Sozialgericht Nürnberg Beschluss, 13. Dez. 2017 - S 20 SO 138/17 ER

bei uns veröffentlicht am13.12.2017

Tenor

I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Für das Verfahren werden keine Gerichtskosten erhoben.

Gründe

Die Beteiligten streiten im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Mehrkosten für eine aufwendige Ernährung sowie um die Kostenübernahme für eine Bekleidungserstausstattung.

I.

1. Die 1957 geborene Antragstellerin (im Folgenden: „AS“) bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung und bezog vom Antragsgegner (im Folgenden: „AG“) laufende Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII). Infolge Wohnungsräumung stellte der AG ab dem 01.05.2015 die Leistungsgewährung ein, weil aus seiner Sicht die AS als vermisst gelte.

Am 30.06.2016 beantragte die AS nach Wohnungsnahme erneut beim AG die Gewährung laufender Leistungen der Grundsicherung.

Darüber hinaus beantragte die AS die Anerkennung eines Mehrbedarfs wegen krankheits- oder behinderungsbedingt aufwendigerer Ernährung infolge einer chronischen Hepatitis C. Entsprechende Unterlagen würden nachgereicht.

Ferner beantragte die AS eine komplette Wohnungs- und Haushaltsgegenstände sowie Bekleidungserstausstattung. Sie sei durch Straftat mittellos.

Nachdem die AS keine weiteren ärztlichen Unterlagen einreichte, bewilligte der AG mit Bescheid vom 30.08.2016 laufende Leistungen der Grundsicherung vom 01.06.2016 bis 30.06.2016 in Höhe von € 278,60 monatlich und vom 01.07.2016 bis 30.06.2017 in Höhe von € 267,99 monatlich. Die Berechnung erfolgte auf der Grundlage des Regelsatzes der Regelbedarfsstufe I zuzüglich der tatsächlichen Kosten der Unterkunft, abzüglich der Erwerbsminderungsrente.

Eine Entscheidung hinsichtlich eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwendiger Ernährung enthielt der Bescheid ebenso wenig wie über eine Bekleidungserstausstattung.

2. Hiergegen ließ die AS durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt mit Schreiben vom 26.09.2016, eingegangen am 28.09.2016, Widerspruch erheben. Der Widerspruch richtete sich gegen die Nichtbewilligung eines krankheitsbedingten Mehrbedarfs. Dieser sei deswegen beantragt worden, weil die AS HIVpositiv sei. Daher habe die AS einen erhöhten Bedarf an Hygieneartikeln; nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, 19.08.2010, Az.: B 14 AS 13/10 R) stehe ihr bei der vorliegenden Erkrankung ein Mehrbedarf zu. Auch sei nicht über den auf einem Sonderblatt beantragten Sonderbedarf entschieden worden.

Daraufhin forderte der AG ein ärztliches Attest sowie eine Kopie des Sonderbedarfsantrages, der nicht vorliege, bei der AS an.

Mit Schreiben vom 26.10.2016 und 25.10.2016 wies der Bevollmächtigte der AS nochmals darauf hin, dass die AS bereits bei Antragstellung darauf hingewiesen habe, dringend Kleidung zu benötigen, da ihr diese mit dem Räumungsverfahren abhanden gekommen sei.

Rein vorsorglich werde nochmals eine Ausstattung mit Winterbekleidung (Wintermantel, Winterschuhe, Hosen, Pullover, warme Unterwäsche sowie Schal und Handschuhe) beantragt. Die AS verfüge nur über wenige Kleidungsstücke, wobei es sich ausschließlich um Sommerbekleidung handele.

Beigefügt war ein Laborbericht des Dr. H., W., vom 29.04.2016, aus dem hervorgeht: „HCV-RNA quant. 595470 IU/ml“. Dies bestätige Hepatitis C und HIV positiv. Eingereicht wurde ferner ein ärztliches Attest des Dr. R.N., A-Stadt, vom 10.10.2016, wonach die AS wegen anamnestischer Nahrungsmittelunverträglichkeiten eine Ernährung benötige, die keine unverträglichen Substanzen beinhalte. Die Ersatzprodukte seien in der Regel teurer als die herkömmlichen Nahrungsmittel.

Mit weiterem Bescheid vom 09.11.2016 lehnte der AG die Gewährung von Winterbekleidung ab, weil es sich nicht um eine Erstausstattung handele. Vielmehr müsse der Hilfeempfänger aus dem Regelbedarf seine Bekleidung, z.B. durch Bildung von Rücklagen, beschaffen. Das Räumungsverfahren sei keine kurzfristige Angelegenheit gewesen.

Zugleich übersandte der AG der AS einen Vordruck für eine ärztliche Bestätigung für die kostenaufwendige Ernährung sowie der HIV-Erkrankung, die vom behandelnden Arzt auszufüllen sei. Daraufhin teilte der Bevollmächtigte der AS unter dem 16.11.2016 mit, dass die AS nicht HIV positiv sei. Die entsprechende Angabe durch ihn sei versehentlich erfolgt.

Mit Schreiben vom 22.11.2016, eingegangen am 29.11.2016, erhob die AS gegen den Ablehnungsbescheid vom 09.11.2016 Widerspruch. Der Bescheid könne keinen Bestand haben, er beruhe auf massiven Verletzungen der Rechtsstaatlichkeit. Die Sachbearbeiterin handele in Mittäterschaft bei Urkundenfälschung im Amt, Betrug, Veruntreuung, Aussetzung von Schutzbefohlenen u.a.

Der Bedarf sei durch das Räumungsverfahren unter massiver Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die beteiligten Anwälte und dem Richter entstanden. Eine diesbezügliche Rechtsbeschwerde sei beim Bundesgerichtshof (Beschluss 13.05.2015; Az.: XII ZB 491/14) anhängig gewesen und habe ergeben: „Das Unterbleiben einer gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe (…).“ Beigeschlossen war ein entsprechendes Beschlussfragment.

Auch habe ihr früherer Rechtsanwalt in früheren Verfahren mit dem AG ohne Vertretungsmacht gehandelt; die damalige Sachbearbeiterin sei Mittäterin.

Auch hätte sie nicht als vermisst gemeldet, insbesondere nicht abgemeldet, werden dürfen. Durch die Räumung seien ihr alle Unterlagen, Hausrat abhanden gekommen.

Infolge einer Regelsatzerhöhung berechnete der AG mit Bescheid vom 21.12.2016 die laufenden Grundsicherungsleistungen ab dem 01.01.2017 bis 30.06.2017 neu in Höhe von € 272,99 monatlich.

Hiergegen erhob der Bevollmächtigte der AS am 23.01.2017 Widerspruch, wiederum mit der Begründung, dass kein Mehrbedarf wegen chronischer Hepatitis C gewährt worden sei. Beigefügt war zudem der aktuelle Rentenbescheid.

Mit weiterem Bescheid vom 27.01.2017 änderte der AG den Bescheid vom 21.12.2016 ab und gewährte wegen veränderter Rentenhöhe im gleichen Bewilligungszeitraum € 273,57 monatlich.

Zudem bat der AG am 23.01.2017 um Übersendung einer ärztlichen Bestätigung der Hepatitis C und erinnerte an die Einreichung des Vordrucks für die Bestätigung der kostenaufwendigen Ernährung. Die bislang vorliegenden Unterlagen seien nicht ausreichend.

Nachdem kein weiterer Eingang zu verzeichnen war, legte der AG die Widersprüche der Regierung von M. zur Entscheidung vor.

Zudem forderte er im Hinblick zur Weitergewährung der laufenden Leistungen über den 30.06.2017 hinaus bei der AS einen Überprüfungsbogen an.

Am 05.07.2017 ging beim AG der Weitergewährungsantrag nebst Überprüfungsbogen ein. Beigeschlossen war eine Sitzungsniederschrift vor dem Sozialgericht Nürnberg vom 14.06.2006 (Az.: S 13 AS 127/05), in dem im Rahmen eines widerruflichen Vergleichs aufgeführt ist, dass „die Beklagte einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung in Höhe von € 66,47“ bewillige.

Mit Bescheid vom 07.07.2017 bewilligte der AG vom 01.07.2017 bis 30.06.2018 weiter laufende Leistungen der Grundsicherung in Höhe von monatlich € 268,61 ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs.

Auch hiergegen wandte sich die AS mit Widerspruch am 21.07.2017 unter Hinweis auf die höheren Leistungen im Bescheid vom 27.01.2017; an ihrer wirtschaftlichen Lage habe sich nichts geändert.

Zudem moniert sie erneut die fehlende Anerkennung eines Mehrbedarfs sowie des Sonderbedarfs Bekleidung etc.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2017 wies die Regierung von M. die Widersprüche der AS gegen die Bescheide vom 30.08.2016 und vom 21.12.2016 wegen Nichtberücksichtigung eines Mehrbedarfs und gegen den Bescheid vom 09.11.2016 wegen Ablehnung der Kostenübernahme für eine Bekleidungserstausstattung zurück.

So sei die Ablehnung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII rechtmäßig gewesen. Voraussetzung sei, dass der akute Mehrbedarf tatsächlich vorhanden ist. Aus den vorgelegten Attesten gehe dies nicht nachprüfbar hervor. Die von der AS angeforderten ärztlichen Bescheinigungen lägen nicht vor, eine Entscheidung habe daher noch nicht getroffen werden können.

Auch die Ablehnung einer Erstausstattung von (Winter-) Bekleidung im Sinne des § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII sei rechtens: Bereits aus dem Begriff „Erstausstattung“ sei zu entnehmen, dass es sich um eine grundlegend neue Lebenssituation handeln müsse, so dass so gut wie keine Ausstattung für die jetzige Bedarfssituation vorhanden sein dürfe. Unter Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.03.2008 (Az.: L 20 B 16/08 SO ER) könne hierfür kein länger zurückliegendes Ereignis herangezogen werden (dort etwas über 16 Monate). Vielmehr sei Kleidungsbedarf aus Ansparung der laufenden Leistungen zu decken.

3. Mit Schriftsatz vom 07.09.2017 hat die AS fristwahrend zum Sozialgericht Nürnberg Klage (Az.: S 20 SO 139/17) gegen den „Bescheid vom 08.08.2017 der Regierung von M.“ erhoben und zugleich in der Angelegenheit vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zudem kündigte die AS jeweils eine ausführliche Begründung an.

Nach gerichtlichem Hinweis auf die fehlende Passivlegitimation der Regierung bzw. des Freistaats stellte die AS mit Schriftsatz vom 27.09.2017 klar, dass sich beide Verfahren gegen den AG richten würden.

Das Gericht änderte das Passivrubrum entsprechend ab und teilte dies der Regierung sowie den Beteiligten am 05.10.2017 mit.

Mit Schriftsatz vom 12.10.2017 beantragte die AS Fristverlängerung für die Antragsbegründung, teilte am 21.10.2017 ihren Umzug mit beantragte erneute Fristverlängerung bis 07.11.2017, die antragsgemäß gewährt wurde.

Unter Beifügung einer AU-Bescheinigung des Dr. R.N. vom 07.11.2017 über Arbeitsunfähigkeit der AS vom 06.11. bis 17.11.2017 beantragte die AS mit Schriftsatz vom 08.11.2017 Fristverlängerung bis 17.11.2017.

Auch diese gewährte das Gericht, allerdings mit dem Hinweis, dass es sich um eine letztmalige Fristverlängerung handele, zumal aus der AU-Bescheinigung nicht ersichtlich sei, weswegen die Erkrankung einer Vorlage der Antragsbegründung entgegenstehe. Für den Fall des erneuten fruchtlosen Fristablaufes kündigte das Gericht eine Entscheidung nach Aktenlage an.

Mit Schriftsatz vom 17.11.2017, eingegangen am 20.11.2017, teilte die AS unter Hinweis auf ein entsprechendes ärztliches Attest des Dr. R.N. vom 16.11.2017 mit, dass sie krankheitsbedingt bis 26.11.2017 keine amtlichen Termine wahrnehmen könne.

Bis zum heutigen Entscheidungsdatum ist kein weiterer Eingang seitens der AS bei Gericht zu verzeichnen.

Die Antragstellerin beantragt daher (sinngemäß), den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ab dem 01.06.2016 laufend einen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung und wegen Hepatitis C zu bewilligen sowie einmalig eine Bekleidungserstausstattung.

Der Antragsgegner beantragt (sinngemäß), den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Zur Begründung hat der AG auf die angefochtenen Bescheide verwiesen.

Das Gericht hat die Akten des AG sowie die Klageakte beigezogen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten und die gesamte Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt, weil kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht worden ist.

Im Einzelnen:

Nach § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des Abs. 1 nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des AS vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte („Sicherungsanordnung“). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint („Regelungsanordnung“).

Voraussetzung ist in jedem Falle nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Zivilprozessordnung (ZPO) das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (1.) und eines Anordnungsanspruches (2.).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System: Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund und umgekehrt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage, § 86 b, RdNr. 27).

Handelt es sich um existenzsichernde Leistungen, die in Frage stehen, dürfen die Anforderungen an das Vorliegen eines Anordnungsgrundes und -anspruches nicht überspitzt werden. Gegebenenfalls ist anhand einer Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des AS zu entscheiden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Aktenzeichen: 1 BvR 569/05).

Gänzlich entfallen darf jedoch weder Anordnungsanspruch noch Anordnungsgrund. Beide sind nach § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 ZPO glaubhaft zu machen.

1. Bei der hier in Betracht kommenden Regelungsanordnung ist der Anordnungsgrund („Eilbedürftigkeit“) die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile. Vermieden werden soll, dass der AS vor vollendete Tatsachen gestellt wird, bevor er wirksamen Rechtsschutz erlangen kann.

Da es sich bei den von der AS begehrten Leistungen um solcher existenzsichernder Art geht, ist in aller Regel, und so auch vorliegend, grundsätzlich das Vorliegen eines Anordnungsgrundes zu bejahen.

Zwar bestehen gewisse Zweifel hinsichtlich der Eilbedürftigkeit, weil die AS ausdrücklich sich „gegen den Widerspruchsbescheid vom 08.08.2017“ wendet und damit an sich Leistungen für die Vergangenheit (Bewilligungszeitraum vom 01.06.2016 bis 30.06.2017). An sich gilt der Grundsatz, dass in aller Regel eine einstweilige Anordnung für vergangene Zeiträume nicht geboten ist, sondern in der Regel nur ab Stellung des Eilantrages bei Gericht.

Unterstellt man jedoch, dass ein Mehrbedarf und ein Bekleidungserstausstattungsbedarf in der Vergangenheit rechtswidrig abgelehnt worden wäre, so könnte gleichwohl auch wegen vergangener Leistungszeiträume ein konkreter und aktueller Nachholbedarf gegeben gewesen sein.

Daher geht das Gericht im Zweifel zugunsten der AS vorliegend von bestehender Eilbedürftigkeit aus.

2. Es ist jedoch kein Anordnungsanspruch für eine Regelungsanordnung gegeben.

Ein Anordnungsanspruch ist dann gegeben, wenn dem AS ein materielles Recht zusteht, auf das sich sein Eilantrag bezieht. Ist sein Begehren offensichtlich unbegründet oder unzulässig, ist ein schützenswertes Recht nicht vorhanden, ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Ist sein Begehren offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund.

Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine umfassende Güterabwägung erforderlich im Hinblick auf die Folgen, ebenso bei existenzsichernden Leistungen.

Vorliegend ist festzustellen, dass die AS das Vorliegen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die von ihr beantragten Leistungen nicht glaubhaft gemacht hat.

a) Zum einen hat die AS nicht glaubhaft gemacht, dass sie einen krankheits- oder behinderungsbedingten Mehrbedarf hat.

Nach § 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII umfassen die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch Mehrbedarfe entsprechend § 30 SGB XII. Der Ernährungsbedarf wird in der Regel durch den Regelsatz gedeckt.

Gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII ist Kranken, Genesenden, behinderten Menschen oder Menschen, die von Krankheit oder Behinderung bedroht sind, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe zu gewähren, wenn sie deswegen einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen.

Hierbei gilt, wie in der gesamten Sozialhilfe der Grundsatz, dass der mutmaßlich Leistungsberechtigte seinen Bedarf nachzuweisen, oder in einem gerichtlichen Eilverfahren zumindest glaubhaft zu machen hat. Zweifel oder Nichterweislichkeit der Bedarfslage gehen zu seinen Lasten.

Hierbei kommt es entscheidend darauf an, dass ein aktueller Bedarf nachvollziehbar und überprüfbar nachgewiesen wird.

Die von der AS vorgelegten Unterlagen sind hierzu nicht ausreichend; im Einzelnen:

Das ärztliche Attest des Dr. R.N. vom 10.10.2016 bestätigt eine „anamnestische Nahrungsmittelunverträglichkeit“ und verweist darauf, dass Ausweichlebensmittel in der Regel teurer seien.

Dies ist viel zu allgemein. Vielmehr ist zu einer Nachvollziehbarkeit eine Diagnosestellung zu fordern, einschließlich Auflistung der jeweiligen Unverträglichkeiten und der Lebensmittel, auf die als Ersatz auszuweichen ist. Streng genommen enthält das Attest nicht einmal eine durch Untersuchung gesicherte Diagnose, sondern bescheinigt lediglich eine anamnestische Nahrungsmittelunverträglichkeit, also lediglich, dass die AS eine Nahrungsmittelunverträglichkeit dem bescheinigenden Arzt gegenüber selbst angegeben hat, ohne dass dieser die Angaben überprüft und nachvollziehbar selbst diagnostiziert hätte.

Ein ärztlicher Nachweis einer chronischen Hepatitis C fehlt gänzlich.

Auch der Hinweis der AS auf den (widerruflichen) Vergleich vor dem Sozialgericht Nürnberg (Az.: S 13 AS 127/05) aus dem Jahre 2006, wonach der AS ein Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung bewilligt werden soll, ist völlig unbehelflich, und zwar aus folgenden Gründen: Einerseits ist seither eine zu große Zeitspanne verstrichen, um hieraus einen auch heute konkreten und aktuellen Mehrbedarf ableiten zu können. Andererseits handelt es sich um einen Vergleich, dessen Grundlagen nicht erkennbar sind, insbesondere welche Umstände dem Mehrbedarf zugrunde liegen. Zudem besagt die Tatsache, dass ein Vergleich geschlossen wurde, streng genommen nichts darüber aus, ob tatsächlich der AS materiell-rechtlich ein solcher Mehrbedarf zugestanden hätte, also im Falle einer streitigen Entscheidung auch zugesprochen wäre.

Nach der Aktenlage ergeben sich keine ausreichenden Anhaltspunkte für den geltend gemachten Mehrbedarf.

Im Übrigen ist es dem Gericht völlig unverständlich, dass die AS trotz entsprechender Hinweise und Aufforderungen des AG keine (nachvollziehbaren) ärztlichen Bestätigungen für die behauptete Hepatitis C und eine kostenaufwendige Ernährung vorgelegt hat. Dies gilt auch im Hinblick auf das Antragsverfahren und das Klageverfahren aus Sicht des Gerichtes umso mehr, als die AS offenbar sowohl am 07.11.2017 (zur Erlangung einer AU-Bescheinigung), als auch am 16.11.2017 (zur Erlangung eines ärztlichen Attests) Dr. N. aufgesucht hat. Hierbei wäre es ihr ein Leichtes gewesen, von dort auch sich die Hepatitis C nebst Auswirkungen auf den Bedarf und ein nachvollziehbares ärztliches Attest hinsichtlich der Notwendigkeit einer krankheitsbedingt kostenaufwendigen Ernährung ausstellen zu lassen.

Weder der AG noch das Gericht könnten sich diese Informationen anderweitig beschaffen.

Der fehlende Nachweis bzw. die fehlende Glaubhaftmachung des entsprechenden Bedarfs geht aber zu Lasten der AS, so dass ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist.

b) Ähnliches gilt für den geltend gemachten einmaligen Sonderbedarf hinsichtlich Kleidung.

§ 31 SGB XII lautet:

(1) Leistungen zur Deckung von Bedarfen für

  • 1.Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten,

  • 2.Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie

  • 3.Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten werden gesondert erbracht.

(2) Einer Person, die Sozialhilfe beansprucht (nachfragende Person), werden, auch wenn keine Regelsätze zu gewähren sind, für einmalige Bedarfe nach Absatz 1 Leistungen erbracht, wenn sie diese nicht aus eigenen Kräften und Mitteln vollständig decken kann. In diesem Falle kann das Einkommen berücksichtigt werden, das sie innerhalb eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwerben, in dem über die Leistung entschieden worden ist.

(3) Die Leistungen nach Absatz 1 Nr. 1 und 2 können als Pauschalbeträge erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.

In diesem Zusammenhang verweist das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen auf die insoweit zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 08.08.2017 und gestattet sich noch folgende ergänzende Hinweise:

Ungeachtet des im Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeführten Grundsatzes bei einer Erstausstattung, wonach diese an sich Bedarfe darstellt, die aus dem Regelsatz anzusparen, und somit an sich nur bei Konstellationen gesondert zu decken sind, wenn keine Ansparung möglich gewesen ist und deswegen wenig vorhanden ist oder bei anderen, unvorhersehbaren, plötzlichen Bedarfslagen, könnte auch im Falle der AS eine Situation gegeben sein, die eine Erstausstattung rechtfertigt.

Wenn die AS tatsächlich infolge der Zwangsräumung im Herbst 2014 all ihre bewegliche Habe verloren haben sollte und erst nach Leistungseinstellung zum Mai 2015 ab Juni 2016 wieder erneut Leistungen bezogen hat, so wäre grundsätzlich vorstellbar, dass ihr eine Ansparung aus der laufenden Leistung nicht oder nur unzureichend möglich gewesen wäre, mit der Folge, dass ein Anspruch auf eine vollständige oder zumindest teilweise Erstausstattung gegeben sein könnte.

Voraussetzung wäre in diesem Zusammenhang aber, dass die AS nachvollziehbar und nachprüfbar darlegt, dass und wie sie ihr bewegliches Vermögen infolge der Räumung verloren hat, dass sie zudem eine nachprüfbare Aufstellung der bei ihr noch oder wieder vorhandenen Habe einreicht und deren Überprüfung gestattet und darüber hinaus darlegt, wovon und wo sie in der Zeit von Mai 2015 bis Juni 2016 gelebt hat und warum es ihr ab Juni 2016 aus dem ab diesem Zeitpunkt bewilligten Regelsatz nicht oder in nicht ausreichendem Umfang möglich gewesen ist, entsprechende Ansparungen für z.B. Anschaffung von Bekleidung zu tätigen.

Es ist, kurz gesagt, von der AS zu fordern, dass sie auch hinsichtlich einmaliger Bedarfe, die sie geltend macht, nachvollziehbar den Bedarf darzulegen.

Daran fehlt es vorliegend. Insbesondere ist dem AG und der Widerspruchsbehörde dahingehend beizupflichten, dass die schlichte Behauptung der AS, im Rahmen einer Wohnungszwangsräumung im Herbst 2014 alles bewegliche Vermögen verloren zu haben, nicht ausreichend ist. Dieser Sachvortrag wäre mittels geeigneter Beweismittel zu untermauern, ebenso der aktuelle Bedarf in der oben dargestellten Weise.

Auch hinsichtlich der einmaligen Bedarfe geht der fehlende Bedürftigkeitsnachweis bzw. im vorliegenden Eilverfahren die fehlende Glaubhaftmachung zu Lasten der AS.

3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer grundrechtsorientierten Folgenabwägung.

Bei existenzsichernden Leistungen ist im Zweifel eine Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange der Antragsteller durchzuführen. Artikel 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) stellt besondere Anforderungen an die Ausgestaltung des Eilverfahrens, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, Aktenzeichen: 1 BvR 569/05).

Im Raume stehen hier einerseits die fiskalischen Interessen der AG, nicht zu Unrecht Leistungen auszahlen zu müssen. Auf der Seite der AS andererseits dessen sich bereits aus Art. 1 GG ergebendes Recht auf ein menschenwürdiges Dasein.

Es ist aber nicht ersichtlich, dass für die AS existentielle Nachteile damit verbunden wären, wenn das Gericht nicht die von ihr begehrte einstweilige Anordnung erlässt:

Insbesondere ist nach Aktenlage nicht ersichtlich, dass für sie bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache unzumutbare, nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen würden. Ausgangspunkt ist hierbei, dass nach Aktenlage kein vernünftiger Anhaltspunkt gegeben ist für einen Mehrbedarf oder einmalige Bedarfe, wie ihn die AS geltend macht.

Insbesondere fällt aber hierbei auch ins Gewicht, dass es die AS selbst zu verantworten hat, dass aufgrund ihrer fehlenden Mitwirkung hinsichtlich des Nachweises der geltend gemachten Bedarfe nach wie vor im Zusammenhang mit der Leistungsgewährung tatsächlicher Klärungsbedarf besteht. Dieser würde auch für das Gericht bestehen.

Im Grunde könnte die AS durch entsprechende Vorsprache und/oder Vorlage von weiteren Nachweisen, Aufstellungen und nachvollziehbaren ärztlichen Attesten den bislang fehlenden Nachweis für die geltend gemachten Bedarfe erbringen.

In diesem Zusammenhang hat sie jedoch bislang keinerlei substantiellen Vortrag gemacht und diesen hinreichend untermauert, wofür zur Überzeugung des Gerichts keine nachvollziehbaren Hindernisse bestehen.

Die objektive Beweislast für das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen trifft die AS. Die bislang nicht erfolgte Klärung ist in erster Linie auf das Verhalten der AS zurückzuführen. Zudem ist die AS ja nicht mittellos, da sie neben ihrer Rente laufend aufstockende Grundsicherungsleistungen erhält und damit dringend notwendige Bedarfe einstweilen selbst decken könnte, selbst wenn der an sich zustehende Bedarf bis zu dessen Nachweis, der einzig von der AS selbst zu erbringen ist, dann nicht ganz abgedeckt ist. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auch im Rahmen einer Darlehensrückführung dies vom Regelbedarf in gewissen Grenzen abgezogen werden kann.

Vor diesem Hintergrund erscheint es der AS zumutbar, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

Bei Abwägung aller Umstände sind daher aber keine unzumutbaren, existenzgefährdenden Folgen im konkreten Falle der AS zu erwarten, wenn das Gericht nicht eine einstweilige Anordnung im Sinne der AS trifft.

Nach allem ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz daher insgesamt durch Beschluss nach § 86 b Abs. 4 SGG abzulehnen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 193, 183 SGG und § 64 SGB X.

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Der Beigeladene hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Erstattung der Kosten für den bei ihm anfallenden Mehrbedarf für Hygiene.

2

Der im Jahre 1968 geborene Kläger ist an HIV erkrankt. Er bezieht neben einer privaten Berufsunfähigkeitsrente vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Durch Bescheid vom 2.11.2007 bzw Änderungsbescheid vom 8.11.2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger für den Zeitraum von November 2007 bis April 2008 Leistungen in Höhe von monatlich 172,66 Euro. Der Kläger begehrte mit seinem Widerspruch zusätzliche Leistungen wegen vermehrter Aufwendungen für Hygiene im Zusammenhang mit seiner HIV-Erkrankung. Der Beklagte lehnte dies mit Widerspruchsbescheid vom 28.12.2007 ab.

3

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Berlin erhoben. Er hat eine Stellungnahme der Aidshilfe eingereicht, woraus der typische, nicht durch die Regelleistung abgedeckte Bedarf von HIV-Infizierten ersichtlich werde. Er leide krankheitsbedingt an verstärkter Schweißbildung, müsse sich häufiger duschen, mindestens zweimal täglich die Wäsche und alle ein bis zwei Tage die Bettwäsche wechseln. Zudem habe er einen vermehrten Bedarf an Toilettenpapier und müsse Medikamente einnehmen, die er bis zur Zuzahlungsgrenze selbst bezahlen müsse. Der Kläger hatte diesen Mehrbedarf zunächst mit 20,45 Euro monatlich beziffert.

4

Das SG hat das Land Berlin als Träger der Sozialhilfe beigeladen und durch Urteil vom 10.11.2009 den Beigeladenen verurteilt, dem Kläger in der Zeit vom 1.11.2007 bis 30.4.2008 dem Grunde nach einen Mehraufwand für Hygienebedarf zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage im Hauptantrag gegen den Grundsicherungsträger sei unbegründet. Das SGB II sehe eine Berücksichtigung von krankheitsbedingten Mehraufwendungen gesetzlich nicht vor. Nach § 21 SGB II seien nur die Leistungen für Mehrbedarfe zu gewähren, die dort ausdrücklich normiert worden seien. Auch eine Zuerkennung des geltend gemachten Hygienebedarfs als unabweisbarer Bedarf nach § 23 Abs 1 SGB II komme nicht in Betracht. Jedoch sei der Hilfsantrag zulässig und begründet. Nach § 75 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) könne der Beigeladene als Träger der Sozialhilfe verurteilt werden. Dass der Kläger ein weiteres Klageverfahren direkt gegen den Beigeladenen führe, stünde einer Verurteilung nicht entgegen. Der Anspruch folge aus § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII). Der Rückgriff auf das SGB XII sei hier nicht gemäß § 5 Abs 2 SGB II und § 21 SGB XII ausgeschlossen. § 73 SGB XII ermögliche als Auffangklausel in sonstigen Lebenslagen den Einsatz von Sozialhilfemitteln. Auf diese Norm könne dann zurückgegriffen werden, wenn das SGB II einen strukturellen Mangel aufweise, weil es einen bestimmten Bedarfstypus nicht regele. So verhalte es sich im vorliegenden Fall. Aus den eingereichten Attesten werde ersichtlich, dass der Kläger an den Folgen einer fortgeschrittenen, chronischen HIV-Infektion leide. Es bestünden erhebliche chronische gastrointestinale Beschwerden wie rezidivierender Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, die auch einen dauerhaft erhöhten Hygienebedarf und einen Mehraufwand an Hygienemitteln bedingten. Infolge der Chronizität der Beschwerden des Klägers handele es sich um einen dauerhaft erhöhten Bedarf von nicht lediglich untergeordneter Bedeutung. Der Kläger sei nicht in der Lage, durch Umschichtung der mit der Regelleistung pauschal abgegoltenen Bedarfe die notwendigen Aufwendungen zu bestreiten, ohne dauerhaft eine wesentliche Unterdeckung in anderen Bereichen in Kauf nehmen zu müssen. Die Erkrankung bedinge mithin dauerhaft eine Bedarfslage, die sich von der Bedarfslage anderer erwerbsfähiger Hilfebedürftiger im Normalfall deutlich unterscheide. Soweit § 73 SGB XII dem Sozialhilfeträger Ermessen einräume, sei dieses hier auf die Verpflichtung zur Leistungserbringung reduziert. Nicht zu entscheiden sei, nach entsprechender Klarstellung des Klagebegehrens, in welcher Höhe der Bedarf zuzuerkennen sei. Für die Verurteilung des Beigeladenen reiche es aus, wenn feststehe, dass der Höhe nach überhaupt irgend ein Geldbetrag zu zahlen sei.

5

Hiergegen wendet sich der Beigeladene mit seiner vom SG durch Beschluss vom 23.12.2009 zugelassenen Sprungrevision. Er rügt eine Verletzung der §§ 21 und 73 SGB XII. Die Annahme des SG, bei Vorliegen eines strukturellen Mangels im SGB II könne auf § 73 SGB XII zurückgegriffen werden, sei vom Gesetz nicht gedeckt. Wenn das SGB II strukturelle Mängel aufweisen sollte, dann müssten diese vom Gesetzgeber selbst im Rahmen des SGB II beseitigt werden. Nach dem SGB II werde die Regelleistung als Pauschale gewährt, mit der alle Bedarfstatbestände des täglichen Lebens abgegolten seien. Es fehle im SGB II an einer gesetzlichen Möglichkeit, die Regelleistung an einen bestimmten besonderen Bedarf anzupassen. Für die Gewährung einer Leistung nach § 73 SGB XII sei darüber hinaus zwingend erforderlich, dass eine sonstige Lebenslage, also eine besondere, atypische Bedarfslage vorliege, was etwa der Fall bei neuen, dem Gesetzgeber so bisher überhaupt nicht bekannten Lebens- und Bedarfslagen wäre. Der Kläger zähle hingegen Symptome einer Erkrankung auf, unter denen eine Vielzahl oder sogar jeder HIV-Infizierte/Aidskranke mehr oder weniger leide. Wäre der Kläger leistungsberechtigt nach dem SGB XII, so hätte darüber hinaus auch geprüft werden müssen, ob eine abweichende Bedarfsfeststellung nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in Betracht käme. Hierzu hätte der Kläger im Einzelnen nachweisen müssen, dass er im konkreten Fall einen höheren Bedarf habe. Schließlich stünden Leistungen nach § 73 SGB XII ausdrücklich im Ermessen des Beigeladenen. Die Entscheidung des SG, dass das Ermessen hier "auf Null" reduziert sei, sei inhaltlich nicht nachvollziehbar begründet worden.

6

Der Beigeladene beantragt,
das Urteil des SG Berlin vom 10. November 2009 zu ändern und die Klage auch gegen den Beigeladenen abzuweisen.

7

Der Kläger beantragt,
die Revision des Beigeladenen zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Beklagten unter Abänderung des Urteils des SG Berlin und des Bescheids vom 2. November 2007 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 8. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Dezember 2007 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. November 2007 bis 30. April 2008 dem Grunde nach einen Mehrbedarf für Hygieneaufwendungen zu gewähren.

8

Der Kläger trägt vor, er lege ausdrücklich Anschlussrevision ein, weil die Verurteilung des beigeladenen Trägers der Sozialhilfe gemäß § 75 Abs 2 und Abs 5 SGG nur subsidiär gegenüber einer Verurteilung des Beklagten sei. Sie komme nur dann in Betracht, wenn die vorrangig zu prüfende Klage gegen den Beklagten keinen Erfolg habe. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09) stehe nunmehr aber fest, dass es einen verfassungsrechtlichen Anspruch direkt gegen den Beklagten bei unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfen gebe. Der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) habe am 18.2.2010 in dem Verfahren B 4 AS 29/09 R entschieden, dass der vom BVerfG nunmehr anerkannte Anspruch aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 Grundgesetz (GG) zur Deckung eines solchen wiederkehrenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarfs auch in einem laufenden und noch nicht abgeschlossenen Verfahren, dh auch für die Vergangenheit, zu berücksichtigen sei. Deshalb sei auch im vorliegenden Fall vorrangig der Beklagte zu verurteilen.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Beigeladenen und die Anschlussrevision
des Klägers zurückzuweisen.

10

Das BVerfG habe in einem Beschluss vom 24.3.2010 (1 BvR 395/09) klargestellt, dass die Härtefallregelung nicht für Zeiten vor der Entscheidung des Ersten Senats des BVerfG vom 9.2.2010 gelten solle. Mithin fehle es im vorliegenden Verfahren für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1.11.2007 bis 30.4.2008 an einer Anspruchsgrundlage iS des § 31 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), um ihn - den Beklagten - verurteilen zu können.

Entscheidungsgründe

11

Die im Übrigen statthafte und zulässige Sprungrevision des Beigeladenen (§ 161 SGG) ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Beigeladenen dem Grunde nach verurteilt, dem Kläger den aus seiner Aidserkrankung resultierenden Mehrbedarf für Hygiene gemäß § 73 SGB XII zu gewähren(hierzu unter 2.). Eine Verurteilung des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende gemäß § 6 SGB II kam nicht in Betracht, weil es zum streitgegenständlichen Zeitpunkt keine Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers im SGB II gab (1.). Hieran hat sich auch durch das Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 - SGb 2010, 227) nichts geändert, weshalb auch die Anschlussrevision des Klägers zurückzuweisen war (3.).

12

Streitgegenstand ist ein Anspruch auf Hygienemehrbedarf für den Zeitraum vom 1.11.2007 bis 30.4.2008. Der Beigeladene konnte hier gemäß § 75 Abs 5 SGG in der ab 1.8.2006 (idF des sog Fortentwicklungsgesetzes vom 20.7.2006, BGBl I 1706) geltenden Fassung verurteilt werden (zur Verurteilung des Sozialhilfeträgers bereits vor Änderung des § 75 Abs 5 SGG vgl BSGE 97, 242 = SozR 4-2200 § 20 Nr 1). Dass der Kläger einen weiteren Rechtsstreit gegen den hier Beigeladenen führt, in dem er dessen (direkte) Verurteilung zur Tragung des Hygienebedarfs auf Grundlage der Vorschriften des Fünften Kapitels des SGB XII fordert (S 47 SO 985/08), steht dem nicht entgegen. Dieser Rechtsstreit berührt die Zulässigkeit der Verurteilung des Beigeladenen nicht, zumal die Klage gegen den Beigeladenen in dem gesonderten Rechtsstreit S 47 SO 945/08 später beim SG eingegangen ist. Entgegen der Rechtsansicht des SG könnte die Klage in jenem Rechtsstreit aber wegen anderweitiger Rechtshängigkeit im Hinblick auf das vorliegende Verfahren unzulässig sein (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 94 RdNr 7c).

13

1. Zu Recht hat das SG die Klage gegen den beklagten Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende abgewiesen, weil es für den vom Kläger geltend gemachten Mehrbedarf für Hygieneartikel im streitigen Zeitraum im SGB II keine Rechtsgrundlage gab.

14

Der 7b. Senat des BSG hat im Einzelnen in seinem Urteil vom 7.11.2006 begründet (BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1; vgl auch das Urteil des erkennenden Senats vom 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R - Schülermonatskarte - SozR 4-4200 § 7 Nr 15), dass die Regelungen des SGB II keine Erhöhung der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts über die gesetzliche Pauschale hinaus zulassen. Die Gewährung eines Mehr- oder Sonderbedarfs im SGB II ist nur in den ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen möglich. Weder § 21 SGB II in der zum streitigen Zeitpunkt geltenden Fassung noch § 23 Abs 1 SGB II stellten eine Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers dar. Letzteres folgt schon daraus, dass es sich bei dem vom Kläger geltend gemachten Hygienebedarf um einen wiederkehrenden Bedarf handelt, der nur schwer einer darlehensweisen Gewährung zugänglich ist. Insoweit hat der Senat später klargestellt, dass für fortlaufende bzw wiederkehrende Bedarfe § 23 Abs 1 SGB II mit der Möglichkeit einer Darlehensgewährung ausscheidet(vgl zuletzt Urteil vom 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R - RdNr 27).

15

2. Zu Recht hat das SG weiterhin entschieden, dass dem Kläger gegen den Beigeladenen ein Anspruch aus § 73 SGB XII zusteht. Hiernach können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Der 7b. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 7.11.2006 (aaO; vgl auch Urteil des Senats vom 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R - Schülermonatskarte - aaO) im Einzelnen dargelegt, wann ein solcher - ausnahmsweiser - Rückgriff auf § 73 SGB XII möglich ist(vgl aaO RdNr 22 ff; kritisch hierzu allerdings etwa Münder, NZS 2008, 617).

16

a) Erforderlich ist zunächst, dass eine sog atypische Bedarfslage vorliegt, weshalb etwa ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für Schulbücher über § 73 SGB XII ausscheidet, weil es sich hier um einen typischen, innerhalb des SGB II zu befriedigenden Bedarf handelt(vgl Urteil des Senats vom 19.8.2010 - B 14 AS 47/09 R). Durch das Abstellen auf eine sog atypische Bedarfslage soll verhindert werden, dass die Norm zu einer allgemeinen Auffangregelung für Leistungsempfänger des SGB II mutiert.

17

Voraussetzung eines Anspruchs nach § 73 SGB XII ist mithin eine besondere Bedarfslage, die eine gewisse Nähe zu den speziell in den §§ 47 bis 74 SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Zu Recht hat das SG ausgeführt, dass die vom Kläger geltend gemachten Bedarfe hier eine sachliche Nähe zu den sog Hilfen zur Gesundheit gemäß §§ 47 ff SGB XII aufweisen. Eine derartige Bedarfslage ist hier darin zu sehen, dass die vom Kläger geltend gemachten Hygienebedarfe auch im System des Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nicht befriedigt werden können. Zugleich ist auch der Bereich der Grundrechtsausübung tangiert. Es handelt sich nicht um hinzunehmende Bagatellbedürfnisse oder Bedürfnisse ohne Grundrechtsbezug (hierzu Urteil des Senats vom 28.10.2009 - B 14 AS 44/08 R - RdNr 21), vielmehr ist das Recht des Klägers auf Leben (Gesundheit) und körperliche Unversehrtheit gemäß Art 2 Abs 2 GG berührt (zur Bedeutung dieses Grundrechts im Sozialrecht vgl insbesondere BVerfGE 115, 25 ff = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

18

Entgegen dem Vorbringen der Revision ist es nicht Voraussetzung des Vorliegens eines atypischen Bedarfs iS des § 73 SGB XII, dass ein solcher Bedarf nur im Einzel- oder Ausnahmefall vorliegt. Gerade bei der vom BSG in seinem Grundsatzurteil vom 7.11.2006 (aaO) zu beurteilenden Konstellation der Kosten des Umgangsrechts nach Scheidung oder Trennung der Eltern handelte es sich um einen Bedarf, der in einer Vielzahl von Fällen vorliegt. Maßgebend für die Atypik einer Bedarfslage ist vielmehr, dass ein den Grundrechtsbereich tangierender Bedarf ungedeckt bleibt, der - worauf auch das BVerfG in seinem Urteil vom 9.2.2010 hinweist - vom Rechtssystem "eigentlich" gedeckt werden müsste. So liegen die Verhältnisse auch hier.

19

Auf Grund des Revisionsvorbringens ist nochmals (vgl bereits BSGE 97, 242, 250 = SozR 4-4200 § 20 Nr 1 RdNr 22 f) darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei nicht um eine Frage des erhöhten Bedarfs entsprechend § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII handelt. Das BSG hat bereits damals das systematische Argument, dass das SGB XII nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in seinem für SGB II-Leistungsempfänger verschlossenen Dritten Kapitel bereits die Möglichkeit zur Erhöhung der Leistungssätze biete und deshalb im Sozialhilferecht die Anwendung des § 73 SGB XII ausschließe, was in der Folge auch für SGB II-Leistungsbezieher gelte, angesichts der besonderen Bedeutung des betroffenen Grundrechts zurückgewiesen. Dies gilt in gleichem Maße unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundrechts aus Art 2 Abs 2 GG.

20

b) Die Leistungen, die der Sozialhilfeträger an den Kläger zu erbringen hat, rechtfertigen auch den Einsatz öffentlicher Mittel iS des § 73 SGB XII. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 7.11.2006 (aaO) unter dem Prüfungsgesichtspunkt der Rechtfertigung des Einsatzes öffentlicher Mittel ausdrücklich auf die Möglichkeit des Sozialhilfeträgers hingewiesen, im Rahmen der Ermessenserwägungen die Kosten für das Umgangsrecht (etwa bei der Zurücklegung sehr großer Distanzen oder sehr hoher Kosten) zu beschränken. Hieraus kann im Umkehrschluss auch gefolgert werden, dass auch zu geringe Kosten ggf einen Einsatz öffentlicher Mittel nicht mehr rechtfertigen. Macht ein Kläger nur Bagatellbeträge geltend, so kann eine Verurteilung nach § 73 SGB XII möglicherweise hieran scheitern, weil dann trotz vorliegender Grundrechtsbetroffenheit die entsprechenden Kosten selbst zu tragen wären. Letztlich kann dies hier offen bleiben, weil der Kläger seine zusätzlichen Hygienekosten zunächst auf 20,45 Euro monatlich beziffert hat (und nur auf Anraten des SG zu einem Zahlungsantrag dem Grunde nach übergegangen ist). Jedenfalls bei regelmäßig monatlich anfallenden Kosten in dieser Höhe scheitert ein Klagebegehren nicht bereits an einer in § 73 SGB XII unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung des Mitteleinsatzes enthaltenen "Bagatellgrenze".

21

c) Hinsichtlich des Bestehens des Anspruchs dem Grunde nach hat das SG zu Recht den Beigeladenen direkt zur Leistung verurteilt. Zwar eröffnet § 73 SGB XII dem Leistungsträger (hier dem Beigeladenen) Ermessen. Hier war jedoch das Ermessen auf Null geschrumpft. Die Verurteilung des Beigeladenen rechtfertigt sich im Übrigen auch daraus, dass auf Grund der besonderen rechtlichen Strukturen im Verhältnis von SGB II, SGB XII und Verfassungsrecht es dem Verwaltungsträger nicht mehr möglich sein darf, seine Leistungspflicht nach einer Verurteilung im Rahmen einer Ermessensentscheidung nochmals grundsätzlich in Frage zu stellen. Zu Recht hat das SG allerdings dem Sozialhilfeträger im Rahmen seiner grundsätzlich bestehenden Leistungspflicht die Möglichkeit eingeräumt, die vom Kläger geltend gemachten Kosten der Höhe nach zu überprüfen.

22

3. Auch die Anschlussrevision des Klägers war zurückzuweisen. Soweit der Kläger hilfsweise geltend macht, nunmehr sei auf Grund des Urteils des BVerfG vom 9.2.2010 (aaO) der Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu verurteilen, ist dies nicht zutreffend. Es kann von daher dahinstehen, ob dem Kläger insofern überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite gestanden hätte, weil er vor dem SG bereits die Verurteilung des Beigeladenen (ebenfalls ein öffentlich-rechtlicher Träger) erreicht hatte. Der Senat geht davon aus, dass der vom BVerfG geforderte verfassungsrechtliche Anspruch bei unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen, besonderen Bedarfen nur dann eingreift, wenn nicht bereits auf Grund einfach-gesetzlicher Regelungen eine Leistungsgewährung möglich ist.

23

Das BVerfG hat in seinem Urteil (insbesondere RdNr 207) klargestellt, dass der von ihm verfassungsrechtlich abgeleitete, zusätzliche Anspruch immer dann notwendig werde, wenn ein bestimmter fortlaufender atypischer Bedarf außerhalb der Regelleistung des § 20 SGB II nicht gedeckt werden könne. Zugleich hat das BVerfG aber deutlich gemacht, dass es die Rechtsprechung des BSG zu § 73 SGB XII billigt(so schon explizit der Beschluss des BVerfG vom 7.11.2007 - 1 BvR 1840/07) und lediglich kritisiert, dass diese Rechtsprechung keine Gewähr dafür biete, "dass sämtliche atypischen Bedarfslagen berücksichtigt werden" (BVerfG Urteil vom 9.2.2010, aaO). Gerade die Unsicherheit des Anwendungsbereichs der Ausnahmevorschrift des § 73 SGB XII hat das BVerfG dazu bewogen, eine eigenständige Rechtsgrundlage im SGB II für Fälle wie den vorliegenden zu fordern. Hieraus folgt zugleich, dass der vom BVerfG geforderte verfassungsrechtliche Anspruch nicht notwendig ist, soweit dem Begehren des Klägers - jedenfalls für die Vergangenheit - bereits durch die Rechtsprechung zu § 73 SGB XII Rechnung getragen werden kann. So liegen die Verhältnisse hier. Da der Kläger bereits einen (einfachgesetzlichen) Anspruch gegen den Beigeladenen aus § 73 SGB XII hat (hierzu soeben unter 2.), stellt sich die weitere Problematik, inwieweit der vom BVerfG ergänzend geforderte verfassungsrechtliche Anspruch auf Deckung fortlaufender atypischer Bedarfe auch für in der Vergangenheit liegende Zeiträume anwendbar sein muss (vgl hierzu insbesondere das Urteil des 4. Senats des BSG vom 18.2.2010 - B 4 AS 29/09 R - SozR 4-1100 Art 1 Nr 7) nicht. Da das BVerfG - wie ausgeführt - die Rechtsprechung des BSG zu § 73 SGB XII ausdrücklich gebilligt hat(vgl auch Beschluss vom 7.11.2007 - 1 BvR 1840/07), ist daher davon auszugehen, dass eine Leistungspflicht gemäß § 73 SGB XII dem zusätzlich - lediglich im Notfall eines aus Verfassungsgründen zu deckenden Bedarfs, der bislang einfachgesetzlich nicht abgedeckt wurde - eingreifenden verfassungsrechtlichen Anspruch vorgeht.

24

Bei dem Anspruch nach § 73 SGB XII handelt es sich um einen von der Rechtsprechung aus verfassungsrechtlichen Gründen geschaffenen Hilfsanspruch für Leistungsempfänger des SGB II, der diesen ausnahmsweise einen Rückgriff auf das SGB XII ermöglicht. Der Kläger wird in Zukunft seinen Anspruch ohnehin unmittelbar auf § 21 Abs 6 SGB II stützen können, der auf Grund der Entscheidung des BVerfG mit Wirkung zum 3.6.2010 (durch das Gesetz zur Abschaffung des Finanzplanungsrates und zur Übertragung der fortzuführenden Aufgaben auf den Stabilitätsrat sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 27.5.2010, BGBl I 671) in das SGB II eingefügt worden ist. In der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 17/1465 S 9 zu Nr 2) wird ausdrücklich der dauerhafte Hygienebedarf von HIV-Infizierten als Beispielsfall für die neue gesetzliche Härtefallklausel erwähnt. Für den in der Vergangenheit liegenden - hier streitigen Zeitraum - war hingegen eine einfach-rechtliche Anspruchsgrundlage nur in § 73 SGB XII gegeben.

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB491/14
vom
13. Mai 2015
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Das Unterbleiben einer gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen Zustellung
führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe (im Anschluss an Senatsbeschlüsse
vom 10. Juli 2013 - XII ZB 411/12 - FamRZ 2013, 1566 und vom
4. Mai 2011 - XII ZB 632/10 - FamRZ 2011, 1049).
BGH, Beschluss vom 13. Mai 2015 - XII ZB 491/14 - LG Ansbach
AG Ansbach
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Mai 2015 durch die
Richter Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Ansbach vom 26. August 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Landgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 30. Januar 2014 die für die Betroffene angeordnete Betreuung erweitert. Der Beschluss ist der Betroffenen nicht förmlich zugestellt worden. Nachdem sich für die Betroffene am 3. Juli 2014 ein Rechtsanwalt gemeldet und dieser vom Gericht eine Beschlussabschrift erhalten hatte, hat die Betroffene gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. In der Beschwerde, die am 23. Juli 2014 beim Amtsgericht eingegangen ist, hat sich die Betroffene u.a. darauf berufen, dass ihr der Beschluss nicht zugestellt worden sei.
2
Das Landgericht hat die Beschwerde verworfen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
4
1. Das Landgericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Beschwerde verfristet sei. Das Amtsgericht habe die Bekanntgabe des Beschlusses gemäß § 15 Abs. 2 FamFG durch Aufgabe zur Post bewirkt. Damit gelte nach § 15 Abs. 2 Satz 2 FamFG die Bekanntgabe an die Betroffene mit dem 6. Februar 2014 als vollzogen.
5
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
6
a) Zu Recht führt die Rechtsbeschwerde aus, dass der Beschluss nach § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG der Betroffenen hätte zugestellt werden müssen, weil er gemäß § 58 FamFG mit der Beschwerde anfechtbar ist und dem erklärten Willen der Betroffenen nicht entspricht. Zutreffend verweist die Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang auf das Schreiben der Betroffenen, wonach sie "auf keine Art und Weise" der Erweiterung der Betreuung zugestimmt und in dem sie auf ihren Antrag auf Aufhebung der Betreuung hingewiesen hat, weil die Angelegenheit "erledigt" sei. Demgemäß hat auch das Amtsgericht festgestellt, dass die Betroffene die Erweiterung zwar zunächst selbst beantragt , dann aber abgelehnt hat.
7
Das Unterbleiben einer gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderlichen Zustellung führt zur Unwirksamkeit der Bekanntgabe, weshalb nach § 63 Abs. 3 Satz 1 FamFG die Beschwerdefrist nicht zu laufen beginnt (Senatsbeschlüsse vom 10. Juli 2013 - XII ZB 411/12 - FamRZ 2013, 1566 Rn. 8 und vom 4. Mai 2011 - XII ZB 632/10 - FamRZ 2011, 1049 Rn. 7 und 12).
8
b) Von einer etwaigen Heilung der Zustellungsmängel i.S.v. § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG i.V.m. § 189 ZPO kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Es ist vom Landgericht nicht festgestellt, ob bzw. wann die Betroffene den Beschluss tatsächlich erhalten hat. Ob in der nachträglichen Übersendung des Beschlusses an den Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen, der ihre Vertretung am 3. Juli 2014 bei Gericht angezeigt hatte, im vorliegenden Fall eine Heilung von Mängeln in der Bekanntgabe des Beschlusses erblickt werden kann, kann hier dahinstehen. Denn in diesem Fall wäre die Monatsfrist nicht vor dem 4. August 2014 (einem Montag) abgelaufen. Die Beschwerde der Betroffenen ist indes bereits am 23. Juli 2014 bei Gericht eingegangen und wäre damit fristgerecht eingelegt worden.
9
c) Zutreffend geht die Rechtsbeschwerde weiter davon aus, dass die Monatsfrist des § 63 Abs. 1 FamFG - bei der hier vorliegenden fehlerhaften Bekanntgabe - gemäß § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des angefochtenen Beschlusses zu laufen begonnen hat. Dabei ist es für den Fristenlauf unerheblich, ob die schriftliche Bekanntgabe des wirksam erlassenen Beschlusses an den bereits förmlich beteiligten Rechtsmittelführer mit Mängeln behaftet (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Juli 2013 - XII ZB 411/12 - FamRZ 2013, 1566 Rn. 16 ff.) oder schlicht - aus welchen Gründen auch immer - unterblieben ist (Senatsbeschluss vom 11. März 2015 - XII ZB 571/13 - juris Rn. 21 ff).
10
Der Beschluss ist am 3. Februar 2014 erlassen worden. Damit begann die einmonatige Beschwerdefrist des § 63 Abs. 1 FamFG am 3. Juli 2014 zu laufen und war am 4. August 2014 (einem Montag) abgelaufen. Da die Beschwerde der Betroffenen indes bereits am 23. Juli 2014 bei Gericht eingegangen ist, ist sie noch fristgerecht eingelegt worden.


11
3. Gemäß § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Klinkhammer Schilling Günter Nedden-Boeger Guhling
Vorinstanzen:
AG Ansbach, Entscheidung vom 30.01.2014 - 17 XVII 807/12 -
LG Ansbach, Entscheidung vom 26.08.2014 - 4 T 897/14 -

(1) Der Beschluss ist den Beteiligten bekannt zu geben. Ein anfechtbarer Beschluss ist demjenigen zuzustellen, dessen erklärtem Willen er nicht entspricht.

(2) Anwesenden kann der Beschluss auch durch Verlesen der Beschlussformel bekannt gegeben werden. Dies ist in den Akten zu vermerken. In diesem Fall ist die Begründung des Beschlusses unverzüglich nachzuholen. Der Beschluss ist im Fall des Satzes 1 auch schriftlich bekannt zu geben.

(3) Ein Beschluss, der die Genehmigung eines Rechtsgeschäfts zum Gegenstand hat, ist auch demjenigen, für den das Rechtsgeschäft genehmigt wird, bekannt zu geben.

(1) Für Personen, die

1.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder
2.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind
und durch einen Bescheid der nach § 152 Absatz 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(2) Für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(3) Für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist, soweit kein abweichender Bedarf besteht, ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder
2.
in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für jedes Kind, wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.

(4) § 42b Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden auf Leistungsberechtigte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben.

(5) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn deren Ernährungsbedarf aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (ernährungsbedingter Mehrbedarf). Dies gilt entsprechend für aus medizinischen Gründen erforderliche Aufwendungen für Produkte zur erhöhten Versorgung des Stoffwechsels mit bestimmten Nähr- oder Wirkstoffen, soweit hierfür keine vorrangigen Ansprüche bestehen. Die medizinischen Gründe nach den Sätzen 1 und 2 sind auf der Grundlage aktueller medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. Dabei sind auch die durchschnittlichen Mehraufwendungen zu ermitteln, die für die Höhe des anzuerkennenden ernährungsbedingten Mehrbedarfs zugrunde zu legen sind, soweit im Einzelfall kein abweichender Bedarf besteht.

(6) Die Summe des nach den Absätzen 1 bis 5 insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe der maßgebenden Regelbedarfsstufe nicht übersteigen.

(7) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Wohnung, in der besonderen Wohnform oder der sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und denen deshalb kein Bedarf für Warmwasser nach § 35 Absatz 5 anerkannt wird. Der Mehrbedarf beträgt für jede leistungsberechtigte Person entsprechend der für sie geltenden Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 jeweils

1.
2,3 Prozent der Regelbedarfsstufen 1 und 2,
2.
1,4 Prozent der Regelbedarfsstufe 4,
3.
1,2 Prozent der Regelbedarfsstufe 5 oder
4.
0,8 Prozent der Regelbedarfsstufe 6.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) § 42b Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(9) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(10) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann und ein Darlehen nach § 37 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist.

(1) Leistungen zur Deckung von Bedarfen für

1.
Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten,
2.
Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie
3.
Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten
werden gesondert erbracht.

(2) Einer Person, die Sozialhilfe beansprucht (nachfragende Person), werden, auch wenn keine Regelsätze zu gewähren sind, für einmalige Bedarfe nach Absatz 1 Leistungen erbracht, wenn sie diese nicht aus eigenen Kräften und Mitteln vollständig decken kann. In diesem Falle kann das Einkommen berücksichtigt werden, das sie innerhalb eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwerben, in dem über die Leistung entschieden worden ist.

(3) Die Leistungen nach Absatz 1 Nr. 1 und 2 können als Pauschalbeträge erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.

(1) Das Gesuch soll die Bezeichnung des Anspruchs unter Angabe des Geldbetrages oder des Geldwertes sowie die Bezeichnung des Arrestgrundes enthalten.

(2) Der Anspruch und der Arrestgrund sind glaubhaft zu machen.

(3) Das Gesuch kann vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden.

Die Bedarfe nach diesem Kapitel umfassen:

1.
die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28; § 27a Absatz 3 und Absatz 4 ist anzuwenden; § 29 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 bis 5 ist nicht anzuwenden,
2.
die zusätzlichen Bedarfe nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels sowie Bedarfe nach § 42b,
3.
die Bedarfe für Bildung und Teilhabe nach dem Dritten Abschnitt des Dritten Kapitels, ausgenommen die Bedarfe nach § 34 Absatz 7,
4.
Bedarfe für Unterkunft und Heizung
a)
bei Leistungsberechtigten außerhalb von Einrichtungen nach § 42a,
b)
bei Leistungsberechtigten, deren notwendiger Lebensunterhalt sich nach § 27b Absatz 1 Satz 2 oder nach § 27c Absatz 1 Nummer 2 ergibt, in Höhe der nach § 45a ermittelten durchschnittlichen Warmmiete von Einpersonenhaushalten,
5.
ergänzende Darlehen nach § 37 Absatz 1 und Darlehen bei am Monatsende fälligen Einkommen nach § 37a.

(1) Für Personen, die

1.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 erreicht haben oder
2.
die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben und voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind
und durch einen Bescheid der nach § 152 Absatz 4 des Neunten Buches zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 152 Absatz 5 des Neunten Buches die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(2) Für werdende Mütter nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, wird ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

(3) Für Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist, soweit kein abweichender Bedarf besteht, ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für ein Kind unter sieben Jahren oder für zwei oder drei Kinder unter sechzehn Jahren, oder
2.
in Höhe von 12 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 für jedes Kind, wenn die Voraussetzungen nach Nummer 1 nicht vorliegen, höchstens jedoch in Höhe von 60 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28.

(4) § 42b Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden auf Leistungsberechtigte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben.

(5) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, wenn deren Ernährungsbedarf aus medizinischen Gründen von allgemeinen Ernährungsempfehlungen abweicht und die Aufwendungen für die Ernährung deshalb unausweichlich und in mehr als geringem Umfang oberhalb eines durchschnittlichen Bedarfs für Ernährung liegen (ernährungsbedingter Mehrbedarf). Dies gilt entsprechend für aus medizinischen Gründen erforderliche Aufwendungen für Produkte zur erhöhten Versorgung des Stoffwechsels mit bestimmten Nähr- oder Wirkstoffen, soweit hierfür keine vorrangigen Ansprüche bestehen. Die medizinischen Gründe nach den Sätzen 1 und 2 sind auf der Grundlage aktueller medizinischer und ernährungswissenschaftlicher Erkenntnisse zu bestimmen. Dabei sind auch die durchschnittlichen Mehraufwendungen zu ermitteln, die für die Höhe des anzuerkennenden ernährungsbedingten Mehrbedarfs zugrunde zu legen sind, soweit im Einzelfall kein abweichender Bedarf besteht.

(6) Die Summe des nach den Absätzen 1 bis 5 insgesamt anzuerkennenden Mehrbedarfs darf die Höhe der maßgebenden Regelbedarfsstufe nicht übersteigen.

(7) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Wohnung, in der besonderen Wohnform oder der sonstigen Unterkunft nach § 42a Absatz 2 installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und denen deshalb kein Bedarf für Warmwasser nach § 35 Absatz 5 anerkannt wird. Der Mehrbedarf beträgt für jede leistungsberechtigte Person entsprechend der für sie geltenden Regelbedarfsstufe nach der Anlage zu § 28 jeweils

1.
2,3 Prozent der Regelbedarfsstufen 1 und 2,
2.
1,4 Prozent der Regelbedarfsstufe 4,
3.
1,2 Prozent der Regelbedarfsstufe 5 oder
4.
0,8 Prozent der Regelbedarfsstufe 6.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) § 42b Absatz 2 ist entsprechend anzuwenden.

(9) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(10) Für Leistungsberechtigte wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein einmaliger, unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht, der auf keine andere Weise gedeckt werden kann und ein Darlehen nach § 37 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist.

(1) Leistungen zur Deckung von Bedarfen für

1.
Erstausstattungen für die Wohnung einschließlich Haushaltsgeräten,
2.
Erstausstattungen für Bekleidung und Erstausstattungen bei Schwangerschaft und Geburt sowie
3.
Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten
werden gesondert erbracht.

(2) Einer Person, die Sozialhilfe beansprucht (nachfragende Person), werden, auch wenn keine Regelsätze zu gewähren sind, für einmalige Bedarfe nach Absatz 1 Leistungen erbracht, wenn sie diese nicht aus eigenen Kräften und Mitteln vollständig decken kann. In diesem Falle kann das Einkommen berücksichtigt werden, das sie innerhalb eines Zeitraums von bis zu sechs Monaten nach Ablauf des Monats erwerben, in dem über die Leistung entschieden worden ist.

(3) Die Leistungen nach Absatz 1 Nr. 1 und 2 können als Pauschalbeträge erbracht werden. Bei der Bemessung der Pauschalbeträge sind geeignete Angaben über die erforderlichen Aufwendungen und nachvollziehbare Erfahrungswerte zu berücksichtigen.

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Für das Verfahren bei den Behörden nach diesem Gesetzbuch werden keine Gebühren und Auslagen erhoben. Abweichend von Satz 1 erhalten die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung für jede auf der Grundlage des § 74a Absatz 2 und 3 erteilte Auskunft eine Gebühr von 10,20 Euro.

(2) Geschäfte und Verhandlungen, die aus Anlass der Beantragung, Erbringung oder der Erstattung einer Sozialleistung nötig werden, sind kostenfrei. Dies gilt auch für die im Gerichts- und Notarkostengesetz bestimmten Gerichtskosten. Von Beurkundungs- und Beglaubigungskosten sind befreit Urkunden, die

1.
in der Sozialversicherung bei den Versicherungsträgern und Versicherungsbehörden erforderlich werden, um die Rechtsverhältnisse zwischen den Versicherungsträgern einerseits und den Arbeitgebern, Versicherten oder ihren Hinterbliebenen andererseits abzuwickeln,
2.
im Sozialhilferecht, im Recht der Eingliederungshilfe, im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende, im Kinder- und Jugendhilferecht sowie im Recht der Kriegsopferfürsorge aus Anlass der Beantragung, Erbringung oder Erstattung einer nach dem Zwölften Buch, dem Neunten Buch, dem Zweiten und dem Achten Buch oder dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistung benötigt werden,
3.
im Schwerbehindertenrecht von der zuständigen Stelle im Zusammenhang mit der Verwendung der Ausgleichsabgabe für erforderlich gehalten werden,
4.
im Recht der sozialen Entschädigung bei Gesundheitsschäden für erforderlich gehalten werden,
5.
im Kindergeldrecht für erforderlich gehalten werden.

(3) Absatz 2 Satz 1 gilt auch für gerichtliche Verfahren, auf die das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden ist. Im Verfahren nach der Zivilprozessordnung, dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie im Verfahren vor Gerichten der Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit sind die Träger der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, der Jugendhilfe und der Kriegsopferfürsorge von den Gerichtskosten befreit; § 197a des Sozialgerichtsgesetzes bleibt unberührt.