Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 17. Jan. 2019 - A 4 K 6178/16

bei uns veröffentlicht am17.01.2019

Tenor

Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 wird hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Kläger Ziffer 1 und 2, geboren 1971 bzw. 1976, sind die Eltern der 2005, 2007 bzw. 2009 geborenen Kläger Ziffer 3, 4 und 5. Die Kläger sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, russischer Volkszugehörigkeit, Zeugen Jehovas und am 08.09.2014 auf dem Luftweg von Moskau aus in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 03.11.2014 stellten sei förmliche Asylanträge.
Die Kläger legten dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) verschiedene Unterlagen über den Umgang russischer Behörden mit Zeugen Jehovas vor.
Bei seiner persönlichen Anhörung gemäß § 35 AsylG am 19.07.2016 in Karlsruhe gab der Kläger Ziffer 1 zu seinen Asylgründen im Wesentlichen an, er und seine Familie seien Zeugen Jehovas. Er sei von Tür zu Tür gegangen und habe Leute angesprochen. Er sei oft beleidigt und bedroht worden. Sie seien auch bedroht worden, als er mit seiner Frau mit einem Rollenständer auf der Straße gestanden habe. Es habe immer öfter Festnahmen durch die Polizei und auch Geldstrafen gegen Zeugen Jehovas gegeben. Sie selbst seien nicht festgenommen bzw. Geldstrafen gegen sie verhängt worden. Konkreter Anlass für ihre Ausreise sei letztlich ein Vorfall vom 03.07.2014 gewesen, als eine Glaubensschwester in Stari Osgol mit über 80 Messerstichen zusammengestochen worden sei. Seit diesem Vorfall habe er nicht mehr schlafen können. Er habe vier kleine Kinder, die auch in der Schule nicht mehr glücklich gewesen seien. Sie seien dort u.a. als Sektanten beschimpft worden. Seine ältere Tochter habe aus diesem Grund auch Probleme mit den Nerven bekommen und sein Sohn sei von einem Mitschüler geschlagen worden und die anderen Mitschüler hätten ihm nicht geholfen, obwohl sie den Vorfall mitbekommen hätten. Ein Umzug innerhalb der Russischen Föderation hätte nichts gebracht, weil Zeugen Jehovas überall in Russland dasselbe Problem hätten. Bei einer Rückkehr dorthin befürchte er, dass er gleich am Flughafen festgenommen werde, weil sie Zeugen Jehovas seien. Man werde ihm die elterliche Sorge entziehen. Wenn er ins Gefängnis komme, werde er bald tot sein, weil er einer anderen Religion angehöre als die Christen dort. Er wisse nicht, was mit seinen Kindern passiere. Wahrscheinlich kämen sie ins Waisenhaus oder es geschehe Anderes mit ihnen. Was mit seiner Frau passiere, könne er sich nur schwer vorstellen. Ins Gefängnis werde er kommen, weil die Literatur, die sie verteilten, als extremistisch eingestuft worden sei. Daher werde er als Extremist angesehen und müsse eingesperrt werden. Seit ihrer Ausreise habe sich die Situation nochmals wesentlich verschlechtert. Zeugen Jehovas hätten immer eine Bibel dabei. Wenn er jetzt in Russland mit einer Bibel auf die Straße gehe, werde er dort gleich festgenommen. Zeugen Jehovas würden in Russland als Objekt für Bestrafungen ausgesucht. Die Polizei helfe ihnen nicht und die Gerichte entschieden gegen sie. Nach dem neuen Gesetz Jarowoja könne er bis zu 15 Jahre Gefängnis bekommen.
Die Klägerin Ziffer 2 gab bei ihrer persönlichen Anhörung gemäß § 25 AsylG am 19.07.2016 in Karlsruhe ebenfalls an, Zeugin Jehovas zu sein. Wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas seien sie verfolgt worden. Das sei ihr Asylgrund. Ihre Kinder würden ebenfalls in diesem Glauben erzogen. Ihnen sei in ihrem Herkunftsland u.a. die Festnahme, Gefängnis und die Entziehung des Sorgerechts für ihre Kinder angedroht worden.
Mit Bescheid vom 09.12.2016, dem Verfahrensbevollmächtigten der Kläger am 12.12.2016 zugestellt, lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 1), die Anerkennung als Asylberechtigte (Ziff. 2) sowie die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziff. 3) gegenüber den Klägern ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziff. 4) und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls würden sie in die Russische Föderation abgeschoben (Ziff. 5). Schließlich befristete das Bundesamt das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziff. 6). Zur Begründung führte das Bundesamt insbesondere aus, es sei den Klägern nicht gelungen, substantiiert darzustellen, inwiefern für sie als Zeugen Jehovas eine individuelle persönliche Gefahr bestehe. Sie hätten nicht vermocht, stichhaltige Nachweise einer real existierenden Bedrohung, welche über das Maß hinausgehe, das andere Zeugen Jehovas zu erdulden hätten, vor- bzw. darzulegen.
Am 20.12.2016 haben die Kläger anwaltlich vertreten Klage zum Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Zur Begründung wiederholen und vertiefen sie im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und legen weitere Unterlagen vor, denen zu entnehmen sei, dass nach der aktuellen Situation in der Russischen Föderation hinsichtlich der aktiven Mitglieder der Zeugen Jehovas von einer landesweiten Verfolgung auszugehen sei. Es sei ihnen nicht zuzumuten, auf die grundlegenden Glaubensbekundungen oder Glaubensbetätigungen zu verzichten, um eine Verfolgung zu vermeiden. Entgegen der Auffassung der Beklagten würden Mitglieder der Zeugen Jehovas auch allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Gruppe vom Herkunftsstaat verfolgt. Gegenwärtig sei die Religionsgemeinschaft sogar verboten. Ein interner Schutz stehe ihnen nicht zur Verfügung.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 in Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen, weiter hilfsweise ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 / Abs. 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung und führt ergänzend insbesondere aus, dass es unstreitig sei, dass der Kläger Ziffer 1 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas sei und dass sich die Situation für die Anhänger der Religion in der Russischen Föderation seit der Gerichtsentscheidung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation aus dem Jahr 2017 über das Verbot dieser Religionsgemeinschaft offiziell verschlechtert habe. Jedoch könne der internationale Schutz nur aufgrund konkreter individueller Verfolgungsschicksale, mithin einer Verfolgungshandlung in jedem konkreten Fall, zuerkannt werden. Weder aus der ersten Anhörung der Kläger Ziffer 1 und 2 noch aus ihrer erneuten Anhörung beim Bundesamt während des Klageverfahrens am 21.12.2017 ließen sich Anhaltspunkte für eine persönliche Bedrohung der Kläger entnehmen. Die Schilderung der Gesamtsituation betreffend die Zeugen Jehovas in Russland seitens des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger in Form von Überreichen von Gerichtsentscheidungen oder Pressemitteilungen trage nicht dazu bei, dass eine konkrete Verfolgung hier vorliege. Allein die Zugehörigkeit zu der Religionsgemeinschaft sei für die Zuerkennung des internationalen Schutzes nicht ausreichend (VG Regensburg, Urt. v. 24.10.2017 – RO 9 K 17.34747). Eine Gruppenverfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas sei nach derzeitigem Kenntnisstand des Bundesamts nicht anzunehmen und eine persönliche Vorverfolgung der Kläger nicht festzustellen.
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Ergänzend haben die Kläger ein ärztliches Attest des Dr. D.-W. vom 12.09.2018 vorgelegt, wonach bei der Klägerin Ziffer 2 eine posttraumatische Belastungsstörung, Angst bzw. depressive Störung gemischt, eine mittelgradige depressive Episode sowie eine Hypomanie diagnostiziert wurde. Weiter haben sie zwei Bescheinigungen der Jehovas Zeugen Deutschland vom 17.12.2018 vorgelegt, wonach den Klägern Ziffer 1 und 2 bescheinigt wurde, dass sie 2006 bzw. 1996in Russland als Zeugen Jehovas getauft wurden, derzeit Mitglied der Jehovas Zeugen Versammlung R.-R. sind und sich aktiv am Predigtdienst der Versammlung beteiligen.
14 
Mit Beschluss vom 12.01.2018 hat die Kammer den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
15 
Mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Kläger vom 15.01.2019 und allgemeiner Prozesserklärung der Beklagten vom 27.06.2017 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Rechtsstreits wird auf die Gerichtsakte sowie auf die übersandte elektronische Verwaltungsakte des Bundesamts ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

 
17 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Einzelrichterin, da kein Fall des § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG vorliegt.
18 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige Klage ist bereits im Hauptantrag begründet.
20 
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 ist, soweit er hier allein streitgegenständlich ist, also hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6, aufzuheben, da er insoweit rechtswidrig ist. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 zweiter HS AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
Die Verfolgungsfurcht ist begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn dem Antragsteller bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände des Falles Verfolgung tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht, wobei bei der Vorverfolgte durch eine Beweiserleichterung privilegiert wird dergestalt, dass für diesen die tatsächliche (widerlegbare) Vermutung streitet, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Dadurch wird (allein) der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden (vgl. Haderlein in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 41).
23 
Der Begriff Religion im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Als Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gilt gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4a AsylG insbesondere eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.
24 
Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG können nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG u.a. gesetzlich, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, gelten oder nach § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG auch die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung.
25 
Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
27 
Nach diesen Maßgaben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie befinden sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Religion bzw. ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas, einer Gruppe i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, außerhalb ihres Herkunftslandes. Interner Schutz steht ihnen nicht zur Verfügung. Ihnen droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.
28 
Eine Verfolgung im Sinne o.g. Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) verankerten Rechts auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 GRCh garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (zu alledem: VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 17 ff. unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 –).
29 
Nach diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
30 
Bestimmte religiöse Gruppen, so auch die Zeugen Jehovas, sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Man stützt sich hier vor allem auf das Extremismusgesetz (das sog. Yarovaya-Gesetz). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden u.a. auch private religiöse Reden kriminalisiert und die Gesetzgebung genutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen. Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Betreibers verteilten. Am 20.04.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden. Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen. Laufende Gerichtsverfahren beziehen sich etwa auf die staatliche Beschlagnahme von Eigentum der Religionsgemeinschaft oder die Diskreditierung ihrer Schriften als extremistische Literatur. Ende des Jahres 2017 waren einige Einrichtungen der Zeugen Jehovas konfisziert. Gläubige sollen sich laut Medienberichten bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen. Gewisses Aufsehen erregte in den vergangenen Monaten die Festnahme sowie das Verfahren gegen einen Zeugen Jehovas, der allerdings dänischer Staatsangehöriger ist. Die Zeugen Jehovas, Medien und NGOs berichten von diversen Festnahmen und Geldstrafen in Höhe von 100.000 Rubel (ca. 14.000 EUR). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Gewalttaten durch Unbekannte gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus; vgl. zu alledem: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA –, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung vom 31.08.2018, Seite 58 f., 61 f.).
31 
Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von §§ 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienste abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
32 
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass es den Klägern und Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen, etwa durch Meldungen von Nachbarn (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
33 
Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Kläger als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfinden und die sie auch bisher praktiziert haben. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger überzeugte und aktive Zeugen Jehovas sind, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten und wird zur Überzeugung des Gerichts durch die Bescheinigungen der „Jehovas Zeugen in Deutschland“ vom 17.12.2018 belegt, in welchen den Klägern Ziffer 1 und 2 nicht nur bescheinigt wird, dass sie 1996 bzw. 2006 als Zeugen Jehovas in Russland getauft wurden, sondern dass sie auch hier in Deutschland Mitglied der Jehovas Zeugen Versammlung R.-R. sind und aktiv am Predigtdienst der Versammlung beteiligt sind. Die Kläger haben überdies angegeben, ihre Kinder, die Kläger Ziffer 3 bis 5, in diesem Glauben zu erziehen.
34 
Damit leben die Kläger ihre Religion in einer Art, mit der sie in der Russischen Föderation nach obigen Feststellungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ausgesetzt wären.
35 
Eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG) besteht für die Kläger nicht, da die Zeugen Jehovas landesweit verfolgt werden.
36 
Darauf, ob die Kläger vor ihrer Ausreise bereits einer konkreten individuellen Verfolgung im o.g. Sinne ausgesetzt waren, kommt es damit vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entscheidungserheblich an.
37 
Nachdem den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, erweist sich der angefochtene Bescheid zugleich hinsichtlich seiner Entscheidungen in Ziffern 3, 4, 5 und 6 als rechtswidrig, weil diese Entscheidungen jedenfalls zu früh ergangen sind. Auf das bezüglich der Klägerin Ziffer 2 vorgelegte ärztliche Attest kommt es demnach nicht entscheidungserheblich an.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
17 
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG durch die Einzelrichterin, da kein Fall des § 76 Abs. 4 Satz 2 AsylG vorliegt.
18 
Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
19 
Die zulässige Klage ist bereits im Hauptantrag begründet.
20 
Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 09.12.2016 ist, soweit er hier allein streitgegenständlich ist, also hinsichtlich der Ziffern 1, 3, 4, 5 und 6, aufzuheben, da er insoweit rechtswidrig ist. Die Kläger haben im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 zweiter HS AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.
22 
Die Verfolgungsfurcht ist begründet im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn dem Antragsteller bei verständiger Würdigung der Gesamtumstände des Falles Verfolgung tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, droht, wobei bei der Vorverfolgte durch eine Beweiserleichterung privilegiert wird dergestalt, dass für diesen die tatsächliche (widerlegbare) Vermutung streitet, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Dadurch wird (allein) der Vorverfolgte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden (vgl. Haderlein in: Heusch/Haderlein/Schönenbroicher, Das neue Asylrecht, 2016, Rn. 41).
23 
Der Begriff Religion im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG umfasst nach § 3b Abs. 1 Nr. 2 AsylG insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Als Gruppe im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gilt gemäß § 3b Abs. 1 Nr. 4a AsylG insbesondere eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder dieser Gruppe eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen ist, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten.
24 
Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten gemäß § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG können nach § 3a Abs. 2 Nr. 2 AsylG u.a. gesetzlich, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, gelten oder nach § 3a Abs. 2 Nr. 4 AsylG auch die Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung.
25 
Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann gemäß § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
26 
Gemäß § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
27 
Nach diesen Maßgaben haben die Kläger einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie befinden sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Religion bzw. ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas, einer Gruppe i.S.v. § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, außerhalb ihres Herkunftslandes. Interner Schutz steht ihnen nicht zur Verfügung. Ihnen droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.
28 
Eine Verfolgung im Sinne o.g. Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) verankerten Rechts auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht. Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben. Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 GRCh garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist. Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist. Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (zu alledem: VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 17 ff. unter Verweis auf BVerwG, Urt. v. 20.02.2013 – 10 C 23/12 –).
29 
Nach diesen Maßstäben ist den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
30 
Bestimmte religiöse Gruppen, so auch die Zeugen Jehovas, sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Man stützt sich hier vor allem auf das Extremismusgesetz (das sog. Yarovaya-Gesetz). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden u.a. auch private religiöse Reden kriminalisiert und die Gesetzgebung genutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen. Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Betreibers verteilten. Am 20.04.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden. Zeugen Jehovas, die sich weiter zu ihren Überzeugungen bekannten, mussten mit Strafverfolgung und Freiheitsstrafen von bis zu zwölf Jahren rechnen. Laufende Gerichtsverfahren beziehen sich etwa auf die staatliche Beschlagnahme von Eigentum der Religionsgemeinschaft oder die Diskreditierung ihrer Schriften als extremistische Literatur. Ende des Jahres 2017 waren einige Einrichtungen der Zeugen Jehovas konfisziert. Gläubige sollen sich laut Medienberichten bei der Ausübung ihrer Religion nunmehr in die Verborgenheit zurückziehen. Gewisses Aufsehen erregte in den vergangenen Monaten die Festnahme sowie das Verfahren gegen einen Zeugen Jehovas, der allerdings dänischer Staatsangehöriger ist. Die Zeugen Jehovas, Medien und NGOs berichten von diversen Festnahmen und Geldstrafen in Höhe von 100.000 Rubel (ca. 14.000 EUR). Zudem kam es zu einer Vielzahl von Gewalttaten durch Unbekannte gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus; vgl. zu alledem: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Bundesamt für Fremdwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA –, Russische Föderation, Gesamtaktualisierung vom 31.08.2018, Seite 58 f., 61 f.).
31 
Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von §§ 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienste abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
32 
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass es den Klägern und Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen, etwa durch Meldungen von Nachbarn (vgl. VG Hamburg, Urt. v. 27. Juni 2018 – 17 A 2777/18 –, juris Rn. 24).
33 
Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Kläger als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfinden und die sie auch bisher praktiziert haben. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Kläger überzeugte und aktive Zeugen Jehovas sind, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten und wird zur Überzeugung des Gerichts durch die Bescheinigungen der „Jehovas Zeugen in Deutschland“ vom 17.12.2018 belegt, in welchen den Klägern Ziffer 1 und 2 nicht nur bescheinigt wird, dass sie 1996 bzw. 2006 als Zeugen Jehovas in Russland getauft wurden, sondern dass sie auch hier in Deutschland Mitglied der Jehovas Zeugen Versammlung R.-R. sind und aktiv am Predigtdienst der Versammlung beteiligt sind. Die Kläger haben überdies angegeben, ihre Kinder, die Kläger Ziffer 3 bis 5, in diesem Glauben zu erziehen.
34 
Damit leben die Kläger ihre Religion in einer Art, mit der sie in der Russischen Föderation nach obigen Feststellungen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Verfolgung ausgesetzt wären.
35 
Eine inländische Fluchtalternative (§ 3e AsylG) besteht für die Kläger nicht, da die Zeugen Jehovas landesweit verfolgt werden.
36 
Darauf, ob die Kläger vor ihrer Ausreise bereits einer konkreten individuellen Verfolgung im o.g. Sinne ausgesetzt waren, kommt es damit vorliegend entgegen der Auffassung der Beklagten nicht entscheidungserheblich an.
37 
Nachdem den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist, erweist sich der angefochtene Bescheid zugleich hinsichtlich seiner Entscheidungen in Ziffern 3, 4, 5 und 6 als rechtswidrig, weil diese Entscheidungen jedenfalls zu früh ergangen sind. Auf das bezüglich der Klägerin Ziffer 2 vorgelegte ärztliche Attest kommt es demnach nicht entscheidungserheblich an.
38 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 17. Jan. 2019 - A 4 K 6178/16

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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 17. Jan. 2019 - A 4 K 6178/16 zitiert 17 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3 Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft


(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich1.aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3a Verfolgungshandlungen


(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die 1. auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3e Interner Schutz


(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und2. sicher und legal in diesen Landesteil r

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3b Verfolgungsgründe


(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen: 1. der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;2. der Begrif

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3c Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann


Die Verfolgung kann ausgehen von 1. dem Staat,2. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder3. nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließl

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 3d Akteure, die Schutz bieten können


(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden 1. vom Staat oder2. von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,sofern sie willens und in d

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 76 Einzelrichter


(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist od

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 25 Anhörung


(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über W

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 35 Abschiebungsandrohung bei Unzulässigkeit des Asylantrags


In den Fällen des § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war.

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Verwaltungsgericht Regensburg Urteil, 24. Okt. 2017 - RO 9 K 17.34747

bei uns veröffentlicht am 24.10.2017

Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Tatbestand Der Kläger, ukrainischer Staatsangehörigkeit,

Verwaltungsgericht Hamburg Urteil, 27. Juni 2018 - 17 A 2777/18

bei uns veröffentlicht am 27.06.2018

Tenor Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2018 zum Az. ... wird in den Nummern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüch
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht Sigmaringen Urteil, 17. Jan. 2019 - A 4 K 6178/16.

Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 10. Mai 2019 - Au 2 K 19.30587

bei uns veröffentlicht am 10.05.2019

Tenor I. Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamtes für ... vom 15. Februar 2017, Geschäftszeichen, verpflichtet, die Klägerin zu 1. als Flüchtling anzuerkennen. Weiter wird die Beklagte unter

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In den Fällen des § 29 Absatz 1 Nummer 2 und 4 droht das Bundesamt dem Ausländer die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war.

(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und darüber, ob bereits in anderen Staaten oder im Bundesgebiet ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling, auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist.

(2) Der Ausländer hat alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen.

(3) Ein späteres Vorbringen des Ausländers kann unberücksichtigt bleiben, wenn andernfalls die Entscheidung des Bundesamtes verzögert würde. Der Ausländer ist hierauf und auf § 36 Absatz 4 Satz 3 hinzuweisen.

(4) Bei einem Ausländer, der verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, soll die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Asylantragstellung erfolgen. Einer besonderen Ladung des Ausländers und seines Bevollmächtigten bedarf es nicht. Entsprechendes gilt, wenn dem Ausländer bei oder innerhalb einer Woche nach der Antragstellung der Termin für die Anhörung mitgeteilt wird. Kann die Anhörung nicht an demselben Tag stattfinden, sind der Ausländer und sein Bevollmächtigter von dem Anhörungstermin unverzüglich zu verständigen.

(5) Bei einem Ausländer, der nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann von der persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt. In diesem Falle ist dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben.

(6) Die Anhörung ist nicht öffentlich. An ihr können Personen, die sich als Vertreter des Bundes, eines Landes oder des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ausweisen, teilnehmen. Der Ausländer kann sich bei der Anhörung von einem Bevollmächtigten oder Beistand im Sinne des § 14 des Verwaltungsverfahrensgesetzes begleiten lassen. Das Bundesamt kann die Anhörung auch dann durchführen, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand trotz einer mit angemessener Frist erfolgten Ladung nicht an ihr teilnimmt. Satz 4 gilt nicht, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand seine Nichtteilnahme vor Beginn der Anhörung genügend entschuldigt. Anderen Personen kann der Leiter des Bundesamtes oder die von ihm beauftragte Person die Anwesenheit gestatten.

(7) Die Anhörung kann in geeigneten Fällen ausnahmsweise im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen.

(8) Über die Anhörung ist eine Niederschrift aufzunehmen, die die wesentlichen Angaben des Ausländers enthält. Dem Ausländer ist eine Kopie der Niederschrift auszuhändigen oder mit der Entscheidung des Bundesamtes zuzustellen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger, ukrainischer Staatsangehörigkeit, reiste nach eigenen Angaben am 21. September 2014 auf dem Landweg über Polen in die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit seiner Ehefrau ein und stellte mit ihr zusammen am 24. Dezember 2014 einen Asylantrag. Nach dem Scheitern des Dublin-Verfahrens wurde ein nationales Asylverfahren durchgeführt. Das Verfahren wurde mit Bescheid vom 3. Juli 2017 eingestellt. Nach Antrag auf Fortführung des Verfahrens wurde die Einstellung mit Bescheid vom 7. August 2017 aufgehoben. Bei der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 27. Juli 2017 gab der Kläger im Wesentlichen an, er und seine Ehefrau hätten im Osten der Ukraine gelebt und hätten zwei erwachsene Söhne, ebenfalls Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die sich noch in der Ukraine aufhalten würden. Der Kläger und seine Ehefrau seien vor über 20 Jahren vom orthodoxen Glauben zu den Zeugen Jehovas gewechselt. Beide hätten spezielle Schulungen erhalten. Seine Ehefrau sei im Rahmen ihrer Glaubenstätigkeit für die Zeugen Jehovas bedroht worden. Einmal sei es auch zu Bedrohungen durch andere Dorfbewohner gekommen. Dieser Vorfall sei auch bei der Polizei angezeigt worden; in der Reaktion der Polizei sei hierauf nicht folgt. Ein Ausweichen in andere Landesteile hätte keine Abhilfe geschaffen, da die Glaubensgemeinschaft in allen Landesteilen der Ukraine verfolgt würde. Er selbst sei für die Glaubensgemeinschaft als Pastor tätig gewesen. Es habe auch allgemein Beschimpfungen und Bedrohungen gegenüber Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft gegeben. Außerdem habe der Kläger Probleme mit den Separatisten gehabt. Er sei aufgefordert worden, mit ihnen in den Krieg zu ziehen. Dies habe er aus Glaubensgründen abgelehnt. Daraufhin sei er in Ruhe gelassen worden. Ihm sei auch angedroht worden, dass man ihn mitnehmen würde, falls man ihn erwische. Einer der Separatisten habe eine Verwandte, die mit einem Abgeordneten verheiratet sei. Diese habe ihn bedroht, da sie wohl etwas gegen seinen Glauben habe. Von staatlicher Seite habe er keinen Schutz erhalten. Vor einigen Jahren habe er einen Gehirnschlag erlitten. Er habe das Krankenhaus aufsuchen müssen. Auch dort habe es Probleme wegen der Religionszugehörigkeit gegeben. Man habe sich nicht einmal nach der Ursache des Gehirnschlag erkundigt. Der Kläger und seine Ehefrau hätten mehrere Einladungen ihrer Glaubensbrüder aus D... erhalten. Schließlich hätten sie sich entschlossen, diesen Einladungen Folge zu leisten.

Mit Bescheid vom 31. August 2017 lehnte das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzstatus ab, lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, andernfalls werde er in die Ukraine oder einen anderen zur Aufnahme bereiten oder Zurückübernahme verpflichteten Staat abgeschoben. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung wird auf den Inhalt des Bescheids Bezug genommen.

Am 18. September 2017 erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Regensburg gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger als Pastor in seinem Heimatland für die Zeugen Jehovas tätig gewesen sei. Auch die Ehefrau habe als offiziell ausgebildete Glaubensschwester aktiv für die Verbreitung des Glaubens sich eingesetzt. Aufgrund dieser Tätigkeit seien sie von ukrainischen Mitbürgern verfolgt worden. Der Kläger sei von Glaubensbrüdern verprügelt worden. Häuser anderer Glaubensbrüder seien angezündet worden. Auf die Frau des Klägers seien während der Ausübung ihrer Glaubenstätigkeit Hunde gehetzt worden. Die Frau sei mit einer Langwaffe beschossen worden. Eine Kugel sei knapp am Kopf der Ehefrau vorbeigeflogen. Sie sei mit Vergewaltigung bedroht worden. Sämtliche Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft und Polizei hätten kein Gehör gefunden. Sowohl offizielle Strafverfolgungsbehörden wie auch Separatisten duldeten die Religionsverfolgung gegen den Kläger und seine Glaubensbrüder und -schwestern. Diese Vorfälle hätten sich in den Jahren 2013 und 2014 bis zur Ausreise ereignet. Der Kläger sei auch von den separatistischen Machthabern wegen seiner Glaubensausübung verfolgt worden. Sie hätten ihn regelmäßig in seiner Wohnung gesucht, manchmal mehrfach wöchentlich, zur Tages- und Nachtzeit und hätten ihn aufgefordert, sich den Separatisten anzuschließen und mit ihnen zu kämpfen. Seine Neutralitätsbekundungen seien ungehört geblieben, stattdessen bekundeten die Separatisten eine Zwangsrekrutierung und eine harte Bestrafung seiner Ehefrau. Weder dem Kläger noch seiner Ehefrau seien in der Heimat ausreichende medizinische Behandlung zuteil geworden. In staatlichen Krankenhäusern seien sie wegen ihres Glaubens verhöhnt worden. Es werde darauf hingewiesen, dass die Anhörung vor dem Bundesamt nicht durch einen vereidigten Dolmetscher vorgenommen worden sei, was zur Folge gehabt habe, dass er seine Asylgründe nicht ausreichend und richtig habe schildern können. Bei der Befristung der Wiedereinreisemöglichkeit auf 30 Monate sei von dem Ermessensspielraum falsch Gebrauch gemacht worden. Aufgrund des Angewiesenseins auf dauernde medizinische Behandlung in der Bundesrepublik und der erfolgten Integration im Bundesgebiet sei eine Begrenzung des Wiedereinreiseverbots auf maximal einen Monat angemessen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 28. September 2017 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31. August 2017 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen und festzustellen, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen, hilfsweise das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf zwei Monate ab dem Tag der Abschiebung zu befristen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Bundesamtsakten sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 24. Oktober 2017 Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamts vom 31. August 2017 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf einen Schutzstatus im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Das Gericht folgt den Feststellungen und Gründen des angefochtenen Bescheids und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).

Ergänzend bleibt unter Berücksichtigung der Klagebegründung auszuführen, dass der Kläger und seine Ehefrau, anders als am Ende der mündlichen Verhandlung von der Ehefrau ausgeführt, nach mehrmaligen Einladungen durch ihre Glaubensbrüder aus D... beschlossen haben, die Ukraine zu verlassen. Der Kläger hat sich hierzu laut Niederschrift über die persönliche Anhörung am 27. Juli 2017 viermal geäußert. Erstmalig unter Nr. 7 (Bl. 5 d. Bundesamtsakte) gab er an, dass das Ziel ihrer Reise mit einem Reisebus Deutschland gewesen sei und sie eine Einladung ihrer Glaubensbrüder aus D... gehabt hätten, damit sie den Glaubensbrüdern helfen. Sie seien im Besitz von polnischen Schengen-Visa gewesen, die sie über ein Reisebüro besorgt hätten. Sie seien immer wieder von ihren Glaubensbrüdern aus D... eingeladen worden. Zu guter Letzt hätten sie dann beschlossen, den Einladungen Folge zu leisten. Sie hätten sich dann um Visa bemüht und seien ausgereist (Bl. 7 a.a.O.). Auf die Frage, ob sie irgendwelche Bestätigungen über ihren Glauben hätten, antwortete der Kläger, dass es so etwas bei Ihnen nicht gäbe, er aber eine Einladung der Glaubensbrüder in D... habe, die er vorliegen könnte (Bl. 8 a.a.O.). An einer weiteren Stelle spricht der Kläger davon, dass die Glaubensbrüder in D... gesagt hätten, dass sie nach Deutschland kommen sollten, hier könnten sie in Ruhe leben und hier würde die Ehefrau des Klägers genesen (Bl. 9 a.a.O.). Aufgrund dieser vorstehend getroffenen Aussagen des Klägers ist davon auszugehen, dass der Kläger und seine Ehefrau die Einladungen zum Anlass für die Ausreise genommen haben. Die versuchte Richtigstellung in der mündlichen Verhandlung durch die Ehefrau ist von daher nicht glaubhaft. Ein aktueller Ausreisegrund, der auf ihre Religionsausübung zurückgeht, ist nicht erkennbar geworden. Auf die Frage, warum sie nicht in andere Landesteile der Ukraine, beispielsweise nach Kiew gezogen seien, antwortete der der Kläger bei der persönlichen Anhörung lediglich, dass es Beispiele von Zeugen Jehovas gebe, die auch in anderen Landesteilen bzw. Städten der Ukraine verfolgt worden seien; man habe auch dort ihre Häuser abgebrannt und sie geschlagen (Bl. 9 a.a.O.). Auf ihre Person bezogen hat der Kläger nur ausgeführt, dass von irgendwelchen Privatpersonen immer wieder versucht worden sei, sie für den Krieg anzuwerben. Als sie sagten, sie seien neutral und würden nichts gegen andere Leute haben, hätten diese Privatpersonen das auch eingesehen, wenngleich sie immer wieder gekommen sein. Der Kläger führte bei der Anhörung ausdrücklich aus, dass sie wegen ihres Glaubens Probleme mit der Bevölkerung gehabt hätten, mit staatlichen Organen jedoch nicht. Sie könnten in der Ukraine ungestört ihren Glauben ausüben und weiter verbreiten. Seitens des Staates würde aber nichts unternommen, wenn die Bevölkerung gegen sie vorgehe (a.a.O.).

Im aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine vom 7. Februar 2017 wird unter Ziffer 1.4 ausgeführt dass die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung von der Verfassung (Art. 35) garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert werde. Erkenntnisse darüber, dass von diesem grundsätzlichen Bekenntnis zur Religionsfreiheit bei der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas anders verfahren würde, liegen nicht vor. Letztlich bestätigt der Kläger mit seinen Angaben bei der persönlichen Anhörung diese Feststellung des Auswärtigen Amtes. Der Kläger wusste nur in einem Fall davon zu berichten, dass er bei einem Vorfall dabei gewesen sei, als seine Frau bei ihrer Missionstätigkeit von anderen Dorfbewohnern bedroht worden sei, und er deshalb anschließend bei der Polizei Anzeige erstattet habe. Es sei nicht darauf reagiert worden und er habe nie mehr etwas von der Anzeige gehört. Dieser beispielhaft genannte und durch nichts konkret belegte Zwischenfall kann keinen Beleg dafür abgeben, der ukrainisches Staat würde nachgewiesene Straftaten an Mitgliedern der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas nicht genauso verfolgen wie an anderen Mitbürgern begangene Straftaten. Dass sich möglicherweise andersgläubige Mitbürger gegen eine nicht erbetene Missionstätigkeit verbal oder mit anderen Mitteln zur Wehr setzen, muss nicht naheliegenderweise einen Straftatbestand erfüllen, dem im Wege der Strafverfolgung nachzugehen wäre. Der Kläger hat beschrieben, dass sich die Mitglieder der Religionsgemeinschaft zweimal in der Woche im großen Kreis versammelt hätten und dabei zweimal 45 Minuten beten würden; dann würden sie sich noch einmal pro Woche im kleinen Kreis versammeln und beten. Diese Versammlungen würden im sogenannten Königreichssaal stattfinden (Bl. 7 a.a.O.). Der Kläger wusste nicht davon zu berichten, dass diese Form der Religionsausübung durch irgendjemand beeinträchtigt worden wäre. Er wusste nur über Vorfälle „in den Jahren 2013 oder 2014“ zu berichten, wo die Ehefrau und eine Glaubensschwester bei ihrer Missionstätigkeit mit nicht näher beschriebenen Privatpersonen, die möglicherweise andersgläubig oder keiner religiösen Glaubensrichtung zugehörten, zusammengetroffen seien, die in verschiedener und durchaus auch drastischer Weise (Hunde, Gewehrsschuss, Androhung der Vergewaltigung) abwehrend auf diese Missionstätigkeit reagiert hätten. Danach ist klar, dass der Kläger und seine Ehefrau solchen Reaktionen von Mitbürgern nicht ausgesetzt gewesen wären, hätten sie sich auf die Religionsausübung im Kreis der Mitglieder der Religionsgemeinschaft Zeugen Jehovas - wie oben beschrieben - beschränkt.

Der Kläger wusste nicht davon zu berichten, dass ihre beiden Söhne, die ebenfalls der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas angehören und die weiterhin in der Ukraine leben sollen, mit Einschränkungen ihrer Religionsausübung bzw. Benachteiligungen in anderen Lebensbereichen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit konfrontiert würden.

Die Befristungsentscheidung zum Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 bis 3 AufenthG ist nicht zu beanstanden. Den von Klägerseite vorgetragenen Belangen musste nicht durch eine kürzere Befristung Rechnung getragen werden. § 11 Abs. 4 AufenthG eröffnet im Übrigen die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufzuheben oder die Frist zu verkürzen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach §§ 22 ff. AufenthG vorliegen. Es ergeben sich keine Anhaltspunkte, dass im Rahmen der Fristsetzung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt worden wäre. Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erscheint die festgesetzte Frist von 30 Monaten angemessen.

Danach war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83 b AsylG).

Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.

(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2018 zum Az. ... wird in den Nummern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die am [...] geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige ukrainischer Volkszugehörigkeit. Sie gehört der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an.

3

Eigenen Angaben nach reiste die Klägerin am 17. Oktober 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik ein. Am 24. Oktober 2017 stellte sie einen Asylantrag.

4

In ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Oktober 2017 gab die Klägerin im Wesentlichen an: Sie gehöre seit über zwölf Jahren den Zeugen Jehovas an. Diese Glaubensgemeinschaft sei im Sommer 2017 durch ein Moskauer Gericht verboten worden. Die Häuser, in denen sich die Zeugen Jehovas getroffen hätten, seien konfisziert worden. Auch einige Häuser ihrer Glaubensschwestern und -brüder seien zerstört worden. Sie habe Angst um ihr Leben, da sie als nächste von solchen Maßnahmen betroffen sein könnte. Man habe sie zudem bereits zweimal festgenommen; da sie jedoch schon älter sei, habe man Gnade gezeigt und sie wieder freigelassen. Sie dürfe sich mit keinem ihrer Glaubensschwestern und -brüder mehr unterhalten. Die Polizei könne sie jederzeit (wieder) festnehmen und inhaftieren. Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft würden bedroht; sie würden geschlagen und erniedrigt. Da sie ihren Glauben offizielle nicht mehr frei ausüben dürfe und sie auch mit niemandem über ihren Glauben reden könne, sei sie ausgereist. Sie befürchte, im Falle einer Festnahme aufgrund ihres Alters in einem Gefängnis nicht zu überleben. Auch habe sie Angst davor, dass ihre Nachbarn der Polizei mitteilen könnten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei, so dass sie dann inhaftiert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der persönlichen Anhörung verwiesen.

5

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht. Das für den Fall der Abschiebung bestehende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Zwar habe das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas landesweit verboten und damit praktisch auch ihre Religionsausübung. Allein diese Tatsache begründe jedoch nicht das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation fehle es an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei Vergleich der Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen von staatlicher Seite und der Anzahl der Anhänger der Religionsgemeinschaft, die sich nacheigenen Angaben der Zeugen Jehovas auf rund 175.000 belaufen soll. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich auch keine individuelle Verfolgung. Die Klägerin habe zu keiner Zeit von individuell gegen sie gerichtete staatliche Repressionsmaßnahmen berichtet. Ihre Behauptung, sie könne aufgrund ihres Glaubens jederzeit inhaftiert werden bzw. Nachbarn könnten sie der Polizei melden, sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht begreiflich, warum Nachbarn sie der Polizei melden sollten, zumal unklar sei, woher diese wissen sollten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ihren Glauben in einer exponierten Weise ausleben würde, so dass sie aus diesem Grund in das Visier staatlicher Behörden geraten könnte. Sie sei weder in der Vergangenheit exponiert, z.B. aufgrund missionarischer Tätigkeit, tätig gewesen, noch habe sie vorgetragen, dies in Zukunft sein zu wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

6

Am 25. Mai 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie habe die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 in Deutschland kennengelernt, als sie ihre Tochter besucht habe. Sie habe anschließend sechs Monate an Schulungen und Veranstaltungen der Gemeinde in Deutschland teilgenommen und die Bibel kennengelernt. In Russland habe sie sofort Kontakt zu den Zeugen Jehovas in ihrer Stadt (Salsk) aufgenommen. Sie habe dort an weiteren Veranstaltungen und Schulungen teilgenommen. Sie sei am 5. Mai 2005 in Rostov (Don) getauft worden. Sie sei im Anschluss Vollzeitmissionarin gewesen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern würden in Russland massiv verfolgt. Sie selbst sei wiederholt durch die Polizei allein aufgrund ihrer Tätigkeit als Missionarin verhaftet und stundenlang festgehalten worden. Es seien ihre Fingerabdrücke abgenommen und Fotos von ihr gemacht worden. Sie habe daher keine andere Möglichkeit gesehen als zu fliehen. Hier in Deutschland betätige sie sich ebenfalls als Zeugin Jehovas in ihrer örtlichen Gemeinde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 13. Juni 2018 verwiesen.

7

In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2018 hat die Klägerin zu 1), nachdem sie den ursprünglich ebenfalls erhobenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen hat, nur noch beantragt,

8

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2018 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Das Gericht hat die in der Ladung zur mündlichen Verhandlung bezeichneten Erkenntnisquellen beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In dieser hat das Gericht die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

13

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

II.

14

Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.

15

Soweit die Klage nicht zurückgenommen worden ist, ist sie zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (hierzu 1.). Der angefochtene Bescheid erweist sich daher insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (hierzu 2.).

1.

16

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

18

Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 AsylG).

19

Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG).

20

Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs.1 AsylG).

21

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.

22

Eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, Urt. v. 20. Februar 2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 21 ff.). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (BVerwG, ebenda).Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, ebenda).Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, ebenda).Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (BVerwG, ebenda).Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, ebenda).Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, ebenda).

23

Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

24

Das Oberste Gericht der Russischen Föderation billigte am 20. April 2017 einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8). Die Organisation von oder die Teilnahme an Aktivitäten der Zeugen Jehovas ist demgemäß nach Art. 282.2 des russischen Strafgesetzbuches strafbar („organization“ of or „participation in“ „the activity of a social or religious association or other organization in relation to which a court has adopted a decision legally in force on liquidation or ban on the activity in connection with the carrying out of extremist activity“). Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von § 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Oktober 1988, 9 C 37/88, juris, Rn. 14 f.). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen, die das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, wird das Verbot der gemeinschaftlichen Religionsausübung tatsächlich durchgesetzt. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Zeugen Jehovas, die ihren Glauben aktiv ausüben, u.a. durch gemeinschaftliche Glaubensausübung im privaten Bereich, strafrechtlich verfolgt werden. Unabhängig von der rechtlichen Relevanz dieser Frage ist das Gericht auch davon überzeugt, dass es den Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen werden. Zum einen ist davon auszugehen, dass die russischen Behörden aufgrund der bereits eingeleiteten, sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen ergebenden, Verfolgungsmaßnahmen bereits umfangreiche Kenntnisse über die Anhänger der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation haben. Zum anderen ist auch damit zu rechnen, dass Zeugen Jehovas, wenn sie privat Gottesdienste abhalten, von ihren Nachbarn denunziert werden. Denn nach einer Umfrage des Levada Center befürwortet ca. 80% der russischen Bevölkerung das Verbot der Zeugen Jehovas, wobei 51% der Bevölkerung das Verbot sogar entscheidend („decisively“) befürwortet (Radio Free Europe / Radio Liberty, Poll Shows Majority Of Russians Support Ban On Jehovah's Witnesses, 13. Juli 2017, https://www.rferl.org/a/russia-jehovahs-witnesses-poll-majority-favor-ban/28615047.html). Zudem kam es infolge des Verbots der Zeugen Jehovas bereits zu einer Vielzahl von Gewalttaten gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus) (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8).

25

Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Klägerin als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfindet und die sie auch bisher praktiziert hat. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin überzeugte und aktive Zeugin Jehovas ist, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

26

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 bei einem Besuch ihrer Tochter in Deutschland kennengelernt hat, sich im Jahr 2005 in Russland als Zeugin Jehovas hat taufen lassen, bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im Oktober 2017 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist und ihren Glauben auch im Bundesgebiet weiterhin praktiziert. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist für das Gericht glaubhaft gewesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive ihrer Hinwendung zu den Zeugen Jehovas zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Die Klägerin machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin in ihren Aussagen inhaltlich übertrieben hätte. Sie hat zur Überzeugung des Gerichts stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet. Die Klägerin erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig. Bestärkt wurde dieser Eindruck zusätzlich durch den in der mündlichen Verhandlung unter Eid vernommenen Ältesten ihrer hamburgischen Glaubensgemeinde, den Zeugen [...]. Dieser hat für das Gericht glaubhaft bekundet, dass die Klägerin aktives Mitglied der hiesigen Gemeinde der Zeugen Jehovas ist und regelmäßig an den Gottesdiensten teilnimmt. Die Tatsache, dass der Zeuge [...] bereits vor seiner Vernehmung an der Verhandlung als Zuschauer teilgenommen hat, beeinträchtigt seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zur Überzeugung des Gerichts nicht. Der Zeuge [...] hat sich insbesondere nicht darauf beschränkt, die Aussagen der Klägerin (wörtlich oder in eigenen Worten) zu wiederholen, sondern hat die Aussagen der Klägerin ergänzt, insbesondere in Bezug auf die Glaubensausübung der Klägerin im Bundesgebiet und die von der Klägerin im Jahr 2004 im Bundesgebiet angetroffenen Zeugen Jehovas. Der Zeuge [...] machte dabei einen authentischen und glaubhaften Eindruck.

27

Im Übrigen spricht auch die Anwesenheit zahlreicher Anhänger der Zeugen Jehovas in der mündlichen Verhandlung dafür, dass die Klägerin tatsächlich praktizierende Zeugin Jehovas ist. Die von der Beklagtenvertreterin pauschal und nach Ansicht des Gerichts allein prozesstaktisch geäußerten Zweifel an der Zugehörigkeit der Zuschauer zu den Zeugen Jehovas vermag das Gericht nicht zu teilen. Die Zuschauer haben auf Frage des Gerichts zu erkennen gegeben, dass sie Anhänger der Zeugen Jehovas sind. Anlass, an deren Angaben zu zweifeln, besteht für das Gericht nicht.

28

Ferner spricht auch die Bescheinigung der Zeugen Jehovas in Deutschland, wonach die Klägerin seit 2005 Zeugin Jehovas ist, für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Das Gericht sieht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Zeugen Jehovas ein Interesse daran haben könnten, eine Mitgliedsbescheinigung für eine Person auszustellen, die nicht ihr Mitglied ist.

29

Die von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung getätigten Vorhalte in Bezug auf die persönliche Anhörung beim Bundesamt sind ebenfalls nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin zu beeinträchtigen. Soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht angegeben hat, die Zeugen Jehovas bei einem Besuch in Deutschland kennengelernt zu haben, so ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht danach gefragt worden ist, wo sie die Zeugen Jehovas kennengelernt hatte. Es lag nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin auch nicht auf der Hand, dass sie sich hierzu hätte äußern sollen, da sie bereits seit etlichen Jahren Zeugin Jehovas ist und die Zeugen Jehovas erst vor kurzem in der Russischen Föderation verboten worden waren. Auch soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht von ihrer Missionstätigkeit erzählt hat, beeinträchtigt dies die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin nicht. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen besteht die Gefahr einer Verfolgung der Zeugen Jehovas unabhängig davon, ob diese missionieren oder nicht, da bereits das Verbot der gemeinschaftlichen Glaubensausübung durchgesetzt und strafrechtlich verfolgt wird. Für die Klägerin war - dies ergibt sich für das Gericht aus dem Protokoll der persönlichen Anhörung deutlich- - bereits die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. der gemeinsamen Glaubensausübung wesentlicher Grund für die Ausreise. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin in der belastenden Situation der persönlichen Anhörung ihre Missionstätigkeit nicht etwa deshalb nicht erwähnt hat, weil sie nicht stattgefunden hat. Dahinstehen kann, ob die Klägerin diesen Umstand in der Aufregung schlicht vergessen hat, etwa, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustands in den letzten Jahren weniger missioniert hat, oder ob sie dem Umstand der Missionstätigkeit neben ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. ihrer gemeinschaftlichen Glaubensausübung mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern keine weitere Bedeutung beigemessen hat.

30

Eine inländische Fluchtalternative besteht für die Klägerin schließlich nicht, da die Zeugen Jehovas russlandweit verboten worden sind.

2.

31

Aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage auch insoweit begründet, als die Aufhebung der Nummern 3 bis 6 der angefochtenen Entscheidung begehrt wird. Denn die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lässt die Feststellungen in den Nummern 3 bis 6 gegenstandslos werden.

III.

32

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Klagerücknahme in Bezug auf die Asylanerkennung bewertet das Gericht als geringfügiges Unterliegen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2018 zum Az. ... wird in den Nummern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die am [...] geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige ukrainischer Volkszugehörigkeit. Sie gehört der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an.

3

Eigenen Angaben nach reiste die Klägerin am 17. Oktober 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik ein. Am 24. Oktober 2017 stellte sie einen Asylantrag.

4

In ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Oktober 2017 gab die Klägerin im Wesentlichen an: Sie gehöre seit über zwölf Jahren den Zeugen Jehovas an. Diese Glaubensgemeinschaft sei im Sommer 2017 durch ein Moskauer Gericht verboten worden. Die Häuser, in denen sich die Zeugen Jehovas getroffen hätten, seien konfisziert worden. Auch einige Häuser ihrer Glaubensschwestern und -brüder seien zerstört worden. Sie habe Angst um ihr Leben, da sie als nächste von solchen Maßnahmen betroffen sein könnte. Man habe sie zudem bereits zweimal festgenommen; da sie jedoch schon älter sei, habe man Gnade gezeigt und sie wieder freigelassen. Sie dürfe sich mit keinem ihrer Glaubensschwestern und -brüder mehr unterhalten. Die Polizei könne sie jederzeit (wieder) festnehmen und inhaftieren. Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft würden bedroht; sie würden geschlagen und erniedrigt. Da sie ihren Glauben offizielle nicht mehr frei ausüben dürfe und sie auch mit niemandem über ihren Glauben reden könne, sei sie ausgereist. Sie befürchte, im Falle einer Festnahme aufgrund ihres Alters in einem Gefängnis nicht zu überleben. Auch habe sie Angst davor, dass ihre Nachbarn der Polizei mitteilen könnten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei, so dass sie dann inhaftiert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der persönlichen Anhörung verwiesen.

5

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht. Das für den Fall der Abschiebung bestehende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Zwar habe das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas landesweit verboten und damit praktisch auch ihre Religionsausübung. Allein diese Tatsache begründe jedoch nicht das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation fehle es an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei Vergleich der Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen von staatlicher Seite und der Anzahl der Anhänger der Religionsgemeinschaft, die sich nacheigenen Angaben der Zeugen Jehovas auf rund 175.000 belaufen soll. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich auch keine individuelle Verfolgung. Die Klägerin habe zu keiner Zeit von individuell gegen sie gerichtete staatliche Repressionsmaßnahmen berichtet. Ihre Behauptung, sie könne aufgrund ihres Glaubens jederzeit inhaftiert werden bzw. Nachbarn könnten sie der Polizei melden, sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht begreiflich, warum Nachbarn sie der Polizei melden sollten, zumal unklar sei, woher diese wissen sollten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ihren Glauben in einer exponierten Weise ausleben würde, so dass sie aus diesem Grund in das Visier staatlicher Behörden geraten könnte. Sie sei weder in der Vergangenheit exponiert, z.B. aufgrund missionarischer Tätigkeit, tätig gewesen, noch habe sie vorgetragen, dies in Zukunft sein zu wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

6

Am 25. Mai 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie habe die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 in Deutschland kennengelernt, als sie ihre Tochter besucht habe. Sie habe anschließend sechs Monate an Schulungen und Veranstaltungen der Gemeinde in Deutschland teilgenommen und die Bibel kennengelernt. In Russland habe sie sofort Kontakt zu den Zeugen Jehovas in ihrer Stadt (Salsk) aufgenommen. Sie habe dort an weiteren Veranstaltungen und Schulungen teilgenommen. Sie sei am 5. Mai 2005 in Rostov (Don) getauft worden. Sie sei im Anschluss Vollzeitmissionarin gewesen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern würden in Russland massiv verfolgt. Sie selbst sei wiederholt durch die Polizei allein aufgrund ihrer Tätigkeit als Missionarin verhaftet und stundenlang festgehalten worden. Es seien ihre Fingerabdrücke abgenommen und Fotos von ihr gemacht worden. Sie habe daher keine andere Möglichkeit gesehen als zu fliehen. Hier in Deutschland betätige sie sich ebenfalls als Zeugin Jehovas in ihrer örtlichen Gemeinde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 13. Juni 2018 verwiesen.

7

In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2018 hat die Klägerin zu 1), nachdem sie den ursprünglich ebenfalls erhobenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen hat, nur noch beantragt,

8

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2018 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Das Gericht hat die in der Ladung zur mündlichen Verhandlung bezeichneten Erkenntnisquellen beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In dieser hat das Gericht die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

13

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

II.

14

Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.

15

Soweit die Klage nicht zurückgenommen worden ist, ist sie zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (hierzu 1.). Der angefochtene Bescheid erweist sich daher insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (hierzu 2.).

1.

16

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

18

Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 AsylG).

19

Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG).

20

Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs.1 AsylG).

21

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.

22

Eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, Urt. v. 20. Februar 2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 21 ff.). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (BVerwG, ebenda).Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, ebenda).Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, ebenda).Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (BVerwG, ebenda).Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, ebenda).Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, ebenda).

23

Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

24

Das Oberste Gericht der Russischen Föderation billigte am 20. April 2017 einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8). Die Organisation von oder die Teilnahme an Aktivitäten der Zeugen Jehovas ist demgemäß nach Art. 282.2 des russischen Strafgesetzbuches strafbar („organization“ of or „participation in“ „the activity of a social or religious association or other organization in relation to which a court has adopted a decision legally in force on liquidation or ban on the activity in connection with the carrying out of extremist activity“). Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von § 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Oktober 1988, 9 C 37/88, juris, Rn. 14 f.). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen, die das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, wird das Verbot der gemeinschaftlichen Religionsausübung tatsächlich durchgesetzt. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Zeugen Jehovas, die ihren Glauben aktiv ausüben, u.a. durch gemeinschaftliche Glaubensausübung im privaten Bereich, strafrechtlich verfolgt werden. Unabhängig von der rechtlichen Relevanz dieser Frage ist das Gericht auch davon überzeugt, dass es den Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen werden. Zum einen ist davon auszugehen, dass die russischen Behörden aufgrund der bereits eingeleiteten, sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen ergebenden, Verfolgungsmaßnahmen bereits umfangreiche Kenntnisse über die Anhänger der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation haben. Zum anderen ist auch damit zu rechnen, dass Zeugen Jehovas, wenn sie privat Gottesdienste abhalten, von ihren Nachbarn denunziert werden. Denn nach einer Umfrage des Levada Center befürwortet ca. 80% der russischen Bevölkerung das Verbot der Zeugen Jehovas, wobei 51% der Bevölkerung das Verbot sogar entscheidend („decisively“) befürwortet (Radio Free Europe / Radio Liberty, Poll Shows Majority Of Russians Support Ban On Jehovah's Witnesses, 13. Juli 2017, https://www.rferl.org/a/russia-jehovahs-witnesses-poll-majority-favor-ban/28615047.html). Zudem kam es infolge des Verbots der Zeugen Jehovas bereits zu einer Vielzahl von Gewalttaten gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus) (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8).

25

Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Klägerin als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfindet und die sie auch bisher praktiziert hat. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin überzeugte und aktive Zeugin Jehovas ist, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

26

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 bei einem Besuch ihrer Tochter in Deutschland kennengelernt hat, sich im Jahr 2005 in Russland als Zeugin Jehovas hat taufen lassen, bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im Oktober 2017 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist und ihren Glauben auch im Bundesgebiet weiterhin praktiziert. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist für das Gericht glaubhaft gewesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive ihrer Hinwendung zu den Zeugen Jehovas zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Die Klägerin machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin in ihren Aussagen inhaltlich übertrieben hätte. Sie hat zur Überzeugung des Gerichts stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet. Die Klägerin erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig. Bestärkt wurde dieser Eindruck zusätzlich durch den in der mündlichen Verhandlung unter Eid vernommenen Ältesten ihrer hamburgischen Glaubensgemeinde, den Zeugen [...]. Dieser hat für das Gericht glaubhaft bekundet, dass die Klägerin aktives Mitglied der hiesigen Gemeinde der Zeugen Jehovas ist und regelmäßig an den Gottesdiensten teilnimmt. Die Tatsache, dass der Zeuge [...] bereits vor seiner Vernehmung an der Verhandlung als Zuschauer teilgenommen hat, beeinträchtigt seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zur Überzeugung des Gerichts nicht. Der Zeuge [...] hat sich insbesondere nicht darauf beschränkt, die Aussagen der Klägerin (wörtlich oder in eigenen Worten) zu wiederholen, sondern hat die Aussagen der Klägerin ergänzt, insbesondere in Bezug auf die Glaubensausübung der Klägerin im Bundesgebiet und die von der Klägerin im Jahr 2004 im Bundesgebiet angetroffenen Zeugen Jehovas. Der Zeuge [...] machte dabei einen authentischen und glaubhaften Eindruck.

27

Im Übrigen spricht auch die Anwesenheit zahlreicher Anhänger der Zeugen Jehovas in der mündlichen Verhandlung dafür, dass die Klägerin tatsächlich praktizierende Zeugin Jehovas ist. Die von der Beklagtenvertreterin pauschal und nach Ansicht des Gerichts allein prozesstaktisch geäußerten Zweifel an der Zugehörigkeit der Zuschauer zu den Zeugen Jehovas vermag das Gericht nicht zu teilen. Die Zuschauer haben auf Frage des Gerichts zu erkennen gegeben, dass sie Anhänger der Zeugen Jehovas sind. Anlass, an deren Angaben zu zweifeln, besteht für das Gericht nicht.

28

Ferner spricht auch die Bescheinigung der Zeugen Jehovas in Deutschland, wonach die Klägerin seit 2005 Zeugin Jehovas ist, für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Das Gericht sieht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Zeugen Jehovas ein Interesse daran haben könnten, eine Mitgliedsbescheinigung für eine Person auszustellen, die nicht ihr Mitglied ist.

29

Die von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung getätigten Vorhalte in Bezug auf die persönliche Anhörung beim Bundesamt sind ebenfalls nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin zu beeinträchtigen. Soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht angegeben hat, die Zeugen Jehovas bei einem Besuch in Deutschland kennengelernt zu haben, so ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht danach gefragt worden ist, wo sie die Zeugen Jehovas kennengelernt hatte. Es lag nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin auch nicht auf der Hand, dass sie sich hierzu hätte äußern sollen, da sie bereits seit etlichen Jahren Zeugin Jehovas ist und die Zeugen Jehovas erst vor kurzem in der Russischen Föderation verboten worden waren. Auch soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht von ihrer Missionstätigkeit erzählt hat, beeinträchtigt dies die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin nicht. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen besteht die Gefahr einer Verfolgung der Zeugen Jehovas unabhängig davon, ob diese missionieren oder nicht, da bereits das Verbot der gemeinschaftlichen Glaubensausübung durchgesetzt und strafrechtlich verfolgt wird. Für die Klägerin war - dies ergibt sich für das Gericht aus dem Protokoll der persönlichen Anhörung deutlich- - bereits die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. der gemeinsamen Glaubensausübung wesentlicher Grund für die Ausreise. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin in der belastenden Situation der persönlichen Anhörung ihre Missionstätigkeit nicht etwa deshalb nicht erwähnt hat, weil sie nicht stattgefunden hat. Dahinstehen kann, ob die Klägerin diesen Umstand in der Aufregung schlicht vergessen hat, etwa, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustands in den letzten Jahren weniger missioniert hat, oder ob sie dem Umstand der Missionstätigkeit neben ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. ihrer gemeinschaftlichen Glaubensausübung mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern keine weitere Bedeutung beigemessen hat.

30

Eine inländische Fluchtalternative besteht für die Klägerin schließlich nicht, da die Zeugen Jehovas russlandweit verboten worden sind.

2.

31

Aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage auch insoweit begründet, als die Aufhebung der Nummern 3 bis 6 der angefochtenen Entscheidung begehrt wird. Denn die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lässt die Feststellungen in den Nummern 3 bis 6 gegenstandslos werden.

III.

32

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Klagerücknahme in Bezug auf die Asylanerkennung bewertet das Gericht als geringfügiges Unterliegen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Die Kammer soll in der Regel in Streitigkeiten nach diesem Gesetz den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn nicht die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, dass inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage ergibt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet ein Mitglied der Kammer als Einzelrichter. Der Einzelrichter überträgt den Rechtsstreit auf die Kammer, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder wenn er von der Rechtsprechung der Kammer abweichen will.

(5) Ein Richter auf Probe darf in den ersten sechs Monaten nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe nach § 3 Absatz 1 Nummer 1 ist Folgendes zu berücksichtigen:

1.
der Begriff der Rasse umfasst insbesondere die Aspekte Hautfarbe, Herkunft und Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe;
2.
der Begriff der Religion umfasst insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme oder Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind;
3.
der Begriff der Nationalität beschränkt sich nicht auf die Staatsangehörigkeit oder das Fehlen einer solchen, sondern bezeichnet insbesondere auch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, die durch ihre kulturelle, ethnische oder sprachliche Identität, gemeinsame geografische oder politische Herkunft oder ihre Verwandtschaft mit der Bevölkerung eines anderen Staates bestimmt wird;
4.
eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
a)
die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
b)
die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird;
als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet; Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter; eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht oder die geschlechtliche Identität anknüpft;
5.
unter dem Begriff der politischen Überzeugung ist insbesondere zu verstehen, dass der Ausländer in einer Angelegenheit, die die in § 3c genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt, wobei es unerheblich ist, ob er auf Grund dieser Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tätig geworden ist.

(2) Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Ausländers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob er tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Die Verfolgung kann ausgehen von

1.
dem Staat,
2.
Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder
3.
nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Schutz vor Verfolgung kann nur geboten werden

1.
vom Staat oder
2.
von Parteien oder Organisationen einschließlich internationaler Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen,
sofern sie willens und in der Lage sind, Schutz gemäß Absatz 2 zu bieten.

(2) Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehender Art sein. Generell ist ein solcher Schutz gewährleistet, wenn die in Absatz 1 genannten Akteure geeignete Schritte einleiten, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat.

(3) Bei der Beurteilung der Frage, ob eine internationale Organisation einen Staat oder einen wesentlichen Teil seines Staatsgebiets beherrscht und den in Absatz 2 genannten Schutz bietet, sind etwaige in einschlägigen Rechtsakten der Europäischen Union aufgestellte Leitlinien heranzuziehen.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2018 zum Az. ... wird in den Nummern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die am [...] geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige ukrainischer Volkszugehörigkeit. Sie gehört der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an.

3

Eigenen Angaben nach reiste die Klägerin am 17. Oktober 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik ein. Am 24. Oktober 2017 stellte sie einen Asylantrag.

4

In ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Oktober 2017 gab die Klägerin im Wesentlichen an: Sie gehöre seit über zwölf Jahren den Zeugen Jehovas an. Diese Glaubensgemeinschaft sei im Sommer 2017 durch ein Moskauer Gericht verboten worden. Die Häuser, in denen sich die Zeugen Jehovas getroffen hätten, seien konfisziert worden. Auch einige Häuser ihrer Glaubensschwestern und -brüder seien zerstört worden. Sie habe Angst um ihr Leben, da sie als nächste von solchen Maßnahmen betroffen sein könnte. Man habe sie zudem bereits zweimal festgenommen; da sie jedoch schon älter sei, habe man Gnade gezeigt und sie wieder freigelassen. Sie dürfe sich mit keinem ihrer Glaubensschwestern und -brüder mehr unterhalten. Die Polizei könne sie jederzeit (wieder) festnehmen und inhaftieren. Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft würden bedroht; sie würden geschlagen und erniedrigt. Da sie ihren Glauben offizielle nicht mehr frei ausüben dürfe und sie auch mit niemandem über ihren Glauben reden könne, sei sie ausgereist. Sie befürchte, im Falle einer Festnahme aufgrund ihres Alters in einem Gefängnis nicht zu überleben. Auch habe sie Angst davor, dass ihre Nachbarn der Polizei mitteilen könnten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei, so dass sie dann inhaftiert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der persönlichen Anhörung verwiesen.

5

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht. Das für den Fall der Abschiebung bestehende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Zwar habe das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas landesweit verboten und damit praktisch auch ihre Religionsausübung. Allein diese Tatsache begründe jedoch nicht das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation fehle es an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei Vergleich der Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen von staatlicher Seite und der Anzahl der Anhänger der Religionsgemeinschaft, die sich nacheigenen Angaben der Zeugen Jehovas auf rund 175.000 belaufen soll. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich auch keine individuelle Verfolgung. Die Klägerin habe zu keiner Zeit von individuell gegen sie gerichtete staatliche Repressionsmaßnahmen berichtet. Ihre Behauptung, sie könne aufgrund ihres Glaubens jederzeit inhaftiert werden bzw. Nachbarn könnten sie der Polizei melden, sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht begreiflich, warum Nachbarn sie der Polizei melden sollten, zumal unklar sei, woher diese wissen sollten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ihren Glauben in einer exponierten Weise ausleben würde, so dass sie aus diesem Grund in das Visier staatlicher Behörden geraten könnte. Sie sei weder in der Vergangenheit exponiert, z.B. aufgrund missionarischer Tätigkeit, tätig gewesen, noch habe sie vorgetragen, dies in Zukunft sein zu wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

6

Am 25. Mai 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie habe die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 in Deutschland kennengelernt, als sie ihre Tochter besucht habe. Sie habe anschließend sechs Monate an Schulungen und Veranstaltungen der Gemeinde in Deutschland teilgenommen und die Bibel kennengelernt. In Russland habe sie sofort Kontakt zu den Zeugen Jehovas in ihrer Stadt (Salsk) aufgenommen. Sie habe dort an weiteren Veranstaltungen und Schulungen teilgenommen. Sie sei am 5. Mai 2005 in Rostov (Don) getauft worden. Sie sei im Anschluss Vollzeitmissionarin gewesen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern würden in Russland massiv verfolgt. Sie selbst sei wiederholt durch die Polizei allein aufgrund ihrer Tätigkeit als Missionarin verhaftet und stundenlang festgehalten worden. Es seien ihre Fingerabdrücke abgenommen und Fotos von ihr gemacht worden. Sie habe daher keine andere Möglichkeit gesehen als zu fliehen. Hier in Deutschland betätige sie sich ebenfalls als Zeugin Jehovas in ihrer örtlichen Gemeinde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 13. Juni 2018 verwiesen.

7

In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2018 hat die Klägerin zu 1), nachdem sie den ursprünglich ebenfalls erhobenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen hat, nur noch beantragt,

8

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2018 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Das Gericht hat die in der Ladung zur mündlichen Verhandlung bezeichneten Erkenntnisquellen beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In dieser hat das Gericht die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

13

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

II.

14

Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.

15

Soweit die Klage nicht zurückgenommen worden ist, ist sie zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (hierzu 1.). Der angefochtene Bescheid erweist sich daher insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (hierzu 2.).

1.

16

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

18

Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 AsylG).

19

Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG).

20

Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs.1 AsylG).

21

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.

22

Eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, Urt. v. 20. Februar 2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 21 ff.). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (BVerwG, ebenda).Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, ebenda).Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, ebenda).Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (BVerwG, ebenda).Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, ebenda).Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, ebenda).

23

Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

24

Das Oberste Gericht der Russischen Föderation billigte am 20. April 2017 einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8). Die Organisation von oder die Teilnahme an Aktivitäten der Zeugen Jehovas ist demgemäß nach Art. 282.2 des russischen Strafgesetzbuches strafbar („organization“ of or „participation in“ „the activity of a social or religious association or other organization in relation to which a court has adopted a decision legally in force on liquidation or ban on the activity in connection with the carrying out of extremist activity“). Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von § 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Oktober 1988, 9 C 37/88, juris, Rn. 14 f.). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen, die das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, wird das Verbot der gemeinschaftlichen Religionsausübung tatsächlich durchgesetzt. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Zeugen Jehovas, die ihren Glauben aktiv ausüben, u.a. durch gemeinschaftliche Glaubensausübung im privaten Bereich, strafrechtlich verfolgt werden. Unabhängig von der rechtlichen Relevanz dieser Frage ist das Gericht auch davon überzeugt, dass es den Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen werden. Zum einen ist davon auszugehen, dass die russischen Behörden aufgrund der bereits eingeleiteten, sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen ergebenden, Verfolgungsmaßnahmen bereits umfangreiche Kenntnisse über die Anhänger der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation haben. Zum anderen ist auch damit zu rechnen, dass Zeugen Jehovas, wenn sie privat Gottesdienste abhalten, von ihren Nachbarn denunziert werden. Denn nach einer Umfrage des Levada Center befürwortet ca. 80% der russischen Bevölkerung das Verbot der Zeugen Jehovas, wobei 51% der Bevölkerung das Verbot sogar entscheidend („decisively“) befürwortet (Radio Free Europe / Radio Liberty, Poll Shows Majority Of Russians Support Ban On Jehovah's Witnesses, 13. Juli 2017, https://www.rferl.org/a/russia-jehovahs-witnesses-poll-majority-favor-ban/28615047.html). Zudem kam es infolge des Verbots der Zeugen Jehovas bereits zu einer Vielzahl von Gewalttaten gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus) (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8).

25

Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Klägerin als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfindet und die sie auch bisher praktiziert hat. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin überzeugte und aktive Zeugin Jehovas ist, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

26

Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 bei einem Besuch ihrer Tochter in Deutschland kennengelernt hat, sich im Jahr 2005 in Russland als Zeugin Jehovas hat taufen lassen, bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im Oktober 2017 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist und ihren Glauben auch im Bundesgebiet weiterhin praktiziert. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist für das Gericht glaubhaft gewesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive ihrer Hinwendung zu den Zeugen Jehovas zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Die Klägerin machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin in ihren Aussagen inhaltlich übertrieben hätte. Sie hat zur Überzeugung des Gerichts stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet. Die Klägerin erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig. Bestärkt wurde dieser Eindruck zusätzlich durch den in der mündlichen Verhandlung unter Eid vernommenen Ältesten ihrer hamburgischen Glaubensgemeinde, den Zeugen [...]. Dieser hat für das Gericht glaubhaft bekundet, dass die Klägerin aktives Mitglied der hiesigen Gemeinde der Zeugen Jehovas ist und regelmäßig an den Gottesdiensten teilnimmt. Die Tatsache, dass der Zeuge [...] bereits vor seiner Vernehmung an der Verhandlung als Zuschauer teilgenommen hat, beeinträchtigt seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zur Überzeugung des Gerichts nicht. Der Zeuge [...] hat sich insbesondere nicht darauf beschränkt, die Aussagen der Klägerin (wörtlich oder in eigenen Worten) zu wiederholen, sondern hat die Aussagen der Klägerin ergänzt, insbesondere in Bezug auf die Glaubensausübung der Klägerin im Bundesgebiet und die von der Klägerin im Jahr 2004 im Bundesgebiet angetroffenen Zeugen Jehovas. Der Zeuge [...] machte dabei einen authentischen und glaubhaften Eindruck.

27

Im Übrigen spricht auch die Anwesenheit zahlreicher Anhänger der Zeugen Jehovas in der mündlichen Verhandlung dafür, dass die Klägerin tatsächlich praktizierende Zeugin Jehovas ist. Die von der Beklagtenvertreterin pauschal und nach Ansicht des Gerichts allein prozesstaktisch geäußerten Zweifel an der Zugehörigkeit der Zuschauer zu den Zeugen Jehovas vermag das Gericht nicht zu teilen. Die Zuschauer haben auf Frage des Gerichts zu erkennen gegeben, dass sie Anhänger der Zeugen Jehovas sind. Anlass, an deren Angaben zu zweifeln, besteht für das Gericht nicht.

28

Ferner spricht auch die Bescheinigung der Zeugen Jehovas in Deutschland, wonach die Klägerin seit 2005 Zeugin Jehovas ist, für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Das Gericht sieht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Zeugen Jehovas ein Interesse daran haben könnten, eine Mitgliedsbescheinigung für eine Person auszustellen, die nicht ihr Mitglied ist.

29

Die von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung getätigten Vorhalte in Bezug auf die persönliche Anhörung beim Bundesamt sind ebenfalls nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin zu beeinträchtigen. Soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht angegeben hat, die Zeugen Jehovas bei einem Besuch in Deutschland kennengelernt zu haben, so ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht danach gefragt worden ist, wo sie die Zeugen Jehovas kennengelernt hatte. Es lag nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin auch nicht auf der Hand, dass sie sich hierzu hätte äußern sollen, da sie bereits seit etlichen Jahren Zeugin Jehovas ist und die Zeugen Jehovas erst vor kurzem in der Russischen Föderation verboten worden waren. Auch soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht von ihrer Missionstätigkeit erzählt hat, beeinträchtigt dies die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin nicht. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen besteht die Gefahr einer Verfolgung der Zeugen Jehovas unabhängig davon, ob diese missionieren oder nicht, da bereits das Verbot der gemeinschaftlichen Glaubensausübung durchgesetzt und strafrechtlich verfolgt wird. Für die Klägerin war - dies ergibt sich für das Gericht aus dem Protokoll der persönlichen Anhörung deutlich- - bereits die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. der gemeinsamen Glaubensausübung wesentlicher Grund für die Ausreise. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin in der belastenden Situation der persönlichen Anhörung ihre Missionstätigkeit nicht etwa deshalb nicht erwähnt hat, weil sie nicht stattgefunden hat. Dahinstehen kann, ob die Klägerin diesen Umstand in der Aufregung schlicht vergessen hat, etwa, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustands in den letzten Jahren weniger missioniert hat, oder ob sie dem Umstand der Missionstätigkeit neben ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. ihrer gemeinschaftlichen Glaubensausübung mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern keine weitere Bedeutung beigemessen hat.

30

Eine inländische Fluchtalternative besteht für die Klägerin schließlich nicht, da die Zeugen Jehovas russlandweit verboten worden sind.

2.

31

Aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage auch insoweit begründet, als die Aufhebung der Nummern 3 bis 6 der angefochtenen Entscheidung begehrt wird. Denn die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lässt die Feststellungen in den Nummern 3 bis 6 gegenstandslos werden.

III.

32

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Klagerücknahme in Bezug auf die Asylanerkennung bewertet das Gericht als geringfügiges Unterliegen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich

1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet,
a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder
b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen,
2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder
3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
Satz 1 gilt auch für Ausländer, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.

(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er

1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder
2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
Wird der Schutz oder Beistand nach Satz 1 Nummer 1 nicht länger gewährt, ohne dass die Lage des Betroffenen gemäß den einschlägigen Resolutionen der Generalversammlung der Vereinten Nationen endgültig erklärt worden ist, sind die Absätze 1 und 2 anwendbar.

(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.

(1) Als Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 gelten Handlungen, die

1.
auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) keine Abweichung zulässig ist, oder
2.
in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist.

(2) Als Verfolgung im Sinne des Absatzes 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:

1.
die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
2.
gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
3.
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
4.
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
5.
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Absatz 2 fallen,
6.
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

(3) Zwischen den in § 3 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit den in § 3b genannten Verfolgungsgründen und den in den Absätzen 1 und 2 als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen.

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen worden ist, wird das Verfahren eingestellt.

Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2018 zum Az. ... wird in den Nummern 1 sowie 3 bis 6 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die am [...] geborene Klägerin ist russische Staatsangehörige ukrainischer Volkszugehörigkeit. Sie gehört der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas an.

3

Eigenen Angaben nach reiste die Klägerin am 17. Oktober 2017 auf dem Luftweg in die Bundesrepublik ein. Am 24. Oktober 2017 stellte sie einen Asylantrag.

4

In ihrer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 26. Oktober 2017 gab die Klägerin im Wesentlichen an: Sie gehöre seit über zwölf Jahren den Zeugen Jehovas an. Diese Glaubensgemeinschaft sei im Sommer 2017 durch ein Moskauer Gericht verboten worden. Die Häuser, in denen sich die Zeugen Jehovas getroffen hätten, seien konfisziert worden. Auch einige Häuser ihrer Glaubensschwestern und -brüder seien zerstört worden. Sie habe Angst um ihr Leben, da sie als nächste von solchen Maßnahmen betroffen sein könnte. Man habe sie zudem bereits zweimal festgenommen; da sie jedoch schon älter sei, habe man Gnade gezeigt und sie wieder freigelassen. Sie dürfe sich mit keinem ihrer Glaubensschwestern und -brüder mehr unterhalten. Die Polizei könne sie jederzeit (wieder) festnehmen und inhaftieren. Angehörige ihrer Glaubensgemeinschaft würden bedroht; sie würden geschlagen und erniedrigt. Da sie ihren Glauben offizielle nicht mehr frei ausüben dürfe und sie auch mit niemandem über ihren Glauben reden könne, sei sie ausgereist. Sie befürchte, im Falle einer Festnahme aufgrund ihres Alters in einem Gefängnis nicht zu überleben. Auch habe sie Angst davor, dass ihre Nachbarn der Polizei mitteilen könnten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei, so dass sie dann inhaftiert werde. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Protokoll der persönlichen Anhörung verwiesen.

5

Mit Bescheid vom 16. Mai 2018 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Asylanerkennung ab, erkannte die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte zugleich fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die Klägerin wurde aufgefordert, das Bundesgebiet zu verlassen; für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde ihr die Abschiebung in die Russische Föderation angedroht. Das für den Fall der Abschiebung bestehende gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 10 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Zur Begründung führte das Bundesamt aus: Zwar habe das Oberste Gericht der Russischen Föderation am 20. April 2017 die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas landesweit verboten und damit praktisch auch ihre Religionsausübung. Allein diese Tatsache begründe jedoch nicht das Vorliegen einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas. Für die Annahme einer Gruppenverfolgung der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation fehle es an der erforderlichen Verfolgungsdichte bei Vergleich der Anzahl der Verfolgungsmaßnahmen von staatlicher Seite und der Anzahl der Anhänger der Religionsgemeinschaft, die sich nacheigenen Angaben der Zeugen Jehovas auf rund 175.000 belaufen soll. Aus dem Vorbringen der Klägerin ergebe sich auch keine individuelle Verfolgung. Die Klägerin habe zu keiner Zeit von individuell gegen sie gerichtete staatliche Repressionsmaßnahmen berichtet. Ihre Behauptung, sie könne aufgrund ihres Glaubens jederzeit inhaftiert werden bzw. Nachbarn könnten sie der Polizei melden, sei nicht nachvollziehbar. Es sei nicht begreiflich, warum Nachbarn sie der Polizei melden sollten, zumal unklar sei, woher diese wissen sollten, dass sie eine Zeugin Jehovas sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei einer Rückkehr in die Russische Föderation ihren Glauben in einer exponierten Weise ausleben würde, so dass sie aus diesem Grund in das Visier staatlicher Behörden geraten könnte. Sie sei weder in der Vergangenheit exponiert, z.B. aufgrund missionarischer Tätigkeit, tätig gewesen, noch habe sie vorgetragen, dies in Zukunft sein zu wollen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den angefochtenen Bescheid verwiesen.

6

Am 25. Mai 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie habe die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 in Deutschland kennengelernt, als sie ihre Tochter besucht habe. Sie habe anschließend sechs Monate an Schulungen und Veranstaltungen der Gemeinde in Deutschland teilgenommen und die Bibel kennengelernt. In Russland habe sie sofort Kontakt zu den Zeugen Jehovas in ihrer Stadt (Salsk) aufgenommen. Sie habe dort an weiteren Veranstaltungen und Schulungen teilgenommen. Sie sei am 5. Mai 2005 in Rostov (Don) getauft worden. Sie sei im Anschluss Vollzeitmissionarin gewesen. Ihre Glaubensbrüder und -schwestern würden in Russland massiv verfolgt. Sie selbst sei wiederholt durch die Polizei allein aufgrund ihrer Tätigkeit als Missionarin verhaftet und stundenlang festgehalten worden. Es seien ihre Fingerabdrücke abgenommen und Fotos von ihr gemacht worden. Sie habe daher keine andere Möglichkeit gesehen als zu fliehen. Hier in Deutschland betätige sie sich ebenfalls als Zeugin Jehovas in ihrer örtlichen Gemeinde. Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagebegründung wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 13. Juni 2018 verwiesen.

7

In der mündlichen Verhandlung vom 3. Juli 2018 hat die Klägerin zu 1), nachdem sie den ursprünglich ebenfalls erhobenen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte zurückgenommen hat, nur noch beantragt,

8

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 16. Mai 2018 zu verpflichten, ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angefochtene Entscheidung.

12

Das Gericht hat die in der Ladung zur mündlichen Verhandlung bezeichneten Erkenntnisquellen beigezogen und diese zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. In dieser hat das Gericht die Klägerin persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

13

Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch den Berichterstatter anstelle der Kammer (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

II.

14

Soweit die Klägerin ihre Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 S. 1 VwGO einzustellen.

15

Soweit die Klage nicht zurückgenommen worden ist, ist sie zulässig und begründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist in den Ziffern 1 sowie 3 bis 6 rechtswidrig und verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (hierzu 1.). Der angefochtene Bescheid erweist sich daher insoweit als rechtswidrig und war in dem ausgesprochenen Umfang aufzuheben (hierzu 2.).

1.

16

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

17

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will.

18

Als Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Artikel 15 Absatz 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder Handlungen, die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist (§ 3a Abs. 1 AsylG).

19

Eine Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann ausgehen von dem Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, oder nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (vgl. § 3c AsylG).

20

Gemäß § 3e AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslands keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt (sog. „interner Schutz“, vgl. § 3e Abs.1 AsylG).

21

Nach diesen Maßgaben hat die Klägerin Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ihr droht im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 3a AsylG.

22

Eine Verfolgung im Sinne dieser Vorschriften kann in einer schwerwiegenden Verletzung des in Art. 10 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta verankerten Rechtes auf Religionsfreiheit liegen, die den Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Die „erhebliche Beeinträchtigung“ muss nicht schon eingetreten sein, es genügt bereits, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar droht (BVerwG, Urt. v. 20. Februar 2013, 10 C 23/12, juris, Rn. 21 ff.). Zu den Handlungen, die eine schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen können, gehören nicht nur gravierende Eingriffe in die Freiheit, seinen Glauben im privaten Rahmen zu praktizieren, sondern auch solche in die Freiheit, diesen Glauben öffentlich zu leben (BVerwG, ebenda).Ob eine Verletzung des durch Art. 10 Abs. 1 der GR-Charta garantierten Rechts eine Verfolgungshandlung darstellt, richtet sich danach, wie gravierend die Maßnahmen und Sanktionen sind, die gegenüber dem Betroffenen ergriffen werden oder ergriffen werden können. Demnach kann es sich bei einer Verletzung des Rechts auf Religionsfreiheit um eine Verfolgung handeln, wenn der Asylbewerber aufgrund der Ausübung dieser Freiheit in seinem Herkunftsland u.a. tatsächlich Gefahr läuft, strafrechtlich verfolgt oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (BVerwG, ebenda).Ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit setzt nicht voraus, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen (BVerwG, ebenda).Als relevanten subjektiven Gesichtspunkt für die Schwere der drohenden Verletzung der Religionsfreiheit ist der Umstand anzusehen, dass für den Betroffenen die Befolgung einer bestimmten gefahrträchtigen religiösen Praxis in der Öffentlichkeit zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist (BVerwG, ebenda).Dem Umstand, dass die konkrete Form der Glaubensbetätigung (z.B. Missionierung) nach dem Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft, der der Schutzsuchende angehört, zu einem tragenden Glaubensprinzip gehört, kann dabei eine indizielle Wirkung zukommen. Maßgeblich ist aber, wie der einzelne Gläubige seinen Glauben lebt und ob die verfolgungsträchtige Glaubensbetätigung für ihn persönlich nach seinem Glaubensverständnis unverzichtbar ist (BVerwG, ebenda).Der Maßstab, dass die Befolgung einer bestimmten religiösen Praxis zur Wahrung der religiösen Identität besonders wichtig ist, setzt nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glauben verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen - jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat - nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer für ihn als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten. Die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, muss der Asylbewerber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen (BVerwG, ebenda).

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Nach diesen Maßstäben ist der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

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Das Oberste Gericht der Russischen Föderation billigte am 20. April 2017 einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wurde beschlagnahmt (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8). Die Organisation von oder die Teilnahme an Aktivitäten der Zeugen Jehovas ist demgemäß nach Art. 282.2 des russischen Strafgesetzbuches strafbar („organization“ of or „participation in“ „the activity of a social or religious association or other organization in relation to which a court has adopted a decision legally in force on liquidation or ban on the activity in connection with the carrying out of extremist activity“). Es besteht daher zumindest ein Verbot des organisatorischen Zusammenhalts der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation und ihrer gemeinschaftlichen Religionsausübung. Dieser Eingriff in die Freiheit der Religionsausübung stellt seiner Intensität nach eine Verfolgung im Sinne von § 3, 3a AsylG dar, denn den Zeugen Jehovas wird verboten, ihren Glauben im privaten Bereich und unter sich zu bekennen und Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in privater Gemeinschaft mit ihren Glaubensgenossen zu halten (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Oktober 1988, 9 C 37/88, juris, Rn. 14 f.). Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen, die das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat, wird das Verbot der gemeinschaftlichen Religionsausübung tatsächlich durchgesetzt. Es gibt zahlreiche Berichte, wonach Zeugen Jehovas, die ihren Glauben aktiv ausüben, u.a. durch gemeinschaftliche Glaubensausübung im privaten Bereich, strafrechtlich verfolgt werden. Unabhängig von der rechtlichen Relevanz dieser Frage ist das Gericht auch davon überzeugt, dass es den Zeugen Jehovas nicht zugemutet werden kann, darauf zu vertrauen, dass im privaten Bereich abgehaltene Gottesdienste den russischen Behörden nicht bekannt werden würden. Denn es ist damit zu rechnen, dass die russischen Behörden auch von solchen Gottesdiensten Kenntnis erlangen werden. Zum einen ist davon auszugehen, dass die russischen Behörden aufgrund der bereits eingeleiteten, sich aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen ergebenden, Verfolgungsmaßnahmen bereits umfangreiche Kenntnisse über die Anhänger der Zeugen Jehovas in der Russischen Föderation haben. Zum anderen ist auch damit zu rechnen, dass Zeugen Jehovas, wenn sie privat Gottesdienste abhalten, von ihren Nachbarn denunziert werden. Denn nach einer Umfrage des Levada Center befürwortet ca. 80% der russischen Bevölkerung das Verbot der Zeugen Jehovas, wobei 51% der Bevölkerung das Verbot sogar entscheidend („decisively“) befürwortet (Radio Free Europe / Radio Liberty, Poll Shows Majority Of Russians Support Ban On Jehovah's Witnesses, 13. Juli 2017, https://www.rferl.org/a/russia-jehovahs-witnesses-poll-majority-favor-ban/28615047.html). Zudem kam es infolge des Verbots der Zeugen Jehovas bereits zu einer Vielzahl von Gewalttaten gegenüber Anhängern der Zeugen Jehovas (Brandstiftung, Gewaltandrohungen, Vandalismus) (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Russischen Föderation, 21. Mai 2018, S. 8).

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Das Verbot der (gemeinschaftlichen) Glaubensausübung würde sich für die Klägerin als Verzicht auf eine Form der Ausübung ihres Glaubens darstellen, die sie als für sich verpflichtend empfindet und die sie auch bisher praktiziert hat. Denn das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin überzeugte und aktive Zeugin Jehovas ist, für die die gemeinschaftliche Ausübung ihres Glaubens mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern zentraler Bestandteil ihres Glaubens ist.

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Das Gericht ist davon überzeugt, dass die Klägerin die Zeugen Jehovas im Jahr 2004 bei einem Besuch ihrer Tochter in Deutschland kennengelernt hat, sich im Jahr 2005 in Russland als Zeugin Jehovas hat taufen lassen, bis zu ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation im Oktober 2017 aktives Mitglied der Zeugen Jehovas gewesen ist und ihren Glauben auch im Bundesgebiet weiterhin praktiziert. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin ist für das Gericht glaubhaft gewesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung die Hintergründe und Motive ihrer Hinwendung zu den Zeugen Jehovas zur vollen Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen können. Die Klägerin machte auf den erkennenden Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung einen glaubwürdigen, ernsthaften und authentischen Eindruck. Ihre Antworten auf die Fragen des Gerichts waren stets spontan und ohne Zögern. An keiner Stelle drängte sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Klägerin in ihren Aussagen inhaltlich übertrieben hätte. Sie hat zur Überzeugung des Gerichts stets in jeder Hinsicht wahrheitsgemäß von tatsächlichen eigenen Überzeugungen und Erlebnissen berichtet. Die Klägerin erschien dem Gericht daher auch persönlich glaubwürdig. Bestärkt wurde dieser Eindruck zusätzlich durch den in der mündlichen Verhandlung unter Eid vernommenen Ältesten ihrer hamburgischen Glaubensgemeinde, den Zeugen [...]. Dieser hat für das Gericht glaubhaft bekundet, dass die Klägerin aktives Mitglied der hiesigen Gemeinde der Zeugen Jehovas ist und regelmäßig an den Gottesdiensten teilnimmt. Die Tatsache, dass der Zeuge [...] bereits vor seiner Vernehmung an der Verhandlung als Zuschauer teilgenommen hat, beeinträchtigt seine Glaubwürdigkeit bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zur Überzeugung des Gerichts nicht. Der Zeuge [...] hat sich insbesondere nicht darauf beschränkt, die Aussagen der Klägerin (wörtlich oder in eigenen Worten) zu wiederholen, sondern hat die Aussagen der Klägerin ergänzt, insbesondere in Bezug auf die Glaubensausübung der Klägerin im Bundesgebiet und die von der Klägerin im Jahr 2004 im Bundesgebiet angetroffenen Zeugen Jehovas. Der Zeuge [...] machte dabei einen authentischen und glaubhaften Eindruck.

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Im Übrigen spricht auch die Anwesenheit zahlreicher Anhänger der Zeugen Jehovas in der mündlichen Verhandlung dafür, dass die Klägerin tatsächlich praktizierende Zeugin Jehovas ist. Die von der Beklagtenvertreterin pauschal und nach Ansicht des Gerichts allein prozesstaktisch geäußerten Zweifel an der Zugehörigkeit der Zuschauer zu den Zeugen Jehovas vermag das Gericht nicht zu teilen. Die Zuschauer haben auf Frage des Gerichts zu erkennen gegeben, dass sie Anhänger der Zeugen Jehovas sind. Anlass, an deren Angaben zu zweifeln, besteht für das Gericht nicht.

28

Ferner spricht auch die Bescheinigung der Zeugen Jehovas in Deutschland, wonach die Klägerin seit 2005 Zeugin Jehovas ist, für die Richtigkeit der Angaben der Klägerin. Das Gericht sieht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Zeugen Jehovas ein Interesse daran haben könnten, eine Mitgliedsbescheinigung für eine Person auszustellen, die nicht ihr Mitglied ist.

29

Die von der Beklagtenvertreterin in der mündlichen Verhandlung getätigten Vorhalte in Bezug auf die persönliche Anhörung beim Bundesamt sind ebenfalls nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin zu beeinträchtigen. Soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht angegeben hat, die Zeugen Jehovas bei einem Besuch in Deutschland kennengelernt zu haben, so ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht danach gefragt worden ist, wo sie die Zeugen Jehovas kennengelernt hatte. Es lag nach Auffassung des Gerichts für die Klägerin auch nicht auf der Hand, dass sie sich hierzu hätte äußern sollen, da sie bereits seit etlichen Jahren Zeugin Jehovas ist und die Zeugen Jehovas erst vor kurzem in der Russischen Föderation verboten worden waren. Auch soweit die Klägerin gegenüber dem Bundesamt nicht von ihrer Missionstätigkeit erzählt hat, beeinträchtigt dies die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin nicht. Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen besteht die Gefahr einer Verfolgung der Zeugen Jehovas unabhängig davon, ob diese missionieren oder nicht, da bereits das Verbot der gemeinschaftlichen Glaubensausübung durchgesetzt und strafrechtlich verfolgt wird. Für die Klägerin war - dies ergibt sich für das Gericht aus dem Protokoll der persönlichen Anhörung deutlich- - bereits die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der bloßen Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. der gemeinsamen Glaubensausübung wesentlicher Grund für die Ausreise. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass die Klägerin in der belastenden Situation der persönlichen Anhörung ihre Missionstätigkeit nicht etwa deshalb nicht erwähnt hat, weil sie nicht stattgefunden hat. Dahinstehen kann, ob die Klägerin diesen Umstand in der Aufregung schlicht vergessen hat, etwa, weil sie aufgrund ihres Gesundheitszustands in den letzten Jahren weniger missioniert hat, oder ob sie dem Umstand der Missionstätigkeit neben ihrer Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas bzw. ihrer gemeinschaftlichen Glaubensausübung mit ihren Glaubensbrüdern und -schwestern keine weitere Bedeutung beigemessen hat.

30

Eine inländische Fluchtalternative besteht für die Klägerin schließlich nicht, da die Zeugen Jehovas russlandweit verboten worden sind.

2.

31

Aufgrund der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage auch insoweit begründet, als die Aufhebung der Nummern 3 bis 6 der angefochtenen Entscheidung begehrt wird. Denn die Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lässt die Feststellungen in den Nummern 3 bis 6 gegenstandslos werden.

III.

32

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 83b AsylG, §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Klagerücknahme in Bezug auf die Asylanerkennung bewertet das Gericht als geringfügiges Unterliegen im Sinne von § 155 Abs. 1 S. 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

(1) Dem Ausländer wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er

1.
in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d hat und
2.
sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

(2) Bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach Absatz 1 erfüllt, sind die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Artikel 4 der Richtlinie 2011/95/EU zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge oder des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, einzuholen.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.