Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 06. Apr. 2016 - Au 7 K 16.30050

bei uns veröffentlicht am06.04.2016

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin (geb. am ... 1987) ist ihren eigenen Angaben nach nigerianische Staatsangehörige, die dem Volk der Agbor angehören will.

Sie reiste am 5. Juni 2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein.

Am 23. Juli 2012 beantragte die Klägerin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) die Anerkennung als Asylberechtigte.

Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt am 27. August 2014 gab die Klägerin im Wesentlichen an:

Sie habe in Nigeria außer einer Geburtsurkunde, die in Nigeria sei, keine weiteren Ausweisdokumente besessen. Die letzten fünf Jahre vor ihrer Ausreise habe sie nicht bei ihren Eltern, sondern in der Stadt ... gelebt; die genaue Adresse wisse sie nicht mehr. Ihr Vater sei 2002 verstorben, ihre Mutter lebe in ... bei ...; wo sie sich derzeit aufhalte, wisse sie nicht. In Nigeria habe sie noch eine ältere Schwester und einen älteren Bruder. Sie habe sechs Jahre in ... die Schule besucht; einen Schulabschluss habe sie nicht. Mit ca. 15 Jahren habe sie ihre Eltern verlassen und in ... gelebt; sie habe den Beruf der Friseurin gelernt und in diesem Beruf gearbeitet. Ihr Einkommen und ihre Lebensgrundlage seien sehr durchschnittlich gewesen.

Nigeria habe sie im März 2008 mit dem Pkw verlassen, sei über Niger, ..., und Libyen nach Italien gereist, wo sie am 13. September 2008 angekommen sei und ca. dreieinhalb Jahre gelebt habe. Ihr in Italien gestellter Asylantrag sei abgelehnt worden. Von Italien aus sei sie mit dem Bus nach Deutschland weiter gereist.

Die Reise habe ca. 1.500 EUR gekostet. Ein afrikanischer Mann, namens ..., habe die Reise finanziert, die 40.000 kosten sollte; die Währung wisse sie nicht. Dieser Mann sei in Nigeria geblieben, habe aber alles geplant; verschiedene Männer hätten sie in seinem Auftrag weitertransportiert. So habe sie alle Grenzen, ohne einen Reisepass zu besitzen, überschreiten könne.

Hinsichtlich ihrer Asylgründe gibt die Klägerin an, ... sei zu ihr ins Friseurgeschäft gekommen und habe ihr angeboten, sie nach Europa zu bringen. Sie solle ein besseres Leben und mehr Geld haben. In Italien habe sie für ihn auf den Strich gehen müssen. Er habe überall viele Gangs und er würde sie in Nigeria finden. In Italien habe sie ca. drei Jahre in der Prostitution gearbeitet. Sie habe es in Italien nicht mehr ausgehalten, denn sie sei geschlagen worden, was zu ihren Ohrproblemen geführt habe. Wie viel Geld über Mittelsmänner an diesen Mann gegangen sei, wisse sie nicht, wohl ca. 1.500 EUR. Wie viele Kunden sie gehabt habe, wisse sie ebenfalls nicht.

In Nigeria hätten sie und ihre Familie keinerlei Probleme mit der Polizei, der Justiz und den Behörden gehabt.

Dort könne sie jedoch keinen Schutz vor ... erhalten. Dieser habe Geld und Macht. In Afrika helfe einem niemand, auch die Kirche nicht. Sie wisse auch nicht, wo ihre Familie sei. ... werde sie finden und töten. In Italien sei sie aus Angst vor diesen Männern und ... nicht zur Polizei gegangen. Heute würden diese nicht wissen, wo sie sei.

Mit Bescheid vom 12. Januar 2016 lehnte das Bundesamt den Asylantrag (Ziffer 2. des Bescheids) und den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1. des Bescheids) ab. Weiter wurde der Antrag auf Zuerkennung von subsidiärem Schutz abgelehnt (Ziffer 3. des Bescheids) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes/AufenthG (Ziffer 4. des Bescheids) nicht vorliegen würden. Der Klägerin wurde die Abschiebung nach Nigeria angedroht (Ziffer 5 des Bescheids). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6 des Bescheids).

Der Bescheid wurde als Einschreiben am 13. Januar 2016 zur Post gegeben.

Am 20. Januar 2016 ließ die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte per Telefax Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg gegen die Bundesrepublik Deutschland erheben mit dem Antrag:

1. Der Bescheid des Bundesamtes vom 12. Januar 2016 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zu gewähren und festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Mit Schreiben vom 16. Februar 2016 wird zur Begründung der Klage ausgeführt, dass die Klägerin aufgrund der jahrelangen Abwesenheit über keinerlei tragfähige Kontakte mehr in ihr Herkunftsland verfüge. Auch verfüge sie über keine abgeschlossene Berufsausbildung und habe zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts und auf Druck von Schleusern bereits der Prostitution nachgehen müssen. Bei einer Rückkehr in ihr Heimatland könne sie zu keinem Familienverband zurückkehren, sondern sei auf sich alleine gestellt. Die Klägerin trage ein Mittelohrimplantat und sei auf regelmäßige ärztliche Kontrollen angewiesen. Mangels Arbeit und familiärer Unterstützung werde es ihr nicht möglich sein, Kosten für Arztbesuche und die medizinische Behandlung sowie das Existenzminimum in dem Herkunftsland bei einer Rückkehr zu sichern. Es bestehe somit die konkrete Gefahr, dass sich entweder der Gesundheitszustand der Klägerin bis hin zur Taubheit verschlechtern werde oder die Klägerin erneut der Prostitution nachgehen müsse, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Beides müsse dazu führen, zumindest Abschiebungsverbote anzuerkennen.

Die Beklagte legte mit Schreiben vom 3. Februar 2016 die Behördenakten vor.

Mit Beschluss vom 3. März 2016 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Am 6. April 2016 wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt.

Die Bevollmächtigte stellte den Antrag aus der Klage vom 20. Januar 2016.

Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten des Sachverhalts auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 6. April 2016, sowie auf den gesamten Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die nach § 76 Abs. 1 AsylVfG zuständige Einzelrichterin konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung/VwGO).

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Vorliegend ist das Asylgesetz in der ab 24. Oktober 2015 geltenden, durch Art. 1 Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) geschaffenen Fassung anzuwenden.

Die Klägerin hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG und auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a Grundgesetz (GG) (nachfolgend: 1.). Es ist ihr weder der subsidiäre Schutz nach § 4 Abs. 1 AsylG zuzuerkennen (nachfolgend: 2.), noch liegen in ihrer Person nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) vor (nachfolgend: 3.).

1. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylVfG und für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG liegen nicht vor.

Nach § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dann, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. Eine solche Verfolgung kann nicht nur vom Staat ausgehen (§ 3c Nr. 1 AsylG), sondern auch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (§ 3c Nr. 2 AsylG) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (§ 3c Nr. 3 AsylG). Allerdings wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (§ 3e Abs. 1 AsylG).

Bei der Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/940;VG München, U. v. 28.1.2015 - M 12 K 14.30579 - juris Rn. 23). Nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 ist hierbei die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis bei einer Vorverfolgung durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden (VG München, U. v. 30.1.2015 - M 23 K 11.30180 - juris Rn. 24). Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-)Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (VG Köln, U. v. 26.2.2014 - 23 K 5187/11.A - juris Rn. 26).

Es obliegt aber dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH BW, U. v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U. v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

a) Ausgehend von diesen Grundsätzen führt das Begehren der Klägerin nicht zum Erfolg. Dafür, dass die Klägerin vorverfolgt aus Nigeria ausgereist ist, sind Anhaltspunkte weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr trug die Klägerin selbst vor, aus wirtschaftlichen Gründen ausgereist zu sein, um in Europa ein besseres Leben zu haben. Irgendwelche Probleme mit der Polizei, der Justiz und den Behörden in Nigeria hat es weder für sie noch für ihre Familie gegeben.

Die Klägerin hat damit auch keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter im Sinne von Art. 16a GG. Auch insoweit wäre nämlich die Feststellung der beachtlichen Gefahr einer politischen Verfolgung notwendig.

b) Es lässt sich weiter nicht feststellen, dass die Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Nigeria landesweit von politischer Verfolgung bedroht sein würde.

aa) Zwar kann zu dem Thema Zwangsprostitution in Nigeria dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 3. Dezember 2015 (Stand: Dezember 2015, nachfolgend: Lagebericht; S. 16) und dem Bericht von ACCORD, Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung vom 21. Juni 2011 (S. 11 f.) im Wesentlichen entnommen werden, dass Frauen (und Kinder) verstärkt Opfer von Menschenhändlern, die sie zur Ausübung der Prostitution ins Ausland verschleppen, sind. Im Rahmen der Anwerbung werden die Opfer über die tatsächliche Betätigung sowie die nahezu vollständige Einbehaltung ihrer Einnahmen getäuscht. Ihnen wird die Vermittlung von regulären Arbeitsmöglichkeiten vorgespiegelt. Dementsprechend gehen die Opfer davon aus, in Europa ihre Lebensbedingungen verbessern zu können (VG Würzburg, U. v. 17.11.2015 - W 2 K 14.30213 - juris; VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 9). Im Jahr 2010 stellte Italien das Land mit der höchsten Zahl von nigerianischen Zwangsprostituierten dar.

Vorliegend hat die aus der Region von ... stammende Klägerin dem Gericht gegenüber nicht glaubhaft machen können, dass sie nach Italien verbracht und dort zur Prostitution zum Zwecke der Abarbeitung ihrer angefallenen Reisekosten gezwungen wurde.

Ihr Vortrag hierzu ist zum Teil unsubstantiiert und wenig nachvollziehbar. Widersprüchlich ist ihr Vortrag insoweit, als sie vor dem Bundesamt angab, der angebliche Zuhälter ... sei in Nigeria zurückgeblieben, während sie in der mündlichen Verhandlung vortrug, dass ... alle drei Monate nach Italien gekommen sei, da er öfters zwischen Afrika und Europa gependelt habe. Er selbst soll in Italien auf sie eingewirkt haben, dass sie der Prostitution nachgehe. Insoweit hat die Klägerin ihren ursprünglichen Vortrag gesteigert, um dadurch asylrechtlich mehr bewirken zu können, wenn ein Kontakt zu ... auch in Italien bestanden hätte.

Wenig nachvollziehbar ist in diesem Zusammenhang auch, dass ... über einen Zeitraum von einem Jahr die Klägerin in dem Friseursalon besucht haben will, bis sie schließlich ausgereist ist.

Zu der angeblichen Tätigkeit bzw. der ungefähren Anzahl ihrer Kunden konnte die Klägerin in keinster Weise substantiierte Angaben machen.

Völlig unglaubwürdig ist auch, dass die Klägerin nicht den Namen ihres Aufenthaltsortes in Italien, an dem sie angeblich zur Ausübung der Prostitution gezwungen wurde, nennen konnte, jedoch angab, drei Jahre dort gelebt zu haben. Darüber hinaus wäre es der Klägerin möglich gewesen, sich in Italien entweder an die Polizei zu wenden oder zumindest den ebenfalls im Haus wohnenden Familien anzuvertrauen, um Hilfe zu erlangen. Dies noch dazu, da die Klägerin angab, allein in einem Zimmer gewohnt zu haben.

Auch der Vortrag, ohne einen Pass gereist sein zu sein und die anstehenden Grenzen überschritten zu haben, erscheint unglaubwürdig.

bb) Die Klägerin muss bei einer Rückkehr in ihr Heimatland auch nicht deswegen Verfolgungshandlungen befürchten, weil sie im Bundesgebiet einen Asylantrag gestellt hat. Die Asylantragstellung ist nach der derzeitigen politischen Lage als solche kein Grund, der seinerseits politische Verfolgung nach sich zieht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3.12.2015, Ziffer IV.2.).

2. Der hilfsweise beantragte (unionsrechtliche) subsidiäre Abschiebungsschutz nach § 4 AsylG bleibt ohne Erfolg.

Hinsichtlich des Prognosemaßstabs ist - wie bereits oben dargelegt - der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Eine konkrete Gefahr, dass die Klägerin im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG in Nigeria Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen werden könnte, ist nicht erkennbar. Die Klägerin wird in Nigeria auch nicht wegen einer Straftat gesucht, die mit der Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe verbunden ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylG). Schließlich ist die Klägerin im Falle ihrer Rückkehr nicht der erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG).

3. a) Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ist nicht gegeben. Es sind insbesondere nach dem Vorbringen der Klägerin keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass ihr in Nigeria eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. von Art. 3 EMRK durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation landesweit droht.

b) Auch die Voraussetzungen eines (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG vermag das Gericht nicht festzustellen. Danach soll von der Abschiebung in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Soweit die Klägerin im Schreiben vom 16. Februar 2016 geltend macht, ein Mittelohrimplantat zu tragen und auf regelmäßige ärztliche Kontrollen angewiesen zu sein, ist das Gericht nach dem in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite vorgelegten Entlassbrief der Hals-Nasen-Ohrenklinik vom 11. Juni 2013 zu der Überzeugung gekommen, dass bei Rückkehr der Klägerin nach Nigeria eine wesentliche Verschlimmerung ihres Gesundheitszustandes aus Sicht eines vernünftigen und besonnenen Menschen nicht ernstlich zu befürchten und damit nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Nach dem Entlassbrief wurde die Klägerin in ambulante Betreuung entlassen; sie wurde um regelmäßige fachärztliche Befundkontrollen gebeten. Nachweise über ärztliche Kontrollen wurden von der Klägerin nicht vorgelegt, obwohl seit ihrer Entlassung aus der Klinik mittlerweile knapp drei Jahre vergangen sind und die Klägerin vortrug, dass sie sich zwei Mal im Monat ärztlichen Kontrollen unterziehen müsse. Insofern ist es nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin zumindest in der mündlichen Verhandlung keine aktuellen ärztlichen Berichte über die Kontrollen vorgelegt hat.

Derartige Kontrollen und eine medikamentöse Behandlung von Schmerzen ist auch in Nigeria möglich. In der Regel gibt es dort fast alle geläufigen Medikamente in Apotheken zu kaufen. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die medizinische Versorgung und die Versorgung mit Medikamenten in Nigeria schwierig und teuer ist, da eine kostenfreie Medikamentenversorgung durch die staatliche Gesundheitsversorgung nicht geleistet wird (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3.12.2015, Nr. IV 1.3, 1.4).

Bei der Klägerin ist davon auszugehen, dass sie Schmerztabletten in Nigeria erlangen kann. Wie unter 1.a) ausgeführt wurde, sind nicht nur die Angaben der Klägerin hinsichtlich der Zwangsprostitution völlig unglaubwürdig, sondern auch ihre Behauptungen, in Nigeria keine verwandtschaftlichen Beziehungen zu haben. Das Gericht hat die gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nötige Überzeugung gewonnen, dass konkret für die Klägerin aufgrund ihrer individuellen Voraussetzungen und konkreten Lebenssituation bei einer Rückkehr nach Nigeria mit hoher Wahrscheinlichkeit keine extreme Gefahrenlage besteht. Im Rahmen ihrer Anhörung vor dem Bundesamt gab sie an, einen älteren Bruder und eine ältere Schwester in Nigeria zu haben. Zudem hat sie vor ihrer Ausreise selbstständig, d. h. ohne Unterstützung ihrer Familie in ... gelebt und als Friseurin ihren Lebensunterhalt verdient. Die Klägerin gab selbst an, bereits im Alter von 15 Jahren von den Eltern weggegangen zu sein, um allein zu leben und selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Das ist ihr auch im Fall einer Rückkehr nach Nigeria zumutbar.

4. Die im angefochtenen Bescheid enthaltene Abschiebungsandrohung nach Nigeria gemäß § 34 AsylG i. V. m. § 59 AufenthG ist ebenfalls rechtmäßig. Die Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens ergibt sich aus § 38 Abs. 1 AsylG.

Auch gegen das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG bestehen in rechtlicher Hinsicht keine Bedenken.

Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 12. Januar 2016 verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83b Abs. 1 AsylG abzuweisen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 ZPO. Ein Ausspruch nach § 711 ZPO war wegen der allenfalls in geringer Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten auf Seiten der Beklagten nicht veranlasst.

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(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

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(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

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Tenor Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2011 wird in Nr. 3 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG a.F. (§ 60 Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1,

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.

(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger paschtunischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste am ... Januar 2012 auf dem Landweg von Belgien aus in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am ... Februar 2012 einen Asylantrag.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am ... April 2012 erklärte der Kläger im Wesentlichen, dass er als Boxer Mitglied der afghanischen Nationalmannschaft gewesen sei. Einmal habe er an einem landesweiten Wettkampf teilgenommen. Es sei eine Person zu ihm gekommen und habe ihn gefragt, ob er wisse, gegen wen er den nächsten Kampf habe. Er habe ihm gesagt, es sei ihm egal, gegen wen er kämpfe. Die Person habe ihm dann erklärt, dass er gegen den Sohn des Kommandanten ... kämpfen würde. Die Person habe ihm gesagt, er solle nicht zu dem Kampf erscheinen. Von diesem Vorfall habe er dann seinem Trainer erzählt. Der habe gesagt, dass sie ihn nur einschüchtern wollten, seine Kampfmoral beeinflussen wollten. Er solle trotzdem kämpfen. Er sei dann am nächsten Morgen zum Kampf angetreten und habe auch gesiegt. Er habe von dem Kampf auch Fotos und ein Diplom. Nach dem Kampf sei er von Männern des Kommandanten angegriffen und verletzt worden. Ihm sei die Nase gebrochen worden und er habe eine Schnittwunde mit dem Messer am Po erlitten. Der Kommandant ... arbeite wie die Mafia. Er sei Abgesandter des hohen Rates der Stammesführer vom Stadtteil ... Deshalb habe für ihn keine Möglichkeit bestanden, gegen diesen vorzugehen. Daher habe der Kläger einen Monat später Afghanistan verlassen.

Mit Bescheid vom ... März 2014 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1), den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter (Ziffer 2) und die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Ziffer 3) ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Afghanistan oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen nicht vor. Der Kläger habe keine gegen ihn gerichteten Verfolgungsmaßnahmen vorgetragen, denen er in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal vor der Ausreise ausgesetzt gewesen sei bzw. nach seiner Rückkehr nach Afghanistan unterliegen würde.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung es subsidiären Schutzstatus lägen ebenfalls nicht vor. Eine Gefährdung des Klägers sei weder substantiiert vorgetragen worden noch sei diese anderweitig erkennbar. Der Kläger habe eine begründete Furcht vor einem ernsthaften Schaden nicht glaubhaft gemacht. Die Schilderung der angeblich fluchtauslösenden Ereignisse durch den Kläger seien insgesamt zu pauschal und unpräzise, um als glaubhaft zu erscheinen. Der Kläger beschränke sich in seinen Darstellungen auf den schlichten Ablauf der Ereignisse. Detailangaben, die eine lebensechte Schilderung erst ausmachen, fehlten. Sofern der Kläger darauf verweise, dass er nach dem letzten Wettkampf angegriffen worden sei von Leuten des Kommandanten ... stelle dies eine bloße Vermutung des Klägers dar. Er habe nicht schlüssig dargelegt, dass die Auseinandersetzung tatsächlich mit Gefolgsleuten des Kommandanten erfolgt sei, da der Kommandant oder dessen Sohn auch nicht persönlich involviert gewesen seien. Aus der Verwicklung des Klägers in eine Schlägerei, bei der er verletzt worden sei, könne noch nicht auf eine zielgerichtete Verfolgung des Klägers geschlossen werden. Selbst wenn man aber als wahr unterstellen würde, dass der Kläger von Gefolgsleuten des Kommandanten ... angegriffen worden sei, weil er gegen dessen Sohn im Boxkampf angetreten sei, begründe dies noch keinen Schutzanspruch des Klägers. Er habe nicht nachvollziehbar dargelegt, dass er auch künftig weitere Verfolgungsmaßnahmen seitens dieser Leute ausgesetzt wäre und er diesen möglichen lokalen Übergriffen nicht entgehen könne, indem er sich in einem anderen Landesteil niederlasse.

Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Der Kläger habe vor seiner Ausreise in Kabul gelebt, wo auch noch immer seine Eltern, Geschwister und andere Verwandte leben. Es sei davon auszugehen, dass die Verwandten dem Kläger nach dessen Rückkehr behilflich seien und ihm bei der Wiedereingliederung in die afghanische Gesellschaft unterstützen werden. Selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, sei zu erwarten, dass der Kläger als volljähriger, gesunder Mann, der mangels familiärer Bindungen keine Unterhaltslasten habe, auch ohne nennenswertes Vermögen, ohne abgeschlossene Berufsausbildung und ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten im Kabul wenigstens ein kleines Einkommen zu erzielen, sich damit zumindest ein Leben am Rande des Existenzminimums zu finanzieren.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom ... März 2014, bei Gericht am selben Tag eingegangen, hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,

den Bescheid des Bundesamts vom ... März 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise dass die Voraussetzungen der §§ 60 Abs. 2 bis 5 und 7 AufenthG bezüglich des Klägers vorliegen.

Die Beklagte hat mit Schreiben vom ... April 2014 die Behördenakten vorgelegt. Einen Antrag hat die Beklagte nicht gestellt.

Mit Beschluss vom ... Januar 2015 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger im Wesentlichen erklärt, dass bei der nationalen Boxmeisterschaft im Jahr 2011 vor dem dritten Kampf zwei Männer zu ihm gekommen seien, die sich als Männer des Kommandanten ... vorgestellt und ihm gesagt hätten, er habe seinen nächsten Kampf gegen den Sohn des Kommandanten. Er solle hierzu nicht antreten. Nach Rücksprache mit seinem Trainer sei er jedoch angetreten und habe gewonnen. Gleich darauf hätten ihn im Ring bewaffnete Männer angegriffen. Sein Boxgegner habe geäußert, dass sie ihn weiter schlagen und ihn umbringen sollten. Dann sei er bewusstlos geworden. Er glaube, dass ihn seine Freunde und sein Trainer herausgeholt hätten. Wäre er nicht angetreten, wäre der Sohn des Kommandanten Meister gewesen. Es sei das Finale gewesen. Da er sehr viel Erfahrung im Boxsport habe, habe der Sohn des Kommandanten Angst gehabt. Nach der Schlägerei habe er sich in Kabul im Stadtteil ... bei einem Freund aufgehalten. Die Leute, die ihn angegriffen hätten, hätten versucht herauszufinden, wo er wohne. Sie hätten den Dorfvorsteher bedroht, dass sie ihn umbringen würden, wenn er ihnen nicht sage, wo sich der Kläger aufhalte. Auch bei seinen Freunden seien sie bewaffnet aufgetaucht. Da habe er gemerkt, dass es diese Leute ernst meinten und habe Afghanistan verlassen. Er habe ein Haus in Kabul verkauft und seine Mutter habe Schmuck verkauft. Die Ausreise habe er telefonisch organisiert, da man ihn gesucht habe. Auch seine Familie habe mittlerweile Probleme bekommen und sei nach Pakistan gegangen. Auf Frage, warum er nicht bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt vorgetragen habe, dass er nach der Schlägerei noch weiter verfolgt und bedroht worden sei, erklärte der Kläger, er habe lediglich auf die Fragen geantwortet. Er habe nur auf die Fragen antworten können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Bundesamtsakte Bezug genommen.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Januar 2014 entschieden werden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Denn in der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 VwGO). Die Beklagte ist form- und fristgerecht geladen worden.

1. Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylVfG oder auf Anerkennung als Asylberechtigter noch liegen beim Kläger Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG oder nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vor. Der Bescheid der Beklagten vom ... März 2014 ist vielmehr rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 i. V. m. Abs. 5 VwGO.

a) Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 AsylVfG bzw. auf Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a GG.

Nach § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylVfG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylVfG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl, 1953 II S.559, 560-Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung kann dabei gem. § 3c AsylVfG ausgehen von einem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder willens sind, im Sinne des § 3d AsylVfG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Weiter darf für den Ausländer keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehen, § 3e AsylVfG.

Eine Verfolgung in Afghanistan, die an ein gem. § 3 AsylVfG relevantes Merkmal anknüpfen würde, hat der Kläger nicht ansatzweise geltend gemacht noch ist eine solche ersichtlich. Seine Befürchtungen beziehen sich vielmehr auf eine private Auseinandersetzung wegen eines Boxkampfes. Mangels Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal scheidet auch eine Anerkennung als Asylberechtigter gem. Art. 16a Abs. 1 GG aus.

b) Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG.

Der europarechtlich herrührende subsidiäre Schutz nach § 4 AsylVfG bildet einen eigenständigen, vorrangig vor sonstigen herkunftslandbezogenen ausländerrechtlichen (nationalen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (vgl. ausführlich BVerwG, U. v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - BVerwGE 131, 198 = NVwZ 2008, 1241 = InfAuslR 2008, 474).

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt dabei die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AsylVfG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG). Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG gelten dabei die §§ 3c bis 3e AsylVfG entsprechend.

aa) Die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe hat der Kläger nicht geltend gemacht.

bb) Auch die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 2 AsylVfG liegen nicht vor. Bei der Prüfung, ob dem Ausländer ein ernsthafter Schaden droht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377/384 m. w. N.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U. v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/940). Weiter ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder von einem solchen Schaden bedroht wird. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 -10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377/385).

Dabei obliegt es dem Schutzsuchenden, sein Verfolgungsschicksal glaubhaft zur Überzeugung des Gerichts darzulegen. Er muss daher die in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seine persönlichen Erlebnisse, in einer Art und Weise schildern, die geeignet ist, seinen geltend gemachten Anspruch lückenlos zu tragen. Dazu bedarf es - unter Angabe genauer Einzelheiten - einer stimmigen Schilderung des Sachverhalts. Daran fehlt es in der Regel, wenn der Schutzsuchende im Lauf des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellungen nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe nicht nachvollziehbar erscheinen, und auch dann, wenn er sein Vorbringen im Laufe des Verfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Begehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, U. v. 27.8.2013 - A 12 S 2023/11 - juris; HessVGH, U. v. 4.9.2014 - 8 A 2434/11.A - juris).

Gemessen an diesen Maßstäben geht das Gericht nicht davon aus, dass dem Kläger bei seiner Rückkehr nach Afghanistan ein ernsthafter Schaden droht. Die geltend gemachte Gefahr von Seiten des Kommandanten ... bzw. von dessen Gefolgsleuten wegen eines gewonnenen Boxkampfes gegen den Sohn des Kommandanten ist nicht glaubhaft. Zwar mag es zutreffend sein, dass es nach einem Boxkampf des Klägers zu einer Schlägerei mit Zuschauern gekommen ist. Dies allein kann jedoch nicht zur Annahme einer zielgerichteten Verfolgung des Klägers führen. Dass es sich bei den Angreifern um Gefolgsleute des Kommandanten ... gehandelt hat, ist Spekulation. Eine persönliche Beteiligung des Kommandanten hat der Kläger bei der Anhörung beim Bundesamt selbst nicht behauptet. Nachdem das Bundesamt im Bescheid vom ... März 2014 ausgeführt hat, dass nicht schlüssig dargelegt sei, dass die Auseinandersetzung tatsächlich mit Gefolgsleuten des Kommandanten erfolgt sei, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung seinen Sachvortrag diesbezüglich erheblich gesteigert, indem er angegeben hat, dass sich die Männer, die ihn vor dem Kampf aufgesucht hätten, als Gefolgsleute des Kommandanten zu erkennen gegeben hätten, und der Sohn des Kommandanten im Ring die Angreifer verbal angefeuert hätte. Warum der Kläger diese für das Verfolgungsschicksal wesentlichen Umstände, die auf die Täterschaft des Kommandanten bzw. von dessen Gefolgsleuten schließen ließen, nicht bereits bei der Anhörung beim Bundesamt angegeben hat, erschließt sich nicht. Dies wäre im Rahmen eines detaillierten Sachvortrags vielmehr zu erwarten gewesen. Zudem ist der Vortrag auch insofern widersprüchlich, als der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass ihn zwei Männer aufgesucht hätten, um ihn von dem Kampf abzuhalten, während bei der Anhörung vor dem Bundesamt immer nur von einer Person die Rede war. Den Sachvortrag des Klägers hält das Gericht daher insoweit für nicht glaubhaft.

Auch dass es nach der Schlägerei im Boxring zu weiteren Verfolgungsmaßnahmen gekommen sein soll, hält das Gericht für nicht glaubhaft. Auch diesbezüglich hat der Kläger seinen Sachvortrag erheblich gesteigert. Von derartigen weiteren Verfolgungsmaßnahmen hat der Kläger bei der Anhörung beim Bundesamt nämlich überhaupt nichts berichtet. Dass die Gefolgsleute des Kommandanten weiter nach dem Kläger gesucht hätten, ja sogar den Dorfvorsteher mit dem Tod bedroht hätten, um seinen Aufenthaltsort zu erfahren, ist jedoch für das geltend gemachte Verfolgungsschicksal von erheblicher Bedeutung, so dass es nicht nachvollziehbar ist, warum der Kläger diese nunmehr in der mündlichen Verhandlung geschilderte Verfolgung und Bedrohung bei der Anhörung vor dem Bundesamt mit keinem Wort erwähnt hat. Soweit der Kläger angibt, dass er nur auf die gestellten Fragen habe antworten können, stellt dies keine ausreichende Erklärung dar. Denn ausweislich des Protokolls der Anhörung beim Bundesamt wurde der Kläger zunächst offen gefragt, welche Gründe dazu geführt hätten, dass er sich entschlossen habe, sein Heimatland zu verlassen. Hier hätte der Kläger ohne weiteres sämtliche Verfolgungsmaßnahmen darstellen können. Auch auf Frage des Bundesamts, ob er jetzt alle Gründe dargelegt habe oder er noch etwas Wichtiges hinzuzufügen habe, hat der Kläger erklärt, dass er das, was gewesen sei, erzählt habe. Sogar auf weitere Nachfrage, dass dies ein Vorfall gewesen sei, der noch nicht heiße, dass er Afghanistan gleich verlassen müsse, hat der Kläger lediglich erklärt, dies sei halt der Grund, auch wenn es nur ein einmaliger Vorfall gewesen sei. Keine der ihm gestellten Fragen zu seinem Verfolgungsschicksal hat der Kläger vorliegend zum Anlass genommen, das nunmehr in der mündlichen Verhandlung dargelegte angebliche Verfolgungsgeschehen nach der Schlägerei zu erwähnen. Das gesteigerte Vorbringen des Klägers zu weiteren Verfolgungsmaßnahmen hält das Gericht daher für nicht glaubhaft. Dies vermag auch die vorgelegte angebliche Erklärung des Dorfvorstands nicht zu ändern, die der Kläger über Bekannte besorgt haben will. Hierbei handelt es sich lediglich um wenige pauschale Angaben, aus denen weder hervorgeht, wer der Boxgegner gewesen sein soll noch wer den Kläger angegriffen und bedroht haben soll. Auch die angebliche Todesdrohung gegen den Dorfvorsteher und damit den Verfasser selbst wird mit keinem Wort erwähnt, obwohl dies angesichts der Einbeziehung des Dorfvorstehers in die Ereignisse zu erwarten gewesen wäre.

cc) Der Kläger hat weiter keinen Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, nach dem von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen ist, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Die Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i. V. m. Art. 15 Buchst. c QualRL ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht um.

Dabei ist zu überprüfen, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende - und damit allgemeine - Gefahr in der Person des Klägers so verdichtet hat, dass sie eine erhebliche individuelle Gefahr i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG darstellt. Der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt muss ein so hohes Niveau erreichen, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson würde bei Rückkehr in das betreffende Land oder die betreffende Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr laufen, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U. v. 17.2.2009 - Elgafaji, C-465/07 - Slg. 2009, I-921).

Die Frage, ob die in Afghanistan oder Teilen von Afghanistan stattfindenden gewalttätigen Auseinandersetzungen nach Intensität und Größenordnung als vereinzelt auftretende Gewalttaten i. S. v. Art. 1 Nr. 2 des Zusatzprotokolls vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (BGBl 1990 II S. 1637)- ZP II - oder aber als anhaltende Kampfhandlungen bewaffneter Gruppen im Sinne von Art. 1 Nr. 1 ZP II zu qualifizieren sind, kann dahinstehen, weil der Kläger nach überschlägiger Prüfung keiner erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt wäre. Bezüglich der Gefahrendichte ist zunächst auf die jeweilige Herkunftsregion abzustellen, in die ein Kläger typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U. v. 14.7.2009 - 10 C 9/08 - BVerwGE 134, 188). Zur Feststellung der Gefahrendichte ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, sowie eine wertende Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung erforderlich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377).

Der Kläger stammt aus K., so dass hinsichtlich der Gefahrenlage primär darauf abzustellen ist.

Der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2012 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2011 Protection of Civilians in Armed Conflict) geht für das Jahr 2011 für Afghanistan landesweit von 3.021 toten Zivilisten (gegenüber den 2.777 toten Zivilisten des Vorjahres eine Steigerung von 8 Prozent) und 4.507 Verletzten (im Vorjahr 4.368 Verletzte), somit von insgesamt 7.528 zivilen Opfern aus. Der Jahresbericht der UNAMA vom Februar 2013 (UNAMA, Afghanistan Annual Report 2012 Protection of Civilians in Armed Conflict) geht für das Jahr 2012 von 7.559 zivilen Opfern aus (2.754 Tote und 4.805 Verletzte). Nach dem Afghanistan Annual Report 2013 Protection of Civilians in Armed Conflicts der UNAMA sind im Jahr 2013 2.959 tote und 5.656 verletzte Zivilpersonen zu beklagen. Hieraus ergibt sich dem Bericht zufolge im Vergleich zu 2012 eine Steigerung der Zahl der toten Zivilpersonen um 7 Prozent und der Zahl der verletzten Zivilpersonen um 17 Prozent. Der Midyear Report 2014 der UNAMA gibt für das erste Halbjahr 2014 1.564 tote und 3.289 verletzte Zivilpersonen in ganz Afghanistan an. Dies entspricht einer Steigerung gegenüber dem Vergleichszeitraum 2013 um knapp 17 bzw. 28 Prozent. Betrachtet man die durchschnittliche Gefährdung landesweit ergibt sich bei ca. 8.615 toten und verletzten Zivilisten im Jahr 2013 bzw. hochgerechnet 9.706 zivilen Opfern im Jahr 2014 bezogen auf eine Gesamtbevölkerung von mindestens 25 Millionen trotz steigender Opferzahlen weiterhin kein so hoher Gefährdungsgrad, dass praktisch jede Zivilperson dort einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Das Verhältnis der zivilen Opfer pro Jahr zur Gesamtbevölkerung liegt weiterhin vorsichtig geschätzt bei höchstens 1:2.500. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylVfG liegen damit nicht vor (vgl. BVerwG, U. v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris; VGH Baden-Württemberg, U. v. 26.2.2014 - A 11 S 2519/12 - juris).

Die regional unterschiedliche Veränderung der Opferzahlen lässt sich in Beziehung zu der Zahl der Zwischenfälle in den einzelnen Provinzen im Jahr 2012 setzen. Nach dem Bericht des Afghanistan NGO Safety Office (ANSO, Internet: www.ngosafety.org) gab es im Jahr 2012 in Afghanistan insgesamt 21.784 Angriffe (ANSO Quarterly Data Report Q.4 2012). Bei einer Gesamtopferzahl von 7.559 entfallen damit rechnerisch auf jeden Angriff 0,3469 Opfer. Überträgt man dies auf die Zentralregion, kann bei den dort gezählten 2.417 Angriffen im Jahr 2012 von etwa 839 toten/verletzten Zivilisten ausgegangen werden. Bei einer Einwohnerzahl von 5,7 Millionen in der Zentralregion und 839 Toten/Verletzten ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von 0,015 Prozent, Opfer eines Anschlages zu werden.

Auch wenn der Vergleich der Opferzahlen mit der Zahl der Angriffe nicht exakt auf die tatsächliche Opferzahl schließen lässt, gibt er doch eine realistische Basis für die erforderliche Risikoabschätzung. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Sicherheitslage in Gesamtafghanistan und auch in der Zentralregion weiterhin angespannt bleibt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass der diesen Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dieser Region einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt ist (BayVGH, U. v. 1.2.2013 - 13a B 12.300045 - juris). Dies gilt auch unter Berücksichtigung der unzureichenden medizinischen Versorgungslage in Afghanistan, die eine Notfallbehandlung Schwerverletzter nur eingeschränkt ermöglichen dürfte.

Bezogen auf die Herkunftsprovinz Kabul ergibt sich bei 819 Angriffen eine geschätzte Opferzahl von 285. Bei einer Einwohnerzahl von 3.900.000 liegt die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines Anschlages zu werden bei 0,007 Prozent. Nach ANSO Q 1 haben sich in der Provinz Kabul im 1. Quartal des Jahres 2013 12 Anschläge ereignet. Hochgerechnet aufs Jahr bedeutet dies ca. 48 Angriffe mit einer geschätzten Opferzahl von 17 Personen. Auch hieraus errechnet sich bei einer Einwohnerzahl von 3.900.000 eine Wahrscheinlichkeit im Promillebereich, Opfer eines Anschlags zu werden.

Es sind auch keine besonderen, in der Person des Klägers liegenden, individuellen Umstände ersichtlich, die auf eine erhöhte Gefährdung im Verhältnis zu sonstigen Angehörigen der Zivilbevölkerung schließen lassen.

c) Der Kläger hat schließlich keinen Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbots gem. § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG liegt nicht vor. Eine Abschiebung ist gem. § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig, wenn sich dies aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt. Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG kommt nach der Rechtsprechung des BVerwG (U. v. 15.4.1997 - 9 C 38/96 -BVerwGE 104, 265) nur in Frage, wenn die umschriebenen Gefahren durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation drohen oder dem Staat zuzurechnen sind. Schon diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben.

Auch ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegt nicht vor. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, wie etwa eine unzureichenden Versorgungslage, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist jedoch im Einzelfall Ausländern, die einer gefährdeten Gruppe im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG angehören, für welche aber ein Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 AufenthG oder eine andere Regelung, die vergleichbaren Schutz gewährleistet, nicht besteht, ausnahmsweise Schutz vor der Durchführung der Abschiebung in verfassungskonformer Handhabung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuzusprechen, wenn die Abschiebung wegen einer extremen Gefahrenlage im Zielstaat Verfassungsrecht verletzen würde. Das ist der Fall, wenn der Ausländer gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (st. Rspr. des BVerwG, vgl. U. v. 17.10.1995 - 9 C 9/95 - BVerwGE 99, 324/328; U. v. 19.11.1996 - 1 C 6/95 - BVerwGE 102, 249/258 f.; U. v. 8.12.1998 - 9 C 4/98 - BVerwGE 108, 77/80 f.; U. v. 12.7.2001 - 1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379/382; U. v. 29.6.2010 - 10 C 10/09 - BVerwGE 137, 226/232 f.). Diese Grundsätze über die Sperrwirkung bei allgemeinen Gefahren und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise verfassungskonforme Anwendung in den Fällen, in denen dem Betroffenen im Abschiebezielstaat eine extreme zugespitzte Gefahr droht, sind auch für die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes maßgeblich (vgl. BVerwG, B. v. 23.8.2006 - 1 B 60/06, 1 B 60/06 (1 C 21/06) - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 19).

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht allerdings davon aus, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende allein stehende männliche arbeitsfähige afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit keine extreme Gefahrenlage besteht, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B. v. 17.1.2014 - 13a ZB 13.30377 - juris Rn. 4; B. v. 4.2.2014 - 13a ZB 13.30393 - juris Rn. 4; B. v. 5.2.2014 - 13a ZB 13.30224 - juris Rn. 7). Demnach ist ein arbeitsfähiger, gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage, durch Gelegenheitsarbeiten in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten (vgl. auch HessVGH, U. v. 30.1.2014 - 8 A 119/12.A - juris). Dem schließt sich das Gericht an. Gerade dem Kläger, der nach eigenen Angaben die 12. Klasse abgeschlossen und das Abitur abgelegt hat, wird es aller Voraussicht nach gelingen, seinen Lebensunterhalt auch über das bloße Existenzminimum hinaus zu sichern.

Damit liegt die für eine verfassungskonforme Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger alsbald existenzbedrohenden Mangellagen ausgesetzt wäre, nicht vor.

d) Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung ist wie die nach § 38 AsylVfG festgesetzte Ausreisefrist nicht zu beanstanden.

2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 10. Februar 2011 wird in den Nrn. 3 und 4 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz (§ 4 Abs. 1 AsylVfG) zuzuerkennen.

II.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am ... 1988 in der Provinz Kunar, Bezirk ..., Dorf ..., geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, zugehörig zur Volksgruppe der Paschtunen. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 9. April 2010 stellte er am 30. April 2010 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.

Mit Schreiben vom 9. April 2010 gab der Bevollmächtigte des Klägers an, die Aufforderung, für die Regierung zu arbeiten und das Einsickern der Taliban zu melden, sowie die daraufhin folgenden Auseinandersetzungen mit den Taliban und die Drohung einer Entführung oder des Umbringens seien wie im Asylverfahren des Cousins des Klägers beschrieben. Auf das dortige Vorbringen werde verwiesen.

Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylVfG am 18. Mai 2010 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatort gelebt. Dort würden weiterhin seine Eltern, zwei Brüder, eine Schwester sowie ein Onkel väterlicherseits leben. In Deutschland würden vier Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits leben. Er habe bis zur 9. Klasse die Schule in ..., im Anschluss daran die Oberschule in ... besucht. Parallel dazu habe er einen Englischkurs absolviert. Nach Abschluss seiner Schulausbildung 2006 sei er zunächst zwei bis drei Monate arbeitslos gewesen. Danach habe er etwa drei Jahre beim Sicherheitsdienst „... in der Provinz Kunar gearbeitet. Dies sei seinen Eltern bekannt gewesen, nicht aber seinen Onkeln. Monatlich habe er 18.500 Afghani verdient. Seine Aufgabe sei es gewesen, über verdächtige Personen im Dorf oder in den umliegenden Dörfern oder solche, die über die Grenze gekommen seien, an die Zentrale zu berichten. Die Zentrale des Sicherheitsdienstes sei in ... gewesen. Er habe den Dienstgrad vergleichbar einem Oberstleutnant innegehabt. Von seinem Chef sei er informiert worden, dass ein anderer Mitarbeiter von den Taliban entführt worden sei. Bis Genaueres bekannt sei, sollten sie nicht mehr nach Hause gehen. Er habe dann in ... bei Verwandten für einige Tage übernachtet. Sie hätten dann erfahren, dass der entführte Mitarbeiter den Taliban alle Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes verraten haben muss, da ein paarmal die Taliban bei ihnen zu Hause gewesen seien. Die Taliban seien zu seinem Vater nach Hause gekommen und hätten das Haus durchsucht. Sie hätten seinen Vater geschlagen und gesagt, dass sie den Kläger suchen würden, da dieser ein Mitarbeiter der Regierung sei und durch seine Tätigkeit viele Taliban ums Leben gekommen seien. Der Kläger habe dies, als er davon erfahren habe, auch seinem Chef mitgeteilt; dieser habe jedoch gesagt, dass die Taliban sehr mächtig seien und er nicht dagegen vorgehen könne. Im Gebiet der Provinzhauptstadt habe der Kläger nicht bleiben können, da der entführte Mitarbeiter in diesem Gebiet, für das dieser zuständig gewesen sei, entführt worden sei. Zu seiner Tätigkeit führte er aus, er habe z. B. Kontakt zu einem Ladenbesitzer gehabt, der seinen Laden an der Grenze zu Pakistan gehabt habe und für sie Informationen besorgt habe. Zu diesem sei er etwa alle zwei Wochen gereist und habe Informationen geholt. Von dem Ladenbesitzer habe er auch telefonische Informationen erhalten. Zur Tarnung habe er Kindern in der Schule in ... Englisch- und Mathematikunterricht erteilt. Als er einmal von dem Ladenbesitzer informiert worden sei, dass eine Gruppe pakistanischer Taliban über die Grenze gekommen sei, habe er dies auch der in der Nähe sich befindenden amerikanischen Basis mitgeteilt. Dies habe er mehrmals getan, wenn etwas sehr Wichtiges passiert sei. Bei den Amerikanern sei er jeweils persönlich gewesen, insgesamt zweimal. Seiner Zentrale habe er telefonisch die Informationen, die er erhalten habe, weitergegeben. In einem anderen Teil Afghanistans könne er auch nicht leben, da er überall gefährdet sei.

Seine Ausreise habe er durch seine eigenen Ersparnisse finanziert; außerdem habe sein Vater Ländereien und Ersparnisse. Zunächst sei er zu seinem Cousin nach ... gegangen, wo er sich zehn Tage aufgehalten habe. Ein Schleuser habe ihn nach ... gebracht. Mit einem weiteren Schleuser sei er illegal in den Iran und von dort weiter über die Türkei nach Griechenland gelangt. Nach dortiger Inhaftierung für ca. zehn bis elf Tage sei er zurück in die Türkei gereist. Nach weiteren 20 Tagen sei er zusammen mit seinem Cousin in einem Lkw nach Deutschland verbracht worden.

Mit Bescheid vom 10. Februar 2011, am 2. März 2011 per Einschreiben zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung nach Afghanistan für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise angedroht. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.

Mit Schriftsatz vom 4. März 2011, bei Gericht eingegangen am 7. März 2011, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München mit folgendem Antrag:

Der Bescheid des Bundesamts vom 10.2.20111, Aktenzeichen ..., zugestellt am 3.3.2011, wird in Ziff. 3 aufgehoben, soweit Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 7 verneint werden.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.

Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011 wurde die Klage im Wesentlichen damit begründet, dass für die Provinz Kunar, aus der der Kläger stamme, inzwischen allgemein ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt angenommen werde, so dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Weiterhin wurden ein Dienstausweis des Klägers, ein Belobigungs- und Bestätigungsschreiben über die Tätigkeit des Klägers beim Geheimdienst, eine Urkunde über einen Kurs bei ..., eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Seminar für Englischlehrer, eine weitere Bestätigung über einen Englischkurs vom 2. Januar 2006 sowie eine Bestätigung des Ministeriums für Erziehung über den Schulabschluss in der Hochschule von ... aus 2006 vorgelegt.

Die Beklagte beantragte

Klageabweisung.

Durch Beschluss der Kammer vom 21. März 2012 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Den Beteiligten ist mit Schreiben vom 4. November 2011 mitgeteilt worden, welche Unterlagen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (Erkenntnismittelliste Nr. 423b, Stand: 17.09.2014). Weiter wurden mit Schreiben vom 9. Januar 2015 die Akte des Bundesamts zum Verfahren des Cousins des Klägers, Herrn ... (Az. ...) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Gründe

Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist vorliegend die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung der Voraussetzungen des nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl S. 3474) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337, S. 9; sog. - neuere - Qualifikationsrichtlinie), umgesetzt, die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste. In diesem Zuge wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das Asylverfahrensgesetz transferiert.

Im Hinblick auf die Unteilbarkeit der Streitgegenstände war der ursprünglich auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG, in der mündlichen Verhandlung in Anpassung an die geltende Rechtslage auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klageantrag dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Bei dem subsidiären Schutz im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG wie auch bei dem nationalen Abschiebungsschutz auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich jeweils um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris Rn. 11; U. v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - juris Rn. 16 zur früheren Gesetzeslage). Diese beiden Streitgegenstände wurden mit dem Klage vom 4. März 2011 rechtshängig. Im Hinblick auf die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der beiden Verfahrensgegenstände sind daher alle Alternativen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG und alle Anspruchsgrundlagen des nationalen Abschiebungsschutzes in den Blick zu nehmen (BVerwG, U. v. 8.9.2011, a. a. O. Rn. 16, 17); eine wirksame Beschränkung einheitlicher prozessualer Ansprüche auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen wäre gar nicht möglich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - juris Rn. 13 zu den unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverboten nach früherer Gesetzeslage). Mit der ausdrücklichen Nennung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG und des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Klageantrag hat der Kläger daher keine Begrenzung der jeweiligen Streitgegenstände vorgenommen, sondern lediglich die aus seiner Sicht besonders naheliegenden Anspruchsgrundlagen bezeichnet. Da der unionsrechtliche subsidiäre Schutz weitergehender ist, ist über ihn vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu entscheiden (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - BVerwGE 140, 319 zur früheren Gesetzeslage; vgl. auch § 31 Abs. 2 und 3 AsylVfG).

Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Februar 2011 ist rechtswidrig, soweit darin in Nr. 3 festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG a. F. hinsichtlich Afghanistans nicht vorliegt, und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO hat der Kläger in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG; vgl. auch Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Richtlinie 2011/95/EU) einen Anspruch auf eine entsprechende Feststellung bzw. nach der aktuellen Gesetzeslage auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG hinsichtlich Afghanistans (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG). Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs zu prüfen.

Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei unter anderem Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistigseelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 16).

Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).

Für die Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG gelten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG über Verfolgungs- und Schutzakteure sowie internen Schutz entsprechend. Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3c AsylVfG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Schutz vor einem ernsthaften Schaden gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylVfG wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil in einem Teil seines Herkunftslands keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder der Ausländer Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377 - in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem von ernsthaftem Schaden bedrohten Antragsteller auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylVfG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie - der humanitäre Charakter des Asyls - verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308).

Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslands und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. erleiden könnte (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b Richtlinie 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU).

Das Gericht ist auf der Grundlage des Vortrags des Klägers und des in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem Kläger zugute und das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen.

Unter Berücksichtigung seines Herkommens, seines Bildungsstands und seines Alters hält das Gericht den Vortrag des Klägers für glaubhaft. Der Kläger hat die Geschehnisse lebensnah und mit vielen Einzelheiten plausibel und überzeugend vorgetragen. Er hat in allen Verfahrensstadien hierzu nahezu vollständig übereinstimmende Angaben gemacht, die Geschehnisse unter Nennung von Einzelheiten und zusammenhängend ohne Übertreibungen dargestellt und verbliebene Unklarheiten und Widersprüche im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ohne Zögern nachvollziehbar erläutert.

Danach ist davon auszugehen, dass der Kläger vor seiner Ausreise etwa drei Jahre für den afghanischen Geheimdienst gearbeitet hat und in dieser Eigenschaft verdeckt Informationen über die Taliban, über sonstige bewaffnete Personen sowie über Drogen- und Waffenhändler gesammelt und an seinen Vorgesetzten, teilweise auch an einen Kontaktmann bei den amerikanischen Truppen weitergegeben hat. Nach der Entführung eines anderen Mitarbeiters des Geheimdienstes bestellte der Vorgesetzte des Klägers diesen zu sich und riet ihm, zunächst nicht wieder nach Hause zurückzukehren. Der Kläger hielt sich zunächst in ... auf und ging dann nach ... zu einem Cousin. Der Vater des Klägers informierte diesen dann telefonisch, dass der Vorgesetzte des Klägers angerufen und mitgeteilt habe, dass der entführte Mitarbeiter erschossen worden sei und nun die Namen weiterer Mitarbeiter des Geheimdienstes, unter anderem des Klägers, den Taliban bekannt seien. Nach Mitteilung des Vaters seien die Taliban bereits zum Haus der Familie gekommen, hätten nach dem Kläger gesucht und den Vater geschlagen. Der Kläger entschloss sich daraufhin zur Flucht und organisierte seine Flucht mit Hilfe des Cousins, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte.

Soweit sich in seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung Abweichungen gegenüber seinem Vortrag vor dem Bundesamt zeigten, hat der Kläger darauf hingewiesen, dass der Dolmetscher vor dem Bundesamt ihn teilweise nicht richtig verstanden habe. Dies erscheint vorliegend zum einen deshalb glaubhaft, weil der Kläger auf eine Abweichung schon von sich aus und ungefragt in der mündlichen Verhandlung hinwies, nämlich, dass nicht er selbst, sondern sein Vorgesetzter vom Dienstgrad her Oberstleutnant gewesen sei. Zum anderen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung das diesbezügliche Geschehen nicht gänzlich anders vorgetragen oder völlig übergangen, sondern lediglich in Details richtig gestellt. Dies betrifft zum einen das Vorbringen, dass sich der Kläger auch bei seinen Besuchen im Laden im Grenzgebiet zu Pakistan auf ein Beobachten beschränkt, nicht jedoch vom Ladenbesitzer zusätzlich telefonische Informationen erhalten habe. Ebenso stellte der Kläger richtig, dass er, wie auch vor dem Bundesamt vorgetragen, zweimal seinen Kontaktmann „...“ bei den amerikanischen Streitkräften persönlich aufsuchte, die weitere Informationsweitergabe jedoch telefonisch ablief. Auch die Tatsache, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte, dass die Taliban erfolglos mit dem entführten Mitarbeiter drei von den Amerikanern Talibankämpfer freipressen wollten und ihre Forderung über einen Brief und ein Video übermittelten, spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers. Der Kläger machte diese Angaben erst auf die ausdrückliche Frage des Gerichts, ob er wisse, was aus dem entführten Mitarbeiter geworden sei, und wie er davon erfahren habe. Da sich aus dem Protokoll der Anhörung vor dem Bundesamt nicht ergibt, dass ihm hierzu Fragen gestellt worden wären, kann ihm nicht vorgehalten werden, dass er diese Einzelheiten erst in der mündlichen Verhandlung angab.

Der Kläger hatte im Laufe des Verfahrens Dokumente zur Stützung seines Vorbringens vorgelegt, unter anderem eine beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde, seinen Dienstausweis sowie ein Belobigungsschreiben über seine Tätigkeit beim Geheimdienst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert, dass Anlass für die Ausstellung der Geburtsurkunde das Auslaufen der alten, in Form eines Heftes ausgestellten Geburtsurkunde war. Die vorgelegte Kopie wie auch das Vorbringen des Klägers zu seiner alten Geburtsurkunde stimmen überein mit den in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. März 2013 zur Tazkira beschriebenen Merkmalen. Der vorgelegte Dienstausweis trägt einen Stempel mit der Aufschrift „afghanischer Geheimdienst“, eine Ausweisnummer in afghanischen Ziffern und ein Foto des Klägers. Dass der Ausweis Name und Dienststelle auch in englischer Sprache nennt, erscheint vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit mit den ausländischen Streitkräften plausibel. Das Belobigungsschreiben trägt Briefkopf, Datum nach dem Sonnenkalender sowie denselben Stempel wie der Dienstausweis. Nach der Auskunftslage gibt es zwar in Afghanistan neben gefälschten Dokumenten auch in erheblichen Umfang echte Dokumente unwahren Inhalts (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 22). Vorliegend lässt sich jedenfalls feststellen, dass die vorlegten Dokumente mit den Angaben des Klägers übereinstimmen und keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind, die gegen die Echtheit der Dokumente sprechen (vgl. hierzu auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24.11.2008 an VG Darmstadt).

Das Gericht hat jedoch vor allem aufgrund des Vortrags des Klägers keine Zweifel daran, dass der Kläger das von ihm geschilderte Geschehen tatsächlich erlebt hat. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung die Geschehnisse mit einer Vielzahl von Details wiedergeben. So konnte er die Art und Weise seiner Tätigkeit, aber auch die von seinem Chef angebahnte Kontaktaufnahme mit seinem Ansprechpartner bei den amerikanischen Streitkräften schlüssig schildern. Darüber hinaus sprach der Kläger auch für sein Verfolgungsschicksal an sich unbedeutende Einzelheiten an, wie etwa, dass eine andere Person als sein Vorgesetzter seinen Dienstausweis ausgestellt hatte, dass das Büro seines Vorgesetzten in einem Gebäude der Polizei untergebracht war oder dass der entführte und ermordete Mitarbeiter des Geheimdienstes den vierthöchsten Rang beim Geheimdienst in Kunar bekleidet hatte.

Auch hinsichtlich des Vortrags des Klägers zur Entführung des anderen Geheimdienstmitarbeiters, zur Warnung seines Vorgesetzten und zu den vom Vater des Klägers mitgeteilten Informationen sieht das Gericht sieht keinen Anlass, am Vortrag des Klägers zu zweifeln. Die vom Bundesamt aufgeworfene Frage, woher der Vorgesetzte des Klägers überhaupt bei dem Gespräch mit dem Kläger gewusst habe, dass der andere Mitarbeiter von den Taliban entführt worden sei, dürfte vom Kläger kaum abschließend zu beantworten sein. Nach der Erkenntnislage sind Regierungsmitarbeiter immer wieder Ziel von Angriffen der Taliban (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 15/16; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 34 ff., zu Mitarbeitern des afghanischen Inlandsgeheimdienstes S. 38 f.); es erscheint daher durchaus möglich, dass der Vorgesetzte des Klägers wenige Tage nach dem Verschwinden des anderen Mitarbeiters Kenntnis erhielt oder zumindest den starken Verdacht hatte, dass dieser Mitarbeiter von den Taliban entführt worden war. Aus dem Vorbringen des Klägers, die Taliban hätten (nach dem Gespräch des Klägers mit seinem Vorgesetzten) die Forderung gestellt, dass im Austausch für den Entführten von den Amerikanern festgehaltene Taliban freikämen, ergibt sich zudem, dass zumindest später klar wurde, was mit dem anderen Mitarbeiter geschehen war. Der Vortrag des Klägers, sein Vater habe von seinem Vorgesetzten erfahren, dass den Taliban die Namen weiterer Geheimdienstmitarbeiter bekannt geworden seien, erklärt, warum der Kläger davon ausgeht, nun enttarnt und damit Zielscheibe der Taliban zu sein. Soweit der Kläger diesbezüglich auf einen seinem Vorgesetzten zugesandten Brief und ein Video der Taliban verweist, kann nach Auffassung des Gerichts dem Kläger nicht entgegen gehalten werden, dass er hierzu keine näheren Details nennen konnte, da er diese Informationen selbst nur aus zweiter Hand erhalten hatte. Auch die Darstellung des Klägers, er habe zwar den entführten Mitarbeiter nicht gekannt, er gehe aber aufgrund von dessen gehobener Position davon aus, dass dieser ihn gekannt habe, erscheint nachvollziehbar. Weiter spricht es aus Sicht des Gerichts nicht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers, dass sein Vorgesetzter ihm zwar geraten hatte, nicht nach Hause zu gehen, er selbst aber noch in seinem Büro war. Der Kläger wies darauf hin, dass er während seines Aufenthalts bei Verwandten mehrmals erfolglos versucht habe, seinen Chef telefonisch zu erreichen; es erscheint daher durchaus möglich, dass auch der Vorgesetzte des Klägers zu diesem Zeitpunkt Maßnahmen getroffen hatte, um sich vor Anschlägen der Taliban zu schützen. Schließlich hat das Gericht auch keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags zum Auftauchen der Taliban im Hause seiner Familie. Der Kläger führte aus, die Taliban seien bei seiner Familie erschienen, hätten ihn gesucht und seinen Vater geschlagen; seine Geheimdiensttätigkeit sei daher auch anderen Dorfbewohnern bekannt geworden. Der Mangel an näheren Details zu diesem Vorkommnis erklärt sich zum einen daraus, dass der Kläger selbst nicht zugegen war. Zum anderen erscheint es angesichts der von seinem Vater geschilderten Geschehnisse auch nicht unbedingt naheliegend, noch weitere Details zu diesem Vorfall zu erfragen, nachdem der Kläger wohl allein aufgrund dieser Umstände in Verbindung mit der Ermordung seines Kollegen von einer unmittelbaren Gefahr für sich ausging. Auch zur Organisation seiner Ausreise erscheinen die Angaben des Klägers glaubhaft. Danach hat ihm hierbei sein in ... lebender Cousin geholfen. Nach Auffassung des Gerichts erscheint es bei der vom Kläger angegebenen Verweildauer von zehn Tagen in ... möglich, in dieser Zeit die Ausreise zu organisieren. Schließlich sind auch die Bezugnahmen des Bevollmächtigten des Klägers im Schreiben vom 9. April 2010 auf das Vorbringen des Cousins des Klägers nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers selbst vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung in Zweifel zu ziehen. Das Schreiben des Bevollmächtigten wurde unmittelbar nach Einreise des Klägers und seines Cousins in das Bundesgebiet erstellt; die Bezugnahme auf das Vorbringen des Cousins des Klägers dient ersichtlich nur dazu, das Geschehen um die Flucht der beiden Cousins, das sich in Teilen überschneidet, im Groben zu umreißen, nicht aber auch schon das Verfolgungsgeschehen des Klägers detailliert wiederzugeben.

Nach Einschätzung des Gerichts muss der Kläger unmenschliche Behandlung bis hin zur Ermordung durch die Taliban befürchten. Das Auftauchen der Taliban beim Haus der Familie des Klägers, die Schläge gegen seinen Vater und die von den Taliban geäußerten Vorwürfe gegen den Kläger, für die Regierung zu arbeiten und für den Tod von Talibankämpfern mitverantwortlich zu sein, zeigen, dass die Taliban entschlossen waren, den Kläger für seine Tätigkeit beim Geheimdienst zur Rechenschaft zu ziehen. Nach der Auskunftslage greifen die Taliban systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft unterstützen oder mit diesen verbunden sind (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 34 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 15/16); auch Mitarbeiter des afghanischen Inlandsgeheimdienstes sind dabei Ziel von Anschlägen. Berichtet wird dabei von vielen Fällen der Ermordung oder Verstümmelung; auch Familienangehörige, selbst Kinder von Personen, die für die afghanischen nationalen Sicherheitskräften arbeiten, wurden zum Ziel von Angriffen der Taliban (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 39). Die Auskünfte, aber auch das vom Kläger geschilderte Schicksal seines Kollegen zeigen, dass Personen, die von den Taliban der Mitarbeit bei der Regierung verdächtigt werden, nicht lediglich schikaniert oder eingeschüchtert werden, sondern mit schweren Körperverletzungen bis hin zu ihrer Ermordung rechnen müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht auf der Grundlage des Vortrags des Klägers überzeugt, dass ihm im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht.

Die Taliban sind Akteure im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3 c Nr. 3 AsylVfG von denen die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen kann. Der Kläger wäre vor der ihm drohenden konkreten Gefahr auch durch den Staat nicht hinreichend geschützt. Eine Schutzfähigkeit des Staates vor Übergriffen Dritter ist im Hinblick auf die Verhältnisse im Herkunftsland des Klägers nicht gegeben. Wegen des schwachen Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan häufig ohne Sanktionen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand März 2013, S. 13 f). Die nationale Polizei (ANP) wird bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz ihrer Aufgabe trotz erster Fortschritte insgesamt noch nicht gerecht. Auch wenn zwischenzeitlich der quantitative Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte voran geht, so kann der qualitative Aufwuchs hiermit nicht Schritt halten (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Januar 2012, S. 11 f.). Dementsprechend muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die ANP daher insgesamt noch kein Stabilitätsfaktor ist, sondern an vielen Orten sogar ein Unsicherheitsfaktor, in den die Bevölkerung wenig Vertrauen setzt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Februar 2011, S. 12 f). Schwächen der „Afghan National Police“ sind dabei auch Korruption und Bestechung. In dem Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hierzu wird ausgeführt, die Tatsache, dass die Polizeikräfte äußerst korrupt seien, zeige sich auch darin, dass verhaftete Personen teilweise selbst dann, wenn Beweise für eine Tat vorlägen, am nächsten Tag wieder freigelassen würden. Diesbezüglich habe sich auch die deutsche Bundeswehr mehr als einmal empört gezeigt über die Freilassung von Verdächtigen, welche sie den afghanischen Behörden übergeben hätten. Weiter sei bekannt, dass afghanische Sicherheitskräfte, welche in abgelegenen Gebieten stationiert seien, den Taliban teilweise Informationen lieferten, um im Gegenzug dazu nicht von diesen angegriffen zu werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Schutzfähigkeit der Afghan National Police und Sicherheitssituation in Kabul, 20.10.2011; S. 5). Auch sei die Polizei in massive Menschenrechtsverletzungen verwickelt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe a. a. O., S. 6). Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger keinen wirksamen Schutz von staatlicher Seite, sei es durch die Polizei, sei es durch sonstige Strafverfolgungsbehörden, erlangen könnte.

Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem Kläger zugute, da der Kläger vor seiner Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bereits unmittelbar bedroht war. Das vom Kläger geschilderte Auftauchen der Taliban bei seiner Familie, die geäußerten Vorwürfe gegen den Kläger und die Schläge gegen seinen Vater zeigen, dass nur die Tatsache, dass der Kläger nicht zu Hause war, ihn davor bewahrt haben, von den Taliban misshandelt oder getötet zu werden. Das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Taliban mittlerweile eine versöhnlichere Haltung gegenüber Regierungsmitarbeitern einnehmen würden.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter des Geheimdienstes an Handlungen beteiligt war, die zu einem Ausschluss des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 2 AsylVfG, führen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers bestand seine Tätigkeit für den Geheimdienst ausschließlich im Beobachten und gesprächsweisen Sammeln von Informationen.

Für den Kläger besteht auch keine inländische Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e AsylVfG). Auch insoweit kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zugute. Die Auskunftslage lässt nicht den gesicherten Schluss zu, dass der Kläger in anderen Landesteilen vor den Taliban sicher wäre. Nach den Erkenntnissen des UNHCR ist zu bedenken, dass einige Befehlshaber und bewaffnete Gruppen sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene agieren. In einigen Fällen sind sie eng mit der örtlichen Verwaltung verbunden, während sie in anderen Fällen Verbindungen zu mächtigeren und einflussreichen Akteuren einschließlich auf der zentralen Ebene verfügen und von diesen geschützt werden. Der Staat ist hierbei nicht in der Lage, Schutz vor Gefahren, die von diesen Akteuren ausgehen, zu gewährleisten. Die Verbindungen zu anderen Akteuren kann - abhängig vom Einzelfall - eine Person einer Gefahr aussetzen, die über das Einflussgebiet eines lokalen Befehlhabers hinausgeht, einschließlich in Kabul. Sogar in einer Stadt wie Kabul, die in Viertel eingeteilt ist, wo sich die Menschen zumeist untereinander kennen, bleibt eine Verfolgungsgefahr bestehen, da Neuigkeiten über eine Person, die aus einem anderen Landesteil oder dem Ausland zuzieht, potentielle Akteure einer Verfolgung erreichen können (UNHCR, Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 30.11.2009, S. 4). Dass die Taliban auch in Kabul agieren und dort Unterstützer haben, zeigen insbesondere die wiederholten Anschläge, die trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen von den Taliban in Kabul verübt werden. Nach einem im September 2011 für das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum „LandInfo“ veröffentlichten Bericht haben die Taliban ihre Operationen zur Beschaffung von Informationen laufend ausgeweitet. Einige Teile des Landes, vor allem der Süden aber auch der Südosten, der Osten sowie die Provinzen südlich und westlich von Kabul (Wardak, Logar), würden vollständig abgedeckt und dort gebe es wenig, was die Taliban nicht wüssten. Dies sei nicht zuletzt auf die weitgehende Infiltrierung der Polizei und der staatlichen Verwaltung zurückzuführen (vgl. Zitierung bei Accord: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen, 15.2.2013, S. 3).

Nach alledem war der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG stattzugeben. Über den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG war aufgrund des Eventualverhältnisses nicht mehr zu entscheiden.

Weiter waren die Nrn. 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom 10. Februar 2011 aufzuheben. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung von subsidiären Schutz lässt die negative Feststellung des Bundesamts, auch soweit sie die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft, angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 19/96 - BVerwGE 104, 260) gegenstandslos werden, so dass der ablehnende Bescheid auch insoweit in Nr. 3 aufzuheben ist. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (vgl. die Ausführungen in Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2014, § 34 AsylVfG Rn. 83 zur alten Rechtslage, die im Hinblick auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylVfG auf die Gewährung von subsidiären Schutz übertragbar sind).

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 07.09.2011 wird in Nr. 3 insoweit aufgehoben, als festgestellt wurde, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 3 AufenthG a.F. (§ 60 Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 AsylVfG n.F.) nicht vorliegt, und in Nr. 4 insoweit aufgehoben, als die Abschiebung nach Pakistan angedroht wurde.

Die Beklagte wird verpflichtet, festzustellen, dass zu Gunsten des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 AsylVfG hinsichtlich Pakistans vorliegt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 5/6, die Beklagte zu 1/6; Gerichtskosten werden nicht erhoben.


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(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

Gründe

Bayerisches Verwaltungsgericht Würzburg

W 2 K 14.30213

Im Namen des Volkes

Urteil

vom 17. November 2015

2. Kammer

Sachgebiets-Nr: 710

Hauptpunkte: Nigeria; Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution; soziale Gruppe; Schutzunfähigkeit des Staates

Rechtsquellen:

In der Verwaltungsstreitsache

...

- Klägerin -

bevollmächtigt: ...

gegen

Bundesrepublik Deutschland,

vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Zirndorf, Rothenburger Str. 29, 90513 Zirndorf,

...,

- Beklagte -

beteiligt:

Regierung von Unterfranken als Vertreter des öffentlichen Interesses

wegen Asylrechts

erlässt das Bayerische Verwaltungsgericht Würzburg, 2. Kammer, durch die Richterin Wolff als Einzelrichterin aufgrund mündlicher Verhandlung vom 4. November 2015 am 17. November 2015 folgendes Urteil:

I.

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Januar 2014 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

II.

Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand:

I.

Die Klägerin ist nigerianische Staatsangehörige vom Volke der Edo und christlichen Glaubens (Pfingstbewegung). Sie wurde nach eigenen Angaben am ... 1994 in Benin City, Nigeria, geboren. Sie reiste am 8. Mai 2013 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach ihrer Einreise wandte sich die Klägerin an die Fachberatungsstelle „Solwodi“ in München. Das Kriminalfachdezernat 3 München, Kommissariat 35, führte ein Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung durch, in dem die Klägerin als Zeugin aussagte (Az.: BY 8635-002261-13/5). Die Tochter der Klägerin (Klägerin im abgetrennten Verfahren W 2 K 15.30746) wurde am ... 2013 in Bad Kissingen geboren. Die Klägerin sowie ihre Tochter beantragten am 2. Januar 2014 Asyl.

In ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 2. Januar 2014 gab die Klägerin an: Sie sei im Alter von 17 Jahren von einer Bekannten, Frau M., unter falschen Versprechungen nach Italien gelockt worden. In der Ortschaft San Benedetto habe sie in völliger Abhängigkeit und in permanenter Überwachung für Frau M. zwei Jahre lang der Prostitution nachgehen müssen. Sie habe Schulden in Höhe von 40.000,00 Euro für die Schleusung nach Italien abarbeiten sollen. Durch ein zur Bekräftigung ihrer eingegangenen Verpflichtungen noch in Nigeria veranstaltetes „Juju-Ritual“ habe sie sich nach ihrer Vorstellung in die Hand ihrer Gläubiger begeben. Als sie schließlich schwanger geworden sei, hätte sie Frau M. zu einer Abtreibung zwingen wollen. Nach einer missglückten Medikamentengabe habe sie mit der Bahn die Flucht nach Deutschland angetreten. Eine Rückkehr nach Nigeria sei nicht möglich. Ihre Eltern seien verstorben und sie habe keinen Beruf erlernt. Frau M. unterhalte weiterhin rege Kontakte nach Nigeria. Bei einem erneuten Aufeinandertreffen habe sie aufgrund des Juju-Zaubers mit schlimmen Folgen zu rechnen. In Nigeria könne sie keinen Schutz vor der Zuhälterin und ihrem Netzwerk erhalten.

Mit Bescheid vom 27. Januar 2014, der Klägerin zugestellt am 13. Februar 2014, erkannte das Bundesamt der Klägerin sowie ihrer Tochter (Klägerin im abgetrennten Verfahren W 2 K 15.30746) den subsidiären Schutzstatus zu. Nach dem Ergebnis des polizeilichen Ermittlungsverfahrens bestünden keine berechtigten Zweifel, dass die Klägerin Opfer eines schweren Menschenhandels (§ 232 StGB) mit Tatort Italien geworden sei. Im Übrigen wurden die Asylanträge abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass der Klägerin in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden i. S. v. § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylVfG drohe. Hingegen seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte nicht gegeben. Die bei einer Rückkehr nach Nigeria für die Klägerin anzunehmende Verfolgungsgefahr knüpfe nicht an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe an.

II.

Dagegen ließen die Klägerin und ihre Tochter (Klägerin im abgetrennten Verfahren W 2 K 15.30746) mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 25. Februar 2014, eingegangen bei Gericht am 26. Februar 2014, Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erheben.

Zur Begründung ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten im Wesentlichen ausführen:

Der Klägerin drohe, bei einer Rückkehr erneut in die Hände von Menschenhändlern zu geraten. Diese würde verlangen und zwangsweise durchsetzen, die Rückzahlungsverpflichtung hinsichtlich ihrer Schulden in Höhe von 40.000,00 Euro für die Schleusung nach Europa „abzuarbeiten“. Zudem drohten der Klägerin eventuelle Vergeltungsmaßnahmen wegen ihrer Aussage als Zeugin im Ermittlungsverfahren in Italien, sofern daraufhin noch Täter ermittelt würden. Aufgrund des Glaubens an den Juju-Zauber fürchteten die Betroffenen im Falle des Ungehorsams um ihr Leben. Diese Bedrohung im Falle der Rückkehr sei als Verfolgung i. S. d. § 3 AsylG zu erachten und knüpfe allein an das Geschlecht der Klägerin an. Bei einer Rückkehr nach Nigeria drohten der Klägerin mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Als soziale Gruppe sei die Untergruppe der nach Nigeria rückkehrenden Frauen zu erachten, die Opfer von Menschenhandel geworden seien und sich hiervon befreit hätten. Staatliche oder staatsähnliche Akteure einschließlich internationaler Organisationen seien nicht in der Lage oder willens, Schutz vor der landesweit drohenden Verfolgung zu bieten.

Die Klägerin ließ durch ihren Bevollmächtigten beantragen;

unter entsprechender Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. Januar 2014, Az.: 5710694-232, die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom 2. Juli 2014 brachte die Beklagte eine Mitteilung des Bundeskriminalamtes Wiesbaden/SO 13 (Analyse Menschenhandel) zur Vorlage. Danach seien die von der Klägerin übersandten Fingerabdrücke am 13. August 2009 in Ascoli Piceno (Italien) im Rahmen einer Visa-Antragstellung („permesso di soggiorno“) unter den Personalien M. B. M. S., geboren am ... 1991 in Brazzaville (Kongo), behandelt worden.

Mit Beschluss vom 25. Juni 2015 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen. Mit Beschluss vom 2. September 2015 lehnte das Gericht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab. Mit Schreiben vom 4. September 2015 wurden die Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gehört.

Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2015 hob der Klägerbevollmächtigte hervor, es gehe um die grundsätzliche Frage, ob und inwieweit Frauen, die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution geworden seien, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Zudem brachte er eine in Zusammenarbeit mit dem Verein Solwodi Bayern e.V. angefertigte Stellungnahme der Klägerin vom 23. September 2015 zur Vorlage. Darin bestätigt die Klägerin die Korrektheit der in der persönlichen Anhörung gegenüber dem Bundesamt angegebenen Daten. Sie sei bereits im Jahr 2009 im Alter von fünfzehn Jahren von Frau M. nach Italien gebracht und zur Tätigkeit als Prostituierte gezwungen worden. Frau M. habe ihr einen Pass mit der Identität einer aus dem Kongo stammenden Frau besorgt, die ihr ähnlich gesehen habe. Der Verein Solwodi Bayern e.V. bestätigte zudem, dass es sich bei der Klägerin um eine nigerianische Staatsangehörige handele.

Mit Beschluss, erlassen in der mündlichen Verhandlung am 4. November 2015, wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Koch bewilligt. Mit Beschluss vom 4. November 2015 wurde zudem vom Verfahren W 2 K 14.30213 das Verfahren der Tochter der Klägerin abgetrennt und unter dem Az.: W 2 K 15.30746 fortgeführt.

Es wurden verschiedene Erkenntnismittel zu Nigeria (Stand Oktober 2015) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, auf die Bezug genommen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der vorgelegten Behördenakte, insbesondere auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 4. November 2015, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die auch in Abwesenheit eines Vertreters der Beklagten verhandelt und entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.

Die Klägerin hat Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Der Bescheid des Bundesamtes vom 27. Januar 2014 ist insoweit rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Nach § 77 Abs. 1 AsylG ist vorliegend das Asylgesetz in der ab24. Oktober 2015 geltenden, durch Art. 1 Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722) geschaffenen Fassung anzuwenden.

Gemäß § 3 Abs. 4 i. V. m. Abs. 1 AsylG besteht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn sich der Ausländer aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt oder dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will und er keine Ausschlusstatbestände erfüllt. In den §§ 3a bis 3e AsylG sind in Umsetzung von Art. 6 bis 10 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337/9 vom 20.12.2011) - QRL - (vgl. BT-Drs. 17/13063 S. 19) die Voraussetzungen für Verfolgungshandlungen, Verfolgungsgründe, Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann und Akteure, die Schutz bieten können, und für internen Schutz geregelt. Nach § 3a Abs. 1 AsylG gelten als Verfolgung i. S. des § 3 Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - (BGBl. 1952 - II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).

Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen befindet sich die Klägerin aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb ihres Herkunftslandes. Ihr droht im Falle einer Rückkehr nach Nigeria mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung i. S. d. § 3a Abs. 1 AsylG durch nichtstaatliche Akteure, vor denen sie keinen wirksamen Schutz durch den nigerianischen Staat erlangen kann. Der Klägerin steht auch keine innerstaatliche Fluchtalternative i. S. d. § 3e AsylG zur Verfügung.

1.1 Frauen (und Kinder) sind in Nigeria verstärkt Opfer von Menschenhändlern, die sie zur Ausübung der Prostitution ins Ausland verschleppen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 28.11.2014, Stand: September 2014, S. 16; ACCORD, Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.6.2011, S. 11 f.). Im Rahmen der Anwerbung werden die Opfer über die tatsächliche Betätigung sowie die nahezu vollständige Einbehaltung ihrer Einnahmen getäuscht. Ihnen wird die Vermittlung von regulären Arbeitsmöglichkeiten vorgespiegelt. Dementsprechend gehen die Opfer davon aus, in Europa ihre Lebensbedingungen verbessern zu können (VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 9). In der Vergangenheit bildete der nigerianische Bundestaat Edo (Hauptstadt Benin City) die Hauptherkunftsregion der Opfer. Im Jahr 2010 stellte Italien das Land mit der höchsten Zahl von nigerianischen Zwangsprostituierten dar. Voodoo-Praktiken (bzw. Juju-Magie) kommt im Rahmen der Versklavung, die vornehmlich von Zuhälterinnen („Madames“) initiiert wird, eine besondere Relevanz zu. In Nigeria ist der Glaube an Voodoo weit verbreitet. Diese traditionellen Vorstellungen werden von Menschenhandelsnetzwerken zum Zwecke der Einschüchterung der Opfer sowie zu deren Manipulation eingesetzt. Bei Voodoo handelt es sich um eine Religion, die von rituellen Schwüren geprägt ist. Anhand der Voodoo-Praktiken (bzw. der Juju-Magie) wird ein enormer psychischer Druck auf das jeweilige Opfer ausgeübt. Die Menschenhändler kooperieren mit Juju-Priestern, um eine Bindung der Opfer sowie die Ablegung eines Schweigegelübdes zu erreichen. Regelmäßig schließt die „Madame“ mit dem Opfer einen „Auswanderungsvertrag“. Die „Madame“ erklärt sich zur Übernahme der Reisekosten sowie zur Organisation der Reise nach Europa bereit, während das Opfer verspricht, das Geld zurückzuzahlen, den Menschenhändlern bedingungslos untergeben zu sein und sie nicht bei der Polizei anzuzeigen. Dem Opfer wird im Rahmen des „Auswanderungsvertrags“ ein die Kosten der „Madame“ erheblich übersteigender Geldbetrag abverlangt. Die Vereinbarung wird mithilfe eines Voodoo-Priesters im Rahmen einer Zeremonie besiegelt. Sowohl in Europa als auch in Nigeria wird durch das Netzwerk der „Madames“ auf die Opfer und deren Familien ein erheblicher Druck ausgeübt, um die Rückzahlung der hohen Schulden zu bewerkstelligen. Den Opfern wird nach der Ankunft in Europa deutlich gemacht, dass eine Abbezahlung der Schulden gegenüber der „Madame“ nur mittels Prostitution möglich sei. Die Opfer unterliegen einer umfassenden Kontrolle, was für sie eine psychische Zwangslage begründet. Im Falle von Verstößen gegen die Vorgaben des Menschenhändlernetzes drohen sowohl dem Opfer als auch dessen Angehörigen in Nigeria Konsequenzen, die von Einschüchterungsversuchen bis hin zu physischen Angriffen und Mord reichen können (umfassend Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Informationszentrum Asyl und Migration - Nigeria - Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern aus Nigeria, Dezember 2011; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Nigeria vom 4.4.2014, Ziff. 3; ACCORD, Nigeria - Traditionelle Religion, Okkultismus, Hexerei und Geheimgesellschaften, Bericht vom 17.6.2011, S. 7; ACCORD, Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.6.2011, S. 11 f.; VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 9 f.).

Vorliegend hat die aus Benin City stammende Klägerin sowohl bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung glaubhaft gemacht, dass sie unter Einsatz des Juju-Zaubers von Frau M. nach Italien verbracht und dort zur Prostitution zum Zwecke der Abarbeitung von angeblichen Schulden gezwungen wurde. Das Bundesamt ist in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Januar 2014 davon ausgegangen, dass aufgrund der Erkenntnisse aus dem polizeilichen Ermittlungsverfahren die Klägerin Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung geworden ist. Die Klägerin hat im Übrigen schlüssig und ohne Widersprüche dargelegt, dass sie sich Frau M. anvertraute, weil sie aufgrund des Verlustes ihrer Eltern auf Hilfe angewiesen war und nicht mit einer Tätigkeit als Prostituierte rechnete. Erst in Europa offenbarte ihr Frau M. unter Androhung des Juju-Zaubers den Einsatz im Prostitutionsgewerbe. Eine Flucht war der Klägerin erst möglich, als Frau M. das Wohnhaus verließ, um eine Abtreibung für die Klägerin zu veranlassen. Der Vortrag der Klägerin deckt sich im Wesentlichen mit den Erkenntnissen über den Menschenhandel in Nigeria zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung (umfassend Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Informationszentrum Asyl und Migration - Nigeria - Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern aus Nigeria, Dezember 2011).

Der Überzeugung des Gerichts, dass der Vortrag der Klägerin der Wahrheit entspricht, steht die Mitteilung des Bundeskriminalamtes vom 1. Juli 2014, wonach die Fingerabdrücke der Klägerin am 13. August 2009 in Ascoli Piceno behandelt und unter den Personalien M. B. M. S., geboren am ... 1991 in Brazzaville im Kongo, geführt worden waren, nicht entgegen. Die Klägerin hat überzeugend dargelegt, dass Frau M. sämtliche Vorgänge mit den Behörden in die Wege geleitet habe. Auch hat sie ausgeführt, dass sie in Italien Fingerabdrücke habe abgeben müssen, aber nicht wisse, unter welchem Namen dies erfolgt sei. Dieses Vorgehen deckt sich insoweit mit den vorliegenden Erkenntnissen, wonach zur Einschleusung der Opfer nach Europa unter anderem der eine Aufenthaltserlaubnis enthaltende Reisepass einer im Zielland aufhältigen, dem Opfer ähnelnden Person, eingesetzt wird (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Informationszentrum Asyl und Migration - Nigeria - Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung von Frauen und Kindern aus Nigeria, Dezember 2011, S. 10). Auch befindet sich der von der Klägerin angegebene Aufenthaltsort San Benedetto in der Provinz Ascoli Piceno (Region Marken). Gleichermaßen erscheint es aufgrund des geringen Bildungsgrades der Klägerin nachvollziehbar, dass sie sich bereits 2009 und nicht, wie im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt angegeben, erst 2011 in Italien aufhielt. Insbesondere hat die Klägerin bereits in der Anhörung angegeben, sie könne eine Einreise nach Italien im Jahr 2011 nicht bestätigen, da sie sich nicht an das genaue Datum erinnern könne. Auch hat der Verein Solwodi e.V. mit Schreiben vom 23. September 2015 bestätigt, dass es sich bei der Klägerin um eine nigerianische Staatsangehörige handele.

Dementsprechend wäre die Klägerin bei einer Rückkehr nach Nigeria unter Zugrundelegung der vorliegenden Erkenntnismittel konkret gefährdet, indem das Frau M. umspannende Menschenhändlernetzwerk sie zur Abarbeitung ihrer noch nicht abbezahlten Schulden im Wege der Prostitution zwingen oder ihr physische Gewalt bis hin zu einer Tötung antun würde.

1.2 Die Verfolgungsgefahr knüpft entgegen der Auffassung des Bundesamtes an die Zugehörigkeiten der Klägerin zu einer bestimmten sozialen Gruppe an.

1.2.1 Nach § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten (a) und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (b). Eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG a. E.).

Ein unveränderbarer Hintergrund i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegt vor, wenn an ein Verhalten in der Vergangenheit angeknüpft wird, das wegen Zeitablaufs in seiner Bedeutung und seinen Folgen nicht mehr wesentlich beeinflusst oder rückgängig gemacht werden kann (Marx, ZAR 2005, 177).

1.2.2 Das Gericht schließt sich der Auffassung an, wonach nach Nigeria zurückkehrende Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind und sich hiervon befreit haben (und gegen diese ausgesagt haben), eine soziale Gruppe i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG bilden (VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 12; VG Wiesbaden, U. v. 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A - juris). Es handelt sich nicht um eine allein an das Geschlecht anknüpfende Verfolgung, da nicht alle Frauen in Nigeria dieser Verfolgungsgefahr unterliegen. Vielmehr ist eine Untergruppe betroffen, bei der geschlechterbezogene Aspekte von Relevanz sind, die aber nicht allein für diese Gruppe prägend sind (VG Wiesbaden, U. v. 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A - juris).

Entgegen der Auffassung des Bundesamtes besteht auch eine deutlich abgegrenzte Identität der Gruppe i. S. d. § 3b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AsylG. Dies setzt voraus, dass die Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (externes Erfordernis). Maßgeblich ist demnach die Sichtweise der Gesellschaft (Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3b Rn. 21). Die Identität muss die Gruppe innerhalb der Gesellschaft erkennbar und damit von anderen Gruppen unterscheidbar machen. Hingegen ist kein innerer Zusammenhalt der Gruppe erforderlich (Marx, ZAR 2005, 177/178). Das Gericht teilt nicht die Auffassung, wonach aufgrund der regelmäßig in einer individuellen Täter-Opfer-Beziehung erfolgenden Bedrohungen ein Gruppenbezug der Verfolgungshandlungen abzulehnen sei (so aber VG Gelsenkirchen, U. v. 15.3.2013 - 9a K 3963/11.A - juris). Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in seinem Urteil vom 14. März 2011 (VG Wiesbaden, U. v. 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A - juris unter Verweis auf Schweizerische Flüchtlingshilfe, Nigeria Update vom März 2010; ebenso VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 12) zutreffend ausgeführt, dass rückgeführte Opfer Diskriminierungen durch die Familie und das soziale Umfeld sowie Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt sind. Die Opfer werden im Falle der Aussage gegen die Menschenhändler bedroht und laufen zudem Gefahr, erneut Opfer von Menschenhandel zu werden. Hieraus geht hervor, dass es sich um eine nach außen von der Gesellschaft wahrnehmbare und ausgegrenzte Gruppe handelt. Dieser Befund steht auch im Einklang mit den Richtlinien des UNHCR zum Schutz von Opfern von Menschenhandel. Danach können frühere Opfer von Menschenhandel aufgrund ihres unabänderlichen gemeinsamen und in der Vergangenheit begründeten Merkmals, Opfer von Menschenhandel geworden zu sein, als eine bestimmte soziale Gruppe erachtet werden, wobei die vergangene Erfahrung des Menschenhandels eines der die Gruppe definierenden Elemente darstellt (UNHCR Richtlinien zum Schutz von Opfern von Menschenhandel und entsprechend gefährdeter Personen vom 7. April 2006, Rn. 38 f.; ebenso Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3b Rn. 59).

1.3 Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat (Nr. 1), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2) oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). Die Verfolgung geht hier von nichtstaatlichen Akteuren in Gestalt der Menschenhändler aus (§ 3c Nr. 3 AsylG). Neben den Vergeltungsmaßnahmen durch das Netzwerk der „Madames“ sind rückgeführte Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution Diskriminierungen durch die Familie und das soziale Umfeld ausgesetzt. Von derartigen Diskriminierungen geht auch das Bundesamt in dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Januar 2014 aus (s.a. UNHCR Richtlinien zum Schutz von Opfern von Menschenhandel und entsprechend gefährdeter Personen vom 7. April 2006, Rn. 19; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3b Rn. 60). Der nigerianische Staat ist nicht in der Lage, der Klägerin einen hinreichenden Schutz vor dieser drohenden Verfolgung zu gewähren. Im Jahr 2003 wurde in Nigeria, das eines der größten Herkunftsländer von Opfern des Menschenhandels in der Europäischen Union darstellt, die Nationale Agentur für die Verhinderung von Menschenhandel („National Agency for the Prevention of Trafficking in Persons“, NAPTIP) gegründet. Nach eigenen Angaben hat NAPTIP seit 2008 die Verurteilung von mindestens 120 Menschenhändlern erreicht. Allerdings sind diese Maßnahmen unzureichend, um einen ausreichenden Schutz des Staates vor Verfolgung i. S. d. § 3c Nr. 3 AsylG zu gewährleisten (vgl. VG Wiesbaden, U. v. 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A - juris; VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 13; s.a. VG Gelsenkirchen, U. v. 15.3.2013 - 9a K 3963/11.A - juris). Denn sowohl NAPTIP als auch der National Immigration Service und UNODC gehen von einer weitaus höheren Dunkelziffer des Menschenhandels aus. Dem pflichtet auch das Auswärtige Amt bei. Im März 2014 erhöhte der Senat zwar die Strafen für den Handel mit Sklaven. Die Zustimmung durch das Repräsentantenhaus und die Unterschrift des Präsidenten für das betreffende Änderungsgesetz stehen jedoch noch aus (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 28.11.2014, Stand: September 2014, S. 21; s.a. Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.6.2011, S. 11 f.). Zudem besteht im Hinblick auf das Schutzversagen auch ein Unterschied zu anderen Kriminalitätsopfern. Denn Frauen werden in Nigeria trotz formaler Gleichberechtigung in vielen Rechts- und Lebensbereichen diskriminiert. Insbesondere im Südosten werden Frauen Opfer von Vergewaltigungen durch Polizei und Sicherheitskräfte (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 28.11.2014, Stand: September 2014, S. 15 f.; s. a. VG Wiesbaden, U. v. 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A - juris; ACCORD, Nigeria - Frauen, Kinder, sexuelle Orientierung, Gesundheitsversorgung, 21.6.2011, S. 17).

1.4 Für die Klägerin besteht auch keine interne Schutzalternative im Sinne des § 3e Abs. 1 AsylG. Nach § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat (Nr. 1) und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (Nr. 2). Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden kann, dass für die Klägerin, deren Eltern verstorben sind, in einem Landesteil keine begründete Furcht vor Verfolgung oder ein hinreichender Zugang zu Schutz vor Verfolgung besteht. Alleinstehende Frauen sind im muslimischen Norden, aber auch in anderen Landesteilen Diskriminierungen ausgesetzt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 28.11.2014, Stand: September 2014, S. 17). Dies gilt umso mehr für rückgeführte Opfer von Menschenhandel, die als ehemalige Prostituierte stigmatisiert werden und auch keine Unterstützung von ihrer Familie erwarten können (hierzu VG Wiesbaden, U. v. 14.3.2011 - 3 K 1465/09.WI.A - juris; VG Stuttgart, U. v. 16.5.2014 - A 7 K 1405/12 - UA S. 13 f.). Darüber hinaus wäre die Klägerin mit ihren nunmehr drei Kindern mit erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten konfrontiert. Zum einen gestaltet sich die Wirtschaftslage als schwierig. Rund 65% der nigerianischen Bevölkerung leben nach Schätzungen des United Nations Development Programme (UNDP) unter der Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag. Des Weiteren kommt familiären Bindungen in der nigerianischen Gesellschaft eine erhebliche Bedeutung zu. Ohne ein derartiges soziales Netz ist es nach den Angaben des Auswärtigen Amtes für eine Einzelperson praktisch unmöglich, Fuß zu fassen. Des Weiteren schließen die meisten Bundesstaaten Zuwanderer aus anderen Gebieten von politischer und staatlicher Unterstützung aus (umfassend Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria vom 28.11.2014, Stand: September 2014, S. 18). Dementsprechend hätte die über nur eine geringe Schulbildung verfügende Klägerin mit drei Kleinkindern im Falle der Niederlassung in einem anderen Landesteil ein Dasein unterhalb des Existenzminimums zu erwarten.

Nach alledem war der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).

3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb von 1 Monat nach Zustellung des Urteils schriftlich beim Bayerischen Verwaltungsgericht Würzburg,

Hausanschrift: Burkarderstraße 26, 97082 Würzburg, oder

Postfachanschrift: Postfach 11 02 65, 97029 Würzburg,

zu beantragen. Hierfür besteht Vertretungszwang.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind Rechtsanwälte, Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder die in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen.

Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Berufung kann nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil von einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

Beschluss:

Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Koch, Würzburg, bewilligt.

Gründe:

Wie sich aus oben stehenden Urteilsgründen ergibt, hat die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg, auch die übrigen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor.

Rechtsmittelbelehrung:

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) In den sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist 30 Tage. Im Falle der Klageerhebung endet die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens.

(2) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags vor der Entscheidung des Bundesamtes oder der Einstellung des Verfahrens beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist eine Woche.

(3) Im Falle der Rücknahme des Asylantrags oder der Klage oder des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Absatz 3 kann dem Ausländer eine Ausreisefrist bis zu drei Monaten eingeräumt werden, wenn er sich zur freiwilligen Ausreise bereit erklärt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.