Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. Mai 2019 - Au 2 K 19.30587

bei uns veröffentlicht am10.05.2019

Gericht

Verwaltungsgericht Augsburg

Tenor

I. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für ... vom 15. Februar 2017, Geschäftszeichen, verpflichtet, die Klägerin zu 1. als Flüchtling anzuerkennen.

Weiter wird die Beklagte unter entsprechender Aufhebung von Nr. 6 des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2017, Geschäftszeichen, verpflichtet, hinsichtlich des Klägers zu 2. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Befristung des gesetzlichen Widereinreise undAufenthaltsverbots erneut zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Gerichtskosten haben die Beklagte zu fünf Achtel und der Kläger zu 2. zu drei Achtel zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1. hat die Beklagte zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2. hat die Beklagte zu einem Viertel zu tragen. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Kläger begehren mit ihrer Klage die Anerkennung als Flüchtling, hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und die Feststellung eines Abschiebungsverbotes.

Sie sind ist russische Staatsangehörige und Zeugen J. Die Klägerin zu 1. und der Kläger im Verfahren Au 2 K 17.34450 sind (mittlerweile geschiedene) Eheleute, der Kläger zu 2. ihr im Jahre 2011 geborener Sohn. Sie reisten am 7. Dezember 2013 auf dem Luftweg gemeinsam mit einem weiteren im Jahre 1998 geborenen Kind/Bruder in das Bundesgebiet ein und stellten am 13. Dezember 2013 Asylanträge. Ihre Anhörung nach § 25 AsylG fand am 28. Januar 2014 statt.

Der Kläger im Verfahren Au 2 K 17.33450 gab ihm Rahmen seiner Anhörung an, er habe mit seiner Familie zuletzt in ... gelebt. Er sei am 23. März 1996 mit seiner Taufe zu den Zeugen J. übergetreten, nachdem er sich am 1993 aufgrund der Lektüre eines Buches dem Glauben zugewandt habe. Er sei beim Missionieren immer wieder von den angesprochenen Personen beleidigt und bedroht worden. Im Berufsleben habe er seine Religionszugehörigkeit verschwiegen und (deshalb) sehr gute Beziehungen zu den Sicherheitskräften unterhalten. Einer seiner Kunden sei sogar ein Ermittler bei der Kriminalpolizei gewesen. Im Rahmen seiner Missionstätigkeit sei er allerdings von Polizisten bedroht worden, die ihm unterstellt hätten, er wolle sich Zugang zu den Wohnungen verschaffen, um die Besitzer zu bestehlen oder ihnen gar die Wohnung wegzunehmen. Er sei aufgefordert worden, seine Missionstätigkeit einzustellen. Ungefähr eine Woche vor der Ausreise sei die Familie von einer Privatperson massiv bedroht worden. Er habe diese Person dann angezeigt, die Polizei habe aber zunächst nicht helfen wollen. Nach einem langen Gespräch mit dem Kunden, der Kriminalbeamter gewesen sei, sei die Person dann ins Gefängnis gekommen. Zu diesem Zeitpunkt habe die Familie Russland aber schon verlassen gehabt.

Die Klägerin zu 1. schilderte bei ihrer Anhörung, dass sie die Situation der Zeugen J. in Russland als lebensbedrohlich empfunden habe. Immer wieder sei es zu Drohungen oder Beschimpfungen durch Privatpersonen gekommen. Besonders heftig sei eine Drohung gegenüber dem älteren Sohn Ende Herbst 2012 gewesen. Dieser sei auch Anfeindungen und Tätlichkeiten in der Schule ausgesetzt gewesen. Sie selbst sei von Nachbarn beschimpft und mehrfach in die Duschkabine (des Gemeinschaftshauses) eingesperrt worden. Sie gehöre der Gemeinschaft der Zeugen J. seit 1995 an. Sie habe gebetet, jeden Tag in der Bibel gelesen und missioniert, wenn die Kinder in der Schule gewesen seien. Jede Woche habe sie mindestens eine Versammlung besucht. Bis 2010 habe sie insofern keine Probleme gehabt, dann und im Jahre 2011 seien die Bedrohungen durch die Nachbarn losgegangen. In Deutschland besuche sie sowohl die deutsch- als auch die russischsprachigen Versammlungen und missioniere für die Gemeinschaft.

Mit Schriftsatz vom 22. Januar 2016 bestellte sich der damalige Bevollmächtigte gegenüber dem Bundesamt und machte geltend, die Zeugen J. würden seit 2009 mit verschiedenen Überprüfungsverfahren nach dem Anti-Terrorismus-Gesetz konfrontiert. Darüber hinaus sei Russland wegen der im Jahr 2004 erfolgten Auflösung der Rechtskörperschaft der Zeugen J. in Russland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt worden. Russland habe jedoch erklärt, sich nur noch in Ausnahmefällen an die Urteile des EGMR halten zu wollen.

Mit Bescheid vom 15. Februar 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung, auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz ab (Nr. 1 bis 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen (Nr. 4), drohte die Abschiebung nach Russland an (Nr. 5) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (Nr. 6). Die Kläger seien unverfolgt aus Russland ausgereist. Die Zeugen J. unterlägen in Russland keiner Gruppenverfolgung. Die Kläger hätten lediglich von Beschimpfungen und Bedrohungen durch Privatpersonen berichtet. Insofern hätten sie sich diesen durch einen Umzug entziehen können. Anhaltspunkte für Gefahren im Sinne von § 4 AsylG lägen nicht vor. Gleiches gelte für Abschiebungsverbote.

Hiergegen ließen die Kläger am 24. Februar 2016 durch ihren damaligen Prozessbevollmächtigten Klage erheben und sinngemäß beantragen,

Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. Februar 2017, Geschäftszeichen, verpflichtet, die Kläger als Flüchtlinge anzuerkennen, hilfsweise ihnen den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und weiter hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.

Zu Begründung wurde zunächst das Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 22. Januar 2016 an das Bundesamt wiederholt. Mit Schriftsatz vom 15. März 2016 wurde insbesondere auf eine Verurteilung von 16 Zeugen J. im November 2015 hingewiesen. Weiter wurde auf ein Verfahren verwiesen, in dem das Bundesamt Zeugen J. die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hatte.

Das Bundesamt hat zunächst lediglich die elektronischen Verwaltungsakten vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung hat es dann beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Beschluss vom 4. April 2016 hat die Kammer das Verfahren zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Am 14. November 2016 fand mündliche Verhandlung statt, in deren Verlauf das Gericht einen Beweisbeschluss erließ. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird Bezug genommen. In der Folge holte das Gericht eine Auskunft des Auswärtigen Amtes ein. Auf die entsprechende Auskunft vom 27. Dezember 2017 wird Bezug genommen..

Nachdem der ältere Sohn bzw. Bruder der Kläger ab dem 5. Mai 2017 nach unbekannt abgemeldet worden war und auch auf die Betreibensaufforderung des Gerichts keine neue Anschrift mitgeteilt wurde, wurde der betreffende Teil der Klage mit Beschluss vom 19. Juni 2017 unter dem Aktenzeichen Au 2 K 18.33612 abgetrennt und das Verfahren insoweit eingestellt.

Der Kläger im Verfahren Au 2 K 17.34550 und die Klägerin zu 1. wurden mit Beschluss des Amtsgerichts (Familiengericht) ... vom 30. November 2017, rechtkräftig seit dem 23. Januar 2018, geschieden.

Nach dem Tod ihres damaligen Bevollmächtigten bestellten sich für den Kläger im Verfahren Au 2 K 17.34550 und die Kläger im vorliegenden Verfahren jeweils neue Bevollmächtigte.

Der Bevollmächtigte des Klägers im Verfahren Au 2 K 17.34550 machte ergänzend geltend, dass nunmehr auch die Süddeutsche Zeitung über die Verfolgung der Zeugen J. berichte.

Der Bevollmächtigte der Kläger im vorliegenden Verfahren führte mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2018 weitergehend aus, die Religion sei für die Kläger identitätsprägend. Im Falle einer Rückkehr sei eine Verhaftung angesichts dessen nur noch eine Frage der Zeit. Die Zeugen J. unterlägen in Russland der Gruppenverfolgung. Die strafrechtliche Verfolgung ihrer Anhänger habe systematischen Charakter. Mittlerweile seien 64 Mitglieder der Gemeinschaft inhaftiert. Die Möglichkeit des Zivildienstes sei für Zeugen J. aufgehoben worden. Nach einem Schreiben des Ministeriums für Bildung vom 23. November 2017 unterlägen Jugendliche, „die den zerstörerischen psychologischen Auswirkungen seitens Anhängern religiöser extremistischer und terroristischer Ideologie ausgesetzt“ seien, der zwangsweisen Resozialisierung. Es sei damit zu rechnen, dass Zeugen J. denunziert würden, wenn sie private Gottesdienste abhielten. Mit weiterem Schriftsatz vom 5. Februar 2019 wurde vorgetragen, mittlerweile seien 72 Mitglieder der Gemeinschaft inhaftiert. Im Jahr 2018 hätten die russischen Sicherheitsbehörden 269 Durchsuchungen in Wohnungen der Zeugen J. durchgeführt. Am 20. Januar 2019 habe der russische Inlandsgeheimdienst 11 Wohnungen durchsucht.

Auf Aufforderung des Gerichtes nahm die Beklagte mit Schreiben vom 14. März 2019 wie folgt Stellung: Von einer Gruppenverfolgung der Zeugen J. in der russischen Föderation könne nicht ausgegangen werden. Eine Gruppenverfolgung setze voraus, dass für jeden Gruppenangehörigen die aktuelle Gefahr der Betroffenheit bestehe. Die Anzahl der festgestellten Verfolgungshandlungen sei dabei in ein Verhältnis zur Gruppe zu setzen. Die Verfolgungsschläge müssten so dicht und eng gestreut sein, dass bei objektiver Betrachtung für jedes Gruppenmitglied die Furcht begründet sei, selbst Opfer von Verfolgungsmaßnahmen zu werden. Die Zeugen J. hätten in Russland rund 175.000 Mitglieder. 2018 sei es nach offiziellen Erkenntnissen zur Einleitung von 66 Strafverfahren gekommen, die Zeugen J. selbst sprächen von 70 Verfahren. Von diesen 70 Personen befänden sich 25 in Untersuchungshaft, zahlreiche weitere unter Hausarrest. Angesichts dieser Zahlen ergebe sich eine rechnerische Verfolgungsdichte von 0,04%. Es gebe keine Berichte, dass die Glaubensausübung der Einzelnen, insbesondere das sogenannte „Predigen“, d.h. das Missionieren von Außenstehenden oder die Zusammenkunft von Gläubigen in Königreichsälen nicht mehr möglich sei, wobei allerdings die offiziellen Königreichsäle geschlossen worden seien. Es sei zwischen der Religionsausübung als solcher und der körperschaftlichen Organisation der Gemeinschaft zu unterscheiden. Nach den von den Zeugen J. selbst veröffentlichten Informationen richteten sich die Verfahren nicht gegen die Ausübung des Glaubens, sondern gegen die Organisation und Finanzierung einer extremistischen Vereinigung. Dies sei auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Russland ein multikonfessioneller Staat sei, in dem die Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert sei. Die mitgeteilten Fälle beträfen hauptsächlich Wohnungsdurchsuchungen zur Auffindung von verbotenen Schriften und damit gerade nicht die unmittelbare Religionsausübung. Berichte über Festnahmen während religiöser Versammlungen oder des Missionsdienstes seien nicht bekannt. Darüber hinaus läge dem Bundesamt keine Information über regionale Unterschiede bei der Umsetzung des Entscheidung des Obersten Gerichts Russlands vom 20. April 2017 vor. Gleiches gelte für die Frage, ob die russischen Behörden nach der Stellung der Betroffenen innerhalb der Gemeinschaft differenzierten.

Hierzu ließen die Kläger im vorliegenden Verfahren unter dem 28. März 2019 vortragen, nach russischem Recht sei auch die „Verleitung, Anwerbung oder sonstige Beteiligung“ einer Person an den Aktivitäten einer extremistischen Organisation strafbar. Gleiches gelte für die bloße „Teilnahme“ an einer solchen Organisation. Den Strafverfahrensakten betreffend ... und ... lasse sich entnehmen, dass auch einfache Verkünder deswegen belangt würden. Allein die Tatsache, dass auch Frauen, die weder an der Organisation noch an der Finanzierung der Organisation beteiligt seien, strafrechtlich verfolgt würden, spreche dafür, dass bereits die bloße Religionsausübung verfolgt werde. Aktuell befänden sich 14 Frauen in Haft. Im Übrigen wurde auf insgesamt elf Vorfälle im Zeitraum von Februar bis März 2019 verwiesen, in denen es zu Wohnungsdurchsuchungen bei bzw. Verhaftungen oder Verurteilungen von Zeugen J. gekommen war. Mit Schriftsatz vom 3. Mai 2019 wurde auf weitere zehn Vorfälle im Zeitraum von April bis Mai 2019 verwiesen.

Mit Beschluss vom 2. Mai 2019 hat der Einzelrichter die Verfahren des Klägers im Verfahren Au 2 K 17.34450 und der Kläger im vorliegenden Verfahren förmlich getrennt.

Mit Urteil vom heutigen Tag hat das Gericht die Klage des Klägers im Verfahren Au 2 K 17.34450 im Hinblick auf den Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus sowie auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots abgewiesen und lediglich die Beklagte unter Aufhebung der Befristungsentscheidung verpflichtet, erneut über die Dauer der Wiedereinreise- und Aufenthaltssperre zu entscheiden..

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Verfahrensakten und der Gerichtsakten sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung am 6. Mai 2019.

Gründe

I.

Die Klage der Klägerin zu 1. ist zulässig und begründet. Ihr steht bereits der mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1. Die Voraussetzungen der Zuerkennung der Eigenschaft eines Flüchtlings i.S.v. § 3 AsylG liegen bei der Klägerin zu 1 vor.

a) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, des Art. 1 A GFK und der Qualifikationsrichtlinie (QRL) gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG; Art. 9 Abs. 1 lit. a QRL), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG beschriebenen Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 Nr. 2 AsylG; Art. 9 Abs. 1 lit. b QRL).

Zwischen den Verfolgungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG i.V.m. § 3b AsylG) und den in den § 3a Abs. 1 und 2 AsylG als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG; Art. 9 Abs. 3 QRL).

Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b QRL umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Dabei ist nicht jeder Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit, der gegen Art. 10 Abs. 1 der Grundrechtscharta (GR-Charta) verstößt, bereits eine Verfolgungshandlung i.S.d. Qualifikationsrichtlinie. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Eingriff in das Recht auf Religionsfreiheit vorliegt, der Art. 10 Abs. 1 GR-Charta verletzt und als Verfolgungshandlung zu qualifizieren ist, sind eine Reihe objektiver wie auch subjektiver Gesichtspunkte zu berücksichtigen (EuGH, U.v. 5.9.2012 - Rs. C-71/11, C-99/11 - NVwZ 2012, 1612/1614; BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/939 - juris Rn. 28).

Objektive Gesichtspunkte sind dabei insbesondere die Schwere der dem Ausländer bei Ausübung seiner Religion drohenden Verletzung anderer Rechtsgüter, wie Leib und Leben. Subjektiv ist zu berücksichtigen, ob die religiöse Handlung, die die Verfolgung auslöst, für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Maßgeblich ist, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - NVwZ 2013, 936/939 - juris Rn. 29).

Eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung kann dabei nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum) liegen, sondern auch in der Verletzung der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum), so dass schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung eine beachtliche Verfolgungshandlung i.S.v. Art. 9 Abs. 1 QualfRL darstellen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Leitsätze 2 bis 4). Das Verbot weist jedoch nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Leitsatz 6). Maßgeblich ist demnach, wie der Einzelne seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis ein zentrales Element seiner religiösen Identität bildet und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Leitsätze 2 bis 4 Rn. 28 ff. im Anschluss an EuGH, U.v. 5.9.2012 - C-71/11 und C-99/11 - NVwZ 2012, 1612).

Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG; Art. 10 Abs. 2 QRL).

Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung begründet i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist, gilt einheitlich der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Dieser gilt für Anerkennung und Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gleichermaßen und entspricht demjenigen der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 1.6.2011 - 10 C 25/10 - juris Rn. 20/23).

Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. hierzu und zum Folgenden: BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32 ff.).

Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL in Form einer widerlegbaren Vermutung ist im Asylerstverfahren zu beachten, wenn der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkt für die Begründetheit seiner Furcht geltend macht, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Heimatland wiederholen werde. Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 QRL zukommende Beweiskraft ist von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 QRL ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, B.v. 6.7.2012 - 10 B 18/12 - juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf EuGH, U.v. 2.3.2010 - Rs. C-175/08 u.a. - juris Rn. 93; BVerwG, U.v. 5.5.2009 - 10 C 21/08 - juris Rn. 25).

Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3e Abs. 1 AsylG i.V.m. Art. 8 QRL nicht zuerkannt, wenn er (Nr. 1) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (Nr. 2) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

b) Gemessen daran sind im Falle der Klägerin zu 1. die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft i.S.v. § 3 Abs. 1 AsylG gegeben.

aa) Der Klägerin hat Russland zwar letztlich unverfolgt verlassen. Die von ihr geschilderten verbalen Drohungen von Privatpersonen sowie das Einsperren in der Duschkabine erreichen auch in ihrer Gesamtheit nicht das für die Annahme einer Verfolgung erforderliche Gewicht. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass sie bei Rückkehr eine Verfolgung zu erwarten hat.

(1) Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Angehörige der Zeugen J. in der russischen Föderation der Verfolgung unterliegen, ist bislang nicht obergerichtlich geklärt. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ist uneinheitlich. Das Verwaltungsgericht Hamburg (VG Hamburg, U.v. 27.6.2018 - 17 A 2777/18 - juris Rn. 24 - rechtskräftig) und im Anschluss daran das Verwaltungsgericht Sigmaringen (U.v. 17.1.2019 - A 4 K 6178/16 - juris Rn. 30 ff. - nicht rechtskräftig) gehen davon aus, dass Zeugen J., die ihren Glauben aktiv ausüben, in Russland strafrechtlicher Verfolgung unterliegen (vgl. im Ergebnis auch VG Stuttgart, U.v. 15.3.2019 - A 14 K 16637/17 - unveröffentlicht, nicht rechtskräftig und zuvor schon VG Göttingen, U.v. 5.10.2017 - 2 A 197/14 - unveröffentlicht). Das Verwaltungsgericht Trier (U.v. 13.11.2018 - 1 K 318/18.TR - juris Rn. 26 ff.) verneint eine Verfolgung allein aufgrund der Zugehörigkeit zu den Zeugen J., kommt im entschiedenen Einzelfall insbesondere aufgrund der Stellung des dortigen Klägers als Ältester aber gleichwohl zur beachtlichen Wahrscheinlich eine Verfolgung. Schließlich hat das Verwaltungsgericht Münster eine Verfolgung angenommen, - soweit ersichtlich - ohne eine Prüfung der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen (Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2018 - 2 K 1079/17.A - juris).

(2) Nach Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel kommt das Gericht zu der Überzeugung, dass Zeugen J. in der Russischen Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, wenn sie eine herausgehobene Stellung innerhalb der Gemeinschaft haben oder ihren Glauben öffentlich oder in Gemeinschaft mit anderen ausüben. Dagegen gibt es keine Hinweise dafür, dass Angehörige der Religionsgemeinschaft, die weder eine herausgehobene Stellung haben noch ihren Glauben in der dargestellten Form ausüben, mit Verfolgung zu rechnen haben.

(a) Zunächst lassen die Erkenntnismittel den Schluss zu, dass die Angehörigen der Zeugen J., die sich auch nur niederschwellig an den Aktivitäten ihrer Glaubensgemeinschaft beteiligen, strafrechtlich belangt werden können.

So führt das Auswärtige Amt im aktuellen Lagebericht vom 13. Februar 2019 (S. 7) aus: „Am 20. April 2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen J. als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt. Die Zeugen J. können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden.“ Rechtsgrundlage für eine strafrechtliche Verurteilung ist dabei Art. 282.2 des russischen Strafgesetzbuches, dessen Wortlaut (auszugsweise) wie folgt lautet (zitiert nach BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Russische Föderation, Zeugen J. vom 2.3.2018, S. 2 f.):

Art. 282.2 Organisation der Tätigkeit einer extremistischen Organisation

Z.1 Die Organisation der Tätigkeit … einer religiösen Vereinigung, in Bezug auf die es eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung über die Liquidierung oder ein Tätigkeitsverbot im Zusammenhang mit der Verwirklichung extremistischer Tätigkeit gibt - mit Ausnahme von Organisationen, die gemäß der russischen Gesetzgebung als terroristisch erkannt wurden -, wird mit einer Geldstrafe in Höhe von 400.000 bis 800.000 Rubel bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 6 bis 10 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 10 Jahren und mit Beschränkungen der Freiheit mit einer Frist von 1 bis 2 Jahren.

Z. 1.1. Die Zuführung, Anwerbung oder Einbeziehung einer Person zur Tätigkeit einer extremistischen Organisation mit einer Geldstrafe in Höhe von 300.000 bis 700.000 Rubel bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 4 Jahren oder mit Zwangsarbeit für einen Zeitraum von 2 bis 5 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren oder ohne einen solchen und mit Beschränkungen der Freiheit mit einer Frist von 1 bis 2 Jahren oder mit Freiheitsstrafe von 4 bis 8 Jahren mit Beschränkungen der Freiheit von 1 bis 2 Jahren.

Z. 2. Die Teilnahme an der Tätigkeit einer … religiösen Gesellschaft …, in Bezug auf die es eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung über die Liquidierung oder ein Tätigkeitsverbot im Zusammenhang mit der Verwirklichung extremistischer Tätigkeit gibt - mit Ausnahme von Organisationen, die gemäß der russischen Gesetzgebung als terroristisch erkannt wurden -, wird mit einer Geldstrafe in Höhe von 300.000 bis 600.000 Rubel bestraft oder in der Höhe des Arbeits- oder eines anderen Einkommens des Verurteilten für einen Zeitraum von 2 bis 3 Jahren oder mit Zwangsarbeit für einen Zeitraum von 1 bis 4 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 3 Jahren oder ohne einen solchen und mit Beschränkungen der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr oder mit Freiheitsstrafe von 2 bis 6 Jahren mit Beschränkungen der Freiheit von 1 bis 2 Jahren mit dem Entzug des Rechts, bestimmte Positionen einzunehmen oder bestimmte Tätigkeiten auszuüben mit einer Frist bis zu 5 Jahren und mit Beschränkungen der Freiheit mit einer Frist bis zu 1 Jahr.

Eine Person, die erstmals ein Verbrechen gemäß dieses Art. begangen und freiwillig die Teilnahme an der Tätigkeit dieser religiösen Gesellschaft, in Bezug auf die es eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung über die Liquidierung oder ein Tätigkeitsverbot im Zusammenhang mit der Verwirklichung extremistischer Tätigkeit gibt, beendet hat, wird von der strafrechtlichen Verantwortung frei, wenn in seinen Handlungen kein anderer Straftatbestand enthalten ist.“

Unter die „Teilnahme an der Tätigkeit einer religiösen Gesellschaft“ lässt sich auch eine bloße gemeinschaftliche Religionsausübung ohne weiteres subsumieren. Gleiches gilt für eine werbende, missionarische Tätigkeit im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal des „Anwerbens“. Ausgehend von den zahlreichen Berichten über die Ermittlungsverfahren gegen Zeugen J. wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen Art. 282.2 Strafgesetzbuch und einer Verurteilungen auf dessen Grundlage (dazu sogleich) ist davon auszugehen, dass die russischen Behörden die Norm auch tatsächlich umsetzen (vgl. zur Maßgeblichkeit der Rechtspraxis im Herkunftsstaat etwa BVerwG, U.v. 15.12.1992 - 9 C 61/91 - Rn. 11, juris). Besondere Beachtung fand insofern die Verurteilung eines dänischen Staatsangehörigen zu sechs Jahren Lagerhaft im Februar 2019 (vgl. UN News, UN rights chief ‘deeply concerned’ over Jehovah’s Witness sentencing in Russia, abrufbar unter https://news.un.org/en/story/2019/02/

1032151).

(b) Im Hinblick auf die Anzahl der Zeugen J., die in Russland strafrechtlicher Verfolgung auf der Grundlage u.a. von Art. 282.2 Strafgesetzbuch ausgesetzt sind, geht das Gericht davon aus, dass einiges mehr als 100 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden und ca. 100 der davon Betroffenen sich in Untersuchungshaft befinden, unter Hausarrest stehen oder sonstigen Freiheitsbeschränkungen (etwa in Form von Ausreiseoder Aufenthaltsbeschränkungen) unterliegen. Das Auswärtige Amt (Lagebericht vom 13. Februar 2019, S. 4, 7) geht von 85 Ermittlungsverfahren aus. 27 Zeugen J. säßen in Untersuchungshaft, 17 befänden sich im Hausarrest und 31 weitere dürften ihren Wohnort nicht verlassen. Die Vereinten Nationen sprachen Anfang Februar 2019 von mehr als 100 Ermittlungsverfahren (vgl. UN News, UN rights chief deeply concerned over Jehovah’s Witness sentencing in Russia, abrufbar unter https://news. un.org/en/story/2019/02/1032151). Die United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF) geht für Ende 2018 von 121 Ermittlungsverfahren, 23 Inhaftierungen, 27 Hausarresten und 41 Aufenthaltsbeschränkungen aus (United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), Annual Report 2019, April 2019, S. 83). Diese Zahlen dürften sich angesichts weiterer Verhaftungen und Wohnungsdurchsuchungen in den letzten Wochen vor der mündlichen Verhandlung weiter erhöht haben. So wurden am 15. Februar 2019 in der Stadt Surgut 40 Mitglieder der Zeugen J. verhaftet (Amnesty International, Russian Federation: Effectively investigate allegations of torture against and persecution of Jehovah´s Witneesses vom 25. Februar 2019), gegen 19 Mitglieder der Zeugen J. wurde Anklage wegen der Organisation einer extremistischen Vereinigung erhoben (BAMF, Biefing Notes vom 25. Februar 2019, S 6.). Die Zeugen J. selbst (https://jw-russia.org/en/prisoners.html#arrested=) gehen davon aus, dass bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlungen am 6. Mai 2019 gegen (mindestens) 153 Zeugen J. ermittelt wird und sich 90 davon in Haft befanden oder noch befinden.

(c) Über die Hintergründe der Ermittlungsverfahren und die jeweiligen Tatvorwürfe ist den Erkenntnismitteln vergleichsweise wenig zu entnehmen. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob sich die Verfolgung - wie die Beklagte andeutet - lediglich gegen solche Personen richtet, die bei der Organisation der Religionsgemeinschaft eine herausgehobene Rolle spielen oder ob auch die „einfache“ Religionsausübung verfolgt wird.

Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Februar 2019 (S. 4) formuliert insoweit (freilich ohne jede Begründung oder Erläuterung), die russischen Behörden gingen gezielt gegen Einzelpersonen und deren Religionsausübung vor, sofern diese öffentlich erfolge. Die Beklagte konnte auf ausdrückliche schriftliche Frage des Gerichts keine Erkenntnisse hinsichtlich einer Differenzierung der Strafverfolgungsbehörden aufgrund der Stellung innerhalb der Gemeinschaft nennen.

Allerdings enthalten die Erkenntnismittel zahlreiche Indizien, die darauf hindeuten, dass auch die einfache Religionsausübung in Russland tatsächlich strafrechtlich verfolgt wird. Ausgangspunkt ist dabei die Aussage des Obersten Gerichts der Russischen Föderation im Verbotsverfahren, das „alle Angehörigen der Religionsgemeinschaft potentielle Täter“ seien, weil ihre Aktivitäten die Stabilität des Schutzes vor Menschenrechtsverletzungen gefährdeten (BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Russische Föderation, Verbot und Strafverfolgung von Zeugen J. vom 26.9.2017). In diese Richtung deutet auch die im Parallelverfahren vorgelegte (und der Beklagten von dort bekannten) amtlich beglaubigte Übersetzung eines Schreibens der Staatsanwaltschaft ... an den Zeugen ... vom 2. Juli 2018 vor, wonach „die Organisation und Teilnahme einer an der Tätigkeit“ einer durch Gerichtsbeschluss liquidierten Vereinigung oder die „Durchführung einer extremistischen Tätigkeit“ nach § 282.2 des Strafgesetzbuches der russischen Föderation strafbar sei und die Zeugen J. kein Recht hätten, ihren Glauben auszuüben, ihre Literatur zu benutzen und zu verbreiten und den minderjährigen Kindern die „Ansichten dieser Organisation“ beizubringen. Soweit den Zeugen J. mittlerweile auch die Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen unmöglich gemacht (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Augsburg vom 27.12.2017 im vorliegenden Verfahren; United States Commission on International Religious Freedom (USCIRF), Annual Report 2019, April 2019, S. 83) und mit einer Entscheidung des Plenums des Obersten Gerichts vom November 2017 jedenfalls der juristisch-theoretische Unterbau geschaffen wurde, um Zeugen J. die elterliche Sorge zu entziehen, wenn sie ihre Kinder mit der Organisation der Zeugen J. in Kontakt bringen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13. Februar 2019, S. 7), spricht auch dies dafür, dass es den Organen der Russischen Föderation nicht nur um die Zerschlagung der Organisation der Zeugen J. als solcher, sondern auch um die Sanktionierung von individuellen glaubensgeleiteten Verhaltensweisen geht.

Dass die strafrechtliche Verfolgung auch auf rein private religiöse Aktivität zielt, legen zudem einige der in den Erkenntnismitteln genannten Einzelfälle nahe. So wurde den fünf im Oktober 2018 im Oblast Kirows verhafteten Zeugen J. der Versuch vorgeworfen, die Tätigkeit einer religiösen Organisation, die die Glaubenslehre der Zeugen J. weiterverbreitet, wieder aufzunehmen (BAF, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 31.8.2018, S. 7 f.). Trotz der Verbotsentscheidung des Obersten Gerichts vom 20. April 2017 hätten die Festgenommenen laut Untersuchungskomitee - in voller Kenntnis der Gerichtsentscheidung beschlossen, die religiöse Tätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Beachtung konspirativen Maßnahmen hätten sie jedes Mal in neuen Wohnungen Treffen von Jüngern und Teilnehmern der religiösen Vereinigung organisiert. Dort hätten sie biblische Lieder gesungen, die Fertigkeiten bei der Durchführung der missionarischen Tätigkeit vervollkommnet und in der Extremismus-Liste aufgeführte verbotene Literatur studiert (New World Translation of the Holy Scriptures, Nr. 4488 der Liste). Außerdem hätten sie eine verbotene religiöse Organisation finanziert, indem sie ca. 500.000 RUB von den Glaubensanhängern gesammelt hätten. Dieses Geld sei zwischen den Führern der Organisation für die Miete der Räumlichkeiten, für den Erwerb und die Wartung von Computern aufgewendet worden. Der Rest der Summe sei dem Leitungszentrum überwiesen worden. Das BFA (a.a.O.) folgert daraus, Teilnahmen an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen (der Zeugen J.) würden von den russischen Behörden „weiterhin“ verfolgt.

Auch, dass bei der bereits beschriebenen Aktion der Sicherheitsbehörden in Surgut auch Frauen und Minderjährige verhaftet wurden (Amnesty International, Russian Federation: Effectively investigate allegations of torture against and persecution of Jehovah´s Witneesses vom 25. Februar 2019) und der Umstand, dass sich unter den 153 von den Zeugen J. selbst als Verdächtigte gelisteten Personen auch 23 Frauen befinden, die nach dem Selbstverständnis der Zeugen J. keine leitenden Funktionen wahrnehmen (vgl. https://www.jw.org/de/jehovas-zeugen/haeufig-gestellte-fragen/frauen-predigerinnen/), sprechen dafür, dass sich die Ermittlungsverfahren keineswegs nur auf solche Personen beschränken, die innerhalb der Organisation eine herausgehobene (Leitungs-) Funktion innehaben.

Auch der Umstand, dass bereits im Jahr 2015 in der Stadt Taganrog 16 Angehörige der Zeugen J., darunter auch eine Frau wegen „Teilnahme an Veranstaltungen einer“ (damals noch nur regional) verbotenen „extremistischen Organisation“ zu Bewährungs- oder hohen Geldstrafen verurteilt wurden (Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Regensburg vom 21. Dezember 2016; Amnesty International, Urgent Action - Zeugen J. verurteilt vom 9. Dezember 2015), spricht für die Verfolgung der bloßen Religionsausübung.

Darauf, dass ein nicht unerheblicher Verfolgungsdruck hinsichtlich zentraler Elemente der (einfachen) Glaubensausübung wie das Missionieren („Predigen“) oder dem Besuch von Versammlungen besteht, deutet auch das vom Zeugen ... in einem Parallelverfahren glaubhaft geschilderte und in den Erkenntnismitteln ebenfalls erwähnte geänderte Verhalten der Angehörigen der Religionsgemeinschaft hin. So schilderte der Zeuge, religiöse Treffen fänden häufig nur noch getarnt als private (Essens-)Einladungen statt, bei denen auf das sonst bei Versammlungen übliche Tragen von feierlicher Kleidung verzichtet werde. Auch versuchten die „Prediger“ mittlerweile, das Risiko einer Verhaftung beim Missionieren dadurch zu minimieren, dass man nur noch im Bekannten-, Verwandten- und Kollegenkreis, also nicht mehr bei Unbekannten tätig werde. Auch sei es nun üblich, unmittelbar nach einem Missionierungsversuch eine größere räumliche Distanz zur Wohnung des Angesprochenen herzustellen, falls dieser sich an die Polizei wende. Dies deckt sich mit der Einschätzung, dass sich Gläubige bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 31. August 2018).

(d) Die Beurteilung der Verfolgungswahrscheinlichkeit entzieht sich dabei einer rein quantitativen Ermittlung.

Die Beklagte errechnet ausgehend von einer Mitgliederzahl von rund 175.000 und 70 Ermittlungsverfahren eine Verfolgungswahrscheinlichkeit von 0,04% (oder 1:2.500). Dies ist in der vorliegenden Konstellation nicht sachgerecht, jedenfalls nicht ausreichend.

Zum einen ist davon auszugehen, dass eine für die quantitative Bestimmung einer Verfolgungswahrscheinlichkeit nicht unerhebliche Zahl von Zeugen J. mittlerweile die Russische Föderation verlassen hat (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 21.5.2018, S. 8). Ein Kläger in einem Parallelverfahren hat hierzu angegeben, nach Angaben der Zentralverwaltung der Zeugen J. in der russischen Föderation liege die Zahl der Ausgereisten bei etwa 5.000. Angesichts der Angabe der Vertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung im dortigen Verfahren, allein in den Jahren 2018 und 2019 hätten in Deutschland 1.180 Zeugen J. aus der Russischen Föderation Asyl beantragt, erscheint diese Einschätzung nicht zu hoch.

Zudem ließe eine rein quantitative Ermittlung der Verfolgungsgefahr anhand der eingeleiteten Ermittlungsverfahren diejenigen zu Unrecht außer Betracht, die aus Furcht vor Verfolgung auf eine verfolgungsträchtige Religionsausübung verzichten. Diese Dunkelziffer lässt sich dabei sinnvoll nicht ermitteln, angesichts der dargestellten Lage der Zeugen J., erscheint es allerdings geradezu naheliegend, dass eine nicht unerhebliche Zahl der Angehörigen der Religionsgemeinschaft bestimmte Formen der Religionsausübung, namentlich öffentliche und gemeinschaftliche Formen, (nur) aus Furcht vor Verfolgung unterlässt.

Eine rechnerische Ermittlung des Verfolgungsrisikos könnte schließlich nur dann sinnvoll erfolgen, wenn sich die Zahl der Zeugen J., die ihre Religion vom Staat geduldet oder toleriert öffentlich oder gemeinschaftlich ausüben, bestimmen ließe. Nur die Relation der Anzahl strafrechtlicher Sanktionen einerseits und vom russischen Staat tolerierten formell strafbaren Verhaltensweisen andererseits könnte Aufschluss über die Verfolgungswahrscheinlichkeit geben. Der Vergleich der Anzahl der Sanktionen (Ermittlungsverfahren, Verhaftungen, Verurteilungen etc.) und Mitgliedern der Zeugen J. stellt insofern einen nur begrenzt tauglichen Maßstab dar.

Dies vorangestellt scheidet eine rein quantitative Ermittlung der Verfolgungswahrscheinlichkeit schon deswegen aus, weil sich den Erkenntnismitteln keine verlässlichen Hinweise darauf entnehmen lassen, dass die russischen Strafverfolgungsbehörden eine an sich von Art. 282.2 Strafgesetzbuch erfasste Religionsausübung geduldet hätten. Auch der Beklagte war auf ausdrückliche Anfrage des Gerichts nicht in der Lage, entsprechende Fälle zu benennen.

Angesichts dessen kann die Gefahr der Strafverfolgung von Zeugen J. in der Russischen Föderation nur anhand der von der Rechtsprechung entwickelten „qualifizierenden“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung. Es kommt - wie dargestellt - darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 23/12 - juris Rn. 32).

(e) Unter Anlegung dieses qualifizierenden Maßstabes ist unter Beachtung des aktuellen Ausweichverhaltens der Zeugen J. in Russland und der großen Zahl ausgereister Zeugen J. sowie mit Rücksicht auf die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die systematischen Verbotsverfahren und die dargestellten Ermittlungsverfahren bzw. Verurteilungen Einzelner eine strafrechtliche Verfolgung von Zeugen J., die eine herausgehobene Stellung innerhalb der Gemeinschaft einnehmen oder ihren Glauben öffentlich oder in Gemeinschaft mit anderen ausüben, beachtlich wahrscheinlich.

Das Gericht hat allerdings in den Erkenntnismitteln keinen Hinweis darauf gefunden, dass auch Zeugen J., die nicht an gemeinschaftlichen Zusammenkünften bzw. Missionierungen oder öffentlichen Handlungen teilnehmen, von legalen Repressionen betroffen wären (so ausdrücklich auch BAF, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Russische Föderation vom 31.8.2018, S. 8). Soweit dies den Erkenntnismitteln zu entnehmen ist, knüpften strafrechtliche Ermittlungen und Verurteilung - wenn nicht an eine organisatorische Tätigkeit - immer an den Vorwurf einer öffentlichen oder gemeinschaftlichen Religionsausübung im Weitesten Sinne an. Die bloße Zugehörigkeit zu den Zeugen J. begründet demnach - ungeachtet der Frage, wie sich eine solche bei einem weitgehenden Verzicht auf die religiöse Betätigung und der Auflösung der Organisationsstrukturen den Zeugen J. bestimmen ließe - keine beachtliche Verfolgungsgefahr.

(f) Der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung können sich betroffene Zeugen J. nicht durch ein Ausweichen in bestimmte Regionen der Russischen Föderation entziehen. Eine inländische Fluchtalternative im Sinne von § 3e AsylG steht ihnen nicht zur Verfügung. Alle 395 Regionalverbände der Zeugen J. wurden verboten (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13. Februar 2019, S. 7). Die strafrechtlichen Bestimmungen gelten landesweit. Verfolgungsmaßnahmen fanden in den letzten beiden Jahren - wie dargestellt - vom westrussischen Belgorod bis ins zentralsibirische Surgut statt. Auch die Beklagte konnte auf ausdrückliche Anfrage des Gerichts keine regionalen Unterschiede aufzeigen.

(g) Das Gericht ist schließlich der Überzeugung, dass es sich bei den dargestellten Verfolgungsmaßnahmen um Verfolgung aus Gründen der Religion und nicht etwa bloße Strafverfolgung zum Schutze allgemeiner individueller oder kollektiver Rechtsgüter handelt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht für die Abgrenzung des kriminellen vom politischen Charakter einer Bestrafung stets der Zweck der Strafe im Vordergrund. Steht hinter staatlichen Maßnahmen das Ziel, den Verfolgten allein oder doch jedenfalls auch aus politischen (religiösen) Gründen zu treffen, so ist eine politische Verfolgung auch dann gegeben, wenn sie der äußeren Form nach in das Gewand einer polizeilichen oder strafrechtlichen Maßnahme gekleidet ist (BVerwG, U.v. 17.5.1983 - 9 C 874/82 -, BVerwGE 67, 195 Rn. 21). Dabei sind die Formulierung der Tatbestände für sich genommen ebenso wenig ausschlaggebend wie ihre Interpretation nach den für unsere Rechtsordnung hergebrachten Auslegungsmethoden. Bedeutsam ist vielmehr eine Analyse der allgemeinen politischen Verhältnisse. Grobe Verletzungen des Prinzips der tatbestandlichen Bestimmtheit von Strafnormen sind allerdings ebenso wie eine evident fehlende Tat- und Schuldangemessenheit der angedrohten oder praktizierten Strafe Indizien für Verfolgungstendenzen.

Gemessen daran ist die dargestellte Verfolgung auf der Grundlage von Art. 282.2 StGB Verfolgung aus Gründen der Religion. Dafür spricht bereits, dass die Norm schon im Tatbestand die Organisation einer religiösen Vereinigung bzw. die Tätigkeit im Rahmen einer solchen Vereinigung nennt. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Norm selbst an die Verbotsentscheidung eines Gerichtes anknüpft, die speziell und ausschließlich die Gemeinschaft der Zeugen J. betraf. Hinzukommen die enorme Weite des Tatbestands („Teilnahme an der Tätigkeit … einer verbotenen religiösen Gesellschaft“) und das sehr hohe Strafmaß. Hinsichtlich der allgemeinen politischen Verhältnisse sei lediglich darauf hingewiesen, dass am Anfang der Bemühungen um ein Verbot der Zeugen J. Mitte der 1990er Jahre ein Antrag einer Vereinigung stand, die mit der Russischen Orthodoxen Kirche assoziiert ist (vgl. dazu und zu weiteren Versuchen eines Verbotes EGMR, U.v. 22.11.2010 - 302/02), die wiederum für den russischen Staat eine zentrale Rolle spielt und die der Staat auch bevorzugt behandelt, etwa indem er verstärkt Kritik an ihr ahndet (vgl. etwa Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13. Februar 2019, S. 6 und 7).

Dass die Besonderheiten der Religionsgemeinschaft der Zeugen J., die ihr im Verbotsverfahren von Seiten der Behörden vorgehaltenen wurden (näher dazu EGMR, U.v. 22.11.2010 - 302/02), insbesondere ihr Richtigkeitsanspruch oder die Verweigerung von Bluttransfusionen, eine Einstufung als extremistische Organisation tragen könnten, deren Zerschlagung aus legitimen Gründen des Staats- oder Individualrechtsgutschutzes erforderlich wäre, liegt schon deshalb fern, weil die Zeugen J. z.B. in der Bundesrepublik Deutschland als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt sind.

(h) Nach alledem haben Zeugen J. aus der Russischen Föderation einen Anspruch auf die Anerkennung als Flüchtling, wenn ihre individuelle religiöse Prägung erwarten lässt, dass sie im Falle einer unterstellten Rückkehr in die Russische Föderation (wieder) eine herausgehobene Stellung innerhalb der Gemeinschaft einnehmen oder ihren Glauben öffentlich oder in Gemeinschaft mit anderen ausüben werden oder dass eine solche Betätigung allein aufgrund von Furcht vor Verfolgung unterbleiben würde. Ein solcher Anspruch besteht dagegen nicht, wenn angesichts der individuellen religiösen Prägung ein Verzicht auf verfolgungsträchtige Formen der Religionsausübung zumutbar erscheint.

(3) In Anwendung dieser Grundätze geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin zu 1. als Angehörige der Zeugen J. in einer Weise religiös geprägt ist, die erwarten lässt, dass sie in Russland ihren Glauben in verfolgungsträchtiger Weise ausüben oder hierauf nur aus Furcht vor Verfolgung verzichten würde.

(a) Bei der Feststellung der religiösen Identität als innerer Tatsache kann nur im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen geschlossen werden. Allein der Umstand, dass der Betroffene seinen Glauben in seinem Herkunftsland nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, ist nicht entscheidend, soweit es hierfür nachvollziehbare Gründe gibt. Ergibt jedoch die Prüfung, dass der Betroffene seinen Glauben auch in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in seinem Herkunftsland der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist (BVerwG, U.v. 20.2.2013 - 10 C 22/12 - NVwZ 2013, 936/939, Rn. 26; siehe zum Ganzen VG Augsburg, U.v. 27.1.2014 - Au 6 K 13.30418 - juris Rn. 17). Erforderlich ist letztlich eine Gesamtwürdigung der religiösen Persönlichkeit des Betroffenen anhand aller vorliegenden Gesichtspunkte.

(b) Hiervon ausgehend ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Praktizierung ihres Glaubens in der Öffentlichkeit und in Gemeinschaft mit anderen ein zentrales Element der religiösen Identität der Klägerin zu 1. und für sie unverzichtbar ist.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung jeweils spontan, detailliert und anschaulich über ihre Glaubensausübung und die jeweiligen religiösen Hintergründe berichtet. Sie hat nachvollziehbar ihre eigenen Handlungen, Gedanken und Gefühle im Hinblick auf die eigene Scheidung dargelegt sowie sehr plastisch anhand eines konkreten Beispiels die glaubensgeleitete Lösung einer Erziehungsfrage geschildert und damit beim Gericht die Überzeugung hervorgerufen, dass die Klägerin ernsthaft versucht, ihr Leben von der Bewältigung von Alltagsproblemen bis hin zu tiefgreifenden persönlichen Entscheidungen an ihren religiösen Überzeugungen auszurichten. Besonders deutlich wird dies bei der Schilderung des faktischen Abbruchs des Kontaktes zu ihrem älteren Sohn nachdem dieser die Zeugen J. verlassen hatte. Ohne dieses Verhalten bewerten zu wollen, zeigt es doch, dass religiöse Überzeugungen einen außerordentlichen Einfluss auf das Verhalten der Klägerin zu 1. haben. Wenn die Klägerin vor diesem Hintergrund schildert, die Teilnahme an Versammlungen und der Missionsdienst gehörten seien integraler Bestandteil ihres Lebensstils und sie könne sich auch im Falle einer Rückkehr nach Russland nicht vorstellen, diese Tätigkeiten aufzugeben, hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass dies tatsächlich der Fall ist.

2. Nachdem den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, war der gegenständliche Bescheid des Bundesamts aufzuheben, soweit er dem entgegensteht. Diese Aufhebung umfasst insbesondere die in Ziffer 5. des Bescheids gemäß §§ 34, 38 AsylVfG erlassene Abschiebungsandrohung, deren Grundlage entfallen ist.

II.

Die Klage des Klägers zu 2. ist dagegen zulässig aber (derzeit) überwiegend unbegründet. Ihm stehen die geltend gemachten Ansprüche (noch) nicht zu (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Allerdings ist die Befristungsentscheidung im angegriffenen Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1. Der Kläger zu 2. hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

a) Der Kläger zu 2. kann die Anerkennung als Flüchtling nicht aufgrund einer ihm selbst drohenden Verfolgung beanspruchen

Der Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling setzt - wie der Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter - die Gefahr politischer Verfolgung in der Person des betroffenen Asylsuchenden voraus. Diese Gefahr kann daher nicht aus der politischen Verfolgung eines Familienmitgliedes ohne weiteres abgeleitet werden. Stets ist aber in Betracht zu ziehen, dass Familienangehörige politisch Verfolgter der Gefahr ausgesetzt sein können, selbst verfolgt zu werden. Unter dem Gesichtspunkt sog. Drittbetroffenheit steht ein Schutzanspruch diesen nur zu, wenn die politische Verfolgung einzelner Familienmitglieder auf einem Verfolgungsgrund oder einer Verfolgungsabsicht beruht, die auch andere Familienmitglieder mit einbeziehen. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts voraus, dass die mittelbaren Wirkungen einer gegen einen anderen gerichteten Verfolgungsmaßnahme auch unmittelbar gegen den Drittbetroffenen wirken sollen. Davon ist auszugehen, wenn sich der Verfolgungswille von Anfang an oder später auch gegen den Drittbetroffenen richtet (vgl. zum ganzen zusammenfassend etwa OVG Saarland vom 22.2.1989 - 3 R 434/85 - juris Rn. 39 f. unter Verweis auf BVerfG, B.v. vom 19.12.1984 - 2 BvR 1517/84 -, NVwZ 85, 260 und BVerwG, U.v. 27.04.1982 - BVerwG 9 C 239.80 - BVerwGE 65, 244).

Die in der Rechtsprechung entwickelte Regelvermutung (dazu und zum Folgenden OVG Saarland vom 22.2.1989 - 3 R 434/85 - juris Rn. 39 f. m.w.N.), dass solche Verfolgungshandlungen gegen das Kind zu erwarten sind, setzt dabei voraus, dass Fälle festgestellt worden sind, in denen in dem betreffenden Verfolgerstaat minderjährige Kinder politisch verfolgter Eltern (bzw. eines Elternteils) asylrechtlich relevanten Verfolgungsmaßnahmen unterworfen wurden, aus denen gefolgert werden kann, dass dem Kind, über dessen Schutzantrag zu entscheiden ist, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das gleiche Schicksal droht. Sind konkrete Bezugsfälle nicht namhaft zu machen oder nicht eindeutig festzustellen, kann die Vermutung auch dann eingreifen, wenn auf dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem menschenverachtenden Charakter eines Verfolgerstaates aus sicheren Erkenntnisquellen hervorgeht, dass er vor Menschenrechtsverletzungen im oben dargestellten Sinn gegenüber nahen Angehörigen - wie Kindern und Ehegatten - politisch Verfolgter nicht haltmacht. Dazu ist erforderlich, dass ein individueller Nachweis von Bezugsfällen allein deshalb nicht möglich ist, weil die Lage in einem Staat für die dort tätigen Bediensteten der deutschen Auslandsvertretung und andere Beobachter nur schwer durchschaubar ist und Erkenntnisse nur eingeschränkt zu erhalten und - im Sinne einer Namhaftmachung - zu erhärten sind.

Gemessen daran kann das Gericht nicht erkennen, dass der Kläger zu 2. in der Russischen Föderation selbst Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wäre.

Abgesehen von einem Bericht, dass unter den Festgenommenen in Surgut auch Minderjährige gewesen sein sollen, lassen sich den Erkenntnismitteln keine Hinweise darauf entnehmen, dass jüngere Kinder von Zeugen J. mit einer Verhaftung oder gar Strafverfolgung zu rechnen hätten. Eine strafrechtliche Verfolgung würde dem siebenjährigen Kläger zu 2. auch schon deswegen nicht drohen, weil er offensichtlich auch nach russischem Recht nicht strafmündig ist. Unabhängig davon kann das Gericht bei ihm schon aufgrund des Alters und auch unter Berücksichtigung der Angaben der Klägerin zu 1. zu ihrem Bemühen, ihn im Glauben zu erziehen eine besondere religiöse Prägung (zu diesem Erfordernis auch bei Kindern vgl. BVerwG, U.v. 17.8.1993 - 9 C 8/93 - juris Rn. 13), die ihn in absehbarer Zeit veranlassen könnte, in verfolgungsträchtiger Weise tätig zu werden, nicht feststellen.

Soweit den Erkenntnismitteln zu entnehmen ist, dass mit einer Entscheidung des Plenums des Obersten Gerichts vom November 2017 jedenfalls der juristisch-theoretische Unterbau geschaffen wurde, um Zeugen J. die elterliche Sorge zu entziehen, wenn sie ihre Kinder mit der Organisation der Zeugen J. in Kontakt bringen (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 13. Februar 2019, S. 7), würde sich eine tatsächliche Entziehung insofern auch als eine gegen das jeweilige Kind gerichtete Verfolgungsmaßnahme darstellen. Allerdings betont das Auswärtige Amt (a.a.O.), dass es insofern bislang zu keinen Fall der Trennung der Eltern von ihren Kindern gekommen sei. Auch sonst lassen sich den Erkenntnismitteln und dem klägerischen Vortrag keine Hinweise dafür entnehmen, dass die russischen Behörden derzeit von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Dass ein individueller Nachweis von Bezugsfällen allein deshalb nicht möglich ist, weil die Lage in der Russischen Föderation für die dort tätigen Bediensteten der deutschen Auslandsvertretung und andere Beobachter nur schwer durchschaubar und Erkenntnisse nur eingeschränkt zu erhalten wären, ist angesichts der Fülle der Informationen und nicht zuletzt der systematischen Dokumentation von Verfolgungshandlungen durch die Gemeinschaft der Zeugen J. selbst nicht anzunehmen.

b) Der Kläger zu 2. hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 26 Abs. 2, Abs. 5 AsylG, weil der Klägerin zu 1. in Ermangelung der Rechtskraft dieser Entscheidung die Flüchtlingseigenschaft nicht unanfechtbar zuerkannt ist. Ihm kann von der Beklagten die Flüchtlingseigenschaft als Familienangehöriger gemäß § 26 AsylG in einem Folgeverfahren (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2002 - 1 C 10.02 - juris Rn. 6 ff.) erst zuerkannt werden, sobald die Flüchtlingsanerkennung der Klägerin zu 1. unanfechtbar ist.

Eine Verpflichtung der Beklagten, Familienangehörige schon vorher - aufschiebend bedingt durch die Unanfechtbarkeit der Anerkennung des Stammberechtigten (§ 36 Abs. 1 Alt. 2, Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) - als Flüchtlinge gemäß § 26 AsylG anzuerkennen, kommt nicht in Betracht (vgl. hierzu und zum Folgenden OVG Bautzen U.v. 7.2.2018 - 6 A 696/16 - BeckRS 2018, 2127, beck-online m.w.N.). Abgesehen davon, dass die Beklagte über eine solche Bedingung nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, könnte sie die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Flüchtlingsanerkennung nach § 26 AsylG nicht sicherstellen. Denn erst bei Unanfechtbarkeit der Flüchtlingsanerkennung des Stammberechtigten ist zu prüfen, ob dann die übrigen Voraussetzungen des § 26 AsylG bei den Familienangehörigen (noch) vorliegen, etwa keine Ausschlussgründe nach § 26 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Deshalb scheidet auch eine durch die Unanfechtbarkeit der Anerkennung des Stammberechtigten bedingte - gerichtliche - Verpflichtung der Beklagten zur Flüchtlingsanerkennung nach § 26 AsylG aus.

In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass es von der Möglichkeit der Aussetzung des Verfahrens nach § 94 VwGO bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Flüchtlingseigenschaft der Klägerin zu 1. auch deswegen keinen Gebrauch gemacht hat, um dem Kläger zu 2. die Möglichkeit zu geben, seinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf Grundlage einer eigenen drohenden Verfolgung zeitnah im Berufungszulassungsverfahren weiter zu verfolgen. Als (für den Kläger zu 2. möglicherweise bedeutsamen) Reflex einer originären Flüchtlingsanerkennung, könnte seinem personensorgeberechtigter Vater in diesem Fall ein Anspruch nach § 26 Abs. 3, Abs. 5 AsylG zustehen. Die (zugegebenermaßen sehr ungewisse) Perspektive bestünde weder im Falle einer Aussetzung des vorliegenden Verfahrens noch im Falle der (künftigen) Zuerkennung von bloßem Familienflüchtlingsschutz für den Kläger zu 2. In letzterem Falle könnte dem Vater des Klägers zu 2. die Flüchtlingseigenschaft nicht nach § 26 AsylG zuerkannt werden, weil dem der Ausschlussgrund des § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG entgegenstünde. § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG ist trotz seines engeren Wortlauts weit dahingehend auszulegen, dass eine Gewährung von abgeleitetem Schutz nach § 26 AsylG von einem Familienangehörigen, der selbst diesen Schutzstatus über § 26 AsylG erhalten hat, nicht möglich ist (ausführlich dazu BayVGH, U.v. 26.4.2018 - 20 B 18.30332 - juris Rn. 27 ff.).

2. Der Kläger zu 2. hat auch keinen Anspruch auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG oder auf die Feststellung eines Zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AsylG. Solche Ansprüche kämen allenfalls unter dem Gesichtspunkt in Frage, dass der Kläger aufgrund der (aus der heutigen Perspektive absehbaren) Flüchtlingsanerkennung seiner Mutter ohne diese nach Russland zurückkehren müsste (zur Rückkehrprognose, wenn ein Familienmitglied in Deutschland einen Schutzstatus innehat BayVGH, U.v. 8.11.2018 - 13a B 17.31960 - juris) und damit die Sicherung seiner Existenzgrundlage fraglich wäre. Im Falle des Klägers zu 2. wäre insofern jedoch zu berücksichtigen, dass die Klage seines Vaters mit Urteil vom heutigen Tage abgewiesen wurde und insofern - wenn überhaupt - von einer Rückkehr des Klägers zu 2. zusammen mit seinem Vater auszugehen wäre. Andernfalls käme eine Abschiebung ohnehin nur in Betracht, wenn sich die Ausländerbehörde nach § 58 Abs. 1a AufenthG zuvor vergewissert hat, dass er einer personensorgeberechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Insofern wird in jedem Fall gesichert sein, dass der Kläger zu 2. nicht in eine menschenrechtswidrige Gefahrenlage im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG oder § 60 Abs. 5 kommen würde.

Ungeachtet der Beschränkung des Prüfungsstoffs im Asylverfahren auf zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote weist das Gericht zudem darauf hin, dass eine Abschiebung des Klägers zu 2. ohne die Klägerin zu 1. vor dem Hintergrund der von der Ausländerbehörde zu prüfenden Schutzwirkung von Ehe und Familie (Art. 6 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) offensichtlich ausgeschlossen sein dürfte, solange sich die Klägerin zu 1. als sorgeberechtigte und die Personensorge wahrnehmende Mutter im Bundesgebiet aufhält.

3. Die Befristungsentscheidung der Beklagten ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) allerdings rechtswidrig und verletzt den Kläger zu 2. in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG entscheidet das Bundesamt (unter anderem) im Falle einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 AsylG über die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der die persönlichen Belange des Betreffenden an einer Wiedereinreise und einem erneutem Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu berücksichtigen sind (vgl. dazu und zum folgenden BayVGH, B.v. 6.4.2017 - 11 ZB 17.30317 - juris Rn. 12). Der Behörde steht dabei ein Ermessensspielraum zu. Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden.

Nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG dient dazu, einen Ausländer der entweder ausgewiesen wurde, versucht hat, unerlaubt einzureisen oder nicht fristgerecht ausgereist ist und deshalb abgeschoben wurde, wegen dieser Gesetzesverstöße eine angemessene Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten (dazu und zum Folgenden BayVGH, B.v. 6.4.2017 - 11 ZB 17.30317 - juris Rn. 13). Dabei sind nach dem Zweck der Vorschrift die persönlichen Belange des Ausländers zu berücksichtigen, die nach der Ausweisung, der Zurückschiebung oder der Abschiebung eine baldige Wiedereinreise erforderlich machen. Orientiert an diesem Zweck können keine Aspekte berücksichtigt werden, die alleine gegen die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts sprechen (z.B. eine Ausbildung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 und 4 AufenthG), sondern es sind die Belange einzustellen, die die Beendigung des Aufenthalts überdauern und Bedeutung für eine möglichst baldige Wiedereinreise haben. Dazu gehören z.B. verwandtschaftliche Bindungen an Personen im Bundesgebiet, durch einen langen rechtmäßigen Voraufenthalt anderweitig verfestigte Bindung an das Bundesgebiet und Umstände in der Person des Ausländers, wie z.B. hohes Alter oder Krankheit, die ggf. eine spätere Wiedereinreise unmöglich machen (BayVGH a.a.O.).

Gemessen daran kann die Befristungsentscheidung der Beklagten im Hinblick auf den Kläger zu 2. keinen Bestand haben. Sie hat die Bindung des Klägers zu 2. zur Klägerin zu 1., die aufgrund des vorliegenden Urteils die Bundesrepublik Deutschland auf absehbare Zeit nicht verlassen wird, - naturgemäß - nicht berücksichtigt, da das Bundesamt bei Erlass des angegriffenen Bescheides noch von der gemeinsamen Rückkehr der gesamten Familie ausgegangen ist.

III.

Die Beteiligten tragen die Kosten des Verfahrens entsprechend ihrem jeweiligen Obsiegen bzw. Unterliegen (§§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO). Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. Mai 2019 - Au 2 K 19.30587

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. Mai 2019 - Au 2 K 19.30587 zitiert 29 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 4 Subsidiärer Schutz


(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt: 1. die Verhängung oder Vollstreckung der To

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 77 Entscheidung des Gerichts


(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefä

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 6


(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinsc

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34 Abschiebungsandrohung


(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn 1. der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,2. dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wir

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Zivilprozessordnung - ZPO | § 100 Kosten bei Streitgenossen


(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. (2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Ma

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 58 Abschiebung


(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Si

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 25 Anhörung


(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über W

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 94


Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde fes

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 26 Familienasyl und internationaler Schutz für Familienangehörige


(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn 1. die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,2. die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Sta

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 40 Ermessen


Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 35 Abschiebungsandrohung bei Unzulässigkeit des Asylantrags


In den Fällen des § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war.

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 75 Aufgaben


Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat unbeschadet der Aufgaben nach anderen Gesetzen folgende Aufgaben: 1. Koordinierung der Informationen über den Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit zwischen den Ausländerbehörden, der Bundesagentur

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 60 Auflagen


(1) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), wird verpflichtet, an dem in der Verteilentscheidung nach §

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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. Mai 2019 - Au 2 K 19.30587 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. Mai 2019 - Au 2 K 19.30587 zitiert 6 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

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Tenor I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. November 2017 wird, soweit es der Klage stattgegeben hat, geändert. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Geri

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 08. Nov. 2018 - 13a B 17.31960

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Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Juli 2017 wird Nr. 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2016 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 06. Apr. 2017 - 11 ZB 17.30317

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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Gründe I. Die Klägerin ist

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 17. Jan. 2019 - A 4 K 6178/16

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Tenor Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 wird hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.Die Beklagte trägt die Kost

Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 27. Juni 2018 - 17 A 2777/18

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Bundesverwaltungsgericht Urteil, 01. Juni 2011 - 10 C 25/10

bei uns veröffentlicht am 01.06.2011

Tatbestand 1 Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

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(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und darüber, ob bereits in anderen Staaten oder im Bundesgebiet ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling, auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist.

(2) Der Ausländer hat alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen.

(3) Ein späteres Vorbringen des Ausländers kann unberücksichtigt bleiben, wenn andernfalls die Entscheidung des Bundesamtes verzögert würde. Der Ausländer ist hierauf und auf § 36 Absatz 4 Satz 3 hinzuweisen.

(4) Bei einem Ausländer, der verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, soll die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Asylantragstellung erfolgen. Einer besonderen Ladung des Ausländers und seines Bevollmächtigten bedarf es nicht. Entsprechendes gilt, wenn dem Ausländer bei oder innerhalb einer Woche nach der Antragstellung der Termin für die Anhörung mitgeteilt wird. Kann die Anhörung nicht an demselben Tag stattfinden, sind der Ausländer und sein Bevollmächtigter von dem Anhörungstermin unverzüglich zu verständigen.

(5) Bei einem Ausländer, der nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann von der persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt. In diesem Falle ist dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben.

(6) Die Anhörung ist nicht öffentlich. An ihr können Personen, die sich als Vertreter des Bundes, eines Landes oder des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ausweisen, teilnehmen. Der Ausländer kann sich bei der Anhörung von einem Bevollmächtigten oder Beistand im Sinne des § 14 des Verwaltungsverfahrensgesetzes begleiten lassen. Das Bundesamt kann die Anhörung auch dann durchführen, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand trotz einer mit angemessener Frist erfolgten Ladung nicht an ihr teilnimmt. Satz 4 gilt nicht, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand seine Nichtteilnahme vor Beginn der Anhörung genügend entschuldigt. Anderen Personen kann der Leiter des Bundesamtes oder die von ihm beauftragte Person die Anwesenheit gestatten.

(7) Die Anhörung kann in geeigneten Fällen ausnahmsweise im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen.

(8) Über die Anhörung ist eine Niederschrift aufzunehmen, die die wesentlichen Angaben des Ausländers enthält. Dem Ausländer ist eine Kopie der Niederschrift auszuhändigen oder mit der Entscheidung des Bundesamtes zuzustellen.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein 1960 geborener algerischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung.

2

Er stellte im Oktober 1992 einen Asylantrag. Nachdem er unbekannt verzogen war, lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - den Antrag mit Bescheid vom 8. November 1993 als offensichtlich unbegründet ab. Einen weiteren Asylantrag unter einem Aliasnamen lehnte das Bundesamt mit Bescheid vom 24. September 1993 ab.

3

Im November 1994 wurde der Kläger von den französischen Behörden wegen des Verdachts der Vorbereitung terroristischer Aktionen in Algerien festgenommen. Das Tribunal de Grande Instance de Paris verurteilte ihn am 22. Januar 1999 u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Gefängnisstrafe von acht Jahren.

4

Nachdem der Kläger im März 2001 aus französischer Haft entlassen worden war, stellte er im Juli 2001 in Deutschland einen Asylfolgeantrag, den er auf die überregionale Berichterstattung über den Strafprozess in Frankreich und die daraus resultierende Verfolgungsgefahr in Algerien stützte. Er gab an, nie für eine terroristische Vereinigung aktiv gewesen zu sein; der Prozess in Frankreich sei eine Farce gewesen. Mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 lehnte das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter ab, stellte jedoch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Algeriens fest. Angesichts der Berichterstattung über den Strafprozess müsse davon ausgegangen werden, dass der algerische Auslandsgeheimdienst den Prozess beobachtet habe und der Kläger in das Blickfeld algerischer Behörden geraten sei. Bei einer Rückkehr nach Algerien bestehe deshalb die beachtliche Gefahr von Folter und Haft.

5

Mit Bescheid vom 1. Juni 2005 nahm das Bundesamt den Anerkennungsbescheid vom 15. Oktober 2002 mit Wirkung für die Zukunft zurück. Die Feststellung sei von Anfang an fehlerhaft gewesen, da das Vorliegen der Ausnahmetatbestände in § 51 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 Alt. 3 AuslG verkannt worden sei. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilung in Frankreich stehe fest, dass der Kläger eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Das Verwaltungsgericht hat den Rücknahmebescheid mit rechtskräftigem Urteil vom 27. Oktober 2006 aufgehoben, da das Bundesamt die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG versäumt habe.

6

Mit Schreiben vom 10. Juli 2007 leitete das Bundesamt ein Widerrufsverfahren ein, in dessen Verlauf der Kläger bestritt, dass sich die Verhältnisse in Algerien entscheidungserheblich geändert hätten. Mit Bescheid vom 21. Dezember 2007 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 15. Oktober 2002 getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Darüber hinaus stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Durch die im September 2005 per Referendum angenommene "Charta für Frieden und nationale Aussöhnung" sowie die zu deren Umsetzung erlassenen Vorschriften habe Algerien weitgehende Straferlasse für Mitglieder islamistischer Terrorgruppen eingeführt. Die Amnestieregelungen würden konsequent und großzügig umgesetzt und fänden auch nach Ablauf des vorgesehenen Stichtags weiter Anwendung. Der Kläger habe daher im Falle seiner Rückkehr nach Algerien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politisch motivierte Verfolgung zu befürchten.

7

Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid durch Urteil vom 20. Mai 2008 aufgehoben, da dem Widerruf bereits die Rechtskraft des Urteils vom 27. Oktober 2006 entgegenstehe. Der angefochtene Widerruf erweise sich im Ergebnis als eine die Rücknahme vom 1. Juni 2005 ersetzende Entscheidung.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Dezember 2009 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zwar stehe die Rechtskraft des die Rücknahme aufhebenden Urteils dem Widerruf nicht entgegen, denn die Streitgegenstände dieser beiden Verwaltungsakte seien nicht identisch. Dennoch erweise sich die Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Ergebnis als richtig, da die Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nicht vorlägen. Dieser sei gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur möglich, wenn der Betroffene wegen zwischenzeitlicher Veränderungen im Heimatstaat vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher sei. Das sei beim Kläger nicht der Fall. Er falle nicht unter die Stichtagsregelung der Amnestieregelung; ob die Anwendungspraxis auch den Fall des Klägers erfasse, sei unsicher. Angesichts der weiterhin bestehenden Repressionsstrukturen seien ausreichende Anhaltspunkte für eine allgemeine Liberalisierung in Algerien nicht vorhanden.

9

Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von dem abgesenkten Wahrscheinlichkeitsmaßstab ausgegangen. Unter Geltung der Qualifikationsrichtlinie würde selbst ein Vorverfolgter nur durch die widerlegbare Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie privilegiert. Auch nach der Rechtsprechung des EuGH sei beim Widerruf eines nicht Vorverfolgten der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen.

10

Der Kläger verteidigt das Berufungsurteil aus den Gründen der Ausgangsentscheidung. Darüber hinaus macht er geltend, dass einem anerkannten Flüchtling aufgrund seines Aufenthalts in der Bundesrepublik und des Vertrauens auf seinen gefestigten Status ein größerer Schutz zu gewähren sei als einem Asylbewerber bei der Entscheidung über seine Anerkennung.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet, denn das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar hat das Berufungsgericht den Widerrufsbescheid zu Recht sachlich geprüft und nicht bereits wegen des aus der Rechtskraft folgenden Wiederholungsverbots aufgehoben (1.). Es hat aber der Verfolgungsprognose, die es bei Prüfung der Voraussetzungen für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gestellt hat, einen unzutreffenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt (2.). Mangels der für eine abschließende Entscheidung notwendigen tatsächlichen Feststellungen kann der Senat in der Sache weder in positiver noch in negativer Hinsicht selbst entscheiden. Die Sache ist daher an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

12

1. Dem Erlass des streitgegenständlichen Widerrufsbescheids steht nicht entgegen, dass die zuvor verfügte Rücknahme der Flüchtlingsanerkennung im Vorprozess rechtskräftig aufgehoben worden ist. Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage daran gehindert, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteile vom 8. Dezember 1992 - BVerwG 1 C 12.92 - BVerwGE 91, 256 <257 f.> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 63 und vom 28. Januar 2010 - BVerwG 4 C 6.08 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 99). Das Wiederholungsverbot erfasst aber nur inhaltsgleiche Verwaltungsakte, d.h. die Regelung desselben Sachverhalts durch Anordnung der gleichen Rechtsfolge (Urteil vom 30. August 1962 - BVerwG 1 C 161.58 - BVerwGE 14, 359 <362> = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 4 und Beschluss vom 15. März 1968 - BVerwG 7 C 183.65 - BVerwGE 29, 210 <213 f.>).

13

In Anwendung dieser Kriterien erweisen sich Rücknahme einer Flüchtlingsanerkennung wegen Nichtbeachtung zwingender Ausschlussgründe und deren Widerruf wegen Wegfalls der sie begründenden Umstände nicht als inhaltsgleich. Zwar erfolgte die Rücknahme im Fall des Klägers nur mit Wirkung für die Zukunft, so dass die beiden Verwaltungsakte auf dieselbe Rechtsfolge gerichtet waren (vgl. aus einer anderen Perspektive Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 <35>). Aber die den beiden Aufhebungsakten zugrunde liegenden rechtlichen Voraussetzungen und die hierbei zu berücksichtigenden Tatsachen unterscheiden sich: Während die Rücknahme auf einer anderen rechtlichen Beurteilung eines vergangenen Sachverhalts beruht, stützt sich der Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG auf eine nach der Anerkennung eingetretene Sachverhaltsänderung. Daher greift das Wiederholungsverbot im vorliegenden Fall nicht.

14

2. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des angefochtenen Widerrufs ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798). Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG insbesondere der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.

15

Mit § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EU Nr. L 304 vom 30. September 2004 S. 12; berichtigt ABl EU Nr. L 204 vom 5. August 2005 S. 24) über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Daher sind die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - juris Rn. 9; zur Veröffentlichung in der Sammlung BVerwGE vorgesehen).

16

Der angefochtene Bescheid erweist sich nicht deshalb als rechtswidrig, weil das Bundesamt bei seiner Widerrufsentscheidung kein Ermessen ausgeübt hat. Durch die klarstellende Neuregelung in § 73 Abs. 7 AsylVfG ist geklärt, dass in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die Entscheidung über die Flüchtlingsanerkennung vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar geworden ist, die Prüfung nach § 73 Abs. 2a Satz 1 AsylVfG spätestens bis zum 31. Dezember 2008 zu erfolgen hat. Damit hat der Gesetzgeber eine Übergangsregelung für vor dem 1. Januar 2005 unanfechtbar gewordene Altanerkennungen getroffen und festgelegt, bis wann diese auf einen Widerruf oder eine Rücknahme zu überprüfen sind. Daraus folgt, dass es vor einer solchen Prüfung und Verneinung der Widerrufs- und Rücknahmevoraussetzungen in dem seit dem 1. Januar 2005 vorgeschriebenen Verfahren (Negativentscheidung) keiner Ermessensentscheidung bedarf (Urteil vom 25. November 2008 - BVerwG 10 C 53.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 31 Rn. 13 ff.).

17

Das Berufungsurteil ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen und speziell mit Blick auf den der Verfolgungsprognose zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeitsmaßstab nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren, der im Lichte der Richtlinie 2004/83/EG auszulegen ist. Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie). Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.

18

a) Diese unionsrechtlichen Vorgaben hat der Gerichtshof der Europäischen Union in seinem Urteil vom 2. März 2010 (Rs. C-175/08 u.a., Abdulla u.a. - NVwZ 2010, 505) dahingehend konkretisiert, dass der in Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie angesprochene "Schutz des Landes" sich nur auf den bis dahin fehlenden Schutz vor den in der Richtlinie aufgeführten Verfolgungshandlungen bezieht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 67, 76, 78 f.). Dazu hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass sich die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft wegen Veränderungen im Herkunftsland grundsätzlich spiegelbildlich zur Anerkennung verhält. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG sieht - ebenso wie Art. 1 C Nr. 5 GFK - vor, dass die Flüchtlingseigenschaft erlischt, wenn die Umstände, aufgrund derer sie zuerkannt wurde, weggefallen sind, wenn also die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht mehr vorliegen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 65). Nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie ist Flüchtling, wer sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, außerhalb des Landes seiner Staatsangehörigkeit befindet, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Ändern sich die der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände und erscheint die ursprüngliche Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG deshalb nicht mehr als begründet, kann der Betreffende es nicht mehr ablehnen, den Schutz seines Herkunftslands in Anspruch zu nehmen (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 66), soweit er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie haben muss (ebd. Rn. 76). Die Umstände, die zur Zuerkennung oder umgekehrt zum Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft führen, stehen sich mithin in symmetrischer Weise gegenüber (so EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 68).

19

Mit Blick auf die Maßstäbe für das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 der Richtlinie hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein muss, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72). Dafür muss feststehen, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung führten, beseitigt sind und diese Beseitigung als dauerhaft angesehen werden kann (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 73).

20

aa) Eine erhebliche Veränderung der verfolgungsbegründenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland mit Blick auf die Faktoren, aus denen die zur Flüchtlingsanerkennung führende Verfolgungsgefahr hergeleitet worden ist, deutlich und wesentlich geändert haben. In der vergleichenden Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Flüchtlingsanerkennung und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Sachlage muss sich durch neue Tatsachen eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben. Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus, denn reiner Zeitablauf bewirkt für sich genommen keine Sachlagenänderung. Allerdings sind wegen der Zeit- und Faktizitätsbedingtheit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt (vgl. Urteile vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <84> und vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <124 f.>).

21

Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft kann seit Umsetzung der in Art. 11 und Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben an der bisherigen, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festgehalten werden. Danach setzte der Widerruf der Flüchtlingsanerkennung voraus, dass sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist (Urteile vom 1. November 2005 - BVerwG 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 277 <281> und vom 12. Juni 2007 - BVerwG 10 C 24.07 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 28 Rn. 18; so auch das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung). Dieser gegenüber der beachtlichen Wahrscheinlichkeit abgesenkte Maßstab ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht für Fälle der Vorverfolgung entwickelt worden. Er wurde dann auf den Flüchtlingsschutz übertragen und hat schließlich Eingang in die Widerrufsvoraussetzungen gefunden, soweit nicht eine gänzlich neue oder andersartige Verfolgung geltend gemacht wird, die in keinem inneren Zusammenhang mehr mit der früheren steht (Urteil vom 18. Juli 2006 - BVerwG 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243 Rn. 26).

22

Dieses materiellrechtliche Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose ist der Richtlinie 2004/83/EG fremd. Sie verfolgt vielmehr bei einheitlichem Prognosemaßstab für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 und der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zum Ausdruck kommt (Urteile vom 27. April 2010 - BVerwG 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 Rn. 20 ff. und vom 7. September 2010 - BVerwG 10 C 11.09 - juris Rn. 15). Das ergibt sich neben dem Wortlaut der zuletzt genannten Vorschrift auch aus der Entstehungsgeschichte, denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Demzufolge gilt unionsrechtlich beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung erlitten hat. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ..." des Art. 2 Buchst. c der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Er stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330 ); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 ; Urteil vom 27. April 2010 a.a.O. Rn. 22).

23

Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i.V.m. Art. 10 der Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich der Maßstab der Erheblichkeit für die Veränderung der Umstände danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 84 ff., 98 f.). Die Richtlinie kennt nur diesen einen Wahrscheinlichkeitsmaßstab zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr unabhängig davon, in welchem Stadium - Zuerkennen oder Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft - diese geprüft wird. Es spricht viel dafür, dass die Mitgliedstaaten hiervon in Widerrufsverfahren nicht nach Art. 3 der Richtlinie zugunsten des Betroffenen abweichen können. Denn die zwingenden Erlöschensgründe dürften zu den Kernregelungen zählen, die in allen Mitgliedstaaten einheitlich auszulegen sind, um das von der Richtlinie 2004/83/EG geschaffene System nicht zu beeinträchtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09, B und D - NVwZ 2011, 285 Rn. 120 zu den Ausschlussgründen). Das kann aber hier dahinstehen, da keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 bei der Flüchtlingsanerkennung an den oben dargelegten unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben des nationalen Rechts festhalten wollte. Vielmehr belegt der neu eingefügte § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG, demzufolge für die Feststellung einer Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie ergänzend anzuwenden ist, dass der Gesetzgeber sich den beweisrechtlichen Ansatz der Richtlinie zu eigen gemacht hat.

24

bb) Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründen und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 72 ff.). Für den nach Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d.h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Der Senat hat in einem Fall, in dem ein verfolgendes Regime gestürzt worden ist (Irak), bereits entschieden, dass eine Veränderung in der Regel nur dann als dauerhaft angesehen werden kann, wenn im Herkunftsland ein Staat oder ein sonstiger Schutzakteur im Sinne des Art. 7 der Richtlinie 2004/83/EG vorhanden ist, der geeignete Schritte eingeleitet hat, um die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung zu verhindern (Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 17). Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt (Urteil vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>; Beschluss vom 7. Februar 2008 a.a.O. juris Rn. 37), gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind - wie hier - Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 a.a.O. Rn. 90). Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden.

25

b) Das Berufungsgericht hat vorliegend bei seiner Verfolgungsprognose den Maßstab der hinreichenden Sicherheit zugrunde gelegt. Damit hat es § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG verletzt; auf dieser Verletzung beruht die Berufungsentscheidung. Da das Berufungsgericht seine tatsächlichen Feststellungen unter einem - wie dargelegt - rechtlich unzutreffenden Maßstab getroffen hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO). Denn es ist Aufgabe des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz, die Verhältnisse im Herkunftsland auf der Grundlage einer Gesamtschau zu würdigen und mit Blick auf die Umstände, die der Flüchtlingsanerkennung des Betroffenen zugrunde lagen, eine Gefahrenprognose unter Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte zu erstellen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2018 zum Az. ... wird in den Nummern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die am [...] geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige ukrainischer Volkszugehörigkeit. Sie gehört der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an.

3

Eigenen Angaben nach reiste die Klägerin am 17. Oktober 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik ein. Am 24. Oktober 2017 stellte sie einen Asylantrag.

4

In ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Oktober 2017 gab die Klägerin im Wesentlichen an: Sie gehöre seit über zwölf Jahren den Zeugen Jehovas an. Diese Glaubensgemeinschaft sei im Sommer 2017 durch ein Moskauer Gericht verboten worden. Die Häuser, in denen sich die Zeugen Jehovas getroffen hätten, seien konfisziert worden. Auch einige Häuser ihrer Glaubensschwestern und -brüder seien zerstört worden. Sie habe Angst um ihr Leben, da sie als nächste von solchen Maßnahmen betroffen sein könnte. Man habe sie zudem bereits zweimal festgenommen; da sie jedoch schon älter sei, habe man Gnade gezeigt und sie wieder freigelassen. Sie dürfe sich mit keinem ihrer Glaubensschwestern und -brüder mehr unterhalten. Die Polizei könne sie jederzeit (wieder) festnehmen und inhaftieren. Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft würden bedroht; sie würden geschlagen und erniedrigt. Da sie ihren Glauben offizielle nicht mehr frei ausüben dürfe und sie auch mit niemandem über ihren Glauben reden könne, sei sie ausgereist. Sie befürchte, im Falle einer Festnahme aufgrund ihres Alters in einem Gefängnis nicht zu überleben. Auch habe sie Angst davor, dass ihre Nachbarn der Polizei mitteilen könnten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei, so dass sie dann inhaftiert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der persönlichen Anhörung verwiesen.

5

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht. Das für den Fall der Abschiebung bestehende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Zwar habe das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas landesweit verboten und damit praktisch auch ihre Religionsausübung. Allein diese Tatsache begründe jedoch nicht das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation fehle es an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei Vergleich der Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen von staatlicher Seite und der Anzahl der Anhänger der Religionsgemeinschaft, die sich nacheigenen Angaben der Zeugen Jehovas auf rund 175.000 belaufen soll. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich auch keine individuelle Verfolgung. Die Klägerin habe zu keiner Zeit von individuell gegen sie gerichtete staatliche Repressionsmaßnahmen berichtet. Ihre Behauptung, sie könne aufgrund ihres Glaubens jederzeit inhaftiert werden bzw. Nachbarn könnten sie der Polizei melden, sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht begreiflich, warum Nachbarn sie der Polizei melden sollten, zumal unklar sei, woher diese wissen sollten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ihren Glauben in einer exponierten Weise ausleben würde, so dass sie aus diesem Grund in das Visier staatlicher Behörden geraten könnte. Sie sei weder in der Vergangenheit exponiert, z.B. aufgrund missionarischer Tätigkeit, tätig gewesen, noch habe sie vorgetragen, dies in Zukunft sein zu wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

6

Am 25. Mai 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie habe die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 in Deutschland kennengelernt, als sie ihre Tochter besucht habe. Sie habe anschließend sechs Monate an Schulungen und Veranstaltungen der Gemeinde in Deutschland teilgenommen und die Bibel kennengelernt. In Russland habe sie sofort Kontakt zu den Zeugen Jehovas in ihrer Stadt (Salsk) aufgenommen. Sie habe dort an weiteren Veranstaltungen und Schulungen teilgenommen. Sie sei am 5. Mai 2005 in Rostov (Don) getauft worden. Sie sei im Anschluss Vollzeitmissionarin gewesen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern würden in Russland massiv verfolgt. Sie selbst sei wiederholt durch die Polizei allein aufgrund ihrer Tätigkeit als Missionarin verhaftet und stundenlang festgehalten worden. Es seien ihre Fingerabdrücke abgenommen und Fotos von ihr gemacht worden. Sie habe daher keine andere Möglichkeit gesehen als zu fliehen. Hier in Deutschland betätige sie sich ebenfalls als Zeugin Jehovas in ihrer örtlichen Gemeinde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 13. Juni 2018 verwiesen.

7

In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2018 hat die Klägerin zu 1), nachdem sie den ursprünglich ebenfalls erhobenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen hat, nur noch beantragt,

8

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2018 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Das Gericht hat die in der Ladung zur mündlichen Verhandlung bezeichneten Erkenntnisquellen beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In dieser hat das Gericht die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

13

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

II.

14

Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.

15

Soweit die Klage nicht zurückgenommen worden ist, ist sie zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (hierzu 1.). Der angefochtene Bescheid erweist sich daher insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (hierzu 2.).

1.

16

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

18

Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 AsylG).

19

Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG).

20

Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs.1 AsylG).

21

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.

22

Eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, Urt. v. 20. Februar 2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 21 ff.). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (BVerwG, ebenda).Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, ebenda).Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, ebenda).Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (BVerwG, ebenda).Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, ebenda).Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, ebenda).

23

Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

24

Das Oberste Gericht der Russischen Föderation billigte am 20. April 2017 einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8). Die Organisation von oder die Teilnahme an Aktivitäten der Zeugen Jehovas ist demgemäß nach Art. 282.2 des russischen Strafgesetzbuches strafbar („organization“ of or „participation in“ „the activity of a social or religious association or other organization in relation to which a court has adopted a decision legally in force on liquidation or ban on the activity in connection with the carrying out of extremist activity“). Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von § 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Oktober 1988, 9 C 37/88, juris, Rn. 14 f.). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen, die das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, wird das Verbot der gemeinschaftlichen Religionsausübung tatsächlich durchgesetzt. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Zeugen Jehovas, die ihren Glauben aktiv ausüben, u.a. durch gemeinschaftliche Glaubensausübung im privaten Bereich, strafrechtlich verfolgt werden. Unabhängig von der rechtlichen Relevanz dieser Frage ist das Gericht auch davon überzeugt, dass es den Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen werden. Zum einen ist davon auszugehen, dass die russischen Behörden aufgrund der bereits eingeleiteten, sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen ergebenden, Verfolgungsmaßnahmen bereits umfangreiche Kenntnisse über die Anhänger der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation haben. Zum anderen ist auch damit zu rechnen, dass Zeugen Jehovas, wenn sie privat Gottesdienste abhalten, von ihren Nachbarn denunziert werden. Denn nach einer Umfrage des Levada Center befürwortet ca. 80% der russischen Bevölkerung das Verbot der Zeugen Jehovas, wobei 51% der Bevölkerung das Verbot sogar entscheidend („decisively“) befürwortet (Radio Free Europe / Radio Liberty, Poll Shows Majority Of Russians Support Ban On Jehovah's Witnesses, 13. Juli 2017, https://www.rferl.org/a/russia-jehovahs-witnesses-poll-majority-favor-ban/28615047.html). Zudem kam es infolge des Verbots der Zeugen Jehovas bereits zu einer Vielzahl von Gewalttaten gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus) (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8).

25

Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Klägerin als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfindet und die sie auch bisher praktiziert hat. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin überzeugte und aktive Zeugin Jehovas ist, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

26

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 bei einem Besuch ihrer Tochter in Deutschland kennengelernt hat, sich im Jahr 2005 in Russland als Zeugin Jehovas hat taufen lassen, bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im Oktober 2017 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist und ihren Glauben auch im Bundesgebiet weiterhin praktiziert. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist für das Gericht glaubhaft gewesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive ihrer Hinwendung zu den Zeugen Jehovas zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Die Klägerin machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin in ihren Aussagen inhaltlich übertrieben hätte. Sie hat zur Überzeugung des Gerichts stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet. Die Klägerin erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig. Bestärkt wurde dieser Eindruck zusätzlich durch den in der mündlichen Verhandlung unter Eid vernommenen Ältesten ihrer hamburgischen Glaubensgemeinde, den Zeugen [...]. Dieser hat für das Gericht glaubhaft bekundet, dass die Klägerin aktives Mitglied der hiesigen Gemeinde der Zeugen Jehovas ist und regelmäßig an den Gottesdiensten teilnimmt. Die Tatsache, dass der Zeuge [...] bereits vor seiner Vernehmung an der Verhandlung als Zuschauer teilgenommen hat, beeinträchtigt seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zur Überzeugung des Gerichts nicht. Der Zeuge [...] hat sich insbesondere nicht darauf beschränkt, die Aussagen der Klägerin (wörtlich oder in eigenen Worten) zu wiederholen, sondern hat die Aussagen der Klägerin ergänzt, insbesondere in Bezug auf die Glaubensausübung der Klägerin im Bundesgebiet und die von der Klägerin im Jahr 2004 im Bundesgebiet angetroffenen Zeugen Jehovas. Der Zeuge [...] machte dabei einen authentischen und glaubhaften Eindruck.

27

Im Übrigen spricht auch die Anwesenheit zahlreicher Anhänger der Zeugen Jehovas in der mündlichen Verhandlung dafür, dass die Klägerin tatsächlich praktizierende Zeugin Jehovas ist. Die von der Beklagtenvertreterin pauschal und nach Ansicht des Gerichts allein prozesstaktisch geäußerten Zweifel an der Zugehörigkeit der Zuschauer zu den Zeugen Jehovas vermag das Gericht nicht zu teilen. Die Zuschauer haben auf Frage des Gerichts zu erkennen gegeben, dass sie Anhänger der Zeugen Jehovas sind. Anlass, an deren Angaben zu zweifeln, besteht für das Gericht nicht.

28

Ferner spricht auch die Bescheinigung der Zeugen Jehovas in Deutschland, wonach die Klägerin seit 2005 Zeugin Jehovas ist, für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Das Gericht sieht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Zeugen Jehovas ein Interesse daran haben könnten, eine Mitgliedsbescheinigung für eine Person auszustellen, die nicht ihr Mitglied ist.

29

Die von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung getätigten Vorhalte in Bezug auf die persönliche Anhörung beim Bundesamt sind ebenfalls nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin zu beeinträchtigen. Soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht angegeben hat, die Zeugen Jehovas bei einem Besuch in Deutschland kennengelernt zu haben, so ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht danach gefragt worden ist, wo sie die Zeugen Jehovas kennengelernt hatte. Es lag nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin auch nicht auf der Hand, dass sie sich hierzu hätte äußern sollen, da sie bereits seit etlichen Jahren Zeugin Jehovas ist und die Zeugen Jehovas erst vor kurzem in der Russischen Föderation verboten worden waren. Auch soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht von ihrer Missionstätigkeit erzählt hat, beeinträchtigt dies die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin nicht. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen besteht die Gefahr einer Verfolgung der Zeugen Jehovas unabhängig davon, ob diese missionieren oder nicht, da bereits das Verbot der gemeinschaftlichen Glaubensausübung durchgesetzt und strafrechtlich verfolgt wird. Für die Klägerin war - dies ergibt sich für das Gericht aus dem Protokoll der persönlichen Anhörung deutlich- - bereits die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. der gemeinsamen Glaubensausübung wesentlicher Grund für die Ausreise. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin in der belastenden Situation der persönlichen Anhörung ihre Missionstätigkeit nicht etwa deshalb nicht erwähnt hat, weil sie nicht stattgefunden hat. Dahinstehen kann, ob die Klägerin diesen Umstand in der Aufregung schlicht vergessen hat, etwa, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustands in den letzten Jahren weniger missioniert hat, oder ob sie dem Umstand der Missionstätigkeit neben ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. ihrer gemeinschaftlichen Glaubensausübung mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern keine weitere Bedeutung beigemessen hat.

30

Eine inländische Fluchtalternative besteht für die Klägerin schließlich nicht, da die Zeugen Jehovas russlandweit verboten worden sind.

2.

31

Aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage auch insoweit begründet, als die Aufhebung der Nummern 3 bis 6 der angefochtenen Entscheidung begehrt wird. Denn die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lässt die Feststellungen in den Nummern 3 bis 6 gegenstandslos werden.

III.

32

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Klagerücknahme in Bezug auf die Asylanerkennung bewertet das Gericht als geringfügiges Unterliegen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 wird hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Kläger Ziffer 1 und 2, geboren 1971 bzw. 1976, sind die Eltern der 2005, 2007 bzw. 2009 geborenen Kläger Ziffer 3, 4 und 5. Die Kläger sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, russischer Volkszugehörigkeit, Zeugen Jehovas und am 08.09.2014 auf dem Luftweg von Moskau aus in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 03.11.2014 stellten sei förmliche Asylanträge.
Die Kläger legten dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) verschiedene Unterlagen über den Umgang russischer Behörden mit Zeugen Jehovas vor.
Bei seiner persönlichen Anhörung gemäß § 35 AsylG am 19.07.2016 in Karlsruhe gab der Kläger Ziffer 1 zu seinen Asylgründen im Wesentlichen an, er und seine Familie seien Zeugen Jehovas. Er sei von Tür zu Tür gegangen und habe Leute angesprochen. Er sei oft beleidigt und bedroht worden. Sie seien auch bedroht worden, als er mit seiner Frau mit einem Rollenständer auf der Straße gestanden habe. Es habe immer öfter Festnahmen durch die Polizei und auch Geldstrafen gegen Zeugen Jehovas gegeben. Sie selbst seien nicht festgenommen bzw. Geldstrafen gegen sie verhängt worden. Konkreter Anlass für ihre Ausreise sei letztlich ein Vorfall vom 03.07.2014 gewesen, als eine Glaubensschwester in Stari Osgol mit über 80 Messerstichen zusammengestochen worden sei. Seit diesem Vorfall habe er nicht mehr schlafen können. Er habe vier kleine Kinder, die auch in der Schule nicht mehr glücklich gewesen seien. Sie seien dort u.a. als Sektanten beschimpft worden. Seine ältere Tochter habe aus diesem Grund auch Probleme mit den Nerven bekommen und sein Sohn sei von einem Mitschüler geschlagen worden und die anderen Mitschüler hätten ihm nicht geholfen, obwohl sie den Vorfall mitbekommen hätten. Ein Umzug innerhalb der Russischen Föderation hätte nichts gebracht, weil Zeugen Jehovas überall in Russland dasselbe Problem hätten. Bei einer Rückkehr dorthin befürchte er, dass er gleich am Flughafen festgenommen werde, weil sie Zeugen Jehovas seien. Man werde ihm die elterliche Sorge entziehen. Wenn er ins Gefängnis komme, werde er bald tot sein, weil er einer anderen Religion angehöre als die Christen dort. Er wisse nicht, was mit seinen Kindern passiere. Wahrscheinlich kämen sie ins Waisenhaus oder es geschehe Anderes mit ihnen. Was mit seiner Frau passiere, könne er sich nur schwer vorstellen. Ins Gefängnis werde er kommen, weil die Literatur, die sie verteilten, als extremistisch eingestuft worden sei. Daher werde er als Extremist angesehen und müsse eingesperrt werden. Seit ihrer Ausreise habe sich die Situation nochmals wesentlich verschlechtert. Zeugen Jehovas hätten immer eine Bibel dabei. Wenn er jetzt in Russland mit einer Bibel auf die Straße gehe, werde er dort gleich festgenommen. Zeugen Jehovas würden in Russland als Objekt für Bestrafungen ausgesucht. Die Polizei helfe ihnen nicht und die Gerichte entschieden gegen sie. Nach dem neuen Gesetz Jarowoja könne er bis zu 15 Jahre Gefängnis bekommen.
Die Klägerin Ziffer 2 gab bei ihrer persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG am 19.07.2016 in Karlsruhe ebenfalls an, Zeugin Jehovas zu sein. Wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas seien sie verfolgt worden. Das sei ihr Asylgrund. Ihre Kinder würden ebenfalls in diesem Glauben erzogen. Ihnen sei in ihrem Herkunftsland u.a. die Festnahme, Gefängnis und die Entziehung des Sorgerechts für ihre Kinder angedroht worden.
Mit Bescheid vom 09.12.2016, dem Verfahrensbevollmächtigten der Kläger am 12.12.2016 zugestellt, lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), die Anerkennung als Asylberechtigte (Ziff. 2) sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 3) gegenüber den Klägern ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4) und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls würden sie in die Russische Föderation abgeschoben (Ziff. 5). Schließlich befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6). Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, es sei den Klägern nicht gelungen, substantiiert darzustellen, inwiefern für sie als Zeugen Jehovas eine individuelle persönliche Gefahr bestehe. Sie hätten nicht vermocht, stichhaltige Nachweise einer real existierenden Bedrohung, welche über das Maß hinausgehe, das andere Zeugen Jehovas zu erdulden hätten, vor- bzw. darzulegen.
Am 20.12.2016 haben die Kläger anwaltlich vertreten Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und legen weitere Unterlagen vor, denen zu entnehmen sei, dass nach der aktuellen Situation in der Russischen Föderation hinsichtlich der aktiven Mitglieder der Zeugen Jehovas von einer landesweiten Verfolgung auszugehen sei. Es sei ihnen nicht zuzumuten, auf die grundlegenden Glaubensbekundungen oder Glaubensbetätigungen zu verzichten, um eine Verfolgung zu vermeiden. Entgegen der Auffassung der Beklagten würden Mitglieder der Zeugen Jehovas auch allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vom Herkunftsstaat verfolgt. Gegenwärtig sei die Religionsgemeinschaft sogar verboten. Ein interner Schutz stehe ihnen nicht zur Verfügung.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 in Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 / Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
10 
Die Beklagte beantragt,
11 
die Klage abzuweisen.
12 
Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend insbesondere aus, dass es unstreitig sei, dass der Kläger Ziffer 1 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas sei und dass sich die Situation für die Anhänger der Religion in der Russischen Föderation seit der Gerichtsentscheidung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation aus dem Jahr 2017 über das Verbot dieser Religionsgemeinschaft offiziell verschlechtert habe. Jedoch könne der internationale Schutz nur aufgrund konkreter individueller Verfolgungsschicksale, mithin einer Verfolgungshandlung in jedem konkreten Fall, zuerkannt werden. Weder aus der ersten Anhörung der Kläger Ziffer 1 und 2 noch aus ihrer erneuten Anhörung beim Bundesamt während des Klageverfahrens am 21.12.2017 ließen sich Anhaltspunkte für eine persönliche Bedrohung der Kläger entnehmen. Die Schilderung der Gesamtsituation betreffend die Zeugen Jehovas in Russland seitens des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger in Form von Überreichen von Gerichtsentscheidungen oder Pressemitteilungen trage nicht dazu bei, dass eine konkrete Verfolgung hier vorliege. Allein die Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft sei für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht ausreichend (VG Regensburg, Urt. v. 24.10.2017 – RO 9 K 17.34747). Eine Gruppenverfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas sei nach derzeitigem Kenntnisstand des Bundesamts nicht anzunehmen und eine persönliche Vorverfolgung der Kläger nicht festzustellen.
13 
Ergänzend haben die Kläger ein ärztliches Attest des Dr. D.-W. vom 12.09.2018 vorgelegt, wonach bei der Klägerin Ziffer 2 eine posttraumatische Belastungsstörung, Angst bzw. depressive Störung gemischt, eine mittelgradige depressive Episode sowie eine Hypomanie diagnostiziert wurde. Weiter haben sie zwei Bescheinigungen der Jehovas Zeugen Deutschland vom 17.12.2018 vorgelegt, wonach den Klägern Ziffer 1 und 2 bescheinigt wurde, dass sie 2006 bzw. 1996in Russland als Zeugen Jehovas getauft wurden, derzeit Mitglied der Jehovas Zeugen Versammlung R.-R. sind und sich aktiv am Predigtdienst der Versammlung beteiligen.
14 
Mit Beschluss vom 12.01.2018 hat die Kammer den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
15 
Mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger vom 15.01.2019 und allgemeiner Prozesserklärung der Beklagten vom 27.06.2017 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
16 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits wird auf die Gerichtsakte sowie auf die übersandte elektronische Verwaltungsakte des Bundesamts ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Einzelrichterin, da kein Fall des § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG vorliegt.
18 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige Klage ist bereits im Hauptantrag begründet.
20 
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 ist, soweit er hier allein streitgegenständlich ist, also hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6, aufzuheben, da er insoweit rechtswidrig ist. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 zweiter HS AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
Die Verfolgungsfurcht ist begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn dem Antragsteller bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände des Falles Verfolgung tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht, wobei bei der Vorverfolgte durch eine Beweiserleichterung privilegiert wird dergestalt, dass für diesen die tatsächliche (widerlegbare) Vermutung streitet, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Dadurch wird (allein) der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden (vgl. Haderlein in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 41).
23 
Der Begriff Religion im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Als Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gilt gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4a AsylG insbesondere eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.
24 
Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG können nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG u.a. gesetzlich, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, gelten oder nach § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG auch die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung.
25 
Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
27 
Nach diesen Maßgaben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie befinden sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Religion bzw. ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas, einer Gruppe i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, außerhalb ihres Herkunftslandes. Interner Schutz steht ihnen nicht zur Verfügung. Ihnen droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.
28 
Eine Verfolgung im Sinne o.g. Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) verankerten Rechts auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 GRCh garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (zu alledem: VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 17 ff. unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 –).
29 
Nach diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
30 
Bestimmte religiöse Gruppen, so auch die Zeugen Jehovas, sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Man stützt sich hier vor allem auf das Extremismusgesetz (das sog. Yarovaya-Gesetz). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden u.a. auch private religiöse Reden kriminalisiert und die Gesetzgebung genutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen. Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Betreibers verteilten. Am 20.04.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden. Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen. Laufende Gerichtsverfahren beziehen sich etwa auf die staatliche Beschlagnahme von Eigentum der Religionsgemeinschaft oder die Diskreditierung ihrer Schriften als extremistische Literatur. Ende des Jahres 2017 waren einige Einrichtungen der Zeugen Jehovas konfisziert. Gläubige sollen sich laut Medienberichten bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen. Gewisses Aufsehen erregte in den vergangenen Monaten die Festnahme sowie das Verfahren gegen einen Zeugen Jehovas, der allerdings dänischer Staatsangehöriger ist. Die Zeugen Jehovas, Medien und NGOs berichten von diversen Festnahmen und Geldstrafen in Höhe von 100.000 Rubel (ca. 14.000 EUR). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Gewalttaten durch Unbekannte gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus; vgl. zu alledem: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA –, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung vom 31.08.2018, Seite 58 f., 61 f.).
31 
Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von §§ 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienste abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
32 
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass es den Klägern und Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen, etwa durch Meldungen von Nachbarn (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
33 
Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Kläger als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfinden und die sie auch bisher praktiziert haben. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger überzeugte und aktive Zeugen Jehovas sind, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten und wird zur Überzeugung des Gerichts durch die Bescheinigungen der „Jehovas Zeugen in Deutschland“ vom 17.12.2018 belegt, in welchen den Klägern Ziffer 1 und 2 nicht nur bescheinigt wird, dass sie 1996 bzw. 2006 als Zeugen Jehovas in Russland getauft wurden, sondern dass sie auch hier in Deutschland Mitglied der Jehovas Zeugen Versammlung R.-R. sind und aktiv am Predigtdienst der Versammlung beteiligt sind. Die Kläger haben überdies angegeben, ihre Kinder, die Kläger Ziffer 3 bis 5, in diesem Glauben zu erziehen.
34 
Damit leben die Kläger ihre Religion in einer Art, mit der sie in der Russischen Föderation nach obigen Feststellungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ausgesetzt wären.
35 
Eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG) besteht für die Kläger nicht, da die Zeugen Jehovas landesweit verfolgt werden.
36 
Darauf, ob die Kläger vor ihrer Ausreise bereits einer konkreten individuellen Verfolgung im o.g. Sinne ausgesetzt waren, kommt es damit vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entscheidungserheblich an.
37 
Nachdem den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, erweist sich der angefochtene Bescheid zugleich hinsichtlich seiner Entscheidungen in Ziffern 3, 4, 5 und 6 als rechtswidrig, weil diese Entscheidungen jedenfalls zu früh ergangen sind. Auf das bezüglich der Klägerin Ziffer 2 vorgelegte ärztliche Attest kommt es demnach nicht entscheidungserheblich an.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
17 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Einzelrichterin, da kein Fall des § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG vorliegt.
18 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige Klage ist bereits im Hauptantrag begründet.
20 
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 ist, soweit er hier allein streitgegenständlich ist, also hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6, aufzuheben, da er insoweit rechtswidrig ist. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 zweiter HS AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
Die Verfolgungsfurcht ist begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn dem Antragsteller bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände des Falles Verfolgung tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht, wobei bei der Vorverfolgte durch eine Beweiserleichterung privilegiert wird dergestalt, dass für diesen die tatsächliche (widerlegbare) Vermutung streitet, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Dadurch wird (allein) der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden (vgl. Haderlein in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 41).
23 
Der Begriff Religion im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Als Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gilt gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4a AsylG insbesondere eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.
24 
Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG können nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG u.a. gesetzlich, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, gelten oder nach § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG auch die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung.
25 
Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
27 
Nach diesen Maßgaben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie befinden sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Religion bzw. ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas, einer Gruppe i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, außerhalb ihres Herkunftslandes. Interner Schutz steht ihnen nicht zur Verfügung. Ihnen droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.
28 
Eine Verfolgung im Sinne o.g. Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) verankerten Rechts auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 GRCh garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (zu alledem: VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 17 ff. unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 –).
29 
Nach diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
30 
Bestimmte religiöse Gruppen, so auch die Zeugen Jehovas, sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Man stützt sich hier vor allem auf das Extremismusgesetz (das sog. Yarovaya-Gesetz). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden u.a. auch private religiöse Reden kriminalisiert und die Gesetzgebung genutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen. Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Betreibers verteilten. Am 20.04.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden. Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen. Laufende Gerichtsverfahren beziehen sich etwa auf die staatliche Beschlagnahme von Eigentum der Religionsgemeinschaft oder die Diskreditierung ihrer Schriften als extremistische Literatur. Ende des Jahres 2017 waren einige Einrichtungen der Zeugen Jehovas konfisziert. Gläubige sollen sich laut Medienberichten bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen. Gewisses Aufsehen erregte in den vergangenen Monaten die Festnahme sowie das Verfahren gegen einen Zeugen Jehovas, der allerdings dänischer Staatsangehöriger ist. Die Zeugen Jehovas, Medien und NGOs berichten von diversen Festnahmen und Geldstrafen in Höhe von 100.000 Rubel (ca. 14.000 EUR). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Gewalttaten durch Unbekannte gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus; vgl. zu alledem: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA –, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung vom 31.08.2018, Seite 58 f., 61 f.).
31 
Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von §§ 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienste abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
32 
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass es den Klägern und Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen, etwa durch Meldungen von Nachbarn (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
33 
Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Kläger als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfinden und die sie auch bisher praktiziert haben. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger überzeugte und aktive Zeugen Jehovas sind, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten und wird zur Überzeugung des Gerichts durch die Bescheinigungen der „Jehovas Zeugen in Deutschland“ vom 17.12.2018 belegt, in welchen den Klägern Ziffer 1 und 2 nicht nur bescheinigt wird, dass sie 1996 bzw. 2006 als Zeugen Jehovas in Russland getauft wurden, sondern dass sie auch hier in Deutschland Mitglied der Jehovas Zeugen Versammlung R.-R. sind und aktiv am Predigtdienst der Versammlung beteiligt sind. Die Kläger haben überdies angegeben, ihre Kinder, die Kläger Ziffer 3 bis 5, in diesem Glauben zu erziehen.
34 
Damit leben die Kläger ihre Religion in einer Art, mit der sie in der Russischen Föderation nach obigen Feststellungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ausgesetzt wären.
35 
Eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG) besteht für die Kläger nicht, da die Zeugen Jehovas landesweit verfolgt werden.
36 
Darauf, ob die Kläger vor ihrer Ausreise bereits einer konkreten individuellen Verfolgung im o.g. Sinne ausgesetzt waren, kommt es damit vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entscheidungserheblich an.
37 
Nachdem den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, erweist sich der angefochtene Bescheid zugleich hinsichtlich seiner Entscheidungen in Ziffern 3, 4, 5 und 6 als rechtswidrig, weil diese Entscheidungen jedenfalls zu früh ergangen sind. Auf das bezüglich der Klägerin Ziffer 2 vorgelegte ärztliche Attest kommt es demnach nicht entscheidungserheblich an.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.

(1) Der Ehegatte oder der Lebenspartner eines Asylberechtigten wird auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat und
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.
Für die Anerkennung als Asylberechtigter nach Satz 1 ist es unbeachtlich, wenn die Ehe nach deutschem Recht wegen Minderjährigkeit im Zeitpunkt der Eheschließung unwirksam oder aufgehoben worden ist; dies gilt nicht zugunsten des im Zeitpunkt der Eheschließung volljährigen Ehegatten.

(2) Ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylberechtigten wird auf Antrag als asylberechtigt anerkannt, wenn die Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter unanfechtbar ist und diese Anerkennung nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist.

(3) Die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten oder ein anderer Erwachsener im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU werden auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn

1.
die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist,
2.
die Familie im Sinne des Artikels 2 Buchstabe j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird,
3.
sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben,
4.
die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist und
5.
sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben.
Für zum Zeitpunkt ihrer Antragstellung minderjährige ledige Geschwister des minderjährigen Asylberechtigten gilt Satz 1 Nummer 1 bis 4 entsprechend.

(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten nicht für Familienangehörige im Sinne dieser Absätze, die die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder des § 3 Absatz 2 erfüllen oder bei denen das Bundesamt nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen hat. Die Absätze 2 und 3 gelten nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Absatz 2 oder Absatz 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist.

(5) Auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Der subsidiäre Schutz als Familienangehöriger wird nicht gewährt, wenn ein Ausschlussgrund nach § 4 Absatz 2 vorliegt.

(6) Die Absätze 1 bis 5 sind nicht anzuwenden, wenn dem Ausländer durch den Familienangehörigen im Sinne dieser Absätze eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht oder er bereits einer solchen Verfolgung ausgesetzt war oder einen solchen ernsthaften Schaden erlitten hat.

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 15. November 2017 wird, soweit es der Klage stattgegeben hat, geändert. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Kläger ist seinen eigenen Angaben zufolge ein am … Januar 1996 in J … geborener somalischer Staatsangehöriger, der ebenfalls seinen eigenen Angaben nach zum Clan Sheikhal gehört. Er reiste eigenen Angaben zufolge am 5. Mai 2014 nach Deutschland ein und stellte am 21. Mai 2014 einen Asylantrag.

Bei dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 21. Mai 2014 gab der Kläger an, verheiratet zu sein. Seine Ehefrau heiße A J … H …, geboren im Februar 1996 in D … Die Eheschließung sei im November 2012 in D … erfolgt, seine Ehefrau halte sich dort auf. Er sei Vater des im Juli 2013 in D … geborenen Mädchens A … A … M … A …, das sich in D … aufhalte.

Bei der Anhörung am 8. September 2016 gab der Kläger seinen Stamm mit Sheikhal an, sein Clan heiße Loo Bogay und der Sub-Clan Tolweyn. Bis zu der Ausreise habe er sich in Somalia in der Region L … C …, im Stadtviertel S …, in der S …straße aufgehalten. Verlassen habe er sein Heimatland im Dezember 2012 und in Deutschland sei er nach Aufenthalten in Kenia, Tansania, Uganda, Süd-Sudan, Nord-Sudan, Tschad, Libyen und Italien am 5. Mai 2014 eingereist. Die Reise habe 5.400,00 $ gekostet, die seine Schwester finanziert habe. Seine Schwester sei Geschäftsführerin in der gleichen Region, in der er gewohnt habe. Er habe über Telefon noch Kontakt zu ihr. Seine Eltern lebten in Süd-Somalia in der Region H …, zu ihnen habe er keinen Kontakt mehr, da sie Nomaden seien. Seit er acht Jahre alt gewesen sei, habe er bei seiner Schwester gewohnt. Von deren Wohnung aus habe er Somalia verlassen. Er habe noch drei Brüder, eine Tante und einen Onkel väterlicherseits, mütterlicherseits ebenfalls eine Tante und einen Onkel. Eine Schule habe er nicht besucht. Einen Beruf habe er nicht erlernt und er habe in Somalia auch nie gearbeitet. Seine finanzielle Situation schätze er mit „durchschnittlich“ ein. Seine Schwester kaufe Kohle um sie weiter zu verkaufen. Auf Vorhalt, wieso er die Situation als „durchschnittlich“ einschätze, erklärte der Kläger, dass er die finanzielle Situation als „gut“ einschätze.

Zu den Gründen seiner Ausreise befragt, gab der Kläger an, dass er in Laas Canood eine Frau kennengelernt habe. Sie hätten ohne Zustimmung ihrer Familie geheiratet. Diese Frau sei Dhulbahante. Die Familie habe ihm gesagt, dass er zu einer Minderheit gehöre und die Tochter nicht heiraten könne. Zwei Monate lang habe seine Schwester ihn in ein Zimmer eingesperrt, damit die Familie seiner Frau ihn nicht finde und verletze. Danach habe seine Schwester ihm Geld gegeben, um zu fliehen. Dies habe er getan. Auf Nachfrage, wie er die Frau kennengelernt habe, erklärte der Kläger, dass sie sich 2010 in einem großen Markt in Laas Canood kennengelernt hätten. Sie heiße A … H … M … und sei damals 16 Jahre alt gewesen. Die Sheikhal würden von allen anderen Gruppen diskriminiert. Sie nähmen sie wie Sklaven und erlaubten nicht, dass sie Frauen aus anderen Gruppen heiraten. Auf Nachfrage, ob er persönlich diskriminiert worden sei, erklärte der Kläger, dass die Dhulbahante ihn bedroht hätten. Sie hätten ihn geschlagen und mit Waffen bedroht. Sie hätten ihn verletzt. Auf Nachfrage, wann das passiert sei und wo er sich genau befunden hätte erklärte der Kläger, dass er, nachdem er von der Wohnung seiner Schwester geflohen sei, nach H … gegangen sei. Die Leute aus diesem Clan hätten ihn dort gefunden. Dort hätten sie ihn geschlagen und verletzt. Es seien ca. sechs Personen gewesen, aus der Familie seiner Frau. Brüder, Cousinen (gemeint wohl: Cousins), Onkel. Auf Nachfrage, wie diese Leute ihn gefunden hätten, erklärte der Kläger, dass er in einem Hotel gewesen sei. Er sei kurz weggegangen, um Kat zu kaufen. Er habe es gekauft und auf dem Weg zurück ins Hotel hätten diese Leute ihn gefunden und geschlagen. Auf Nachfrage, wie es ihm gelungen sei, diesen Leuten zu entkommen, erklärte der Kläger, dass sie ihn angehalten hätten und einer von ihnen habe gesagt, „Du Sklave, was willst Du von uns“. Er habe geantwortet und gefragt, warum sie ihn beschimpften. Er habe angefangen, ihn mit der Faust zu schlagen. Danach hätten die anderen ihn mit Holzstangen geschlagen. Auf Nachfrage, wie er es geschafft habe zu fliehen, erklärte der Kläger, dass einer von den anderen ihm gesagt habe, dass er, wenn er wieder hierher komme, getötet würde. Er habe große Angst gehabt und daher wegen dieser Drohung das Land verlassen. Auf erneute Nachfrage, wie er sechs Leuten habe entkommen können, erklärte der Kläger, dass eine Frau dort gewesen sei und geschrien habe. Sie habe um Hilfe gerufen. Daraufhin seien drei Männer hinzugekommen. Danach hätten die „Jungen“ ihn freiwillig gelassen. Auf Nachfrage, ob er sich an die Polizei gewandt habe, erklärte der Kläger, dass es zwar Polizei in Somalia gebe, aber da er zu einer Minderheit gehöre, helfe die Polizei ihm nicht. Auf erneute Nachfrage, ob er zur Polizei gegangen sei, erklärte er, dass er zur Polizei gegangen sei, aber die Polizei habe nichts unternommen. Wenn er an einen anderen Ort innerhalb Somalias gehe, würden die Leute ihn dort auch finden. Auf Nachfrage, was mit seiner Frau passiert sei, erklärte der Kläger, dass er ein Kind mit dieser Frau habe. Die Frau sei bei ihrer Familie geblieben und die Tochter sei bei seiner Schwester. Befragt, warum die Leute jetzt noch Interesse haben sollten, ihn umzubringen, erklärte der Kläger, dass sie seine Schwester bedrohten, weil sie ihm geholfen hätte. Dies wisse er, da sie miteinander telefonierten. Seine Schwester sei verheiratet, ihr Ehemann heiße Abd …, den Nachnamen kenne er nicht. Er gehöre zu den Dhulbahante. Befragt, wieso seine Schwester und ihr Ehemann verheiratet sein könnten, obwohl sie aus verschiedenen Volksgruppen stammten, erklärte der Kläger, dass die Männer der Dhulbahante mit Frauen aus seinem Stamm verheiratet sein könnten, aber nicht umgekehrt. Ergänzend gab der Kläger an, dass seine Frau gerade schwanger sei und er bitte, dass sie zusammen hierbleiben dürften. Sie wohne in D … in einem Flüchtlingslager.

Mit Bescheid vom 8. November 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziff. 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziff. 2), erkannte ihm den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziff. 3) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziff. 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland binnen 30 Tagen zu verlassen, andernfalls wurde ihm die Abschiebung, zuvorderst nach Somalia, angedroht (Ziff. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziff. 6). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Hiergegen ließ der Kläger am 16. November 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben. In der mündlichen Verhandlung vom 27. September 2017 nahm die Bevollmächtigte des Klägers die Klage in Bezug auf die Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 8. November 2016 zurück. Außerdem verzichtete sie auf eine weitere mündliche Verhandlung.

Der Kläger beantragte zuletzt,

den Bescheid vom 8. November 2016, Geschäftszeichen: 57 59 444 – 273 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus (§ 4 AsylG) vorliegt, hilfsweise, dass Abschiebungshindernisse gem. § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.

Mit Urteil vom 15. November 2017, das ohne weitere mündliche Verhandlung erging, stellte das Verwaltungsgericht das Verfahren, soweit die Klage zurückgenommen worden ist, ein und verpflichtete die Beklagte, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Kläger aus dem Gesichtspunkt des subsidiären Schutzes für Familienangehörige einen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus habe. Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 und 2 AsylG werde den Eltern eines minderjährigen ledigen subsidiären Schutzberechtigten bei Erfüllung der in § 26 Abs. 3 Satz 1 bis 5 AsylG genannten Voraussetzungen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt. Das bedeute, dass einem Elternteil eines minderjährigen ledigen stammberechtigten Kindes, hier Mohamed A … A …, dem der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei, ebenfalls der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt werde, wenn die weiteren Voraussetzungen von § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 5 AsylG erfüllt seien. Dies sei der Fall. Der Kläger habe die Vaterschaft des oben genannten Kindes anerkannt. Die Entscheidung vom 19. April 2017, mit der dem Kind der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden sei, sei unanfechtbar. Der Umstand, dass das Kind des Klägers im Bundesgebiet geboren sei, spreche nicht dagegen, dass die Familieneinheit schon im Herkunftsstaat bestanden habe im Sinne des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Insoweit wurde auf die Ausführungen des VG Sigmaringen in seinem Urteil vom 19. Mai 2017 (A 3 K 3301/16 – juris, Rn. 24 ff.) verwiesen. § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG stehe der Zuerkennung subsidiären Schutzes nicht entgegen, weil diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut, der eine andere Auslegung nicht zulasse, die Geltung des § 26 Abs. 2 und 3 AsylG eben nur für Kinder, nicht aber für einen Elternteil eines Ausländers ausschließe, der abgeleitet von einem Stammberechtigten selbst nur nach § 26 Abs. 2 oder 3 AsylG anerkannt sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der vom Senat zugelassenen Berufung.

Sie beantragt,

unter Abänderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung die Klage abzuweisen, soweit ihr stattgegeben wurde.

Zur Begründung bezieht sie sich zunächst auf ihr Vorbringen im Zulassungsverfahren. Dort hat sie ausgeführt, dass die Meinung des Verwaltungsgerichts sich nur schwer mit dem klaren Gesetzeswortlaut vereinbaren lasse. Ihr werde auch in der instanzgerichtlichen Spruchpraxis widersprochen. So führe das VG Würzburg in seinem Urteil vom 29. August 2017 (W 4 K 17.31679 – juris Rn. 15) aus, dass die Voraussetzung des § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG nicht gegeben sei, wenn es an einer Betreuungs- und Erziehungsgemeinschaft im Verfolgerstaat fehle. Ebenso interpretiere das VG Münster in seinem Urteil vom 13. Februar 2017 (5 K 1254/15.A) den § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG. Unter Bezug auf die Kommentarausführungen von Hofmann (Ausländerrecht, 2. Aufl., § 26 AsylG Rn. 27 f) führt sie aus, es sei maßgeblich, dass die Familie schon in dem Staat bestanden habe, in dem der Stammberechtigte verfolgt worden sei. Es müsse eine Betreuungs- und Erziehungsgemeinschaft bestanden haben. Die Voraussetzung läge jedenfalls dann nicht vor, wenn keine Anhaltspunkte dafür vorgebracht oder anderweitig ersichtlich seien, dass bereits im Heimatland eine Familie bestanden habe, in die ein Kind in Deutschland hätte hineingeboren werden können. § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG entspreche im Übrigen im Verhältnis von Ehegatten zueinander dem § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, bei dem einhellige Meinung in Rechtsprechung und Literatur sei, dass im Verfolgerstaat zwingend bereits eine eheliche Lebensgemeinschaft habe bestanden müssen. Soweit sich das Verwaltungsgericht auf die Erwägungen des VG Sigmaringen beziehe, beträfen diese eine wesentlich andere Konstellation. Denn für das VG Sigmaringen sei es im Wesentlichen um die Frage gegangen, ob mit Blick auf § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG ein erst im Bundesgebiet geborenes Kind überhaupt anspruchsvermittelnd sein könne und sich daraus für ein Geschwisterkind ein Anspruch über § 26 Abs. 5 AsylG herleiten lasse. Insoweit verweise das VG Sigmaringen zwar maßgeblich auf Gesichtspunkte des Kindswohls beim Anspruchsteller. Auf solche komme es vorliegend nicht an, denn der Kläger sei volljährig. Überdies habe in dem vom VG Sigmaringen entschiedenen Verfahren anders als vorliegend die familiäre Lebensgemeinschaft der Eltern bereits im Verfolgerstaat bestanden, so dass das in Deutschland geborene Geschwisterkind in eine im Verfolgerstaat schon bestehende Familie habe geboren werden können.

Soweit das VG München den Rechtssatz vertrete, ein Anspruch könne über § 26 Abs. 5 AsylG auch auf Grundlage eines seinerseits nur über § 26 Abs. 5 AsylG abgeleiteten Status hergeleitet werden, widerspreche diese Meinung der grundsätzlichen Struktur der durch § 26 AsylG vermittelten Ansprüche. Zur grundsätzlichen Konzeption des Familienasylanspruchs habe das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 16. August 1993 (9 C 7.93 – NVwZ 1994, 504 ff.) bereits klargestellt, dass ein Anspruch nur von einem aus originären Gründen anerkannten, nicht aber einem seinerseits nur aufgrund § 26 AsylVfG Berechtigten abgeleitet werden könne. Diesen Grundsatz nehme § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG zwar nur insoweit ausdrücklich auf, als es die Kinder von ihrerseits nach § 26 Abs. 2 oder Abs. 3 AsylG Anerkannten anbelange. Es sei aber nicht erkennbar, dass diese Regelung dem Zweck hätte dienen sollen, entgegen der bereits höchstrichterlichen Klarstellungen für die Eltern von ihrerseits nach § 26 Abs. 2 oder 3 AsylG Anerkannten eine Anspruchserweiterung zu bewirken. Denn nach zutreffender Interpretation des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG sei davon auszugehen, dass nur ein bereits im Verfolgerstaat bereits in familiärer Gemeinschaft mit seinen Eltern lebendes Kind überhaupt einen Anspruch vermitteln könne. Dann bedürfe es aber keiner weiteren gesetzlichen Regelung zur Begrenzung der Anspruchsvermittlung auf den Fall einer aus originären Gründen erfolgten Statuszuerkennung bei Stammberechtigten. Bereits in der Vergangenheit habe die berufungsgerichtliche Spruchpraxis eine Anwendung des § 26 AsylG auf Fallgestaltungen, in denen die Ableitung der Asylberechtigung zugunsten der Eltern von einem asylberechtigten Kind in Rede stehe, abgelehnt (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 9.6.1997 – A 4 S 182/96 – EZAR 2015 Nr. 16; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 11.5.1994 – 21 A 3262/91.A – juris). Gleiches werde in der Kommentarliteratur vertreten. Danach schließe § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG nicht nur die Möglichkeit aus, dass familienasylberechtigte Kinder, Eltern, sonstige Erwachsene und Geschwister ihrerseits Familienasyl an ihre Kinder, also insbesondere an die Enkel des Stammberechtigten vermittelten. Vielmehr werde daneben auch die Vorschrift herangezogen, um den Willen des Gesetzgebers zu verdeutlichen, dass grundsätzlich nur ein wegen eigener politischer Verfolgung Asylberechtigter, nicht aber ein allein FamilienasylBerechtigter in der Lage sei, als Stammberechtigter Familienasyl zu vermitteln (BeckOK Ausländerrecht, § 26 AsylG, Rn. 26).

Ergänzend wurde im Berufungsverfahren vorgetragen, dass das vom Verwaltungsgericht gefundene Ergebnis sich auch nicht auf anderer Grundlage bejahen lasse. Dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 AsylG in der Person des Klägers erfüllt sein könnten, sei nicht erkennbar. Gleiches gelte für die Zuerkennung nationalen Abschiebungsschutzes. Insbesondere würde der im Hinblick auf das bleibeberechtigte Kind zu berücksichtigende Schutzbereich des Art. 6 GG nicht zu als zielstaatsbezogen zu wertenden Gefahrenlagen führen. Auch aus der unzureichenden Versorgungslage in Somalia folge kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei dabei auf Mogadischu abzustellen, weil dort die Abschiebung ende. Die Hauptstadt könne, wie der Senat in seinem Urteil vom 23. März 2017 (20 B 15.30110) festgestellt habe, mit Linienflügen direkt angeflogen werden, ohne dass die Gefahr bestehe, in einem anderen, weniger sicheren Landesteil Somalias landen oder diesen durchreisen zu müssen. Die allgemein schlechte Versorgungslage begründe ebenso wenig ein generelles Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.

Der Kläger verteidigt die verwaltungsgerichtliche Entscheidung. Zu Recht führe das Verwaltungsgericht aus, dass der Stammberechtigte (hier: das Kind des Klägers) nicht bereits vor der Einreise der Familie geboren sein müsse. Das Erstgericht setze sich auch damit auseinander, dass § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG, wonach die Familie bereits im Heimatland bestanden haben müsse, in dem der Flüchtige politisch verfolgt werde, lediglich auf den Herkunftsstaat verweise (siehe auch Heranziehung der Nachfluchttatbestände unter Berücksichtigung der europarechtlichen Vorgaben des Art. 2 lit. j Richtlinie/95/EG) und ersichtlich dazu diene, das Wort Heimatland zu definieren und zu beschreiben.

Er beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Bundesamtsakten und die Akten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sowie die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 26. April 2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Der Kläger hat weder aus abgeleitetem Recht noch originär einen Anspruch auf Feststellung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 AsylG (hierzu 1. und 2.). Auch die Voraussetzungen für die Feststellung des hilfsweise begehrten nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG liegen nicht vor (hierzu 3.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts München ist daher, soweit darin der Klage stattgegeben wurde, aufzuheben und die Klage insoweit abzuweisen.

1. Entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts begründet die Tatsache, dass das Kind des Klägers Mohammed A  … A …, geb. am … November 2016 in D …, abgeleitet von dessen Mutter I … A … A …, der subsidiäre Schutzstatus mit Bescheid des Bundesamts vom 19. April 2017 zuerkannt wurde, keinen Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 26 Abs. 5 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 AsylG. Nach § 26 Abs. 5 Satz 1 AsylG sind auf Familienangehörige im Sinne der Absätze 1 bis 3 von international Schutzberechtigten (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. An die Stelle der Asylberechtigung tritt nach § 26 Abs. 5 Satz 2 AsylG die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 AsylG werden die Eltern eines minderjährigen ledigen Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigte anerkannt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist (Nr. 1), die Familie im Sinne des Art. 1 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (Nr. 2), sie vor der Anerkennung des Asylberechtigten eingereist sind oder sie den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt haben (Nr. 3), die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (Nr. 4), und sie die Personensorge für den Asylberechtigten innehaben (Nr. 5).

Die Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 AsylG liegen im Falle des Klägers i.V.m. § 26 Abs. 5 AsylG unstreitig vor: Die Anerkennung des Kindes des Klägers als subsidiär Schutzberechtigter ist unanfechtbar (Nr. 1), der Kläger ist vor der Anerkennung seines Sohnes als subsidiär Schutzberechtigter eingereist (Nr. 3) und dessen Anerkennung ist nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen (Nr. 4). Allerdings scheitert die Zuerkennung der subsidiären Schutzberechtigung an den fehlenden Voraussetzungen nach § 26 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG (hierzu a)). Daneben steht § 26 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus für den Kläger abgeleitet von dessen Sohn entgegen (hierzu b)). Und schließlich fehlt es auch an der Tatbestandsvoraussetzung des § 26 Abs. 3 Nr. 5 i.V.m. Abs. 5 AsylG (hierzu c)).

a) Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 26 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG liegen nicht vor. Nach § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG muss die Familie im Sinne des Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/EU schon in dem Staat bestanden haben, in dem der Asylberechtigte (bzw. subsidiär Schutzberechtigte, § 26 Abs. 5 AsylG) politisch verfolgt wird. Hier hat die Familie, die der Kläger zusammen mit dem Stammberechtigten bildet, in dem Land, in dem dem Stammberechtigten ein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG droht, also in Somalia, noch nicht bestanden.

Der Kläger hatte nach seinen eigenen Angaben beim Bundesamt in Somalia bereits zwei unterschiedliche Frauen. Bei der Befragung zur Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats am 21. Mai 2014 gab der Kläger an, verheiratet zu sein, seine Frau heiße Ali Yasmin Hussein, geboren im Februar 1996 in Dhimbil und halte sich dort auf. Auch ein 2013 geborenes Mädchen halte sich dort auf.

In der Anhörung vom 8. September 2016 gab der Kläger daneben an, aus Somalia geflüchtet zu sein, da er ein Mädchen aus einem Mehrheitsclan geheiratet und mit dieser ein gemeinsames Kind habe. Als Name dieser Frau gab er A … H … M … an, sie lebe bei seiner Mutter in L … C … Bei beiden Frauen (und den dazugehörigen Kindern) handelt es sich offensichtlich nicht um die gleichen Personen.

Darüber hinaus gab er zu Beginn seiner Anhörung vom 8. September 2016 an, dass er seine jetzige Frau, die Mutter des Stammberechtigten, in Deutschland kennengelernt und „traditionell“ geheiratet habe. Auch diese Frau ist daher mit keiner der Frauen, die der Kläger in Somalia geheiratet hat, und mit denen er dort zumindest teilweise zusammengelebt hat bzw. angibt, zusammen gelebt zu haben, identisch. Daher liegt, ungeachtet der vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung des VG Sigmaringen und der dort thematisierten Frage, ob auch ein erst in Deutschland geborenes Kind Stammberechtigter im Sinne des § 26 AsylG sein kann, im Falle des Klägers jedenfalls keine Familie in Deutschland vor, die in Somalia schon im Sinne von § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG bestanden hat. Der Sohn des Klägers, von dem dieser den subsidiären Schutzstatus ableiten will, ist daher (anders als in dem vom VG Sigmaringen entschiedenen Fall) nicht in eine Familie hinein geboren worden, die bereits in dem Land bestanden hat, in dem ihm ein Schaden i.S.v. § 4 Abs. 1 AsylG drohen würde. Vielmehr ist die Familie, in die er hinein geboren wurde, erst in Deutschland entstanden. Daher scheidet die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 26 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AsylG an der fehlenden Tatbestandsvoraussetzung nach § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AsylG aus (ebenso Schröder in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 26 AsylG, Rn. 29; Günther in Beck-OK Ausländerrecht, § 26 Rn. 23b, 9; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2008, § 26 Rn. 16 i.V.m. Rn. 12).

b) Daneben steht § 26 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus für den Kläger, abgeleitet von dessen Sohn, entgegen. Nach § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG gelten die Absätze 2 und 3 nicht für Kinder eines Ausländers, der selbst nach Abs. 2 oder Abs. 3 als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Aufgrund der Beschränkung des Ausschlusses auf „Kinder eines Ausländers“ hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil (S. 9) ausgeführt, dass § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus auf Grund § 26 AsylG nicht entgegenstehe, weil diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut, der eine andere Auslegung nicht zulasse, die Geltung des § 26 Abs. 2 und 3 AsylG eben nur für Kinder, nicht aber für einen Elternteil eines Ausländers ausschließe, der abgeleitet von einem Stammberechtigten (nur) nach § 26 Abs. 2 oder 3 AsylG anerkannt worden sei. Diese Auslegung durch das Verwaltungsgericht trägt aber weder der Entstehungsgeschichte der Norm noch dem Sinn und Zweck der Regelung Rechnung. Tatsächlich ist § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG weit dahingehend auszulegen, dass eine Gewährung von abgeleitetem Schutz nach § 26 AsylG von einem Familienangehörigen, der selbst diesen Schutzstatus über § 26 AsylG erhalten hat, nicht möglich ist. Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:

§ 26 AsylG hat seine derzeitige Fassung im Wesentlichen durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (BGBl 2013, 3474) erhalten. Damit wurde in § 26 Abs. 3 AsylG einerseits die Möglichkeit eröffnet, auch den Eltern oder minderjährigen ledigen Geschwistern eines anerkannten Asylberechtigten einen abgeleiteten Schutzstatus zu gewähren. Darüber hinaus wurde in Absatz 5 die entsprechende Anwendung der auf Asylberechtigte abzielenden Regelung in den Absätzen 1 bis 4 auf international Schutzberechtigte, also Personen mit Flüchtlingsstatus oder subsidiärer Schutzberechtigung (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG), eingeführt. Die Gesetzesmaterialien führen zu Absatz 4 Satz 2 lediglich aus, dass dieser Ableitungsketten ausschließe. Die Möglichkeit für Familienangehörige, einen Asylantrag auf eigene Verfolgungsgründe zu stützen, bleibe unberührt (BT-Drs. 17/13063, S. 21). Mit der Verwendung des Begriffs „Ausschluss von Ableitungsketten“ bezieht sich die Gesetzesbegründung auf die alte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum früheren § 26 AsylVfG (U.v. 16.8.1993 – 9 C 7/93 – DVBl 1994, 58, juris 1. Leitsatz; U.v. 7.3.1995 – 9 C 389/94 – BayVBl 1995, 471). Dieses hat ausgeführt, dass Asyl nach § 26 AsylVfG nur Ehegatten und Kindern eines aufgrund Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. bzw. Art. 16a Abs. 1 GG Asylberechtigten, nicht jedoch eines seinerseits nur aufgrund § 26 AsylVfG Berechtigten zustehe. Dies ergebe sich aus Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck des § 26 AsylVfG. Die Vorschrift definiere in ihrem Abs. 1 Nr. 1 die Familienasyl vermittelnde Person als „Asylberechtigten“, der „politisch verfolgt wird“ und versage in ihrem Abs. 3 Familienasyl den Kindern eines Ausländers, der selbst nur gemäß § 26 Abs. 2 AsylVfG Familienasyl berechtigt sei (BVerwG, Urteil v. 16.8.1993 – 9 C 7/93 – juris Rn. 8). Auch in der Rechtsprechung zur Frage der Asylberechtigung von Familienangehörigen politisch Verfolgter sei es immer um die Asylberechtigung von Familienangehörigen eines im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG a.F. politisch Verfolgten gegangen. Eine der maßgebenden Überlegungen dieser Rechtsprechung sei gewesen, dass nächste Angehörige nicht völlig außerhalb der Reichweite der einem politisch Verfolgten drohenden Gefahr gesehen werden könnten (BVerwG a.a.O. unter Verweis auf BVerwG, Urteil v. 25.6.1991 – 9 C 48.91 – BVerfGE 88, 326). Im Falle einer Ableitungskette, also wenn zwischen dem originär Schutzberechtigten und dem den abgeleiteten Schutz nach § 26 AsylG Begehrenden weitere Personen stehen, greift dieser Grundgedanke der Nähe des den Schutz nach § 26 AsylG Begehrenden zum originär Schutzberechtigten und damit politisch Verfolgten nicht (vgl. hierzu Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 AsylG, Rn. 32).

Zudem fand sich die Beschränkung auf „Kinder eines Ausländers“ bereits in der vor dem Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU geltenden Fassung des § 26 AsylVfG vom 2. September 2008 (BGBl 2008, 1798). Nach dieser Fassung des § 26 AsylVfG konnte ein abgeleiteter Schutzstatus nur für Ehegatten nach § 26 Abs. 1 AsylVfG a.F. bzw. für minderjährige ledige Kinder nach § 26 Abs. 2 AsylVfG a.F. eines Asylberechtigten gewährt werden. Die Begrenzung im damaligen § 26 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG a.F. auf Kinder eines Ausländers war also zum diesem Zeitpunkt folgerichtig. Sie wurde bei der Erweiterung des Geltungsbereichs des § 26 AsylVfG durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (s.o.) übernommen, ohne dass dabei gesehen wurde, dass der Anwendungsbereich des § 26 AsylVfG sich enorm vergrößert hatte. Nachdem die Gesetzesbegründung insoweit lediglich ausführt, dass § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG Ableitungsketten ausschließen solle, deutet dies darauf hin, dass es sich dabei um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers handelt.

Zudem knüpfen § 26 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG jeweils an den Staat, in dem der „Asylberechtigte“ bzw. i.V.m. § 26 Abs. 5 AsylG der international Schutzberechtigte politisch verfolgt wird. Politisch verfolgt ist aber nur der Stammberechtigte, nicht der seinerseits nur nach § 26 AsylG Berechtigte (Hailbronner, Ausländerrecht, § 26 AsylG, Rn. 32).

Damit spricht auch § 26 Abs. 3 Nr. 2 AsylG im Falle des Klägers gegen eine Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus an diesen abgeleitet von seinem Sohn: Denn der Sohn des Klägers hat den subsidiären Schutzstatus wiederum nur abgeleitet von seiner Mutter erhalten. Er wird daher nicht im Sinne von § 26 Abs. 3 Nr. 2 i.V.m. Abs. 5 AsylG in seinem Heimatland Somalia politisch verfolgt bzw. droht ihm dort kein ernsthafter Schaden im Sinne von § 4 AsylG. Vielmehr hat er diesen Schutzstatus abgeleitet von seiner Mutter und ungeachtet der Frage, ob ihm selbst dort ein Schaden i.S.v. § 4 Abs. 1 AsylG droht, erhalten (vgl. die Begründung des ihm subsidiären Schutz gewährenden Bescheids des Bundesamts vom 19. April 2017). Daher steht der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus an den Kläger auch § 26 Abs. 4 Satz 2 AsylG entgegen (im Ergebnis ebenso Günther in Beck-OK Ausländerrecht, § 26 Rn. 22 und 26; Bodenbender in GK-AsylG, Stand Juni 2008, § 26 Rn. 71). Das vom Verwaltungsgericht zitierte Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 19. Mai 2017 (A 3 K 3301/16 – juris) verhält sich zu dieser Frage nicht.

c) Dem Kläger steht darüber hinaus auch die Personensorge für seinen Sohn nicht zu, so dass die Tatbestandsvoraussetzung des § 26 Abs. 3 Nr. 5 i.V.m. Abs. 5 AsylG nicht vorliegt. Das Verwaltungsgericht beschränkt sich in seinem Urteil insoweit auf die Feststellung, dass nicht ersichtlich sei, dass der Kläger nicht die Personensorge innehaben könnte. Diese Feststellung ist jedoch unzureichend. Das Innehaben der Personensorge für den Stammberechtigten ist ein Tatbestandsmerkmal nach § 26 Abs. 3 i.V.m. Abs. 5 AsylG. Für die positive Feststellung des subsidiären Schutzstatus aus abgeleitetem Recht ist es daher erforderlich, dass das Verwaltungsgericht dieses Tatbestandmerkmal positiv feststellt. Dies gebietet bereits der Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 VwGO (vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 86 Rn. 6). Will das Verwaltungsgericht aus diesem Grunde der Klage stattgeben, so kann es sich nicht darauf beschränken, festzuhalten, dass nicht ersichtlich sei, dass dieses Tatbestandsmerkmal nicht vorliege.

Im Gegenteil ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen, dass der Kläger gerade nicht die Personensorge für den Stammberechtigten innehat. Zum einen wurde beim Bundesamt (Bl. 63 d. BA-Akte) und als Anlage zur Klageschrift lediglich die Urkunde vom 28. Juli 2016 vorgelegt, mit der der Kläger die Vaterschaft für den zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborenen Stammberechtigten anerkannt hat. Damit steht allein fest, dass der Kläger Vater des Stammberechtigten ist, § 1592 Nr. 2 BGB. Eine Aussage zur Personensorge für den Stammberechtigten wird damit nicht getroffen. Für die elterliche Sorge bei nicht miteinander verheirateten Eltern regelt § 1626a BGB, dass, wenn die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet sind, ihnen die elterliche Sorge dann gemeinsam zusteht, wenn sie erklären, dass sie die Sorge gemeinsam übernehmen wollen (Sorgeerklärung) oder wenn sie einander heiraten. Nach § 1626a Abs. 2 BGB hat im Übrigen die Mutter die elterliche Sorge.

Der Kläger hat bei der Anhörung gegenüber dem Bundesamt (Bl. 56 d. BA-Akte) erklärt, dass er die Mutter des Stammberechtigten „traditionell“ im Bundesgebiet geheiratet habe. Damit kann ungeachtet der Tatsache, dass sowohl der Kläger als auch die Kindsmutter somalische Staatsangehörige sind, nicht von einer wirksam geschlossenen Ehe ausgegangen werden, da diese nach Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden kann (vgl. auch VG Münster, U.v. 28.2.2018 – 8 L 198/18.A – juris Rn. 3). Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen nach Art. 13 Abs. 4 Satz 2 EGBGB vorliegen, sind nicht ersichtlich. Gegen eine wirksame Eheschließung in Deutschland spricht auch, dass der Kläger seine Vaterschaft für den Stammberechtigten in der vorgelegten Urkunde anerkannt hat. Wären der Kläger und die Mutter des Stammberechtigten wirksam verheiratet, so wäre dies aufgrund § 1592 Nr. 1 BGB nicht notwendig gewesen. Hinzu kommt, dass in der Belehrung vor Anerkennung der Vaterschaft vom 28. Juli 2016 (Bl. 64 d. BA-Akte) durch das Jugendamt Do … darauf hingewiesen wurde, dass das Sorgerecht für das Kind nicht miteinander verheirateter Eltern, grundsätzlich allein der volljährigen Mutter zustehe. Ein gemeinsames Sorgerecht setze voraus, dass sowohl die Mutter als auch der Vater in öffentlich beurkundeter Form erklärten, die Sorge gemeinsam ausüben zu wollen. Nachdem eine derartige Sorgerechtserklärung nicht vorgelegt wurde, ist davon auszugehen, dass eine solche auch nicht erfolgt ist.

Ein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus aus abgeleitetem Recht scheitert daher auch an der fehlenden Personensorge des Klägers für den „Stammberechtigten“.

2. Der Kläger hat aufgrund seiner Angaben im Asylverfahren keinen Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 AsylG die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3).

Nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen stellt sich die allgemeine Situation in Somalia aktuell im Wesentlichen wie folgt dar: Somalia ist spätestens seit Beginn des Bürgerkriegs 1991 ohne flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird vom nach Unabhängigkeit strebenden „Somaliland“ im Nordwesten sowie von der die Regierung aktiv bekämpfenden, radikal-islamistischen Al-Shabaab-Miliz in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich das südliche und mittlere Somalia, die Unabhängigkeit beanspruchende „Republik Somaliland“ im Nordwesten und die autonome Region Puntland im Nordosten. In Puntland gibt es eine vergleichsweise stabile Regierung; die Region ist von gewaltsamen Auseinandersetzungen deutlich weniger betroffen als Süd-/Zentralsomalia. In „Somaliland“ wurde im somaliaweiten Vergleich das bislang größte Maß an Sicherheit, Stabilität und Entwicklung erreicht. In Südbzw. Zentralsomalia mit der Hauptstadt Mogadischu kämpfen die somalischen Sicherheitskräfte mit Unterstützung der Militärmission der Afrikanischen Union AMISOM gegen die Al-Shabaab-Miliz. Die Gebiete befinden sich teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der Al-Shabaab-Miliz oder anderer Milizen. Die meisten größeren Städte sind schon seit längerer Zeit in der Hand der Regierung, in den ländlichen Gebieten herrscht oft noch die Al-Shabaab. In den „befreiten“ Gebieten finden keine direkten kämpferischen Auseinandersetzungen mehr statt. Die Al-Shabaab verübt jedoch immer wieder Sprengstoffattentate auf bestimmte Objekte und Personen, bei denen auch Unbeteiligte verletzt oder getötet werden (siehe Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia vom 7. März 2018 – Stand: Januar 2018, S. 4 f.; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia – vom 12. Januar 2018, S. 7 ff. und Analyse der Staatendokumentation – Somalia – Sicherheitslage, 12. Oktober 2015, S. 32; siehe auch EGMR, U.v. 10.9.2015 – Nr. 4601/14 [R.H./Schweden] – NVwZ 2016, 1785; U.v. 5.9.2013 – Nr. 886/11, [K.A.B. ./. Schweden] – Rn. 87 ff.; BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris, U.v. 17.3.2016 – 20 B 13.30233 – juris und U.v. 28. März 2017 – 20 B 19.30204 – juris; OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris = Asylmagazin 2016, 29).

Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger in seinem Heimatland Somalia die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe droht, wurden vom Kläger nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

Dem Kläger droht in seinem Heimatland Somalia auch keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG. Soweit der Kläger in der Anhörung eine Bedrohung durch die zum Mehrheitsclan der Dhulbahante gehörende Familie des Mädchens, das er in L … C … kennengelernt und geheiratet habe und mit der er ein Mädchen gezeugt habe, geltend macht, erachtet der Senat seinen Vortrag als unglaubhaft. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf zutreffenden Ausführungen des Bundesamts im streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen und gemäß § 77 Abs. 2 AsylG von einer weiteren Darstellung abgesehen.

Dem Kläger droht auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG). Für die Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, U.v. 14.7.2009 – 10 C 9.08 – juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji]; zum Ganzen OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – juris = Asylmagazin 2016, 29). Im Falle des Klägers, der vor seiner Ausreise nach seinen Angaben seit er acht Jahre alt war bei seiner Schwester in L … C … in der Region Sool, die zu Somaliland gehört, gelebt hat, ist auf diese Region als Herkunfts- und Rückkehrregion abzustellen.

Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinander treffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grades an Gewalt ist (EuGH, Urteil v. 30.1.2014 – C-285/12 [Diakite] – NVwZ 2014, 573 = juris, Leitsatz 1 und Rn. 28; BayVGH, Urteil v. 7.4.2016 – 20 B 14.30101 – juris Rn. 20).

Im Südosten Somalilands haben Angehörige des Dulbahante-Clans 2012 den Staat Khatumo ausgerufen. Dieser umfasst die bereits zuvor von der Miliz SSC (Sool-Sanaag-Cayn) beanspruchten Gebiete des Dulbahante-Clans und damit auch die Herkunftsregion des Klägers. Allerdings kontrolliert Khatumo nur kleine Teile des beanspruchten Territoriums. Khatumo verfügt über eine eigene Miliz, nicht aber über funktionierende Verwaltungsstrukturen. Khatumo hat keinen großen Einfluss und der Konflikt zwischen Somaliland und Khatumo wird nur mit geringer Intensität ausgetragen; es kommt in den Regionen Togdheer und Sool zu vereinzelten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen somaliländischer Armee und der Miliz von Khatumo (BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Somalia Somaliland – Stand: 27.6.2017, S. 11 und insb. die Karte auf S. 12). Seit 2008 wurden keine terroristischen Aktivitäten der Al-Shabaab in Somaliland mehr registriert. Die Region wird als Rückzugsraum auch für höherrangige Mitglieder der Al-Shabaab genutzt, es wird vermutet, dass es eine Art Stillhalteabkommen zwischen der Al-Shabaab und der somaliländischen Regierung gibt (Fact Finding Mission (FFM) Report Somalia, Sicherheitslage in Somalia, Bericht zur österreichisch-schweizerischen FFM, August 2017, S. 105). Al-Shabaab bleibt grundsätzlich eine Bedrohung unbekannten Ausmaßes für Somaliland und verfügt über eine Präsenz in Hargeysa. Daneben wird eine temporäre Präsenz und sporadische Aktivitäten der Gruppe in den umstrittenen Gebieten Ost-Somalilands und in Burco gemeldet, wo es zu gezielten Tötungen von Deserteuren der Al-Shabaab gekommen ist (FFM Report Somalia, S. 106/107). Dennoch ist die Al-Shabaab aber nicht generell in der Lage, in Somaliland gezielte Attentate durchzuführen, dazu fehlt ihr das dafür notwendige Netzwerk (FFM Report Somalia S. 107). In der Region Sool kommt es zudem zu vereinzelten Grenzauseinandersetzungen mit Puntland, wobei beide Verwaltungen vor Ort aber auch zusammen arbeiten (FFM Report Somalia, S. 103). Laut EASO sind die wesentlichen Akteure im Konflikt in der Region neben den Streitkräften bzw. Polizeieinheiten Somalilands und Puntlands die Clan-Milizen der Dulbahante (bzw. des Staates Khatumo) (EASO, Somalia Security Situation, Dezember 2017, S. 22, 111). Nachdem damit immer wieder verschiedene bewaffnete Gruppen in der Region Sool aufeinandertreffen, ist grundsätzlich von einem bewaffneten innerstaatlichen Konflikt dort im Sinne des genannten Urteils des Europäischen Gerichtshofs auszugehen.

Allerdings ist der Kläger aufgrund der beschriebenen Konfliktlage in seiner Heimatregion als Zivilperson keiner ernsthaften, individuellen Bedrohung infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt. Für die Annahme einer ernsthaften individuellen Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung führt (BVerwG, U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24). Die von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr kann sich jedoch individuell verdichten. Eine ernsthafte individuelle Bedrohung für Leib oder Leben kann in erster Linie auf gefahrerhöhenden persönlichen Umständen beruhen. Dies sind solche Umstände, die den Ausländer von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen als andere. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Ausländer als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte – etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit – ausgesetzt ist, sofern deswegen nicht schon die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; U.v. 17.11.2010 – 10 C 13.10 – juris Rn. 18). Im Ausnahmefall kann eine ernsthafte individuelle Bedrohung von Leib oder Leben aber auch durch eine allgemeine Gefahr hervorgerufen sein, die sich in besonderer Weise zugespitzt hat. Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe eines Landes „allgemein“ ausgesetzt ist, stellen normalerweise zwar keine individuelle Bedrohung dar. Eine Ausnahme davon gilt aber bei besonderer Verdichtung der Gefahr, die unabhängig von individuellen gefahrerhöhenden Umständen zu deren Individualisierung führt. Davon ist auszugehen, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit in diesem Gebiet Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, U.v. 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji] – juris Rn. 35, 39; U.v. 30.1.2014 – C-285/12 [Diakité] – juris Rn. 30; BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 32; U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 19).

Unabhängig davon, ob die individuelle Bedrohungssituation auf persönliche Umstände oder ausnahmsweise auf die allgemeine Lage im Herkunftsland zurückgeht, sind Feststellungen über das Niveau willkürlicher Gewalt in dem jeweiligen Gebiet zu treffen. Liegen keine gefahrerhöhenden persönlichen Umstände vor, ist ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt erforderlich; liegen gefahrerhöhende persönliche Umstände vor, genügt auch ein geringeres Niveau willkürlicher Gewalt. In beiden Konstellationen ist eine jedenfalls annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die dort von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen verübt werden, notwendig (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33). Es bedarf zudem einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 4.09 – juris Rn. 33; U.v. 13.2.2014 – 10 C 6.13 – juris Rn. 24). Das Bundesverwaltungsgericht sieht ein Risiko von 1:800, in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13.10 – juris Rn. 22 f.; U.v. 17.11.2011 – 10 C 11/10 – juris Rn. 20 f. [Risiko von 1:1000]).

Gemessen an den vorgenannten Kriterien fehlt es an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Klägers bei einer Rückkehr nach L … C … in der Region Sool.

Gefahrerhöhende persönliche Umstände, die ihn wegen persönlicher Merkmale einem besonderen Sicherheitsrisiko aussetzen könnten, liegen nicht vor. Der Kläger gehört keiner Risikogruppe an. Insbesondere stellt seine Zugehörigkeit zu dem Minderheitenclan der Sheikhal keinen gefahrerhöhenden Umstand dar. Zwar werden die Angehörigen berufsständischer Gruppen (wie die Tumal oder die Gabooye) und ethnischer Minderheiten (wie die Bantu oder die Sheikal) in der somalischen Gesellschaft häufig diskriminiert und marginalisiert (Schweizer Staatssekretariat für Migration (SEM), Focus Somalia – Clans und Minderheiten, Mai 2017, S. 38). Polizei und Justiz benachteiligen Angehörige von Minderheiten aber nicht (mehr) systematisch, insbesondere aus Somaliland wird berichtet, dass die dortige Justiz die Minderheiten in den letzten Jahren mehrheitlich fair behandelt habe (SEM, Focus Somalia – Clans und Minderheiten, Mai 2017, S. 41). Jedenfalls lässt sich aus der Zugehörigkeit zu einem Minderheitenclan kein erhöhtes Risiko ableiten, Opfer der willkürlichen Gewalt im Rahmen des bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Region Sool zu werden.

Während des Jahres 2017 gab es fast keine bewaffneten Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Grenzkonflikt zwischen Somaliland und Puntland. Dennoch bleibt die Situation im östlichen Somaliland an der Grenze zum Khatumo-Staat zerbrechlich. Dies liegt aber hauptsächlich an Auseinandersetzungen zwischen lokalen Clans (hauptsächlich Sub-Clans der Dulbahante), die 2017 eskaliert sind, vermutlich aufgrund der Dürre und der dadurch ausgelösten Ressourcenknappheit (EASO, Somalia Security Situation Dezember 2017, S. 112; FFM Report Somalia, S. 102). Zwischen Khatumo und Somaliland finden derzeit Verhandlungen mit dem Ziel, einen Aus Weg aus der Situation zu finden, statt (FFM Report Somalia, S. 104). Von Januar 2016 bis einschließlich August 2017 zählte ACLED (Armed Conflict Location & Event Data Project) in der Region Sool 89 gewaltsame Vorfälle mit insgesamt 67 Todesfällen. Auf das Jahr 2016 entfielen dabei 58 Vorfälle mit 27 Getöteten und auf 2017 31 Vorfälle mit 40 Getöteten (EASO Security Situation Dezember 2017, S. 112). Rechnet man die Zahl für Januar bis August 2017 auf das Gesamtjahr hoch, kommt man auf 46 Vorfälle mit 60 Getöteten. Dabei ist aber einerseits zu berücksichtigen, dass ACLED nicht zwischen getöteten Waffenträgern und Zivilpersonen unterscheidet, dass es keine durch einen Vorfall Verletzten erfasst und dass es aufgrund der allgemein schlechten Nachrichtenlage zu Untererfassungen kommen kann. Die Zahlen können daher nur als Schätzungen angesehen werden (EASO, Somalia Security Situation, Dezember 2017, S. 12-13). Legt man sie jedoch mangels anderer, genauerer Zahlen zugrunde, so beläuft sich das Risiko, aufgrund des bewaffneten innerstaatlichen Konflikts in der Region Sool getötet zu werden bei einer Gesamtbevölkerung in der Region von geschätzten 327.428 Einwohnern (EASO, Somalia Security Situation Dezember 2017, S. 111) auf 1:5457. Die Gefahrenlage erreicht damit nicht das für die Bejahung einer Gefahr ohne Vorliegen gefahrerhöhender Umstände im Einzelfall notwendige besonders hohe Niveau.

Auch ungeachtet einer quantitativen Bewertung ergibt sich unter Zugrundelegung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen (v.a. FFM Report Somalia, BFA, Länderinformationsblatt Somalia – Somaliland Stand 27.6.2017, S. 11 ff. m.w.N.; EASO Security Situation Report, Februar 2016, S. 73 ff. und Dezember 2017, S. 111 ff) in der Region Sool keine solche Gefahrendichte, dass jedermann alleine aufgrund seiner Anwesenheit dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen muss, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Denn alle Erkenntnisquellen stimmen darin überein, dass in Somaliland das im somaliaweiten Vergleich höchste Niveau an Sicherheit erreicht wurde. Dies gilt auch für die grundsätzlich unsicherere Region an der Grenze zu Puntland, zu der auch die Herkunftsregion des Klägers gehört. Denn auch insoweit stimmen die Quellen überein, dass der Konflikt zwischen Puntland und Somaliland derzeit sehr sporadisch und auf geringem Niveau ausgetragen wird. Sowohl Puntland als auch Somaliland verfügen über Verwaltungseinrichtungen in Teilen von Sool und Sanaag, die vor Ort auch zusammen arbeiten (FFM Report Somalia, S. 103). Zwischen Somaliland und Khatumo finden sogar Verhandlungen statt (FFM Report Somalia, S. 104). Damit besteht auch künftig nicht die Aussicht, dass der Konflikt sich in erheblichem Maße zuspitzen wird und die Gefährdung von Zivilpersonen ein nennenswert größeres Ausmaß erreichen wird.

Eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG liegt damit nicht vor.

2. Auch die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG liegen nicht vor.

a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Einschlägig ist hier das Verbot der Folter und der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Art. 3 EMRK. Denn die Abschiebung durch einen Konventionsstaat kann dessen Verantwortlichkeit auch dann begründen, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene dadurch tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (EGMR, U.v. 12.1.2016 – Nr. 13442/08 [A.G.R./Niederlande] – NVwZ 2017, 293; U.v. 5.9.2013 – Nr. 886/11 [K.A.B./Schweden] – Rn. 68; U.v. 28.2.2008 – Nr. 37201/06 [Saadi/Italien] – NVwZ 2008, 1330 Rn. 125; ebenso BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 m.w.N.). In besonderen Ausnahmefällen können sich solche Gründe auch aus einer völlig unzureichenden Versorgungslage ergeben (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – juris Rn. 23 ff unter Verweis auf EGMR, U.v. 27.5.2008 – Nr. 26565/05 [N./Vereinigtes Königreich] – NVwZ 2008, 1334 Rn. 42, und U.v.28.6.2011 – Nr. 8319/07 [Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich] – NVwZ 2012, 681; ebenso BayVGH, U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – juris Rn. 17 f.).

b) Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG sind Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Diese Sperrwirkung kann nur dann im Wege einer verfassungskonformen Auslegung eingeschränkt werden, wenn für den Schutzsuchenden ansonsten eine verfassungswidrige Schutzlücke besteht (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.). Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die den Kläger in Somalia erwarten, insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage, kann er Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beanspruchen, wenn er bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Die drohenden Gefahren müssen nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Die Gefahren müssen dem Ausländer mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Nach diesem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad muss eine Abschiebung dann ausgesetzt werden, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“ (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5.01 – BVerwGE 115, 1 m.w.N. = juris). Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Eine extreme Gefahrenlage besteht beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zu alldem BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 10 C 24.10 – BVerwGE 137, 226 = juris).

Abzustellen ist für beide Abschiebungsverbote auf die Verhältnisse im gesamten Abschiebungszielstaat, wobei zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen sind (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12-31, Rn. 26 und 38). Zielort der Abschiebung wäre hier die somaliländische Hauptstadt Hargeysa, da diese über einen internationalen Flughafen verfügt und der Heimatort L … C … des Klägers von dort aus erreichbar ist (FFM Report Somalia, S. 94).

Was den konkreten Fall des Klägers angeht, so ist er einerseits als junger Mann arbeitsfähig und kann daher auf die Einsetzung seiner Arbeitskraft verwiesen werden. Was die wirtschaftliche Situation in Somaliland angeht ist festzuhalten, dass es den Menschen dort aufgrund der besseren Sicherheitslage und der grundsätzlich besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Interventionen im Krisenfall rascher möglich ist, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten. Arbeitsmöglichkeiten gibt es zwar allenfalls im Infrastruktur- und Baubereich (BFA Länderinformationsblatt Somalia-Somaliland, S. 29). Es herrscht insbesondere unter jungen Männern große Arbeitslosigkeit, 84% der Altersgruppe von 14 bis 29 Jahren in Somaliland ist arbeitslos (BfA a.a.O.). Allerdings kann der Kläger bei einer Rückkehr nach Hargeysa und weiter nach L … C … jedenfalls auf die Unterstützung durch seine Schwester, die nach seinen Angaben in der Anhörung dort als Geschäftsführerin einer Firma mit Kohle handelt, vertrauen. Seine wirtschaftliche Situation vor der Ausreise hatte der Kläger wohl aufgrund dessen als „gut“ beschrieben. Daher droht dem Kläger bei einer Rückkehr weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen an seinem Heimatort noch ist eine existenzielle Extremgefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG erkennbar.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Revisionsgrund besteht, § 132 Abs. 2 VwGO.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), wird verpflichtet, an dem in der Verteilentscheidung nach § 50 Absatz 4 genannten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Findet eine länderübergreifende Verteilung gemäß § 51 statt, dann ergeht die Wohnsitzauflage im Hinblick auf den sich danach ergebenden Aufenthaltsort. Der Ausländer kann den in der Wohnsitzauflage genannten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen.

(2) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), kann verpflichtet werden,

1.
in einer bestimmten Gemeinde, in einer bestimmten Wohnung oder Unterkunft zu wohnen,
2.
in eine bestimmte Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft umzuziehen oder
3.
in dem Bezirk einer anderen Ausländerbehörde desselben Landes seinen gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnung oder Unterkunft zu nehmen.
Eine Anhörung des Ausländers ist erforderlich in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2, wenn er sich länger als sechs Monate in der Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft aufgehalten hat. Die Anhörung gilt als erfolgt, wenn der Ausländer oder sein anwaltlicher Vertreter Gelegenheit hatte, sich innerhalb von zwei Wochen zu der vorgesehenen Unterbringung zu äußern. Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(3) Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 ist die nach § 50 zuständige Landesbehörde. Die Wohnsitzauflage soll mit der Zuweisungsentscheidung nach § 50 verbunden werden. Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 2 ist die nach § 51 Absatz 2 Satz 2 zuständige Landesbehörde. Die Wohnsitzauflage soll mit der Verteilungsentscheidung nach § 51 Absatz 2 Satz 2 verbunden werden. Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 2 ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die Gemeinde oder die zu beziehende Wohnung oder Unterkunft liegt.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Juli 2017 wird Nr. 6 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2016 aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben am 15. Juli 1981 in Laschkar Gah (Afghanistan, Provinz Helmand) geboren und afghanischer Staatsangehöriger der Volkszugehörigkeit Hazara. Er stellte am 10. April 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag.

Im Rahmen einer Befragung bei der Regierung von Oberbayern am 15. April 2014 (Sprache: Dari) gab der Kläger u.a. an, Afghanistan (Wohnort: Provinz Ghazni, Distrikt Jaghori, Dorf Hezar) zuletzt am 12. Oktober 2003 verlassen zu haben. Er sei mit seiner Mutter über Pakistan in den Iran gegangen und später allein über die Türkei nach Griechenland gereist. In Griechenland habe er bei einer Kirche gearbeitet und im Jahr 2007 Asyl beantragt. Die Frau, die er am 16. Dezember 2012 in Griechenland kirchlich und am selben Tag im Iran „mit Vollmacht“ geheiratet habe (im Folgenden: Ehefrau), sei bereits seit 2013 in Deutschland. Amtliche Nachweise der Eheschließung könne er nicht vorlegen. In Afghanistan habe er nur weit entfernte Verwandte. Verwandte im Ausland oder Europa habe er nicht.

Bei der Anhörung beim Bundesamt am 15. Juli 2016 gab der Kläger u.a. an, dass er in Laschkar Gah (Afghanistan) geboren sei. Er sei jedoch bereits im Alter von vier Jahren zusammen mit seinen Eltern in den Iran gezogen. Im Alter von 20 Jahren sei er sodann mit seiner Mutter wieder für zwei Jahre zurück nach Afghanistan (Ghazni Jaghori) gegangen, der Vater sei im Iran geblieben. Die Eltern seien nunmehr verstorben. Er habe keine Verwandten in Afghanistan. In Pakistan habe er eine Tante und einen Cousin; in Australien habe er wohl einen Onkel. Seine Ehefrau sei in Deutschland. Er habe die Schule bis zur 11. Klasse besucht; danach habe er die Universität besuchen wollen, dies sei jedoch nicht gegangen. Er habe sodann den Beruf des Schweißers erlernt. Er habe Afghanistan zuletzt im Oktober 2003 verlassen. Er sei über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland (Aufenthalt: 10 Jahre), Mazedonien, Serbien, Ungarn, erneut Griechenland (Rückschiebung durch Ungarn) und Italien nach Deutschland gelangt (Einreise: 4./5.4.2014). In Griechenland habe er im ersten Jahr in der Landwirtschaft gearbeitet, danach habe er eine Stelle als Schweißer gefunden. Ab 2009 habe er nur noch teilweise Arbeit gehabt. Er habe auch ehrenamtlich bei der Kirche und beim Roten Kreuz mitgearbeitet. Er habe in Athen/Griechenland am 16. Dezember 2012 eine Frau geheiratet, die bereits zwei Kinder gehabt hätte. Die Ehefrau habe Griechenland bereits Ende August 2013 verlassen. Er selbst habe Griechenland Ende März 2014 verlassen, da es keine Arbeit mehr gegeben und eine Gruppe sie belästigt habe. Zu den Gründen für seine Ausreise aus Afghanistan befragt gab der Kläger u.a. an, dass er in Ghazni Jaghori einen Bücherladen betrieben habe und auch als Fotograf auf Hochzeiten tätig gewesen sei. Ein oder zwei Tage vor der Ausreise habe er von seiner Mutter gehört, dass eine Familie behauptet habe, dass er Videos von ihrer Hochzeit ohne Erlaubnis weitergegeben habe. Aus Angst vor körperlicher Gewalt durch diese Familie, die sich in ihrer Ehre gekränkt gesehen habe, sei er dann ausgereist.

2. Mit Bescheid des Bundesamts vom 21. Juli 2016 wurde der Asylantrag (Nr. 2) des Klägers sowie sein Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und subsidiären Schutzes (Nr. 3) abgelehnt. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG seien nicht gegeben (Nr. 4). Die Abschiebung nach Afghanistan wurde angedroht, sollte keine Ausreise innerhalb von 30 Tagen erfolgen (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben seien. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan führten nicht zu der Annahme, dass im Fall des Klägers eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliege. Der Kläger sei jung und erwerbsfähig. Ihm sei es mit seinem Mittelschulabschluss auch bis zu seiner Ausreise gelungen, für sich eine Lebensgrundlage zu schaffen.

Am 4. August 2016 erhob der Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Augsburg Klage. Mit Schriftsatz vom 20. Juni 2017 legte der Kläger dem Verwaltungsgericht einen bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 3. November 2016 vor, nach dem der Ehefrau (geb. am 1.1.1978) und zwei nicht gemeinsamen Kindern (geb. am 1.1.2006 bzw. 1.1.2013) subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zuerkannt worden ist (Asylantragstellung: 28.8.2013). Ferner legte der Kläger einen bestandskräftigen Bescheid des Bundesamts vom 19. Mai 2017 vor, nach dem einer am 25. Februar 2015 in Neu-Ulm geborenen Tochter der Ehefrau, deren Vater er sei, im Wege des von der Mutter abgeleiteten Familienasyls nach § 26 AsylG ebenfalls subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zuerkannt worden ist.

3. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2017 (Az. Au 8 K 16.31298) wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliege. Eine extreme Gefahrenlage ergebe sich für den Kläger in seiner afghanischen Heimatregion weder aus seiner Volkszugehörigkeit noch hinsichtlich der allgemeinen Sicherheitslage. Dem Kläger drohe auch keine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben wegen der allgemeinen Versorgungslage in Afghanistan. Er sei volljährig, gesund, arbeitsfähig und mit den Lebensverhältnissen in Afghanistan vertraut. Ferner spreche er eine der beiden Landessprachen. Auch die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG sei rechtmäßig.

4. Auf Antrag des Klägers hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Dezember 2017 (Az. 13a ZB 17.31065) die Berufung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots zugelassen, da bezüglich der Erkenntnis des Verwaltungsgerichts, dass dem Kläger als Familienvater kein Abschiebungsschutz aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zustehe, die Voraussetzungen des § 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG (Divergenz) gegeben seien. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche insoweit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, nach der die mit dem Kläger in Deutschland lebende Ehefrau und das gemeinsame minderjährige Kind in die Bewertung mit einzubeziehen seien, ob die humanitären Bedingungen in Afghanistan eine Gefahrenlage darstellen, die zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 3 EMRK führt (BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - Asylmagazin 2015, 197; U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285 - InfAuslR 2015, 212). Der Verwaltungsgerichtshof gehe davon aus, dass hierbei Unterhaltsverpflichtungen des Klägers nicht außer Betracht bleiben könnten. Unter den in Afghanistan derzeit herrschenden Rahmenbedingungen sei eine solche Gefahrenlage im Fall einer Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern im Allgemeinen anzunehmen, so dass für sie ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bestehe (siehe etwa BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.30030 - AuAS 2017, 175).

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger u.a. vor, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht bei der Bewertung der Versorgungslage in Afghanistan die Ehefrau und das gemeinsame Kind nicht berücksichtigt habe. Dies widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 8.9.1992 - 9 C 8.91) sowie des Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30285), nach der bei in Deutschland mit dem Asylbewerber zusammenlebenden Familienangehörigen im Lichte von Art. 6 GG im Rahmen einer möglichst realitätsnahen Rückkehrprognose auch im Heimatland auf die Gemeinschaft der Familienangehörigen abzustellen sei, ohne dass es auf etwaige Absichtserklärungen der Betroffenen oder ihren ausländerrechtlichen Status ankäme. Es könne letztlich nicht sein, dass ein Familienvater wie der Kläger nur deshalb schlechter stehe, weil seine Ehefrau einen Schutzstatus zuerkannt bekommen habe. Eine „normale“ Familie hätte insgesamt - also einschließlich des Klägers als Ehemann bzw. Vater - Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG erhalten. In jedem Fall seien die im Bescheid getroffene Abschiebungsandrohung, die Ausreisefrist sowie das Wiedereinreiseverbot rechtswidrig.

Der Kläger beantragt,

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 7. Juli 2017 wird der Bescheid der Beklagten vom 21. Juli 2016 in Nr. 4. bis 6. aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, bei dem Kläger das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses aus § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG seien im Fall des Klägers nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei es unzulässig, eine nicht realitätsgerechte Gefahrenprognose aufzustellen. Insbesondere sei geklärt, dass für den Fall, dass einem Familienmitglied ein Bleiberecht oder auch nur Abschiebungsschutz zuerkannt wurde, bei der gebotenen Gefährdungsprognose keine gemeinsame Rückkehr mit anderen Mitgliedern der Kernfamilie zu unterstellen sei (vgl. etwa BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - NVwZ-Beil. 2000, 146). So liege der Fall auch hier. Die Ehefrau des Klägers und das gemeinsame Kind hätten subsidiären Schutz aus § 4 AsylG zuerkannt erhalten und seien im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Bundesrepublik Deutschland bzw. hätten einen Anspruch hierauf. Sie seien daher im Rahmen der Rückkehrprognose nicht zu berücksichtigen. Daher sei der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einem alleinstehenden Mann ohne Unterhaltspflichten gleichzustellen, für den nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.6.2017 - 13a ZB 17.30400 - juris Rn. 13) die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK nicht gegeben seien. Ergänzend werde auf die Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts verwiesen (SächsOVG, U.v. 3.7.2018 - 1 A 215/18.A - juris Rn. 26 f.). Hiernach müsse bei nationalen Abschiebungsverboten aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG stets geprüft werden, ob der Schutztatbestand in der Person eines jedes Familienmitglieds tatsächlich vorliege. Hieran änderten auch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nichts; denn allein die Ausländerbehörden - nicht das Bundesamt - hätten bei der Prüfung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse darüber zu befinden, ob eine Abschiebung mit dem Schutz der Familie aus Art. 6 GG vereinbar sei. Ausgehend von dieser Rechtsprechung sei somit aus Rechtsgründen bei der Rückkehrprognose richtigerweise ein anderer Ansatz geboten als derjenige, den der Verwaltungsgerichtshof bei Familien mit minderjährigen Kindern bisher zugrunde gelegt habe. Sollte der Verwaltungsgerichtshof hingegen an seinen bisherigen prognostischen Maßstäben festhalten und die Rückkehrsituation im Fall des Klägers der Konstellation einer Familie mit minderjährigen Kindern gleicherachten (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 23.3.2017 - 13a B 17.30030 - juris), werde die Zulassung der Revision beantragt, um die umstrittene Rechtsfrage zu klären, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen bei der Rückkehrprognose Auswirkungen von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK einzubeziehen seien.

5. Ausweislich der im Berufungsverfahren beigezogenen Asylakte hat die Ehefrau des Klägers in ihrem Asylverfahren u.a. vorgetragen, dass sie Afghanistan verlassen habe, da ihr erster Ehemann - ein Kommandeur bei der afghanischen Armee, mit dem sie im Alter von neun Jahren zwangsverheiratet worden sei - sie und ihre Kinder schwer körperlich misshandelt habe. Nach der Scheidung sei sie auf der Flucht vor dem Ex-Ehemann über den Iran nach Griechenland gegangen. Dort habe sie den Kläger getroffen, der ihr geholfen habe. Später habe sie diesen „telefonisch“ und auch in einer christlichen Kirche in Griechenland geheiratet. Sodann habe der Kläger sie und die Kinder mit dem Flugzeug nach Deutschland geschickt, um selbst später auf dem Landweg nachzukommen. Die Ehefrau legte in ihrem Asylverfahren einen Auszug aus dem Geburtenregister der Stadt Neu-Ulm vom 12. November 2015 vor, nach dem sie dort am 25. Februar 2015 eine Tochter zur Welt gebracht hat; unter „Vater“ war niemand eingetragen. Ferner wurde eine Kopie eines Dokuments in persischer Sprache nebst deutscher Übersetzung durch einen allgemein vereidigten Dolmetscher vorgelegt; hiernach handele es sich um ein iranisches Dokument, nach dem der Kläger und die Ehefrau dort am 16. Dezember 2012 in Abwesenheit über zwei Stellvertreter nach islamischem Ritus die Ehe geschlossen hätten. Ausweislich eines internen Vermerks des Bundesamts zum bestandskräftigen Bescheid der Ehefrau des Klägers vom 3. November 2016 habe diese subsidiären Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zuerkannt erhalten, da ihr in Afghanistan Verfolgung durch ihren geschiedenen Ehemann drohe und ihr dort als alleinstehender bzw. alleinerziehender Frau keine interne Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

Ausweislich einer weiteren beigezogenen Asylakte wurde mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamts vom 23. Oktober 2017 einer am 6. Dezember 2016 in Neu-Ulm geborenen weiteren Tochter der Ehefrau im Wege des von der Mutter abgeleiteten Familienasyls nach § 26 AsylG ebenfalls subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zuerkannt. In diesem Verfahren wurde ein Auszug aus dem Geburtenregister der Stadt Neu-Ulm vom 9. Januar 2017 vorgelegt, nach dem Vater dieser Tochter der Kläger sei (Zusatz: „Identität nicht nachgewiesen“).

6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 8. November 2018 verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist ganz überwiegend nicht begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

1. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) hat der Kläger keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung, dass in seinem Fall ein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Afghanistans gegeben ist (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

a) Der streitgegenständliche Anspruch folgt zunächst nicht aus dem Umstand, dass der Ehefrau des Klägers und den 2015 und 2016 in Deutschland geborenen gemeinsamen Kindern durch das Bundesamt bestandskräftig subsidiärer Schutz i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG zuerkannt worden ist.

Insoweit gilt, dass § 26 AsylG ausweislich seines Wortlauts auf den im vorliegenden Berufungsverfahren allein streitgegenständlichen Anspruch auf ein nationales Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG keine Anwendung findet; ein nationales Abschiebungsverbot muss vielmehr stets in der Person des jeweiligen Betroffenen selbst begründet sein (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2004 - 1 C 27.03 - NVwZ 2004, 1371 = juris Rn. 9 zu § 53 Abs. 6 AuslG; BayVGH, U.v. 21.9.2009 - 21 B 08.30221 - juris Rn. 13-16).

b) Im Fall des Klägers sind die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht gegeben.

aa) Insoweit gilt, dass die Ehefrau des Klägers, die in Deutschland geborenen gemeinsamen Kinder sowie die sonstigen mit dem Kläger in Deutschland zusammenlebenden Stiefkinder im Rahmen der gebotenen Gefahrenprognose bei einer hypothetischen Rückkehr ins Heimatland nicht zu berücksichtigen sind.

(1) Im Rahmen der Prüfung, ob der Abschiebung eines erfolglosen Asylbewerbers Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegenstehen, ist der Gefahrenprognose eine möglichst realitätsnahe, wenngleich notwendig hypothetische Rückkehrsituation zugrunde zu legen. Insoweit gelten im Rahmen der Gefahrenprognose des § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG die Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht zur asylrechtlichen Verfolgungsprognose entwickelt hat (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 = NVwZ 1993, 190), entsprechend. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist für die Gefahrenprognose die Sach- und Rechtslage im nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt entscheidend, wobei absehbare Entwicklungen zu berücksichtigen sind (siehe zum Ganzen: BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 10/12).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen auszugehen, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt (BVerwG, U.v. 16.8.1993 - 9 C 7.93 - DVBl 1994, 58 = juris; U.v. 8.9.1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 = NVwZ 1993, 190 = juris Rn. 14). Nicht angenommen werden kann hingegen eine gemeinsame Rückkehr mit Familienangehörigen, die aufgrund rechtskräftiger Feststellung zu § 3 AsylG als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genießen. Es widerspräche dem damit zugleich verbindlich festgestellten Flüchtlingsstatus, auch bei einem solchen Sachverhalt die gemeinsame Rückkehr des erfolglosen Asylbewerbers mit seinen als politische Flüchtlinge anerkannten Angehörigen zu unterstellen. Dies wäre zudem wirklichkeitsfremd und stünde deshalb mit der Rechtsprechung zum Erfordernis einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im - hypothetischen - Rückkehrfall nicht in Einklang (siehe zum Ganzen: BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 10; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 10 f.).

Nichts anderes kann dann gelten, wenn die bleibeberechtigten Eltern oder Familienangehörigen auf absehbare Zeit wegen individueller Gefährdung von Leib und Leben i.S.v. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG oder eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG nicht in ihr Heimatland zurückkehren können (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 10).

Soweit einzelne Familienangehörige wegen eines bestehenden Bleiberechts oder festgestellten Abschiebungsschutzes auf absehbare Zeit in Deutschland verbleiben werden, ist die (inlandsbezogene) Frage, ob die mit einer Durchführung der Abschiebung einhergehende Trennung der Familie im Lichte von Art. 6 GG zulässig ist, nicht vom Bundesamt im Rahmen von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern ausschließlich von der Ausländerbehörde im Rahmen der ihr obliegenden Prüfung etwaiger Vollstreckungshindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG zu entscheiden; diese hat hierbei auch die weiteren (mittelbaren) Folgen der Trennung im Abschiebungszielstaat - etwa eine drohende Existenzgefährdung - zu berücksichtigen (siehe zum Ganzen: BVerwG, B.v. 10.10.2012 - 10 B 39.12 - InfAuslR 2013, 42 = juris Rn. 4; U.v. 7.12.2004 - 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 = NVwZ 2005, 704 = juris Rn. 29; B.v. 23.10.2001 - 1 B 169.01 - juris Rn. 2; U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 11; U.v. 23.5.2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 8; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 13-17; BayVGH, B.v. 11.10.2018 - 21 B 18.30691 - juris Rn. 19 f.; B.v. 31.7.2018 - 15 ZB 17.31491 - juris Rn. 7; B.v. 31.7.2017 - 20 ZB 16.30094 - juris Rn. 11-13).

(2) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze haben vorliegend die Ehefrau des Klägers, die gemeinsamen Kinder sowie die mit dem Kläger in Deutschland zusammenlebenden Stiefkinder außer Betracht zu bleiben, da ihnen durch das Bundesamt bestandskräftig subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist; es ist daher bei Zugrundelegung einer möglichst realitätsnahen Rückkehrsituation davon auszugehen, dass sie nicht zusammen mit dem Kläger nach Afghanistan zurückkehren würden (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 10; U.v. 23.5.2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 8; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 11).

Allerdings vermag der in diesem Kontext erfolgte Verweis der Beklagten auf die Rechtsprechung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts (SächsOVG, U.v. 3.7.2018 - 1 A 215/18.A - juris Rn. 26 f.) nicht zu überzeugen. Hier hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht im Fall einer afghanischen Familie der Ehefrau und den zwei Töchtern Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 5 AufenthG zuerkannt, während dem Ehemann kein Schutzstatus zuerkannt wurde. Begründet wurde dies damit, dass auch bei Klagen von Familienmitgliedern stets geprüft werden müsse, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Person eines jeden Klägers tatsächlich vorliege. Dieser Judikatur folgt der Senat im Ergebnis nicht, da sie im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht. Zwar trifft es zu, dass die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG - wie ausgeführt - stets hinsichtlich jeder Einzelperson zu prüfen sind (vgl. BVerwG, U.v. 16.6.2004 - 1 C 27.03 - NVwZ 2004, 1371 = juris Rn. 9 zu § 53 Abs. 6 AuslG). Dieser Aspekt ist jedoch unabhängig von der Frage zu sehen, welche (Begleit-)Personen im Rahmen der Prüfung von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG in die Gefahrenprognose bei hypothetischer Rückkehr des jeweiligen Ausländers in sein Heimatland einzustellen sind. Insoweit gilt - wie ausgeführt - nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr eines Ausländers mit den Familienangehörigen auszugehen ist, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt (BVerwG, U.v. 8.9.1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 = NVwZ 1993, 190 = juris Rn. 14); dieser Grundsatz gilt auch bei der Prüfung eines nationalen Abschiebungsverbots (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 10 zu § 53 Abs. 6 AuslG). Soweit das Sächsische Oberverwaltungsgericht zur Begründung seiner abweichenden Rechtsansicht seinerseits auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts verweist, nach der die Vereinbarkeit einer Abschiebung mit dem in Art. 6 GG und Art. 8 EMRK verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutz der Familie und des Erziehungsrechts der Eltern durch das Bundesamt im Rahmen von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht zu prüfen sei, so überzeugt auch dies nicht, da diese Aussage des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Zusammenhang gerissen ist. Richtigerweise ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen der Gefahrenprognose bei hypothetischer Rückkehr des Ausländers als erster Schritt der zu berücksichtigende (Begleit-)Personenkreis zu bestimmen; auf dieser (hypothetischen) Ebene wird die Frage einer Vereinbarkeit der Trennung der Familie mit Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK vom Bundesverwaltungsgericht auch dann nicht thematisiert, wenn einzelne Familienmitglieder bei der Rückkehrprognose außer Betracht bleiben, da sie ein bestandskräftiges Bleiberecht im Bundesgebiet haben (vgl. etwa BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 11 f.). Allein im Zusammenhang mit letztgenannten Fällen hat das Bundesverwaltungsgericht sodann bei der nachfolgenden Gefahrenprognose ausgeführt, dass die inlandsbezogene Frage einer Vereinbarkeit der Trennung der Familie mit Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK nicht durch das Bundesamt im Rahmen von § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG, sondern nur durch die Ausländerbehörde im Rahmen von § 60a Abs. 2 AufenthG zu prüfen ist (BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 11; U.v. 23.5.2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 8; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 15-17). Auf die vorgelagerte Frage der Bestimmung des im Rahmen der Gefahrenprognose bei hypothetischer Rückkehr des jeweiligen Ausländers zu berücksichtigenden (Begleit-)Personenkreises bezieht sich die vom Sächsischen Oberverwaltungsgericht in Bezug genommene Aussage des Bundesverwaltungsgerichts somit nicht.

Dies vorausgeschickt ist vorliegend im Ausgangspunkt zu bedenken, dass den Familienmitgliedern des Klägers mit bestandskräftigen Asylbescheiden ein Bleiberecht in Deutschland in Form des subsidiären Schutzes zuerkannt worden ist. Aufgrund dieses verbindlich festgestellten Schutzstatus wäre es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich wirklichkeitsfremd und stünde deshalb mit dem Erfordernis einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im - hypothetischen - Rückkehrfall nicht in Einklang, von einer gemeinsamen Rückkehr des Klägers mit seinen Familienangehörigen in sein Heimatland auszugehen (BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 = juris Rn. 10; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 11). Das Bundesverwaltungsgericht verweist insoweit darauf, dass einem durch das Bundesamt bestandskräftig festgestellten Schutzstatus von Familienmitgliedern gemäß § 6 Satz 1 AsylG Verbindlichkeit in allen Angelegenheiten zukommt, in denen die jeweilige Anerkennung als Asylberechtigter oder die Zuerkennung internationalen Schutzes rechtserheblich ist (vgl. die Zitierung der im Kern inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des § 4 Satz 1 AsylVfG a.F. in BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 = juris Rn. 11).

Diese Rechtsprechung kann jedoch als Ausnahme vom Grundsatz, dass bei der Prognose, welche Gefahren dem Asylbewerber im Falle einer Abschiebung in den Heimatstaat drohen, regelmäßig von einer gemeinsamen Rückkehr mit den Familienangehörigen auszugehen ist, falls er auch in der Bundesrepublik Deutschland mit ihnen als Familie zusammenlebt (BVerwG, U.v. 16.8.1993 - 9 C 7.93 - DVBl 1994, 58 = juris; U.v. 8.9.1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 = NVwZ 1993, 190 - juris Rn. 14), keine Anwendung finden, wenn das Bundesamt unter Verstoß gegen Art. 6 GG und Art. 8 EMRK das Asylgesuch einzelner Personen aus einem Familienverband materiell isoliert betrachtet und zum Teil einen Schutzstatus zuerkennt, zu einem anderen Teil ablehnt. Eine solche Trennung des Familienverbands ohne sachlichen Grund kann bei der gebotenen Ermittlung der realitätsnahen Rückkehrsituation nicht unberücksichtigt bleiben. Zwar mag es dem verbindlich festgestellten Schutztatbestand widersprechen, wenn gleichwohl eine gemeinsame Rückkehr unterstellt würde. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass die Einbeziehung des Merkmals der Gemeinschaftlichkeit des Aufenthalts in die Rückkehrprognose durch das räumliche Zusammenleben der Familie nahegelegt wird, das durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt wird (vgl. BVerwG, U.v. 16.8.1993 - 9 C 7.93 - DVBl 1994, 58 = juris; U.v. 8.9.1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 = NVwZ 1993, 190 - juris Rn. 14). Diesem verfassungsrechtlichen Schutzgut würde eine Hypothese zuwiderlaufen, mit der von vornherein der isolierte Heimataufenthalt eines der im Familienverband zusammenlebenden Familienmitglieder, nicht aber die Gemeinschaftlichkeit dieses Aufenthalts mit den anderen Angehörigen des Familienverbandes unterstellt würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährt Art. 6 GG zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 = juris Rn. 12 m.w.N.). Allerdings verpflichtet die in Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, die Behörden, bei der Entscheidung über aufenthaltsbeendende Maßnahmen die familiären Bindungen des den (weiteren) Aufenthalt begehrenden Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, pflichtgemäß, das heißt entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen, in ihren Erwägungen zur Geltung zu bringen. Dieser verfassungsrechtlichen Pflicht des Staates zum Schutz der Familie entspricht ein Anspruch des Trägers des Grundrechts aus Art. 6 GG darauf, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 = juris Rn. 12 m.w.N.). Dabei ist grundsätzlich eine Betrachtung des Einzelfalles geboten, bei der auf der einen Seite die familiären Bindungen zu berücksichtigen sind, auf der anderen Seite aber auch die sonstigen Umstände des Einzelfalles (vgl. BVerfG, B.v. 5.6.2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 = juris Rn. 12 m.w.N.). Insoweit vermag allein die verfahrensrechtliche Trennung der Asylverfahren von Familienmitgliedern durch das Bundesamt nicht zu einer materiellrechtlichen Änderung der im Regelfall auf die Familieneinheit abstellenden Rückkehrprognose zu führen, wenn hierfür nicht im Einzelfall sachliche Gründe von hinreichendem Gewicht vorliegen. Andernfalls wäre das Bundesamt in der Lage, allein durch die verfahrenstechnische Trennung der Asylverfahren der Ehefrau mit Kindern vom Asylverfahren des Ehemanns, gegen die wegen § 44a VwGO kein isolierter Rechtsschutz eröffnet ist, die materiellrechtliche Rückkehrprognose für den Ehemann im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG maßgeblich zu verändern, da diesem ohne Unterhaltspflichten gegenüber der Ehefrau und den Kindern als alleinstehenden, arbeitsfähigen Mann die Erwirtschaftung seines Existenzminimums voraussichtlich eher gelingen kann als bei einer Rückkehr der gesamten Familie. Letztendlich wäre der Ausgang des Verfahrens des Familienvaters von Zufälligkeiten abhängig, ob und wann über seinen Antrag und die Anträge seiner übrigen Familienangehörigen jeweils entschieden wird. Es würde daher dem Schutz von Ehe und Familie im Sinn von Art. 6 GG widersprechen, einen einheitlichen Familienverband ohne erkennbaren Grund materiellrechtlich getrennt zu betrachten und von der isolierten Rückkehr eines Mitglieds der Kernfamilie auszugehen. Eine sachlich nicht gerechtfertigte isolierte Betrachtung von Familienmitgliedern erfordert nach alledem eine Einschränkung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dergestalt, dass bei der Ermittlung der realitätsnahen Rückkehrsituation trotz festgestelltem Schutzstatus einzelner Familienmitglieder von einer Rückkehr im Familienverband auszugehen ist.

Hiervon ausgehend ist ein sachlich nicht gerechtfertigtes Vorgehen des Bundesamts im Fall des Klägers jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr ist der hiesige Kläger erst im April 2014 - und damit mehr als ein halbes Jahr nach seiner Ehefrau und deren Kindern aus erster Ehe (Einreise: August 2013) - in das Bundesgebiet eingereist und hat dementsprechend einen gesonderten Asylantrag gestellt. Auch waren die Gefahrenumstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG für die Ehefrau des Klägers geführt haben (die vorgetragene Bedrohung durch ihren geschiedenen Ehemann in Afghanistan), allein in der Sphäre der Ehefrau begründet und betrafen den Kläger nicht. Zudem hat die Ehe des Klägers nach eigenem Vortrag nicht bereits im Heimatland bestanden. Vielmehr ist laut dem Kläger eine nur kirchliche Eheschließung erst im Jahr 2012 in Griechenland sowie gleichzeitig eine sog. Handschuhehe im Iran erfolgt. Die Eheschließung in Griechenland war gegenüber dem Bundesamt im Asylverfahren überdies nicht durch amtliche Dokumente hinreichend nachgewiesen, obwohl die Vorlage oder Beschaffung einer griechischen Heiratsurkunde ohne weiteres möglich hätte sein sollen. Abgesehen davon, dass die rechtliche Bewertung einer sog. Handschuhehe im Iran durchaus komplex ist (vgl. BGH, U.v. 19.12.1958 - IV ZR 87/58 - BGHZ 29, 137 - juris; KG Berlin, B.v. 22.4.2004 - 1 W 173/03 - juris; Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, Art. 13 EGBGB Rn. 9), hat der Kläger auch hierzu keine nachprüfbaren Belege vorgelegt. Nach alledem war es vorliegend seitens des Bundesamts jedenfalls nicht unter jedem Aspekt rechtlich unvertretbar, das Asylgesuch des Klägers materiell isoliert zu betrachten, auch wenn aus Sicht des Senats jedenfalls seit der Geburt der gemeinsamen Kinder mehr für eine gemeinsame Betrachtung als Familienverband gesprochen hätte. Diese Betrachtungsweise würde allerdings der Begründung des Bundesamts für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG gegenüber der Ehefrau des Klägers den Boden entziehen. Ausweislich des dem betreffenden Bescheid beigefügten Vermerks ist der Ehefrau des Klägers maßgeblich deshalb ein Schutzstatus nach § 4 AsylG zuerkannt worden, da ihr in Afghanistan als alleinstehender bzw. alleinerziehender Frau keine interne Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Im Fall einer gemeinsamen Betrachtung der Asylanträge unter Einbeziehung des Klägers - etwa im Rahmen eines Folgeantrags der gesamten Familie - würde diese Begründung entfallen.

Unter Zugrundlegung der Auffassung des Bundeamts, für die im vorliegenden Einzelfall hinreichend gewichtige Gründe sprechen, verbleibt es somit hier beim der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entsprechenden Grundsatz, dass mit Blick auf den subsidiären Schutzstatus der sonstigen Familienmitglieder von einer alleinigen Rückkehr des Klägers nach Afghanistan auszugehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 27.7.2000 - 9 C 9.00 - DVBl 2001, 211 - juris Rn. 10; U.v. 23.5.2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 8; U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 - juris Rn. 11).

bb) Unter der Prämisse einer Rückkehr des Klägers als Alleinstehender nach Afghanistan sind die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegend nicht gegeben.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist nicht davon auszugehen, dass eine Abschiebung nach Afghanistan ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und deshalb ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG anzunehmen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.2018 - 13a ZB 18.30135 - juris Rn. 5; B.v. 4.1.2018 - 13a ZB 17.31652 - juris Rn. 5; B.v. 29.11.2017 - 13a ZB 17.31251 - juris Rn. 6; B.v. 11.4.2017 - 13a ZB 17.30294 - juris Rn. 5 unter Bezugnahme auf BayVGH, U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris und Verweis auf BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - NVwZ 2013, 1167). Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen derzeit nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung der Vorschrift führen würde. Der Senat geht davon aus, dass ein erwerbsfähiger und gesunder Mann regelmäßig auch ohne nennenswertes Vermögen im Fall einer zwangsweisen Rückführung in sein Heimatland Afghanistan in der Lage wäre, durch Gelegenheitsarbeiten etwa in seiner Heimatregion oder in Kabul ein kleines Einkommen zu erzielen und damit wenigstens ein Leben am Rande des Existenzminimums zu bestreiten. Trotz großer Schwierigkeiten bestehen grundsätzlich auch für Rückkehrer durchaus Perspektiven im Hinblick auf die Sicherung des Lebensunterhalts, insbesondere Rückkehrer aus dem Westen sind auf dem Arbeitsmarkt allein aufgrund ihrer Sprachkenntnisse in einer vergleichsweise guten Position; jedenfalls der Tod oder schwerste Gesundheitsgefährdungen alsbald nach der Rückkehr sind daher nicht zu befürchten. Auf ein stützendes Netzwerk in Afghanistan oder einen vorherigen Aufenthalt im Heimatland kommt es hierbei nicht an; ausreichend ist vielmehr, dass eine der Landessprachen beherrscht wird und der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat (siehe zum Ganzen: BayVGH, B.v. 29.11.2017 - 13a ZB 17.31251 - juris Rn. 6; B.v. 19.6.2017 - 13a ZB 17.30400 - juris Rn. 13; B.v. 4.1.2017 - 13a ZB 16.30600 - juris Rn. 4; U.v. 12.2.2015 - 13a B 14.30309 - juris; U.v. 30.1.2014 - 13a B 13.30279 - juris).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch unter Berücksichtigung der in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnismittel fest.

(1) Zum einen sind im Fall des Klägers die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans nicht gegeben.

(a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685; Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung kann sich aus einer allgemeinen Situation der Gewalt im Zielstaat ergeben, einem besonderen Merkmal des Ausländers oder einer Verbindung von beiden (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 - juris Rn. 25). Im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Situation der Gewalt kann auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur erheblichen individuellen Gefahr im Rahmen eines bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG) zurückgegriffen werden, soweit sie sich auf die Gefahrendichte bezieht. Danach bedarf es neben einer quantitativen Ermittlung der Häufigkeit von Akten willkürlicher Gewalt sowie der Zahl der dabei Verletzten und Getöteten in Relation zur Gesamteinwohnerzahl auch einer wertenden Gesamtbetrachtung des statistischen Materials mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen - Todesfälle und Verletzungen - bei der Zivilbevölkerung; ein Schädigungsrisiko von etwa 1:800 ist insoweit weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 = juris Rn. 22 f.).

Soweit - wie in Afghanistan - ein für die Verhältnisse eindeutig maßgeblich verantwortlicher Akteur fehlt, können in ganz außergewöhnlichen Fällen auch (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 9: „nur in besonderen Ausnahmefällen“; U.v. 13.6.2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 = NVwZ 2013, 1489 = juris Rn. 25; U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 = juris Rn. 25 unter Bezugnahme auf EGMR, U.v. 28.6.2011 - Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich, Nr. 8319/07 - NVwZ 2012, 681 - Rn. 278 ff.; BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - Asylmagazin 2015, 197 = juris Rn. 17; VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 176 f.; OVG NW, B.v. 14.3.2018 - 13 A 341/18.A - juris Rn. 19 f.).

Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich (BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses „Mindestmaß an Schwere“ erreichen; diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann (vgl. BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 11). Die Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (U.v. 28.6.2011, a.a.O., Rn. 278, 282 f.) als auch des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167) macht letztlich deutlich, dass von einem sehr hohen Gefahrenniveau auszugehen ist; nur dann liegt ein „ganz außergewöhnlicher Fall“ vor, in dem die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind (BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - Asylmagazin 2015, 197 = juris Rn. 19; VGH BW, U.v. 11.4.2018 - A 11 S 1729/17 - juris Rn. 128-131).

Auch im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK ist der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen; erforderlich aber auch ausreichend ist daher die tatsächliche Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen Behandlung (BVerwG, U.v. 27.4.2010 - 10 C 5.09 - BVerwGE 136, 377 = NVwZ 2011, 51 - juris Rn. 22). Bei der Prüfung einer Verletzung von Art. 3 EMRK ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung an dem Ort droht, an dem die Abschiebung endet (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 - juris Rn. 26).

(b) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel geht der Senat weiterhin davon aus, dass für einen erwerbsfähigen und gesunden Mann - wie den Kläger - auch ohne nennenswertes Vermögen oder familiäres Unterstützungsnetzwerk bei einer Rückkehr nach Afghanistan die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK grundsätzlich nicht gegeben sind. Denn eine beachtlich wahrscheinliche, im Widerspruch zu Art. 3 EMRK stehende Behandlung ist insoweit nicht zu erwarten (vgl. in diesem Sinne VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 391 ff.).

(aa) Dies gilt zunächst mit Blick auf die Sicherheitslage in Afghanistan. Zwar ist den aktuellen Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass sich die Situation seit Abzug der internationalen Truppen 2014/15 grundsätzlich verschlechtert habe, die Aufständischen hätten größere Bewegungsfreiheit. Die Taliban versuchten, den Einfluss in ihren Kernräumen - paschtunisch geprägte ländliche Gebiete, vornehmlich in den Provinzen Helmand, Kandahar, Uruzgan und zunehmend auch Farah im Westen und Süden sowie Kunduz und Faryab im Norden - zu konsolidieren und auszuweiten, auch wenn es ihnen bislang nicht gelungen sei, eine Provinzhauptstadt dauerhaft zu erobern. Nach Einschätzungen zum Jahresende 2017 übten die Taliban in 39 der 408 Distrikte Afghanistans die alleinige Kontrolle aus. Als weiterer Faktor seien seit 2015 militante Gruppen hinzugekommen, die sich zum ISKP („Islamischer Staat in der Provinz Khorasan“) bekennen (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 31.5.2018, S. 21). Laut Schweizerischer Flüchtlingshilfe seien die Taliban aktuell so stark wie seit 2001 nicht mehr (SFH, Afghanistan: Die aktuelle Sicherheitslage - Update, 12.9.2018, S. 4). Regierungsfeindliche Elemente würden zudem eine steigende Zahl von gezielten Angriffen auf Zivilisten ausführen, selbst in bestgesicherten Bereichen der Hauptstadt Kabul (UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 21 f.; SFH, a.a.O., S. 4/8 f.). Die UN beschrieben die Lage in Afghanistan insgesamt weiterhin als „in hohem Maße instabil“ bzw. „volatil“; Zivilisten hätten weiter die Hauptlast des Konflikts zu tragen (UNHCR, a.a.O., S. 21 f.; EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Security Situation - Update, 1.5.2018, S. 20).

Trotz dieser besorgniserregenden Entwicklung ist die für eine Verletzung von Art. 3 EMRK erforderliche Gefahrendichte in Afghanistan aber grundsätzlich weiterhin nicht gegeben. Zwar weist auch der aktuelle UNAMA-Bericht vom 10. Oktober 2018 darauf hin, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 ein extremes Niveau an Gewalt gegenüber Zivilisten in Afghanistan dokumentiert worden sei (UNAMA, Quarterly Report on the Protection of Civilians in armed Conflict: 1 January to 30 September 2018, S. 1). Zugleich gibt UNAMA jedoch an, dass vom 1. Januar bis 30. September 2018 8.050 zivile Opfer (2.798 Tote, 5.252 Verletzte) dokumentiert worden seien und dies in etwa demselben (hohen) Niveau des vergleichbaren Berichtszeitraums 2017 entspreche (8.048 zivile Opfer; 2.666 Tote, 5.418 Verletzte; UNAMA, S. 1). Bei einer proportionalen Hochrechnung der Opferzahlen für 2018 insgesamt (10.734 zivile Opfer; 3.731 Tote, 7.003 Verletzte) und einer konservativ geschätzten Einwohnerzahl Afghanistans von etwa 27 Mio. Menschen (AA, a.a.O., S. 18 f.) ergibt sich hieraus ein konfliktbedingtes Schädigungsrisiko von 1:2515. Selbst wenn man die Provinz Nangarhar zugrunde legt, für die UNAMA in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 die höchste Zahl an zivilen Opfern registriert habe (1.494 zivile Opfer; 554 Tote und 940 Verletzte; UNAMA, S. 1 f.), ergibt sich bei einer proportionalen Hochrechnung der Opferzahlen für 2018 insgesamt (1.992 zivile Opfer; 739 Tote, 1.253 Verletzte) und einer geschätzten Bevölkerungszahl der Provinz von 1.545.448 Menschen (BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan, Gesamtaktualisierung v. 2.3.2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 30.1.2018, S. 104) ein Schädigungsrisiko von 1:776. Selbst dieser Wert ist jedoch derart weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt, dass auch bei wertender Gesamtbetrachtung nicht von einer in Afghanistan oder Teilen hiervon aufgrund der Sicherheitslage jeder Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit tatsächlich drohenden, Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - NVwZ 2012, 454 - juris Rn. 22 f. zu einem Schädigungsrisiko von 1:800; vgl. zu den zivilen Opferzahlen in 2016/17 bereits BayVGH, B.v. 20.2.2018 - 13a ZB 17.31970 - juris Rn. 9; vgl. auch VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 109 ff.).

Im Übrigen geht auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte davon aus, dass die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan nicht derart ist, dass jede Überstellung dorthin notwendig Art. 3 EMRK verletzt (vgl. EGMR, U.v. 11.7.2017 - S.M.A./Netherlands, Nr. 46051/13 - Rn. 53; U.v. 11.7.2017 - Soleimankheel and others/Netherlands, Nr. 41509/12 - Rn. 51; U.v. 11.7.2017 - G.R.S./Netherlands, Nr. 77691/11 - Rn. 39; U.v. 11.7.2017 - E.K./Netherlands, Nr. 72586/11 - Rn. 67; U.v. 11.7.2017 - E.P. and A.R./Netherlands, Nr. 63104/11 - Rn. 80; U.v. 16.5.2017 - M.M./Netherlands, Nr. 15993/09 - Rn. 120; U.v. 12.1.2016 - A.G.R./Niederlande, Nr. 13442/08 - NVwZ 2017, 293 - Rn. 59). Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seinem Urteil vom 9. April 2013 (H. and B./United Kingdom, Nr. 70073/10 - Rn. 92 f.) festgestellt, dass es in Afghanistan keine allgemeine Gewaltsituation gibt, die zur Folge hätte, dass allein wegen der Abschiebung einer Person dorthin tatsächlich die Gefahr von Misshandlungen gegeben sei. In den vorgenannten Urteilen hat er angesichts der ihm mittlerweile vorliegenden Informationen an dieser Einschätzung festgehalten (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 20.2.2018 - 13a ZB 17.31970 - juris Rn. 10).

(bb) Auch aus der aktuellen humanitären bzw. wirtschaftlichen Lage in Afghanistan ergibt sich grundsätzlich kein Abschiebungsverbot aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Denn ein ganz außergewöhnlicher Fall, in dem (schlechte) humanitäre Verhältnisse im Zielstaat Art. 3 EMRK verletzen und daher die humanitären Gründe gegen die Ausweisung zwingend sind, ist weiter nicht gegeben (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 391 ff.).

Dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts vom 31. Mai 2018 ist zu entnehmen, dass Afghanistan weiterhin eines der ärmsten Länder der Welt sei (Human Development Index 2016: Platz 169 von 188 Staaten). Ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum sei kurzfristig nicht in Sicht (2017: 2,6 v.H.). Nach Angaben der Weltbank sei die Arbeitslosenquote zwischen 2008 und 2014 von 25 v.H. auf 39 v.H. gestiegen. Die Grundversorgung sei für große Teile der afghanischen Bevölkerung - insbesondere Rückkehrer - weiterhin eine tägliche Herausforderung. Laut UNOCHA benötigen 9,3 Mio. Menschen - ein Drittel der afghanischen Bevölkerung - humanitäre Hilfe (z.B. Unterkunft, Nahrung, sauberes Trinkwasser und medizinische Versorgung). Die hohe Arbeitslosigkeit werde verstärkt durch vielfältige Naturkatastrophen, für 2018 sei eine Dürre vorausgesagt worden. Die aus Konflikten und chronischer Unterentwicklung resultierenden Folgeerscheinungen im Süden und Osten hätten dazu geführt, dass dort ca. eine Million oder fast ein Drittel aller Kinder als akut unterernährt gelten würden. Jedoch habe die afghanische Regierung 2017 mit der Umsetzung eines Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Seit 2002 seien laut UNHCR 5,8 Mio. afghanische Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt, Afghanistan erlebe die größte Rückkehrbewegung der Welt. Das Fehlen lokaler Netzwerke könne Rückkehrern die Reintegration stark erschweren, da von diesen etwa der Zugang zum Arbeitsmarkt maßgeblich abhänge (siehe zum Ganzen: Auswärtiges Amt, Lagebericht Afghanistan v. 31.5.2018, S. 25/28).

Laut einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) vom 1. Juni 2018 stünden in den Großstädten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif Unterkünfte und Nahrung grundsätzlich zur Verfügung, sofern der Lebensunterhalt gewährleistet sei. Zugang zu angemessener Unterkunft sei jedoch eine Herausforderung. Die Mehrheit der städtischen Unterkünfte seien als Slums einzustufen. Flüchtlinge lebten in der Regel in Flüchtlingssiedlungen. Die Städte böten jedoch auch die Option billigen Wohnens in sog. „Teehäusern“. Zugang zu Trinkwasser sei in den Städten oft eine Herausforderung, insbesondere in den Slums und Flüchtlingssiedlungen in Kabul; in Mazar-e-Sharif und Herat hätten hingegen die meisten Menschen besseren Zugang zu Wasserquellen sowie sanitären Anlagen. In Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif seien auch Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung vorhanden; diese seien aufgrund des Anstiegs der Zahl der Flüchtlinge und Rückkehrer jedoch überlastet. Das Fehlen finanzieller Mittel sei eine große Hürde beim Zugang zur Gesundheitsversorgung. Aufgrund der Wirtschafts- und Sicherheitslage bestehe eine hohe Arbeitslosenquote, insbesondere bei städtischen Jugendlichen. Zusätzliche Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt sei das Ergebnis der steigenden Zahl von Flüchtlingen. Städtische Armut sei weit verbreitet und steige an. In diesem Umfeld hänge die Fähigkeit zur Gewährleistung des Lebensunterhalts überwiegend vom Zugang zu Unterstützungsnetzwerken - etwa Verwandten, Freunden oder Kollegen - oder zu finanziellen Mitteln ab (siehe zum Ganzen: EASO, Country Guidance: Afghanistan, 1.6.2018, S. 104 f.).

Ausweislich des Länderinformationsblatts Afghanistan des österreichischen Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juni 2018 seien von den 2.1 Mio. Personen, die in informellen Siedlungen lebten, 44 v.H. Rückkehrer. Die Zustände in diesen Siedlungen seien unterdurchschnittlich und besonders wegen der Gesundheits- und Sicherheitsverhältnisse besorgniserregend. 81 v.H. der Menschen in informellen Siedlungen seien Ernährungsunsicherheit ausgesetzt, 26 v.H. hätten keinen Zugang zu adäquatem Trinkwasser und 24 v.H. lebten in überfüllten Haushalten. Rückkehrer erhielten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehrten, und internationalen Organisationen (z.B. IOM, UNHCR) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (z.B. IPSO und AMASO), die die Reintegration in Afghanistan finanziell, durch Bereitstellung von Unterkunft, Nahrungsmitteln oder sonstigen Sachleistungen sowie durch Beratung unterstützten. Gleichwohl sei die Möglichkeit der Rückkehr zur Familie oder einer sonstigen Gemeinschaft mangels konkreter staatlicher Unterbringungen für Rückkehrer der zentrale Faktor. Für jene, die diese Möglichkeit nicht haben sollten, stellten die afghanische Regierung und IOM eine temporäre Unterkunft zur Verfügung (zwei Wochen). Ein fehlendes familiäres Netzwerk stelle eine Herausforderung für die Reintegration von Migranten in Afghanistan dar; Unterstützungsnetzwerke könnten sich auch aus der Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder Religion sowie aus „professionellen“ (Kollegen, Kommilitonen etc.) oder politischen Verbindungen ergeben (siehe zum Ganzen: BFA, Länderinformationsblatt Afghanistan v. 29.6.2018, S. 314-316, 327-331).

Nach den aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 seien die humanitären Indikatoren in Afghanistan auf einem kritisch niedrigen Niveau. Ende 2017 sei bezüglich 3,3 Mio. Afghanen ein akuter Bedarf an humanitärer Hilfe festgestellt worden; nunmehr kämen weitere 8,7 Mio. Afghanen hinzu, die langfristiger humanitärer Hilfe bedürften. Über 1,6 Mio. Kinder litten Berichten zufolge an akuter Mangelernährung, wobei die Kindersterblichkeitsrate mit 70 auf 1.000 Geburten zu den höchsten in der Welt zähle. Ferner habe sich der Anteil der Bevölkerung, die laut Berichten unterhalb der Armutsgrenze lebe, auf 55 v.H. (2016/17) erhöht, von zuvor 33,7 v.H. (2007/08) bzw. 38,3 v.H. (2011/12). 1,9 Mio. Afghanen seien von ernsthafter Nahrungsmittelunsicherheit betroffen. Geschätzte 45 v.H. der Bevölkerung hätten keinen Zugang zu Trinkwasser, 4,5 Mio. Menschen hätten keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung. In den nördlichen und westlichen Teilen Afghanistans herrsche die seit Jahrzehnten schlimmste Dürre, weshalb die Landwirtschaft als Folge des kumulativen Effekts jahrelanger geringer Niederschlagsmengen zusammenbreche. 54 v.H. der Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons - IDPs) hielten sich in den Provinzhauptstädten Afghanistans auf, was den Druck auf die ohnehin überlasteten Dienstleistungen und Infrastruktur weiter erhöhe und die Konkurrenz um Ressourcen zwischen der Aufnahmegemeinschaft und den Neuankömmlingen verstärke; die bereits an ihre Grenze gelangten Aufnahmekapazitäten der Provinz- und Distriktszentren seien extrem belastet. Dies gelte gerade in der durch Rückkehrer und Flüchtlinge rapide wachsenden Hauptstadt Kabul (Anfang 2016: geschätzt 3 Mio. Einwohner). Flüchtlinge seien zu negativen Bewältigungsstrategien gezwungen wie etwa Kinderarbeit, früher Verheiratung sowie weniger und schlechtere Nahrung. Laut einer Erhebung aus 2016/17 lebten 72,4 v.H. der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unzulänglichen Wohnverhältnissen. Im Januar 2017 sei berichtet worden, dass 55 v.H. der Haushalte in den informellen Siedlungen Kabuls mit ungesicherter Nahrungsmittelversorgung konfrontiert gewesen seien (siehe zum Ganzen: UNHCR, Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender v. 30.8.2018, S. 36 f., 125 f.).

Auch laut einem Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 12. September 2018 böten die informellen Siedlungen in den afghanischen Städten meist einen schlechten oder keinen Zugang zu Basisdienstleistungen und Infrastruktur (Elektrizität, sauberes Wasser, Nahrungsmittel, sanitäre Einrichtungen, Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen). Die Unterkünfte seien meist behelfsmäßig gebaut und könnten nur bedingt vor Kälte, Hitze und Feuchtigkeit schützen. Die Lebensbedingungen von Rückkehrern lägen unter den normalen Standards. Laut einer Studie seien 87 v.H. der IDPs und 84 v.H. der Rückkehrer von Lebensmittelknappheit betroffen. Ob es Rückkehrer schafften, sich in Afghanistan wieder zu integrieren, hänge nicht zuletzt vom Vorhandensein von Unterstützungsnetzwerken ab. In Kabul (geschätzte Einwohnerzahl: 3,8 - 7 Mio.) habe der schnelle Bevölkerungsanstieg rasch zu einer Überforderung der vorhandenen Infrastruktur sowie der Kapazitäten für Grunddienstleistungen geführt. Die humanitäre Lage spitze sich insbesondere in großen Städten zu, weil sich dort IDPs und Rückkehrer konzentrierten, die eine Existenzgrundlage und Zugang zu bereits stark überlasteten Grunddienstleistungen suchten. Laut Amnesty International sei die Aufnahmekapazität - insbesondere in den größeren Städten - aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, der sehr bescheidenen Möglichkeiten, eine Existenzsicherung sowie angemessene Unterkunft zu finden, sowie des mangelnden Zugangs zu überstrapazierten Grunddienstleistungen „äußerst eingeschränkt“ (siehe zum Ganzen: SFH, Afghanistan: Gefährdungsprofile - Update, 12.9.2018, S. 20-22).

Zusammenfassend lassen sich aus den aktuellen Erkenntnismitteln zur humanitären Lage in Afghanistan keine für die Beurteilung der Gefahrenlage relevanten Änderungen entnehmen (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 391 ff.). Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die Situation in Afghanistan weiterhin sehr besorgniserregend ist. Jedoch liegen keine Erkenntnisse vor, die hinreichend verlässlich den Schluss zuließen, dass jeder alleinstehende, erwerbsfähige männliche Rückkehrer mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zu erwarten hätte; die hohen Anforderungen aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK sind daher weiterhin nicht erfüllt. Zudem liegen Erkenntnisse dahingehend, dass gerade auch leistungsfähige erwachsene männliche Rückkehrer ohne Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Kindern in Afghanistan in großer Zahl oder sogar typischerweise von Obdachlosigkeit, Hunger, Krankheit betroffen oder infolge solcher Umstände gar verstorben wären, trotz hoher Rückkehrzahlen nicht vor (VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 407).

Auch die aktualisierten UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 gehen letztlich weiterhin (vgl. bereits UNHCR, Richtlinien v. 19.4.2016, S. 99) davon aus, dass alleinstehende leistungsfähige afghanische Männer sowie verheiratete Paare in erwerbsfähigem Alter als Rückkehrer grundsätzlich auch ohne ein Unterstützungsnetzwerk ihren zumutbaren Lebensunterhalt in Afghanistan sicherstellen können, soweit im Einzelfall keine besonderen Gefährdungsfaktoren gegeben sind. Diese Personen könnten unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen (siehe zum Ganzen: UNHCR, a.a.O., S. 125; vgl. bereits BayVGH, B.v. 20.2.2018 - 13a ZB 17.31970 - juris Rn. 9; vgl. auch VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 422 f.). Zum selben Ergebnis gelangt auch das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen in seinem Bericht vom 1. Juni 2018 (EASO, a.a.O., S. 106).

Soweit der UNHCR in seinen aktualisierten Richtlinien zu der Auffassung gelangt, dass eine inländische Fluchtalternative in Kabul mit Blick auf Grenzen der Aufnahmekapazität der Stadt und die humanitären Lebensbedingungen in den dortigen sog. informellen Siedlungen generell nicht zur Verfügung stehe (UNHCR, a.a.O., S. 129), so beschränkt sich diese Aussage bereits auf Kabul, ohne jedoch das Vorhandensein hinreichender Lebensbedingungen für Rückkehrer im restlichen Afghanistan - insbesondere den sonstigen Großstädten - in Frage zu stellen. Zudem gilt, dass der Ausschluss Kabuls im Kontext der Zumutbarkeit als inländischer Fluchtalternative i.S.v. Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU erfolgt ist (vgl. UNHCR, S. 128: „Die Zumutbarkeit von Kabul als interner Schutzalternative“). Hiernach muss beim internen Schutz die Existenzgrundlage jedoch so weit gesichert sein, dass vom Ausländer vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort aufhält; dieser Zumutbarkeitsmaßstab bzw. dieses Zumutbarkeitsniveau geht über das Fehlen einer im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK maßgeblichen Sicherung des Existenzminimums hinaus (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167 - juris Rn. 20; VGH BW, B.v. 8.8.2018 - A 11 S 1753/18 - juris Rn. 22). Ohnehin beruht die Bewertung des UNHCR auf von ihm selbst angelegten Maßstäben, die sich von den gesetzlichen Anforderungen und der höchstrichterlichen Rechtsprechung unterscheiden können (BayVGH, B.v. 20.2.2018 - 13a ZB 17.31970 - juris Rn. 9).

(c) Im Einzelfall des Klägers sind auch keine besonderen individuellen Umstände gegeben, die ausnahmsweise zum Vorliegen der Voraussetzungen aus § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK hinsichtlich Afghanistans führen.

Soweit es die Sicherheitslage in Afghanistan angeht, so gilt, dass in der Person des Klägers keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände gegeben sind. Ein individueller gefahrerhöhender Umstand ergibt sich insbesondere nicht aus der bloßen Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Hazara (vgl. VGH BW, U.v. 17.1.2018 - A 11 S 241/17 - juris Rn. 233 ff.). Gleiches gilt letztlich hinsichtlich des Umstands, dass der Kläger bei Asylantragstellung seine Religion mit „Christentum“ angegeben hat (VA S. 11); denn ein gefestigter Übertritt zum christlichen Glauben ist durch den Kläger weder im nachfolgenden Asylverfahren noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht worden (vgl. VGH BW, U.v. 5.12.2017 - A 11 S 1144/17 - juris Rn. 266).

Soweit es die humanitäre bzw. wirtschaftliche Lage in Afghanistan betrifft, wäre der Kläger bei einer Rückkehr nach Afghanistan in der Lage, für sich als Einzelperson das Existenzminimum zu bestreiten. Der 37-jährige Kläger ist gesund und erwerbsfähig; er spricht eine der afghanischen Landessprachen (Dari) und könnte in Afghanistan insbesondere seinen laut Anhörung beim Bundesamt erlernten und auch in Griechenland ausgeübten Beruf als Schweißer ausüben oder erneut - wie ebenfalls in Griechenland - in der Landwirtschaft arbeiten (Anhörungsprotokoll, VA S. 79 f.). Auch in Deutschland ist der Kläger erwerbstätig gewesen, u.a. als Hausmeister (Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, S. 2). Überdies verfügt der Kläger über eine für Afghanistan deutlich überdurchschnittliche Schulbildung, er hat die Schule bis zu elften Klasse besucht und hatte sogar einen anschließenden Universitätsbesuch beabsichtigt (Anhörungsprotokoll, VA S. 80).

(2) Auch die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen im Fall des Klägers hinsichtlich Afghanistans nicht vor.

Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG). Gefahren nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind gemäß § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen.

(a) Im Hinblick auf die Lebensbedingungen, die einen Ausländer im Zielstaat erwarten - insbesondere die dort herrschenden wirtschaftlichen Existenzbedingungen und die damit zusammenhängende Versorgungslage - kann Abschiebungsschutz in verfassungskonformer Anwendung des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nur ausnahmsweise beansprucht werden, wenn der Ausländer bei einer Rückkehr aufgrund dieser Bedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre. Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, ihm trotz einer fehlenden politischen Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Wann danach allgemeine Gefahren von Verfassungs wegen zu einem Abschiebungsverbot führen, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich einer rein quantitativen oder statistischen Betrachtung. Die drohenden Gefahren müssen jedoch nach Art, Ausmaß und Intensität von einem solchen Gewicht sein, dass sich daraus bei objektiver Betrachtung für den Ausländer die begründete Furcht ableiten lässt, selbst in erheblicher Weise ein Opfer der extremen allgemeinen Gefahrenlage zu werden. Bezüglich der Wahrscheinlichkeit des Eintritts der drohenden Gefahren ist von einem im Vergleich zum Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit erhöhten Maßstab auszugehen. Die Gefahren müssen dem Ausländer daher mit hoher Wahrscheinlichkeit drohen. Dieser Wahrscheinlichkeitsgrad markiert die Grenze, ab der seine Abschiebung in den Heimatstaat verfassungsrechtlich unzumutbar erscheint. Der erforderliche hohe Wahrscheinlichkeitsgrad ist ohne Unterschied in der Sache in der Formulierung mit umschrieben, dass die Abschiebung dann ausgesetzt werden müsse, wenn der Ausländer ansonsten „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“. Schließlich müssen sich diese Gefahren alsbald nach der Rückkehr realisieren. Dies bedeutet nicht, dass im Fall der Abschiebung der Tod oder schwerste Verletzungen sofort, gewissermaßen noch am Tag der Abschiebung, eintreten müssen. Vielmehr besteht eine extreme Gefahrenlage beispielsweise auch dann, wenn der Ausländer mangels jeglicher Lebensgrundlage dem baldigen sicheren Hungertod ausgeliefert werden würde (vgl. zum Ganzen: BVerwG, U.v. 29.9.2011 - 10 C 23.10 - NVwZ 2012, 244 - juris Rn. 21 f.; B.v. 14.11.2007 - 10 B 47.07 u.a. - juris Rn. 3).

(b) Unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der aktuellen Erkenntnismittel sind die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Fall des Klägers nicht gegeben. Insoweit wird auf die Ausführungen zu Art. 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK verwiesen. Insbesondere sind hinsichtlich allgemeiner Gefahren im Zielstaat die Anforderungen in § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG (eine mit hoher Wahrscheinlichkeit drohende Extremgefahr) höher als jene in § 60 Abs. 5 AufenthG (BVerwG, B.v. 23.8.2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 13), so dass im Lichte des Nichtvorliegens eines Abschiebungsverbots aus Art. 60 Abs. 5 AufenthG erst recht die Voraussetzungen aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nicht gegeben sind (vgl. VGH BW, U.v. 12.10.2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 453).

(3) Das durch den Senat gefundene Ergebnis entspricht - soweit ersichtlich - auch der einhelligen Rechtsprechung der anderen Oberverwaltungsgerichte; eine Auseinandersetzung mit einer abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen durch andere Oberverwaltungsgerichte (vgl. allg. BVerwG, B.v. 6.7.2012 - 10 B 18.12 - juris Rn. 10) ist daher nicht geboten.

2. Auch soweit der Kläger sich gegen die Abschiebungsandrohung unter Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids wendet, ist die Berufung nicht begründet.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG erlässt das Bundesamt nach § 59 und § 60 Abs. 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn dem Ausländer kein Schutzstatus nach Art. 16a GG, § 3 f. AsylG oder § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG zuerkannt wird (Nr. 1-3) und er keinen Aufenthaltstitel besitzt (Nr. 4). Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG soll die Abschiebungsandrohung mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden.

Hiervon ausgehend war der Ausspruch der Androhung der Abschiebung durch das Bundesamt im Fall des Klägers nicht dadurch ausgeschlossen, dass vorliegend mit Blick auf eine mit Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht zu vereinbarende Trennung von Familienmitgliedern wohl ein inlandsbezogenes, von der Ausländerbehörde zu prüfendes Abschiebungshindernis i.S.v. § 60a Abs. 2 AufenthG besteht (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305, 310 f. = DVBl 2000, 419). Das Bundesamt ist vielmehr auf das ihm obliegende Prüfprogramm aus § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylG beschränkt. Es ist daher auch in Fällen, in denen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen wenig oder keine Aussicht besteht, den Ausländer in absehbarer Zeit abschieben zu können, ermächtigt und regelmäßig gehalten, eine „Vorratsentscheidung“ zum Vorliegen von zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten zu treffen und eine entsprechende zielstaatsbezogene Abschiebungsandrohung zu erlassen (vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2012 - 10 B 39.12 - InfAuslR 2013, 42 - juris Rn. 4).

3. Soweit sich die Berufung des Klägers hingegen gegen die Aufhebung der Anordnung in Nr. 6 des Bescheids vom 21. Juli 2016 (Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots) richtet, ist sie begründet. Der Bescheid ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG ist von Amts wegen zu befristen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 AufenthG). Über die Länge der Frist wird nach Ermessen entschieden (§ 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dabei sind von der zuständigen Behörde - im Fall einer Abschiebungsandrohung nach § 34 AsylG das Bundesamt, § 75 Nr. 12 AufenthG - u.a. die im Hinblick auf Art. 6 GG, Art. 8 EMRK schutzwürdigen familiären Belange des Ausländers sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist für die gerichtliche Überprüfung der Befristungsentscheidung auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts abzustellen, so dass das Bundesamt auch während des gerichtlichen Verfahrens eine Pflicht zur ständigen verfahrensbegleitenden Kontrolle der Rechtmäßigkeit seiner Befristungsentscheidung und ggf. zur Ergänzung seiner Ermessenserwägungen trifft (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 = NVwZ 2018, 88 - juris). Geht man ungeachtet der Rechtsgrundlage für die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt in § 11 Abs. 2 AufenthG vom Vorliegen einer Streitigkeit nach dem Asylgesetz aus (so Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 12. Aufl. 2018, § 11 Rn. 86 m.w.N.; a.A. Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 11 Rn. 102), ergibt sich der entsprechende maßgebliche Zeitpunkt aus § 77 Abs. 1 AsylG.

Die behördliche Befristungsentscheidung unterliegt auch als Ermessensentscheidung über § 114 Abs. 1 Satz 1 VwGO einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 = NVwZ 2018, 88 - juris). Die Beklagte hat vorliegend als wesentliche Ermessenserwägung nicht in ihre Entscheidung eingestellt, dass der Ehefrau des Klägers, den beiden Stiefkindern sowie den beiden im Bundesgebiet geborenen gemeinsamen Kindern bestandskräftig subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist und sie daher im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis sein dürften (vgl. § 25 Abs. 2 AufenthG). Die Befristungsentscheidung ist mithin im maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 AsylG) ermessensfehlerhaft und damit aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 11.10.2018 - 21 B 18.30691 - juris Rn. 22 f.).

4. Abschließend weist der Senat nochmals darauf hin, dass im Fall des Klägers - unabhängig von einem etwaigen gemeinsamen Asylfolgeantrag mit dem Ziel einer Gesamtbetrachtung der Familie im Rahmen von § 60 Abs. 5 AufenthG - im Lichte von Art. 6 GG jedenfalls ein durch die Ausländerbehörde zu beachtendes inlandsbezogenes Abschiebungshindernis i.S.v. § 60a Abs. 2 AufenthG bestehen dürfte (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 = DVBl 2000, 419 - juris Rn. 15-17).

5. Die Kosten beider Instanzen hat der Kläger zu tragen, da die Beklagte nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO; vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2018 - 21 B 18.30691 - juris Rn. 24). Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben; insbesondere wurde vorliegend im Ergebnis an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu den in die Gefahrenprognose bei hypothetischer Rückkehr einzustellenden Familienmitgliedern festgehalten.

(1) Der Ausländer ist abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist, eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist, und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint. Bei Eintritt einer der in § 59 Absatz 1 Satz 2 genannten Voraussetzungen innerhalb der Ausreisefrist soll der Ausländer vor deren Ablauf abgeschoben werden.

(1a) Vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Ausländers hat sich die Behörde zu vergewissern, dass dieser im Rückkehrstaat einem Mitglied seiner Familie, einer zur Personensorge berechtigten Person oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird.

(1b) Ein Ausländer, der eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt oder eine entsprechende Rechtsstellung in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union innehat und in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union international Schutzberechtigter ist, darf außer in den Fällen des § 60 Absatz 8 Satz 1 nur in den schutzgewährenden Mitgliedstaat abgeschoben werden. § 60 Absatz 2, 3, 5 und 7 bleibt unberührt.

(2) Die Ausreisepflicht ist vollziehbar, wenn der Ausländer

1.
unerlaubt eingereist ist,
2.
noch nicht die erstmalige Erteilung des erforderlichen Aufenthaltstitels oder noch nicht die Verlängerung beantragt hat oder trotz erfolgter Antragstellung der Aufenthalt nicht nach § 81 Abs. 3 als erlaubt oder der Aufenthaltstitel nach § 81 Abs. 4 nicht als fortbestehend gilt oder
3.
auf Grund einer Rückführungsentscheidung eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union gemäß Artikel 3 der Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. EG Nr. L 149 S. 34) ausreisepflichtig wird, sofern diese von der zuständigen Behörde anerkannt wird.
Im Übrigen ist die Ausreisepflicht erst vollziehbar, wenn die Versagung des Aufenthaltstitels oder der sonstige Verwaltungsakt, durch den der Ausländer nach § 50 Abs. 1 ausreisepflichtig wird, vollziehbar ist.

(3) Die Überwachung der Ausreise ist insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer

1.
sich auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet,
2.
innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nicht ausgereist ist,
3.
auf Grund eines besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 in Verbindung mit § 53 ausgewiesen worden ist,
4.
mittellos ist,
5.
keinen Pass oder Passersatz besitzt,
6.
gegenüber der Ausländerbehörde zum Zweck der Täuschung unrichtige Angaben gemacht oder die Angaben verweigert hat oder
7.
zu erkennen gegeben hat, dass er seiner Ausreisepflicht nicht nachkommen wird.

(4) Die die Abschiebung durchführende Behörde ist befugt, zum Zweck der Abschiebung den Ausländer zum Flughafen oder Grenzübergang zu verbringen und ihn zu diesem Zweck kurzzeitig festzuhalten. Das Festhalten ist auf das zur Durchführung der Abschiebung unvermeidliche Maß zu beschränken.

(5) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde die Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung betreten, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass sich der Ausländer dort befindet. Die Wohnung umfasst die Wohn- und Nebenräume, Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum.

(6) Soweit der Zweck der Durchführung der Abschiebung es erfordert, kann die die Abschiebung durchführende Behörde eine Durchsuchung der Wohnung des abzuschiebenden Ausländers zu dem Zweck seiner Ergreifung vornehmen. Bei anderen Personen sind Durchsuchungen nur zur Ergreifung des abzuschiebenden Ausländers zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass der Ausländer sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Zur Nachtzeit darf die Wohnung nur betreten oder durchsucht werden, wenn Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, dass die Ergreifung des Ausländers zum Zweck seiner Abschiebung andernfalls vereitelt wird. Die Organisation der Abschiebung ist keine Tatsache im Sinne von Satz 1.

(8) Durchsuchungen nach Absatz 6 dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die die Abschiebung durchführende Behörde angeordnet werden. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nach Betreten der Wohnung nach Absatz 5 nicht darauf gestützt werden, dass der Ausländer nicht angetroffen wurde.

(9) Der Inhaber der zu durchsuchenden Räume darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen. Dem Inhaber oder der in dessen Abwesenheit hinzugezogenen Person ist in den Fällen des Absatzes 6 Satz 2 der Zweck der Durchsuchung vor deren Beginn bekannt zu machen. Über die Durchsuchung ist eine Niederschrift zu fertigen. Sie muss die verantwortliche Dienststelle, Grund, Zeit und Ort der Durchsuchung und, falls keine gerichtliche Anordnung ergangen ist, auch Tatsachen, welche die Annahme einer Gefahr im Verzug begründet haben, enthalten. Dem Wohnungsinhaber oder seinem Vertreter ist auf Verlangen eine Abschrift der Niederschrift auszuhändigen. Ist die Anfertigung der Niederschrift oder die Aushändigung einer Abschrift nach den besonderen Umständen des Falles nicht möglich oder würde sie den Zweck der Durchsuchung gefährden, so sind dem Wohnungsinhaber oder der hinzugezogenen Person lediglich die Durchsuchung unter Angabe der verantwortlichen Dienststelle sowie Zeit und Ort der Durchsuchung schriftlich zu bestätigen.

(10) Weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, bleiben unberührt.

(1) Ein Ausländer ist subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt:

1.
die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe,
2.
Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder
3.
eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

(2) Ein Ausländer ist von der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach Absatz 1 ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine schwere Straftat begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen lassen hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen (BGBl. 1973 II S. 430, 431) verankert sind, zuwiderlaufen oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
Diese Ausschlussgründe gelten auch für Ausländer, die andere zu den genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

(3) Die §§ 3c bis 3e gelten entsprechend. An die Stelle der Verfolgung, des Schutzes vor Verfolgung beziehungsweise der begründeten Furcht vor Verfolgung treten die Gefahr eines ernsthaften Schadens, der Schutz vor einem ernsthaften Schaden beziehungsweise die tatsächliche Gefahr eines ernsthaften Schadens; an die Stelle der Flüchtlingseigenschaft tritt der subsidiäre Schutz.

(1) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), wird verpflichtet, an dem in der Verteilentscheidung nach § 50 Absatz 4 genannten Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu nehmen (Wohnsitzauflage). Findet eine länderübergreifende Verteilung gemäß § 51 statt, dann ergeht die Wohnsitzauflage im Hinblick auf den sich danach ergebenden Aufenthaltsort. Der Ausländer kann den in der Wohnsitzauflage genannten Ort ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen.

(2) Ein Ausländer, der nicht oder nicht mehr verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, und dessen Lebensunterhalt nicht gesichert ist (§ 2 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes), kann verpflichtet werden,

1.
in einer bestimmten Gemeinde, in einer bestimmten Wohnung oder Unterkunft zu wohnen,
2.
in eine bestimmte Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft umzuziehen oder
3.
in dem Bezirk einer anderen Ausländerbehörde desselben Landes seinen gewöhnlichen Aufenthalt und Wohnung oder Unterkunft zu nehmen.
Eine Anhörung des Ausländers ist erforderlich in den Fällen des Satzes 1 Nummer 2, wenn er sich länger als sechs Monate in der Gemeinde, Wohnung oder Unterkunft aufgehalten hat. Die Anhörung gilt als erfolgt, wenn der Ausländer oder sein anwaltlicher Vertreter Gelegenheit hatte, sich innerhalb von zwei Wochen zu der vorgesehenen Unterbringung zu äußern. Eine Anhörung unterbleibt, wenn ihr ein zwingendes öffentliches Interesse entgegensteht.

(3) Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 ist die nach § 50 zuständige Landesbehörde. Die Wohnsitzauflage soll mit der Zuweisungsentscheidung nach § 50 verbunden werden. Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 2 ist die nach § 51 Absatz 2 Satz 2 zuständige Landesbehörde. Die Wohnsitzauflage soll mit der Verteilungsentscheidung nach § 51 Absatz 2 Satz 2 verbunden werden. Zuständig für Maßnahmen nach Absatz 2 ist die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die Gemeinde oder die zu beziehende Wohnung oder Unterkunft liegt.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.

(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.

(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat unbeschadet der Aufgaben nach anderen Gesetzen folgende Aufgaben:

1.
Koordinierung der Informationen über den Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit zwischen den Ausländerbehörden, der Bundesagentur für Arbeit und der für Pass- und Visaangelegenheiten vom Auswärtigen Amt ermächtigten deutschen Auslandsvertretungen;
2.
a)
Entwicklung von Grundstruktur und Lerninhalten des Integrationskurses nach § 43 Abs. 3 und der berufsbezogenen Deutschsprachförderung nach § 45a,
b)
deren Durchführung und
c)
Maßnahmen nach § 9 Abs. 5 des Bundesvertriebenengesetzes;
3.
fachliche Zuarbeit für die Bundesregierung auf dem Gebiet der Integrationsförderung und der Erstellung von Informationsmaterial über Integrationsangebote von Bund, Ländern und Kommunen für Ausländer und Spätaussiedler;
4.
Betreiben wissenschaftlicher Forschungen über Migrationsfragen (Begleitforschung) zur Gewinnung analytischer Aussagen für die Steuerung der Zuwanderung;
4a.
Betreiben wissenschaftlicher Forschungen über Integrationsfragen;
5.
Zusammenarbeit mit den Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Nationale Kontaktstelle und zuständige Behörde nach Artikel 27 der Richtlinie 2001/55/EG, Artikel 25 der Richtlinie 2003/109/EG, Artikel 22 Absatz 1 der Richtlinie 2009/50/EG, Artikel 26 der Richtlinie 2014/66/EU und Artikel 37 der Richtlinie (EU) 2016/801 sowie für Mitteilungen nach § 51 Absatz 8a;
5a.
Prüfung der Mitteilungen nach § 16c Absatz 1, § 18e Absatz 1 und § 19a Absatz 1 sowie Ausstellung der Bescheinigungen nach § 16c Absatz 4, § 18e Absatz 5 und § 19a Absatz 4 oder Ablehnung der Einreise und des Aufenthalts;
6.
Führung des Registers nach § 91a;
7.
Koordinierung der Programme und Mitwirkung an Projekten zur Förderung der freiwilligen Rückkehr sowie Auszahlung hierfür bewilligter Mittel;
8.
die Durchführung des Aufnahmeverfahrens nach § 23 Abs. 2 und 4 und die Verteilung der nach § 23 sowie der nach § 22 Satz 2 aufgenommenen Ausländer auf die Länder;
9.
Durchführung einer migrationsspezifischen Beratung nach § 45 Satz 1, soweit sie nicht durch andere Stellen wahrgenommen wird; hierzu kann es sich privater oder öffentlicher Träger bedienen;
10.
Anerkennung von Forschungseinrichtungen zum Abschluss von Aufnahmevereinbarungen nach § 18d; hierbei wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch einen Beirat für Forschungsmigration unterstützt;
11.
Koordinierung der Informationsübermittlung und Auswertung von Erkenntnissen der Bundesbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zu Ausländern, bei denen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausländer-, asyl- oder staatsangehörigkeitsrechtliche Maßnahmen in Betracht kommen;
12.
Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 1 im Fall einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 des Asylgesetzes oder einer Abschiebungsanordnung nach § 34a des Asylgesetzes sowie die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Absatz 7;
13.
unbeschadet des § 71 Absatz 3 Nummer 7 die Beschaffung von Heimreisedokumenten für Ausländer im Wege der Amtshilfe.

(1) Das Bundesamt erlässt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 des Aufenthaltsgesetzes eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn

1.
der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird,
2.
dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird,
2a.
dem Ausländer kein subsidiärer Schutz gewährt wird,
3.
die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes ausnahmsweise zulässig ist und
4.
der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt.
Eine Anhörung des Ausländers vor Erlass der Abschiebungsandrohung ist nicht erforderlich. Im Übrigen bleibt die Ausländerbehörde für Entscheidungen nach § 59 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 6 des Aufenthaltsgesetzes zuständig.

(2) Die Abschiebungsandrohung soll mit der Entscheidung über den Asylantrag verbunden werden. Wurde kein Bevollmächtigter für das Verfahren bestellt, sind die Entscheidungsformel der Abschiebungsandrohung und die Rechtsbehelfsbelehrung dem Ausländer in eine Sprache zu übersetzen, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann.

In den Fällen des § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Klägerin ist kasachische Staatsangehörige. Sie reiste am 19. Juli 2013 zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder (Kläger im Parallel-Verfahren 11 ZB 17.30318) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. August 2013 einen Asylantrag.

Am 16. März 2015 hörte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Klägerin an. Mit Schreiben vom 23. November 2015 teilte die Klägerin hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit, sie befinde sich in der Staatlichen Berufsfachschule für Ernährung und Versorgung und erreiche voraussichtlich im Juli 2017 einen Berufsabschluss. Mit Bescheid vom 29. November 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin ab und forderte sie unter Setzung einer Frist zur Ausreise auf. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Kasachstan an. Unter Nummer 6 des Bescheids befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung der Befristungsentscheidung führte das Bundesamt aus, es seien keine schutzwürdigen Belange vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Über Bindungen im Bundesgebiet, die bei der Ermessensprüfung zu berücksichtigen seien, verfüge die Klägerin, abgesehen von ihren ebenfalls ablehnend beschiedenen Eltern und dem in Deutschland nachgeborenen Bruder, nicht. Angemessen sei daher eine Befristung auf 30 Monate.

Mit Urteil vom 30. Januar 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid vom 29. November 2016 abgewiesen. Die Befristungsentscheidung sei nicht zu beanstanden. Den von Klägerseite vorgetragenen Belangen müsse nicht durch eine kürzere Befristung Rechnung getragen werden. Der Gesichtspunkt, dass die Klägerin bis Mitte des Jahres eine Ausbildung an der Berufsschule werde abschließen können, könne allenfalls Bedeutung für die Frage haben, wann die Ausreise gegenüber der Klägerin durchgesetzt werde, nicht aber dafür, zu welchem Zeitpunkt sie wieder ins Bundesgebiet einreisen dürfe. Es würden sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass im Rahmen der Fristsetzung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden sei. Das Verwaltungsgericht führte darüber hinaus aus, die mit der Ausweisung verfolgten spezial- bzw. generalpräventiven Zwecke beinhalteten grundsätzlich eine gewisse Dauer der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet. Die festgesetzte Frist erscheine angemessen.

Die Klägerin wendet sich mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung alleine gegen die Befristungsentscheidung in Nummer 6 des angegriffenen Bescheids. Sie macht geltend, die Rechtssache habe diesbezüglich grundsätzliche Bedeutung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.

1. Der Senat legt den Antrag auf Zulassung der Berufung dahingehend aus, dass die Klägerin sich nur gegen die Befristungsentscheidung im Bescheid vom 29. November 2016 wendet, die einen eigenen Streitgegenstand bildet. Hinsichtlich der übrigen Streitgegenstände (subsidiärer Schutz, nationale Abschiebungshindernisse) sind in der Antragsbegründung keinerlei Berufungszulassungsgründe genannt. Der Berufungszulassungsantrag wäre in Bezug auf diese Streitgegenstände unzulässig, da er den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht genügt.

Soweit die Klägerin vorträgt, sie würde in einem Berufungsverfahren auch ihren Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes und Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses weiter verfolgen, hilft dies nicht darüber hinweg, dass sie keinerlei Gründe nennt, aus denen die Berufung diesbezüglich zuzulassen sein soll.

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine im Zulassungsantrag darzulegende konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheit-lichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Eine solche Frage lässt sich dem Zulassungsantrag nicht entnehmen.

2.1 Die von der Klägerin formulierte Frage, ob bei der Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Aspekte der Ausbildung der Betroffenen im Bundesgebiet nur aufenthaltsrechtlich für den Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung erheblich, für die im Asylverfahren festzusetzende Länge der Befristung aber unbeachtlich sind, sodass deren Nichtbeachtung daher nicht zu einem Ermessensfehler führen kann, hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung, sondern kann anhand des Gesetzes beantwortet werden.

Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG entscheidet das Bundesamt (unter anderem) im Falle einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 AsylG über die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der die persönlichen Belange des Betreffenden an einer Wiedereinreise und einem erneutem Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu berücksichtigen sind. Der Behörde steht dabei ein Ermessensspielraum zu (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris). Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 - 11 ZB 16.30463 - juris). Eine Unterscheidung der zulässigen Gründe für die Befristung danach, ob es sich um die Wirkungen einer Ausweisung, einer Zurückschiebung oder einer Abschiebung handelt, ist den Vorschriften nur insoweit zu entnehmen, als dass die Überschreitung einer Frist von fünf Jahren nur zulässig ist, wenn entweder eine Ausweisung aufgrund strafrechtlicher Verurteilung erfolgt ist oder von dem Ausländer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 - 10 B 14.1854 - juris; OVG Hamburg, B.v. 15.9.2014 - 3 Bs 185/14 - InfAuslR 2015, 50). Im Übrigen sind die persönlichen Belange unabhängig von dem Grund, der zu dem Einreise- und Aufenthaltsverbot geführt hat, zu berücksichtigen und mit den öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet abzuwägen.

Nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG dient dazu, einen Ausländer der entweder ausgewiesen wurde, versucht hat, unerlaubt einzureisen oder nicht fristgerecht ausgereist ist und deshalb abgeschoben wurde, wegen dieser Gesetzesverstöße eine angemessene Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten. Dabei sind nach dem Zweck der Vorschrift die persönlichen Belange des Ausländers zu berücksichtigen, die nach der Ausweisung, der Zurückschiebung oder der Abschiebung eine baldige Wiedereinreise erforderlich machen. Orientiert an diesem Zweck können keine Aspekte berücksichtigt werden, die alleine gegen die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts sprechen (z.B. eine Ausbildung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 und 4 AufenthG), sondern es sind die Belange einzustellen, die die Beendigung des Aufenthalts überdauern und Bedeutung für eine möglichst baldige Wiedereinreise haben. Dazu gehören z.B. verwandtschaftliche Bindungen an Personen im Bundesgebiet, durch einen langen rechtmäßigen Voraufenthalt anderweitig verfestigte Bindung an das Bundesgebiet und Umstände in der Person des Ausländers, wie z.B. hohes Alter oder Krankheit, die ggf. eine spätere Wiedereinreise unmöglich machen. Dass die Klägerin sich derzeit in einer Berufsschulausbildung befindet, kann bei der Befristungsentscheidung keinen zu berücksichtigenden Belang darstellen, denn das Einreise- und Aufenthaltsverbot greift erst dann ein, wenn die Klägerin abgeschoben wurde und damit ihr Schulbesuch ohnehin beendet ist und auch nicht mehr aufgenommen werden kann.

2.2 Die weitere von der Klägerin formulierte Frage, ob die Kriterien der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufgrund einer Ausweisung auf die durch das Bundesamt zu treffende Entscheidung über die Befristung im Fall einer aufgrund des ablehnenden Asylbescheids durchzuführenden Abschiebung übertragbar seien, würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Das Bundesamt hat nicht Befristungskriterien für das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei einer Ausweisung auf seine Befristungsentscheidung übertragen, sondern hat anhand der ihm bekannten persönlichen Umstände eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Falle einer Abschiebung der Klägerin getroffen.

Soweit das Verwaltungsgericht bei seiner Überprüfung der Ermessensentscheidung des Bundesamts nach § 114 VwGO ausgeführt hat, die mit der Ausweisung verfolgten spezial- oder generalpräventiven Zwecke würden grundsätzlich eine gewisse Dauer der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet beinhalten, hat dies für den vorliegenden Fall keine Relevanz, da die Klägerin nicht ausgewiesen worden ist und auch das Bundesamt keine solchen Erwägungen in seine Ermessensentscheidung eingestellt hat.

Es ist im Übrigen nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt sich in Fällen, in denen - wie hier - keine nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (BayVGH, B.v. 28.11.2016 - 11 ZB 16.30463 - juris Rn. 4).

Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine vom Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsandrohung festgesetzte Sperrfrist nach § 11 AufenthG keine Geltung im Falle der freiwilligen Ausreise besitzt. Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsandrohung allein reicht hierfür nicht (vgl. zu einer Abschiebungsanordnung BVerwG, U.v. 17.9.2015 - 1 C 26/14 - BVerwGE 153, 24 Rn. 27).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

4. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Die Klägerin ist kasachische Staatsangehörige. Sie reiste am 19. Juli 2013 zusammen mit ihren Eltern und ihrem Bruder (Kläger im Parallel-Verfahren 11 ZB 17.30318) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 15. August 2013 einen Asylantrag.

Am 16. März 2015 hörte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Klägerin an. Mit Schreiben vom 23. November 2015 teilte die Klägerin hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit, sie befinde sich in der Staatlichen Berufsfachschule für Ernährung und Versorgung und erreiche voraussichtlich im Juli 2017 einen Berufsabschluss. Mit Bescheid vom 29. November 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag der Klägerin ab und forderte sie unter Setzung einer Frist zur Ausreise auf. Für den Fall der Nichteinhaltung der Ausreisefrist drohte das Bundesamt die Abschiebung nach Kasachstan an. Unter Nummer 6 des Bescheids befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung. Zur Begründung der Befristungsentscheidung führte das Bundesamt aus, es seien keine schutzwürdigen Belange vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Über Bindungen im Bundesgebiet, die bei der Ermessensprüfung zu berücksichtigen seien, verfüge die Klägerin, abgesehen von ihren ebenfalls ablehnend beschiedenen Eltern und dem in Deutschland nachgeborenen Bruder, nicht. Angemessen sei daher eine Befristung auf 30 Monate.

Mit Urteil vom 30. Januar 2017 hat das Verwaltungsgericht die Klage gegen den Bescheid vom 29. November 2016 abgewiesen. Die Befristungsentscheidung sei nicht zu beanstanden. Den von Klägerseite vorgetragenen Belangen müsse nicht durch eine kürzere Befristung Rechnung getragen werden. Der Gesichtspunkt, dass die Klägerin bis Mitte des Jahres eine Ausbildung an der Berufsschule werde abschließen können, könne allenfalls Bedeutung für die Frage haben, wann die Ausreise gegenüber der Klägerin durchgesetzt werde, nicht aber dafür, zu welchem Zeitpunkt sie wieder ins Bundesgebiet einreisen dürfe. Es würden sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass im Rahmen der Fristsetzung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden sei. Das Verwaltungsgericht führte darüber hinaus aus, die mit der Ausweisung verfolgten spezial- bzw. generalpräventiven Zwecke beinhalteten grundsätzlich eine gewisse Dauer der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet. Die festgesetzte Frist erscheine angemessen.

Die Klägerin wendet sich mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung alleine gegen die Befristungsentscheidung in Nummer 6 des angegriffenen Bescheids. Sie macht geltend, die Rechtssache habe diesbezüglich grundsätzliche Bedeutung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) zuzulassen.

1. Der Senat legt den Antrag auf Zulassung der Berufung dahingehend aus, dass die Klägerin sich nur gegen die Befristungsentscheidung im Bescheid vom 29. November 2016 wendet, die einen eigenen Streitgegenstand bildet. Hinsichtlich der übrigen Streitgegenstände (subsidiärer Schutz, nationale Abschiebungshindernisse) sind in der Antragsbegründung keinerlei Berufungszulassungsgründe genannt. Der Berufungszulassungsantrag wäre in Bezug auf diese Streitgegenstände unzulässig, da er den Darlegungsanforderungen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG nicht genügt.

Soweit die Klägerin vorträgt, sie würde in einem Berufungsverfahren auch ihren Antrag auf Zuerkennung subsidiären Schutzes und Feststellung des Vorliegens eines Abschiebungshindernisses weiter verfolgen, hilft dies nicht darüber hinweg, dass sie keinerlei Gründe nennt, aus denen die Berufung diesbezüglich zuzulassen sein soll.

2. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG setzt voraus, dass eine im Zulassungsantrag darzulegende konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von Bedeutung war, ihre Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheit-lichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist und ihr eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36). Eine solche Frage lässt sich dem Zulassungsantrag nicht entnehmen.

2.1 Die von der Klägerin formulierte Frage, ob bei der Entscheidung über die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG in einem Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Aspekte der Ausbildung der Betroffenen im Bundesgebiet nur aufenthaltsrechtlich für den Zeitpunkt der Aufenthaltsbeendigung erheblich, für die im Asylverfahren festzusetzende Länge der Befristung aber unbeachtlich sind, sodass deren Nichtbeachtung daher nicht zu einem Ermessensfehler führen kann, hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung, sondern kann anhand des Gesetzes beantwortet werden.

Nach § 11 Abs. 1 AufenthG darf ein Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, weder erneut in das Bundesgebiet einreisen, noch sich darin aufhalten, noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach dem Aufenthaltsgesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden (Einreise- und Aufenthaltsverbot). Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG wird über die Länge der Frist nach Ermessen entschieden. Nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG darf die Frist fünf Jahre nur überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG entscheidet das Bundesamt (unter anderem) im Falle einer Abschiebungsandrohung nach den §§ 34, 35 AsylG über die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots.

Bei der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der die persönlichen Belange des Betreffenden an einer Wiedereinreise und einem erneutem Aufenthalt im Bundesgebiet sowie die öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet zu berücksichtigen sind. Der Behörde steht dabei ein Ermessensspielraum zu (vgl. BayVGH, U.v. 12.7.2016 - 10 BV 14.1818 - juris). Fallübergreifende, verallgemeinerungsfähige Kriterien können hierzu nicht festgelegt werden (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 - 11 ZB 16.30463 - juris). Eine Unterscheidung der zulässigen Gründe für die Befristung danach, ob es sich um die Wirkungen einer Ausweisung, einer Zurückschiebung oder einer Abschiebung handelt, ist den Vorschriften nur insoweit zu entnehmen, als dass die Überschreitung einer Frist von fünf Jahren nur zulässig ist, wenn entweder eine Ausweisung aufgrund strafrechtlicher Verurteilung erfolgt ist oder von dem Ausländer eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 - 10 B 14.1854 - juris; OVG Hamburg, B.v. 15.9.2014 - 3 Bs 185/14 - InfAuslR 2015, 50). Im Übrigen sind die persönlichen Belange unabhängig von dem Grund, der zu dem Einreise- und Aufenthaltsverbot geführt hat, zu berücksichtigen und mit den öffentlichen Interessen an der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet abzuwägen.

Nach § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist das Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und sind die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG dient dazu, einen Ausländer der entweder ausgewiesen wurde, versucht hat, unerlaubt einzureisen oder nicht fristgerecht ausgereist ist und deshalb abgeschoben wurde, wegen dieser Gesetzesverstöße eine angemessene Zeit vom Bundesgebiet fernzuhalten. Dabei sind nach dem Zweck der Vorschrift die persönlichen Belange des Ausländers zu berücksichtigen, die nach der Ausweisung, der Zurückschiebung oder der Abschiebung eine baldige Wiedereinreise erforderlich machen. Orientiert an diesem Zweck können keine Aspekte berücksichtigt werden, die alleine gegen die zwangsweise Beendigung des Aufenthalts sprechen (z.B. eine Ausbildung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 und 4 AufenthG), sondern es sind die Belange einzustellen, die die Beendigung des Aufenthalts überdauern und Bedeutung für eine möglichst baldige Wiedereinreise haben. Dazu gehören z.B. verwandtschaftliche Bindungen an Personen im Bundesgebiet, durch einen langen rechtmäßigen Voraufenthalt anderweitig verfestigte Bindung an das Bundesgebiet und Umstände in der Person des Ausländers, wie z.B. hohes Alter oder Krankheit, die ggf. eine spätere Wiedereinreise unmöglich machen. Dass die Klägerin sich derzeit in einer Berufsschulausbildung befindet, kann bei der Befristungsentscheidung keinen zu berücksichtigenden Belang darstellen, denn das Einreise- und Aufenthaltsverbot greift erst dann ein, wenn die Klägerin abgeschoben wurde und damit ihr Schulbesuch ohnehin beendet ist und auch nicht mehr aufgenommen werden kann.

2.2 Die weitere von der Klägerin formulierte Frage, ob die Kriterien der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufgrund einer Ausweisung auf die durch das Bundesamt zu treffende Entscheidung über die Befristung im Fall einer aufgrund des ablehnenden Asylbescheids durchzuführenden Abschiebung übertragbar seien, würde sich in einem Berufungsverfahren nicht stellen. Das Bundesamt hat nicht Befristungskriterien für das Einreise- und Aufenthaltsverbot bei einer Ausweisung auf seine Befristungsentscheidung übertragen, sondern hat anhand der ihm bekannten persönlichen Umstände eine Ermessensentscheidung hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im Falle einer Abschiebung der Klägerin getroffen.

Soweit das Verwaltungsgericht bei seiner Überprüfung der Ermessensentscheidung des Bundesamts nach § 114 VwGO ausgeführt hat, die mit der Ausweisung verfolgten spezial- oder generalpräventiven Zwecke würden grundsätzlich eine gewisse Dauer der Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet beinhalten, hat dies für den vorliegenden Fall keine Relevanz, da die Klägerin nicht ausgewiesen worden ist und auch das Bundesamt keine solchen Erwägungen in seine Ermessensentscheidung eingestellt hat.

Es ist im Übrigen nicht zu beanstanden, wenn das Bundesamt sich in Fällen, in denen - wie hier - keine nach § 11 Abs. 1 AufenthG zu berücksichtigenden individuellen Gründe vorgebracht werden oder ersichtlich sind, generell aus Gründen der Gleichbehandlung für eine Frist von 30 Monaten entscheidet und damit das in § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG festgelegte Höchstmaß zur Hälfte ausschöpft (BayVGH, B.v. 28.11.2016 - 11 ZB 16.30463 - juris Rn. 4).

Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine vom Bundesamt bei Erlass der Abschiebungsandrohung festgesetzte Sperrfrist nach § 11 AufenthG keine Geltung im Falle der freiwilligen Ausreise besitzt. Denn nur eine vollzogene Abschiebung bewirkt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 AufenthG, die Abschiebungsandrohung allein reicht hierfür nicht (vgl. zu einer Abschiebungsanordnung BVerwG, U.v. 17.9.2015 - 1 C 26/14 - BVerwGE 153, 24 Rn. 27).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

4. Mit der unanfechtbaren (§ 80 AsylG) Ablehnung des Zulassungsantrags ist das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.

(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.

(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.

(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.