Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 18. Dez. 2014 - 9 L 2151/14
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstands wird auf 3.750,00 € festgesetzt.
1
Gründe
2Der Antrag der Antragsteller,
3„die Vollziehung der mit der Klage 9 K 6062/14 angefochtenen Baugenehmigung vom 13.08.2014 (BA-0824-0/2014) auszusetzen sowie einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte der Antragsteller zu treffen“,
4hat keinen Erfolg.
5Die Kammer sieht darin einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 6062/14 gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung eines Lebensmittelmarktes (Vollsortimenters) anzuordnen.
6Der Antrag ist unbegründet. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Nachbarklage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO kommt entgegen der in § 212a Abs. 1 BauGB getroffenen Grundentscheidung dann in Betracht, wenn das Interesse des Nachbarn an der Suspendierung der angegriffenen Baugenehmigung gegenüber dem öffentlichen Interesse oder dem Interesse des Bauherrn an deren Vollziehung überwiegt. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn die Baugenehmigung ersichtlich gegen Rechtsvorschriften verstößt, die auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier nach der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes allein gebotenen summarischen Prüfung nicht vor. Den Antragstellern steht gegen das Vorhaben des Beigeladenen kein nachbarlicher Abwehranspruch zu.
7Die Kammer sieht die Baugenehmigung zunächst nicht als unbestimmt an. Die Baugenehmigung vom 13.08.2014 lässt Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30.05.2005 – 10 A 2017/03 -, juris.
9Die Bauvorlagen sind unter Berücksichtigung der Lagepläne und Schnittzeichnungen sowie der Baubeschreibung insbesondere hinsichtlich der Verkaufsfläche und der Flächen für den Backshop und das Café hinreichend bestimmt und lassen sowohl für den Bauherrn als auch für Dritte das Maß der genehmigten Nutzung klar erkennen. Nach den genehmigten Bauvorlagen beträgt die Gesamtverkaufsfläche, in welche Backshop und Sitzbereich ausdrücklich einbezogen worden sind, 1.236,82 m², die damit geringer ist als die lt. dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan erlaubte Gesamtnutzfläche von 1.270 m².
10Nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts sind nicht verletzt.
11Die Baugenehmigung ist auf der Grundlage des am 22.04.2014 bekanntgegebenen vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. V 2/5 No-O. , M.------platz (Lebensmittelmarkt) erteilt worden. Ob die von den Antragstellern gegen die Wirksamkeit dieses Bebauungsplan vorgebrachten Bedenken durchgreifen, kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, weil die Baugenehmigung vom 13.08.2014 im Falle der Unwirksamkeit des Bebauungsplans ebenso wenig wie im Falle seiner Wirksamkeit gegen Rechtsvorschriften verstößt, die zumindest auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind.
12Wenn der Bebauungsplan Nr. V 2/5 No-O. , M.------platz (Lebensmittelmarkt) wirksam ist, beurteilt sich die planungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens der Beigeladenen nach § 30 Abs. 2 BauGB, der bestimmt, dass im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 BauGB ein Vorhaben zulässig ist, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
13Ein nachbarlicher Abwehranspruch kann in diesem Fall nur begründet sein, wenn die Baugenehmigung entgegen solcher Festsetzungen des Bebauungsplans, die Rechte des Nachbarn schützen, oder unter Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans (vgl. § 31 Abs. 2 letzter Halbsatz BauGB) erteilt worden ist. Für den Planbereich kommt Drittschutz in aller Regel nur in Betracht, soweit die Festsetzungen des Bebauungsplans selbst Drittschutz vermitteln oder es sich um einen qualifizierten Ausnahmefall des § 15 BauNVO handelt.
14Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Kommentar (Stand: 1. Juli 2009), § 74 Rn. 103a, 103b.
15Ein nachbarlicher Abwehranspruch gegen eine mit den Planfestsetzungen übereinstimmende Baugenehmigung unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme besteht im Allgemeinen nicht, weil dieses bereits in den einem rechtsgültigen Bebauungsplan vorausgehenden Abwägungsvorgang eingeflossen sein muss, wodurch es gleichsam "aufgezehrt" wird. Festsetzungen eines Bebauungsplans können durch das in § 15 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme nur ergänzt, nicht aber korrigiert werden. Zudem ist § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO im Hinblick auf das Maß der im Bebauungsplan festgesetzten baulichen Nutzung grundsätzlich nicht anwendbar.
16Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.10.1995 - 4 B 215.95 -; OVG NRW, Beschluss vom 14.02.2012 - 7 B 72/12 -;Beschluss vom 27.01.2014 – 2 A 1674/13 -; Beschluss vom 18.03.2014 – 2 B 256/14; Beschluss vom 19.01.2009 - 10 B 1687/08 -, juris, m.w.N.
17Lediglich im Einzelfall können bauliche Anlagen trotz Übereinstimmung mit den Planfestsetzungen unzulässig sein, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen oder wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Das in § 15 Abs. 1 BauNVO geregelte planungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme bietet auch keine Grundlage für eine Ergänzung sämtlicher Festsetzungen eines Bebauungsplans, sondern bezieht sich lediglich auf die Auswirkungen baulicher oder sonstiger Anlagen im Sinne der §§ 2 bis 14 BauNVO auf die Art der baulichen Nutzung im Plangebiet.
18Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. 02. 2005 - 10 B 1269/04 -,juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 26.10.2009 – 9 L 1118/09 - ; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., § 74 Rn. 104a.
19In Anwendung dieser Grundsätze besteht im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans Nr. V 2/5 No-O. , M.------platz (Lebensmittelmarkt) kein nachbarliches Abwehrrecht der Antragsteller gegen das Bauvorhaben der Beigeladenen, weil die Baugenehmigung vom 13.08.2014 den Festsetzungen dieses Bebauungsplans entspricht und hinsichtlich der durch das Vorhaben ausgelösten Immissionsbelastung und des Ziel- und Quellverkehrs eine Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO ausscheidet. Denn die zusätzliche Immissions- und Verkehrsbelastung und ihre Zumutbarkeit für die Anlieger ist bereits im Verfahren zur Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans umfänglich untersucht worden und in den Abwägungsvorgang eingeflossen. Im Übrigen ist - wie noch darzulegen sein wird - der durch das Vorhaben der Beigeladenen hervorgerufene Verkehr den Antragstellern auch nicht unzumutbar.
20Wenn man zugunsten der Antragsteller eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans Nr. V 2/5 No-O. , M.------platz (Lebensmittelmarkt) annimmt, folgt daraus jedoch nicht die (Nachbar-)Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung vom 13.08.2014. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Baugenehmigung dann in planungsrechtlicher Hinsicht an § 30 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit dem 1983 in Kraft getretenen Bebauungsplan Nr.2/2 No oder – bei Unwirksamkeit auch dieses Bebauungsplanes – an dem vorherigen Bebauungsplan „O. -Süd (1.Bauabschnitt) - Bebauungsplan 2 NO“, in Kraft getreten im Jahre 1967, zu messen ist. Ist die spätere Norm unwirksam, gilt die vorherige Rechtsnorm regelmäßig unverändert fort. Anders verhält es sich nur dann, wenn die Gemeinde neben der Änderung oder Ersetzung ihres Bebauungsplans gleichzeitig hinsichtlich früherer bauplanerischer Festsetzungen einen im textlichen Teil des Plans zum Ausdruck gebrachten Aufhebungsbeschluss gefasst hat, der erkennen lässt, dass die Festsetzungen des früheren Bebauungsplans auf jeden Fall – auch ersatzlos - beseitigt werden sollen.
21Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. August 1990 – 4 C 3.90 –, BRS 50 Nr. 2.
22Da jedenfalls die textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. V 2/5 No-O. , M.------platz (Lebensmittelmarkt) keinen solchen separat bekannt gemachten Aufhebungsbeschluss enthalten und auch hinsichtlich des vorherigen Planes nicht von einem solchen Aufhebungsbeschluss auszugehen ist, gelten die alten Pläne im Falle der Unwirksamkeit des jeweils neuen Bebauungsplans unverändert fort.
23Insofern besteht jedoch ebenfalls kein nachbarliches Abwehrrecht für die Antragsteller, denn die Baugenehmigung vom 13.08.2014 ist auch bei Geltung der vorherigen Bebauungspläne nicht unter Verstoß gegen nachbarschützende Festsetzungen erteilt worden. Die Festsetzung des Bebauungsplanes Nr. 2/2 NO betreffend das Vorhabengrundstück als „öffentliche Grünfläche“ und „Spielplatz“ sowie „öffentliche Parkfläche“ (gemeint im Sinne einer Stellplatzfläche) und auch die vorherige Ausweisung im Bebauungsplan „O. -Süd (1.Bauabschnitt) - Bebauungsplan 2 NO“, als „Gemeinbedarfsfläche (Bürgerhaus)“ begründen nämlich keinen Nachbarschutz.
24Vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 10.07.2003 – 10 B 629/03 -; VG Aachen, Urteil vom 19.06.2012 – 3 K 1072/10 -, juris
25Hinsichtlich der Ausweisung als „Gemeinbedarfsfläche“ ergibt sich dies schon aus dem Charakter des zum damaligen Zeitpunkt geplanten Bürgerhauses als öffentliches Gebäude. Ähnlich liegt es bei dem nachfolgenden Bebauungsplan. Nach der Begründung zum Bebauungsplan Nr. 2/2 NO war nach der kommunalen Neugliederung die Einrichtung „Bürgerhaus“ nicht mehr erforderlich, so dass die dem Geschäftszentrum vorgelagerte Fläche als ergänzende Freifläche für die Schul- und Ladenbauten genutzt werden könne. Nachbarliche Belange spielten bei den genannten Festsetzungen ersichtlich keine Rolle.
26Eine mögliche Befreiung von diesen Festsetzungen vermittelt Drittschutz lediglich über das hier in § 31 Abs. 2 letzter Halbsatz BauGB angesiedelte Gebot der Rücksichtnahme.
27Nach dem Rücksichtnahmegebot ist eine bauliche Anlage unzulässig, wenn von ihr Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind.
28Bei der Prüfung des Rücksichtnahmegebotes ist eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der Verwirklichung des begehrten Vorhabens und der Interessen des hiervon betroffenen Nachbarn vorzunehmen. Welche Anforderungen dabei inhaltlich an das Rücksichtnahmegebot zu stellen sind, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann an Rücksichtnahme verlangt werden. Umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger an Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen unter Beachtung der städtebaulichen Gegebenheiten sind. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahme Begünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist.
29Vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1977 – 4 C 22.75 -, juris.
30Dabei sind auf Nachbarseite nur geschützte Anspruchspositionen, nicht aber bloße Chancen wie etwa auf Beibehaltung der städtebaulichen Gegebenheiten in die Abwägung einzustellen.
31Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 20.11.2014 – 9 K 2026/14 -.
32Die Antragsteller wenden sich insbesondere gegen die Zunahme des Fahrzeugverkehrs und eine vermehrte Immissionsbelastung.
33Hinsichtlich des Umfangs der Beeinträchtigungen geht die Kammer von einer Erhöhung des Verkehrsaufkommens um ca. 70 % aus, das nach Fertigstellung des Bauvorhabens und Aufnahme der genehmigten Nutzungen bei etwa 3.900 Fahrzeugbewegungen täglich liegen wird, während es zuvor bei ca. 2.300 gelegen hat. Dies ergibt sich aus der von der Beigeladenen in Auftrag gegebenen Verkehrsuntersuchung zum vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. V 2/5 No-O. M.------platz (Lebensmittelmarkt) der Ingenieurgesellschaft Stolz mbH (IGS) vom 21.01.2014, die in der Baugenehmigung von der Antragsgegnerin in Bezug genommen wurde. Gegen die aufgeführte Verkehrszählung haben die Antragsteller keine Einwände geltend gemacht.
34Die Frage der Anzahl der dafür notwendigen Stellplätze gemäß § 51 Abs. 1 BauO NRW ist zunächst nicht nachbarschützend. Lediglich unter besonderen Umständen kann der Mangel an Stellplätzen eines Bauvorhabens im Einzelfall gegen das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot verstoßen.
35Vgl.: OVG NRW, Urteil vom 10.07.1998 - 11 A 7238/95 –juris..
36Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Auf dem Vorhabengrundstück sind 83 Stellplätze vorgesehen, von denen lediglich ca. die Hälfte notwendige Stellplätze darstellen. Mit den übrigen Plätzen kann u.a. der Bedarf durch den Wegfall des derzeit auf dem Grundstück befindlichen Parkplatzes mit 31 Stellplätzen aufgefangen werden. Nach dem Verkehrsgutachten der IGS ist mit einem Stellplatzaufkommen von mehr als 140 Plätzen auf dem Vorhabengrundstück und in dessen unmittelbarer Umgebung ein ausreichendes Stellplatzangebot für die im Planungsgebiet bestehenden Nutzungen gegeben. Diese Zahlen werden durch die Antragsteller nicht substantiiert in Frage gestellt.
37Die von ihnen herangezogenen Richtzahlen für den Stellplatzbedarf (als Anlage zu Nr. 51.11 VV BauO NRW infolge Befristung zum 31.12.2005 ausgelaufen) die für Verkaufsstätten 1 Stellplatz je 10-30 m² Verkaufsnutzfläche vorsehen, sind hier nicht unmittelbar anwendbar. Die Richtzahlen sind auf gesicherter Erfahrungsgrundlage beruhende Anhaltspunkte bzw. als sachverständig festgestellte Erfahrungswerte von Bedeutung.
38Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Februar 2009 10 A 793/07 , juris
39Insoweit kommt den Richtzahlen auch nach dem Auslaufen der VV BauO NRW noch Bedeutung zu. Sie sind in Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes jedoch nur anzuwenden, wenn im Einzelfall keine ausreichenden Erkenntnisse zur Beurteilung des Stellplatzbedarfes vorliegen.
40Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2012 – 4 K 5269/11 -, juris.
41Das vorgelegte Verkehrsgutachten kommt im vorliegenden Fall aufgrund einer Gegenüberstellung der jetzigen Parkraumnutzung unter Berücksichtigung der in der unmittelbaren Umgebung bereits vorhandenen Nutzungen wie Gesamtschule, Kindergarten und Einzelhandelszentrum mit den zukünftig vorhandenen Stellplätzen nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass ein ausreichendes Stellplatzangebot zur Verfügung steht. Trotz der vielfältigen Nutzungen in der unmittelbaren Nachbarschaft lag die Ausnutzung der vorhandenen Parkflächen bislang nur bei ca. 82 %. Parkplatzprobleme nach Verwirklichung des Bauvorhabens sind danach entgegen der Einschätzung der Antragsteller nicht absehbar. Von einem deutlich vermehrten Parksuchverkehr in den umliegenden Straßen ist angesichts dieser Untersuchungen nicht auszugehen.
42Ob den betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten sind, ist grundsätzlich anhand der 6. Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz vom 28.08.1998 (Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm - TA Lärm) zu beurteilen. Der TA Lärm kommt, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der unzumutbaren Belästigung oder Störung in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren prinzipiell zu beachtende Bindungswirkung zu.
43Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.11.2012 – 4 C 8/11; Urteil vom 29.08.2007 - 4 C 2.07 -, OVG NRW, Urteile vom 6.09.2011 - 2 A 2249/09 -, Urteil vom 12.09.2003 – 7 A 3663/99 -, juris.
44Gehört das Vorhabengrundstück zu einer Gemengelage aus gewerblichen Nutzungen und Wohnnutzung, ist für die Beurteilung der Schutzwürdigkeit der angrenzenden Grundstücke Nr. 6.7 der TA Lärm zu beachten. Hiernach können die für die zum Wohnen dienenden Gebiete geltenden Immissionsrichtwerte auf einen geeigneten Zwischenwert der für die aneinandergrenzenden Gebietskategorien geltenden Werte erhöht werden, soweit dies nach der gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme erforderlich ist. Für die Höhe des Zwischenwertes ist die konkrete Schutzwürdigkeit des betroffenen Gebietes maßgeblich. Wesentliche Kriterien sind die Prägung des Einwirkungsgebiets durch den Umfang der Wohnbebauung einerseits und durch Gewerbe- und Industriebetriebe andererseits, die Ortsüblichkeit eines Geräusches und die Frage, welche der unverträglichen Nutzungen zuerst verwirklicht wurde.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12.09.2007 - 7 B 24.07 -, juris; OVG NRW, Urteile vom 6.09.2011 - 2 A 2249/09 -, und vom 19.04.2010 - 7 A 2362/07 -, juris.
46Zugunsten der Antragsteller kann die Schutzwürdigkeit ihres Grundstücks nach den Maßstäben für ein Reines Wohngebiet (WR-Gebiet) beurteilt werden. Nach Nr. 6.1 Satz 1 Buchst. e der TA Lärm betragen die Immissionsrichtwerte für den Beurteilungspegel außerhalb von Gebäuden in tags 50 dB(A) und nachts 35 dB(A). Satz 2 der Vorschrift besagt weiter, dass einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen diese Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB(A) und in der Nacht um nicht mehr als 20 dB(A) überschreiten dürfen.
47Die nach Eröffnung des Betriebes zu erwartende Lärmzunahme durch den sich erhöhenden Straßenverkehr und die Parkplatznutzung ist für die Antragsteller nach gegenwärtigem Erkenntnisstand hinzunehmen. Lärmimmissionen können unzumutbar sein, sofern sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des BImSchG). Die Immissionsgrenzwerte für die Verkehrsgeräusche ergeben sich nach Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm aus der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV). Sie betragen gemäß § 2 Abs. 1 16. BImSchV am Tag (6.00 bis 22.00 Uhr) in reinen Wohngebieten 59 dB(A), nachts 49 dB(A).
48Nach dem schalltechnischen Gutachten des Ingenieurbüros H. und Partner GmbH vom 29.07.2014 werden südlich der T.--straße die durch die TA-Lärm vorgegebenen Immissionsrichtwerte des Gesamtbetriebes incl. Haustechnik sowie der Geräuschspitzen für WR-Gebiete (vgl. Nr. 6.1 Buchst. e. der TA Lärm: tags 50 dB(A) und nachts 35 dB(A)) eingehalten und an dem dem Grundstück der Antragsteller nächst gelegenen Messpunkt (IP 2) sogar deutlich unterschritten (45 dB(A) tagsüber und 29 dB(A) nachts). Lediglich am Messpunkt IP 4 (H1. Weg 1) wird ein Pegel von 50,3 dB(A) im EG und von 50,9 dB(A) im 1.OG prognostiziert. Abgesehen davon, dass die Antragsteller dadurch nicht in ihren Rechten verletzt sein können, weil sie auf ihrem Grundstück von diesem Wert nicht betroffen sind, dürfte diese geringfügige Überschreitung nach Ziffer 6.7 TA Lärm gerechtfertigt sein, da die am H1. Weg liegenden Grundstücke schon jetzt durch den auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück gelegenen Parkplatz und die Nähe zum Kerngebiet (MK-Gebiet) vorbelastet sind.
49Bedenken gegen das Gutachten bestehen entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht. Es entspricht den wissenschaftlichen und technischen Anforderungen und ist von staatlich anerkannten Sachverständigen für Akustik und Schallschutz erstellt worden.
50Das offenbar von den Antragstellern des Parallelverfahrens 9 L 2153/14 in Auftrag gegebene Gegengutachten der Fa. L. Schalltechnik GmbH führt zu keiner abweichenden Beurteilung.
51Das Gutachten beanstandet in erster Linie, dass die Überschreitung des Wertes für ein WR-Gebiet am H1. Weg unzutreffend bewertet worden sei. Darauf können sich die Antragsteller dieses Verfahrens jedoch, wie bereits oben dargelegt, schon nicht berufen, da ihr Grundstück in größerer Entfernung zum Immissionsort liegt und auf ihrem Grundstück die Werte für ein WR-Gebiet eingehalten werden. Weiterhin wird gerügt, dass der detaillierte Rechengang der Schallausbreitung fehle. Es sei nicht nachvollziehbar, wie mit den Rangiervorgängen umgegangen worden sei. Auch sei die Entsorgungsfrage nicht angesprochen (Container, Presse, Fahrverkehr). Diesen Einwendungen ist das Ingenieurbüro H. und Partner mit Stellungnahme vom 19.11.2014 unter Dokumentation des Rechengangs nachgekommen und hat darauf hingewiesen, sich die geplanten Container und Papierpressen innerhalb des eingehausten Anlieferbereichs befinden, so dass der Betrieb dieser Anlagen zu keinen relevanten Geräuschimmissionen führe. Hinsichtlich des Fahrverkehrs werde von 6 an- und abfahrenden LKWs pro Tag innerhalb des eingehausten Anlieferbereichs ausgegangen. An den Immissionspunkten ergäben sich somit Werte von 43,2 dB(A) bis maximal 48,8 dB(A), die den in einem WR-Gebiet zulässigen Wert von 50 dB(A) unterschritten. Die Kammer sieht die Bedenken damit als ausgeräumt an. Schließlich bestehen auch keine Bedenken gegen das Schallschutzgutachten deshalb, weil die Antragsgegnerin im Zuge der Planung mehrere Schallschutz-Gutachten herangezogen hat, die teilweise höhere Werte ergeben haben, woraufhin die Lage des Betriebes verändert wurde. Eine solche Vorgehensweise entspricht einem ordnungsgemäßen Abwägungsvorgang in einem Bebauungsplanaufstellungsverfahren.
52Auch die Anforderungen der Nr. 7.4. TA Lärm werden vorliegend erfüllt. Nach Nr. 7.4 Abs. 2 TA Lärm führt nur ein solcher (anlagebedingter) Verkehr zu einer unzumutbaren Verschlechterung der Situation, der zu einer rechnerischen Erhöhung des Beurteilungspegels um mindestens 3 dB(A) und einer erstmaligen oder weitergehenden Überschreitung der Immissionswerte der Verkehrslärmschutzverordnung führt. Die geforderte Differenz von 3 dB(A) trägt dem Umstand Rechnung, dass nach den allgemeinen Erkenntnissen der Akustik eine Erhöhung des Dauerschallpegels von bis zu 2 dB(A) kaum wahrnehmbar bzw. erst ab 3 dB(A) gerade noch hörbar ist. Eine solche Erhöhung entspricht einer Verdoppelung der Schallenergie und damit des Verkehrsaufkommens.
53Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.09.2010 - 7 A 1186/08 -, juris.
54Davon ist hier nicht auszugehen. Nach dem schalltechnischen Gutachten beträgt die heute durch den vorhandenen Verkehr bestehende Immissionsbelastung an den verschiedenen Messpunkten zwischen 52 dB(A) und 60 dB(A). Eine Pegelerhöhung um mehr als 3 dB(A) durch den prognostizierten Verkehr des geplanten Marktes ist nach dem Schallschutzgutachten ausgeschlossen.
55Das Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt schließlich auch nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts.
56Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs.1 und 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 18. Dez. 2014 - 9 L 2151/14
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens haben keine aufschiebende Wirkung.
(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Kostenerstattungsbetrags nach § 135a Absatz 3 sowie des Ausgleichsbetrags nach § 154 durch die Gemeinde haben keine aufschiebende Wirkung.
(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.
(1) Die Gemeinde kann durch einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan die Zulässigkeit von Vorhaben bestimmen, wenn der Vorhabenträger auf der Grundlage eines mit der Gemeinde abgestimmten Plans zur Durchführung der Vorhaben und der Erschließungsmaßnahmen (Vorhaben- und Erschließungsplan) bereit und in der Lage ist und sich zur Durchführung innerhalb einer bestimmten Frist und zur Tragung der Planungs- und Erschließungskosten ganz oder teilweise vor dem Beschluss nach § 10 Absatz 1 verpflichtet (Durchführungsvertrag). Die Begründung des Planentwurfs hat die nach § 2a erforderlichen Angaben zu enthalten. Für die grenzüberschreitende Beteiligung ist eine Übersetzung der Angaben vorzulegen, soweit dies nach den Vorschriften des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung notwendig ist. Für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan nach Satz 1 gelten ergänzend die Absätze 2 bis 6.
(2) Die Gemeinde hat auf Antrag des Vorhabenträgers über die Einleitung des Bebauungsplanverfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Auf Antrag des Vorhabenträgers oder sofern die Gemeinde es nach Einleitung des Bebauungsplanverfahrens für erforderlich hält, informiert die Gemeinde diesen über den voraussichtlich erforderlichen Untersuchungsrahmen der Umweltprüfung nach § 2 Absatz 4 unter Beteiligung der Behörden nach § 4 Absatz 1.
(3) Der Vorhaben- und Erschließungsplan wird Bestandteil des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans ist die Gemeinde bei der Bestimmung der Zulässigkeit der Vorhaben nicht an die Festsetzungen nach § 9 und nach der auf Grund von § 9a erlassenen Verordnung gebunden; die §§ 14 bis 18, 22 bis 28, 39 bis 79, 127 bis 135c sind nicht anzuwenden. Soweit der vorhabenbezogene Bebauungsplan auch im Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans Festsetzungen nach § 9 für öffentliche Zwecke trifft, kann gemäß § 85 Absatz 1 Nummer 1 enteignet werden.
(3a) Wird in einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan für den Bereich des Vorhaben- und Erschließungsplans durch Festsetzung eines Baugebiets auf Grund der Baunutzungsverordnung oder auf sonstige Weise eine bauliche oder sonstige Nutzung allgemein festgesetzt, ist unter entsprechender Anwendung des § 9 Absatz 2 festzusetzen, dass im Rahmen der festgesetzten Nutzungen nur solche Vorhaben zulässig sind, zu deren Durchführung sich der Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet. Änderungen des Durchführungsvertrags oder der Abschluss eines neuen Durchführungsvertrags sind zulässig.
(4) Einzelne Flächen außerhalb des Bereichs des Vorhaben- und Erschließungsplans können in den vorhabenbezogenen Bebauungsplan einbezogen werden.
(5) Ein Wechsel des Vorhabenträgers bedarf der Zustimmung der Gemeinde. Die Zustimmung darf nur dann verweigert werden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Durchführung des Vorhaben- und Erschließungsplans innerhalb der Frist nach Absatz 1 gefährdet ist.
(6) Wird der Vorhaben- und Erschließungsplan nicht innerhalb der Frist nach Absatz 1 durchgeführt, soll die Gemeinde den Bebauungsplan aufheben. Aus der Aufhebung können Ansprüche des Vorhabenträgers gegen die Gemeinde nicht geltend gemacht werden. Bei der Aufhebung kann das vereinfachte Verfahren nach § 13 angewendet werden.
(7) Soll in bisherigen Erholungssondergebieten nach § 10 der Baunutzungsverordnung auch Wohnnutzung zugelassen werden, kann die Gemeinde nach Maßgabe der Absätze 1 bis 6 einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufstellen, der insbesondere die Zulässigkeit von baulichen Anlagen zu Wohnzwecken in diesen Gebieten regelt.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
3Die von dem Kläger vorgebrachten, für die Prüfung maßgeblichen Einwände (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO) begründen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.) noch ergeben sie besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO (2.) oder deren grundsätzliche Bedeutung gemäߧ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (3.). Ebenso wenig ergibt sich (4.) aus ihnen eine Abweichung des Urteils von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, auf der das Urteil beruht (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
41. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die verwaltungsgerichtliche Entscheidung einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhalten wird. Sie sind (nur) begründet, wenn zumindest ein einzelner tragender Rechtssatz der angefochtenen Entscheidung oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und sich die Frage, ob die Entscheidung etwa aus anderen Gründen im Ergebnis richtig ist, nicht ohne weitergehende Prüfung der Sach- und Rechtslage beantworten lässt.
5Derartige Zweifel weckt das Antragsvorbringen nicht.
6Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem Antrag,
7die den Beigeladenen von der Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 4. Oktober 2012 aufzuheben,
8im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Baugenehmigung verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Rechts. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteile sich nach § 30 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit dem Bebauungsplan III/4/11.01 in der Fassung der 5. Änderung vom 13. November 1978. Diesen Vorgaben entspreche das Vorhaben mit Ausnahme der rückwärtig geplanten Balkonanlage, die die hintere Baugrenze um ca. 2,50 m überschreite. Insoweit sei eine Befreiung gemäß § 31Abs. 2 BauGB erteilt worden. Es sei nicht erkennbar, dass die Festsetzung einer hinteren Baugrenze hier aus sich heraus nachbarschützende Wirkung habe. Regelmäßig liege die Annahme nahe, der Plangeber habe mit dieser Festsetzung allein im öffentlichen Interesse städtebauliche Absichten verfolgt. Greifbare Anhaltspunkte, die im vorliegenden Fall eine anderslautende Auslegung rechtfertigen würden, seien nicht erkennbar. Angesichts der örtlichen Verhältnisse spreche vielmehr alles dafür, dass der Satzungsgeber mit der Festsetzung aus Gründen der städtebaulichen Gestaltung des Wohngebiets eine Begrenzung der rückwärtigen Bautiefe und damit auch der Größe der Baukörper habe vorgeben wollen. Auch bei der Erteilung der Befreiung habe die Beklagte das Rücksichtnahmegebot nicht zum Nachteil des Klägers verletzt. Die negativen Auswirkungen des Bauvorhabens der Beigeladenen gingen nicht über das Maß des Zumutbaren hinaus.
9Die dagegen von dem Kläger erhobenen Einwände haben keinen Erfolg.
10Das Verwaltungsgericht hat unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Gerichts zutreffend dargestellt, unter welchen Voraussetzungen die Festsetzung einer hinteren Baugrenze in einem Bebauungsplan (ausnahmsweise) nachbarschützende Wirkung haben kann.
11Vgl. dazu zunächst nur das von dem Verwaltungsgericht zitierte BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995- 4 B 215.95 -, BRS 57 Nr. 219 = juris Rn. 3.
12Dieses Urteil des Bundesverwaltungsgerichts lässt keinen Raum für Zweifel. Es bezieht sich mit der Aussage, § 30 BauGB begründe aus sich heraus keine subjektiv- öffentlichen Rechte zugunsten des Nachbarn ausdrücklich auch auf § 23 BauNVO und die überbaubare Grundstücksfläche. Der von dem Zulassungsantrag angesprochene Leitsatz zu diesem Urteil, ob Festsetzungen eines Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung und über die überbaubaren Grundstücksflächen drittschützend sind, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab, ist eindeutig. Er kann nur so verstanden werden, dass die besagten Festsetzungsarten regelmäßig nicht drittschützend sind und lediglich die Gemeinde es in der Hand hat, ihnen im Einzelfall eine drittschützende Wirkung zuzuweisen.
13Auf derselben Linie liegt das im Zulassungsantrag in Bezug genommene Urteil des 10. Senats vom 25. Januar 2013 - 10 A 2269/10 -, BauR 2013,1239 = juris Rn. 99 ff. Auch dort wird ausgeführt, dass Festsetzungen eines Bebauungsplans zur überbaubaren Grundstücksfläche im Regelfall keine nachbarschützende Wirkung zukommt, weil diese Festsetzungen wegen ihrer vorrangig städtebaulichen Ordnungsfunktion öffentlichen Belangen dienen und nicht dem Nachbarschutz. Ob eine planerische Festsetzung neben ihrer städtebaulichen Ordnungsfunktion ausnahmsweise nachbarschützende Wirkung hat - heißt es weiter - ist im jeweiligen Einzelfall aus dem Inhalt und der Rechtsnatur der Festsetzung, der Planbegründung und den übrigen Umständen im Wege der Auslegung zu ermitteln.
14Auch der beschließende Senat hat sich in jüngerer Zeit in seinen Beschlüssen vom 8. Mai 2013 - 2 A 1715/12 -, S. 4 des amtlichen Umdrucks, und vom 2. August 2012 ‑ 2 B 851/12 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks, auf diesen Standpunkt gestellt
15Warum dieser in ständiger Rechtsprechung etablierte und zudem ausgewogene Prüfungsansatz im vorliegenden Fall zu einer anderslautenden Entscheidung führen müsste, legt der Zulassungsantrag nicht dar. Mit dem Willen des Plangebers setzt er sich nicht im Einzelnen auseinander. Seine Ausführungen zielen vielmehr darauf, das auch von dem Verwaltungsgericht angewandte Regel-Ausnahme-Schema grundsätzlich zu revidieren.
16Allerdings zeigt der Zulassungsantrag trotz des Verweises auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 9. März 1995 - 3 S 3321/94 -, BRS 57 Nr. 211 = juris Rn. 6, sowie den Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Mai 1994 - Bs II 18/94 -, BRS 56 Nr. 155 = juris Rn. 9, nicht auf, dass eine derartige Revision nunmehr vorgenommen werden müsste.
17Falls ein Plangeber durch die Bestimmung von Baugrenzen und Baulinien faktisch einzuhaltende Grenzabstände festsetzte und er damit explizit denselben nachbarschützenden Zweck verfolgte wie die Abstandsflächenbestimmung des § 6 BauO NRW, würde dies auch nach der hier vertretenen Auffassung (ausnahmsweise) zur Annahme einer nachbarschützenden Wirkung hinterer Baugrenzen führen. Jedoch ist es vor dem Hintergrund der generell nur objektiven städtebaulichen Funktion von Maßfestsetzungen nach §§ 16 ff. BauNVO und von Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO auch aus Gründen des Nachbarrechtsschutzes nicht gerechtfertigt, einen solchen Planungswillen in jedweder Planungssituation systemwidrig zu fingieren und so der Sache nach den Gebietsgewährleistungsanspruch über die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung hinaus zu erweitern. Lücken im baurechtlichen Nachbarschutzsystem entstehen dadurch nicht. Die im Zulassungsantrag thematisierten verschiedenen nachbarlichen Interessen, die auch im Hintergrund des § 6 BauO NRW stehen, bleiben - wie das Verwaltungsgericht gesehen hat - ungeachtet der Reichweite des Nachbarschutzes in Festsetzungen eines Bebauungsplans im Rahmen der Befreiungsentscheidung nach § 31 Abs. 2 BauGB zu beachten.
18Dass das Verwaltungsgericht die nachbarlichen Interessen des Klägers bei der Überprüfung der Befreiung verkannt hätte, macht der Zulassungsantrag nicht deutlich.
19Seine Bewertung, die negativen Auswirkungen des Vorhabens der Beigeladenen gingen nicht über das Maß des Zumutbaren hinaus, hat das Verwaltungsgericht, das die Örtlichkeit im Rahmen eines Ortstermins am 13. Dezember 2012 in Augenschein genommen hat, nachvollziehbar damit begründet, das Vorhaben halte in Richtung auf das Grundstück des Klägers bezüglich des Hauptgebäudes die nach § 6 BauO NRW geforderten Abstandflächen ein. Der Carport sei mit den geplanten Maßen nach § 6 Abs. 11 BauO NRW an der Grenze zulässig. Die Bebauung des Grundstücks der Beigeladenen rücke auch durch die rückwärtige Balkonanlage nicht unzumutbar nah an das Grundstück des Klägers heran. Die Balkonanlage befinde sich nur vor dem Erdgeschoss des Vorhabens der Beigeladenen und erreiche damit - bedingt durch die Hängigkeit des Geländes - nur etwa eine Geschosshöhe über dem vorhandenen Geländeniveau. Sie sei überdies nicht in Richtung auf das Grundstück des Klägers, sondern nach Nordosten gelegen. Unzumutbare Einsichtsmöglichkeiten auf das Grundstück des Klägers eröffne sie nicht. Mit solchen Einsichtnahmemög-lichkeiten sei in einem bebauten innerstädtischen Gebiet ohnehin allgemein zu rechnen sei. Aus entsprechenden Gründen komme die Annahme einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots nicht in Betracht.
20Dem setzt der Zulassungsantrag nichts Substantielles entgegen.
21Er beschränkt sich im Zusammenhang mit der nachbarschützenden Wirkung hinterer Baugrenzen auf allgemeine Ausführungen zum Sinn und Zweck des Abstandsflächenrechts und macht im Übrigen geltend, genehmigt sei eine Balkonanlage, die einen vollständigen Überblick, gleichsam wie von einem Aussichtsturm, auf das Grundstück des Klägers ermögliche. Woran der Zulassungsantrag diese Einschätzung abgesehen von dem Ausmaß der Überschreitung der Baugrenze konkret anknüpft und wie er sie im Kontext des § 31 Abs. 2 BauGB gewichtet, legt er nicht offen.
222. Die Berufung ist nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen der besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen.
23Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe des Klägers gegen die Tatsachenfeststellungen oder die rechtlichen Würdigungen, auf denen das angefochtene Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erfordern würden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dass der Ausgang des Rechtsstreits in dem vorgenannten Sinn offen ist, lässt sich auf der Grundlage des Zulassungsvorbringens aus den unter 1. genannten Gründen nicht feststellen. Besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten wirft die Sache auch ansonsten nicht auf. Die Frage der nachbarschützenden Wirkung hinterer Baugrenzen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Gerichts geklärt.
243. Die Berufung ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
25Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im betreffenden Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Dabei ist zur Darlegung dieses Zulassungsgrundes die Frage auszuformulieren und substantiiert auszuführen, warum sie für klärungsbedürftig und entscheidungserheblich gehalten und aus welchen Gründen ihr Bedeutung über den Einzelfall hinaus zugemessen wird.
26Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht. Die von ihm aufgeworfene Frage,
27„ob rückwärtige Baugrenzen regelmäßig nachbarschützende Wirkung haben und die Behörde im Einzelfall den Nachweis zu führen hat, dass entsprechende Festsetzungen ausschließlich städtebauliche Gründe haben“,
28muss nicht erst in einem Berufungsverfahren beantwortet werden. Sie ist, dies sei wiederholt, anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des beschließenden Gerichts zu verneinen. Einen weitergehenden Klärungsbedarf lässt der Zulassungsantrag in Anbetracht dessen auch unter dem Gesichtspunkt vereinzelter divergierender Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts nicht hervortreten.
294. Der Kläger legt schließlich den Zulassungsgrund der Divergenz gemäß § 124Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht dar.
30Hierzu muss ein die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter, aber inhaltlich bestimmter Rechtssatz aufgezeigt werden, der zu einem ebensolchen Rechtssatz in einer Entscheidung eines der in der Vorschrift genannten Gerichte in Widerspruch steht.
31Einen solchen Rechtssatz benennt der Kläger nicht. Divergenzfähig sind nur die Entscheidungen des im Instanzenzug übergeordneten Berufungsgerichts, hier also des beschließenden Gerichts.
32Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow VwGO, 3. Auflage 2010, § 124 Rn. 162, m. w. N.
33Der Kläger beruft sich jedoch nur auf abweichende Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts.
34Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.
35Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.
36Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 in Verbindung mit § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
37Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen nicht zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Das Verwaltungsgericht hat den mit der Beschwerde sinngemäß weiterverfolgten Antrag der Antragsteller vom 31. Oktober 2013,
5die aufschiebende Wirkung ihrer am 7. Oktober 2013 erhobenen Klage - 1 K 3256/13 - gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 3. September 2013 (BG-0303-0/13) für den Neubau eines Mehrfamilienwohnhauses mit vier Wohneinheiten auf dem Grundstück Gemarkung Q. , Flur 40, Flurstück 90, anzuordnen,
6im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, die vorzunehmende Interessenabwägung falle zum Nachteil der Antragsteller aus. Die angefochtene Baugenehmigung verstoße voraussichtlich nicht zu Lasten der Antragsteller gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungs- oder des Bauordnungsrechts. Als Wohngebäude sei das Mehrfamilienhaus in dem reinen Wohngebiet nach der Art der baulichen Nutzung ohne Weiteres zulässig. Die Vorgaben des einschlägigen Bebauungsplans Nr. 1 der Antragsgegnerin zum Maß der baulichen Nutzung würden hinsichtlich der zulässigen Geschossfläche von 0,8 zwar überschritten. Insoweit habe die Antragsgegnerin der Beigeladenen aber eine Befreiung erteilt. Die Festsetzung zur Geschossflächenzahl sei nicht drittschützend. Das Vorhaben verstoße nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Das Rücksichtnahmegebot sei nicht zuungunsten der Antragsteller verletzt. § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW finde Anwendung. Die unmittelbar anschließende ebenfalls 16 m lange Außenwand des zeitgleich genehmigten Einfamilienhauses auf der nordöstlichen Grundstückshälfte sei nicht hinzuzurechnen.
7Die dagegen von der Beschwerde erhobenen Einwände bleiben ohne Erfolg.
8Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass die Befreiung von der Geschossflächenzahlfestsetzung nachbarrechtswidrig erteilt worden ist.
9Wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat, sind Maßfestsetzungen eines Bebauungsplans im Sinne der §§ 16 ff. BauNVO in der Regel nicht nachbarschützend. Ob solche Festsetzungen ausnahmsweise nachbarschützend sind, hängt vom Willen der Gemeinde als Planungsträger ab. Dieser ist durch Auslegung anhand des Wortlauts sowie des Sinns und Zwecks der betreffenden Festsetzung und der zugrunde liegenden Ermächtigungsgrundlage im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln.
10Vgl. zuletzt OVG NRW, Beschluss vom 27. Januar 2014 - 2 A 1674/13 -, juris Rn. 11 ff., m. w. N.
11Einen solchen Willen der Antragsgegnerin hat das Verwaltungsgericht nicht erkennen können. Die Festsetzungen zur Geschossflächenzahl dienten vielmehr - wie regelmäßig - nur dem öffentlichen Interesse an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung.
12Dem setzt die Beschwerde lediglich ihre gegenteilige Auffassung entgegen. Woran sie diese konkret fest macht, erläutert sie nicht. Dies genügt den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht. Dasselbe gilt für die pauschale Behauptung, die Überschreitung der zulässigen Geschossflächenzahl sei aus sich heraus rücksichtslos.
13Die Beschwerde macht auch nicht deutlich, dass das streitgegenständliche Vorhaben im Verhältnis zu den Antragstellern gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO verstößt.
14Nach dieser Vorschrift sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen.
15Daraus folgt - wie das Verwaltungsgericht richtig gesehen hat -, dass eine bauliche Anlage auch wegen ihrer Größe gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig sein kann. Die Bestimmung geht davon aus, dass im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung erfassen und beeinflussen kann. Auf Maßfestsetzungen ist§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO indessen grundsätzlich nicht ergänzend anwendbar.
16Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 1995 - 4 C 3.94 -, BRS 57 Nr. 175 = juris Rn. 15 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2011 - 7 B 1803/10 -, BRS 78 Nr. 188 = juris Rn. 23.
17Auf dieser Grundlage hat das Verwaltungsgericht einen Widerspruch des streitigen Vorhabens zu § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO mit überzeugender und mit Hilfe der verfügbaren Karten und Luftbilder ohne Weiteres nachvollziehbarer Begründung verneint. Der hinsichtlich der Art der Nutzung maßgebliche Bereich zwischen I. Straße, T.----------straße und B. - -E. -Straße weise - so das Verwaltungsgericht - eine reine Wohnbebauung mit unterschiedlich großen, teilweise aneinander gebauten Wohngebäuden auf. Selbst wenn die Bebauung auf dem Nachbargrundstück der Antragsteller insgesamt größer dimensioniert sein sollte als die bisher im Wohngebiet vorhandene, fehle jeglicher Anhalt für die Annahme, sie trage eine neue Art der baulichen Nutzung in das Wohngebiet hinein. Dies gelte auch dann, wenn man das gleichzeitig genehmigte Einfamilienhaus auf dem rückwärtigen Teil des noch zu trennenden Vorhabengrundstücks - dem Grundstück I. Straße 63a - mit in den Blick nehme.
18Gegen diese Würdigung bringt die Beschwerde nichts Substantielles vor.
19Welche Haltung das Verwaltungsgericht in seinem Hinweis vom 20. Dezember 2013 zur Frage des Einfügens - sowie zur Bewandtnis des § 6 Abs. 6 BauO NRW - vorläufig eingenommen hat, ist - wie die Beschwerde selbst einräumt - für die Richtigkeit der letztendlichen Eilentscheidung unerheblich. Der Hinweis diente gerade dazu, den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, um diese Stellungnahmen - vom 8. Januar 2014 (Antragsgegnerin) und vom 13. Januar 2014 (Beigeladene) - in die Entscheidung einfließen zu lassen. Das Verwaltungsgericht hat seinen Hinweis ausdrücklich dementsprechend offen formuliert.
20Eine Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO ist in dieser Vorgehensweise nicht zu sehen.
21Die Hinweispflicht des Gerichts nach § 86 Abs. 3 VwGO konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Allerdings folgt daraus keine Pflicht des Gerichts zu umfassender Erörterung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte. Es ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Eine Ausnahme hiervon gilt erst dann, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit dem bzw. mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen braucht.
22Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2012 - 5 B 5.12 -, juris Rn. 12, m. w. N.
23Legt man diesen Maßstab an, konnte es die Beteiligten im Anschluss an das oben Gesagte nicht überraschen, dass das Verwaltungsgericht sich durch seinen Hinweis vom 20. Dezember 2013 nicht zugunsten der Antragsteller festgelegt hatte.
24Im Übrigen belegen die genehmigen Lagepläne im Abgleich mit den Karten und Luftbildern in der Sache eindeutig, dass die genehmigten Häuser I. Straße 63/63a auch in einer Zusammenschau keine derartige Massivität in das Karree hineintragen, dass Quantität im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nachbarrechtswidrig in Qualität umschlüge und dadurch den Gebietsrahmen sprengte. Ähnliche Ausmaße haben etwa die Baulichkeiten I. Straße 65, 53a und 51a. Auf den Baukörper des Q1. -Kollegs muss man für diese Wertung erkennbar ebenso wenig abstellen wie auf das Vorhandensein von untergeordneten Anlagen ohne Abstand an der rückwärtigen Grenze.
25Dem Verwaltungsgericht ist ferner auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens darin beizupflichten, dass das genehmigte Vorhaben nicht gegenüber den Antragstellern rücksichtslos ist, weil es eine erdrückende Wirkung entfaltete oder eine unzumutbare Verschattung hervorriefe.
26Das Verwaltungsgericht hat dazu argumentiert, das Wohnhaus der Antragsteller rage auch bisher schon weniger tief in den Blockinnenbereich des Straßengevierts hinein als die beiden jeweils unmittelbar benachbarten Wohngebäude. Die rückwärtige Terrasse und der Garten seien in gewissem Maß von zwei Seiten eingerahmt gewesen. Die Lage des Vorgängergebäudes wirke fort, da es erst im vergangenen Jahr im Zuge der streitbefangenen Bebauung abgerissen worden sei. Diese über viele Jahre geprägte Situation werde dadurch, dass die Neubebauung gemessen an dem etwa gleich hohen Vorgängerbau um ca. 6 m tiefer in den rückwärtigen Bereich hineinrage, nicht wesentlich zu Lasten der Antragsteller verschlechtert. Von einem Gefühl des Eingemauertseins könne keine Rede sein; auch nicht von einer unangemessenen Dominanz. Hiergegen spreche vor allem auch, dass die dem Grundstück der Antragsteller zugewandten Außenwände beider Neubauten von dort aus kaum gemeinsam wahrnehmbar seien. Das Wohnhaus der Antragsteller weise in Richtung der Vorhabengrundstücke keine Gebäudeöffnung auf. Auch im Hinblick auf die Verschattungswirkung sei zu bedenken, dass Garten und Terrassenbereich der Antragsteller durch die Lage des Vorgängerbaus vorbelastet seien. Dieser habe eine vergleichbare Gebäudehöhe aufgewiesen sowie einen nur geringfügig größeren Grenzabstand von 3,15 m. Die Verschattung beschränke sich auf die Morgenstunden in Jahreszeiten mit niedrigem Sonnenstand, in denen die Aufenthaltsqualität im Garten und auf der Terrasse ohnehin von geringem Gewicht sei. Etwas anderes lasse sich den von den Antragstellern vorgelegten Graphiken nicht entnehmen.
27Gegen diese Gedankenführung ist nichts zu erinnern. Die Beschwerde legt nicht dar, warum die Auswirkungen des Neubauvorhabens der Beigeladenen für die Antragsteller gleichwohl unzumutbar sein sollen. Dazu reicht es nicht aus, allgemein zu behaupten, die Unzumutbarkeit sei bereits durch die Vorlage von Zeichnungen und Darstellungen plastisch nachgewiesen worden. Die Beschwerde gesteht zu, dass sich die negativ spürbare Verschattung auf die Morgenstunden und die Wintermonate beschränken dürfte. Dies spricht jedoch maßgeblich für die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Zumutbarkeitsschwelle sei nicht überschritten.
28Die Beschwerde lässt keinen Verstoß gegen § 6 BauO NRW hervortreten. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW herangezogen.
29Nach dieser Vorschrift genügt auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m gegenüber jeder Grundstücksgrenze und gegenüber jedem Gebäude auf demselben Grundstück als Tiefe der Abstandflächen 0,4 H, in Kerngebieten 0,25 H, mindestens jedoch 3 m.
30Die Bestimmung knüpft nicht an ein einzelnes Gebäude an. Maßgebend ist vielmehr die Grundstücksgrenze aus der Sicht des Baugrundstücks. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach die Halbierungsregelung gegenüber „jeder Grundstücksgrenze“ nur einmal angewendet werden kann. Es hat zur Folge, dass bei mehreren auf einem Grundstück befindlichen Gebäuden die gegenüber der gleichen Grundstücksgrenze liegenden Außenwände der Gebäude, soweit diese die maßgebende Abstandfläche nicht einhalten, in ihrer Summe nicht länger als 16 m sein dürfen.
31Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. August 2010 - 7 B 489/10 -, juris Rn. 5, und vom 17. März 2010 - 10 B 229/10 -, juris Rn. 13.
32Allerdings wird die Länge der Wände von aneinandergebauten Gebäuden auf verschiedenen Grundstücken im bauordnungsrechtlichen Sinn nicht addiert. Grundstück im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW ist das im Bestandsverzeichnis des Grundbuchblatts unter einer laufenden Nummer eingetragene Buchgrundstück. Dieses kann aus mehreren Flurstücken bestehen. Dieser Ansatz belässt Raum für nachbarrechtliche Wertungen. Grundbuchrechtlich relevante Grundstücksteilungen, die zur Anwendung der Halbierungsregelung des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW führen, dürfen keine offensichtlichen „Umgehungsgeschäfte“ darstellen. Eine rein willkürliche Aufteilung eines Grundstücks in mehrere Flurstücke darf nicht genutzt werden, um die Halbierungsregelung mehrfach in nachbarrechtswidriger Weise anzuwenden.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2010 - 10 B 229/10 -, juris Rn. 15 ff.; Kamp/Schmickler, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 2012, § 6 Rn. 225; Boeddinghaus, in: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Radeisen, BauO NRW, Band I, Loseblatt, Stand Januar 2014, § 6 Rn. 253a.
34Gemessen daran hat sich das Verwaltungsgericht zu Recht auf den Standpunkt gestellt, § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW komme zum Tragen. Die Baugenehmigungen für beide Bauvorhaben auf den Grundstücken I. Straße 63 (Mehrfamilienhaus) einerseits und I. Straße 63a (Einfamilienhaus) andererseits stehen unter der aufschiebenden Bedingung, dass der Bauaufsichtsbehörde vor Baubeginn der Nachweis über die erfolgte grundbuchrechtliche Teilung des Baugrundstücks erbracht wird. Anhaltspunkte für eine rein willkürliche Teilung in zwei Grundstücke im bauordnungsrechtlichen Sinn, die allein darauf abzielte, § 6 BauO NRW zu Lasten der Antragsteller nachbarrechtswidrig zu umgehen, liefert die Beschwerde nicht. Solche Anhaltspunkte sind auch sonst nicht ersichtlich. Ein sachlicher Grund für die Grundstücksteilung mag darin liegen, dass auf dem Grundstück I. Straße 63 eine Nutzung als Mehrfamilienhaus stattfinden soll und auf dem Grundstück I. Straße 63a im Unterschied dazu als Einfamilienhaus. Beide Nutzungsarten lassen sich auf verschiedene Weise vermarkten. Überdies stehen diesem Konstrukt keine durchgreifenden nachbarrechtlichen Wertungen der Rücksichtnahme entgegen. Wie gezeigt, findet eine zumutbare Verdichtung der Bebauung statt, welche die spezifische Neubelastung des Nachbargrundstücks der Antragsteller im Großen und Ganzen im Rahmen der Vorgängerbebauung belässt.
35Schließlich ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Vortrag der Antragsteller zu Verstößen gegen §§ 11 Abs. 2 (Herstellung von Gemeinschaftsanlagen), 12 Abs. 2 (Verunstaltungsverbot), 15 (Standsicherheit) und 17 BauO NRW (Brandschutz) als unsubstantiiert bewertet hat. Auch die Beschwerde legt nicht dar, warum die von den genannten allein nachbarschützenden Vorschriften der §§ 15, 17 BauO NRW verletzt sein sollen. § 86 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 VwGO verpflichtet das Gericht weder dazu, auf unsubstantiiertes Vorbringen gesondert hinzuweisen noch vermag derartiges Vorbringen Sachverhaltsermittlungen auszulösen. Mit beiden verfahrensrechtlichen Rechtsfolgen muss der kundige Verfahrensbeteiligte rechnen.
36Soweit die Beschwerde pauschal auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen nebst Beweisantritten Bezug nimmt, genügt dies den Darlegungsanforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht.
37Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO.
38Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
39Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.
(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung einer Fabrikhalle in ein Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten.
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Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, auf dem er ein Holzbearbeitungsunternehmen betreibt. Auf dem angrenzenden Vorhabengrundstück des Beigeladenen steht eine nicht mehr genutzte Fabrikhalle, die mit dem Betriebsgebäude des Klägers baulich verbunden ist. Die Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans der Beklagten, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten "Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung" festsetzt. Aus einem von der Beklagten im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachten ergibt sich, dass die im Betrieb des Klägers vorhandenen Schallquellen an der nächstgelegenen Seite des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorrufen.
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Die Baugenehmigung erteilte die Beklagte "nach Maßgabe der beigefügten geprüften Bauvorlagen". In einer mit einem Grünstempel versehenen schalltechnischen Untersuchung eines Ingenieurbüros heißt es, zur Beurteilung der Geräuschimmissionen des Betriebs des Klägers würden in Abstimmung mit der Beklagten die Beurteilungspegel des im Planaufstellungsverfahren eingeholten Gutachtens herangezogen. In Abstimmung mit der Beklagten würden im Hinblick auf die ausschließlich an einer Seite des Gebäudes des Beigeladenen auftretende Überschreitung des Immissionsrichtwerts tags um 10 dB(A) keine aktiven Schallschutzmaßnahmen, sondern passive in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume ausgearbeitet. Damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. In einem ebenfalls grüngestempelten Schreiben des vom Beigeladenen beauftragten Planungsbüros an die Beklagte wird zur Ergänzung der Baubeschreibung ausgeführt, die Schallschutzmaßnahmen der schalltechnischen Untersuchung des Ingenieurbüros würden eingebaut und unterhalten.
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Das die Baugenehmigung aufhebende Urteil des Verwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht auf die Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen geändert und die Klage abgewiesen. Weder bei unterstellter Wirksamkeit des Bebauungsplans noch bei unterstellter Unwirksamkeit bestehe ein Aufhebungsanspruch des Klägers. Die genehmigte Wohnnutzung sei jedenfalls zulässig und verstoße nicht zum Nachteil des Klägers gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme, das auch im Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans anwendbar sei, weil der Bebauungsplan den konkreten Immissionskonflikt nicht abschließend bewältige. Ob dem betroffenen Nachbarn Geräuschimmissionen zuzumuten seien, sei grundsätzlich anhand der TA Lärm zu bestimmen. Nach ihrer Nr. 6.1 sei am Wohnbauvorhaben des Beigeladenen an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden grundsätzlich der hier allein maßgebliche Tag-Immissionsrichtwert von 55 dB(A) einzuhalten. Dieser Wert sei in Anwendung von Nr. 6.1 c und Nr. 6.7 der TA Lärm auf einen "Mittelwert" von tagsüber 60 dB(A) zu erhöhen, weil sich das Wohnbauvorhaben in einer faktischen Gemengelage befinde. Ein solcher Wert lasse sich zwar nicht vollumfänglich einhalten. Das Rücksichtnahmegebot ermögliche und gebiete aber zusätzliche Differenzierungen mit der Folge, dass die grobmaschigen baugebietsbezogenen Richtwerte je nach Lage des Einzelfalls durch situationsbezogene Zumutbarkeitskriterien zu ergänzen seien. So sei ein Wohnbauvorhaben auf einem durch gewerblichen Lärm erheblich vorbelasteten Grundstück rücksichtslos und daher unzulässig, wenn bei seiner Verwirklichung auf naheliegende, technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen verzichtet werde, welche eine erhebliche Lärmbetroffenheit der Wohnnutzung spürbar mindern würden. § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO begründe insoweit eine Obliegenheit des Bauherrn zu "architektonischer Selbsthilfe", verlange aber auch vom Betreiber des - bestands-geschützten - emittierenden Gewerbebetriebs, auf die für das Nachbargrundstück festgesetzte (heranrückende) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen. Welche Maßnahmen dem zur Rücksichtnahme auf seine Nachbarschaft verpflichteten Anlagenbetreiber zumutbar seien, bestimme sich nach den (dynamischen) Betreiberpflichten des § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Auch passiver Schallschutz könne ein zu berücksichtigender Baustein der "architektonischen Selbsthilfe" sein. Die im Gutachten des Ingenieurbüros vorgesehenen passiven Schallschutzmaßnahmen, die Bestandteil der Baugenehmigung geworden seien und ausweislich der Erklärung von Beklagter und Beigeladenem in der mündlichen Verhandlung für alle schutzbedürftigen Räume einschließlich Loggia gälten, sicherten, dass die Anhaltswerte für Innenschallpegel in Wohnräumen von tags 30 bis 35 dB(A) und in Schlafräumen von 25 bis 30 dB(A) (Mittelungspegel) von schutzbedürftigen Räumen nach VDI 2179 eingehalten werden könnten.
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Zur Begründung seiner vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Vorinstanz gehe rechtsfehlerhaft davon aus, dass das Vorhaben trotz einer Überschreitung der (Außen-)Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 und Nr. 6.7 der TA Lärm aufgrund der festgesetzten passiven Schallschutzmaßnahmen zulässig sei. Passive Schallschutzmaßnahmen führten nicht zu einer Reduzierung des maßgeblichen Außen-Immissionsrichtwertes und seien nur in den gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig. Ohnehin sei das Rücksichtnahmegebot bereits in der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung aufgegangen, weil auch für den Konflikt zwischen den streitbefangenen Grundstücken der für andere Grundstücke festgesetzte Immissionswert von 60 dB(A) gelte. Außerdem verstoße die streitgegenständliche Baugenehmigung gegen das Bestimmtheitsgebot. Schließlich habe das Oberverwaltungsgericht unter Verletzung der Aufklärungspflicht und des Anspruchs auf rechtliches Gehör den unter Beweis gestellten Sachvortrag, dass die Immissionsrichtwerte im Gebäudeinneren gemäß Nr. 6.2 der TA Lärm aufgrund der vorhandenen Gebäudeverbindung nicht eingehalten würden, zu Unrecht unbeachtet gelassen.
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Beklagte und Beigeladener verteidigen das angegriffene Urteil.
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Nach Ansicht der Beklagten zählen passive Schallschutzmaßnahmen zu den Mitteln der "architektonischen Selbsthilfe". Das ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Je nach den Umständen des Einzelfalls könne es - zumal wenn wie hier Außenwohnbereiche nicht betroffen seien - abwägungsfehlerfrei sein, eine Minderung der Immissionen durch eine Kombination von passivem Schallschutz, Stellung und Gestaltung von Gebäuden sowie Anordnung der Wohn- und Schlafräume zu erreichen.
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Der Beigeladene hält den Bebauungsplan für unwirksam, weil er keine Konfliktlösung in Bezug auf sein Grundstück biete. Deswegen sei sein Vorhaben an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen. Es halte sich im vorgezeichneten Rahmen und verstoße auch nicht gegen das Rücksichtnahmegebot. Zum einen seien die Lärmgutachten von Betriebszuständen ausgegangen, die nicht dem Stand der Lärmminderungstechnik entsprächen und die, würden sie real ausgeführt, nach § 22 BImSchG untersagt werden könnten. Zum anderen seien die von ihm angebotenen und damit zum Bestandteil der Baugenehmigung gewordenen Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe prinzipiell geeignet, im Rahmen einer Bewertung anhand des Gebotes der Rücksichtnahme Berücksichtigung zu finden. So würden die unmittelbar dem Grundstück des Klägers zugewandten Aufenthaltsräume während der Betriebszeiten ständig geschlossen gehalten und Fenster mit einem Schalldämmmaß ausgestattet, das die Einhaltung der Nr. 6.2 TA Lärm (Innenraumschutz) sicherstelle. Die Außenwohnbereiche befänden sich im Lärmschatten des Gebäudes.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Das Berufungsurteil verstößt gegen Bundesrecht.
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1. Die Verfahrensrügen des Klägers greifen allerdings nicht durch. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.
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a) Mit seiner Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) macht der Kläger geltend, das Gericht hätte die Beschaffenheit des Verbindungstunnels zwischen den Gebäuden des Klägers und des Beigeladenen weiter aufklären müssen. Da er hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Beweisantrag gestellt hat, hätte er mit der Revision darlegen müssen, aus welchen Gründen sich der Vorinstanz die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte aufdrängen müssen (vgl. hierzu etwa Urteil vom 11. Juli 2002 - BVerwG 4 C 9.00 - Buchholz 451.17 § 12 EnergG Nr. 1 S. 12 f.). Das ist nicht geschehen. Aufgrund des - auch auf Nachfrage der Vorinstanz - lediglich allgemein gehaltenen und nicht gebäudebezogenen privatgutachterlichen Vorbringens des Klägers und der Feststellungen des Berichterstatters im Rahmen der Ortsbesichtigung ist für den Senat auch nicht erkennbar, dass sich solche Aufklärungsmaßnahmen aufgedrängt hätten.
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b) Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann nicht erheben, wer sich rechtliches Gehör durch entsprechende Beweis- oder Vertagungsanträge in der mündlichen Verhandlung hätte verschaffen können (Beschluss vom 4. August 2008 - BVerwG 1 B 3.08 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 3 VwGO Nr. 70 Rn. 9 m.w.N.). Es ist weder dargelegt noch erkennbar, warum der Kläger dies im Hinblick auf die nach seiner Ansicht zeitlich und inhaltlich unzumutbare Aufforderung des Oberverwaltungsgerichts zur Substantiierung seines Vorbringens zum Verbindungstunnel nicht getan hat.
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2. Dass das Oberverwaltungsgericht die Bestimmtheit der angegriffenen Baugenehmigung auf der Grundlage seiner Auslegung dieses Verwaltungsakts bejaht hat, lässt ebenfalls keinen Verstoß gegen Bundesrecht erkennen. Mit seiner Rüge eines Verstoßes gegen den Bestimmtheitsgrundsatz setzt der Kläger dieser Auslegung lediglich eine eigene Auslegung der Baugenehmigung gegenüber, aus der er ihre unzureichende Bestimmtheit ableitet. Die Auslegung eines Verwaltungsakts ist jedoch Sache des Tatsachengerichts und jedenfalls dann, wenn dieses sich - wie hier - dazu verhalten hat (Beschluss vom 6. April 2004 - BVerwG 4 B 2.04 - juris Rn. 8) und die Auslegung keinen Rechtsirrtum oder einen Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze, Denkgesetze oder Auslegungsregeln erkennen lässt (Urteil vom 10. Oktober 2012 - BVerwG 6 C 36.11 - juris Rn. 26), der revisionsgerichtlichen Prüfung entzogen. Die Anforderungen des - revisiblen - Bestimmtheitsgebots (dazu etwa Urteil vom 2. Juli 2008 - BVerwG 7 C 38.07 - BVerwGE 131, 259 Rn. 11) hat das Oberverwaltungsgericht nicht verkannt. Soweit es dabei die Einbeziehung von grüngestempelten und damit eindeutig von der Behörde gekennzeichneten Antragsunterlagen des Beigeladenen sowie in der mündlichen Verhandlung abgegebenen und somit dem Kläger bekannten Erklärungen der Beklagten und des Beigeladenen als zulässig angesehen hat, ist dies bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
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3. Das Oberverwaltungsgericht durfte jedoch das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO nicht deswegen als gewahrt ansehen, weil der Beigeladene im Wege der architektonischen Selbsthilfe passive Schallschutzmaßnahmen für die ihm genehmigte Wohnnutzung vorgesehen hat.
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a) Zu Recht ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass das Rücksichtnahmegebot im vorliegenden Fall unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Anwendung findet. Der Einwand des Klägers, das Rücksichtnahmegebot sei im Falle der Wirksamkeit des Bebauungsplans bereits aufgrund der den Feststellungen des Bebauungsplans zugrundeliegenden Abwägung des Ortsgesetzgebers "aufgezehrt" (vgl. hierzu Beschluss vom 11. Juli 1983 - BVerwG 4 B 123.81 - Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 54), greift nicht durch. Auch insoweit stellt der Kläger der bindenden und irrevisiblen Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO) lediglich seine eigene Auslegung gegenüber.
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b) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteile vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <318 f.> und vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <243>) stellt sich § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO als eine besondere Ausprägung des Rücksichtnahmegebots und als eine zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Diese Vorschrift soll ebenso wie die übrigen Tatbestandsalternativen des § 15 Abs. 1 BauNVO gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Von diesen Grundsätzen ist das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen.
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c) Ebenfalls zutreffend hat das Oberverwaltungsgericht als Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung die TA Lärm herangezogen. Obwohl aber nach seinen bindenden Feststellungen das genehmigte Wohnbauvorhaben gemessen an den Immissionsrichtwerten der Nr. 6.1 einschließlich Zwischenwertbildung nach Nr. 6.7 der TA Lärm an Immissionsorten außerhalb von Gebäuden unzumutbaren Geräuschimmissionen ausgesetzt ist, hat das Oberverwaltungsgericht eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots verneint, weil es angesichts der Vorbelastung des Vorhabengrundstücks durch gewerblichen Lärm noch Raum lasse, den gebotenen Interessenausgleich im Wege der architektonischen Selbsthilfe durch passive Schallschutzmaßnahmen zu bewirken. Diese Annahme verstößt gegen Bundesrecht.
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aa) Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu. Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Für eine einzelfallbezogene Beurteilung der Schädlichkeitsgrenze aufgrund tatrichterlicher Würdigung lässt das normkonkretisierende Regelungskonzept der TA Lärm nur insoweit Raum, als es insbesondere durch Kann-Vorschriften (z.B. Nr. 6.5 Satz 3 und Nr. 7.2) und Bewertungsspannen (z.B. A.2.5.3) Spielräume eröffnet (Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.).
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Diese Bindungswirkung besteht in gleicher Weise bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze in Nachbarkonflikten, wie sie das in § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot fordert. Denn das Bundesimmissionsschutzrecht und damit auch die auf der Grundlage von § 48 BImSchG erlassene TA Lärm legen die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für den Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein fest (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319 f.). Dem lässt sich nicht entgegenhalten, die TA Lärm enthalte lediglich Anforderungen an die Errichtung und den Betrieb von emittierenden Anlagen, regele aber nicht den Konflikt mit einer an eine latent störende gewerbliche Nutzung heranrückenden Wohnbebauung und sei deswegen für deren bauaufsichtliche Genehmigung nicht maßgeblich (so aber VGH Mannheim, Beschluss vom 11. Oktober 2006 - 5 S 1904/06 - NVwZ-RR 2007, 168 <169 f.>). Aus der Spiegelbildlichkeit der dargelegten gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergibt sich vielmehr, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die - gemeinsame - Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststeht. Dass etwaige Lärmminderungspflichten, die sich aus der Anwendung der TA Lärm für den emittierenden Gewerbebetrieb ergeben können, nicht - etwa in Form einer Auflage - zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht werden können, steht nicht entgegen. Denn als Teil der vom Rücksichtnahmegebot geforderten Zuordnung der Nutzungen gehören die gebotenen Lärmminderungsmaßnahmen zur Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung und sind gegebenenfalls im Wege der §§ 24 und 22 BImSchG gegen den Gewerbebetrieb durchzusetzen. Auch aus der in der früheren Rechtsprechung des Senats verwendeten Formulierung, die TA Lärm gelte in diesen Fällen "nicht unmittelbar" (Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 319), folgt nichts anderes. Der Senat hat hiermit keine Abstriche am Umfang ihrer Anwendbarkeit und Bindungswirkung verbunden.
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bb) Passive Lärmschutzmaßnahmen als Mittel der Konfliktlösung zwischen Gewerbe und Wohnen sieht die TA Lärm nicht vor. Nach ihrer Nr. 6.1 sind für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung außerhalb der betroffenen Gebäude gelegene Immissionsorte maßgeblich. Sie können durch passive Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibt, nicht beeinflusst werden. Aus Nr. 6.2 der TA Lärm folgt nichts anderes. Die Vorschrift regelt den Sonderfall der Körperschallübertragung und kann deswegen nicht als "Auffangregelung" verstanden werden, aus der abzuleiten wäre, dass letztlich maßgeblich auf - durch passive Schallschutzmaßnahmen beeinflussbare - Innen-Immissionswerte abzustellen ist. Soweit es - wie hier - um die Beurteilung von Luftschall geht, der über die Außenfassade einwirkt, sind die Außen-Immissionsrichtwerte der Nr. 6.1 anzuwenden (vgl. auch Feldhaus, Bundesimmissionsrecht, Bd. 4, Stand August 2012, Rn. 29 zu Nr. 6 TA Lärm).
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cc) Auch die von der TA Lärm belassenen Spielräume bei der Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze eröffnen nicht die Möglichkeit, der Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen.
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Entgegen der Ansicht des Beigeladenen kann insoweit nicht Nr. 3.2.2 der TA Lärm herangezogen werden, die eine ergänzende Prüfung im Sonderfall ermöglicht. Die Voraussetzungen der in Buchstaben a bis d genannten Umstände, bei deren Vorliegen eine solche Sonderfallprüfung "insbesondere" in Betracht kommt, sind nicht gegeben. Namentlich sind besondere Gesichtspunkte der Herkömmlichkeit und der sozialen Adäquanz der Geräuschimmission (Buchst. d) nicht schon dann zu bejahen, wenn sie von einer bestandskräftigen Genehmigung des emittierenden Gewerbebetriebs gedeckt ist. Auch begründet wegen des anzulegenden strengen Maßstabs für eine Sonderfallprüfung (Feldhaus a.a.O. Rn. 63 zu Nr. 3 TA Lärm) allein der Umstand, dass der Konflikt durch eine Gemengelage bedingt ist, noch keine besondere Standortbindung (Buchst. b).
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Ein unbenannter Anwendungsfall der Regelung ist auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts auszuschließen. Das folgt schon daraus, dass die insoweit allein in Betracht kommenden Umstände (Gemengelage, Vorbelastung, Prioritätsprinzip, konkrete Schutzwürdigkeit und Gebietsprägung) bereits Gegenstand der Regelung in Nr. 6.7 sind, die mit der Zwischenwertbildung eine auf die Gemengelagesituation und die genannten Umstände zugeschnittene Lösung enthält (vgl. auch Feldhaus a.a.O. m.w.N.). Es liegt fern, dass die TA Lärm für den Fall, dass - wie hier - trotz Zwischenwertbildung die Zumutbarkeit des Vorhabens nicht gewährleistet werden kann, aus denselben Gesichtspunkten einen zusätzlichen Spielraum für eine Lösung eröffnet, die, wie das Oberverwaltungsgericht nicht verkennt, die Rechtsordnung nur in gesetzlich ausdrücklich normierten Fällen unter strengen Voraussetzungen vorsieht.
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Die Möglichkeit, einer Überschreitung der nach Nr. 6.1 und Nr. 6.7 maßgeblichen Immissionsrichtwerte mit passivem Lärmschutz zu begegnen, müsste auch das Schutzziel der TA Lärm verfehlen. Aus der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm - bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes - ergibt sich, dass dieses Regelungswerk - anders als etwa für Verkehrsanlagen die 16. und 24. BImSchV - den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen will. Damit sichert die TA Lärm von vornherein für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Soweit andere Regelwerke wie die schon genannte 16. und 24. BImSchV passiven Lärmschutz zur Lösung des Nutzungskonflikts zulassen und damit einen geringeren Mindestwohnkomfort als Schutzziel zugrundelegen, beruht dies auf dem öffentlichen Interesse, das an den von diesen Regelungen erfassten (Verkehrs-)Anlagen besteht und weiterreichende Beschränkungen des Eigentumsinhalts zulasten der von Immissionen betroffenen Anliegern rechtfertigt.
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Der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht auch nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. Denn das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen (Urteil vom 23. September 1999 - BVerwG 4 C 6.98 - BVerwGE 109, 314 <324>).
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dd) Schließlich bietet auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe keine Rechtfertigung für die vom Oberverwaltungsgericht für zulässig angesehene Konfliktlösung mit Mitteln des passiven Lärmschutzes. Zwar trifft es im Ausgangspunkt zu, dass sich aus dem Rücksichtnahmegebot die Obliegenheit des Bauherrn ergeben kann, durch Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe den Lärmkonflikt mit einem benachbarten Gewerbebetrieb in einer Weise zu lösen, die die Zumutbarkeit der ihn treffenden Immissionen gewährleistet und somit die Erteilung der Baugenehmigung für sein Vorhaben ermöglicht. Auf dieser Grundlage können dem Bauherrn im Anwendungsbereich der TA Lärm aber nur mit diesem Regelwerk vereinbare Gestaltungsmittel oder bauliche Vorkehrungen abverlangt werden. Das schließt immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, ohne Weiteres mit ein (vgl. Urteil vom 23. September 1999 a.a.O. S. 323). Dasselbe gilt, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig ist, für den Einbau nicht zu öffnender Fenster (vgl. Beschluss vom 7. Juni 2012 - BVerwG 4 BN 6.12 - juris), die keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs darstellen. Passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe kann daher nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei - hier nicht einschlägiger - Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zulassen (vgl. Urteil vom 22. März 2007 - BVerwG 4 CN 2.06 - BVerwGE 128, 238 Rn. 16 f.).
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4. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz kann der Senat nicht entscheiden, ob sich das Urteil des Oberverwaltungsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 144 Abs. 4 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - die nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 BauNVO maßgebliche Zumutbarkeitsgrenze mit Blick auf die Bereitschaft des Beigeladenen, passiven Lärmschutz vorzusehen, unter Zugrundelegung derjenigen Lärmimmissionen ermittelt, die für das Grundstück des Beigeladenen im ungünstigsten Fall zu erwarten sind. Der Frage, welche Lärmminderungsmaßnahmen dem Kläger nach den (unter 3. b) dargelegten Vorgaben des Rücksichtnahmegebots obliegen, ist das Oberverwaltungsgericht nicht nachgegangen. Das wird es nachzuholen haben. Die dem zur Rücksichtnahme verpflichteten Kläger insoweit zumutbaren Maßnahmen bestimmen sich nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG (Urteil vom 18. Mai 1995 - BVerwG 4 C 20.94 - BVerwGE 98, 235 <246 f.> m.w.N). Dass Möglichkeiten der Lärmminderung beim Gewerbebetrieb des Klägers, mit denen der nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts maßgebliche Außen-Immissionswert von 60 dB(A) eingehalten werden könnte, schon aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen wären, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Auf die bestandskräftige Genehmigung seines Betriebs kann sich der Kläger gegenüber seinen dynamisch angelegten Grundpflichten aus § 22 Abs. 1 Satz 1 BImSchG nicht berufen (vgl. Urteil vom 18. Mai 1995 a.a.O). Anders als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 21 f.) offenbar annimmt, sind diese Pflichten gegenüber - wie hier - heranrückender Wohnbebauung nicht von vornherein auf solche Lärmminderungsmaßnahmen beschränkt, zu denen der Gewerbebetrieb bereits gegenüber der vorhandenen Wohnbebauung verpflichtet gewesen wäre.
(1) Schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne dieses Gesetzes sind Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen.
(2) Immissionen im Sinne dieses Gesetzes sind auf Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter einwirkende Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnliche Umwelteinwirkungen.
(3) Emissionen im Sinne dieses Gesetzes sind die von einer Anlage ausgehenden Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme, Strahlen und ähnlichen Erscheinungen.
(4) Luftverunreinigungen im Sinne dieses Gesetzes sind Veränderungen der natürlichen Zusammensetzung der Luft, insbesondere durch Rauch, Ruß, Staub, Gase, Aerosole, Dämpfe oder Geruchsstoffe.
(5) Anlagen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Betriebsstätten und sonstige ortsfeste Einrichtungen, - 2.
Maschinen, Geräte und sonstige ortsveränderliche technische Einrichtungen sowie Fahrzeuge, soweit sie nicht der Vorschrift des § 38 unterliegen, und - 3.
Grundstücke, auf denen Stoffe gelagert oder abgelagert oder Arbeiten durchgeführt werden, die Emissionen verursachen können, ausgenommen öffentliche Verkehrswege.
(5a) Ein Betriebsbereich ist der gesamte unter der Aufsicht eines Betreibers stehende Bereich, in dem gefährliche Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der Richtlinie 2012/18/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (ABl. L 197 vom 24.7.2012, S. 1) in einer oder mehreren Anlagen einschließlich gemeinsamer oder verbundener Infrastrukturen oder Tätigkeiten auch bei Lagerung im Sinne des Artikels 3 Nummer 16 der Richtlinie in den in Artikel 3 Nummer 2 oder Nummer 3 der Richtlinie bezeichneten Mengen tatsächlich vorhanden oder vorgesehen sind oder vorhanden sein werden, soweit vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass die genannten gefährlichen Stoffe bei außer Kontrolle geratenen Prozessen anfallen; ausgenommen sind die in Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie 2012/18/EU angeführten Einrichtungen, Gefahren und Tätigkeiten, es sei denn, es handelt sich um eine in Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2012/18/EU genannte Einrichtung, Gefahr oder Tätigkeit.
(5b) Eine störfallrelevante Errichtung und ein Betrieb oder eine störfallrelevante Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs ist eine Errichtung und ein Betrieb einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, oder eine Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs einschließlich der Änderung eines Lagers, eines Verfahrens oder der Art oder physikalischen Form oder der Mengen der gefährlichen Stoffe im Sinne des Artikels 3 Nummer 10 der Richtlinie 2012/18/EU, aus der sich erhebliche Auswirkungen auf die Gefahren schwerer Unfälle ergeben können. Eine störfallrelevante Änderung einer Anlage oder eines Betriebsbereichs liegt zudem vor, wenn eine Änderung dazu führen könnte, dass ein Betriebsbereich der unteren Klasse zu einem Betriebsbereich der oberen Klasse wird oder umgekehrt.
(5c) Der angemessene Sicherheitsabstand im Sinne dieses Gesetzes ist der Abstand zwischen einem Betriebsbereich oder einer Anlage, die Betriebsbereich oder Bestandteil eines Betriebsbereichs ist, und einem benachbarten Schutzobjekt, der zur gebotenen Begrenzung der Auswirkungen auf das benachbarte Schutzobjekt, welche durch schwere Unfälle im Sinne des Artikels 3 Nummer 13 der Richtlinie 2012/18/EU hervorgerufen werden können, beiträgt. Der angemessene Sicherheitsabstand ist anhand störfallspezifischer Faktoren zu ermitteln.
(5d) Benachbarte Schutzobjekte im Sinne dieses Gesetzes sind ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienende Gebiete, öffentlich genutzte Gebäude und Gebiete, Freizeitgebiete, wichtige Verkehrswege und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvolle oder besonders empfindliche Gebiete.
(6) Stand der Technik im Sinne dieses Gesetzes ist der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Bei der Bestimmung des Standes der Technik sind insbesondere die in der Anlage aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen.
(6a) BVT-Merkblatt im Sinne dieses Gesetzes ist ein Dokument, das auf Grund des Informationsaustausches nach Artikel 13 der Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung) (Neufassung) (ABl. L 334 vom 17.12.2010, S. 17) für bestimmte Tätigkeiten erstellt wird und insbesondere die angewandten Techniken, die derzeitigen Emissions- und Verbrauchswerte, alle Zukunftstechniken sowie die Techniken beschreibt, die für die Festlegung der besten verfügbaren Techniken sowie der BVT-Schlussfolgerungen berücksichtigt wurden.
(6b) BVT-Schlussfolgerungen im Sinne dieses Gesetzes sind ein nach Artikel 13 Absatz 5 der Richtlinie 2010/75/EU von der Europäischen Kommission erlassenes Dokument, das die Teile eines BVT-Merkblatts mit den Schlussfolgerungen in Bezug auf Folgendes enthält:
- 1.
die besten verfügbaren Techniken, ihrer Beschreibung und Informationen zur Bewertung ihrer Anwendbarkeit, - 2.
die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte, - 3.
die zu den Nummern 1 und 2 gehörigen Überwachungsmaßnahmen, - 4.
die zu den Nummern 1 und 2 gehörigen Verbrauchswerte sowie - 5.
die gegebenenfalls einschlägigen Standortsanierungsmaßnahmen.
(6c) Emissionsbandbreiten im Sinne dieses Gesetzes sind die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte.
(6d) Die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte im Sinne dieses Gesetzes sind der Bereich von Emissionswerten, die unter normalen Betriebsbedingungen unter Verwendung einer besten verfügbaren Technik oder einer Kombination von besten verfügbaren Techniken entsprechend der Beschreibung in den BVT-Schlussfolgerungen erzielt werden, ausgedrückt als Mittelwert für einen vorgegebenen Zeitraum unter spezifischen Referenzbedingungen.
(6e) Zukunftstechniken im Sinne dieses Gesetzes sind neue Techniken für Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie, die bei gewerblicher Nutzung entweder ein höheres allgemeines Umweltschutzniveau oder zumindest das gleiche Umweltschutzniveau und größere Kostenersparnisse bieten könnten als der bestehende Stand der Technik.
(7) Dem Herstellen im Sinne dieses Gesetzes steht das Verarbeiten, Bearbeiten oder sonstige Behandeln, dem Einführen im Sinne dieses Gesetzes das sonstige Verbringen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes gleich.
(8) Anlagen nach der Industrieemissions-Richtlinie im Sinne dieses Gesetzes sind die in der Rechtsverordnung nach § 4 Absatz 1 Satz 4 gekennzeichneten Anlagen.
(9) Gefährliche Stoffe im Sinne dieses Gesetzes sind Stoffe oder Gemische gemäß Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien
(10) Relevante gefährliche Stoffe im Sinne dieses Gesetzes sind gefährliche Stoffe, die in erheblichem Umfang in der Anlage verwendet, erzeugt oder freigesetzt werden und die ihrer Art nach eine Verschmutzung des Bodens oder des Grundwassers auf dem Anlagengrundstück verursachen können.
(1) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt
- 1.
schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können; - 2.
Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen; - 3.
Abfälle vermieden, nicht zu vermeidende Abfälle verwertet und nicht zu verwertende Abfälle ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden; Abfälle sind nicht zu vermeiden, soweit die Vermeidung technisch nicht möglich oder nicht zumutbar ist; die Vermeidung ist unzulässig, soweit sie zu nachteiligeren Umweltauswirkungen führt als die Verwertung; die Verwertung und Beseitigung von Abfällen erfolgt nach den Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes und den sonstigen für die Abfälle geltenden Vorschriften; - 4.
Energie sparsam und effizient verwendet wird.
(2) Soweit genehmigungsbedürftige Anlagen dem Anwendungsbereich des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes unterliegen, sind Anforderungen zur Begrenzung von Emissionen von Treibhausgasen nur zulässig, um zur Erfüllung der Pflichten nach Absatz 1 Nummer 1 sicherzustellen, dass im Einwirkungsbereich der Anlage keine schädlichen Umwelteinwirkungen entstehen; dies gilt nur für Treibhausgase, die für die betreffende Tätigkeit nach Anhang 1 des Treibhausgas-Emissionshandelsgesetzes umfasst sind. Bei diesen Anlagen dürfen zur Erfüllung der Pflicht zur effizienten Verwendung von Energie in Bezug auf die Emissionen von Kohlendioxid, die auf Verbrennungs- oder anderen Prozessen der Anlage beruhen, keine Anforderungen gestellt werden, die über die Pflichten hinausgehen, welche das Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz begründet.
(3) Genehmigungsbedürftige Anlagen sind so zu errichten, zu betreiben und stillzulegen, dass auch nach einer Betriebseinstellung
- 1.
von der Anlage oder dem Anlagengrundstück keine schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft hervorgerufen werden können, - 2.
vorhandene Abfälle ordnungsgemäß und schadlos verwertet oder ohne Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit beseitigt werden und - 3.
die Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustandes des Anlagengrundstücks gewährleistet ist.
(4) Wurden nach dem 7. Januar 2013 auf Grund des Betriebs einer Anlage nach der Industrieemissions-Richtlinie erhebliche Bodenverschmutzungen oder erhebliche Grundwasserverschmutzungen durch relevante gefährliche Stoffe im Vergleich zu dem im Bericht über den Ausgangszustand angegebenen Zustand verursacht, so ist der Betreiber nach Einstellung des Betriebs der Anlage verpflichtet, soweit dies verhältnismäßig ist, Maßnahmen zur Beseitigung dieser Verschmutzung zu ergreifen, um das Anlagengrundstück in jenen Ausgangszustand zurückzuführen. Die zuständige Behörde hat der Öffentlichkeit relevante Informationen zu diesen vom Betreiber getroffenen Maßnahmen zugänglich zu machen, und zwar auch über das Internet. Soweit Informationen Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse enthalten, gilt § 10 Absatz 2 entsprechend.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Durch Gesetz werden angeordnet
- 1.
die Errichtung und Aufhebung eines Verwaltungsgerichts oder eines Oberverwaltungsgerichts, - 2.
die Verlegung eines Gerichtssitzes, - 3.
Änderungen in der Abgrenzung der Gerichtsbezirke, - 4.
die Zuweisung einzelner Sachgebiete an ein Verwaltungsgericht für die Bezirke mehrerer Verwaltungsgerichte, - 4a)
die Zuweisung von Verfahren, bei denen sich die örtliche Zuständigkeit nach § 52 Nr. 2 Satz 1, 2 oder 5 bestimmt, an ein anderes Verwaltungsgericht oder an mehrere Verwaltungsgerichte des Landes, - 5.
die Errichtung einzelner Kammern des Verwaltungsgerichts oder einzelner Senate des Oberverwaltungsgerichts an anderen Orten, - 6.
der Übergang anhängiger Verfahren auf ein anderes Gericht bei Maßnahmen nach den Nummern 1, 3, 4 und 4a, wenn sich die Zuständigkeit nicht nach den bisher geltenden Vorschriften richten soll.
(2) Mehrere Länder können die Errichtung eines gemeinsamen Gerichts oder gemeinsamer Spruchkörper eines Gerichts oder die Ausdehnung von Gerichtsbezirken über die Landesgrenzen hinaus, auch für einzelne Sachgebiete, vereinbaren.
Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so gilt § 100 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die Kosten den mehreren Personen als Gesamtschuldnern auferlegt werden.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.