Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Gerichtsbescheid, 22. Juli 2015 - 1a K 5125/14.A

ECLI:ECLI:DE:VGGE:2015:0722.1A.K5125.14A.00
22.07.2015

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag des Klägers vom °°°°°°°° auf Anerkennung als Asylberechtigter und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.


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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Zivilprozessordnung - ZPO | § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung


Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 155


(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteili

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 75


Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von d

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 87b


(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit d

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Tenor I. Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 28. Oktober 2014 auf Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung internationalen Schutzes innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Rechtskraft dieses Urt

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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 5. August 2013, unter Abänderung des Bescheides vom 19. Mai 1995 in der Person der Klägerin Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen, zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des beizutreibenden Betrages leistet.


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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 5. August 2013, unter Abänderung des Bescheides vom 19. Mai 1995 in der Person der Klägerin Abschiebungshindernisse gemäß § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG festzustellen, zu entscheiden. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Klägerin und die Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des beizutreibenden Betrages leistet.


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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

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Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, im Asylverfahren des Klägers das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben und das Asylverfahren durchzuführen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen ihm noch nicht bekannt gegebenen Bescheid der Beklagten über die Unzulässigkeit des von ihm gestellten Asylantrags und erstrebt seine Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zumindest aber die sachliche Bearbeitung seines Asylantrags.

2

Am 25. August 2010 stellte der Kläger bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 5. August 2010 bei der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen als Asylbewerber erfasst worden war.

3

Bei der Asylbeantragung gab er an, somalischer Staatsangehörigkeit und am ... in ... geboren zu sein, wo er auch gelebt habe; er gehöre der Volksgruppe der ... an und sei islamischer Religionszugehörigkeit. Er habe einen Reisepass besessen, wisse aber aufgrund des Krieges nicht, wo dieser sich befinde. Am ... habe er religiös die Ehe geschlossen, wisse aber nicht, wo sich seine Ehefrau aufhalte. Er sei Vater eines ... geborenen Sohnes, der bei der Mutter lebe. Er habe 8 Jahre lang die Schule besucht und den Beruf eines Technikers erlernt. In diesem Beruf habe er auch gearbeitet. Insoweit legte er einen Dienstausweis von ... vor.

4

Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 15. September 2010 trug der Kläger vor, dass er am 16. Juli 2010 Mogadischu verlassen habe und in einem Kraftfahrzeug Richtung Nairobi gefahren sei, wo er am 25. Juli 2010 angekommen sei. Von dort sei er mit Emirate Airline über Dubai nach Frankfurt geflogen, wo er am 5. August 2010 morgens gegen 6 Uhr angekommen sei. Auf Nachfrage, wieso im Dezember 2009 seine Fingerabdrücke in Ungarn aufgenommen worden seien, erklärte der Kläger dann, dass er Mogadischu am 25. Oktober 2010 mit einem LKW verlassen habe, sieben Tags unterwegs gewesen sei und am 20. November 2011 mit einer türkischen Fluggesellschaft nach Rumänien geflogen sei. Von dort sei er zu Fuß nach Ungarn gelangt, wo er sich ca. sieben Monate aufgehalten habe. Er habe dort einen Asylantrag gestellt und Dokumente, aber keine Unterkunft und keine Unterstützung erhalten. Er habe nicht arbeiten können und auf der Straße gelebt. In Ungarn sei er mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden. Unterlagen über den Aufenthalt in Ungarn besitze er nicht. Schließlich sei er mit einem Bus nach Gießen gefahren, wo er am 5. August angekommen sei. Er sei Radiotechniker und habe bei einem für Mogadischu und Umgebung zuständigen Sender gearbeitet. Sein Vater habe als Soldat für ... gearbeitet und sei im Januar 2009 von Al-Shabab-Leuten umgebracht worden. Außerdem seien Mitarbeiter seines Senders ermordet worden, so dass er große Angst gehabt habe, ebenfalls umgebracht zu werden. Als er zusammen mit anderen Personen vor den Al-Shabab-Leuten weggelaufen sei, sei er gefallen und habe sich eine Verletzung zugezogen, die mit drei Stichen habe genäht werden müssen. Er sei telefonisch bedroht worden. Deshalb habe er Somalia verlassen.

5

Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Oktober 2010 machte der Kläger dann geltend, dass Deutschland verpflichtet sei, den Selbsteintritt zu erklären und das Asylverfahren sachlich durchzuführen Der Kläger sei psychisch schwer krank, seitdem er in Ungarn mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden sei, sei er traumatisiert. Ferner reichte er ein Attest des Univ.-Prof. Dr. med. ... vom 16. Dezember 2010 zu den Akten, in dem es heißt, dass der sehr ängstlich wirkende Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide. Außerdem reichte der Kläger ein Schriftstück der Organisation Reporter ohne Grenzen vom 8. März 2011 zu den Akten, in dem es heißt, dass der vom Kläger genannter Sender 2009 vier Mitarbeiter, darunter den ehemaligen Direktor, durch Morde der islamistischen Gruppe Al Shabaab verloren habe. Ferner legte er eine ärztliche Stellungnahme des Vereins zur Unterstützung traumatisierter Patienten vom 15. April 2011 vor, die ebenfalls eine PTBS attestiert.

6

Auf entsprechendes Übernahmeersuchen der Beklagten stimmte Ungarn unter dem 25 Mai 2011 einer Überstellung des Klägers nach Ungarn zu und führte aus, dass der am 18. Dezember 2009 gestellte Asylantrag des Klägers zwar abgelehnt, ihm aber vorübergehender Schutz (beneficiary of temporary protection) zugebilligt worden sei.

7

Mit bislang allerdings nicht an den Kläger übermitteltem Bescheid vom 26. Mai 2011 entschied die Beklagte alsdann, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insoweit müsse Ungarn die vom Kläger geltend gemachten psychischen Probleme prüfen, zumal es dem Kläger bereits subsidiären Rechtsschutz gewährt habe. Außerdem heißt es in dem bislang nicht bekannt gegeben Bescheid, dass die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet werde.

8

Am 14. Juli 2011 hat der Kläger alsdann Klage erhoben und darauf hingewiesen, dass er sich bis auf weiteres wegen einer PTBS in stationärer Behandlung im Pfalzklinikum Klingenmünster aufhalte und nicht reisefähig sei. Insoweit verwies er auf eine fachärztliche Bescheinigung der genannten Klinik.

9

Mit Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - untersagte die erkennende Kammer der Beklagten auf Antrag des Klägers alsdann, einstweilen seine Rücküberstellung nach Ungarn zu betreiben. Zur Begründung des Beschlusses ist ausgeführt, dass der Kläger sich aufgrund der ärztlich attestierten Reise- und Transportunfähigkeit auf ein im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigendes inlandsbezogenen Abschiebungshindernis berufen könne.

10

Zur weiteren Klagebegründung macht der Kläger geltend, dass er ungeachtet dessen, dass er zwischenzeitlich aus der Klinik entlassen worden sei, weiterhin reise- und transportunfähig sei. Wegen der PTBS sei er zwischenzeitlich in Behandlung einer psychotherapeutischen Praxis; insoweit verweist er auf ein Attest des Dr. phil. ... vom 9. Dezember 2011. Des Weiteren verweist er auf eine nervenärztliche Stellungnahme der Dr. med. ... vom 2. Mai 2012. Ferner trägt der Kläger vor, dass das Übernahmeersuchen nach Ungarn nicht innerhalb von drei Monaten und damit verspätet gestellt worden sei und die Beklagte deshalb zu einem Selbsteintritt verpflichtet sei.

11

Ferner macht der Kläger geltend, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Überstellung aus Österreich nach Ungarn gestoppt habe, weil Flüchtlinge dort nach Rückkehr bis zu einem Jahr inhaftiert würden. Von daher habe er einen Anspruch aus Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte. Als Sachverständige zu den gravierenden Mängeln im Asylverfahren in Ungarn solle Frau Marion Bayer gehört werden, die unter dem Titel "Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit" für ProAsyl einen umfangreichen Bericht zu den dortigen Verhältnissen erstellt habe, den er zu den Akten reichte. Im Übrigen habe der UNHCR in einem Bericht vom 24. April 2012 erhebliche Kritik an der Behandlung von Asylbewerbern in Ungarn geübt.

12

Im Hinblick auf das geltend gemachte Asylbergehren beruft der Kläger sich auf eine weitere zu den Akten gereichte Stellungnahme des Vereins Reporter ohne Grenzen vom 10. Oktober 2011, in der ausgeführt wird, dass die Situation in Somalia für den Kläger als ehemaligen Mitarbeiter der Radiostation ... sehr kritisch sei.

13

In der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat der Kläger die ihm eingeräumte Möglichkeit, sich ergänzend zum Klagebegehren zu äußern, genutzt und ausführliche Angaben zur Sache gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Angaben wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Beklagte unter Aufhebung des bislang nicht zugestellten Bescheides vom 26. Mai 2011 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft festzustellen und festzustellen, dass im Hinblick auf seine Person in Bezug auf eine Abschiebung nach Somalia die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis Abs. 5 bzw. Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,

16

hilfsweise,

17

die Beklagte zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

18

Die in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertretene Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers schriftsätzlich entgegengetreten und bittet,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie ist der Auffassung, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn aufgrund der Bestimmungen der Art. 16 Abs. 1e, 20 der Dublin-II-VO nicht fristgebunden sei. Im Übrigen korrespondiere das Selbsteintrittsrecht eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO nicht mit subjektiven Rechten eines Asylbewerbers. Außerdem erfülle Ungarn gegenüber asylbeantragenden Ausländern die europarechtlich vorgegebenen Mindeststandards. Diese Einschätzung widerspreche nicht dem Urteil des EUGH vom 21. Dezember 2011 - C-441/10.N.S. -, denn vereinzelte Ausreißer in der Behandlung einzelner Asylbewerber könnten kein allgemeines Selbsteintrittsrecht begründen. Insoweit müsse auch gesehen werden, dass der österreichische Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - ausgeführt habe, dass eine Überstellung von Asylbewerbern nach Ungarn möglich sei.

21

Die Kammer hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 den Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2012. Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die auf Blatt 178 ff. der Prozessakte aufgelisteten Unterlagen zu den Verhältnissen in Somalia lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

23

Die Klage, über die das Gericht trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - entscheiden kann, ist unzulässig, soweit der Kläger eine Aufhebung des bislang noch nicht bekanntgegebenen Bescheids vom 26. Mai 2011 erstrebt, denn dieser lediglich bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 und 5 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - bislang nicht wirksam geworden, weil er dem Kläger (noch) nicht bekannt gegeben worden ist. Soll ein Asylantrag - wie hier - nach § 27 a AsylVfG abgelehnt werden, erfolgt die Bekanntgabe der Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG durch Zustellung an den Ausländer selbst, § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG. Wird der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten, soll diesem ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Vorliegend fehlt es bislang an einer derartigen Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten an den Kläger. Dass diesem der in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten enthaltene Bescheid auf dem Wege der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten in die Verwaltungsvorgänge bekannt geworden sind, stellt keine wirksame Bekanntgabe im Sinne der vorgenannten Vorschriften dar, da es schon an der erforderlichen Zustellung gegenüber dem Kläger selbst fehlt. Dieser Mangel wird auch nicht etwa durch § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - geheilt, da die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, dass die Behörde eine Zustellung vornehmen wollte (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 6. Januar 2010 - 7 L 319/09.A -, juris, mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Zustellungs-/Bekanntgabewille der Beklagten ist hier nicht erkennbar, so dass der bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid allenfalls als noch unverbindlicher Entwurf eines Bescheides angesehen werden kann und daher für eine Aufhebung durch das Gericht kein Raum ist.

II.

24

Soweit die Klage im Hauptantrag des Weiteren auf Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bzw. von Abschiebungsverboten gerichtet ist, ist sie unter Berücksichtigung des § 75 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als Verpflichtungsklage in der Form der so genannten Untätigkeitsklage zulässig, denn der Kläger kann im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, möglicherweise einen Anspruch auf gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der begehrten Entscheidungen zu haben.

25

Die Klage ist indessen bereits deshalb nicht begründet, weil für einen gerichtlichen Verpflichtungsausspruch vorliegend unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Besonderheiten kein Raum ist. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz steht nämlich der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange - wie vorliegend - noch keine Verwaltungsentscheidung über den Asylantrag ergangen ist.

26

Zwar sind auch im Bereich des Asylrechts die Verwaltungsgerichte bei einer Verpflichtungsklage grundsätzlich gehalten, die Sache spruchreif zu machen und das Verfahren nicht an die Behörde zurückzuverweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris). Dies gilt indessen in den Fällen, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrag gestellt hat, nur dann, wenn bereits eine behördliche Entscheidung über das Asylbegehren ergangen ist. Ist hingegen noch keine behördliche Entscheidung ergangen, so würde eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung der Sache und zum Durchentscheiden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29 a und 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes völlig widerspricht (vgl. zu alledem: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 -, juris). Von daher kommt ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts bei einer Asylverpflichtungsklage nur in Betracht, wenn der Kläger mit seinem erstmals in Deutschland gestellten Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebenen ist (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, a.a.O.).

27

Demnach ist - anders als im Falle eines Asylfolgeantrags im Sinne des § 71 AsylVfG (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2000 - 9 B 426/00 -, juris) - in den Fällen der Nichtbescheidung eines ersten Asylantrags eines Asylbewerbers kein Raum für eine Untätigkeitsklage dahingehend, dass die Beklagte zur Asylanerkennung sowie Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder von Abschiebungsverboten verpflichtet werden könnte (vgl. zur diesbezüglichen Problematik auch VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris).

28

Demnach kann die Klage hinsichtlich des Hauptantrags keinen Erfolg haben.

III.

29

Der Hilfsantrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihr so genanntes Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - auszuüben, ist zulässig.

30

Dabei kann der Kläger sein diesbezügliches Begehren als Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage geltend machen, denn die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts stellt einen Verwaltungsakt dar. Insoweit macht sich die Kammer die nachfolgenden Ausführungen des VG Osnabrück in dessen Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris zu Eigen, in denen es heißt:

31

"Die Kammer geht davon aus, dass eine Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO gegenüber dem von ihr betroffenen Asylbewerber Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG entfaltet. Zwar geht die Kammer mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Juli 1965, - BVerwG IV C 82.63 -, BVerwGE 21, 352 [353]) davon aus, dass die von einer höheren Behörde (heute in dem Rahmen des § 3 Abs. 2 VwVfG) getroffene Auswahl einer von mehreren zuständigen nachgeordneten Behörden für eine gewisse Angelegenheit deswegen nicht als Regelung anzusehen ist, weil sie nicht unmittelbar gegen den Bürger gerichtet ist, sondern sich innerhalb des Behördenaufbaus hält (anderer Ansicht Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Auflage, § 3 Tz. 4.2) und eine derartige Zuständigkeitsbestimmung deshalb (heute) gemäß § 44 a VwGO weder einer isolierten Anfechtung noch einer isolierten Verpflichtung zugänglich ist. Anders ist dies nach Auffassung der Kammer jedoch dann, wenn in einem transnationalen Verhältnis eine gemeinsame Fachaufsichtsbehörde zu einer Bestimmung der zuständigen Behörde fehlt. In einem solchen Fall folgt die Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG für den Kläger aus der selbständigen Bedeutung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union neben dem eigentlichen Verwaltungsverfahren der Asylanerkennung. Die vorliegend streitige Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union unterwirft den Asylsuchenden der institutionellen- und Verfahrensautonomie des jeweiligen Mitgliedsstaates: Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts - hier der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (vom 29. April 2004, Abl. Nr. L 204, Seite 12; berichtigt ABl. 2005 Nr. L 204 Seite 25) - erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sind mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, Rs. C-312/93 [Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS gegen Belgischer Staat], Slg. 1995, I- 4599 [Randnummer 12]; EuGH, Urteil vom 11. September 2003, Rs. C-13/01 [Safalero Srl gegen Prefetto di Genova], Slg. 2003, I-8679, [Randnummer 49]). Unterschiedlich ausgestaltete nationale Verfahrensordnungen vermögen daher auch zu einer unterschiedlichen Rechtsdurchsetzung des Unionsrechts zu führen; dies rechtfertigt es, der Bestimmung eines anderen Mitgliedsstaates der Union gegenüber dem Asylsuchenden auch eine Regelungswirkung zuzuerkennen.

32

Der Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage beziehungsweise dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers steht § 44 a VwGO nicht entgegen. § 44 a Satz 2 VwGO lässt selbständige Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen zu, die vollstreckt werden können. Der Begriff der Vollstreckung ist hierbei weit auszulegen (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2010, - 5 LB 20/09 -, Juris). Unzweifelhaft ist die Bestimmung Italiens als für das Asylverfahren zuständigem Staat in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung einer Vollstreckungshandlung fähig; eine solche war bereits für den 23.08.2010 vorgesehen gewesen."

33

Diese Ausführungen sind zur Überzeugung des Gerichts auf das vorliegende Verfahren, in dem eine Überstellung des Klägers nach Ungarn im Raum steht, übertragbar.

34

Des Weiteren kann der Kläger geltend machen, möglicherweise durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO zu sein.

35

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Absatz 1 der Norm einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Vorliegend ist die Beklagte ohne Ausübung dieses Selbsteintrittsrechts für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht zuständig, denn aus Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt sich eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylantrags. Nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO ist nämlich für die Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellt hat. Da der Kläger eigenen Bekundungen zufolge jedoch im Bereich der Europäischen Union erstmals einen Asylantrag in Ungarn gestellt und Ungarn dies unter dem 25 Mai 2011 auch bestätigt und seine Zuständigkeit bejaht hat, ist Deutschland für die Bearbeitung des vom Kläger gestellten Asylantrags bislang nicht zuständig.

36

Die Beklagte ist auch nicht nach den Bestimmungen des Kapitels III der Dublin II-VO zuständig geworden. Dies bedarf keiner weitergehenden Erörterung, denn es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass sich im Falle des Klägers aus einem Artikel dieses Kapitels der genannten Verordnung eine Zuständigkeit der Beklagten ergeben könnte.

37

Demnach ist Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 1 e Dublin II-VO gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen, nachdem es den Asylantrag des Klägers abgelehnt hat und dieser sich unerlaubt in Deutschland und damit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. Dabei hat gemäß Art. 20 Abs. 1 d Dublin II-VO die Überstellung des Klägers nach Ungarn nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten zu erfolgen, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend sind zwar seit der Übernahmeerklärung Ungarns mehr als sechs Monate verstrichen. Da die Kammer indessen in ihrem Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO einstweilen eine Überstellung des Klägers nach Ungarn untersagt hat, was faktisch einer aufschiebenden Wirkung im Sinne einer Vollzugshinderung gleichkommt, hat derzeit eine sich aus dieser Bestimmung ergebende Überstellungsfrist noch nicht zu laufen begonnen (vgl. hierzu Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009- C 19/08 - und Beschluss des Hessischen VGH vom 23. August 2011 - 2 A 1863/10.Z.A -, beide veröffentlicht bei juris), so dass Deutschland auch nicht infolge Fristablaufs zuständiger Staat für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers geworden ist.

38

Von daher liegt ein Asylverfahren vor, auf das grundsätzlich das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung finden kann.

39

Dabei kann der Kläger auch geltend machen, durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein.

40

Zwar richten sich die Vorschriften der Dublin II-VO als zwischenstaatliche Regeln vorrangig an die Mitgliedstaaten und begründen regelmäßig keine subjektiven Rechte von Asylbewerbern (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Bd. 3, B2, § 27a Rdnr. 26, Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Bd. 2, I, § 27a Rdnr. 25). Insoweit kann auch Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO grundsätzlich nicht als Öffnungsklausel zur Durchsetzung individueller Ansprüche interpretiert werden (vgl. Hailbronner, a.a.O. Rdnrn. 60 ff.).

41

Allerdings ist das Gericht der Überzeugung, dass Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dann subjektiv-rechtlichen Charakter haben und einen Anspruch des Klägers begründen kann, wenn in dem für das Verfahren zuständigen Mitgliedstaat die Durchführung eines den Geboten der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABl. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens nicht hinreichend gewährleistet ist (vgl. Vorlagebeschluss des OVG Nordrhein-Westfalen an den Europäischen Gerichtshof vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris und VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris; s.a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf).

42

Da Letzteres bei überschlägiger Prüfung in Bezug auf Ungarn nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sind die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts zulässig ist.

43

Ferner ist ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2010 gestellten Antrags auf Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nicht erkennbar und die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO verstrichen, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags zulässig ist.

44

Sie ist auch in der Sache begründet; der Kläger hat einen Anspruch dahingehend, dass die Beklagte verpflichtet ist, das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben, so dass sie gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zu dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.

45

Zwar liegt die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, wie sich aus dem Wort "kann" ergibt, grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaats. Dieses Ermessen ist indessen zur Überzeugung des Gerichts vorliegend auf Null dahingehend reduziert, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, weil der Kläger in Ungarn - dem für sein Asylverfahren grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat - kein ordnungsgemäßes Verfahren zu erwarten hat.

46

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris, ausgeführt, dass Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Im Einzelnen heißt es in diesem Urteil:

47

"75. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).

48

76. Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.

49

77. Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).

50

78. Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

51

79. Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.

52

80. Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

53

81. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.

54

82. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.

55

83. Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.

56

84. Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

57

85. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

58

86. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar."

59

Unter Zugrundelegung dieser grundsätzlichen Anforderungen zur Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts ist das Gericht der Überzeugung, dass im Fall des Klägers die im Urteil des Europäische Gerichtshofs dargelegte Vermutung widerlegt ist, wonach in Ungarn grundsätzlich ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet ist, weil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass seine weitere Behandlung nach einer Überstellung nach Ungarn dort nicht in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

60

Dies folgt zwar nicht aus dem vom Kläger zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. September 2011 (Beschwerde-Nr. 10816/10 -, http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/viewhbkm.asp?sessionId=78728660&skin=hudoc-en&action=html&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=92442&highlight=lokpo), denn dieses Urteil betrifft einen anderen Sachverhalt und ist von daher nicht einschlägig. In dem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass Ungarn durch eine mehrmonatige Inhaftierung zweier Asylbewerber gegen Art. 5 Abs. 1, Buchstabe f der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat, wonach jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat und "die Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf bei rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßiger Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist". Allerdings betrifft die Entscheidung zwei Fälle von Asylbewerbern, die in Ungarn während der laufenden (ersten) Asylverfahren inhaftiert waren. Von daher enthält das Urteil keine Aussage dazu, wie Personen, denen - wie dem Kläger, s. insoweit die Mitteilung der ungarischen Behörde [Blatt 116 der Verwaltungsakte]) - nach Abschluss des in Ungarn betriebenen Asylverfahrens ein Status "beneficiary of temporary protection" (menedékes) (vgl. hierzu http://www.miracle-comenius.org/fileadmin/miracle-project/Minority_Hungary.pdf) zuerkannt wurde, im Falle einer Rückkehr nach Ungarn behandelt werden.

61

Allerdings ist das Gericht unter Berücksichtigung der ihm ansonsten vorliegenden übrigen Erkenntnisquellen der Überzeugung, dass dem schwerkranken Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen des Dublin II-Verfahrens eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta drohen wird und in seinem Fall die dargestellte Vermutungsregelung wiederlegt ist.

62

Der Leiter des österreichischen Büros des UNHCR, dem als namhafter UN-Organisation bei der Lagebeurteilung erhebliches Gewicht zukommt, hat in einer Stellungnahme vom 3. Februar 2012 an den österreichischen Asylgerichtshof ausgeführt, dass Asylsuchende, die - wie der Kläger - aufgrund der Dublin II-Verordnung nach Ungarn rücküberstellt werden, unmittelbar nach ihrer Überstellung nach Ungarn regelmäßig eine Abschiebungsverfügung erhalten und darauf basierend in der Regel inhaftiert werden (vgl. http://www.ecoi.net/file_upload/90_1328611178_unhcr-2012-02-03-coi-hu-update.pdf; s. auch österreichischer Asylgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - S4 422020-1/2011 -, http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111027_S4_422_020_1_2011_00), so dass viel dafür spricht, dass Ungarn Art. 18 der Richtlinie 2005/85/EG nicht beachtet, der bestimmt, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen, weil sie ein Asylbewerber ist.

63

Eine derartige Praxis wird letztlich auch durch eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 9. November 2011 - 508-9-516.80/46875 - an das Verwaltungsgericht Regensburg im dortigen Verfahren RO 4 K 11.30204 bestätigt. Dort ist nämlich ausgeführt, dass der dortige Kläger nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn im Dublin-II-Verfahren zunächst in Györ und anschließend in Nyírbátor in Gewahrsam genommen worden sei und sich Asylbewerber in der zuletzt genannten Gewahrsamseinrichtung täglich (nur) eine Stunde frei bewegen könnten.

64

Derartige Praktiken werden außerdem in dem vom Kläger vorgelegten Bericht "Flüchtlinge in Ungarn: zwischen Obdachlosigkeit und Haft" (vgl. http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2012/Ungarnbericht_3_2012_Web.pdf) und dem von ihm ebenfalls vorgelegten Bericht des ungarischen Helsinki-Komitee (HHC) bestätigt. Insoweit hat die Kammer keine Zweifel, dass die Angaben in den Berichten glaubhaft sind, so dass keine Veranlassung bestand, insoweit in eine Beweisaufnahme einzutreten. Soweit das Auswärtige Amt in der bereits zitierten Auskunft vom 9. November 2011 angibt, aus eigener Kenntnis keine Aussage über die Glaubwürdigkeit des Berichts des HHC treffen zu können, ist diese Angabe nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der in dem Bericht enthaltenen Ausführungen zu widerlegen, zumal das Auswärtige Amt in dieser Auskunft darlegt, dass Asylbewerber in Hafteinrichtungen untergebracht wurden und Anwälte des HCC Zugang zu Anstalten haben, in denen Asylbewerber untergebracht sind, und damit letztlich die Ausführungen des Berichts bestätigt.

65

Ferner berücksichtigt die Kammer, dass der UNHCR in seinem neuesten Bericht zur Situation von Asylsuchenden in Ungarn vom 24. April 2012 (vgl. http://www.unhcr.de/home/artikel/fb7213ec516ae34a4677150a85e35ed3/bericht-zur-situation-von-asylsuchenden-in-ungarn.html) unter Darlegung von Einzelheiten von Besorgnis erregenden Entwicklungen spricht und Verbesserungen als dringend erforderlich ansieht. Wenn er in diesem Bericht zwar abschließend die Schritte Ungarns zur Verbesserung der Situation begrüßt, so rechtfertigt dies angesichts seiner vorherigen Ausführungen gleichwohl nicht die Schlussfolgerung, dass die aufgezeigten Missstände beseitigt und in Zukunft nicht mehr zu befürchten seien.

66

Von daher ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn eine längerfristige Inhaftierung droht, die für ihn jedenfalls deshalb eine unmenschliche Behandlung darstellt, weil er zur Überzeugung des Gerichts, wie durch zahlreiche medizinische und psychologische Stellungnahmen belegt wird, an erheblichen gesundheitlichen, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen leidet, die im Übrigen auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Gericht deutlich erkennbar waren (vgl. zu Rückkehrgefahren bei derartigen Personen auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf unter der dortigen Nr. 5.3 auf Seite 13 ff.).

67

Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des österreichischen Asylgerichtshofs vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - die Auffassung vertritt, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn zumutbar sei, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Der Asylgerichtshof hat in seiner Entscheidung nämlich ausgeführt, dass bei dem dortigen Beschwerdeführer keine konkreten auf ihn bezogenen Umstände vorlägen, die gerade in seinem Fall eine Bedrohung oder Gefährdung im Falle seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen ließen. Von daher ist die Entscheidung auf das Verfahren des Klägers nicht übertragbar, da bei ihm aufgrund seiner massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen besondere Umstände vorliegen.

68

Besteht aber somit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass der Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn eine unmenschliche Behandlung erfahren wird, so hat er einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte, so dass die Klage insoweit Erfolg hat.

69

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

70

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

Tenor

I.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben ein am ... 1976 geborene iranischer Staatsangehöriger. Er reiste am 29. Juli 2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. Juli 2013 einen Asylantrag. Zur Begründung gab er im Wesentlichen an, er habe wegen der Äußerung religiöser Ansichten Schwierigkeiten an seiner Arbeitsstelle bekommen. Er habe sich schon im Iran dem christlichen Glauben zugewandt. Die Freien Christengemeinde K. teilte mit Schreiben vom 13. Februar 2014 und 5. Juni 2014 mit, der Kläger besuche seit geraumer Zeit die Gottesdienste. Er habe an einen Grundkurs des Glaubens teilgenommen und sei am 25. Mai 2014 getauft worden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Kläger angehört, hat aber bislang noch nicht über seinen Antrag entschieden. Der Klägerbevollmächtigte forderte die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Januar 2015 unter Fristaufsetzung auf über den Asylantrag zu entschieden.

2. Am 31. Januar 2015 ließ der Kläger Klage erheben und beantragen:

Die Beklagte wird verpflichtet, innerhalb einer Frist von drei Monaten über den am 30. Juli 2013 gestellten Asylantrag zu entscheiden.

Zur Begründung ließ er im Wesentlichen ausführen, er habe eine Entscheidung angemahnt, die - laut Medien - derzeitige durchschnittliche Verfahrensdauer von 5,7 Monaten sei deutlich überschritten.

Mit Schriftsatz vom 6. April 2015 ließ der Kläger die positive Verbescheidung seines Asylantrags in allen Teilen beantragen. Zur Begründung ließ der Kläger ausführen: Der Kläger habe befürchten müssen, aufgrund seiner religiösen Überzeugung und der hierauf fußenden Meinungsäußerungen verhaftet zu werden. Er habe nachvollziehbar geschildert, wie er bereits im Iran in Kontakt mit dem christlichen Glauben gekommen sei. Dazu würden Handybilder von und mit der armenischen Christin „R.“ vorgelegt. Außerdem existierten zwei Videos. Der Kläger habe bei der Freien Christengemeinde K. an einem Grundkurs des Glaubens teilgenommen. Am 25. Mai 2014 sei er getauft worden ist. Er besuche regelmäßig die Gottesdienste, pflege Kontakt zu Gemeindemitgliedern, nehmen an Veranstaltungen mit anderen Christen zusammen teil, helfe mit beim Umbau der Gemeinderäume, bete und lese in der Bibel. Außerdem tausche er sich mit anderen Iranern im Asylheim aus. Aufgrund der Hinwendung zum christlichen Glauben, der Taufe und seiner Ausübung des christlichen Glaubens wäre der Kläger bei der Rückkehr in den Iran mit hinreichender Sicherheit religiöser Verfolgung ausgesetzt.

3. Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 12. Februar 2015,

die Untätigkeitsklage abzuweisen.

Zur Begründung wurde ausgeführt: Die derzeitige Situation sei bekannt. Es läge noch kein Uraltfall vor, wie Iran-Anträge aus dem Jahr 2012. Neben S. und Irak werde jetzt auch Kosovo priorisiert. Grundsätzlich könne auch im Fall von Untätigkeitsklagen keine bevorzugte Bearbeitung erfolgen. Das Verfahren des Klägers gehöre nicht zu den derzeit priorisierten Fällen.

4. Die Kammer übertrug den Rechtsstreit mit Beschluss vom 5. März 2015 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung.

Mit Beschluss vom 12. März 2015 bewilligte das Gericht dem Kläger unter Beiordnung seines Bevollmächtigten Prozesskostenhilfe.

In der mündlichen Verhandlung am 22. April 2015 nahm der Kläger den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter zurück. Das Gericht trennte diesen Klageteil ab, führte ihn in einem gesonderten Verfahren unter dem Az. W 6 K 15.30289 fort und stellte ihn infolge der Klagerücknahme auf Kosten des Klägers ein. Der Klägerbevollmächtigte beantragte sodann,

die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;

hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutz zuzuerkennen;

hilfsweise, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Das Gericht hörte den Kläger informatorisch an.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die Klage, über die entschieden werden konnte, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen sind (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist als Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO zulässig. Denn die Beklagte hat über den Asylantrag des Klägers ohne zureichenden Grund bis Ende der mündlichen Verhandlung nicht entschieden. Der allgemeine Verweis der Beklagten auf die bekannte Situation und die derzeitige Arbeitsbelastung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, verbunden mit der Priorisierung anderer Fälle, reicht nicht als zureichender Grund aus, da bei einer permanenten Überlastung bestimmter Behörden ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung eines Antrags i. S. von § 75 Satz 3 VwGO grundsätzlich nicht anzunehmen ist, weil es in einem solchen Fall Aufgabe des zuständigen Bundesministeriums bzw. der Behördenleitung ist, für hinreichenden Ersatz zu sorgen und entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen (vgl. etwa VG Dresden, U. v. 13.2.2015 - A 2 K 3657/14 - juris; VG Düsseldorf, U. v. 30.10.2014 - 24 K 992/14.A - juris; VG Braunschweig, U. v. 8.9.2014 - 8 A 618/13). Vorliegendes gilt insbesondere dann, wenn die Behörde wie hier keine Perspektive für eine Entscheidung aufzeigt, so dass auf zunächst unbestimmte Zeit offenbleibt, wann überhaupt über den Antrag entschieden wird.

Die Klage ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt (teilweise) unzulässig, dass der Kläger mit seinem zuletzt gestellten Antrag nicht nur mehr die Verpflichtung der Behörde über Bescheidung seines Asylantrags geltend macht, sondern eine Durchentscheidung im Hinblick auf sein materielles Begehren (Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft) anstrebt. Eine solche Umstellung des Klageantrags ist als bloße Berichtigung bzw. als sachdienliche Klageänderung zulässig (VG Ansbach, B. v. 30.1.2015 - AN 14 K 14.00440 - juris; vgl. auch BayVGH, B. v. 11.2.2014 - 10 C 11.1680 - juris). Das Gericht sieht sich auch angesichts der Besonderheiten des Asylverfahrens jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung nicht gehindert, in der Sache durch zu entscheiden. Es geht überwiegend um gebundene Entscheidungen. Der Kläger wurde von der Beklagten angehört. Das Gericht lässt dahingestellt, ob es verpflichtet ist, die Sache spruchreif zu machen und durch zu entscheiden, jedenfalls hat es bei der hier gegebenen Konstellation die Möglichkeit des Durchentscheidens (ebenso VG Dresden, U. v. 13.2.2015 - A 2 K 3657/14 - juris; vgl. auch BayVGH, B. v. 11.2.2014 - 10 C 11.1680 - juris; anderer Ansicht VG Düsseldorf, U. v. 30.10.2014 - 24 K 992/14.A - juris; VG Braunschweig, U. v. 8.9.2014 - 8 A 618/13).

2. Die Klage ist mit dem zuletzt gestellten Antrag auch begründet. Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylVfG). Über die hilfsweise gestellten Anträge zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylVfG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden.

2.1 Unter Berücksichtigung der aktuellen abschiebungsrelevanten Lage im Iran hat der Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG.

Gemäß §§ 3 ff. AsylVfG darf ein Ausländer in Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit oder seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Bedrohung liegt dann vor, wenn anknüpfend an Verfolgungsgründe wie die Religion (vgl. dazu Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 - so genannte Anerkennungsrichtlinie bzw. § 3b AsylVfG) Verfolgungshandlungen i. S. v. Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (§ 3a AsylVfG). Eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit kann eine Verfolgungshandlung darstellen, wenn der Betreffende aufgrund der Ausübung dieser Freiheit tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Dabei ist es nicht zumutbar, von seinen religiösen Betätigungen Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U. v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - ZAR 2012, 433).

2.2 Nach Überzeugung des Gerichts besteht für den Kläger aufgrund seiner Konversion vom Islam zum Christentum eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran.

Denn aufgrund der aktuellen Lage, welche sich aus den in den Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln ergibt, besteht im Iran für christliche Konvertiten, die ihren Glauben in Gemeinschaft mit anderen ausüben, die beachtliche Gefahr von Verfolgungshandlungen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts (vgl. im Einzelnen VG Würzburg, U. v. 11.7.2012 - W 6 K 11.30392) sowie verschiedener Obergerichte (vgl. OVG Saarl, U. v. 26.6.2007 - 1 A 222/07 - InfAuslR 2008, 183; BayVGH, U. v. 23.10.2007 - 14 B 06.30315 - DÖV 2008, 164; SächsOVG, U. v. 3.4.2008 - A 2 B 36/06 - juris; OVG NRW, U. v. 30.7.2009 - 5 A 982/07.A - EzAR-NF 62 Nr. 19 sowie U. v. 7.11.2012 - 13 A 1999/07.A - DÖV 2013, 323; HessVGH, U. v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08.A - ESVGH 60, 248 - jeweils mit weiteren Nachweisen; kritischer OVG Nordrhein-Westfalen, U. v. 9.6.2011 - 13 A 947/10.A - DVBl. 2011, 1166 in einem gesondert gelagerten Einzelfall) unterliegen iranische Staatsangehörige, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, bereits dann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Anerkennungsrichtlinie, wenn sie im Iran lediglich ihren Glauben ausüben und an öffentlichen Riten teilnehmen. Insgesamt betrachtet ist eine religiöse Betätigung von muslimischen Konvertiten, die einer evangelikalen oder freikirchlichen Gruppierung angehören, im Iran selbst im häuslich-privaten oder nachbarschaftlich kommunikativen Bereich nicht mehr gefahrlos möglich (vgl. HessVGH, U. v. 18.11.2009 - 6 A 2105/08 A - ESVGH 60, 248; B. v. 23.2.2010 - 6 A 2067/08.A - Entscheiderbrief 10/2010, 3; B. v. 11.2.2013 - 6 A 2279/12.Z.A - Entscheiderbrief 3/2013, 5).

2.3 Aufgrund des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung besteht nach Überzeugung des Gerichts für den Kläger eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in den Iran, da der Kläger aufgrund einer tiefen inneren Glaubensüberzeugung lebensgeschichtlich nachvollziehbar den christlichen Glauben angenommen hat. Das Gericht ist weiterhin davon überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner persönlichen religiösen Prägung entsprechend seiner neu gewonnenen Glaubens- und Moralvorstellungen das unbedingte Bedürfnis hat, seinen Glauben auch in Gemeinschaft mit anderen Gläubigen öffentlich auszuüben, und dass er ihn auch tatsächlich ausübt. Das Gerichtet erachtet weiter als glaubhaft, dass eine andauernde christliche Prägung des Klägers vorliegt und dass er auch bei einer Rückkehr in den Iran seinen christlichen Glauben leben will. Das Gericht hat nach der Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung nicht den Eindruck, dass sich der Kläger bezogen auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylVfG) nur vorgeschoben aus opportunistischen, asyltaktischen Gründen dem Christentum zugewandt hat. Die Würdigung der Angaben des Klägers zu seiner Konversion ist ureigene Aufgabe des Gerichts im Rahmen seiner Überzeugungsbildung gemäß § 108 VwGO (BayVGH, B. v. 9.4.2015 - 14 ZB 14.30444 - juris; NdsOVG, B. v. 16.9.2014 - 13 LA 93/14 - juris; VGH BW, B. v. 19.2.2014 - A 3 S 2023/12 - juris; OVG NRW, B. v. 11.11.2013 - 13 A 2252/13.A - AuAS 2013, 271).

Das Gericht ist nach informatorischer Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung sowie aufgrund der schriftlich vorgelegten Unterlagen davon überzeugt, dass dieser ernsthaft vom Islam zum Christentum konvertiert ist. So legte der Kläger ein persönliches Bekenntnis zum Christentum ab. Der Kläger schilderte weiter nachvollziehbar und ohne Widersprüche glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum, Inhalte des christlichen Glaubens und seine christlichen Aktivitäten. Die Schilderungen des Klägers sind plausibel und in sich schlüssig. Der Kläger legte verschiedene Unterlagen vor. In diesen Unterlagen werden die Taufe des Klägers, seine Konversion zum Christentum sowie seine christlichen Aktivitäten bestätigt. Außerdem bekräftigte seine christliche Gemeinde seine Angaben und den Eindruck einer ehrlichen und aufrichtigen Konversion zum Christentum.

Der Kläger hat glaubhaft seinen Weg vom Islam zum Christentum dargetan. Er gab an, im Iran als Moslem geboren zu sein und dort als Moslem gelebt, aber sich schon im Jahr 1993/1994 vom Islam entfernt zu haben. Der Kläger beschrieb in der mündlichen Verhandlung ausführlich die Umstände und seine Beweggründe für den Abfall vom Islam und die Hinwendung zum christlichen Glauben. Er erläuterte, dass er aus seinem täglichen Leben im Iran im Umgang mit dem Islam seinen seinerzeitigen Gott nicht verstanden habe. Dies sei ein Gott, der Strafe und Angst verbreite. Er habe Gott verloren, er habe in sich eine Leere gespürt. Er schilderte, wie er in Kontakt zu einer armenischen Christin gekommen sei und sich dadurch auch dem Christentum angenähert habe. Sie habe auch ca. sieben bis acht Hauskreise in den ca. sechs Monaten vor seiner Ausreise vermittelt. Außerdem habe ein besonderes Erlebnis gehabt, als er mit der armenischen Christin eine christliche Kirche besucht habe. Er habe ein Kreuz berührt und sich dabei mit einer Bitte an Jesus Christus gewandt. Weiter erläuterte der Kläger seinen Kontakt zum Christentum in Deutschland, erst in Zirndorf bzw. in Fürth und dann bei der Freien Christengemeinde in K. Er habe auf Empfehlung des dortigen Pastors auf seinen Taufwunsch hin zunächst einen mehrmonatigen Vorbereitungskurs besucht. Danach habe er ein persönliches Gespräch mit dem Pastor geführt. Der in der mündlichen Verhandlung anwesende Pastor bestätigt das Gespräch und dessen Sinn in der Überprüfung der Ernsthaftigkeit der Glaubenskonversion. Am 25. Mai 2014 erfolgte die Taufe als Ganzkörpertaufe im M. Er, der Kläger, lese im Übrigen regelmäßig in der Bibel und besuche sonntags die Gottesdienste.

Besonders zu erwähnen ist in dem Zusammenhang, dass der Kläger seinen Glauben nicht nur öffentlich und nach außen hin lebt, sondern dass er sich auch für seinen Glauben engagiert. So gab er glaubhaft an, fürs Christentum geworben und erfolgreich missioniert zu haben. Der Kläger räumte ein, dass Moslems sensibel seien, was das Thema Christentum anbelange. Er versuche aber, mit ihnen über das Christentum zu reden und mit der Zeit näher darauf einzugehen. In einem Fall habe er schon erfolgreich missioniert, in einem anderen sei er noch im Gespräch. Seinen Eltern habe er mitgeteilt, dass er die christliche Kirche besuche. Diese hätten auch festgestellt, dass er ruhiger und gelassener geworden sei. Er gab an, er wolle sie jetzt langsam über seine Konversion informieren. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der christlichen Aktivitäten des Klägers schon im Iran vor seiner Ausreise wird der Eindruck bestätigt, dass der Kläger bei seiner Glaubensbetätigung auch nicht vor seiner Heimat Halt macht, was für eine nachhaltige und ehrliche Konversion sowie für eine entsprechende Glaubensbetätigung auch bei einer eventuellen Rückkehr in den Iran spricht.

Der Kläger verdeutlichte in der mündlichen Verhandlung des Weiteren plausibel und glaubhaft seine Beweggründe für die Abkehr vom Islam und die Hinwendung zum Christentum. In dem Zusammenhang legte er - in seinen Worten und in seinem Verständnis - auch zentrale Elemente des christlichen Glaubens als für sich wichtig dar. Gerade mit seinen Aussagen zur Stellung von Jesus Christus im Christentum sowie zur Erbsünde machte der Kläger zentrale Elemente des christlichen Glaubens und den fundamentalen Unterschied zwischen Islam und Christentum deutlich und zeigte, dass er dies verinnerlicht hat. Er erklärte, im Islam würden die Taten nach dem Tode beurteilt. Beim Christentum würden alle Sünden bereinigt. Das Christentum sei eine Religion der Liebe und Zuneigung. Man habe einen direkten Kontakt zu Gott. Jesus Christus sei der Sohn Gottes. Gott habe seinen Sohn geopfert, damit unsere Sünden bereinigt würden. Mohammed sei ein Prophet; Jesus Christus sei von den Toten auferstanden. Jesus Christus sei der Sohn Gottes. Er sei über den Heiligen Geist in den Körper eines Menschen auf die Erde gekommen. Es gebe im Christentum nur einen Gott mit drei Persönlichkeiten: Heiliger Geist, Jesus Christus und Gott Vater. Das nenne man die Dreieinigkeit. Die Sünde komme daher, dass Adam das verbotene Obst zu sich genommen habe. So seien alle Menschen zu Sündern geworden.

Der Kläger offenbarte weiter konkrete wesentliche Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse, die seine Glaubensentscheidung und seinen Gewissensschritt zusätzlich belegen. Der Kläger benannte in dem Zusammenhang einzelne christliche Feiertage und die Zehn Gebote. Des Weiteren kannte der Kläger auch christliche Gebete, wie das „Vater unser“. Der Kläger bezog sich zudem auf die Bibel und auf einzelne Bibelstellen.

Der Kläger erklärte, er könne sich nicht vorstellen, zum Islam zurückzukehren. Er sei vom Islam abgefallen. Der einzige Weg der Rettung sei das Christentum. Der Kläger gab weiter glaubhaft an, dass er bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran seine Konversion nicht verheimlichen könne. Er verwies auf seine Vorfluchtgeschichte bei der Arbeitsstelle. Jesus Christus habe gesagt, man solle seinen Glauben nicht leugnen und sein Licht nicht verstecken. Wenn man an einen Ort komme, an dem man nicht gegrüßt werde, solle man den Staub von der Hose wischen und an einen anderen Ort gehen. Wenn es künftig bei einer anderen Regierung im Iran keine Verfolgung des Christentums mehr gebe, könne er dort leben und seine Religion ausüben.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das gesamte Verhalten des Klägers vor und nach seiner Ausreise im Zusammenhang mit der Konversion zum Christentum sowie die von ihm vorgetragenen Glaubensinhalte und Glaubenskenntnisse über die christliche Religion - auch in Abgrenzung zum Islam - eine ehrliche Konversion glaubhaft machen und erwarten lassen, dass der Kläger bei einer angenommenen Rückkehr in seine Heimat seiner neu gewonnenen Religion entsprechend leben würde. Der Kläger hat lebensgeschichtlich nachvollziehbar seine Motive für die Abkehr vom Islam und seine Hinwendung zum christlichen Glauben dargestellt. Er hat seine Konversion anhand der von ihm gezeigten Glaubenskenntnisse über das Christentum und durch seine Glaubensbetätigung gerade auch in Bezug zur Öffentlichkeit nachhaltig und glaubhaft vorgebracht. Der Eindruck einer ernsthaften Konversion wird dadurch verstärkt, dass der Kläger missionarische Aktivitäten entwickelt, indem er bei anderen für den christlichen Glauben wirbt. Weiter ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer theoretischen Rückkehr in den Iran seine Konversion verheimlichen würde, da prognostisch von einer andauernden christlichen Prägung auszugehen ist. Abgesehen davon, kann einem Gläubigen nicht als nachteilig entgegengehalten werden, wenn er aus Furcht vor Verfolgung auf eine Glaubensbetätigung verzichtet, sofern die verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung wie hier die religiöse Identität des Schutzsuchenden kennzeichnet. Ein so unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungener Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann die Qualität einer Verfolgung erreichen und hindert nicht die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - BVerwGE 146, 67; Berlit, juris, Praxisreport-BVerwG 11/2013, Anm. 1; Marx, Anmerkung, InfAuslR 2013, 308). Umgekehrt kann einem Gläubigen von den deutschen Behörden bzw. Gerichten nicht zugemutet werden, bei einer Rückkehr in den Iran von seiner religiösen Betätigung Abstand zu nehmen, um nicht verfolgt zu werden (EuGH, U. v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - ABl. EU 2012, Nr. C 331 S. 5 - ZAR 2012, 433).

Der Kläger hat insgesamt durch sein Auftreten in der mündlichen Verhandlung und durch die Darlegung seiner Beweggründe nicht den Eindruck hinterlassen, dass er nur aus opportunistischen und asyltaktischen Gründen motiviert dem christlichen Glauben nähergetreten ist, sondern aufgrund einer ernsthaften Gewissensentscheidung und aus einer tiefen Überzeugung heraus den religiösen Einstellungswandel vollzogen hat. Dieser Eindruck erhärtet sich durch das schriftliche Vorbringen sowie die vorgelegten Unterlagen.

Dazu tragen auch die überzeugenden Ausführungen seines Beistands, des Pastors seiner Kirchengemeinde, in der mündlichen Verhandlung bei. Dieser erklärte, er sei überzeugt, dass der Kläger wirklich zum Christentum konvertiert sei und das Christentum liebe. Diese Überzeugung komme aus den Gesprächen mit dem Kläger sowie aus seinem Verhalten im täglichen Leben und aus Hausgesprächen mit anderen Gemeindemitgliedern, mit denen der Kläger Kontakt habe. Der Kläger komme und stelle auch Glaubensfragen. Er berichte, wenn er Gott im Leben verspürt habe. Das Ganze bestätige seinen Eindruck, dass der Kläger wirklich Christ sei.

2.4 Nach § 28 Abs. 1a AsylVfG kann sich ein Kläger bzw. eine Klägerin bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG auch auf Umstände stützen, die nach Verlassen des Herkunftslandes entstanden sind. Dies gilt gerade, wenn wie hier vorliegend ein Iraner seine religiöse Überzeugung aufgrund ernsthafter Erwägungen wechselt und nach gewissenhafter Prüfung vom Islam zum Christentum übertritt (Bergmann in Renner/Bergmann/Dienelt, AuslR, 10. Aufl. 2013, § 28 AsylVfG Rn. 17).

Nach alledem ist dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylVfG zuzuerkennen. Über die hilfsweise gestellten Antrag zum subsidiären Schutz (§ 4 AsylVfG) bzw. zu den nationalen Abschiebungsverboten (§ 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG) war nicht zu entscheiden (vgl. § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG).

3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG.

Zur Klarstellung wird im Hinblick auf die erhobene und nach Klagerücknahme und Abtrennung im gesonderten Verfahren W 6 K 15.30289 eingestellte Asylklage betreffend die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten darauf hingewiesen, dass das Gericht in der Sache eine entsprechende Anwendung von § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO für angemessen hält, da der zurückgenommene Teil der Klage durch die weitgehende Angleichung des Flüchtlingsstatus an die Rechtstellung des Asylberechtigten kostenmäßig nicht ins Gewicht fällt (HessVGH, U. v. 21.9.2011 - 6 A 1005/10.A - EzAR-NF 63 Nr. 4; VG Würzburg, B. v. 12.9.2011 - W 6 M 11.30245 - juris).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der Kläger, nach eigenen Angaben ein somalischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG.

2

Er beantragte am 23. August 2010 die Anerkennung als Asylberechtigter. Ihm wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - am gleichen Tag Fingerabdrücke abgenommen. Dabei wurde festgestellt, dass eine Auswertung zum Zwecke des erkennungsdienstlichen Abgleichs nicht möglich war. Der mit der Abnahme der Fingerabdrücke befasste Mitarbeiter des Bundesamts hielt in einem Vermerk fest, dass die Fingerkuppen des Klägers Spuren von Manipulationen aufwiesen (z.B. Verletzungen der Haut), was dieser bestritt. Daraufhin wurde der Kläger mit Schreiben vom 23. August 2010 aufgefordert, sein Asylverfahren dadurch zu betreiben, dass er zum einen binnen eines Monats in der Außenstelle des Bundesamts erscheine und sich "auswertbare Fingerabdrücke" abnehmen lasse. Zum anderen solle er schriftlich darlegen, in welchen Staaten er sich nach dem Verlassen seines Herkunftslandes aufgehalten habe, ob er dort bereits einen Asylantrag gestellt habe und dieser ggf. abgelehnt worden sei. Gleichzeitig wurde er unter Bezugnahme auf § 33 AsylVfG darauf hingewiesen, dass sein Asylantrag als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren länger als einen Monat nicht betreibe und in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG nach Aktenlage zu entscheiden sei. Ihm wurde eine Übersetzung des Schreibens in die Sprache Somali überreicht.

3

Der Kläger hat sich in einem weiteren Termin - nach Angaben des Bundesamts am 8. September 2010 - erneut Fingerabdrücke abnehmen lassen, die nach Mitteilung des Bundeskriminalamts vom 8. Oktober 2010 wiederum nicht verwertbar waren.

4

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 27. Oktober 2010 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und das Asylverfahren eingestellt ist (Ziff. 1). Weiter wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 2). Schließlich wurde der Kläger unter Androhung der Abschiebung in den Herkunftsstaat aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziff. 3). Das Bundesamt hat den Bescheid im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Kläger der Betreibensaufforderung nicht nachgekommen sei. Weder am 23. August 2010 noch beim Folgetermin hätten verwertbare Fingerabdrücke gewonnen werden können. Die angeforderten schriftlichen Erklärungen (zum Reiseweg) habe der Kläger nicht abgegeben. Die Feststellung von Abschiebungsverboten nach Abs. 2 bis  scheitere bereits daran, dass für den Kläger kein Herkunftsland habe festgestellt werden können.

5

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Bescheids sowie hilfsweise die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG hinsichtlich Somalias. Zur Begründung hat er geltend gemacht, es habe kein Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung vorgelegen. Zudem habe er sein Verfahren dadurch betrieben, dass er sich einer weiteren erkennungsdienstlichen Maßnahme unterzogen habe.

6

Während des Klageverfahrens forderte das Bundesamt den Kläger mit einem an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Schreiben vom 26. Oktober 2011 erneut auf, das Verfahren dadurch zu betreiben, dass er beim Bundesamt erscheine und sich Fingerabdrücke abnehmen lasse. Dazu erhalte er vom Bundesamt einen Ladungstermin. Die Pflicht zur Duldung erkennungsdienstlicher Maßnahmen umfasse auch die Verpflichtung, im Vorfeld der erneuten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Das Schreiben ging den Verfahrensbevollmächtigten am 28. Oktober 2011 zu.

7

Mit Schreiben vom 9. November 2011 wurde der Kläger zur erneuten erkennungsdienstlichen Behandlung auf den 24. November 2011 geladen. Er erschien an diesem Termin; die abgenommenen Fingerabdrücke erwiesen sich wiederum als nicht auswertbar. Nach einem Vermerk stellte der mit der Abnahme befasste Mitarbeiter des Bundesamts an den Fingerkuppen des Klägers Abschürfungen, Vernarbungen, starke Hornhautbildung, Verhärtungen, besonders trockene Finger und äußerst schwache Papillarlinien fest. Der Kläger bestritt, seine Fingerkuppen manipuliert zu haben.

8

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Bundesamts aufgehoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten mit Urteil vom 14. Januar 2013 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt, dass der Asylantrag nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG als zurückgenommen gelte. Denn der Kläger sei gemäß § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG nicht verpflichtet, Fingerabdrücke abzugeben, die im Rahmen des Eurodac-Systems verwertbar seien. Er habe vielmehr seiner gesetzlichen Mitwirkungspflicht genügt, indem er sämtlichen Aufforderungen der Beklagten, erkennungsdienstliche Maßnahmen nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG zu dulden, gefolgt sei und sich Fingerabdrücke habe abnehmen lassen. Beschränke der Gesetzgeber die Mitwirkung im Fall einer erkennungsdienstlichen Behandlung auf eine Duldungspflicht, sei es dem Bundesamt verwehrt, durch behördliche Verfügung darüber hinausgehende Mitwirkungshandlungen einzufordern und diese bei Unterbleiben mit einer Verfahrenseinstellung zu sanktionieren. Mangels entsprechender gesetzlicher Verpflichtung zur Abgabe verwertbarer Fingerabdrücke komme es nicht darauf an, ob der Kläger die Unverwertbarkeit seiner Fingerabdrücke zu vertreten habe. Soweit die Einstellungsverfügung auch darauf gestützt sei, dass der Kläger entgegen der Betreibensaufforderung keine Angaben zum Reiseweg und bereits gestellten Asylanträgen gemacht habe, sei er dazu vom Bundesamt nicht angehört worden. Auch insoweit lägen daher die Voraussetzungen des § 33 AsylVfG nicht vor.

9

Die Beklagte rügt mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, die Auslegung des § 15 AsylVfG seitens des Berufungsgerichts verletze Bundesrecht. Aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG oder dem Rückgriff auf Absatz 1 der Vorschrift ergebe sich die Pflicht, alle zielgerichteten Maßnahmen zu unterlassen, die den Erfolg einer erkennungsdienstlichen Behandlung vereiteln könnten. Nach der maßgeblich unionsrechtlich beeinflussten gesetzlichen Konzeption habe das Bundesamt vorrangig die Frage der Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Prüfung des Schutzbegehrens zu klären. Selbst wenn Deutschland zuständig sei, müsse geklärt werden, ob und ggf. mit welchem Ergebnis der Asylbewerber zuvor ein Asylverfahren betrieben habe, da ein weiteres Asylbegehren sich als Zweitantrag darstelle.

10

Der Kläger hält sich in Übereinstimmung mit den Urteilen der Vorinstanzen nicht für verpflichtet, verwertbare Fingerabdrücke abzugeben. Ferner rügt er, in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 nur unzureichend belehrt worden, insbesondere nicht darauf hingewiesen worden zu sein, dass die Einstellung des Verfahrens unmittelbar den Erlass einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylVfG zur Folge habe. Der an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichteten Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 sei keine Übersetzung beigefügt gewesen.

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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich weitgehend der Rechtsauffassung der Beklagten an. Nach seiner Auffassung darf das Bundesamt nicht darauf verwiesen werden, die Tatsache einer Manipulation der Fingerkuppen nur bei der Prüfung der Voraussetzungen einer Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG zu würdigen. Die Betreibensaufforderung diene gerade der Klärung, ob die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung vorlägen oder ob eine Überstellung des Ausländers in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu erfolgen habe, in dem der Kläger (bei Schutzbedürftigkeit) internationalen Schutz beanspruchen könne.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Aufhebung der angefochtenen Einstellungsverfügung durch das Verwaltungsgericht mit einer Begründung bestätigt, die Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 VwGO). Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend entschieden, dass sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG keine Garantieverpflichtung des Asylbewerbers ableiten lässt, für die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke einstehen zu müssen. Die in der Vorschrift normierte Mitwirkungspflicht umfasst aber entgegen der Auffassung der Vorinstanz die Verpflichtung, im Vorfeld der Abnahme von Fingerabdrücken deren Auswertbarkeit nicht zu vereiteln. Da das Berufungsgericht die Aufforderung zur Schilderung des Reisewegs in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 zu Unrecht beanstandet und unter Verletzung von § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG die zweite Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 und das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der dritten erkennungsdienstlichen Behandlung vom 24. November 2011 nicht in den Blick genommen hat, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen im Berufungsurteil weder zugunsten noch zulasten des Klägers selbst abschließend entscheiden. Daher ist das Verfahren an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258).

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1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die hier erhobene Anfechtungsklage statthaft ist. Der Gesetzgeber hat mit der in §§ 32, 33 AsylVfG geregelten Verfahrenseinstellung durch Verwaltungsakt dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - eine Handlungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt, gegen die der Betroffene nur im Wege der Anfechtungsklage Rechtsschutz erlangen kann. Macht das Bundesamt von dieser gesetzlichen Ermächtigung fehlerhaft Gebrauch, darf das Gericht mit der Aufhebung der nach §§ 32, 33 AsylVfG getroffenen Entscheidung nicht zugleich über die Begründetheit des Begehrens auf Gewährung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingsanerkennung entscheiden. Vielmehr ist die Sachentscheidung nach den Regelungen des Asylverfahrensgesetzes zunächst dem Bundesamt vorbehalten. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (so schon Urteil vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 2).

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2. Nach § 33 Abs. 1 AsylVfG gilt ein Asylantrag, der nach § 13 Abs. 1 und 2 AsylVfG auch den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfasst, als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamts länger als einen Monat nicht betreibt (Satz 1). In der Aufforderung ist der Ausländer auf die nach Satz 1 eintretende Folge hinzuweisen (Satz 2). Liegen die Voraussetzungen einer (fiktiven) Antragsrücknahme vor, darf das Bundesamt keine Sachentscheidung mehr über den Asylantrag treffen. Vielmehr hat es nach § 32 AsylVfG in seiner Entscheidung festzustellen, dass das Asylverfahren eingestellt ist und ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG vorliegt (Satz 1). In den Fällen des § 33 AsylVfG ist nach Aktenlage zu entscheiden (Satz 2). Das Bundesamt erlässt ferner eine Abschiebungsandrohung; die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist beträgt nach §§ 34, 38 Abs. 2 AsylVfG eine Woche.

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Die Vorschriften über die fiktive Rücknahme des Asylantrags im Verwaltungsverfahren bei Nichtbetreiben des Verfahrens und die daran anknüpfende Einstellungsentscheidung des Bundesamts wurden durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Die in § 33 AsylVfG getroffene Regelung ist der für das Gerichtsverfahren geltenden fiktiven Rücknahme der Klage (§ 81 AsylVfG) nachgebildet (vgl. BTDrucks 12/2062 S. 33). Durch sie soll verhindert werden, dass Ausländer das Asylverfahren durch bewusstes Nichtbetreiben verzögern. Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter sowie die weitreichenden Konsequenzen der Vorschrift dürfen die Anforderungen an das Verhalten eines Schutzsuchenden, mit dem dieser sein fortbestehendes Interesse an einer behördlichen Sachentscheidung zum Ausdruck bringen muss, nicht überspannt werden (vgl. zur Betreibensaufforderung im gerichtlichen Verfahren: BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166; BVerwG, Beschluss vom 18. September 2002 - BVerwG 1 B 103.02 - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 16). Diese bisher nur für die gerichtliche Betreibensaufforderung formulierten Maßstäbe sind auch auf § 33 AsylVfG übertragbar (so auch Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, Stand: Januar 2010, § 33 Rn. 6).

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Die Aufforderung im Sinne des § 33 Abs. 1 AsylVfG setzt einen bestimmten Anlass voraus, der geeignet ist, Zweifel an dem Bestehen oder Fortbestehen des Sachentscheidungsinteresses zu wecken. Solche Zweifel können sich auch aus einer Vernachlässigung verfahrensrechtlicher Mitwirkungspflichten ergeben; in diesem Fall dient die Betreibensaufforderung dazu, den Ausländer nachdrücklich auf diese Pflichten hinzuweisen (vgl. Urteil vom 23. April 1985 - BVerwG 9 C 48.84 - BVerwGE 71, 213 <219> = Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 3 S. 12; Beschluss vom 18. September 2002 a.a.O.). Berechtigte Zweifel können sich aber nur aus der Verletzung einer Mitwirkungspflicht ergeben, die eine gesetzliche Grundlage hat. Auch die Betreibensaufforderung selbst darf inhaltlich nur auf die Erfüllung einer gesetzlich begründeten Mitwirkungspflicht gerichtet sein. Das Instrument der Betreibensaufforderung stellt sich gerade auch in solchen Fällen als geeignete Reaktion auf eine Vernachlässigung gesetzlicher Mitwirkungspflichten dar, in denen der Ausländer bei der Klärung der Zuständigkeit deutscher Behörden für die Sachentscheidung über das Asylbegehren nicht hinreichend mitwirkt.

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Die allgemeinen Mitwirkungspflichten von Asylbewerbern und Ausländern, die die Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG begehren, ergeben sich aus § 15 AsylVfG. Diese Vorschrift wurde ebenfalls durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens 1992 in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist der Ausländer persönlich verpflichtet, bei der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken. § 15 Abs. 2 AsylVfG regelt beispielhaft ("insbesondere") einzelne, besonders wichtige Mitwirkungspflichten (BTDrucks 12/2062 S. 30). Danach ist der Ausländer u.a. verpflichtet, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen (Nr. 1), den gesetzlichen oder behördlichen Anordnungen, sich bei bestimmten Behörden oder Einrichtungen zu melden oder dort persönlich zu erscheinen, Folge zu leisten (Nr. 3) und die vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden (Nr. 7).

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3. Anlass zum Erlass einer Betreibensaufforderung kann sich folglich aus der Verletzung der dem Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG auferlegten Pflicht zur Duldung der vorgeschriebenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen ergeben. Zwar lässt sich aus dieser Vorschrift keine Garantieverpflichtung für die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke ableiten. Die in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normierte Mitwirkungspflicht umfasst aber auch die Verpflichtung des Asylbewerbers, im Vorfeld einer geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten.

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Inhalt und Bedeutung der Mitwirkungspflicht des Ausländers bei der erkennungsdienstlichen Behandlung nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG ergeben sich aus dem Sinnzusammenhang der Regelung mit § 16 AsylVfG und den unionsrechtlichen Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats nach der Verordnung (EG) Nr. 343 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl EU L Nr. 50 vom 25. Februar 2003 S. 1) - sog. Dublin-Verordnung - und der Verordnung vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von "Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens (Abl EG L 316/1) - Eurodac-Verordnung. Zu dulden sind nach Art, Umfang und Zielsetzung die nach § 16 AsylVfG gebotenen erkennungsdienstlichen Maßnahmen, auch wenn der Asylbewerber selbst nicht unmittelbarer Adressat dieser Regelung ist. Auch § 16 AsylVfG wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Asylverfahrens vom 26. Juni 1992 (BGBl I S. 1126) in das Asylverfahrensgesetz eingefügt. Die Vorschrift regelt, welche Mittel der Identitätsfeststellung zulässig sind, wer dafür zuständig ist, wer dabei Amtshilfe leistet, in welchem Rahmen die erhobenen Daten verwendet, gespeichert und übermittelt werden dürfen und wann sie zu löschen sind. In § 16 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG wird die Verpflichtung der zuständigen Behörde zur Sicherung der Identität eines um Asyl nachsuchenden Ausländers durch erkennungsdienstliche Maßnahmen begründet, sofern er das 14. Lebensjahr vollendet hat. Zur Identitätssicherung nach Satz 1 dürfen gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG nur Lichtbilder und Abdrücke aller zehn Finger aufgenommen werden. Nach Satz 3 darf zur Bestimmung des Herkunftsstaats oder der Herkunftsregion auch das gesprochene Wort des Ausländers auf Ton- oder Datenträger aufgezeichnet werden. Dabei ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien das Ziel des Gesetzgebers, durch eine generelle erkennungsdienstliche Behandlung der Gefahr entgegen zu wirken, dass Asylsuchende gleichzeitig oder nacheinander unter verschiedenen Namen und unter Verschweigen des anhängigen oder abgeschlossenen anderweitigen Asylverfahrens einen weiteren Asylantrag stellen (BTDrucks 12/2062 S. 30).

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Außerdem dient § 16 AsylVfG der Erfüllung der unionsrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus der Eurodac-Verordnung (BTDrucks 14/7386 S. 59; allgemein S. 36). Nach Art. 4 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, jedem Asylbewerber, der mindestens 14 Jahre alt ist, unverzüglich die Fingerabdrücke aller Finger abzunehmen und der Eurodac-Zentraleinheit zu übermitteln. Die Zentraleinheit vergleicht sie nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung mit den von anderen Mitgliedstaaten übermittelten und in der zentralen Datenbank bereits gespeicherten Daten, auf Wunsch auch mit früher übermittelten Fingerabdruckdaten des gleichen Mitgliedsstaats (Art. 4 Abs. 4 Verordnung). Zweck des Eurodac-Systems ist es, die Anwendung des Dubliner Übereinkommens über die Bestimmung des für die Prüfung zuständigen Mitgliedsstaats zu erleichtern (Art. 1 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung). Um den Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der Eurodac-Verordnung nachzukommen, muss das Bundesamt den Asylbewerbern Fingerabdrücke in einer Qualität abnehmen, die einen Datenabgleich innerhalb des Eurodac-Systems ermöglicht.

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Dient § 16 AsylVfG jedenfalls auch der Erfüllung der Verpflichtungen aus der Eurodac-Verordnung und verpflichtet § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG den Ausländer, die in § 16 AsylVfG inhaltlich näher bestimmten erkennungsdienstlichen Maßnahmen zu dulden, ergibt sich daraus für die Abnahme von Fingerabdrücken Folgendes: § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG ist nur als Duldungspflicht formuliert. Diese soll der Behörde aber erkennungsdienstliche Maßnahmen im Sinne von § 16 Abs. 1 AsylVfG ermöglichen, die zur Auswertung im Eurodac-System geeignet sind. Den Asylsuchenden trifft mit der ihm obliegenden Pflicht zur Duldung dieser erkennungsdienstlichen Maßnahmen zwar nicht die Garantieverpflichtung zu gewährleisten, dass die von ihm abgegebenen Fingerabdrücke im Rahmen des Eurodac-Systems auswertbar sind. Er ist nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 16 Abs. 1 AsylVfG aber verpflichtet, alle Maßnahmen zu unterlassen, die eine Identitätsfeststellung auf Grundlage der gesetzlichen Vorschriften - einschließlich der Eurodac-Überprüfung - erschweren oder vereiteln (ähnlich Funke-Kaiser in: GK-AsylVfG, § 33, Stand: Mai 2011, Rn. 21.3). Dieser Inhalt der gesetzlichen Verpflichtung des Asylbewerbers ergibt sich hinreichend klar aus einer an Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung orientierten Auslegung, ohne dass es hierfür - wie das Berufungsgericht meint - einer gesetzlichen Neuregelung oder Klarstellung bedarf.

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Die dem Asylbewerber nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG auferlegte Pflicht zur Duldung der Abnahme seiner Fingerabdrücke und Unterlassung aller Maßnahmen, die eine Verwertbarkeit der Fingerabdrücke zum Zwecke der Identitätsfeststellung erschweren oder vereiteln, ist mit Art. 11 der Richtlinie 2005/85/EG vom 1. Dezember 2005 (Asylverfahrensrichtlinie) vereinbar. Diese Fassung der Verfahrensrichtlinie findet nach der Übergangsregelung in Art. 52 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26. Juni 2013 im vorliegenden Verfahren weiterhin Anwendung. Nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten die Asylbewerber verpflichten, mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, sofern diese Verpflichtung für die Bearbeitung des Antrags erforderlich ist. Der Katalog der Pflichten in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie, die Asylbewerbern auferlegt werden dürfen, enthält die Verpflichtung zur Duldung der Abnahme von Fingerabdrücken zwar nicht. Das ist aber auch nicht erforderlich, da es sich nur um Regelbeispiele handelt ("insbesondere"). Die Auferlegung einer Pflicht zur Mitwirkung bei der Abnahme von Fingerabdrücken ist jedoch durch die Generalklausel des Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie gedeckt, wonach die Asylbewerber von den Mitgliedstaaten zu den Mitwirkungshandlungen verpflichtet werden können, die für die Bearbeitung des Asylantrags erforderlich sind. Denn die Abnahme von Fingerabdrücken, die für einen Datenabgleich im Eurodac-System geeignet sind, gehört zu den für die Antragsbearbeitung erforderlichen Pflichten. Dies unterstreicht auch Art. 23 Abs. 4 Buchst. n der Richtlinie, der eine Verpflichtung der Antragsteller zur Abnahme ihrer Fingerabdrücke als nach gemeinschaftsrechtlichen oder nationalen Rechtsvorschriften zumindest möglich voraussetzt. Auch aus der Pflicht der Mitgliedstaaten zur Fingerabdrucknahme nach der Eurodac-Verordnung ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten insoweit die Antragsteller zur Duldung der Fingerabdrucknahme verpflichten dürfen.

24

Eine weitergehende Pflicht zur Abgabe auch auswertbarer Fingerabdrücke kann auch nicht aus § 15 Abs. 1 AsylVfG hergeleitet werden. Die in Absatz 2 der Vorschrift speziell geregelten Pflichten sind zwar nicht abschließend ("insbesondere"). Auch soweit Pflichten in Bezug auf erkennungsdienstliche Behandlungen nicht abschließend in § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG normiert sein sollten, verlangte eine Einstandspflicht für die Auswertbarkeit abgenommener Fingerabdrücke dem Asylbewerber mehr ab, als dieser zumutbar zu leisten vermag; dies bürdete dem Asylbewerber nicht zuletzt auch das Risiko einer ihm nicht zurechenbaren Nichtauswertbarkeit auf.

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4. Mit dem Instrument der Betreibensaufforderung darf auf die Verletzung der Pflicht zur Mitwirkung an der Identitätsklärung reagiert werden. Dies schließen weder die nationalen noch die unionsrechtlichen Vorschriften über die Behandlung von Asylanträgen aus.

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§ 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG, nach dem ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn der Asylbewerber über seine Identität täuscht oder diese Angaben verweigert, bildet keine abschließende Regelung. § 30 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG setzt einen als unbegründet abzulehnenden Asylantrag und damit die Befugnis des Bundesamts für die Sachprüfung des Antrages voraus. Er tritt selbständig neben die Möglichkeit, zur Prüfung dieser Befugnis einen Asylbewerber nach § 33 AsylVfG durch entsprechende Aufforderung zum Betreiben des Verfahrens durch Mitwirkung an der Identitätsfeststellung anzuhalten und im Falle des Nichtbetreibens das Verfahren ohne Sachprüfung einzustellen. Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass, das Verhältnis beider Regelungen näher zu bestimmen. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallkonstellation kommt ein Vorgehen nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG (Betreibensaufforderung und ggf. die Verfahrenseinstellung) dem gesetzgeberischen Ziel näher, Mehrfachanerkennungen und einander widersprechende Sachentscheidungen über Asylanträge innerhalb der EU zu vermeiden. Denn ohne die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 AsylVfG im Fall der unzureichenden Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung müsste das Bundesamt eine Sachentscheidung über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft treffen, obwohl ihm dies nach § 60 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. Satz 2 AufenthG verwehrt ist, wenn dem Betroffenen die Rechtsstellung eines Konventionsflüchtlings bereits außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zuerkannt worden ist. Demgegenüber gewährleistet die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung nach §§ 32, 33 Abs. 1 AsylVfG, dass über seinen Antrag nicht inhaltlich entschieden wird, wenn der Asylbewerber in zurechenbarer Weise die Klärung seiner Identität verhindert.

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Auch das Unionsrecht lässt für Fälle der vorliegenden Art Raum für eine Betreibensaufforderung nach § 33 AsylVfG. Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG (Asylverfahrensrichtlinie) eröffnet ausdrücklich sowohl die Einstellung des Verfahrens als auch die Ablehnung des Asylantrags als alternative Reaktionen im Falle des Nichtbetreibens des Verfahrens durch den Asylbewerber. Zwar ermöglicht Art. 28 Abs. 2 i.V.m. Art. 23 Abs. 4 Buchst. n der Asylverfahrensrichtlinie den Mitgliedstaaten auch die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet, wenn der Antragsteller sich weigert, der Verpflichtung zur Abnahme seiner Fingerabdrücke gemäß den einschlägigen Rechtsvorschriften nachzukommen. Hiermit wird jedoch nur eine von mehreren Möglichkeiten eröffnet, wie die Mitgliedstaaten auf die Verletzung der Mitwirkungspflicht reagieren können. Dass insoweit keine abschließende Regelung getroffen wurde, ergibt sich schon daraus, dass Art. 23 Abs. 4 der Asylverfahrensrichtlinie auf die Grundprinzipien nach Kapitel II der Richtlinie verweist, wozu die Möglichkeit der Einstellung der Antragsprüfung nach Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie im Fall der Nichtbetreibung des Verfahrens zählt. Wollte man dem nicht folgen, müsste auch bei ungeklärter Identität des Asylbewerbers stets eine Sachentscheidung ergehen. Dies würde aber dem unionsrechtlichen Ziel der Bestimmung eines - und nur eines - zuständigen Mitgliedstaats für die Asylentscheidung durch Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der Dublin-Verordnung widersprechen.

28

Das Urteil des französischen Cour Nationale du Droit d' Asile vom 21. Februar 2012 (No. 11032252) besagt nichts anderes. Danach widerspricht es französischem Recht, den Asylantrag eines Ausländers wegen fehlender Ausweisdokumente und nicht verwertbarer Fingerabdrücke abzulehnen, ohne sich mit den individuellen Gegebenheiten des Schutzgesuchs auseinanderzusetzen. Die Begründung der Entscheidung bezieht sich nämlich nicht auf Unionsrecht, sondern ausschließlich auf die in Frankreich geltenden nationalen Rechtsvorschriften, in denen eine Verfahrenseinstellung entsprechend den §§ 32, 33 AsylVfG gerade nicht vorgesehen ist.

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5. Berechtigte Zweifel am Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses ergeben sich allerdings nicht allein aus der Unverwertbarkeit der einem Schutzsuchenden abgenommenen Fingerabdrücke. Denn die Unverwertbarkeit von Fingerabdrücken ist nicht zwangsläufig auf eine zielgerichtete Manipulation zurückzuführen. Sie kann ihre Ursache beispielsweise auch in einer genetischen Disposition oder Erkrankung des Betroffenen haben (zur Seltenheit eines angeborenen Fehlens von Papillarleisten vgl. Bettina Burger u.a., Das "Immigrationsverzögerungs-Leiden" in: HAUT 2011 S. 25 f.) oder auf die Folgen einer Chemotherapie zurückzuführen sein. Außerdem kann sie auf einer fehlerhaften Abnahme und/oder Auswertung der Fingerabdrücke durch die Behörde beruhen. Auch eine untypische Häufung von Qualitätsmängeln bei bestimmten Herkunftsländern stellt für sich genommen keinen hinreichenden Anlass dar. Anders verhält es sich jedoch, wenn über die bloße Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke hinaus bei der Abnahme konkrete Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen bestehen, etwa wenn die Fingerkuppen sichtbare Anomalien aufweisen (z.B. Abschürfungen, Vernarbungen, Schleifspuren, Fehlen von oder auffallend geringe Höhe der Papillarleisten) und der Betroffene diese nicht schlüssig erklären kann. Gleiches gilt bei mehrfacher Unverwertbarkeit der Fingerabdrücke mit unterschiedlichen Fehlstellen. In diesen Fällen besteht der Verdacht, dass der Asylsuchende die Verwertbarkeit seiner Fingerabdrücke durch eigenes Tun vereitelt hat, um so seine wahre Identität zu verschleiern. Ein derartiges Verhalten ist geeignet, Zweifel an der Ernsthaftigkeit seines Asylbegehrens zu begründen. Das Bundesamt ist gut beraten, wenn es dann die Indizien, die auf eine Manipulation hindeuten, und die Einlassung des Betroffenen hinreichend dokumentiert, um im Streitfall das Bestehen berechtigter Zweifel am Vorliegen eines Sachentscheidungsinteresses nachweisen zu können.

30

Liegt ein hinreichender Anlass für den Erlass einer Betreibensaufforderung vor, muss diese folgenden Maßgaben genügen: Eine besondere Form ist für die Betreibensaufforderung nicht vorgeschrieben. Als verfahrensleitende Verfügung braucht sie in Ermangelung einer entsprechenden Regelung nicht förmlich zugestellt zu werden, wie in § 31 Abs. 1 AsylVfG für Entscheidungen über Asylanträge vorgeschrieben (vgl. Urteil vom 7. März 1995 - BVerwG 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 S. 6). Wegen der mit ihrem Zugang in Lauf gesetzten Monatsfrist bedarf es aber eines Nachweises, dass und zu welchem Zeitpunkt die Aufforderung dem Betroffenen tatsächlich zugegangen ist. Außerdem bestehen wegen der einschneidenden Folgen der gesetzlichen Rücknahmefiktion besondere Anforderungen hinsichtlich der inhaltlichen Bestimmtheit einer Betreibensaufforderung. Sowohl der die Betreibensaufforderung auslösende Anlass als auch das von dem Schutzsuchenden erwartete Verhalten sind in der Aufforderung so weit zu individualisieren und zu konkretisieren, dass dieser hinreichend deutlich erkennen kann, warum das Bestehen eines Sachentscheidungsinteresses angezweifelt wird. Schließlich muss klar erkennbar sein, welche konkreten Mitwirkungshandlungen von dem Betroffenen binnen Monatsfrist verlangt werden, um so den Eintritt der gesetzlichen Rücknahmefiktion nach Ablauf eines Monats zu verhindern. Dabei gehen etwaige Unklarheiten hinsichtlich Art und Umfang des vom Ausländer zur Vermeidung der Rücknahmefiktion konkret erwarteten Verhaltens zu Lasten der Behörde.

31

Außerdem ist der Schutzsuchende über die gesetzlich eintretende Rücknahmefiktion zu belehren (§ 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG). Dazu gehört, dass er zutreffend und unmissverständlich auf die Monatsfrist des § 33 AsylVfG hingewiesen wird, innerhalb derer er die geforderte Mitwirkung erbringen muss und nach deren Ablauf der Antrag als zurückgenommen gilt, wenn er der Aufforderung nicht nachkommt (Beschluss vom 1. März 2002 - BVerwG 1 B 403.01 - Buchholz 402.25 § 81 AsylVfG Nr. 1). Des Weiteren gebietet der Grundsatz des fairen Verfahrens (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. März 1994 - 2 BvR 2371/93 - DVBl 1994, 631), den Asylbewerber darüber zu belehren, dass das Bundesamt im Fall der Beendigung des Verfahrens ohne weitere Anhörung nach Aktenlage über etwaige Abschiebungsverbote entscheidet (§ 32 AsylVfG). Eines darüber hinausgehenden Hinweises auf den mit einer Einstellungsverfügung im Fall der negativen Entscheidung über Abschiebungsverbote regelmäßig verbundenen Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG bedarf es jedoch - entgegen der Auffassung des Klägers - nicht. Denn selbst für einen anwaltlich nicht vertretenen Asylbewerber ist erkennbar, dass die Einstellung seines Asylverfahrens wegen Verletzung einer ihm obliegenden Mitwirkungspflicht bei gleichzeitiger negativer Entscheidung über Abschiebungsverbote die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen zur Folge haben wird. Schließlich muss das Bundesamt den Asylbewerber über den Inhalt der ergangenen Aufforderung und die erforderliche Belehrung über die Monatsfrist und die Folgen ihrer Versäumung - jedenfalls in Fällen, in denen er anwaltlich nicht vertreten ist und die Betreibensaufforderung ihm unmittelbar zugeht - in einer für ihn verständlichen Sprache unterrichten, etwa durch Übersetzung der Betreibensaufforderung (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG).

32

Inhaltlich muss eine Betreibensaufforderung auf die Erfüllung einer gesetzlich begründeten Mitwirkungspflicht gerichtet sein. Weiter muss die geforderte Handlung zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich und dem Schutzsuchenden tatsächlich möglich und zumutbar sein. Wird vom Asylbewerber eine Mitwirkung bei der Abnahme von Fingerabdrücken verlangt, darf die Betreibensaufforderung - wie sich aus oben näher dargelegten Gründen ergibt (Rn. 22, 24) - nur auf die gesetzesunmittelbar bestehende Pflicht hinweisen, im Vorfeld alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Auf einen Erfolg der Auswertung der Fingerabdrücke darf sie hingegen nicht gerichtet sein.

33

Auch darf vom Asylbewerber verlangt werden, schriftliche Angaben zu seinen bisherigen Voraufenthalten und zu einer eventuell bereits erfolgten Asylantragstellung zu machen. Eine solche Mitwirkungspflicht ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG, wonach der Ausländer verpflichtet ist, dem Bundesamt die erforderlichen Angaben mündlich und nach Aufforderung auch schriftlich zu machen. Zu den erforderlichen Angaben zählen nach § 25 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (u.a.) auch solche über Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und dort eingeleitete oder durchgeführte Asylverfahren. Diese Angaben benötigt das Bundesamt, um seine Zuständigkeit im Rahmen der Dublin-Verordnung feststellen zu können und um u.a. die Frage zu klären, ob der Ausländer bereits Schutz in einem sicheren Drittstaat gefunden hat oder aus einem solchen Staat eingereist ist (vgl. § 26a ff. AsylVfG).

34

6. Die Prüfung der Betreibensaufforderungen vom 23. August 2010 und 26. Oktober 2011 anhand der o.g. Vorgaben als Vorfrage für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einstellungsbescheids führt zu dem Ergebnis, dass das Berufungsurteil in mehrfacher Hinsicht auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Der Senat vermag nicht selbst festzustellen, ob wegen Verdachts der Manipulation der Fingerkuppen des Klägers ein hinreichender Anlass für den Erlass der Betreibensaufforderungen vorlag und der Kläger das Verfahren nicht betrieben hat, weil er gegen seine Mitwirkungspflicht aus § 15 Abs. 2 Nr. 1 oder 7 AsylVfG verstoßen hat.

35

6.1 Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass die dem Kläger in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 auferlegte Verpflichtung, sich "auswertbare Fingerabdrücke" abnehmen zu lassen, rechtswidrig und unwirksam ist. Wie oben bereits ausgeführt (Rn. 24), lässt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG keine Garantieverpflichtung für die Auswertbarkeit der Fingerabdrücke ableiten.

36

6.2 Das Berufungsurteil verletzt jedoch Bundesrecht, da es die in der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 enthaltene, erkennbar selbständige Verpflichtung zur schriftlichen Darlegung des Reisewegs und der Stellung von Asylanträgen mangels Anhörung durch das Bundesamt als unwirksam erachtet hat (UA Rn. 30). Die Verpflichtung beruht auf § 15 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG und ist inhaltlich nicht zu beanstanden (s.o. Rn. 33). Die Angaben waren zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich, und es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht möglich und zumutbar gewesen sein sollten. Die Aufforderung enthält auch den Hinweis auf die Rechtsfolge eines Nichtbetreibens des Verfahrens gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG, dass der Antrag als zurückgenommen gilt. Darüber hinaus weist sie darauf hin, dass in diesem Fall über das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG ohne persönliche Anhörung nach Aktenlage zu entscheiden ist. Die Betreibensaufforderung wurde für den Kläger übersetzt (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG), und dieser hat den Empfang des Schreibens am 23. August 2010 mit seiner Unterschrift bestätigt. Er hat dieser Aufforderung jedoch keine Folge geleistet.

37

Das würde aber nur dann die gesetzliche Fiktion der Rücknahme des Asylantrags gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auslösen, wenn bei der erkennungsdienstlichen Behandlung am 23. August 2010 für das Bundesamt tatsächlich ein hinreichender Anlass für ein Vorgehen gemäß § 33 AsylVfG bestand. Dieser wäre gegeben, wenn die Fingerkuppen des Klägers zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Manipulationsspuren in Gestalt von Verletzungen der Haut sowie schlechter Erkennbarkeit und Beschädigung der Papillarlinien aufgewiesen hätten und der Kläger dies nicht schlüssig zu erklären vermochte, wie das der mit der Abnahme der Fingerabdrücke betraute Mitarbeiter des Bundesamts in einem Vermerk vom gleichen Tag festgehalten hat (BA-Akte Bl. 18). Da der Verwaltungsgerichtshof hierzu -von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, nötigt das zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

38

6.3 Das Berufungsgericht hat zudem § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG verletzt, weil es die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einstellungsbescheids nicht berücksichtigt hat. Denn für die Überprüfung des Bescheids kommt es maßgeblich darauf an, ob die Voraussetzungen der §§ 32, 33 AsylVfG im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorlagen. Das ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylVfG, wonach das Gericht in Streitigkeiten nach diesem Gesetz auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abstellt. Das hat zur Folge, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Einstellungsbescheids vom 27. Oktober 2010 nicht nur die Betreibensaufforderung vom 23. August 2010, sondern auch die erst nach Bescheidserlass ergangene Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 zu berücksichtigen ist. Selbst wenn die erste Betreibensaufforderung zu Unrecht ergangen und der daraufhin ergangene Einstellungsbescheid des Bundesamts ursprünglich rechtswidrig gewesen sein sollte, könnte er durch die Nichterfüllung der in der Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 geforderten Mitwirkungspflicht nachträglich rechtmäßig geworden sein. Das Verfahren wäre dann nach Ablauf eines Monats seit Zugang der zweiten Betreibensaufforderung am 28. Oktober 2011 eingestellt.

39

Die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 entspricht - vorbehaltlich des noch aufzuklärenden berechtigten Anlasses - den gesetzlichen Anforderungen. Sie bezeichnet die vom Kläger erwartete Mitwirkungshandlung - das Erscheinen in der Außenstelle des Bundesamts zum Zwecke der erneuten Abnahme von Fingerabdrücken - hinreichend konkret. Auch wird erneut darüber belehrt, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung länger als einen Monat nicht betreibt. Der Klarheit der Belehrung über die Monatsfrist steht nicht entgegen, dass dem Kläger in der Betreibensaufforderung zugleich eine Ladung zu einem Termin zur Abnahme der Fingerabdrücke angekündigt wird. Zum einen lag der mit gesonderten Schreiben anberaumte Termin (24. November 2011) innerhalb der Monatsfrist. Zum anderen entsteht durch den Hinweis auf die Terminsladung keine Unklarheit hinsichtlich der geltenden Monatsfrist. Denn für den Empfänger wurde nicht der Eindruck erweckt, dass der Termin die gesetzliche Monatsfrist für das Betreiben des Verfahrens verkürzt. Entgegen der Rechtsauffassung des Klägers brauchte die Betreibensaufforderung nicht erneut übersetzt zu werden, da sie an seine Verfahrensbevollmächtigten gerichtet war. Dadurch wurden die Grundsätze des fairen Verfahrens schon deshalb nicht verletzt, weil der Kläger auf die Monatsfrist und die Folgen eines Nichtbetreibens bereits am 23. August 2010 in einer für ihn verständlichen Sprache hingewiesen worden war. Weitergehende Übersetzungspflichten ergeben sich auch nicht aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG. Eines nochmaligen Hinweises auf die mit einer Verfahrenseinstellung einhergehende Entscheidung über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder 7 AufenthG bedurfte es schon deshalb nicht, weil bei Erlass der zweiten Betreibensaufforderung insoweit bereits eine negative Entscheidung vorlag.

40

Materiell war die Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 auf eine Mitwirkungshandlung gerichtet, die im Gesetz eine Stütze findet (§ 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylVfG). Denn durch sie wurde der Kläger neben der Pflicht zur Duldung der Abnahme von Fingerabdrücken lediglich darauf hingewiesen, im Vorfeld der geplanten Fingerabdrucknahme alle Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Auswertbarkeit seiner Fingerabdrücke beeinträchtigen oder vereiteln könnten. Die Erfüllung dieser von der Kernmitwirkungspflicht umfassten, gesetzesunmittelbaren Unterlassungspflicht war zur weiteren Durchführung des Asylverfahrens erforderlich, und es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, warum sie dem Kläger nicht möglich und zumutbar sein sollte.

41

Auch insoweit fehlen jedoch tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts dazu, ob für diese Betreibensaufforderung ein hinreichender Anlass bestand. Sollte sich der Manipulationsverdacht des Bundesamts vom 23. August 2010 bestätigen, wäre auch der Erlass der Betreibensaufforderung vom 26. Oktober 2011 gerechtfertigt. Denn auch die - nach Angaben des Bundesamts am 8. September 2010 erfolgte - weitere Abnahme von Fingerabdrücken führte nach Aktenlage nicht zu einem auswertbaren Ergebnis.

42

7. Der Verwaltungsgerichtshof wird nunmehr aufzuklären haben, ob ein hinreichender Anlass zum Erlass der beiden Betreibensaufforderungen bestand. Dabei wird er insbesondere aufklären müssen, ob bei der Abnahme der Fingerabdrücke am 23. August 2010 tatsächlich die in dem Vermerk vom gleichen Tag dokumentierten Anhaltspunkte für eine Manipulation der Fingerkuppen vorlagen und der Kläger hierfür keine nachvollziehbaren Gründe angegeben hat. Einer hautärztlichen Untersuchung bedarf es für die Annahme eines hinreichenden Anlasses für den Erlass einer Betreibensaufforderung in derartigen Fällen grundsätzlich nicht. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Asylbewerber nachvollziehbare Gründe für eine Beschädigung seiner Fingerkuppen, deren besondere Glätte oder eine besonders geringe Ausprägung der Papillarleisten vorträgt. Dabei ist auch der Regenerationszeitraum der Hautzellen zu berücksichtigen, der nach den dem Revisionsgericht vorliegenden (allgemein zugänglichen) Quellen in der Regel vier Wochen beträgt (vgl. Moll, Dermatologie, 7. Aufl. 2010, S. 6 oben - "Turn-over-Zeit" von zweimal zwei Wochen). Bestätigt sich der Manipulationsverdacht, liegen die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Betreibensaufforderung zur schriftlichen Darlegung der Voraufenthalte und eventuellen Stellung von Asylanträgen vor. Da der Kläger keine entsprechenden Angaben gemacht hat, wäre das Asylverfahren dann bereits mit Ablauf eines Monats nach Zugang der Betreibensaufforderung vom 23. August 2010 eingestellt. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass vor Erlass der ersten Betreibensaufforderung kein hinreichender Anlass bestand, wird es weiter zu prüfen haben, ob zumindest die zweite Betreibensaufforderung zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hat. Das würde voraussetzen, dass für den Erlass dieser Betreibensaufforderung ein hinreichender Anlass bestand und der Kläger zur vollen Überzeugung des Gerichts das Verfahren infolge Manipulation seiner Fingerkuppen nicht betrieben hat. Für den Fall, dass die Klage im Hauptantrag keinen Erfolg hat, wird es schließlich auch über den Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung von Abschiebungsverboten zu entscheiden haben.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.07.2011 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Klägerin wendet sich gegen die Einstellung ihres Asylverfahrens wegen Nichtbetreibens.
Die am … 2011 in Pforzheim geborene Klägerin ist irakische Staatsangehörige arabischer Volks- und yezidischer Glaubenszugehörigkeit, ihre Eltern ebenfalls. Deren Asylanträge wurden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) abgelehnt, die hiergegen erhobenen Klagen hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteilen vom heutigen Tage (A 4 K 2088/11 und A 3 K 2089/11) abgewiesen.
Mit Schreiben vom 16.03.2011 zeigte die Stadt Pforzheim die Geburt der Klägerin zur Asylantragstellung beim Bundesamt an. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 13.04.2011 wurde den Eltern der Klägerin als deren gesetzlichen Vertretern mitgeteilt, dass für ihr Kind aufgrund der Mitteilung der Ausländerbehörde ein Asylantrag als gestellt gelte. Es wurde darauf hingewiesen, dass auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet werden könne, indem die Erklärung abgegeben werde, dass dem Kind keine politische Verfolgung drohe. Für den Fall, dass keine Verzichtserklärung abgegeben werde, wurden die Eltern der Klägerin aufgefordert, das Verfahren ihres Kindes dadurch zu betreiben, dass sie innerhalb eines Monats schriftlich die Gründe darlegten, aus denen sich eine politische Verfolgung ergebe. Sollte innerhalb dieser Frist keine Äußerung erfolgen, gelte der Asylantrag als zurückgenommen und das Asylverfahren werde eingestellt.
Nachdem die Eltern der Klägerin sich nicht geäußert hatten, stellte das Bundesamt mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 18.07.2011 fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt und stellte das Asylverfahren ein. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Klägerin aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, andernfalls werde sie in den Irak abgeschoben.
Der Bescheid wurde am 20.07.2011 als Einschreiben zur Post gegeben.
Am 04.08.2011 hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 18.07.2011 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
10 
die Klage abzuweisen.
11 
Mit Beschluss vom 05.09.2011 wurde der Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
12 
Dem Gericht liegen die einschlägigen Akten des Bundesamtes vor. Diese Akten wurden ebenso wie die Erkenntnismittel, die in der den Beteiligten mit der Ladung bzw. allgemein übersandten Liste aufgeführt sind, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

 
13 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf als unzulässig anzusehen, dass für das von der Klägerin in erster Linie verfolgte Klageziel der Asylanerkennung bzw. der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und von Abschiebungsverboten die Verpflichtungsklage die richtige Klageart wäre. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens steht in den Fällen der Verfahrenseinstellung durch das Bundesamt nach den §§ 32, 33 AsylVfG einer auf Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die das Verwaltungsgericht „durchzuentscheiden“ hätte, regelmäßig entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12; so auch OVG Bautzen, Urt. v. 25.04.1995 - A 4 S 135/95 -, juris; OVG Münster, Urt. v. 13.12.1994 - 13 A 267/94.A -, juris; OVG Hamburg, Urt. v. 24.03.1994 - OVG Bf VII 11/94 -, juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 18.01.1994 - 1 L 2/94 -, juris). Die gegenteilige Auffassung (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 23.03.1995 - A 10 K 30384/93 -, juris) überzeugt vor dem Hintergrund der insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 07.03.1995 (a.a.O.) angestellten Erwägungen nicht. Es ist vorliegend auch keine Konstellation gegeben, bei der das Gericht ausnahmsweise im Interesse der Verfahrensbeschleunigung befugt wäre, auf einen mit dem Aufhebungsbegehren verbundenen Verpflichtungsantrag entsprechend § 75 VwGO zur Sachentscheidung vorzudringen (vgl. hierzu ebenfalls BVerwG, Urt. v. 07.03.1995, a.a.O.), da weder die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage gegeben noch das Ergebnis der Entscheidung des Bundesamtes z. B. wegen einer gefestigten Rechtsprechung zu einer Gruppenverfolgungssituation eindeutig vorgegeben sind.
15 
Die Klage ist auch begründet. Der angegriffene Bescheid vom 18.07.2011 ist schon deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Voraussetzungen des § 33 AsylVfG nicht vorliegen.
16 
Nach § 33 Abs. 1 S. 1 AsylVfG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. In der Aufforderung ist der Ausländer auf diese Folge hinzuweisen. Folge der Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, ist nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, dass die Aufenthaltsgestattung des Ausländers erlischt und er gemäß § 38 Abs. 2 AsylVfG verpflichtet wird, binnen einer Woche auszureisen.
17 
Die gesetzliche Fiktion einer Antragsrücknahme stellt eine scharfe Sanktion für den unterstellten Wegfall des Bescheidungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses des Asylantragstellers dar. Bei der Auslegung von § 33 Abs. 1 AsylVfG ist angesichts der dargestellten Folgen einer Rücknahmefiktion die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zu beachten. Der Erlass einer Betreibensaufforderung setzt daher voraus, dass während des Verfahrens ein besonderer Anlass zu Tage getreten ist, aus dem sich ergibt, dass der Betroffene an der Weiterverfolgung seines Asylantrags kein Interesse hat. Der Betroffene ist auf Zweifel an diesem Interesse hinzuweisen und ihm ist Gelegenheit zu geben, diese auszuräumen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 -, DVBl. 1999, 166; VG Augsburg, Urt. v. 01.07.2011 - AU 3 K 10.30481 -, juris; VG Münster, Beschl. v. 24.05.2011 - 9 L 68/11.A -, juris). Das Bundesamt darf nicht ohne weiteres die Aufforderung nach § 33 Abs. 1 S. 1 AsylVfG erlassen. Vielmehr müssen Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass der Asylantragsteller erkennbar kein Interesse mehr an der Fortführung des Asylverfahrens hat (VG Düsseldorf, Beschl. v. 28.07.2011 - 27 L 1122/11 A -, juris unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens, BT-Drs. 12/2062 S. 33; Marx, Kommentar zum AsylVfG, 7. Aufl., § 33 Rdnr. 3 ff.).
18 
Solche Anhaltspunkte waren bei Erlass der Betreibensaufforderung vom 13.04.2011 im Fall der Klägerin offensichtlich nicht gegeben. Das Bundesamt hat die Aufforderung vielmehr unmittelbar mit der Mitteilung über die von Gesetzes wegen erfolgte Einleitung eines Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG verbunden (so auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 28.07.2011, a.a.O.).
19 
Damit ist das Bundesamt zu Unrecht von einer fingierten Antragsrücknahme ausgegangen und hat daher das Verfahren voreilig eingestellt.
20 
Rechtswidrig und aufzuheben sind damit auch die im angegriffenen Bescheid getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, die bei der Entscheidung jedenfalls verfrüht ergangen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.03.1995, a.a.O.).
21 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Gründe

 
13 
Das Gericht konnte über die Klage verhandeln und entscheiden, obwohl nicht alle Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vertreten waren, da auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäß bewirkten Terminsladung hingewiesen worden ist (§ 102 Abs. 2 VwGO).
14 
Die Klage ist als Anfechtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf als unzulässig anzusehen, dass für das von der Klägerin in erster Linie verfolgte Klageziel der Asylanerkennung bzw. der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft und von Abschiebungsverboten die Verpflichtungsklage die richtige Klageart wäre. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens steht in den Fällen der Verfahrenseinstellung durch das Bundesamt nach den §§ 32, 33 AsylVfG einer auf Asylanerkennung gerichteten Verpflichtungsklage, auf die das Verwaltungsgericht „durchzuentscheiden“ hätte, regelmäßig entgegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.03.1995 - 9 C 264.94 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12; so auch OVG Bautzen, Urt. v. 25.04.1995 - A 4 S 135/95 -, juris; OVG Münster, Urt. v. 13.12.1994 - 13 A 267/94.A -, juris; OVG Hamburg, Urt. v. 24.03.1994 - OVG Bf VII 11/94 -, juris; OVG Schleswig, Beschl. v. 18.01.1994 - 1 L 2/94 -, juris). Die gegenteilige Auffassung (vgl. VG Stuttgart, Urt. v. 23.03.1995 - A 10 K 30384/93 -, juris) überzeugt vor dem Hintergrund der insbesondere vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 07.03.1995 (a.a.O.) angestellten Erwägungen nicht. Es ist vorliegend auch keine Konstellation gegeben, bei der das Gericht ausnahmsweise im Interesse der Verfahrensbeschleunigung befugt wäre, auf einen mit dem Aufhebungsbegehren verbundenen Verpflichtungsantrag entsprechend § 75 VwGO zur Sachentscheidung vorzudringen (vgl. hierzu ebenfalls BVerwG, Urt. v. 07.03.1995, a.a.O.), da weder die Voraussetzungen für eine Untätigkeitsklage gegeben noch das Ergebnis der Entscheidung des Bundesamtes z. B. wegen einer gefestigten Rechtsprechung zu einer Gruppenverfolgungssituation eindeutig vorgegeben sind.
15 
Die Klage ist auch begründet. Der angegriffene Bescheid vom 18.07.2011 ist schon deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil die Voraussetzungen des § 33 AsylVfG nicht vorliegen.
16 
Nach § 33 Abs. 1 S. 1 AsylVfG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren trotz Aufforderung des Bundesamtes länger als einen Monat nicht betreibt. In der Aufforderung ist der Ausländer auf diese Folge hinzuweisen. Folge der Feststellung, dass der Asylantrag als zurückgenommen gilt, ist nach § 67 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG, dass die Aufenthaltsgestattung des Ausländers erlischt und er gemäß § 38 Abs. 2 AsylVfG verpflichtet wird, binnen einer Woche auszureisen.
17 
Die gesetzliche Fiktion einer Antragsrücknahme stellt eine scharfe Sanktion für den unterstellten Wegfall des Bescheidungs- bzw. Rechtsschutzbedürfnisses des Asylantragstellers dar. Bei der Auslegung von § 33 Abs. 1 AsylVfG ist angesichts der dargestellten Folgen einer Rücknahmefiktion die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG zu beachten. Der Erlass einer Betreibensaufforderung setzt daher voraus, dass während des Verfahrens ein besonderer Anlass zu Tage getreten ist, aus dem sich ergibt, dass der Betroffene an der Weiterverfolgung seines Asylantrags kein Interesse hat. Der Betroffene ist auf Zweifel an diesem Interesse hinzuweisen und ihm ist Gelegenheit zu geben, diese auszuräumen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 -, DVBl. 1999, 166; VG Augsburg, Urt. v. 01.07.2011 - AU 3 K 10.30481 -, juris; VG Münster, Beschl. v. 24.05.2011 - 9 L 68/11.A -, juris). Das Bundesamt darf nicht ohne weiteres die Aufforderung nach § 33 Abs. 1 S. 1 AsylVfG erlassen. Vielmehr müssen Anhaltspunkte dafür vorhanden sein, dass der Asylantragsteller erkennbar kein Interesse mehr an der Fortführung des Asylverfahrens hat (VG Düsseldorf, Beschl. v. 28.07.2011 - 27 L 1122/11 A -, juris unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfes eines Gesetzes zur Neuregelung des Asylverfahrens, BT-Drs. 12/2062 S. 33; Marx, Kommentar zum AsylVfG, 7. Aufl., § 33 Rdnr. 3 ff.).
18 
Solche Anhaltspunkte waren bei Erlass der Betreibensaufforderung vom 13.04.2011 im Fall der Klägerin offensichtlich nicht gegeben. Das Bundesamt hat die Aufforderung vielmehr unmittelbar mit der Mitteilung über die von Gesetzes wegen erfolgte Einleitung eines Asylverfahrens nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG verbunden (so auch VG Düsseldorf, Beschl. v. 28.07.2011, a.a.O.).
19 
Damit ist das Bundesamt zu Unrecht von einer fingierten Antragsrücknahme ausgegangen und hat daher das Verfahren voreilig eingestellt.
20 
Rechtswidrig und aufzuheben sind damit auch die im angegriffenen Bescheid getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG nicht vorliegen, und die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung, die bei der Entscheidung jedenfalls verfrüht ergangen sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.03.1995, a.a.O.).
21 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.

Tenor

Dem Kläger wird für das Verfahren zweiter Instanz ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin E. aus Köln bewilligt.

Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40

(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.

(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

(4) Abweichend von Absatz 3 hat das Gericht in Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 und § 50 Absatz 1 Nummer 6 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn der Beteiligte

1.
die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
2.
über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

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Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, im Asylverfahren des Klägers das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben und das Asylverfahren durchzuführen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens haben der Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen.

3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen einen ihm noch nicht bekannt gegebenen Bescheid der Beklagten über die Unzulässigkeit des von ihm gestellten Asylantrags und erstrebt seine Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zumindest aber die sachliche Bearbeitung seines Asylantrags.

2

Am 25. August 2010 stellte der Kläger bei der Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Trier (Bundesamt) einen Asylantrag, nachdem er am 5. August 2010 bei der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge in Gießen als Asylbewerber erfasst worden war.

3

Bei der Asylbeantragung gab er an, somalischer Staatsangehörigkeit und am ... in ... geboren zu sein, wo er auch gelebt habe; er gehöre der Volksgruppe der ... an und sei islamischer Religionszugehörigkeit. Er habe einen Reisepass besessen, wisse aber aufgrund des Krieges nicht, wo dieser sich befinde. Am ... habe er religiös die Ehe geschlossen, wisse aber nicht, wo sich seine Ehefrau aufhalte. Er sei Vater eines ... geborenen Sohnes, der bei der Mutter lebe. Er habe 8 Jahre lang die Schule besucht und den Beruf eines Technikers erlernt. In diesem Beruf habe er auch gearbeitet. Insoweit legte er einen Dienstausweis von ... vor.

4

Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 15. September 2010 trug der Kläger vor, dass er am 16. Juli 2010 Mogadischu verlassen habe und in einem Kraftfahrzeug Richtung Nairobi gefahren sei, wo er am 25. Juli 2010 angekommen sei. Von dort sei er mit Emirate Airline über Dubai nach Frankfurt geflogen, wo er am 5. August 2010 morgens gegen 6 Uhr angekommen sei. Auf Nachfrage, wieso im Dezember 2009 seine Fingerabdrücke in Ungarn aufgenommen worden seien, erklärte der Kläger dann, dass er Mogadischu am 25. Oktober 2010 mit einem LKW verlassen habe, sieben Tags unterwegs gewesen sei und am 20. November 2011 mit einer türkischen Fluggesellschaft nach Rumänien geflogen sei. Von dort sei er zu Fuß nach Ungarn gelangt, wo er sich ca. sieben Monate aufgehalten habe. Er habe dort einen Asylantrag gestellt und Dokumente, aber keine Unterkunft und keine Unterstützung erhalten. Er habe nicht arbeiten können und auf der Straße gelebt. In Ungarn sei er mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden. Unterlagen über den Aufenthalt in Ungarn besitze er nicht. Schließlich sei er mit einem Bus nach Gießen gefahren, wo er am 5. August angekommen sei. Er sei Radiotechniker und habe bei einem für Mogadischu und Umgebung zuständigen Sender gearbeitet. Sein Vater habe als Soldat für ... gearbeitet und sei im Januar 2009 von Al-Shabab-Leuten umgebracht worden. Außerdem seien Mitarbeiter seines Senders ermordet worden, so dass er große Angst gehabt habe, ebenfalls umgebracht zu werden. Als er zusammen mit anderen Personen vor den Al-Shabab-Leuten weggelaufen sei, sei er gefallen und habe sich eine Verletzung zugezogen, die mit drei Stichen habe genäht werden müssen. Er sei telefonisch bedroht worden. Deshalb habe er Somalia verlassen.

5

Mit Anwaltsschriftsatz vom 7. Oktober 2010 machte der Kläger dann geltend, dass Deutschland verpflichtet sei, den Selbsteintritt zu erklären und das Asylverfahren sachlich durchzuführen Der Kläger sei psychisch schwer krank, seitdem er in Ungarn mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen worden sei, sei er traumatisiert. Ferner reichte er ein Attest des Univ.-Prof. Dr. med. ... vom 16. Dezember 2010 zu den Akten, in dem es heißt, dass der sehr ängstlich wirkende Kläger an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leide. Außerdem reichte der Kläger ein Schriftstück der Organisation Reporter ohne Grenzen vom 8. März 2011 zu den Akten, in dem es heißt, dass der vom Kläger genannter Sender 2009 vier Mitarbeiter, darunter den ehemaligen Direktor, durch Morde der islamistischen Gruppe Al Shabaab verloren habe. Ferner legte er eine ärztliche Stellungnahme des Vereins zur Unterstützung traumatisierter Patienten vom 15. April 2011 vor, die ebenfalls eine PTBS attestiert.

6

Auf entsprechendes Übernahmeersuchen der Beklagten stimmte Ungarn unter dem 25 Mai 2011 einer Überstellung des Klägers nach Ungarn zu und führte aus, dass der am 18. Dezember 2009 gestellte Asylantrag des Klägers zwar abgelehnt, ihm aber vorübergehender Schutz (beneficiary of temporary protection) zugebilligt worden sei.

7

Mit bislang allerdings nicht an den Kläger übermitteltem Bescheid vom 26. Mai 2011 entschied die Beklagte alsdann, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Beklagte veranlassen könnten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen, seien nicht ersichtlich. Insoweit müsse Ungarn die vom Kläger geltend gemachten psychischen Probleme prüfen, zumal es dem Kläger bereits subsidiären Rechtsschutz gewährt habe. Außerdem heißt es in dem bislang nicht bekannt gegeben Bescheid, dass die Abschiebung des Klägers nach Ungarn angeordnet werde.

8

Am 14. Juli 2011 hat der Kläger alsdann Klage erhoben und darauf hingewiesen, dass er sich bis auf weiteres wegen einer PTBS in stationärer Behandlung im Pfalzklinikum Klingenmünster aufhalte und nicht reisefähig sei. Insoweit verwies er auf eine fachärztliche Bescheinigung der genannten Klinik.

9

Mit Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - untersagte die erkennende Kammer der Beklagten auf Antrag des Klägers alsdann, einstweilen seine Rücküberstellung nach Ungarn zu betreiben. Zur Begründung des Beschlusses ist ausgeführt, dass der Kläger sich aufgrund der ärztlich attestierten Reise- und Transportunfähigkeit auf ein im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigendes inlandsbezogenen Abschiebungshindernis berufen könne.

10

Zur weiteren Klagebegründung macht der Kläger geltend, dass er ungeachtet dessen, dass er zwischenzeitlich aus der Klinik entlassen worden sei, weiterhin reise- und transportunfähig sei. Wegen der PTBS sei er zwischenzeitlich in Behandlung einer psychotherapeutischen Praxis; insoweit verweist er auf ein Attest des Dr. phil. ... vom 9. Dezember 2011. Des Weiteren verweist er auf eine nervenärztliche Stellungnahme der Dr. med. ... vom 2. Mai 2012. Ferner trägt der Kläger vor, dass das Übernahmeersuchen nach Ungarn nicht innerhalb von drei Monaten und damit verspätet gestellt worden sei und die Beklagte deshalb zu einem Selbsteintritt verpflichtet sei.

11

Ferner macht der Kläger geltend, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Überstellung aus Österreich nach Ungarn gestoppt habe, weil Flüchtlinge dort nach Rückkehr bis zu einem Jahr inhaftiert würden. Von daher habe er einen Anspruch aus Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte. Als Sachverständige zu den gravierenden Mängeln im Asylverfahren in Ungarn solle Frau Marion Bayer gehört werden, die unter dem Titel "Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit" für ProAsyl einen umfangreichen Bericht zu den dortigen Verhältnissen erstellt habe, den er zu den Akten reichte. Im Übrigen habe der UNHCR in einem Bericht vom 24. April 2012 erhebliche Kritik an der Behandlung von Asylbewerbern in Ungarn geübt.

12

Im Hinblick auf das geltend gemachte Asylbergehren beruft der Kläger sich auf eine weitere zu den Akten gereichte Stellungnahme des Vereins Reporter ohne Grenzen vom 10. Oktober 2011, in der ausgeführt wird, dass die Situation in Somalia für den Kläger als ehemaligen Mitarbeiter der Radiostation ... sehr kritisch sei.

13

In der mündlichen Verhandlung vor Gericht hat der Kläger die ihm eingeräumte Möglichkeit, sich ergänzend zum Klagebegehren zu äußern, genutzt und ausführliche Angaben zur Sache gemacht. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Angaben wird Bezug genommen auf die Sitzungsniederschrift.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Beklagte unter Aufhebung des bislang nicht zugestellten Bescheides vom 26. Mai 2011 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, die Flüchtlingseigenschaft festzustellen und festzustellen, dass im Hinblick auf seine Person in Bezug auf eine Abschiebung nach Somalia die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis Abs. 5 bzw. Abs. 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen,

16

hilfsweise,

17

die Beklagte zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.

18

Die in der mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertretene Beklagte ist dem Vorbringen des Klägers schriftsätzlich entgegengetreten und bittet,

19

die Klage abzuweisen.

20

Sie ist der Auffassung, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn aufgrund der Bestimmungen der Art. 16 Abs. 1e, 20 der Dublin-II-VO nicht fristgebunden sei. Im Übrigen korrespondiere das Selbsteintrittsrecht eines EU-Mitgliedstaates nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-II-VO nicht mit subjektiven Rechten eines Asylbewerbers. Außerdem erfülle Ungarn gegenüber asylbeantragenden Ausländern die europarechtlich vorgegebenen Mindeststandards. Diese Einschätzung widerspreche nicht dem Urteil des EUGH vom 21. Dezember 2011 - C-441/10.N.S. -, denn vereinzelte Ausreißer in der Behandlung einzelner Asylbewerber könnten kein allgemeines Selbsteintrittsrecht begründen. Insoweit müsse auch gesehen werden, dass der österreichische Asylgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - ausgeführt habe, dass eine Überstellung von Asylbewerbern nach Ungarn möglich sei.

21

Die Kammer hat mit Beschluss vom 17. Oktober 2011 den Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2012. Die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die auf Blatt 178 ff. der Prozessakte aufgelisteten Unterlagen zu den Verhältnissen in Somalia lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Auf ihren Inhalt wird ebenfalls verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

23

Die Klage, über die das Gericht trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung gemäß § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - entscheiden kann, ist unzulässig, soweit der Kläger eine Aufhebung des bislang noch nicht bekanntgegebenen Bescheids vom 26. Mai 2011 erstrebt, denn dieser lediglich bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid ist gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 41 Abs. 1 und 5 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - bislang nicht wirksam geworden, weil er dem Kläger (noch) nicht bekannt gegeben worden ist. Soll ein Asylantrag - wie hier - nach § 27 a AsylVfG abgelehnt werden, erfolgt die Bekanntgabe der Entscheidung zusammen mit der Abschiebungsanordnung nach § 34 a AsylVfG durch Zustellung an den Ausländer selbst, § 31 Abs. 1 Satz 4 AsylVfG. Wird der Ausländer durch einen Bevollmächtigten vertreten, soll diesem ein Abdruck der Entscheidung zugeleitet werden. Vorliegend fehlt es bislang an einer derartigen Bekanntgabe des Bescheides der Beklagten an den Kläger. Dass diesem der in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten enthaltene Bescheid auf dem Wege der Akteneinsicht seines Prozessbevollmächtigten in die Verwaltungsvorgänge bekannt geworden sind, stellt keine wirksame Bekanntgabe im Sinne der vorgenannten Vorschriften dar, da es schon an der erforderlichen Zustellung gegenüber dem Kläger selbst fehlt. Dieser Mangel wird auch nicht etwa durch § 8 des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - geheilt, da die Anwendung dieser Vorschrift voraussetzt, dass die Behörde eine Zustellung vornehmen wollte (vgl. VG Frankfurt, Beschluss vom 6. Januar 2010 - 7 L 319/09.A -, juris, mit weiteren Nachweisen). Ein solcher Zustellungs-/Bekanntgabewille der Beklagten ist hier nicht erkennbar, so dass der bei den Verwaltungsakten befindliche Bescheid allenfalls als noch unverbindlicher Entwurf eines Bescheides angesehen werden kann und daher für eine Aufhebung durch das Gericht kein Raum ist.

II.

24

Soweit die Klage im Hauptantrag des Weiteren auf Asylanerkennung sowie die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft bzw. von Abschiebungsverboten gerichtet ist, ist sie unter Berücksichtigung des § 75 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - als Verpflichtungsklage in der Form der so genannten Untätigkeitsklage zulässig, denn der Kläger kann im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO geltend machen, möglicherweise einen Anspruch auf gerichtliche Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der begehrten Entscheidungen zu haben.

25

Die Klage ist indessen bereits deshalb nicht begründet, weil für einen gerichtlichen Verpflichtungsausspruch vorliegend unter Berücksichtigung der asylrechtlichen Besonderheiten kein Raum ist. Die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde gerichtete - Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz steht nämlich der Annahme entgegen, dass das Verwaltungsgericht die Sache durch Ermittlung des gesamten für eine Sachentscheidung über den Asylantrag erforderlichen Sachverhalts spruchreif zu machen hätte, solange - wie vorliegend - noch keine Verwaltungsentscheidung über den Asylantrag ergangen ist.

26

Zwar sind auch im Bereich des Asylrechts die Verwaltungsgerichte bei einer Verpflichtungsklage grundsätzlich gehalten, die Sache spruchreif zu machen und das Verfahren nicht an die Behörde zurückzuverweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, juris). Dies gilt indessen in den Fällen, in denen ein Asylbewerber erstmals einen Asylantrag gestellt hat, nur dann, wenn bereits eine behördliche Entscheidung über das Asylbegehren ergangen ist. Ist hingegen noch keine behördliche Entscheidung ergangen, so würde eine Verpflichtung des Gerichts zur Spruchreifmachung der Sache und zum Durchentscheiden die vom Gesetzgeber im Bemühen um Verfahrensbeschleunigung dem Bundesamt zugewiesenen Gestaltungsmöglichkeiten unterlaufen. Gelangt das Bundesamt nämlich nach sachlicher Prüfung des Asylbegehrens zu dem Ergebnis, das Begehren sei gemäß §§ 29 a und 30 AsylVfG offensichtlich unbegründet, so bestimmt § 36 AsylVfG das weitere Verfahren und sieht eine starke Beschleunigung der gerichtlichen Kontrolle der Bundesamtsentscheidung und gegebenenfalls eine kurzfristige Beendigung des Aufenthalts des Antragstellers vor. Eine vergleichbare Möglichkeit steht dem Gericht nicht zu, denn es kann eine Abschiebungsandrohung gemäß § 34 AsylVfG unter Fristsetzung (§ 36 Abs. 1 AsylVfG) nicht aussprechen. Stellt sich nämlich das Asylbegehren nach Ansicht des Verwaltungsgerichts als schlicht unbegründet dar, bemisst § 38 Abs. 1 AsylVfG die Ausreisefrist auf 30 Tage. Allerdings müsste sie, da sie nicht vom Gericht ausgesprochen werden kann, nachträglich von der Behörde festgesetzt werden, was dem Beschleunigungsgedanken des Asylverfahrensgesetzes völlig widerspricht (vgl. zu alledem: BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264/94 -, juris). Von daher kommt ein Durchentscheiden des Verwaltungsgerichts bei einer Asylverpflichtungsklage nur in Betracht, wenn der Kläger mit seinem erstmals in Deutschland gestellten Asylantrag beim Bundesamt erfolglos gebliebenen ist (vgl. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 - 9 C 45/97 -, a.a.O.).

27

Demnach ist - anders als im Falle eines Asylfolgeantrags im Sinne des § 71 AsylVfG (vgl. insoweit BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2000 - 9 B 426/00 -, juris) - in den Fällen der Nichtbescheidung eines ersten Asylantrags eines Asylbewerbers kein Raum für eine Untätigkeitsklage dahingehend, dass die Beklagte zur Asylanerkennung sowie Feststellung der Flüchtlingseigenschaft oder von Abschiebungsverboten verpflichtet werden könnte (vgl. zur diesbezüglichen Problematik auch VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris).

28

Demnach kann die Klage hinsichtlich des Hauptantrags keinen Erfolg haben.

III.

29

Der Hilfsantrag des Klägers, die Beklagte zu verpflichten, ihr so genanntes Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-VO - auszuüben, ist zulässig.

30

Dabei kann der Kläger sein diesbezügliches Begehren als Verpflichtungsklage in der Form der Untätigkeitsklage geltend machen, denn die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts stellt einen Verwaltungsakt dar. Insoweit macht sich die Kammer die nachfolgenden Ausführungen des VG Osnabrück in dessen Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris zu Eigen, in denen es heißt:

31

"Die Kammer geht davon aus, dass eine Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gem. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO gegenüber dem von ihr betroffenen Asylbewerber Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG entfaltet. Zwar geht die Kammer mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 16. Juli 1965, - BVerwG IV C 82.63 -, BVerwGE 21, 352 [353]) davon aus, dass die von einer höheren Behörde (heute in dem Rahmen des § 3 Abs. 2 VwVfG) getroffene Auswahl einer von mehreren zuständigen nachgeordneten Behörden für eine gewisse Angelegenheit deswegen nicht als Regelung anzusehen ist, weil sie nicht unmittelbar gegen den Bürger gerichtet ist, sondern sich innerhalb des Behördenaufbaus hält (anderer Ansicht Klappstein, in: Knack, VwVfG, 6. Auflage, § 3 Tz. 4.2) und eine derartige Zuständigkeitsbestimmung deshalb (heute) gemäß § 44 a VwGO weder einer isolierten Anfechtung noch einer isolierten Verpflichtung zugänglich ist. Anders ist dies nach Auffassung der Kammer jedoch dann, wenn in einem transnationalen Verhältnis eine gemeinsame Fachaufsichtsbehörde zu einer Bestimmung der zuständigen Behörde fehlt. In einem solchen Fall folgt die Regelungswirkung im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG für den Kläger aus der selbständigen Bedeutung der Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union neben dem eigentlichen Verwaltungsverfahren der Asylanerkennung. Die vorliegend streitige Bestimmung des für das Asylverfahren zuständigen Mitgliedsstaates der Europäischen Union unterwirft den Asylsuchenden der institutionellen- und Verfahrensautonomie des jeweiligen Mitgliedsstaates: Die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung von Verfahren, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts - hier der Richtlinie 2004/83/EG des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (vom 29. April 2004, Abl. Nr. L 204, Seite 12; berichtigt ABl. 2005 Nr. L 204 Seite 25) - erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sind mangels einer unionsrechtlichen Regelung auf diesem Gebiet Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995, Rs. C-312/93 [Peterbroeck, Van Campenhout & Cie SCS gegen Belgischer Staat], Slg. 1995, I- 4599 [Randnummer 12]; EuGH, Urteil vom 11. September 2003, Rs. C-13/01 [Safalero Srl gegen Prefetto di Genova], Slg. 2003, I-8679, [Randnummer 49]). Unterschiedlich ausgestaltete nationale Verfahrensordnungen vermögen daher auch zu einer unterschiedlichen Rechtsdurchsetzung des Unionsrechts zu führen; dies rechtfertigt es, der Bestimmung eines anderen Mitgliedsstaates der Union gegenüber dem Asylsuchenden auch eine Regelungswirkung zuzuerkennen.

32

Der Statthaftigkeit der Verpflichtungsklage beziehungsweise dem Rechtsschutzbedürfnis des Klägers steht § 44 a VwGO nicht entgegen. § 44 a Satz 2 VwGO lässt selbständige Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen zu, die vollstreckt werden können. Der Begriff der Vollstreckung ist hierbei weit auszulegen (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 23. Februar 2010, - 5 LB 20/09 -, Juris). Unzweifelhaft ist die Bestimmung Italiens als für das Asylverfahren zuständigem Staat in Verbindung mit der Abschiebungsandrohung einer Vollstreckungshandlung fähig; eine solche war bereits für den 23.08.2010 vorgesehen gewesen."

33

Diese Ausführungen sind zur Überzeugung des Gerichts auf das vorliegende Verfahren, in dem eine Überstellung des Klägers nach Ungarn im Raum steht, übertragbar.

34

Des Weiteren kann der Kläger geltend machen, möglicherweise durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts in eigenen Rechten im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO zu sein.

35

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat abweichend von Absatz 1 der Norm einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Vorliegend ist die Beklagte ohne Ausübung dieses Selbsteintrittsrechts für die Prüfung des Asylantrags des Klägers nicht zuständig, denn aus Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO ergibt sich eine Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylantrags. Nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO ist nämlich für die Bestimmung des für den Asylantrag zuständigen Mitgliedstaats von der Situation auszugehen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union gestellt hat. Da der Kläger eigenen Bekundungen zufolge jedoch im Bereich der Europäischen Union erstmals einen Asylantrag in Ungarn gestellt und Ungarn dies unter dem 25 Mai 2011 auch bestätigt und seine Zuständigkeit bejaht hat, ist Deutschland für die Bearbeitung des vom Kläger gestellten Asylantrags bislang nicht zuständig.

36

Die Beklagte ist auch nicht nach den Bestimmungen des Kapitels III der Dublin II-VO zuständig geworden. Dies bedarf keiner weitergehenden Erörterung, denn es ist nicht ansatzweise ersichtlich, dass sich im Falle des Klägers aus einem Artikel dieses Kapitels der genannten Verordnung eine Zuständigkeit der Beklagten ergeben könnte.

37

Demnach ist Ungarn gemäß Art. 16 Abs. 1 e Dublin II-VO gehalten, den Kläger wieder aufzunehmen, nachdem es den Asylantrag des Klägers abgelehnt hat und dieser sich unerlaubt in Deutschland und damit im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. Dabei hat gemäß Art. 20 Abs. 1 d Dublin II-VO die Überstellung des Klägers nach Ungarn nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten zu erfolgen, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat. Vorliegend sind zwar seit der Übernahmeerklärung Ungarns mehr als sechs Monate verstrichen. Da die Kammer indessen in ihrem Beschluss vom 19. Juli 2011 - 5 L 971/11.TR - der Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO einstweilen eine Überstellung des Klägers nach Ungarn untersagt hat, was faktisch einer aufschiebenden Wirkung im Sinne einer Vollzugshinderung gleichkommt, hat derzeit eine sich aus dieser Bestimmung ergebende Überstellungsfrist noch nicht zu laufen begonnen (vgl. hierzu Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. Januar 2009- C 19/08 - und Beschluss des Hessischen VGH vom 23. August 2011 - 2 A 1863/10.Z.A -, beide veröffentlicht bei juris), so dass Deutschland auch nicht infolge Fristablaufs zuständiger Staat für die Bearbeitung des Asylantrags des Klägers geworden ist.

38

Von daher liegt ein Asylverfahren vor, auf das grundsätzlich das Selbsteintrittsrecht des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Anwendung finden kann.

39

Dabei kann der Kläger auch geltend machen, durch eine Nichtausübung des Selbsteintrittsrechts möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein.

40

Zwar richten sich die Vorschriften der Dublin II-VO als zwischenstaatliche Regeln vorrangig an die Mitgliedstaaten und begründen regelmäßig keine subjektiven Rechte von Asylbewerbern (vgl. Hailbronner, Kommentar zum Ausländerrecht, Bd. 3, B2, § 27a Rdnr. 26, Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Bd. 2, I, § 27a Rdnr. 25). Insoweit kann auch Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO grundsätzlich nicht als Öffnungsklausel zur Durchsetzung individueller Ansprüche interpretiert werden (vgl. Hailbronner, a.a.O. Rdnrn. 60 ff.).

41

Allerdings ist das Gericht der Überzeugung, dass Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO dann subjektiv-rechtlichen Charakter haben und einen Anspruch des Klägers begründen kann, wenn in dem für das Verfahren zuständigen Mitgliedstaat die Durchführung eines den Geboten der Rechtsstaatlichkeit im Sinne von Art. 2 EUV und der Charta der Grundrechte im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EUV in Verbindung mit Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (vom 12. Dezember 2007, ABl. Nr. C 303 Seite 1) genügenden Asylverfahrens nicht hinreichend gewährleistet ist (vgl. Vorlagebeschluss des OVG Nordrhein-Westfalen an den Europäischen Gerichtshof vom 19. Dezember 2011 - 14 A 1943/11.A -, juris und VG Osnabrück, Urteil vom 23. Januar 2012 - 5 A 212/11 -, juris; s.a. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf).

42

Da Letzteres bei überschlägiger Prüfung in Bezug auf Ungarn nicht von vornherein ausgeschlossen ist, sind die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 VwGO erfüllt, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts zulässig ist.

43

Ferner ist ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung des im Verwaltungsverfahren mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2010 gestellten Antrags auf Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nicht erkennbar und die Dreimonatsfrist des § 75 VwGO verstrichen, so dass die Klage hinsichtlich des Hilfsantrags zulässig ist.

44

Sie ist auch in der Sache begründet; der Kläger hat einen Anspruch dahingehend, dass die Beklagte verpflichtet ist, das ihr durch Art. 3 Abs. 2 Satz 1 Dublin II VO eröffnete Selbsteintrittsrechts auszuüben, so dass sie gemäß Satz 2 dieser Vorschrift zu dem zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung wird und die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen übernimmt.

45

Zwar liegt die Entscheidung über die Ausübung des Selbsteintrittsrechts, wie sich aus dem Wort "kann" ergibt, grundsätzlich im Ermessen des jeweiligen Mitgliedstaats. Dieses Ermessen ist indessen zur Überzeugung des Gerichts vorliegend auf Null dahingehend reduziert, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Selbsteintrittsrecht auszuüben, weil der Kläger in Ungarn - dem für sein Asylverfahren grundsätzlich zuständigen Mitgliedstaat - kein ordnungsgemäßes Verfahren zu erwarten hat.

46

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21. Dezember.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris, ausgeführt, dass Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den "zuständigen Mitgliedstaat" im Sinne der Verordnung Nr. 343/2003 zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Im Einzelnen heißt es in diesem Urteil:

47

"75. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Die Beachtung der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls von 1967 ist in Art. 18 der Charta und in Art. 78 AEUV geregelt (vgl. Urteile vom 2. März 2010, Salahadin Abdulla u. a., C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Slg. 2010, I-1493, Randnr. 53, und vom 17. Juni 2010, Bolbol, C-31/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 38).

48

76. Wie oben in Randnr. 15 ausgeführt, heißt es in den einzelnen Verordnungen und Richtlinien, die für die Ausgangsverfahren einschlägig sind, dass sie die Grundrechte und die mit der Charta anerkannten Grundsätze achten.

49

77. Nach gefestigter Rechtsprechung haben überdies die Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht unionsrechtskonform auszulegen, sondern auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine Auslegung einer Vorschrift des abgeleiteten Rechts stützen, die mit den durch die Unionsrechtsordnung geschützten Grundrechten oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts kollidiert (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. November 2003, Lindqvist, C-101/01, Slg. 2003, I-12971, Randnr. 87, und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophone u. a., C-305/05, Slg. 2007, I-5305, Randnr. 28).

50

78. Die Prüfung der Rechtstexte, die das Gemeinsame Europäische Asylsystem bilden, ergibt, dass dieses in einem Kontext entworfen wurde, der die Annahme zulässt, dass alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen.

51

79. Gerade aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens hat der Unionsgesetzgeber die Verordnung Nr. 343/2003 erlassen und die oben in den Randnrn. 24 bis 26 genannten Übereinkommen und Abkommen geschlossen, um die Behandlung der Asylanträge zu rationalisieren und zu verhindern, dass das System dadurch stockt, dass die staatlichen Behörden mehrere Anträge desselben Antragstellers bearbeiten müssen, und um die Rechtssicherheit hinsichtlich der Bestimmung des für die Behandlung des Asylantrags zuständigen Staates zu erhöhen und damit dem "forum shopping" zuvorzukommen, wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen.

52

80. Unter diesen Bedingungen muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

53

81. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten unvereinbar ist.

54

82. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten zur Beachtung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 343/2003 berühren würde.

55

83. Auf dem Spiel stehen nämlich der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, das auf gegenseitigem Vertrauen und einer Vermutung der Beachtung des Unionsrechts, genauer der Grundrechte, durch die anderen Mitgliedstaaten gründet.

56

84. Es wäre auch nicht mit den Zielen und dem System der Verordnung Nr. 343/2003 vereinbar, wenn der geringste Verstoß gegen die Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 genügen würde, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Mit der Verordnung Nr. 343/2003 soll nämlich, ausgehend von der Vermutung, dass die Grundrechte des Asylbewerbers in dem normalerweise für die Entscheidung über seinen Antrag zuständigen Mitgliedstaat beachtet werden, wie in den Nrn. 124 und 125 der Schlussanträge in der Rechtssache C-411/10 ausgeführt worden ist, eine klare und praktikable Methode eingerichtet werden, mit der rasch bestimmt werden kann, welcher Mitgliedstaat für die Entscheidung über einen Asylantrag zuständig ist. Zu diesem Zweck sieht die Verordnung Nr. 343/2003 vor, dass für die Entscheidung über in einem Land der Union gestellte Asylanträge nur ein Mitgliedstaat zuständig ist, der auf der Grundlage objektiver Kriterien bestimmt wird.

57

85. Wenn aber jeder Verstoß des zuständigen Mitgliedstaats gegen einzelne Bestimmungen der Richtlinien 2003/9, 2004/83 oder 2005/85 zur Folge hätte, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert wäre, den Antragsteller an den erstgenannten Staat zu überstellen, würde damit den in Kapitel III der Verordnung Nr. 343/2003 genannten Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ein zusätzliches Ausschlusskriterium hinzugefügt, nach dem geringfügige Verstöße gegen die Vorschriften dieser Richtlinien in einem bestimmten Mitgliedstaat dazu führen könnten, dass er von den in dieser Verordnung vorgesehenen Verpflichtungen entbunden wäre. Dies würde die betreffenden Verpflichtungen in ihrem Kern aushöhlen und die Verwirklichung des Ziels gefährden, rasch den Mitgliedstaat zu bestimmen, der für die Entscheidung über einen in der Union gestellten Asylantrag zuständig ist.

58

86. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar."

59

Unter Zugrundelegung dieser grundsätzlichen Anforderungen zur Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts ist das Gericht der Überzeugung, dass im Fall des Klägers die im Urteil des Europäische Gerichtshofs dargelegte Vermutung widerlegt ist, wonach in Ungarn grundsätzlich ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleistet ist, weil mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass seine weitere Behandlung nach einer Überstellung nach Ungarn dort nicht in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.

60

Dies folgt zwar nicht aus dem vom Kläger zitierten Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 20. September 2011 (Beschwerde-Nr. 10816/10 -, http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/viewhbkm.asp?sessionId=78728660&skin=hudoc-en&action=html&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649&key=92442&highlight=lokpo), denn dieses Urteil betrifft einen anderen Sachverhalt und ist von daher nicht einschlägig. In dem Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass Ungarn durch eine mehrmonatige Inhaftierung zweier Asylbewerber gegen Art. 5 Abs. 1, Buchstabe f der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen hat, wonach jede Person das Recht auf Freiheit und Sicherheit hat und "die Freiheit nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden darf bei rechtmäßige Festnahme oder rechtmäßiger Freiheitsentziehung zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist". Allerdings betrifft die Entscheidung zwei Fälle von Asylbewerbern, die in Ungarn während der laufenden (ersten) Asylverfahren inhaftiert waren. Von daher enthält das Urteil keine Aussage dazu, wie Personen, denen - wie dem Kläger, s. insoweit die Mitteilung der ungarischen Behörde [Blatt 116 der Verwaltungsakte]) - nach Abschluss des in Ungarn betriebenen Asylverfahrens ein Status "beneficiary of temporary protection" (menedékes) (vgl. hierzu http://www.miracle-comenius.org/fileadmin/miracle-project/Minority_Hungary.pdf) zuerkannt wurde, im Falle einer Rückkehr nach Ungarn behandelt werden.

61

Allerdings ist das Gericht unter Berücksichtigung der ihm ansonsten vorliegenden übrigen Erkenntnisquellen der Überzeugung, dass dem schwerkranken Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn im Rahmen des Dublin II-Verfahrens eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta drohen wird und in seinem Fall die dargestellte Vermutungsregelung wiederlegt ist.

62

Der Leiter des österreichischen Büros des UNHCR, dem als namhafter UN-Organisation bei der Lagebeurteilung erhebliches Gewicht zukommt, hat in einer Stellungnahme vom 3. Februar 2012 an den österreichischen Asylgerichtshof ausgeführt, dass Asylsuchende, die - wie der Kläger - aufgrund der Dublin II-Verordnung nach Ungarn rücküberstellt werden, unmittelbar nach ihrer Überstellung nach Ungarn regelmäßig eine Abschiebungsverfügung erhalten und darauf basierend in der Regel inhaftiert werden (vgl. http://www.ecoi.net/file_upload/90_1328611178_unhcr-2012-02-03-coi-hu-update.pdf; s. auch österreichischer Asylgerichtshof, Beschluss vom 27. Oktober 2011 - S4 422020-1/2011 -, http://www.ris.bka.gv.at/Dokument.wxe?Abfrage=AsylGH&Dokumentnummer=ASYLGHT_20111027_S4_422_020_1_2011_00), so dass viel dafür spricht, dass Ungarn Art. 18 der Richtlinie 2005/85/EG nicht beachtet, der bestimmt, dass die Mitgliedstaaten eine Person nicht allein deshalb in Gewahrsam nehmen, weil sie ein Asylbewerber ist.

63

Eine derartige Praxis wird letztlich auch durch eine Stellungnahme des Auswärtigen Amtes vom 9. November 2011 - 508-9-516.80/46875 - an das Verwaltungsgericht Regensburg im dortigen Verfahren RO 4 K 11.30204 bestätigt. Dort ist nämlich ausgeführt, dass der dortige Kläger nach seiner Rücküberstellung nach Ungarn im Dublin-II-Verfahren zunächst in Györ und anschließend in Nyírbátor in Gewahrsam genommen worden sei und sich Asylbewerber in der zuletzt genannten Gewahrsamseinrichtung täglich (nur) eine Stunde frei bewegen könnten.

64

Derartige Praktiken werden außerdem in dem vom Kläger vorgelegten Bericht "Flüchtlinge in Ungarn: zwischen Obdachlosigkeit und Haft" (vgl. http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2012/Ungarnbericht_3_2012_Web.pdf) und dem von ihm ebenfalls vorgelegten Bericht des ungarischen Helsinki-Komitee (HHC) bestätigt. Insoweit hat die Kammer keine Zweifel, dass die Angaben in den Berichten glaubhaft sind, so dass keine Veranlassung bestand, insoweit in eine Beweisaufnahme einzutreten. Soweit das Auswärtige Amt in der bereits zitierten Auskunft vom 9. November 2011 angibt, aus eigener Kenntnis keine Aussage über die Glaubwürdigkeit des Berichts des HHC treffen zu können, ist diese Angabe nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der in dem Bericht enthaltenen Ausführungen zu widerlegen, zumal das Auswärtige Amt in dieser Auskunft darlegt, dass Asylbewerber in Hafteinrichtungen untergebracht wurden und Anwälte des HCC Zugang zu Anstalten haben, in denen Asylbewerber untergebracht sind, und damit letztlich die Ausführungen des Berichts bestätigt.

65

Ferner berücksichtigt die Kammer, dass der UNHCR in seinem neuesten Bericht zur Situation von Asylsuchenden in Ungarn vom 24. April 2012 (vgl. http://www.unhcr.de/home/artikel/fb7213ec516ae34a4677150a85e35ed3/bericht-zur-situation-von-asylsuchenden-in-ungarn.html) unter Darlegung von Einzelheiten von Besorgnis erregenden Entwicklungen spricht und Verbesserungen als dringend erforderlich ansieht. Wenn er in diesem Bericht zwar abschließend die Schritte Ungarns zur Verbesserung der Situation begrüßt, so rechtfertigt dies angesichts seiner vorherigen Ausführungen gleichwohl nicht die Schlussfolgerung, dass die aufgezeigten Missstände beseitigt und in Zukunft nicht mehr zu befürchten seien.

66

Von daher ist das Gericht der Überzeugung, dass dem Kläger im Falle einer Überstellung nach Ungarn eine längerfristige Inhaftierung droht, die für ihn jedenfalls deshalb eine unmenschliche Behandlung darstellt, weil er zur Überzeugung des Gerichts, wie durch zahlreiche medizinische und psychologische Stellungnahmen belegt wird, an erheblichen gesundheitlichen, insbesondere psychischen Beeinträchtigungen leidet, die im Übrigen auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor Gericht deutlich erkennbar waren (vgl. zu Rückkehrgefahren bei derartigen Personen auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts der Schweiz vom 18. Mai 2012 - D-6664/2011 -, http://www.bvger.ch/publiws/pub/search.jsf unter der dortigen Nr. 5.3 auf Seite 13 ff.).

67

Soweit die Beklagte unter Hinweis auf die Entscheidung des österreichischen Asylgerichtshofs vom 13. Januar 2012 - S21 432260-1/2011 - die Auffassung vertritt, dass eine Überstellung des Klägers nach Ungarn zumutbar sei, vermag sich das Gericht dem nicht anzuschließen. Der Asylgerichtshof hat in seiner Entscheidung nämlich ausgeführt, dass bei dem dortigen Beschwerdeführer keine konkreten auf ihn bezogenen Umstände vorlägen, die gerade in seinem Fall eine Bedrohung oder Gefährdung im Falle seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen ließen. Von daher ist die Entscheidung auf das Verfahren des Klägers nicht übertragbar, da bei ihm aufgrund seiner massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen besondere Umstände vorliegen.

68

Besteht aber somit eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dahingehend, dass der Kläger bei einer Überstellung nach Ungarn eine unmenschliche Behandlung erfahren wird, so hat er einen Anspruch auf Ausübung des Selbsteintrittsrechts durch die Beklagte, so dass die Klage insoweit Erfolg hat.

69

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO; Gerichtskosten werden gemäß § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

70

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils hinsichtlich der Kosten findet ihre Rechtsgrundlage in §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung - ZPO -.

(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.

(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.

(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.

(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.