Der am ... 1988 in der Provinz Kunar, Bezirk ..., Dorf ..., geborene Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger, zugehörig zur Volksgruppe der Paschtunen. Nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 9. April 2010 stellte er am 30. April 2010 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
Mit Schreiben vom 9. April 2010 gab der Bevollmächtigte des Klägers an, die Aufforderung, für die Regierung zu arbeiten und das Einsickern der Taliban zu melden, sowie die daraufhin folgenden Auseinandersetzungen mit den Taliban und die Drohung einer Entführung oder des Umbringens seien wie im Asylverfahren des Cousins des Klägers beschrieben. Auf das dortige Vorbringen werde verwiesen.
Bei seiner Anhörung gemäß § 25 AsylVfG am 18. Mai 2010 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er habe bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatort gelebt. Dort würden weiterhin seine Eltern, zwei Brüder, eine Schwester sowie ein Onkel väterlicherseits leben. In Deutschland würden vier Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits leben. Er habe bis zur 9. Klasse die Schule in ..., im Anschluss daran die Oberschule in ... besucht. Parallel dazu habe er einen Englischkurs absolviert. Nach Abschluss seiner Schulausbildung 2006 sei er zunächst zwei bis drei Monate arbeitslos gewesen. Danach habe er etwa drei Jahre beim Sicherheitsdienst „... in der Provinz Kunar gearbeitet. Dies sei seinen Eltern bekannt gewesen, nicht aber seinen Onkeln. Monatlich habe er 18.500 Afghani verdient. Seine Aufgabe sei es gewesen, über verdächtige Personen im Dorf oder in den umliegenden Dörfern oder solche, die über die Grenze gekommen seien, an die Zentrale zu berichten. Die Zentrale des Sicherheitsdienstes sei in ... gewesen. Er habe den Dienstgrad vergleichbar einem Oberstleutnant innegehabt. Von seinem Chef sei er informiert worden, dass ein anderer Mitarbeiter von den Taliban entführt worden sei. Bis Genaueres bekannt sei, sollten sie nicht mehr nach Hause gehen. Er habe dann in ... bei Verwandten für einige Tage übernachtet. Sie hätten dann erfahren, dass der entführte Mitarbeiter den Taliban alle Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes verraten haben muss, da ein paarmal die Taliban bei ihnen zu Hause gewesen seien. Die Taliban seien zu seinem Vater nach Hause gekommen und hätten das Haus durchsucht. Sie hätten seinen Vater geschlagen und gesagt, dass sie den Kläger suchen würden, da dieser ein Mitarbeiter der Regierung sei und durch seine Tätigkeit viele Taliban ums Leben gekommen seien. Der Kläger habe dies, als er davon erfahren habe, auch seinem Chef mitgeteilt; dieser habe jedoch gesagt, dass die Taliban sehr mächtig seien und er nicht dagegen vorgehen könne. Im Gebiet der Provinzhauptstadt habe der Kläger nicht bleiben können, da der entführte Mitarbeiter in diesem Gebiet, für das dieser zuständig gewesen sei, entführt worden sei. Zu seiner Tätigkeit führte er aus, er habe z. B. Kontakt zu einem Ladenbesitzer gehabt, der seinen Laden an der Grenze zu Pakistan gehabt habe und für sie Informationen besorgt habe. Zu diesem sei er etwa alle zwei Wochen gereist und habe Informationen geholt. Von dem Ladenbesitzer habe er auch telefonische Informationen erhalten. Zur Tarnung habe er Kindern in der Schule in ... Englisch- und Mathematikunterricht erteilt. Als er einmal von dem Ladenbesitzer informiert worden sei, dass eine Gruppe pakistanischer Taliban über die Grenze gekommen sei, habe er dies auch der in der Nähe sich befindenden amerikanischen Basis mitgeteilt. Dies habe er mehrmals getan, wenn etwas sehr Wichtiges passiert sei. Bei den Amerikanern sei er jeweils persönlich gewesen, insgesamt zweimal. Seiner Zentrale habe er telefonisch die Informationen, die er erhalten habe, weitergegeben. In einem anderen Teil Afghanistans könne er auch nicht leben, da er überall gefährdet sei.
Seine Ausreise habe er durch seine eigenen Ersparnisse finanziert; außerdem habe sein Vater Ländereien und Ersparnisse. Zunächst sei er zu seinem Cousin nach ... gegangen, wo er sich zehn Tage aufgehalten habe. Ein Schleuser habe ihn nach ... gebracht. Mit einem weiteren Schleuser sei er illegal in den Iran und von dort weiter über die Türkei nach Griechenland gelangt. Nach dortiger Inhaftierung für ca. zehn bis elf Tage sei er zurück in die Türkei gereist. Nach weiteren 20 Tagen sei er zusammen mit seinem Cousin in einem Lkw nach Deutschland verbracht worden.
Mit Bescheid vom 10. Februar 2011, am 2. März 2011 per Einschreiben zur Post gegeben, lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde zur Ausreise aufgefordert und die Abschiebung nach Afghanistan für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise angedroht. Auf den Inhalt des Bescheids wird Bezug genommen.
Mit Schriftsatz vom 4. März 2011, bei Gericht eingegangen am 7. März 2011, erhob der Bevollmächtigte des Klägers Klage zum Verwaltungsgericht München mit folgendem Antrag:
Der Bescheid des Bundesamts vom 10.2.20111, Aktenzeichen ..., zugestellt am 3.3.2011, wird in Ziff. 3 aufgehoben, soweit Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 7 verneint werden.
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG vorliegen.
Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2011 wurde die Klage im Wesentlichen damit begründet, dass für die Provinz Kunar, aus der der Kläger stamme, inzwischen allgemein ein bewaffneter innerstaatlicher Konflikt angenommen werde, so dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vorliegen würden. Weiterhin wurden ein Dienstausweis des Klägers, ein Belobigungs- und Bestätigungsschreiben über die Tätigkeit des Klägers beim Geheimdienst, eine Urkunde über einen Kurs bei ..., eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Seminar für Englischlehrer, eine weitere Bestätigung über einen Englischkurs vom 2. Januar 2006 sowie eine Bestätigung des Ministeriums für Erziehung über den Schulabschluss in der Hochschule von ... aus 2006 vorgelegt.
Die Beklagte beantragte
Klageabweisung.
Durch Beschluss der Kammer vom 21. März 2012 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Den Beteiligten ist mit Schreiben vom 4. November 2011 mitgeteilt worden, welche Unterlagen zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden (Erkenntnismittelliste Nr. 423b, Stand: 17.09.2014). Weiter wurden mit Schreiben vom 9. Januar 2015 die Akte des Bundesamts zum Verfahren des Cousins des Klägers, Herrn ... (Az. ...) zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Behördenakten sowie auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten über die Sache verhandeln und entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist vorliegend die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung der Voraussetzungen des nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28. August 2013 (BGBl S. 3474) hat die Bundesrepublik Deutschland die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 337, S. 9; sog. - neuere - Qualifikationsrichtlinie), umgesetzt, die die vorausgehende Qualifikationsrichtlinie RL 2004/83/EG (ABl EU Nr. L 304, S. 12) in einer überarbeiteten Fassung ablöste. In diesem Zuge wurde die bisherige Normierung in § 60 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Abs. 7 Satz 2 AufenthG a. F., die die Flüchtlingsanerkennung auf der Grundlage des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und den europarechtlichen Abschiebeschutz (nunmehr insgesamt als internationaler Schutz bezeichnet) betraf, zugleich in das Asylverfahrensgesetz transferiert.
Im Hinblick auf die Unteilbarkeit der Streitgegenstände war der ursprünglich auf die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 AufenthG, in der mündlichen Verhandlung in Anpassung an die geltende Rechtslage auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG, hilfsweise die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG gerichtete Klageantrag dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG, hilfsweise die Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt. Bei dem subsidiären Schutz im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylVfG wie auch bei dem nationalen Abschiebungsschutz auf der Grundlage der Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG handelt es sich jeweils um einen einheitlichen, in sich nicht weiter teilbaren Streitgegenstand mit mehreren Anspruchsgrundlagen (vgl. BVerwG, U. v. 24.6.2008 - 10 C 43/07 - juris Rn. 11; U. v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - juris Rn. 16 zur früheren Gesetzeslage). Diese beiden Streitgegenstände wurden mit dem Klage vom 4. März 2011 rechtshängig. Im Hinblick auf die Einheitlichkeit und Unteilbarkeit der beiden Verfahrensgegenstände sind daher alle Alternativen des § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG und alle Anspruchsgrundlagen des nationalen Abschiebungsschutzes in den Blick zu nehmen (BVerwG, U. v. 8.9.2011, a. a. O. Rn. 16, 17); eine wirksame Beschränkung einheitlicher prozessualer Ansprüche auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen wäre gar nicht möglich (BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - juris Rn. 13 zu den unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverboten nach früherer Gesetzeslage). Mit der ausdrücklichen Nennung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylVfG und des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Klageantrag hat der Kläger daher keine Begrenzung der jeweiligen Streitgegenstände vorgenommen, sondern lediglich die aus seiner Sicht besonders naheliegenden Anspruchsgrundlagen bezeichnet. Da der unionsrechtliche subsidiäre Schutz weitergehender ist, ist über ihn vorrangig vor dem nationalen Abschiebungsschutz zu entscheiden (vgl. BVerwG, U. v. 8.9.2011 - 10 C 14/10 - BVerwGE 140, 319 zur früheren Gesetzeslage; vgl. auch § 31 Abs. 2 und 3 AsylVfG).
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 10. Februar 2011 ist rechtswidrig, soweit darin in Nr. 3 festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG a. F. hinsichtlich Afghanistans nicht vorliegt, und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten. Gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO hat der Kläger in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG; vgl. auch Art. 4 Abs. 3 Buchst. a Richtlinie 2011/95/EU) einen Anspruch auf eine entsprechende Feststellung bzw. nach der aktuellen Gesetzeslage auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG hinsichtlich Afghanistans (vgl. § 31 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG). Damit erübrigt es sich, weitere materielle Anspruchsgrundlagen des einheitlichen prozessualen Anspruchs zu prüfen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gelten dabei unter anderem Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG; vgl. § 60 Abs. 2 AufenthG a. F.) Unter „Folter“ ist in Anlehnung an die Definition von Art. 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (BGBl. 1990 II S. 247, BGBl. 1993 II S. 715) eine Behandlung zu verstehen, die einer Person vorsätzlich schwere Schmerzen oder Leiden körperlicher oder geistigseelischer Art zufügt, um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen, sie oder einen Dritten zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu nötigen oder mit diskriminierender Absicht zu verfolgen. Wann eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vorliegt, hängt nach der insoweit vor allem maßgebenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Einzelfall ab. Eine Schlechtbehandlung einschließlich Bestrafung muss jedenfalls ein Minimum an Schwere erreichen, um in den mit § 60 Abs. 2 AufenthG und Art. 15 Buchst. b Richtlinie 2004/83/EG insoweit identischen Schutzbereich von Art. 3 EMRK zu fallen. Die Bewertung dieses Minimums ist nach der Natur der Sache relativ. Kriterien hierfür sind abzuleiten aus allen Umständen des Einzelfalles, wie etwa der Art der Behandlung oder Bestrafung und dem Zusammenhang, in dem sie erfolgte, der Art und Weise ihrer Vollstreckung, ihrer zeitlichen Dauer, ihrer physischen und geistigen Wirkungen, sowie gegebenenfalls abgestellt auf Geschlecht, Alter bzw. Gesundheitszustand des Opfers. Abstrakt formuliert sind unter einer menschenrechtswidrigen Schlechtbehandlung Maßnahmen zu verstehen, mit denen unter Missachtung der Menschenwürde absichtlich schwere psychische oder physische Leiden zugefügt werden und mit denen nach Art und Ausmaß besonders schwer und krass gegen Menschenrechte verstoßen wird (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 16).
Bei der Prüfung, ob eine konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung besteht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ anzulegen, wobei allerdings das Element der Konkretheit der Gefahr das zusätzliche Erfordernis einer einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation kennzeichnet. Mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht die Rechtsgutsverletzung bevor, wenn bei qualifizierender Betrachtungsweise, d. h. bei einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung, die für die Rechtsgutsverletzung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die in diesem Sinne erforderliche Abwägung bezieht sich nicht allein auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses; auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs ist in die Betrachtung einzubeziehen (vgl. VGH BW, U. v. 6.3.2012 - A 11 S 3070/11 - juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BVerwG, B. v. 10.04.2008 - 10 B 28.08 - juris Rn. 6; U. v. 14.12.1993 - 9 C 45.92 - juris Rn. 10 f.; U. v. 05.11.1991 - 9 C 118.90 - juris Rn. 17).
Für die Prüfung der Voraussetzungen des subsidiären Schutzes im Sinne des § 4 Abs. 1 AsylVfG gelten gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG die §§ 3c bis 3e AsylVfG über Verfolgungs- und Schutzakteure sowie internen Schutz entsprechend. Die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3c AsylVfG ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die zuvor genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Schutz vor einem ernsthaften Schaden gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3d Abs. 1 AsylVfG nur geboten werden vom Staat oder von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, sofern sie willens und in der Lage sind, wirksamen und nicht nur vorübergehenden Schutz zu gewähren, vgl. § 3d Abs. 2 Satz 1 AsylVfG. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat, § 3d Abs. 2 Satz 2 AsylVfG. Gemäß § 4 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 3e Abs. 1 AsylVfG wird dem Ausländer subsidiärer Schutz nicht zuerkannt, wenn eine sogenannte interne Schutzalternative besteht, weil in einem Teil seines Herkunftslands keine Gefahr eines ernsthaften Schadens besteht oder der Ausländer Zugang zu Schutz vor einem ernsthaften Schaden nach § 3d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
Nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung privilegiert den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare Vermutung dafür, dass sie erneut von einem ernsthaften Schaden bedroht werden. Dadurch wird der Antragsteller, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür dazulegen, dass sich die einen solchen Schaden begründenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Ob die Vermutung durch „stichhaltige Gründe“ widerlegt ist, obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - BVerwGE 136, 377 - in Bezug auf den wortgleichen Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2004/83 EG). Die Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem von ernsthaftem Schaden bedrohten Antragsteller auch bei der Prüfung zugute, ob für ihn im Gebiet einer internen Schutzalternative gemäß § 3e AsylVfG (vgl. vormals Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG) keine begründete Furcht vor Verfolgung besteht (vgl. BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308 in Bezug auf Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 2004/83/EG). Mit Blick auf den Normzweck der Beweiserleichterung erscheint es nicht nachvollziehbar, der Prüfung internen Schutzes als Ausdruck der Subsidiarität des Flüchtlingsschutzes einen strengeren Maßstab zugrunde zu legen als der systematisch vorgelagerten Stellung der Verfolgungsprognose. Die hinter der Beweiserleichterung stehende Teleologie - der humanitäre Charakter des Asyls - verbietet es, einem Schutzsuchenden, der das Schicksal der Verfolgung bereits einmal erlitten hat, das Risiko einer Wiederholung solcher Verfolgung aufzubürden (BVerwG, U. v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - NVwZ 2009, 1308).
Bei der individuellen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz sind alle mit dem Herkunftsland verbundenen Tatsachen zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag relevant sind, einschließlich der Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Herkunftslands und der Weise, in der sie angewandt werden, sowie die maßgeblichen Angaben des Antragstellers und die von ihm vorgelegten Unterlagen, einschließlich Informationen zu der Frage, ob er einen ernsthaften Schaden erlitten bzw. erleiden könnte (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. a und b Richtlinie 2011/95/EU). Weiterhin sind zu berücksichtigen die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter, um bewerten zu können, ob in Anbetracht seiner persönlichen Umstände die Handlungen, denen er ausgesetzt war oder ausgesetzt sein könnte, einem sonstigen ernsthaften Schaden gleichzusetzen sind (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchst. c Richtlinie 2011/95/EU).
Das Gericht ist auf der Grundlage des Vortrags des Klägers und des in der mündlichen Verhandlung von ihm gewonnenen persönlichen Eindrucks davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht. Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem Kläger zugute und das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen.
Unter Berücksichtigung seines Herkommens, seines Bildungsstands und seines Alters hält das Gericht den Vortrag des Klägers für glaubhaft. Der Kläger hat die Geschehnisse lebensnah und mit vielen Einzelheiten plausibel und überzeugend vorgetragen. Er hat in allen Verfahrensstadien hierzu nahezu vollständig übereinstimmende Angaben gemacht, die Geschehnisse unter Nennung von Einzelheiten und zusammenhängend ohne Übertreibungen dargestellt und verbliebene Unklarheiten und Widersprüche im Rahmen der informatorischen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ohne Zögern nachvollziehbar erläutert.
Danach ist davon auszugehen, dass der Kläger vor seiner Ausreise etwa drei Jahre für den afghanischen Geheimdienst gearbeitet hat und in dieser Eigenschaft verdeckt Informationen über die Taliban, über sonstige bewaffnete Personen sowie über Drogen- und Waffenhändler gesammelt und an seinen Vorgesetzten, teilweise auch an einen Kontaktmann bei den amerikanischen Truppen weitergegeben hat. Nach der Entführung eines anderen Mitarbeiters des Geheimdienstes bestellte der Vorgesetzte des Klägers diesen zu sich und riet ihm, zunächst nicht wieder nach Hause zurückzukehren. Der Kläger hielt sich zunächst in ... auf und ging dann nach ... zu einem Cousin. Der Vater des Klägers informierte diesen dann telefonisch, dass der Vorgesetzte des Klägers angerufen und mitgeteilt habe, dass der entführte Mitarbeiter erschossen worden sei und nun die Namen weiterer Mitarbeiter des Geheimdienstes, unter anderem des Klägers, den Taliban bekannt seien. Nach Mitteilung des Vaters seien die Taliban bereits zum Haus der Familie gekommen, hätten nach dem Kläger gesucht und den Vater geschlagen. Der Kläger entschloss sich daraufhin zur Flucht und organisierte seine Flucht mit Hilfe des Cousins, bei dem er Unterschlupf gefunden hatte.
Soweit sich in seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung Abweichungen gegenüber seinem Vortrag vor dem Bundesamt zeigten, hat der Kläger darauf hingewiesen, dass der Dolmetscher vor dem Bundesamt ihn teilweise nicht richtig verstanden habe. Dies erscheint vorliegend zum einen deshalb glaubhaft, weil der Kläger auf eine Abweichung schon von sich aus und ungefragt in der mündlichen Verhandlung hinwies, nämlich, dass nicht er selbst, sondern sein Vorgesetzter vom Dienstgrad her Oberstleutnant gewesen sei. Zum anderen hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung das diesbezügliche Geschehen nicht gänzlich anders vorgetragen oder völlig übergangen, sondern lediglich in Details richtig gestellt. Dies betrifft zum einen das Vorbringen, dass sich der Kläger auch bei seinen Besuchen im Laden im Grenzgebiet zu Pakistan auf ein Beobachten beschränkt, nicht jedoch vom Ladenbesitzer zusätzlich telefonische Informationen erhalten habe. Ebenso stellte der Kläger richtig, dass er, wie auch vor dem Bundesamt vorgetragen, zweimal seinen Kontaktmann „...“ bei den amerikanischen Streitkräften persönlich aufsuchte, die weitere Informationsweitergabe jedoch telefonisch ablief. Auch die Tatsache, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals erwähnte, dass die Taliban erfolglos mit dem entführten Mitarbeiter drei von den Amerikanern Talibankämpfer freipressen wollten und ihre Forderung über einen Brief und ein Video übermittelten, spricht nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Klägers. Der Kläger machte diese Angaben erst auf die ausdrückliche Frage des Gerichts, ob er wisse, was aus dem entführten Mitarbeiter geworden sei, und wie er davon erfahren habe. Da sich aus dem Protokoll der Anhörung vor dem Bundesamt nicht ergibt, dass ihm hierzu Fragen gestellt worden wären, kann ihm nicht vorgehalten werden, dass er diese Einzelheiten erst in der mündlichen Verhandlung angab.
Der Kläger hatte im Laufe des Verfahrens Dokumente zur Stützung seines Vorbringens vorgelegt, unter anderem eine beglaubigte Kopie seiner Geburtsurkunde, seinen Dienstausweis sowie ein Belobigungsschreiben über seine Tätigkeit beim Geheimdienst. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert, dass Anlass für die Ausstellung der Geburtsurkunde das Auslaufen der alten, in Form eines Heftes ausgestellten Geburtsurkunde war. Die vorgelegte Kopie wie auch das Vorbringen des Klägers zu seiner alten Geburtsurkunde stimmen überein mit den in der Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 12. März 2013 zur Tazkira beschriebenen Merkmalen. Der vorgelegte Dienstausweis trägt einen Stempel mit der Aufschrift „afghanischer Geheimdienst“, eine Ausweisnummer in afghanischen Ziffern und ein Foto des Klägers. Dass der Ausweis Name und Dienststelle auch in englischer Sprache nennt, erscheint vor dem Hintergrund der Zusammenarbeit mit den ausländischen Streitkräften plausibel. Das Belobigungsschreiben trägt Briefkopf, Datum nach dem Sonnenkalender sowie denselben Stempel wie der Dienstausweis. Nach der Auskunftslage gibt es zwar in Afghanistan neben gefälschten Dokumenten auch in erheblichen Umfang echte Dokumente unwahren Inhalts (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 22). Vorliegend lässt sich jedenfalls feststellen, dass die vorlegten Dokumente mit den Angaben des Klägers übereinstimmen und keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich sind, die gegen die Echtheit der Dokumente sprechen (vgl. hierzu auch Auswärtiges Amt, Auskunft vom 24.11.2008 an VG Darmstadt).
Das Gericht hat jedoch vor allem aufgrund des Vortrags des Klägers keine Zweifel daran, dass der Kläger das von ihm geschilderte Geschehen tatsächlich erlebt hat. Der Kläger konnte in der mündlichen Verhandlung die Geschehnisse mit einer Vielzahl von Details wiedergeben. So konnte er die Art und Weise seiner Tätigkeit, aber auch die von seinem Chef angebahnte Kontaktaufnahme mit seinem Ansprechpartner bei den amerikanischen Streitkräften schlüssig schildern. Darüber hinaus sprach der Kläger auch für sein Verfolgungsschicksal an sich unbedeutende Einzelheiten an, wie etwa, dass eine andere Person als sein Vorgesetzter seinen Dienstausweis ausgestellt hatte, dass das Büro seines Vorgesetzten in einem Gebäude der Polizei untergebracht war oder dass der entführte und ermordete Mitarbeiter des Geheimdienstes den vierthöchsten Rang beim Geheimdienst in Kunar bekleidet hatte.
Auch hinsichtlich des Vortrags des Klägers zur Entführung des anderen Geheimdienstmitarbeiters, zur Warnung seines Vorgesetzten und zu den vom Vater des Klägers mitgeteilten Informationen sieht das Gericht sieht keinen Anlass, am Vortrag des Klägers zu zweifeln. Die vom Bundesamt aufgeworfene Frage, woher der Vorgesetzte des Klägers überhaupt bei dem Gespräch mit dem Kläger gewusst habe, dass der andere Mitarbeiter von den Taliban entführt worden sei, dürfte vom Kläger kaum abschließend zu beantworten sein. Nach der Erkenntnislage sind Regierungsmitarbeiter immer wieder Ziel von Angriffen der Taliban (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 15/16; UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 34 ff., zu Mitarbeitern des afghanischen Inlandsgeheimdienstes S. 38 f.); es erscheint daher durchaus möglich, dass der Vorgesetzte des Klägers wenige Tage nach dem Verschwinden des anderen Mitarbeiters Kenntnis erhielt oder zumindest den starken Verdacht hatte, dass dieser Mitarbeiter von den Taliban entführt worden war. Aus dem Vorbringen des Klägers, die Taliban hätten (nach dem Gespräch des Klägers mit seinem Vorgesetzten) die Forderung gestellt, dass im Austausch für den Entführten von den Amerikanern festgehaltene Taliban freikämen, ergibt sich zudem, dass zumindest später klar wurde, was mit dem anderen Mitarbeiter geschehen war. Der Vortrag des Klägers, sein Vater habe von seinem Vorgesetzten erfahren, dass den Taliban die Namen weiterer Geheimdienstmitarbeiter bekannt geworden seien, erklärt, warum der Kläger davon ausgeht, nun enttarnt und damit Zielscheibe der Taliban zu sein. Soweit der Kläger diesbezüglich auf einen seinem Vorgesetzten zugesandten Brief und ein Video der Taliban verweist, kann nach Auffassung des Gerichts dem Kläger nicht entgegen gehalten werden, dass er hierzu keine näheren Details nennen konnte, da er diese Informationen selbst nur aus zweiter Hand erhalten hatte. Auch die Darstellung des Klägers, er habe zwar den entführten Mitarbeiter nicht gekannt, er gehe aber aufgrund von dessen gehobener Position davon aus, dass dieser ihn gekannt habe, erscheint nachvollziehbar. Weiter spricht es aus Sicht des Gerichts nicht gegen die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers, dass sein Vorgesetzter ihm zwar geraten hatte, nicht nach Hause zu gehen, er selbst aber noch in seinem Büro war. Der Kläger wies darauf hin, dass er während seines Aufenthalts bei Verwandten mehrmals erfolglos versucht habe, seinen Chef telefonisch zu erreichen; es erscheint daher durchaus möglich, dass auch der Vorgesetzte des Klägers zu diesem Zeitpunkt Maßnahmen getroffen hatte, um sich vor Anschlägen der Taliban zu schützen. Schließlich hat das Gericht auch keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags zum Auftauchen der Taliban im Hause seiner Familie. Der Kläger führte aus, die Taliban seien bei seiner Familie erschienen, hätten ihn gesucht und seinen Vater geschlagen; seine Geheimdiensttätigkeit sei daher auch anderen Dorfbewohnern bekannt geworden. Der Mangel an näheren Details zu diesem Vorkommnis erklärt sich zum einen daraus, dass der Kläger selbst nicht zugegen war. Zum anderen erscheint es angesichts der von seinem Vater geschilderten Geschehnisse auch nicht unbedingt naheliegend, noch weitere Details zu diesem Vorfall zu erfragen, nachdem der Kläger wohl allein aufgrund dieser Umstände in Verbindung mit der Ermordung seines Kollegen von einer unmittelbaren Gefahr für sich ausging. Auch zur Organisation seiner Ausreise erscheinen die Angaben des Klägers glaubhaft. Danach hat ihm hierbei sein in ... lebender Cousin geholfen. Nach Auffassung des Gerichts erscheint es bei der vom Kläger angegebenen Verweildauer von zehn Tagen in ... möglich, in dieser Zeit die Ausreise zu organisieren. Schließlich sind auch die Bezugnahmen des Bevollmächtigten des Klägers im Schreiben vom 9. April 2010 auf das Vorbringen des Cousins des Klägers nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit des Vortrags des Klägers selbst vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung in Zweifel zu ziehen. Das Schreiben des Bevollmächtigten wurde unmittelbar nach Einreise des Klägers und seines Cousins in das Bundesgebiet erstellt; die Bezugnahme auf das Vorbringen des Cousins des Klägers dient ersichtlich nur dazu, das Geschehen um die Flucht der beiden Cousins, das sich in Teilen überschneidet, im Groben zu umreißen, nicht aber auch schon das Verfolgungsgeschehen des Klägers detailliert wiederzugeben.
Nach Einschätzung des Gerichts muss der Kläger unmenschliche Behandlung bis hin zur Ermordung durch die Taliban befürchten. Das Auftauchen der Taliban beim Haus der Familie des Klägers, die Schläge gegen seinen Vater und die von den Taliban geäußerten Vorwürfe gegen den Kläger, für die Regierung zu arbeiten und für den Tod von Talibankämpfern mitverantwortlich zu sein, zeigen, dass die Taliban entschlossen waren, den Kläger für seine Tätigkeit beim Geheimdienst zur Rechenschaft zu ziehen. Nach der Auskunftslage greifen die Taliban systematisch und gezielt Zivilisten an, die tatsächlich oder vermeintlich die afghanische Regierung und die internationale Gemeinschaft unterstützen oder mit diesen verbunden sind (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 34 ff.; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Stand: Februar 2014, S. 15/16); auch Mitarbeiter des afghanischen Inlandsgeheimdienstes sind dabei Ziel von Anschlägen. Berichtet wird dabei von vielen Fällen der Ermordung oder Verstümmelung; auch Familienangehörige, selbst Kinder von Personen, die für die afghanischen nationalen Sicherheitskräften arbeiten, wurden zum Ziel von Angriffen der Taliban (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender, 6. August 2013, S. 39). Die Auskünfte, aber auch das vom Kläger geschilderte Schicksal seines Kollegen zeigen, dass Personen, die von den Taliban der Mitarbeit bei der Regierung verdächtigt werden, nicht lediglich schikaniert oder eingeschüchtert werden, sondern mit schweren Körperverletzungen bis hin zu ihrer Ermordung rechnen müssen. Vor diesem Hintergrund ist das Gericht auf der Grundlage des Vortrags des Klägers überzeugt, dass ihm im Falle einer Rückkehr die konkrete Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht.
Die Taliban sind Akteure im Sinne des § 4 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. § 3 c Nr. 3 AsylVfG von denen die Gefahr eines ernsthaften Schadens ausgehen kann. Der Kläger wäre vor der ihm drohenden konkreten Gefahr auch durch den Staat nicht hinreichend geschützt. Eine Schutzfähigkeit des Staates vor Übergriffen Dritter ist im Hinblick auf die Verhältnisse im Herkunftsland des Klägers nicht gegeben. Wegen des schwachen Zustands des Verwaltungs- und Rechtswesens bleiben Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan häufig ohne Sanktionen (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand März 2013, S. 13 f). Die nationale Polizei (ANP) wird bei der Durchsetzung von Recht und Gesetz ihrer Aufgabe trotz erster Fortschritte insgesamt noch nicht gerecht. Auch wenn zwischenzeitlich der quantitative Aufwuchs der afghanischen Sicherheitskräfte voran geht, so kann der qualitative Aufwuchs hiermit nicht Schritt halten (Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Januar 2012, S. 11 f.). Dementsprechend muss weiterhin davon ausgegangen werden, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die ANP daher insgesamt noch kein Stabilitätsfaktor ist, sondern an vielen Orten sogar ein Unsicherheitsfaktor, in den die Bevölkerung wenig Vertrauen setzt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht, Stand: Februar 2011, S. 12 f). Schwächen der „Afghan National Police“ sind dabei auch Korruption und Bestechung. In dem Themenpapier der Schweizerischen Flüchtlingshilfe hierzu wird ausgeführt, die Tatsache, dass die Polizeikräfte äußerst korrupt seien, zeige sich auch darin, dass verhaftete Personen teilweise selbst dann, wenn Beweise für eine Tat vorlägen, am nächsten Tag wieder freigelassen würden. Diesbezüglich habe sich auch die deutsche Bundeswehr mehr als einmal empört gezeigt über die Freilassung von Verdächtigen, welche sie den afghanischen Behörden übergeben hätten. Weiter sei bekannt, dass afghanische Sicherheitskräfte, welche in abgelegenen Gebieten stationiert seien, den Taliban teilweise Informationen lieferten, um im Gegenzug dazu nicht von diesen angegriffen zu werden (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Schutzfähigkeit der Afghan National Police und Sicherheitssituation in Kabul, 20.10.2011; S. 5). Auch sei die Polizei in massive Menschenrechtsverletzungen verwickelt (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe a. a. O., S. 6). Es ist daher davon auszugehen, dass der Kläger keinen wirksamen Schutz von staatlicher Seite, sei es durch die Polizei, sei es durch sonstige Strafverfolgungsbehörden, erlangen könnte.
Die Beweiserleichterung gemäß Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU kommt dem Kläger zugute, da der Kläger vor seiner Ausreise von einem ernsthaften Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG bereits unmittelbar bedroht war. Das vom Kläger geschilderte Auftauchen der Taliban bei seiner Familie, die geäußerten Vorwürfe gegen den Kläger und die Schläge gegen seinen Vater zeigen, dass nur die Tatsache, dass der Kläger nicht zu Hause war, ihn davor bewahrt haben, von den Taliban misshandelt oder getötet zu werden. Das Gericht kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung keine stichhaltigen Gründe für eine Widerlegung der gesetzlichen Vermutung erkennen. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Taliban mittlerweile eine versöhnlichere Haltung gegenüber Regierungsmitarbeitern einnehmen würden.
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter des Geheimdienstes an Handlungen beteiligt war, die zu einem Ausschluss des subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 2 AsylVfG, führen könnten, sind nicht ersichtlich. Nach dem glaubhaften Vortrag des Klägers bestand seine Tätigkeit für den Geheimdienst ausschließlich im Beobachten und gesprächsweisen Sammeln von Informationen.
Für den Kläger besteht auch keine inländische Fluchtalternative (§ 4 Abs. 3 i. V. m. § 3e AsylVfG). Auch insoweit kommt ihm die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU zugute. Die Auskunftslage lässt nicht den gesicherten Schluss zu, dass der Kläger in anderen Landesteilen vor den Taliban sicher wäre. Nach den Erkenntnissen des UNHCR ist zu bedenken, dass einige Befehlshaber und bewaffnete Gruppen sowohl auf lokaler als auch auf zentraler Ebene agieren. In einigen Fällen sind sie eng mit der örtlichen Verwaltung verbunden, während sie in anderen Fällen Verbindungen zu mächtigeren und einflussreichen Akteuren einschließlich auf der zentralen Ebene verfügen und von diesen geschützt werden. Der Staat ist hierbei nicht in der Lage, Schutz vor Gefahren, die von diesen Akteuren ausgehen, zu gewährleisten. Die Verbindungen zu anderen Akteuren kann - abhängig vom Einzelfall - eine Person einer Gefahr aussetzen, die über das Einflussgebiet eines lokalen Befehlhabers hinausgeht, einschließlich in Kabul. Sogar in einer Stadt wie Kabul, die in Viertel eingeteilt ist, wo sich die Menschen zumeist untereinander kennen, bleibt eine Verfolgungsgefahr bestehen, da Neuigkeiten über eine Person, die aus einem anderen Landesteil oder dem Ausland zuzieht, potentielle Akteure einer Verfolgung erreichen können (UNHCR, Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 30.11.2009, S. 4). Dass die Taliban auch in Kabul agieren und dort Unterstützer haben, zeigen insbesondere die wiederholten Anschläge, die trotz hoher Sicherheitsvorkehrungen von den Taliban in Kabul verübt werden. Nach einem im September 2011 für das norwegische Herkunftsländerinformationszentrum „LandInfo“ veröffentlichten Bericht haben die Taliban ihre Operationen zur Beschaffung von Informationen laufend ausgeweitet. Einige Teile des Landes, vor allem der Süden aber auch der Südosten, der Osten sowie die Provinzen südlich und westlich von Kabul (Wardak, Logar), würden vollständig abgedeckt und dort gebe es wenig, was die Taliban nicht wüssten. Dies sei nicht zuletzt auf die weitgehende Infiltrierung der Polizei und der staatlichen Verwaltung zurückzuführen (vgl. Zitierung bei Accord: Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Fähigkeit der Taliban, Personen in ganz Afghanistan aufzuspüren und zu verfolgen, 15.2.2013, S. 3).
Nach alledem war der Klage auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylVfG stattzugeben. Über den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG war aufgrund des Eventualverhältnisses nicht mehr zu entscheiden.
Weiter waren die Nrn. 3 und 4 des Bescheids des Bundesamts vom 10. Februar 2011 aufzuheben. Die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung von subsidiären Schutz lässt die negative Feststellung des Bundesamts, auch soweit sie die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG betrifft, angesichts des Eventualverhältnisses (vgl. BVerwG, U. v. 15.4.1997 - 9 C 19/96 - BVerwGE 104, 260) gegenstandslos werden, so dass der ablehnende Bescheid auch insoweit in Nr. 3 aufzuheben ist. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung (vgl. die Ausführungen in Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2014, § 34 AsylVfG Rn. 83 zur alten Rechtslage, die im Hinblick auf § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AsylVfG auf die Gewährung von subsidiären Schutz übertragbar sind).
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b AsylVfG nicht erhoben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.