auf.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
33Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
34Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Sätze 1 und 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
35Mit der Ablehnung des Zulassungsantrages ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.
Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.
(1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).
(2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird.
(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.
(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.
(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 15. Mai 2013 wird das angefochtene Urteil geändert.
Es wird festgestellt, dass die Bescheide des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 20. Mai 2011 und 7. Mai 2012 rechtswidrig gewesen sind und das beklagte Land verpflichtet gewesen ist, die Schonzeit für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse sowie Gössel dieser Wildarten im Eigenjagdbezirk X. vom 15. April 2011 bis 15. Juli 2011 und im Eigenjagdbezirk X. sowie in den gemeinschaftlichen Jagdbezirken S. -C. und S. -W. /P. vom 1. April 2012 bis zum 15. Juli 2012 aufzuheben.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger ist Eigentümer eines landwirtschaftlichen Betriebs im Kreis X1. mit einem Eigenlandanteil von 106,73 ha. Die Gesamtfläche setzt sich wie folgt zusammen: 64,61 ha landwirtschaftliche Nutzfläche mit 0,99 ha Grünland, 38,20 ha Wasserfläche (Auskiesungsflächen, Baggerseen) und 3,92 ha Waldfläche. Der Kläger baut im Rahmen der konventionell betriebenen Landwirtschaft vornehmlich Weizen, Raps, Gerste und Körnermais an. Der Grundbesitz des Klägers bildet den Eigenjagdbezirk „X. “, der außerhalb eines FFH- oder EU-Vogelschutzgebiets und innerhalb des Schongebietes „V. O. “ (§ 3 Nr. 6 der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Jagdzeiten und die Jagdabgabe) liegt. Innerhalb dieses Gebiets ist die Jagd auf Grau-, Kanada- und Nilgänse nur in der Zeit vom 16. Juli bis 14. Oktober zulässig. Der Kläger hat das Jagdausübungsrecht in dem Jagdbezirk im Jahr 2000 für dreißig Jahre verpachtet.
3Mit Schreiben vom 12. April 2011, das nachrichtlich an den Landesbetrieb Wald und Holz NRW gesandt wurde, beantragte er beim Kreis X1. als unterer Jagdbehörde die Aufhebung der Schonzeit für nicht brütende Grau-, Kanada- und Nilgänse sowie Gössel im Bereich seines Eigenjagdbezirks. Er führte u.a. aus, er stelle den Antrag zum Schutz seines Getreides, der Rapskulturen und der Weidenutzung. Bereits durch arktische Wildgänse geschädigte Kulturen hätten umgebrochen werden müssen. Die Sommerneueinsaat sei wiederum erheblich durch eingebürgerte heimische Gänse geschädigt.
4Den Antrag leitete der Kreis X1. am 27. April 2011 zusammen mit Schonzeitaufhebungsanträgen anderer Landwirte an den Landesbetrieb Wald und Holz NRW weiter. In dem Anschreiben ist ausgeführt, die untere Landschaftsbehörde habe konstatiert, Natur- und Vogelschutzgebiete seien entweder gar nicht oder allenfalls so marginal betroffen, dass besondere Maßnahmen nicht erforderlich schienen. Beigefügt war eine an einen anderen Antragsteller gerichtete Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Außenstelle X1. , vom 9. Juli 2010, in der durch die Gänse verursachte Fraß- und Verkotungsschäden beschrieben werden, sowie eine Stellungnahme des Kreisjagdberaters I. H. vom 11. April 2011. Dieser erläuterte, dass trotz gesteigerter Jagdbemühungen übermäßige Wildschäden durch die Gänse nicht verhindert werden könnten. Er sprach sich für die Schonzeitaufhebung aus.
5Mit Bescheid vom 20. Mai 2011 lehnte der Landesbetrieb Wald und Holz NRW den Antrag des Klägers im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die reguläre Jagdzeit für die vom Antrag umfassten Gänsearten seit 2010 erheblich ausgeweitet worden sei und diese Zeit für die Reduzierung des Gänsebestands grundsätzlich ausreichend sein müsse.
6Mit ebenfalls nachrichtlich an den Landesbetrieb Wald und Holz NRW gesandten Schreiben vom 28. März 2012 beantragte der Kläger erneut beim Kreis X1. die Schonzeitaufhebung für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse und Gössel für die Zeit vom 1. April bis 15. Juli 2012 sowohl für den Eigenjagdbezirk X. als auch für die Pachtflächen im gemeinschaftlichen JagdbezirkC. -W. .
7Laut eines Telefonvermerks befürwortete die untere Landschaftsbehörde gegenüber dem Kreis X1. eine Schonzeitaufhebung ab dem 15. Juni. Der Kreisjagdberater I. H. nahm mit Schreiben vom 10. April 2012 Stellung. Darin führte er aus, dass sich die Gänsepopulation am Niederrhein seit 2011 nicht wesentlich verändert habe. Als Kreisjagdberater könne er nur bestätigen, dass die im Antrag geschilderte Gänsepopulation und Schadenssituation gegeben sei. Er halte die beantragte Schonzeitaufhebung für dringend erforderlich, um die Landwirte vor hohen Wildschäden durch Wildgänse zu bewahren. Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Kreisstelle X1. , bestätigte in ihrer Stellungnahme vom 19. April 2012, dass die landwirtschaftlichen Nutzflächen ‑ seit Jahren mit steigender Tendenz ‑ von Grau-, Kanada- und Nilgänsen beäst würden. Dabei seien Fraß- und Trittschäden bis zum Totalschaden festzustellen. Eine Schonzeitaufhebung für Junggänse werde aus landwirtschaftlicher Sicht befürwortet.
8Mit Bescheid vom 7. Mai 2012 lehnte der Landesbetrieb Wald und Holz NRW auch diesen Antrag des Klägers ab. Die Begründung entsprach im Wesentlichen der des Bescheids vom 20. Mai 2011.
9Der Kläger hat am 20. Juni 2011 Klage gegen den Bescheid des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 20. Mai 2011 erhoben und am 4. Juni 2012 Klage gegen den Bescheid des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 7. Mai 2012 (VG Düsseldorf 15 K 4295/12) erhoben. Beide Verfahren sind vom Verwaltungsgericht verbunden worden. Zur Begründung seines zunächst als Verpflichtungsklage, später als Fortsetzungsfeststellungklage verfolgten Begehrens hat der Kläger Folgendes vorgetragen:
10Er habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, dass die Bescheide des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 20. Mai 2011 und vom 7. Mai 2012 rechtswidrig gewesen seien und das beklagte Land verpflichtet gewesen sei, die Schonzeit antragsgemäß aufzuheben. Das Feststellungsinteresse ergebe sich aus der Wiederholungsgefahr, da er auch in den kommenden Jahren zwischen Anfang Mai und Mitte Juli eine Bejagung von nicht brütenden Grau-, Nil- und Kanadagänsen sowie von Gösseln dieser Wildart in seinem Eigenjagdbezirk zur Verhütung übermäßiger Wildschäden durchführen lassen und für diesen Fall die Verpflichtung des beklagten Landes zur Erteilung der Genehmigung festgestellt wissen wolle. Darüber hinaus bestehe das Feststellungsinteresse darin, dass er wegen der rechtswidrigen Verweigerung der beantragten Schonzeitaufhebung Schadensersatzansprüche geltend zu machen gedenke. Sein Feststellungsantrag sei auch begründet, da er einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der beantragten Schonzeitaufhebung gehabt habe. Die Graugänse hätten sich im Bereich des Niederrheins explosionsartig vermehrt. Nach realistischer Einschätzung belaufe sich der Bestand an Grau-, Kanada- und Nilgänsen im Bereich „V. O. “ derzeit auf ca. 6.000 bis 10.000 Exemplare. Die jährliche Reproduktionsrate liege bei ca. 300 % des Frühjahresbestandes. Wegen der auf der Grundbesitzung des Klägers befindlichen Wasserflächen und der zahlreichen benachbarten Seen sei es auf seinen landwirtschaftlichen Flächen in den letzten Jahren zu einem massiven, inzwischen existenzgefährdenden Anstieg der Gänseschäden insbesondere auf den Getreideschlägen gekommen. Noch im Jahr 2010 habe die obere Jagdbehörde eine Schonzeitaufhebung für Grau- und Nilgänse für die Zeit vom 20. Juni bis 15. Juli 2010 verfügt. Die Genehmigung sei zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden an Getreide, Raps und Mais erteilt worden. Die obere Jagdbehörde habe die Schonzeitaufhebung als notwendig angesehen, um erhebliche Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen abzuwenden, weil es keine andere zufriedenstellende Lösung und insbesondere keine wirksamen Abwehrmaßnahmen gegeben habe.
11Wegen der zunehmenden Gänseschäden auf seinen landwirtschaftlichen Nutzflächen habe er, der Kläger, auf den besonders gefährdeten, in Gewässernähe gelegenen Ackerflächen teils allein und teils in Zusammenarbeit mit dem Jagdpächter seines Eigenjagdbezirks umfangreiche Vergrämungsmaßnahmen unternommen. Hierzu gehörten u. a. die Abgabe von Vergrämungsschüssen mit Schreckschuss, das Aufstellen von Vogelscheuchen, das Aufstellen von Fuchsattrappen, die Installierung einer Greifvogelattrappe an einer ca. 8 m langen Antenne, Verscheuchungsmaßnahmen mit Jagdhunden. All diese Vergrämungsmaßnahmen seien ohne nachhaltige Wirkung geblieben, da sich bei den Gänsen Gewöhnungseffekte einstellten. Deshalb habe er seinen Jagdpächter zu einer verstärkten besonders intensiven Bejagung der Sommergänse insbesondere auf und an den gefährdeten Flächen angehalten. Wegen der zeitlich extrem einschränkten Bejagungsmöglichkeiten habe der Jagdpächter jedoch trotz aller Bemühungen in den hier in Rede stehenden Grundstücksbereichen im zurückliegenden Jagdjahr 2010/2011 lediglich 38 Gänse erlegen können.
12Wie sich aus der gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. agr. X2. , von der Landwirtschaftskammer NRW bestellter und vereidigter Sachverständiger, vom 8. Juni 2011 ergebe, sei es auf seinen, des Klägers, landwirtschaftlichen Flächen zu übermäßigen Wildschäden gekommen. Allein bis zum 6. Juni 2011 sei bereits ein Ertragsausfallschaden in Höhe von 7.717,20 Euro zu verzeichnen gewesen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei ohne Änderung der Bejagungszeiten in diesem Jahr mit einem Totalausfall zu rechnen gewesen. Dieser belaufe sich auf der Gesamtfläche von 9,3 ha auf 11.160 Euro. Diese Gesamtfläche umfasse rund 15 % seiner, des Klägers, landwirtschaftlicher Betriebsfläche. Ein solcher Schaden sei für einen mittelgroßen landwirtschaftlichen Familienbetrieb wie seinem durchaus existenzgefährdend, insbesondere deshalb, weil die Schäden auch in den folgenden Jahren in diesem oder größerem Umfang drohten. Dabei sei zu berücksichtigen, dass Wildschäden, die durch Gänse verursacht würden, nicht der gesetzlichen Wildschadenshaftung gemäß § 29 Abs. 1 des Bundesjagdgesetzes (BJagdG) unterfielen. Er, der Kläger, habe eine Wildschadenshaftung auch nicht in dem im Jahr 2000 für dreißig Jahre abgeschlossenen Jagdpachtvertrag vereinbart. Damals habe es keine Wildschäden durch heimische Sommergänse in seinem Eigenjagdbezirk gegeben. Angesichts der damals fehlenden bzw. geringen Jagdzeit für Gänse hätte sich der Jagdpächter auf eine derartige Haftungsübernahme auch nicht eingelassen. Einen Anspruch auf Anpassung des laufenden Jagdpachtvertrags könne er, der Kläger, angesichts der Höhe des jährlich durch Sommergänse verursachten Schadens, der die Höhe der Jagdpacht deutlich übersteige, gegenüber dem Jagdpächter nicht durchsetzen.
13Eine andere zufriedenstellende Lösung als die Schonzeitverkürzung gebe es im vorliegenden Fall nicht. Es gehe bei der Erlegung von Gänsen während der Jagdzeit nicht nur darum, eine effektive Bestandsreduzierung herbeizuführen und auf diese Weise weitere, erhebliche Wildschäden zu vermeiden. Vielmehr bewirke jeder einzelne Abschuss einer Gans in der Schonzeit auch einen erheblichen Vergrämungseffekt. Fachleute sprächen in diesem Zusammenhang von „letaler Vergrämung“. Dahinter verberge sich die bei Jägern schon lange vorhandene Erkenntnis, dass viele im Familienverband lebende Wildtiere auf die Tötung von einzelnen Individuen, insbesondere von Familienmitgliedern, besonders sensibel reagierten. Machten diese Tiere wiederholt entsprechende negative Erfahrungen, dann veranlasse sie dies zu einem dauerhaften Wechsel ihrer Äsungs- und Einstandsflächen. Dieser letale Vergrämungseffekt sei bei den heimischen Gänsearten besonders ausgeprägt.
14Von ihm, dem Kläger, durchgeführte Abwehr- und Vertreibungsmaßnahmen seien durchweg sehr kostspielig und zeitaufwendig gewesen. Sie hätten jedoch keinen nachhaltigen Vergrämungseffekt gehabt. Eine Umzäunung der Schadensflächen, wie sie von der oberen Jagdbehörde in den angefochtenen Bescheiden in den Raum gestellt worden sei, würde nach einer Schätzung jährlich etwa 10.000 bis 13.860 Euro an Kosten verursachen. Ein solcher Kostenaufwand sei absolut unwirtschaftlich, da er höher wäre als der drohende Totalausfall der Ernte. Überdies sei der Abwehreffekt einer Feldumzäunung begrenzt auf noch flugunfähige Gössel.
15Aus Tierschutzgründen sei nur eine Schonzeitaufhebung für nicht brütende Gänse und Gössel beantragt worden. Elterntiere ließen sich hervorragend von den Jungtieren unterscheiden, so dass Verwechslungen ausgeschlossen seien. Gleiches gelte für die Unterscheidung von brütenden und nicht brütenden Gänsen wegen der räumlichen Trennung und wegen des Territorialverhaltens der brütenden Gänse.
16Eine Schonzeitaufhebung sei grundsätzlich geeignet, übermäßige Wildschäden zu vermeiden. Davon gehe der Gesetzgeber aus, indem er diese Möglichkeit in § 24 des Landesjagdgesetzes NRW geschaffen und damit auch der bundesgesetzlichen Vorgabe in § 22 Abs. 1 BJagdG entsprochen und den ihm eingeräumten Handlungsrahmen des Art. 9 Abs. 1a der EU-Vogelschutzrichtlinie eingehalten habe.
17Der Kläger hat beantragt
18festzustellen, dass die Bescheide des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 20. Mai 2011 und 7. Mai 2012 rechtswidrig gewesen sind und das beklagte Land verpflichtet gewesen ist, die Schonzeit für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse sowie Gössel dieser Wildarten im Eigenjagdbezirk X. vom 15. April 2011 bis 15. Juli 2011 und im Eigenjagdbezirk X. sowie in den gemeinschaftlichen Jagdbezirken S. -C. und S. -W. /P. vom 1. April 2012 bis zum 15. Juli 2012 durch den Landesbetrieb aufheben zu lassen.
19Das beklagte Land hat beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Zur Begründung hat es im Wesentlichen vorgetragen, dass Nordrhein-Westfalen im Vergleich zu anderen Bundesländern die längste Jagdzeit bezüglich der Gänse aufweise. Seit Jahren sei im Kreis X1. in fast 60 Revieren die Schonzeit für Jungtiere von Graugänsen (im Jahr 2010 auch von Nilgänsen) vom 20. Juni bis zum Beginn der regulären Jagdzeit aufgehoben worden. Seit 2011 werde die Schonzeit aufgrund der seit 2010 verlängerten regulären Jagdzeit nicht mehr von Amts wegen aufgehoben. Anträge würden im Einzelfall geprüft.
22Beim Kläger liege kein übermäßiger Wildschaden vor. Bei dem Schaden an einer Kultur müsse es sich um einen existentiellen Schaden für den landwirtschaftlichen Betrieb handeln. Im Übrigen habe der Kläger die Möglichkeit gehabt, im Jagdpachtvertrag zu vereinbaren, dass der Jagdpächter auch für von Sommergänsen verursachte Schäden hafte. Die Graugansproblematik habe bereits im Jahr 2000 bestanden.
23Als Alternativmaßnahme zur Schonzeitverkürzung komme insbesondere ein Gänsezaun in Betracht. Dieser würde rund zwei Drittel der Population von der in Gewässernähe liegenden gefährdeten Kultur vorübergehend fernhalten. Die Gänse, die am benachbarten Gewässer brüteten, führten ihre Jungen auf möglichst nahe gelegene Nahrungsflächen. Solange die Jungen noch nicht flügge und die Altvögel in der Mauser seien, könne die Errichtung eines Zauns zur Vermeidung eines übermäßigen Schadens ausreichen. Ein mobiler Geflügelzaun aus Knotennetz sei eine wesentlich günstigere und praktikablere Zaunvariante als der vom Kläger in seine Kostenschätzung eingestellte Forstkulturzaun. Im Landhandel würden 25-Meter-Netzelemente inklusive Kunststoffpfählen und Erdanker zu Preisen von 75 € angeboten. Die vom Kläger veranschlagte Zaunlänge von 2.000 m sei zu prüfen.
24Ein Vergrämungseffekt durch die letale Vergrämung werde bestritten.
25Eine Schonzeitaufhebung sei aber auch deshalb nicht erforderlich, weil eine intensivere Bejagung innerhalb der regulären Jagdzeit möglich sei. Es könne z.B. die sog. Gänseliege auf für Wildgänsen attraktiven Flächen, über die der Kläger unstreitig verfüge, eingesetzt werden. Mit dieser effizienten Jagdmethode könnten tierschutzgerecht innerhalb eines Tages bereits so viele Gänse erlegt werden, wie im Jagdbezirk des Klägers im gesamten Jagdjahr 2009/2010 erlegt worden seien. Bei der Bejagung der Gänse in der Zeit von April bis Mitte Juli könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch Elterntiere erlegt würden, auch wenn von den Gänsen eine gewisse räumliche Trennung zwischen brütenden und nicht brütenden Gänsen eingehalten werde.
26Mit Urteil vom 15. Mai 2013 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei unzulässig, soweit sie sich auf die Aufhebung der Schonzeit im gemeinschaftlichen Jagdbezirk S. -W. /P. in der Zeit vom 1. April 2012 bis 15. Juli 2012 beziehe, und im Übrigen unbegründet. Es könne offen bleiben, ob dem Kläger übermäßige Wildschäden im Sinne der Anspruchsnormen gedroht hätten. Denn der Kläger habe weder substantiiert dargetan noch sei sonst ersichtlich, dass sich mit Hilfe der begehrten Schonzeitaufhebung ein etwaiger, von eingebürgerten Grau- sowie Nil- und Kanadagänsen verursachter übermäßiger Wildschaden im Jahr 2011 oder im Jahr 2012 im Sinne der Anspruchsnormen habe vermeiden lassen. Es sei schon nicht ersichtlich, dass sich die Jagd auf die von den Anträgen umfassten Tiere ohne Gefährdung der Elterntiere ausüben lasse. Zudem bestünden – den Klageerfolg ausschließende – Zweifel daran, dass die Jagdbemühungen in den Vorjahren ausreichend gewesen seien.
27Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung wendet sich der Kläger gegen das Urteil:
28Die Klage sei insgesamt zulässig gewesen und zwar auch, soweit sie sich auf die Aufhebung der Schonzeit im gemeinschaftlichen Jagdbezirk S. -W. /P. bezogen habe. Er, der Kläger, habe seinen Antrag auf Schonzeitaufhebung im Jahr 2012 auch im Hinblick auf den gemeinschaftlichen Jagdbezirk C. -W. gestellt. Einen solchen gemeinschaftlichen Jagdbezirk gebe es aber nicht. Das beklagte Land habe seinen Schonzeitaufhebungsantrag vom 28. März 2012 dementsprechend folgerichtig und zutreffend dahingehend ausgelegt, dass er die gemeinschaftlichen Jagdbezirke S. -W. /P. und S. -C. umfasse.
29Die Klage richte sich auch nach der am 12. April 2014 in Kraft getretenen Änderung des Landesjagdgesetzes NRW, nach der nunmehr die untere Jagdbehörde, hier der Kreis X1. , für Schonzeitaufhebungen zuständig sei, gegen das beklagte Land, vertreten durch den Landesbetrieb Wald und Holz NRW. Streitgegenständlich seien allein die Schonzeitaufhebungsanträge aus den Jahren 2011 und 2012. Es handele sich um einen historisch abgeschlossenen Vorgang. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren diene u.a. dazu, die amtspflichtwidrige Antragsversagung durch das beklagte Land gerichtlich feststellen zu lassen, um neben der Verhinderung künftiger gleichartiger Entscheidungen die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen vorzubereiten.
30Bei der beantragten Schonzeitverkürzung gehe es nicht vorrangig um eine Bestandsreduzierung außerhalb der regulären Jagdzeit, sondern um eine Schadensverhütung durch die Vergrämung der Tiere. Der von allen Jagdexperten eindeutig bejahte und auch vom Vertreter der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung NRW in erster Instanz durchaus eingeräumte letale Vergrämungseffekt stehe eindeutig im Vordergrund. Hinsichtlich der Populationsdynamik falle bei mehreren 10.000 Individuen der Abschuss einiger weniger Exemplare nicht spürbar ins Gewicht, allerdings signalisiere die Maßnahme der betreffenden Wildart, dass ihr an dieser Stelle außerordentliche Gefahren drohten. Sie werde diese Fläche fortan meiden und sich auf andere Gebiete verteilen.
31Ihm, dem Kläger, drohten übermäßige Wildschäden. Auch im Jahr 2012 habe er durch Fraß-, Tritt- und Kotschäden ganz erhebliche Ertragsverluste erlitten. Nach seinen Berechnungen habe sich der Ertragsausfallschaden in dem Jahr auf 18.304,19 Euro bzw. auf 20.498,32 Euro (je nach Berechnungsart) belaufen.
32Die Schonzeitverkürzung wäre unzweifelhaft geeignet und erforderlich gewesen, die Schäden zu verhindern. Die Ackerkulturen wären zwar nicht komplett von Gänseschäden verschont geblieben. Sie wären aber auf ein solches Maß reduziert worden, dass unter Berücksichtigung der Regenerationskraft der angebauten Ackerfrüchte allenfalls ein geringfügiger, kaum messbarer Ertragsausfall dadurch eingetreten wäre.
33Der Schonzeitverkürzung stehe die Gefahr des versehentlichen Abschusses von Elterntieren nicht entgegen. Soweit sich sein Schonzeitaufhebungsantrag auf Gössel bezogen habe, seien damit die Vorjahrestiere gemeint. Die Jagd auf heimische Gänsearten müsse insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeiten aus Gründen des Elterntierschutzes selektiv erfolgen. Dabei habe sich die Jagd mit der kleinen Kugel als geeignete und effektive Jagdmethode etabliert. Die juvenilen, präadulten, noch nicht geschlechtsreifen Gänse hielten sich räumlich getrennt von den Familienverbänden auf. Es gehöre bei der Jagdausübung zu den Hauptaufgaben eines jeden Jägers, stets mit besonderer Sorgfalt Elterntiere als solche zu identifizieren. Der Aspekt menschlichen Fehlverhaltens, der nie ganz auszuschließen sei, müsse außer Ansatz bleiben. Verstöße gegen den Elterntierschutz führten nicht nur zu einer strafrechtlichen Ahndung, sondern zumeist auch zu einem Jagdscheinentzug. Im Jagdjahr 2013/2014 habe der Jagdpächter im Eigenjagdbezirk des Klägers seine Jagdbemühungen ausgeweitet und optimiert und insgesamt 94 Gänse erlegt.
34Die Schonzeitverkürzung sei auch erforderlich. Die Schäden durch die Gänse entstünden an den Ackerkulturen gerade außerhalb der regulären Jagdzeit, nämlich im Frühjahr und im Frühsommer. Zur Vermeidung dieser übermäßigen Wildschäden gebe es im wesentlichen nur zwei Lösungen, nämlich zum einen als langfristige Lösung die dramatische Reduzierung des Gänsebestands und als kurzfristige Lösung die letale Vergrämung der Gänse während der Schadensentstehungszeit an den schadensträchtigen Orten. Wegen der hohen Mobilität der Gänse und deren großflächiger Raumnutzung, aber auch wegen ihrer äußerst schwierigen Bejagbarkeit und letztlich auch wegen fehlender Gänsebejagung in den benachbarten Niederlanden, wo diese vergast würden, sei eine Absenkung des Gänsebestands am Unteren Niederrhein auf ein wildschadensverträgliches Maß mit herkömmlichen jagdlichen Mitteln vermutlich erst innerhalb eines Zeitrahmens von fünf bis zehn Jahren zu erreichen. Der von der Bejagung während der regulären Jagdzeit ausgehende Vergrämungsdruck finde zwischen dem 16. Juli und 14. Oktober statt. In dieser Zeit seien die Schäden auf den Ackerkulturen jedoch längst entstanden und die Felder zumeist bereits abgeerntet. Zwar könnten die erlegten Gänse im darauffolgenden Frühjahr keine Schäden mehr auf den Ackerkulturen anrichten, dies erledigten dafür dann andere Gänse, die im Frühjahr aus benachbarten Gebieten zuwanderten.
35Zumutbare und erfolgversprechende non-letale Vergrämungsmaßnahmen gebe es nicht. Das Vertreiben der Gänse durch „Feldhüter“ sei keine nachhaltig wirksame Maßnahme. Die Gänse merkten rasch, dass ihnen keine Gefahr drohe, so dass sie alsbald zu den Feldern zurückkehrten. Das Aufstellen eines sogenannten Gänsezauns würde Kosten für die Anschaffung und den Auf- und Abbau von rund etwa 18.800 Euro verursachen. Es sei ein Zaun mit einer Länge von ca. 4.828 m und ca. 900 Zaunpfählen erforderlich. Ein Euro-Netzzaun sei aufgrund der Labilität als Schutz gegen Wildgänse nicht geeignet. Bei großflächigem Feldschutz, wie er hier in Rede stehe, stelle eine solche Zäunung eine unzumutbare Maßnahme dar, die vor Ort auch von niemandem am Unteren Niederrhein praktiziert werde. Der Sachverständige Herr Dr. H1. habe darauf hingewiesen, dass nach seinen Erfahrungen die Nichtbrüter den größten Anteil an der Schadensverursachung hätten und ein Zaun lediglich dann ein Mittel der Wahl sein könne, wenn eine Fläche zu schützen sei, die ausschließlich von flugunfähigen Gänsen frequentiert werde. Dies sei bei seinen, des Klägers, Ackerflächen nicht der Fall.
36Der Kläger beantragt,
37unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 15. Mai 2013 nach den erstinstanzlichen Anträgen des Klägers zu entscheiden.
38Das beklagte Land beantragt,
39die Berufung zurückzuweisen.
40Einwände gegen die Zulässigkeit der Klage insgesamt gebe es nicht. Allerdings bestünden wegen der am 12. April 2014 in Kraft getretenen Änderung des Landesjagdgesetzes NRW, nach der der Landesbetrieb Wald und Holz NRW seine Zuständigkeit als obere Jagdbehörde gänzlich verloren habe, Bedenken, ob sich die Klage weiterhin gegen das beklagte Land richte.
41Aus Sicht des beklagten Landes sei die Klage unbegründet. Die Geeignetheit der Schonzeitverkürzung sei zweifelhaft. Die letale Vergrämung könne zwar hinsichtlich ihrer Wirkung stärker sein als eine non-letale Vergrämung. Der Erfolg beider sei stets davon abhängig, ob sich attraktive Nahrungsflächen in Ausweichgebieten befänden und auch, ob die Gänse dort ungestört blieben, so dass keine Anreize für ihre Rückkehr bestünden. Es lasse sich vorab nicht sicher beurteilen, ob die letale Vergrämung erhebliche Erfolge bei der Wildschadenverhütung in den begehrten Zeiträumen und in dem Gebiet erzielen werde. Insofern könnten nur Wahrscheinlichkeiten formuliert und Prognosen angestellt werden. Dass der von der Bejagung von in Großverbänden auftretenden Federwildarten ausgehende letale Vergrämungseffekt regelmäßig zu einer deutlichen Reduzierung der Gänseschäden in den Jagdbezirken mit Schonzeitverkürzungen führe, lasse sich nicht bestätigen und sei allenfalls bedingt nachweisbar. Dem beklagten Land lägen überwiegend negative Erfahrungsberichte vor. Eine nachhaltige Vergrämung der Gänse durch Bejagung habe in der Regel nicht erreicht werden können.
42Die Jagd mit der kleinen Kugel dürfte zwar eine geeignete Jagdmethode sein, um eine Gefährdung der Elterntiere zu vermeiden, sie sei aber sehr aufwendig und damit wenig effektiv. Auch verbleibe ein Restrisiko, dass Elterntiere verletzt werden könnten. Verpaarte Elterntiere und ein- bis dreijährige Junggesellen ließen sich weder anhand des Größenunterschieds noch anhand des Federkleids unterscheiden. Eine Unterscheidung lasse sich nur bei Anwendung äußerster Sorgfalt aufgrund der räumlichen Trennung vornehmen.
43Eine Schonzeitaufhebung komme nur in Betracht, wenn es keine andere zufriedenstellende Lösung gebe. Diese sei darin zu sehen, dass die reguläre Jagdzeit ausgeschöpft werde.
44Ein Zaun sei eine effektive Möglichkeit, um den von Gänsen verursachten Schaden zu verringern. Wie lang ein solcher Zaun sein müsse, um die Felder des Klägers effektiv zu schützen, könne nicht gesagt werden. Ausschlaggebend seien die Umstände des Einzelfalls wie die Lage des Zuwanderungskorridors der Gänse von dem oder den Brutgewässer(n), Gelände- und Eigentumsverhältnisse. Auch ob und wie ein Zaun in der konkreten Örtlichkeit zum Schutz der Ackerkulturen des Klägers aufzustellen sei, könne nicht mitgeteilt werden. Ein als Euro-Netz bezeichneter mobiler Geflügelzaun sei im Landhandel mit einer Länge von 50 m und einer Höhe von 112 cm pro Zaunelement zu einem Preis von 115,00 Euro pro Element (inklusive Mehrwertsteuer) zu erhalten. Ein solches Element könne von einer geübten Person in fünf bis zehn Minuten aufgestellt werden. Die Zäune seien abgesehen von einer etwaigen Reparatur wartungsfrei und könnten fünf bis zehn Jahre genutzt werden.
45Es werde bestritten, dass der Kläger die von ihm aufgezählten non-letalen Vergrämungsmaßnahmen überhaupt angewandt habe.
46Soweit der Kläger auf die im Jahr 2010 gewährte Schonzeitverkürzung verweise, werde darauf hingewiesen, dass diese nur für den Zeitraum vom 20. Juni bis 15. Juli 2010 gewährt worden sei und nicht schon ab April, wie der Kläger für die Jahre 2011 und 2012 beantragt habe.
47Die in den Jahren 2013 und 2014 gestellten Anträge des Klägers auf Verkürzung der Schonzeit für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse sowie Gössel dieser Gänsearten in der Zeit vom 1. April bis 15. Juli im Eigenjagdbezirk X. sowie in den gemeinschaftlichen Jagdbezirken S. -C. und S. -W. /P. hat der Landesbetrieb ebenfalls abgelehnt. Die dagegen vom Kläger erhobenen Klagen (VG Düsseldorf 15 K 6339/13 und 15 K 2731/14) sind jeweils durch gerichtlichen Vergleich erledigt worden, der den Erfolg des Begehrens des Klägers vom Ausgang des vorliegenden Verfahrens nach seinem rechtskräftigen Abschluss abhängig macht.
48Im Rahmen eines Erörterungstermins sind die bei der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung NRW tätigen Sachverständigen Dr. F. und Dr. H1. sowie der Jagdberater des Kreises X1. , Herr H. , vernommen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll des Erörterungstermins verwiesen.
49Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte im Verfahren VG Düsseldorf 15 K 4295/12 Bezug genommen.
50Entscheidungsgründe:
51Die Berufung des Klägers hat Erfolg.
52Seine Klage ist zulässig und begründet.
53Die Klage ist zulässig. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, mit den von seinen Anträgen umfassten Gösseln die Vorjahrestiere (und folglich nicht die Gänseküken des jeweiligen Jahres) zu meinen, handelt es sich nicht um eine teilweise Klagerücknahme (§ 92 Abs. 1 VwGO), sondern um eine bloße Klarstellung seines Begehrens.
54Die Klage, mit der der Kläger ursprünglich begehrt hat, das beklagte Land unter Aufhebung der Bescheide des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 20. Mai 2011 und 7. Mai 2012 zu verpflichten, die Schonzeit für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse sowie Gössel dieser Gänsearten im Eigenjagdbezirk X. vom 15. April 2011 bis 15. Juli 2011 sowie im Eigenjagdbezirk X. und den gemeinschaftlichen Jagdbezirken S. -C. und S. -W. /P. vom 1. April 2012 bis 15. Juli 2012 aufzuheben, ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Infolge Zeitablaufs ist hinsichtlich der Verpflichtungsbegehren Erledigung eingetreten. Das erforderliche Feststellungsinteresse folgt jedenfalls aus der Bedeutung des Ausgangs dieses Rechtsstreits für die von den Beteiligten erstinstanzlich abgeschlossenen Vergleiche, welche die vom Kläger in den Jahren 2013 und 2014 gestellten Anträge auf Schonzeitaufhebung betreffen, und aus dem Gesichtspunkt der konkreten Wiederholungsgefahr. Der Kläger hat in den Jahren 2013 und 2014 ebenfalls Anträge auf Schonzeitaufhebung beim Landesbetrieb Wald und Holz NRW gestellt, die jeweils abgelehnt worden sind. Die dagegen erhobenen Klagen sind erstinstanzlich jeweils mit einem Vergleich erledigt worden, der den Erfolg des Begehrens des Klägers vom Ausgang des vorliegenden Verfahrens nach seinem rechtskräftigen Abschluss abhängig macht. Zudem ist davon auszugehen, dass der Kläger auch zukünftig Anträge auf Schonzeitaufhebung stellen wird. Es ist auch nicht ohne Weiteres zu erwarten, dass der nunmehr nach der Änderung des § 24 Abs. 2 und des § 46 des Landesjagdgesetzes NRW (LJG NRW) vom 7. Dezember 1994 (GV.NRW. 1995 S. 2, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 17. Dezember 2009 [GV.NRW. S. 876]), durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landesjagdgesetzes und zur Änderung jagdlicher Vorschriften vom 1. April 2014 (GV.NRW. S. 253) für die Entscheidung über diese Anträge zuständige Kreis X1. dem Antrag abweichend von der vom beklagten Land vertretenen Auffassung entsprechen würde.
55Ein Beteiligtenwechsel auf der Seite des Beklagten ist durch die Gesetzesänderung nicht eingetreten. Die Klage richtet sich weiterhin gegen das beklagte Land, vertreten durch den Landesbetrieb Wald und Holz NRW. Zwar hat der Landesbetrieb Wald und Holz NRW seine Zuständigkeit als obere Jagdbehörde, die es seit Inkrafttreten der Gesetzesänderung nicht mehr gibt (vgl. § 46 LJG NRW), verloren. Streitgegenständlich ist aber ein vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung abgeschlossener Sachverhalt. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die vom beklagten Land, vertreten durch den Landesbetrieb Wald und Holz NRW, erlassenen Bescheide rechtswidrig waren und er einen Anspruch auf die beantragten Schonzeitaufhebungen gehabt hat. Er hat zudem angekündigt, Amtshaftungsansprüche geltend machen zu wollen. In einer solchen Konstellation ist es gerechtfertigt, die Klage gegen den ursprünglichen Beklagten fortzusetzen.
56Vgl. Hess.VGH, Urteil vom 23. November 1993- 11 UE 3130/90 -, juris, Rn. 33; OVG Saarl., Urteil vom 26. November 2013 - 3 A 106/12 -, ZfWG 2014, 101 = juris, Rn. 56.
57Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist die Klage auch insoweit zulässig, als sie sich im Hinblick auf den das Jahr 2012 betreffenden Antrag auf Schonzeitaufhebung auch auf den gemeinschaftlichen Jagdbezirk S. -W. /P. bezieht. Es fehlt insoweit nicht an einem vorprozessual streitigen Rechtsverhältnis. Der Antrag des Klägers auf Schonzeitaufhebung umfasste auch diesen Jagdbezirk, in dem der Kläger landwirtschaftliche Flächen gepachtet hat. Der Kläger verwandte bei Antragstellung lediglich die unzutreffende Bezeichnung C. -W. . Da es einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk mit einer solchen Bezeichnung aber im Bereich des landwirtschaftlichen Betriebs des Klägers nicht gibt, legte das beklagte Land den Antrag des Klägers dahingehend aus, dass er die gemeinschaftlichen Jagdbezirke S. -W. /P. und S. -C. umfasse. Darauf bezog sich sodann auch der ablehnende Bescheid vom 7. Mai 2012.
58Die Klage ist zudem begründet.
59Die Bescheide des Landesbetriebs Wald und Holz NRW vom 20. Mai 2011 und 7. Mai 2012 sind rechtswidrig gewesen. Das beklagte Land ist verpflichtet gewesen, die Schonzeit für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse sowie Gössel dieser Wildarten (worunter der Kläger im Vorjahr geschlüpfte Gänse verstanden wissen will) im Eigenjagdbezirk X. vom 15. April 2011 bis 15. Juli 2011 und im Eigenjagdbezirk X. sowie in den gemeinschaftlichen Jagdbezirken S. -C. und S. -W. /P. vom 1. April 2012 bis zum 15. Juli 2012 aufzuheben.
60Dieser Anspruch des Klägers hat sich aus § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG, § 24 Abs. 2 LJG NRW in der bis 11. April 2014 gültigen Fassung ergeben. Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG können die Länder die Jagdzeiten abkürzen oder aufheben; sie können die Schonzeiten für bestimmte Gebiete oder für einzelne Jagdbezirke aus besonderen Gründen, insbesondere aus Gründen der Wildseuchenbekämpfung und Landeskultur, zur Beseitigung kranken oder kümmernden Wildes, zur Vermeidung von übermäßigen Wildschäden, zu wissenschaftlichen, Lehr- und Forschungszwecken, bei Störung des biologischen Gleichgewichts oder der Wildhege aufheben. Gemäß § 24 Abs. 2 LJG NRW in der bis 11. April 2014 gültigen Fassung, die mit Ausnahme der Bestimmung der zuständigen Behörde der aktuellen Fassung enspricht, kann die obere Jagdbehörde die Schonzeiten für bestimmte Gebiete oder einzelne Jagdbezirke, insbesondere aus den oben genannten Gründen aufheben.
61Die Voraussetzungen für eine antragsgemäße Schonzeitaufhebung lagen vor.
62Für Grau-, Kanada- und Nilgänse galt in den Zeiträumen vom 15. April bis 15. Juli 2011 sowie vom 1. April bis 15. Juli 2012 grundsätzlich eine Schonzeit. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 der nordrhein-westfälischen Verordnung über die Jagdzeiten und die Jagdabgabe (JagdZAbVO) vom 31. März 2010 (GV.NRW. S. 237) darf die Jagd auf Nilgänse vom 16. Juli bis 31. Januar mit Ausnahme der Beschränkung nach § 3 Nr. 6 JagdZAbVO ausgeübt werden. Dieselbe Jagdzeit mit derselben Einschränkung gilt gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 12 JagdZAbVO in Nordrhein-Westfalen für Grau- und Kanadagänse. In den Jagdbezirken, die von den Anträgen des Klägers umfasst sind und die im Gebiet „V. O. “ liegen, in dem Grau-, Kanada- und Nilgänse gemäß § 3 Nr. 6 lit. a JagdZAbVO in der Zeit vom 15. Oktober bis 31. Januar mit der Jagd zu verschonen sind, darf die Jagd auf die Gänse ohne Schonzeitaufhebung nur in der Zeit vom 16. Juli bis 14. Oktober ausgeübt werden.
63Dem Kläger drohte im fraglichen Zeitraum ein übermäßiger Wildschaden durch die sogenannten Sommergänse, d.h. Grau-, Nil- und Kanadagänse, die am Niederrhein brüten und sich dort ganzjährig aufhalten. Von einem übermäßigen Wildschaden ist auszugehen, wenn er das übliche Maß von durch Wild verursachten Schäden erheblich und in einem Umfang übersteigt, dessen Hinnahme dem Geschädigten nicht mehr zuzumuten ist.
64Vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 30. April 1998- AN 15 E 98.00625 -, Jagdrechtliche Entscheidungen VI Nr. 45 = juris, Rn. 17; Bay. Oberstes Landesgericht, Urteil vom 10. April 1978- RREg 2 Z 60/77 -, BayObLGZ 1978, 69 = juris, Rn. 30.
65Davon war im Fall des Klägers in den Jahren 2011 und 2012 auszugehen. Ihm entstand ein durch die Sommergänse verursachter Schaden von über 10.000 Euro infolge eines Totalausfalls der Ernte auf einer Fläche, die nach den vom Beklagten nicht bezweifelten Angaben des Klägers 15 % seiner gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche ausmachte. Ein solcher Schaden ging erheblich über das übliche Maß hinaus und musste von ihm nicht hingenommen werden. Der Schadensumfang ergibt sich aus der vom Kläger vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. agr. X2. , einem von der Landwirtschaftskammer NRW bestellten und vereidigten Sachverständigen, vom 8. Juni 2011. Danach wurde der von den Gänsen auf den mit Sommergerste bestellten Ackerflächen des Klägers verursachte Schaden auf einer Gesamtfläche von 9,3 ha zum Bewertungsstichtag 6. Juni 2011 auf 7.717,20 Euro beziffert. Der Gutachter ging weiter davon aus, dass ohne Änderung der Bejagungszeiten auf dieser Fläche mit einem Totalausfall zu rechnen sei. Die entsprechende Berechnung ergebe einen Betrag in Höhe von 11.160 Euro. Da die Bejagungszeiten nicht geändert wurden, ist unter Zugrundelegung der gutachterlichen Einschätzung von einem Totalausfall der Getreideernte auf dieser Fläche auszugehen. Weil nichts dafür spricht, dass sich die Situation im Hinblick auf die von den Sommergänsen angerichteten Schäden im Jahr 2012 im Vergleich zum Jahr 2011 geändert hätte, kann unter Berücksichtigung dieser gutachterlichen Stellungnahme angenommen werden, dass es auch im Jahr 2012 zu einem ähnlichen ebenfalls erheblichen Ertragsausfall aufgrund der Gänseschäden kam, den der Kläger selbst auf 18.304,19 bzw. 20.498,32 Euro (je nach Berechnungsart) beziffert. Dass es durch die Sommergänse zu beachtlichen Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen in dieser Region kommt, ergab sich zudem schon aus den im Zeitpunkt der Entscheidung über die Anträge des Klägers vorliegenden Stellungnahmen der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen, Außenstelle X1. , vom 9. Juli 2010, die allerdings an einen anderen Landwirt adressiert war, sowie vom 19. April 2012, die sich konkret auf den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers bezog. Zudem wurden sie durch die Stellungnahmen des Kreisjagdberaters H. vom 11. April 2011 und vom 10. April 2012 bestätigt.
66Die beantragten Schonzeitverkürzungen vom 15. April 2011 bis 15. Juli 2011 und vom 1. April 2012 bis 15. Juli 2012 waren zur Vermeidung dieser übermäßigen Wildschäden zu gewähren. Indem § 24 Abs. 2 LJG NRW voraussetzt, dass die Schonzeitaufhebung der „Vermeidung übermäßiger Wildschäden“ dient, wird deutlich, dass die Aufhebung nur in Betracht kommt, wenn sie hierfür geeignet und erforderlich ist. Eine entsprechend enge Auslegung des § 24 Abs. 2 LJG NRW entspricht der normativen Wertentscheidung, wonach die Schonzeitaufhebung eine Ausnahme darstellt. Grundsätzlich sollen die Tierarten, für die eine Jagdzeit festgelegt ist, nur in diesen festgelegten Zeiten bejagt werden. Außerhalb der Jagdzeiten ist das Wild von der Jagd zu verschonen (Schonzeit), vgl. § 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BJagdG. Schonzeitaufhebungen kommen nur aus besonderen Gründen in Betracht (§ 22 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 BJagdG, § 24 Abs. 2 LJG NRW).
67Eine enge Auslegung des § 24 Abs. 2 LJG NRW folgt hinsichtlich der Schonzeitaufhebung in Bezug auf Vögel auch aus den Vorgaben der Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten (ABl. 2010, Nr. L 20, S. 7), welche an die Stelle der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 (ABl. 1979, Nr. L 103, S. 1 ff.) getreten ist. Diese Richtlinie hat nach Art. 1 Abs. 1 den Schutz, die Bewirtschaftung und die Regulierung sämtlicher wildlebender Vogelarten, die im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, auf welches der Vertrag Anwendung findet, heimisch sind, zum Ziel und regelt die Nutzung dieser Tiere. Nach Art. 5 lit. a und lit. d dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten zum Schutz dieser Vögel u.a. das Verbot des absichtlichen Tötens und ihres absichtlichen Störens, insbesondere während der Brut- und Aufzuchtzeit, sofern sich diese Störung auf die Zielsetzung dieser Richtlinie erheblich auswirkt, zu erlassen. In Art. 7 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie ist vorgesehen, dass die in Anhang II aufgeführten Arten, zu denen die Graugans (Anser anser) und die Kanadagans (Branta canadensis) zählen (die Nilgans [Alopochen aegyptiacus] wird nicht aufgeführt), aufgrund ihrer Populationsgröße, ihrer geografischen Verbreitung und ihrer Vermehrungsfähigkeit in der gesamten Gemeinschaft im Rahmen einzelstaatlicher Rechtsvorschriften gejagt werden dürfen. Die Mitgliedstaaten haben allerdings nach Art. 7 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie dafür zu sorgen, dass die Arten, auf die die Jagdvorschriften Anwendung finden, nicht während der Nistzeit oder während der einzelnen Phasen der Brut- und Aufzuchtzeit bejagt werden. Art. 9 Abs. 1 lit. a dritter Spiegelstrich der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten u.a. zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen, Viehbeständen, Wäldern, Fischereigebieten und Gewässern von den Artikeln 5 bis 8 abweichen können, sofern es keine andere zufriedenstellende Lösung gibt.
68Daraus folgt, dass gerade im Hinblick auf die vom Kläger begehrte Aufhebung der Schonzeit während der üblichen Brut- und Aufzuchtzeiten der Gänse ein strenger Maßstab anzulegen ist.
69Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass die vom Kläger begehrten Schonzeitaufhebungen in den Jahren 2011 und 2012 geeignet (1.) und erforderlich (2.) gewesen sind, um durch die Sommergänse verursachten übermäßigen Wildschäden zu vermeiden. Sie stellen sich darüber hinaus auch nicht als unangemessen dar (3.).
701. Die Schonzeitaufhebungen für nicht brütende Grau-, Nil- und Kanadagänse sowie Gössel dieser Wildarten vom 15. April bis 15. Juli 2011 und vom 1. April bis 15. Juli 2012 waren geeignet, übermäßige Schäden an den Ackerkulturen des Klägers durch diese Gänse zu verhindern.
71In diesem Zeitraum richteten die Sommergänse große Schäden an den Getreidekulturen insbesondere durch Fraß, Tritte und Verkotung an, da es sich um den maßgeblichen Wachstumszeitraum der Getreidepflanzen handelt. Gänse ernähren sich nach den Ausführungen der Sachverständigen im Erörterungstermin dort, wo Ackerbau betrieben wird, das gesamte Jahr über von den landwirtschaftlichen Kulturen. Herr Dr. H1. , tätig bei der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung NRW, erläuterte im Erörterungstermin, dass für die Gänse insbesondere die Pflanzen zu Beginn des Pflanzaufwuchses schmackhaft seien. Landwirte hätten sich im Rahmen des Projekts „Sommergänse im Kreis X1. “ insbesondere wegen Schäden im Frühjahr gemeldet. Da die Gänse in dem Bereich ganzjährig leben, ernähren sie sich vom Getreide bis zu dessen Ernte im Juli bzw. August.
72Aufgrund des mit der Bejagung einhergehenden sogenannten letalen Vergrämungseffekts war die Schonzeitaufhebung geeignet, die Gänse von den Äckern des Klägers zu vertreiben. Der Senat geht unter Berücksichtigung der Ausführungen der erst- und zweitinstanzlich angehörten Sachverständigen davon aus, dass der Jagd auf die Gänse ein solcher, vom beklagten Land bestrittener Effekt zukommt. Herr Dr. F. , tätig bei der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadenverhütung NRW, hat im Rahmen des vom Verwaltungsgericht durchgeführten Erörterungstermins ausgeführt, dass die letale Vergrämung zu einer Verlagerung des Fraßdrucks auf andere Flächen führe. Ob und inwieweit dies von Dauer sei, hänge von vielen Faktoren ab. Unter anderem sei von Bedeutung, ob es für die Gänse alternative Standorte gebe, die ihnen vergleichbare oder möglicherweise sogar bessere Lebensbedingungen böten als die Flächen, auf denen die Jagd auf sie ausgeübt werde. Auch aus seinen Ausführungen im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin lässt sich schließen, dass durch die Jagd auf die Gänse durchaus ein letaler Vergrämungseffekt entsteht. Die Einschränkung, dass sich in dem Zeitfenster von April bis Mitte Juli nur flugfähige Gänse großräumig vertreiben lassen, steht der Annahme der Geeignetheit der Jagd als Mittel der Vertreibung der Gänse von den Ackerflächen des Klägers, auf deren Schutz es ihm mit seinen Schonzeitaufhebungsanträgen ankam, nicht entgegen. Entscheidend ist insoweit, dass die Tiere sich durch die Bejagung von den Flächen des Klägers vertreiben lassen und sie diese möglicherweise anschließend meiden, zumal es offenbar auch andere für Gänse attraktive Flächen in der Region gibt, auf denen sie in den von den Anträgen umfassten Zeiträumen grundsätzlich nicht bejagt werden durften. Der Effekt der letalen Vergrämung bei der Jagd auf Gänse wird des Weiteren bestätigt durch die entsprechende Erklärung des im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin vernommenen Jagdberaters im Kreis X1. , Herrn H. , sowie durch den ebenfalls in diesem Erörterungstermin vernommenen Herrn Dr. H1. . Dieser erklärte, dass nach seinen Erfahrungen aus dem Projekt „Sommergänse im Kreis X1. “ jedenfalls in einem Einzelfall die Bejagung der Gänse einen Vergrämungseffekt gehabt habe.
732. Die beantragte Schonzeitverkürzung war auch erforderlich, um übermäßige Wildschäden auf den Ackerkulturen des Klägers zu verhindern. Andere gleich geeignete Mittel oder sonst zufriedenstellende Lösungen waren nicht ersichtlich.
74Dem Kläger war nicht entgegenzuhalten, dass die Jagdbemühungen innerhalb der regulären Jagdzeit vom 16. Juli bis 14. Oktober hätten intensiviert werden müssen. Eine Steigerung der Jagdstrecke innerhalb dieser Zeit wäre schon kein im Vergleich zur Schonzeitaufhebung gleich geeignetes Mittel zur Vermeidung eines übermäßigen Wildschadens im jeweiligen Jahr gewesen. Die übermäßigen Wildschäden durch die Wildgänse drohten dem Kläger bei Stellung der Schonzeitaufhebungsanträge im Frühjahr 2011 und 2012. Eine Bestandsreduzierung durch stärkere Bejagung kam zu diesen Zeitpunkten wegen der Schonzeit bis 15. Juli nicht in Betracht. Dass u.U. in den Vorjahren eine stärkere Bejagung zu einer Bestandsreduzierung bei den Gänsen geführt hätte, ist angesichts der insofern allein maßgeblichen Tatsache, dass übermäßige Wildschäden im jeweiligen Jahr drohten, ohne Belang. Es ist des Weiteren nicht ersichtlich, dass eine Bestandsreduzierung in den von den Schonzeitaufhebungsanträgen umfassten Jagdbezirken überhaupt den Erfolg gehabt hätten, übermäßige Wildschäden durch die Sommergänse auf den Feldern des Klägers zu vermeiden. Denn der Kläger verfügt unstreitig über Flächen, die aufgrund ihrer Gewässernähe als Brut- und Schlafplätze für die Sommergänse attraktiv sind. Die Populationsdichte bei Gänsen hängt nach den Erläuterungen von Dr. H1. im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin aber insbesondere von der Attraktivität der Flächen ab. Eine Bestandsreduzierung der Gänse im Bereich des landwirtschaftlichen Betriebs des Klägers innerhalb der regulären Jagdzeit hätte damit nicht zwangsläufig eine Abnahme des von Sommergänsen verursachten Wildschadens im nächsten Frühjahr zur Folge gehabt, da die Flächen aufgrund ihrer Attraktivität aller Voraussicht nach von anderen Sommergänsen der insgesamt sehr großen Sommergänsepopulation am Niederrhein aufgesucht worden wären. Alle Anwesenden waren sich im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin einig, dass sich aufgrund der Mobilität der Tiere nur sehr schwer vorhersehen lasse, wie effektiv eine Bestandsreduzierung der Tiere allgemein für die Wildschadensverhütung sei. Einer Maßnahme, deren Erfolg nach sachkundiger Einschätzung aber nur äußerst ungewiss ist, fehlt es an einer hinreichenden Eignung. Auf die als effektiv anzusehende Verringerung der Gesamtpopulation der Sommergänse am Niederrhein und in angrenzenden Gebieten hätten im Übrigen weder der Kläger noch der in seinem Eigenjagdbezirk Jagdausübungsberechtigte Einfluss gehabt.
75Auf die zwischen den Beteiligten diskutierte Frage, ob die Jäger hinreichend effektive Jagdmethoden angewandt hätten, wie etwa die vom beklagten Land vorgeschlagenen sogenannte „Gänseliege“, und den vom Sachverständigen Dr. F. im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin geschilderten besonderen Jagderfolg in einem Einzelfall kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.
76Die Schonzeitaufhebung war auch deshalb erforderlich, weil non-letale Vergrämungsmethoden nicht geeignet waren, die Ackerkulturen des Klägers nachhaltig vor übermäßigen Schäden durch die Sommergänse zu schützen. Der Kläger hatte nach seinen plausiblen Angaben ohne dauerhaften Erfolg verschiedene Maßnahmen ergriffen, um die Sommergänse von seinen Ackerflächen zu vertreiben. Dazu zählten u.a. die Abgabe von Schüssen mit Schreckschuss zur Vertreibung, das Aufstellen von Vogelscheuchen, das Aufstellen von Fuchsattrappen, die Installierung einer Greifvogelattrappe, das Verscheuchen mit Jagdhunden. Wegen der von den Sachverständigen im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin bestätigten Lernfähigkeit der Gänse führen solche Maßnahmen jedoch im Gegensatz zu solchen, bei denen eine Gefahr für die Gänse droht (wie bei der Jagd), nach dem Eintreten des Gewöhnungseffekts nicht dazu, dass die Gänse keine übermäßigen Wildschäden auf den Ackerflächen mehr anrichten. Die Sachverständigen Dr. F. und Dr. H1. haben übereinstimmend geschildert, dass die Gänse zwar zunächst sensibel auf Veränderungen in ihrer Umwelt reagierten. Hätten sie aber erkannt, dass keine Gefahr drohe, wie etwa von Spaziergängern in einem Stadtpark, flüchteten sie nicht. Da von non-letalen Maßnahmen für die Gänse erkennbar keine Gefahr ausgeht, lassen sich durch sie übermäßige Wildschäden nicht vermeiden. Aus diesem Grund scheidet auch das vom beklagten Land angesprochene Vertreiben der Gänse durch Menschen aus, selbst wenn der Einsatz eines „Feldhüters“ finanziell zumutbar wäre.
77Die Erforderlichkeit der Schonzeitaufhebung wurde im Fall des Klägers nicht wegen der Möglichkeit in Frage gestellt, eine Abzäunung der gefährdeten Flächen vorzunehmen und so die nicht flugfähigen Gössel und ihre Eltern sowie die erwachsenen flugunfähigen Tiere in der Mauser von den Ackerkulturen fernzuhalten. Aufgrund der Ungewissheit hinsichtlich der Effektivität einer solchen Maßnahme musste sich der Kläger nicht darauf verweisen lassen, er hätte eine mit hohen Kosten (laut Kläger ist einschließlich Anschaffungskosten und Arbeitsaufwand bei einer Zaunlänge von 4828 m mit ca. 18.800,00 Euro zu rechnen; laut beklagtem Land belaufen sich die Kosten auf 115,00 Euro pro 50 m Zaun plus Arbeits- und Fahrtkosten) und großem Arbeitsaufwand (für den Auf- und Abbau im Frühjahr und im Herbst sowie zwischenzeitlich zur Feldbearbeitung) einhergehende Abzäunung vornehmen können. Das beklagte Land konnte weder deutlich machen, welche Länge eine Abzäunung auf dem Weg der Gänse zwischen ihrem Schlaf-/Brutplatz und den gefährdeten Kulturen haben müsste, um die Kulturen effektiv zu schützen, noch dass und wie ein zur Lenkung der Gänse geeigneter Zaun in der konkreten Örtlichkeit unter Berücksichtigung von öffentlichen Wegen, Wirtschaftswegen, Bewuchs mit Hecken und Baumreihen und Eigentumsverhältnissen aufzustellen wäre und auf welche Flächen die Gänse hätten gelenkt werden können. Nach Angaben des Sachverständigen Dr. F. sind ihm wissenschaftliche Abhandlungen zur Anwendung und Effektivität eines solchen Zauns im Zusammenhang mit der Gänseproblematik nicht bekannt. Sonstige Erfahrungsberichte wurden nicht übersandt. Zudem ist unklar, ob durch die Abzäunung, durch die nur die nicht fliegenden Tiere von den Äckern abgehalten werden, übermäßige Wildschäden im Zeitraum von April bis Mitte Juli vermieden werden könnten. Nach den Angaben von Dr. F. machen die flugunfähigen Gössel und ihre Eltern in dem fraglichen Zeitraum zwei Drittel des örtlichen Gänsebestands aus und eine Abzäunung der Felder führe daher zu einer erheblichen Schadensvermeidung. Aus diesen Angaben ergibt sich jedoch nicht, welchen Anteil diese zu einem großen Teil aus Küken bestehenden Gänsefamilien an der Schadensverursachung haben. Dr. H1. erklärte im Erörterungstermin, dass nach den Erfahrungen aus dem Projekt „Sommergänse im Kreis X1. “ insbesondere im Zeitfenster von März bis Mai die Nichtbrüter den größten Anteil an der Schadensverursachung an den Kulturen hätten. Im Rahmen des Projekts wurde von einer Abzäunung als Lenkungsmaßnahme abgesehen. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Ab- oder Einzäunung der Ackerflächen des Klägers (und in der Folge möglicherweise seiner Nachbarn) nicht dazu führen darf, dass die nicht flugfähigen Gänse verhungern. Insofern sind Grundsätze des Tierschutzes (§ 1 Satz 2 TierSchG) aber auch § 26 Satz 2 Halbsatz 2 BJagdG zu beachten, wonach der Eigentümer oder Nutzungsberechtigte das Wild weder gefährden noch verletzen darf, wenn das Wild zur Verhütung von Wildschäden von den Grundstücken abgehalten oder verscheucht wird. Der letalen Vergrämung durch den Jagdausübungsberechtigten als insofern u.U. schonendere Maßnahme, als die Gänse zumindest das Feld erreichen und bis zur Vertreibung dort äsen können, stand § 26 Satz 2 BJagdG nicht entgegen, da der Jagdausübungsberechtigte zu den zulässigen jagdlichen Eingriffen berechtigt ist.
78Vgl. Welp, in: Schuck, Bundesjagdgesetz, 2010, § 26 Rn. 4.
79Sonstige Lenkungs- oder Vergrämungsmaßnahmen, die zur Vermeidung der durch Sommergänse angerichteten übermäßigen Wildschäden geeignet gewesen wären, hat auch das beklagte Land nicht aufgezeigt. Im Übrigen ist es selbst im Jahr 2010 ausweislich des Schreibens des Kreises X1. vom 10. Juni 2010 an den Jagdausübungsberechtigten im Eigenjagdbezirk des Klägers noch davon ausgegangen, dass es keine wirksamen Abwehrmaßnahmen und keine andere zufriedenstellende Lösung als die (in dem Jahr ab 20. Juni verfügte) Schonzeitverkürzung für Graugänse gebe, um erhebliche Schäden an landwirtschaftlichen Kulturen abzuwenden.
80Schließlich ist auch keine sonst zufriedenstellende Lösung (vgl. Art. 9 Abs. 1 lit. a dritter Spiegelstrich der Richtlinie 2009/147/EG) ersichtlich. So findet ein finanzieller Ausgleich des dem Kläger durch Sommergänse entstehenden übermäßigen Schadens durch das beklagte Land nicht statt. Ein solcher Ausgleichsanspruch besteht allein im Hinblick auf die durch arktische Wildgänse, die in Nordrhein-Westfalen lediglich überwintern aber nicht brüten (sogenannte Wintergänse), verursachte Schäden. Der Kläger hat auch keinen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Jagdpächter. Er hat einen solchen Anspruch auf Ausgleich von durch Sommergänse verursachte Schäden in dem im Jahr 2000 abgeschlossenen Vertrag nicht vereinbart (vgl. § 29 Abs. 3 Satz 1 BJagdG). Es spricht auch nichts dafür, dass der Kläger gegenüber dem Jagdausübungsberechtigten angesichts der jährlichen Schadenshöhe, die nach dem oben Ausgeführten allein durch eine weitere Steigerung der Jagdbemühungen des Jagdausübungsberechtigten nicht hätte reduziert werden können, eine entsprechende Vertragsanpassung oder einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verschuldens des Jagdausübungsberechtigten nach § 29 Abs. 3 Satz 2 BJagdG durchsetzen konnte.
813. Die Gewährung der Schonzeitverkürzung in den fraglichen Zeiträumen war auch nicht unangemessen. Bei der Abwägung des Interesses an einer ausgewogenen Gänsepopulation und der Verhinderung des Leidens von u.U. elternlos gewordenen Gösseln, die auf ihre Eltern noch angewiesen sind,
82vgl. BR-Drucks. 388/96, S. 5 f.; Metzger, in: Lorz/Metzger/Stöckel, Jagdrecht, Fischereirecht, 4. Auflage 2011, § 22 BJagdG Rn. 1; Welp, a.a.O., § 22 Rn. 12,
83einerseits und den wirtschaftlichen Interessen des Landwirts andererseits überwogen Letztere. Dabei ist zu berücksichtigen, dass den Interessen der Landwirtschaft am Schutz vor Wildschäden im Bundesjagdgesetz und im Landesjagdgesetz NRW besonderes Gewicht eingeräumt wird. So muss gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 BJagdG die Hege so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden. Gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 BJagdG ist der Abschuss des Wildes so zu regeln, dass die berechtigten Ansprüche der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden voll gewahrt bleiben sowie die Belange von Naturschutz und Landschaftspflege berücksichtigt werden. Auch die den Ländern nach § 22 Abs. 1 Satz 3 BJagdG eingeräumte Möglichkeit, die Schonzeiten u.a. zur Vermeidung übermäßiger Wildschäden aufzuheben, ist ein Ausdruck dieses den Interessen der Landwirtschaft zukommenden Gewichts. In § 27 Abs. 1 BJagdG ist vorgesehen, dass die zuständige Behörde anordnen kann, dass der Jagdausübungsberechtigte unabhängig von den Schonzeiten innerhalb einer bestimmten Frist in bestimmtem Umfang den Wildbestand zu reduzieren hat, wenn dies mit Rücksicht auf das allgemeine Wohl, insbesondere auf die Interessen der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft und die Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, notwendig ist. Auch aus den Vorschriften des nordrhein-westfälischen Rechts ist ersichtlich, dass der Vermeidung von Wildschäden besondere Bedeutung zukommt (vgl. § 22 Abs. 4, § 24 Abs. 2 LJG NRW, § 42 DVO-LJG NRW). Hinzu kommt, dass der Kläger sich auch auf den grundrechtlichen Schutz seines Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 GG und darauf berufen konnte, durch die Versagung der Schonzeitaufhebung in seiner Berufsausübung beschränkt zu werden (Art. 12 Abs. 1 GG). Demgegenüber waren die Belange des Schutzes der Tiere von geringerem Gewicht. Es ist nicht ersichtlich, dass etwa die Population der Grau-, Kanada- und Nilgänse als solche durch die antragsgemäße Schonzeitverkürzung Schaden nehmen konnte. Der Sachverständige Dr. F. hat dementsprechend im zweitinstanzlich durchgeführten Erörterungstermin ausgeführt, dass nicht Gründe des Schutzes der Gänsepopulation bzw. der Vermeidung von Schäden auf Populationsebene der Schonzeitverkürzung aus Sicht des beklagten Landes entgegenstünden, sondern das Risiko von Fehlabschüssen. Dieses Risiko des Abschusses von Gössel führenden Elterntieren, die von den Anträgen des Klägers nicht erfasst sind, war aber als so gering einzustufen, dass es der Schonzeitaufhebung nicht entgegenstand. Nach den Erläuterungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben sich seine Anträge auf Schonzeitaufhebung nicht auf Gössel bezogen, die im jeweils vom Antrag erfassten Jahr geschlüpft und noch auf die Führung durch die Eltern angewiesen sind. Die Gefahr, dass ein Elterntier durch einen auf ein im jeweiligen Jahr geschlüpftes Gössel abgegebenen Schuss im Rahmen der Jagd mit der kleinen Kugel versehentlich getötet worden wäre, hat danach nicht bestanden. Die von den Schonzeitaufhebungsanträgen umfassten einjährigen und älteren nicht brütenden Gänse lassen sich nach den Erläuterungen der Sachverständigen hinreichend genau von den brütenden Tieren unterscheiden, denn die nicht verpaarten Gänse halten sich räumlich getrennt von den Familien auf. Im Übrigen ist es Sache des Jägers, sich zuvor zu vergewissern, dass er mit der Schussab-gabe kein Elterntier trifft. Die Bejagung eines Elterntiers ist eine Straftat gemäß § 38 Abs. 1 Nr. 3 BJagdG und kann die Ungültigerklärung und Einziehung des Jagdscheins nach §§ 18, 17 Abs. 4 Nr. 1 lit. d BJagdG zur Folge haben.
84War vor diesem Hintergrund die antragsgemäße Aufhebung der Schonzeit zur Vermeidung übermäßiger, d.h. dem Kläger nicht zumutbarer Wildschäden geeignet, erforderlich und angemessen, blieb für eine Ablehnung des Antrags im Wege des Ermessens, dessen Eröffnung der Begriff „kann“ in § 24 Abs. 2 LJG NRW nahe legt, kein Raum. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dies daraus folgt, dass jedenfalls bei übermäßigen Wildschäden, die nur durch eine Schonzeitaufhebung vermieden werden können, von einem intendierten Ermessen im Hinblick auf die Gewährung einer Schonzeitaufhebung auszugehen ist,
85vgl. zum intendierten Ermessen: BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1997 - 3 C 22.96 -, BVerwGE 105, 55 = juris, Rn. 14; Aschke, in: Bader/ Ronellenfitsch, VwVfG, 2010, § 40 Rn. 40 ff.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Auflage 2014, § 40 Rn. 28 ff.
86oder eine Ermessensreduzierung auf Null anzunehmen ist, weil sich die Ablehnung der Schonzeitverkürzung in einem solchen Fall als ermessensfehlerhaft erweist,
87vgl. zur Ermessensreduzierung auf Null: Aschke, a.a.O., § 40 Rn. 72 ff.; Sachs, a.a.O., § 40 Rn. 102 a ff.
88Angesichts der dem Kläger nicht zumutbaren Wildschäden, die im konkreten Fall nicht anders als durch die antragsgemäße Aufhebung der Schonzeit zu vermeiden waren, ist das beklagte Land verpflichtet gewesen, die Schonzeitaufhebung zu erteilen.
89Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
90Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 17. Februar 2015 wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig und begründet. Ihr Beschwerdevorbringen führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung, denn danach fällt die im vorliegenden Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung zu Ungunsten des Antragstellers aus.
3In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht auf der Grundlage einer eigenen Abwägung der widerstreitenden Vollzugs- und Suspensivinteressen. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann. Ist es - namentlich wegen der besonderen Dringlichkeit einer alsbaldigen Entscheidung - nicht möglich, die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache wenigstens summarisch zu beurteilen, sind allein die einander gegenüber stehenden Interessen unter Berücksichtigung der mit der Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einerseits und der Ablehnung andererseits verbundenen Folgen zu gewichten.
4Vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. September 2014
5- 7 VR 1.14 -, juris.
6Anhaltspunkte für rechtserhebliche Fehler der Zwangsgeldfestsetzung vermag der Senat nach summarischer Beurteilung nicht zu erkennen. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Höhe des Zwangsgelds, die angesichts der Bedeutung der Belange des vorbeugenden Brandschutzes, deren Durchsetzung die bestandskräftige - ausweislich der Feststellungen der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 5. März 2015 nicht hinreichend umgesetzte - Grundverfügung vom 20. Februar 2014 dient, nicht unangemessen erscheint.
7Der Antragsteller beruft sich im Wesentlichen auf die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Zwangsgeldfestsetzung aber voraussichtlich nicht deshalb (ermessens-)fehlerhaft, weil die Antragsgegnerin das am 30. Oktober 2014 festgesetzte Zwangsgeld, das nicht gezahlt wurde, nicht vorher beigetrieben hat.
8Nach den einschlägigen Regelungen des Verwaltungsvollstreckungsrechts des Landes NRW ist die Vollstreckungsbehörde bei der Durchsetzung von Handlungsgeboten mit dem Mittel des Zwangsgelds nicht verpflichtet, zunächst die Beitreibung eines nicht gezahlten Zwangsgelds durchzuführen, bevor sie ein weiteres Zwangsgeld androht oder, wenn bereits eine Androhung erfolgt ist, festsetzt; die Entscheidung steht vielmehr im Ermessen, das im Regelfall dahin zu betätigen ist, dass eine Festsetzung erfolgt (intendiertes Ermessen, dazu 1.); diese Ermessensbetätigung lässt hier bei der gebotenen summarischen Beurteilung keine Fehler erkennen (dazu 2.).
91. Nach § 57 Abs. 3 Satz 1 VwVG NRW können die Zwangsmittel - dazu zählt nach § 57 Abs. 1 VwVG NRW auch das Zwangsgeld - neben einer Strafe oder Geldbuße angewandt und solange wiederholt und gewechselt werden, bis der Verwaltungsakt befolgt worden ist oder sich auf andere Weise erledigt hat. Nach § 64 VwVG NRW wird ein Zwangsmittel festgesetzt, wenn die Verpflichtung, die in der Zwangsmittelandrohung bestimmt ist, nicht fristgemäß erfüllt wird. Das Zwangsmittel des Zwangsgelds kann gemäß § 60 Abs. 1 Satz 3 VwVG NRW beliebig oft wiederholt werden. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 VwVG NRW wird es im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben, wenn der Betroffene es nicht fristgerecht gezahlt hat.
10a) Danach besteht bei der Entscheidung der Behörde über die Festsetzung eines Zwangsgelds ein Ermessen, das in der Regel dahin zu betätigen ist, dass das Zwangsgeld festgesetzt wird (intendiertes Ermessen).
11Die Vollstreckung von Verwaltungsakten erfolgt in jedem Stadium des Vollstreckungsverfahrens generell nach pflichtgemäßem Ermessen der zuständigen Vollstreckungsbehörde (vgl. § 55 Abs. 1 VwVG NRW). Nach der ermessenslenkenden Regelung in § 64 Satz 1 VwVG NRW hat die Vollzugsbehörde das Zwangsmittel aber festzusetzen, wenn die Verpflichtung innerhalb der Frist, die in der Androhung bestimmt ist, nicht erfüllt wird. Bereits der Wortlaut der Vorschrift bringt eindeutig zum Ausdruck, dass die Festsetzung des Zwangsmittels ‑ hier des Zwangsgelds - als Folge der Zwangsmittelandrohung lediglich die Nichterfüllung der zu vollstreckenden Verpflichtung innerhalb der gesetzten Frist voraussetzt.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom
1314. März 2013 - 2 B 219/13 -, juris.
14Für die Auffassung, dass ein Zwangsmittel nicht zunächst beigetrieben werden muss, bevor ein neues Zwangsmittel angedroht und festgesetzt werden kann, spricht auch der Wortlaut des § 57 Abs. 3 Satz 1 VwVG NRW, der für eine solche Einschränkung keine Anhaltspunkte bietet.
15Vgl. Erlenkämper/Rhein, Verwaltungsvollstreckungsgesetz und Verwaltungszustellungsgesetz NRW, 4. Auflage, § 57 Rn. 31, Weißauer/Lenders, Verwaltungsgesetze NRW, Loseblattkommentar, § 57 VwVG NRW, Rn. 7.1 (Stand September 2013), ebenso für eine entsprechende landesrechtliche Regelung OVG Bbg., Beschluss vom 28. August 1998 - 4 B 63/98 -, NZV 1999, 184 = juris, bzw. VGH Bad-Württ., Beschluss vom 16. Juni 1995 - 3 S 1200/95 -, NVwZ-RR 1996, 541;
16a. A. für eine entsprechende landesrechtliche Regelung OVG Bremen, Beschluss vom 31. August 1987 - 1 B 61/87 -, BRS 47 Nr. 206.
17b) Dass hier nach diesen Regelungen ein intendiertes Ermessen im vorgenannten Sinn besteht, wird nicht durch den Zweck des Zwangsgelds in Frage gestellt. Das Zwangsgeld ist nicht Verwaltungsstrafe, sondern Beugemittel.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 11. Mai 2000
19- 10 B 306/00 -, BauR 2000, 1477 = BRS 63 Nr. 220 und Urteil vom 30. September 1992 - 4 A 3840/91 -, NVwZ-RR 1993, 671.
20Aus diesem Zweck ergibt sich nicht, dass eine weitere Festsetzung erst dann erfolgen darf, wenn ein früher festgesetztes Zwangsgeld beigetrieben worden ist. Dieser Zweck kann nicht nur dadurch erreicht werden, dass der Festsetzung eines Zwangsgelds durch Beitreibung Nachdruck verliehen wird. Dem Beugezweck wird vielmehr in besonderem Maße Rechnung getragen, wenn ein weiteres, gegebenenfalls höheres Zwangsgeld angedroht und festgesetzt und so die Beugewirkung verstärkt wird. Zur Sicherstellung der Effektivität behördlichen Handelns ist eine vorherige Anwendung eines zunächst angedrohten und festgesetzten Zwangsgelds mithin nicht erforderlich
21c) Aus bundesrechtlichen Vorgaben ergibt sich insoweit keine Einschränkung. Dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot lässt sich nicht ein Grundsatz entnehmen, nach dem ein erneutes Zwangsgeld erst dann angedroht bzw. festgesetzt werden darf, wenn das zuvor angedrohte Zwangsgeld nach einer Zuwiderhandlung des Verpflichteten nicht nur verwirkt, sondern auch beigetrieben ist; bei der Regelung dieser Fragen ist der einfache Gesetzgeber durch Art. 3 GG nicht gebunden.
22Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. November 1994
23- 4 B 243/94 -, BRS 56 Nr. 213.
24d) Ob aus der früheren Regelung des § 62 Abs. 6 Satz 2 VwVG NRW - eine neue Androhung eines Zwangsmittels war danach erst dann zulässig, wenn das zunächst angedrohte Zwangsmittel erfolglos war -, die durch das Gesetz zur Neuordnung des Polizei-, Ordnungs-, Verwaltungsvollstreckungs-, und Melderechts vom 13. Mai 1980 (GV NRW S. 510) aufgehoben worden ist, gefolgert werden kann, dass die Rechtslage früher noch anders war, wie die Antragsgegnerin meint, mag dahinstehen. Ob eine erfolglose Anwendung (Beitreibung des Zwangsgelds) nach dieser Vorschrift Voraussetzung für weitere Zwangsmittel war oder ob dafür die Nichtbefolgung der Grundverfügung trotz des festgesetzten Zwangsmittels ausreichte, war bereits für diese Regelung umstritten,
25vgl. hierzu Rietdorf, Verwaltungsvollstreckungsgesetz NRW, 2. Aufl. 1963, § 62 Anm. 10,
26und wird auch für entsprechende Regelungen im allgemeinen Vollstreckungsrecht des Bundes (§ 13 Abs. 6 Satz 2 VwVG),
27vgl. dazu Troidl in Engelhardt/App, VwVG/VwZG, 10. Aufl., § 13 Rn. 12, sowie Sadler, VwVG/VwZG, 9. Aufl., § 13 Rn. 129,
28im Anwendungsbereich der Abgabenordnung (§ 332 Abs. 3 AO),
29vgl. dazu einerseits Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 332 AO, Rn. 18 (Stand Juni 2012) und andererseits Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 332 AO, Rn. 20 (Stand Nov. 2014),
30bzw. im Vollstreckungsrecht anderer Bundesländer,
31vgl. einerseits OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 13. Januar 1988 - 13 B 550/87 -, NVwZ 1988, 652 und andererseits Hess. VGH, Beschluss vom 12. April 1995 - 3 TH 2470/94 -, NVwZ-RR 1996, 361,
32unterschiedlich beurteilt.
332. Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen nach den Grundsätzen über das intendierte Ermessen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen; liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, so versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst.
34Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 2010
35- 15 B 1766/09 -, juris.
36Hier lagen keine besonderen Umstände vor, die eine andere Handhabung des Ermessens geboten.
37a) Anhaltspunkte für eine abweichende Handhabung ergeben sich nicht etwa mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wegen einer unzulässigen „Ansammlung“ von Zwangsgeldern.
38Vgl. dazu allg. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2003
39- 1 C 5.02 -, BVerwGE 117, 332/341.
40Hierzu hat die Antragsgegnerin aufgezeigt, dass ein erstes Zwangsgeld vom Antragsteller gezahlt worden war, ein zweites in Höhe von 1.250 Euro im November 2014 beigetrieben wurde und dass die Beitreibung eines weiteren, am 30. Oktober 2014 festgesetzten, Zwangsgelds in Höhe von 2.500 Euro bislang unterblieben ist, weil die Aufhebung eines Einziehungsstopps nicht von den bei der Stadtkasse betriebenen Datenverarbeitungsanlagen in die sogenannte Vollstreckungsdatenbank übertragen worden sei.
41b) Ebenso wenig ergeben sich andere Anhaltspunkte unter dem Aspekt der mangelnden Eignung des Zwangsgelds als Beugemittel wegen fehlender Zahlungsfähigkeit. Ein Zwangsgeld kann seine Beugefunktion nämlich nur erfüllen, wenn der Pflichtige bei realistischer Betrachtung auch zu dessen Zahlung in der Lage ist und seine Beitreibung nicht von vornherein zwecklos ist.
42Vgl .OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2009
43- 19 A 971/09 -, juris.
44Dass der Antragsteller (inzwischen) zahlungsunfähig wäre, ist aber weder geltend gemacht worden noch sonst ersichtlich.
45II. Fällt die Interessenabwägung mit Blick auf die Erfolgsaussichten mithin nicht Gunsten des Antragstellers aus, verbleibt es bei der allgemeinen gesetzlichen Wertung des § 112 Satz 1 JustG NRW, wonach dem Rechtsbehelf der Klage gegen den in Rede stehenden Vollstreckungsakt der Zwangsgeldfestsetzung keine aufschiebende Wirkung zukommt.
46Die Kostenentscheidung folg aus § 154 Abs. 1 VwGO.
47Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
48Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.
(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.
(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.