Sozialgericht Duisburg Urteil, 22. Jan. 2016 - S 14 KN 42/12

ECLI:ECLI:DE:SGDU:2016:0122.S14KN42.12.00
22.01.2016

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Der Beigeladene trägt 6 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse


(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltun

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 45 Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen de

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 183


Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 50 Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen


(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten. (2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatt

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(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass1.rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 31 Begriff des Verwaltungsaktes


Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemei

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 104 Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers


(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 78


(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn 1. ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder2. der Verwaltungsakt v

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 103 Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist


(1) Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbs

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 107 Erfüllung


(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt. (2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 40a Erstattungsanspruch


Wird einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt, so steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeit

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 106 Rangfolge bei mehreren Erstattungsberechtigten


(1) Ist ein Leistungsträger mehreren Leistungsträgern zur Erstattung verpflichtet, sind die Ansprüche in folgender Rangfolge zu befriedigen: 1. (weggefallen) 2. der Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers nach § 102,3. der Anspruch des Lei

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Bundessozialgericht Urteil, 31. Okt. 2012 - B 13 R 11/11 R

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Tenor Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufgehoben

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(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 54,55 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens aller Rechtszüge tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 54,55 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rangfolge von Erstattungsansprüchen in der Zeit vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005.

2

Die im Jahre 1963 geborene Leistungsempfängerin bezog von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund; im Folgenden: Beklagte) eine vom 1.12.2003 bis zum 31.5.2005 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 21.10.2003). Den Antrag von September 2004 auf Weitergewährung der Rente lehnte diese ab (Bescheid vom 10.5.2005; Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005). Im Klageverfahren vor dem SG Lübeck (S 18 R 820/05) erkannte die Beklagte über den Monat Mai 2005 hinaus bis zum 30.9.2008 Leistungen wegen voller Erwerbsminderung an (Teilanerkenntnis vom 27.9.2006; entsprechender Ausführungsbescheid vom 30.10.2006). Die monatliche Rentenzahlung begann am 1.12.2006 (591,55 Euro zzgl Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung = insgesamt 657,64 Euro). Die für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2006 errechnete Rentennachzahlung iHv 9800,01 Euro behielt sie vorläufig ein (täglicher Leistungsbetrag im Juli 2005: 19,17 Euro; im November 2005: 19,81 Euro).

3

Auf ihre Arbeitslosmeldung im Mai 2005 bezog die Leistungsempfängerin von der Bundesagentur für Arbeit (BA; im Folgenden: Klägerin) im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 12.7.2005 Arbeitslosengeld (Alg; täglicher Leistungsbetrag 17,37 Euro). Vom 13.7.2005 bis zum 2.11.2005 erhielt sie Krankengeld. Am 2.11.2005 meldete sie sich erneut arbeitslos und bezog Alg vom 3.11.2005 bis zum 3.3.2006 (täglicher Leistungsbetrag 23,77 Euro). Jeweils aufstockend zum Alg und zum Krankengeld bezog sie im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (für Unterkunft und Heizung) von der Arbeitsgemeinschaft Lübeck (Rechtsvorgängerin des Jobcenters Lübeck, im Folgenden: Beigeladener).

4

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 9.11.2006 und 23.2.2007 bei der Beklagten Erstattungsansprüche wegen des Alg iHv 3124,15 Euro für die Zeiträume vom 1.6.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 3.3.2006 geltend (unter Einschluss nicht streitgegenständlicher Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung insgesamt 3710,18 Euro). Der Beigeladene machte mit Schreiben vom 13.12.2006, 17.1. und 29.1.2007 eine Erstattungsforderung iHv 364,84 Euro gegen die Beklagte für die im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2005 an die Leistungsempfängerin aufstockend gezahlten Leistungen nach dem SGB II geltend.

5

Mit Schreiben vom 19.2. und 10.4.2007 bezifferte die Beklagte die Höhe des Erstattungsanspruchs der Klägerin wegen des Alg auf nur 3069,60 Euro. Der Rentennachzahlbetrag reiche nicht für die vollständige Befriedigung beider Erstattungsansprüche. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei nur anteilsmäßig zu befriedigen, weil dem Beigeladenen ein gleichrangiger Erstattungsanspruch für dieselben Zeiträume zustehe. Entsprechend erstatte die Beklagte dem Beigeladenen nur 358,96 Euro.

6

Im Verhältnis zum Beigeladenen hielt sich die Klägerin jedoch weiterhin für vorrangig erstattungsberechtigt. Das auf die Erstattung des Restbetrags von 54,55 Euro gerichtete Klage- und Berufungsverfahren blieb erfolglos (Urteile SG Lübeck vom 26.5.2009; Schleswig-Holsteinisches LSG vom 10.9.2010). Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, dass kein weiterer Erstattungsanspruch bestehe, weil sich die Ansprüche der Klägerin und des Beigeladenen gleichrangig - jeweils gestützt auf § 103 SGB X - gegenüberstünden. Deshalb habe die Beklagte die Erstattungsforderungen zutreffend nach § 106 Abs 2 S 1 SGB X anteilsmäßig beglichen. Die Ansicht der Klägerin, wonach der Erstattungsanspruch des Beigeladenen auf § 104 SGB X beruhe und deshalb nachrangig sei, könne nicht auf Rechtsprechung des BSG zu Erstattungsansprüchen des Sozialhilfeträgers alten Rechts gestützt werden(Hinweis auf BSGE 81, 30 = SozR 3-1300 § 104 Nr 12). Wegen fehlender Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin habe kein Anspruch auf Leistungen des Beigeladenen bestanden (§ 8 Abs 1 SGB II). Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung führe bei einer Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaft - wie hier - dazu, dass der Anspruch nach dem SGB II nachträglich entfalle, sodass sich der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X richte, anders bei bloßer Anrechnung der Rente auf die Leistungen nach dem SGB II(dann § 104 SGB X). Im Übrigen scheide ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X auch deshalb aus, weil der Beigeladene weder institutionell nachrangig noch hier im Einzelfall subsidiär zur Leistung verpflichtet gewesen sei. Schließlich folge aus § 44a Abs 2 SGB II (aF) kein anderslautendes Ergebnis. Der in dieser Vorschrift normierte Erstattungsanspruch setze eine Entscheidung der Einigungsstelle darüber voraus, dass ein Grundsicherungsanspruch nicht bestehe. Ein Kompetenzkonflikt um die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin habe hier nicht vorgelegen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§§ 103, 104, 106 Abs 1 Nr 3 und 4, Abs 2 S 1 SGB X). Ihr stehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, der voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen sei, weil sich der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X richte. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende sei eine institutionell nachrangige Leistung, wie schon die Sozialhilfe (Hinweis auf BSGE 82, 143 = SozR 3-2600 § 13 Nr 1; BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSGE 58, 119 = SozR 1300 § 104 Nr 7). Der Grundsatz der Nachrangigkeit folge aus § 5 Abs 1 SGB II(Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 15)und klarstellend aus § 12a SGB II. Deshalb sei nicht zu prüfen, ob das materielle Recht die Subsidiarität der konkreten Leistung im Einzelfall bestimme. Zwar schließe Erwerbsunfähigkeit Leistungen nach dem SGB II aus (§§ 7, 8 SGB II). Für die grundsätzliche Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II könne es jedoch keinen Unterschied machen, ob der Leistungsanspruch wegen fehlender Erwerbsfähigkeit voll oder wegen Einkommensanrechnung nur teilweise entfalle. Die zur Nachrangigkeit der Sozialhilfe ergangene Rechtsprechung (Hinweis auf BSGE 81, 30 = SozR 3-1300 § 104 Nr 12; BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 1) stehe dem nicht entgegen. Auch aus § 44a Abs 2 SGB II (aF) könne der Beigeladene keinen Erstattungsanspruch herleiten, weil kein Konflikt über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin im Sinne dieser Vorschrift bestanden habe.

8

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 54,55 Euro zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, dass die Nachrangigkeit von Leistungen des SGB II gegenüber denen des SGB III nicht von vornherein die Rangfolge der Erstattungsansprüche im Verhältnis des Beigeladenen zur Beklagten bestimme. Jedenfalls kenne das SGB II keinen Nachrang "sui generis". Vielmehr sehe § 5 Abs 2 S 1 SGB II sogar einen partiellen Vorrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor.

11

Der Beigeladene hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt und sich in der Sache nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin in den Zeiträumen vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 gezahlten Alg, weil die Beklagte der Leistungsempfängerin für dieselben Zeiträume rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat (1). Dieser Erstattungsanspruch ist voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen, weil dem Beigeladenen gegen die Beklagte kein gleichrangiger Erstattungsanspruch für die von ihm zeitgleich gezahlten aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier für Unterkunft und Heizung) zusteht (2). Für eine richterliche Rechtsfortbildung besteht kein Grund (3). Einer Beiladung der Leistungsempfängerin bedurfte es nicht (4).

13

Die von der BA erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Erhebung besteht; insbesondere steht der Klage nicht die Bagatellgrenze von 50 Euro (§ 110 S 2 SGB X) entgegen, für die keine Erstattung erfolgt. Diese bezieht sich nicht auf den geltend gemachten Einzelbetrag, sondern auf den Gesamtbetrag pro Erstattungsfall (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 4 S 6), der hier weit überschritten ist.

14

Ob und wieweit Erstattungsansprüche mehrerer Sozialleistungsträger zu befriedigen sind, bestimmt § 106 SGB X. Während §§ 102 bis 105 SGB X die Erstattungsansprüche für Sozialleistungen im Verhältnis zweier Sozialleistungsträger normieren, regelt § 106 SGB X den Fall, dass ein Leistungsträger mehreren Leistungsträgern zur Erstattung verpflichtet ist. Gemäß § 106 Abs 1 SGB X sind die Ansprüche nach der in den Nr 1 bis 5 genannten Rangfolge wie folgt zu befriedigen: Zunächst der Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers nach § 102(§ 106 Abs 1 Nr 2 SGB X), dann der Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist, nach § 103(§ 106 Abs 1 Nr 3 SGB X), dann der Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104(§ 106 Abs 1 Nr 4 SGB X) und zuletzt der Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers nach § 105(§ 106 Abs 1 Nr 5 SGB X). Die im Rahmen des § 106 Abs 1 SGB X angeordnete Rangfolge ist von Bedeutung, wenn - wie hier - die Erstattung eines Leistungsträgers nicht zur Erfüllung der Ansprüche aller Erstattungsberechtigten ausreicht(vgl BT-Drucks 9/95, S 25 f zu § 112). Treffen ranggleiche Erstattungsansprüche mehrerer Sozialleistungsträger zusammen, sind sie nach der Grundregel des § 106 Abs 2 S 1 SGB X anteilsmäßig zu befriedigen, sofern es sich nicht um solche nach § 104 SGB X handelt(§ 106 Abs 2 S 2 SGB X). Die Erstattungspflicht ist nach § 106 Abs 3 SGB X begrenzt, so dass nicht mehr zu leisten ist, als der Erstattungspflichtige nach den für ihn geltenden Erstattungsvorschriften einzeln zu erbringen hätte.

15

Die in § 106 Abs 1 SGB X normierte Rangfolge ergibt sich mithin aus der Einordnung des jeweiligen Erstattungsanspruchs nach §§ 102 ff SGB X und richtet sich damit nach den entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen("sachlogische Hierarchie", vgl Kater in Kasseler Komm, Stand März 2001, SGB X, § 106 RdNr 6; Becker in Hauck/Noftz, Stand 2012, SGB X, K § 106 RdNr 10). Bestehen außerhalb des Normenkomplexes von §§ 102 ff SGB X Erstattungsregelungen in den anderen Büchern des SGB, sind diese speziellen Regelungen vorrangig anzuwenden, wenn sie Abweichendes regeln(§ 37 S 1 SGB I).

16

Daher kommt es für die Rangfolge der hier streitigen Erstattungsansprüche - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht darauf an, ob Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II generell nachrangig (systemsubsidiär) gegenüber anderen Leistungen wie dem Alg nach dem SGB III sind. Denn es ist nicht etwa über einen Erstattungsanspruch der klagenden BA gegen das beigeladene Jobcenter zu entscheiden. Vielmehr ist zu klären, welcher Erstattungsanspruch im Verhältnis der klagenden BA zum beklagten Rentenversicherungsträger besteht (1) und welcher im Verhältnis des beigeladenen Jobcenters zum beklagten Rentenversicherungsträger (2); etwaige Erstattungsansprüche sind dann in die in § 106 SGB X vorgesehene Rangfolge einzuordnen. Hieraus folgt ihre Vor-, Gleich- oder Nachrangigkeit und mit ihr deren volle oder nur anteilsmäßige Befriedigung.

17

1. Der Klägerin steht ein spezialgesetzlich normierter Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X zu.

18

Dieser ergibt sich aus § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2, S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III(letztgenannte Vorschrift idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2828 ). Danach steht der BA ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Der Anspruch auf Alg ruht während dieser Zeit erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an.

19

a) Dieser spezielle Erstattungsanspruch der BA ist in § 142 Abs 2 S 2 SGB III aF eingefügt worden(durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I 1827 mWv 1.1.2001, als Folgeänderung zur Änderung von § 96a SGB VI, vgl BT-Drucks 14/4630, S 26, 50), um auch den Ersatz des "regulär" - und nicht als Sonderform der "Nahtlosigkeitsregelung" von § 125 SGB III aF im Rahmen eines Kompetenzkonflikts zwischen den Leistungsträgern(vgl dazu noch unten 2a) - gezahlten Alg bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung für deckungsgleiche Zeiträume vom Rentenversicherungsträger zu gewährleisten. Damit hat die BA bei rückwirkender Rentenbewilligung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl dazu BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie das Alg zu Recht oder (wie hier wegen der medizinisch vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin) im Widerspruch zum materiellen Recht gezahlt hat.

20

Anders als es die direkte Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X voraussetzt, entfällt der Anspruch auf das Alg im Fall rückwirkender Gewährung einer zeitgleichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nachträglich. Vielmehr ruht der Anspruch auf Alg erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung (§ 142 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF, vgl BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 20). Der Rechtsgrund des davor erbrachten Alg wird dadurch weder beseitigt noch im Sinne der Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 19). Die Klägerin hat die Bewilligung des Alg in den streitigen Zeiträumen auch nicht nachträglich gegenüber der Leistungsempfängerin aufgehoben.

21

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs entsprechend § 103 SGB X nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF sind erfüllt. Die Klägerin hat in den Zeiträumen vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 Alg an die Leistungsempfängerin gezahlt. Für den Zeitraum ab 1.6.2005 ist der Leistungsempfängerin nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (§ 43 Abs 2 SGB VI) zuerkannt worden. Die Beklagte hatte auch nicht bereits selbst an die Leistungsempfängerin geleistet, bevor sie von der Leistungspflicht der Klägerin Kenntnis erlangt hat (entsprechende Anwendung von § 103 Abs 1 Halbs 2 SGB X); vielmehr hat sie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den Rentennachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2006 vorläufig einbehalten.

22

Der Erstattungsanspruch (entsprechend § 103 SGB X) ist auch nicht nach § 111 S 1 SGB X ausgeschlossen. Die dort genannte Frist zur Geltendmachung ist eingehalten.

23

b) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (entsprechend § 103 Abs 2 SGB X). Dies sind die für die Beklagte geltenden Vorschriften des SGB VI zur Rentenhöhe. Der von der Beklagten geleistete Rentenzahlbetrag im Zeitraum vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 (täglich 19,17 Euro) reichte aus, um das von der Klägerin gezahlte Alg (täglich 17,37 Euro) zu erstatten. Für die Zeit vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005, in dem das Alg (täglich 23,77 Euro) den Rentenzahlbetrag (täglich 19,81 Euro) überstieg, hat die Klägerin zutreffend den Erstattungsanspruch nur in Höhe der von der Beklagten gezahlten Rente geltend gemacht.

24

2. Dem Beigeladenen steht kein gleichrangiger Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

25

Das beigeladene Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs 3 S 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung(Jobcenter, §§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beigeladenen Arbeitsgemeinschaft getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war von Amts wegen durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, nur in Juris RdNr 14).

26

Der Beigeladene hat für die Zeiträume vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 in Wahrnehmungszuständigkeit für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II, § 44b Abs 3 S 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung; vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207)Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier für Unterkunft und Heizung, § 22 SGB II) erbracht. Er ist daher auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen für den kommunalen Träger zu verlangen.

27

a) Der Beigeladene kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II(in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ) für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II(in der bis zum 31.7.2006 gültigen Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014 ) sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist(vgl BT-Drucks 16/1410, S 27).

28

Der Senat kann offen lassen, ob hier § 44a SGB II in der Fassung 2004 oder Fassung 2006 gilt. Selbst bei Anwendbarkeit der Fassung 2006 lägen deren Voraussetzungen nicht vor.

29

Die Vorschrift des § 44a Abs 1 S 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 ) ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden, und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger(vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f - zu § 44a S 3 SGB II). Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.

30

Eine derartige Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Denn übereinstimmend (wenn auch irrtümlich) sind sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene von der Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) nicht eröffnet (vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667). Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20), in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33).

31

b) Ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I geleistet worden sind. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen (vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19). § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung(s oben a).

32

c) Dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch(durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, SGB X, § 103 RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet).

33

Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder dem § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende bzw das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird.

34

Hingegen regelt § 103 SGB X nicht den Fall, dass ein Leistungsträger Leistungen zu Unrecht erbracht hat(vgl BT-Drucks 9/95, S 25 zu § 109; vgl Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 27; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2012, K §§ 102 - 114 RdNr 9a, c). Denn dann entfällt ein Anspruch auf Sozialleistungen nicht "nachträglich", wie Abs 1 der Vorschrift verlangt; vielmehr bestand ein solcher von vornherein nicht. So liegt der Fall hier. Die Leistungen nach dem SGB II sind zu Unrecht gezahlt worden, weil die allein lebende Leistungsempfängerin die Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II von Anfang an nicht erfüllt hat und auch andere Leistungsansprüche nach dem SGB II für sie nicht in Betracht kamen. Die Leistungsempfängerin war nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG ab Beginn der SGB II-Leistungen wegen Krankheit auf absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, mithin nicht erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II. Dass das Fehlen der Erwerbsfähigkeit erst später festgestellt wurde, steht dem nicht entgegen.

35

d) Hat das beigeladene Jobcenter im Ergebnis weder einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X noch einen Erstattungsanspruch nach §§ 102, 103 SGB X gegen den beklagten Rentenversicherungsträger, folgt daraus, dass ihm im Verhältnis zur klagenden BA kein (zumindest) gleichrangiger Erstattungsanspruch zusteht, der anteilsmäßig zu befriedigen wäre(§ 106 Abs 2 S 1 SGB X).

36

Der Senat kann daher offen lassen, ob das beigeladene Jobcenter für den nachrangig verpflichteten Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den beklagten Rentenversicherungsträger auf § 104 Abs 1 S 1 SGB X stützen könnte. Dieser Erstattungsanspruch wäre nach der in § 106 Abs 1 SGB X normierten Rangfolge(dort Nr 4) immer nachrangig gegenüber dem auf § 103 SGB X (in entsprechender Anwendung) gestützten Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte (§ 106 Abs 1 Nr 3 vor Nr 4 SGB X). Ebenso wenig muss der Senat entscheiden, ob sich die Klägerin für ihre Rechtsmeinung auf einen aus § 5 bzw § 12a SGB II folgenden Grundsatz der generellen Nachrangigkeit von Leistungen nach dem SGB II - wie für die Sozialhilfe nach § 2 Abs 1 SGB XII(vormals § 2 Abs 2 BSHG)- berufen kann(zur "Systemsubsidiarität" des SGB II: vgl BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 15 RdNr 14 ff, 16 im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB V; vgl BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15 im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB III, dort wohl nicht tragend; s aber BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 14 und BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18).

37

3. Der Senat sieht sich ferner nicht veranlasst, dem Beigeladenen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen Erstattungsanspruch in der hier vorliegenden Fallkonstellation zuzubilligen.

38

Dies gilt selbst dann, wenn den SGB II-Trägern bei nachträglicher Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (die Fälle einer sog "Arbeitsmarkt-Rente" ausgenommen) auch ohne konkurrierenden Erstattungsanspruch der BA eine Erstattung vom Rentenversicherungsträger nach § 104 oder § 105 SGB X verwehrt bliebe. Ein solches Ergebnis ließe sich damit begründen, dass auch im Rahmen dieser Vorschriften die konkreten Leistungen des nachrangig verpflichteten bzw unzuständigen Leistungsträgers materiell rechtmäßig erbracht worden sein müssten ("ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 104 SGB X", BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 12 S 38; vgl auch BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 21; BSGE 70, 186, 195 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 26; BSGE 74, 36, 39 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8 S 18; BSG BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 7; aA BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 12 ff, 15; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 12 S 109 f mwN; zu § 105 SGB X zB BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 4 S 21). Einer näheren Überprüfung dieser Argumentation bedarf es hier nicht. Selbst wenn sie zuträfe, schiede eine richterliche Rechtsfortbildung aus.

39

Ein derartiges Vorgehen ist allenfalls dort angebracht, wo Programme ausgefüllt, Lücken geschlossen, Wertungswidersprüche aufgelöst werden müssen oder besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist (BVerfG - Kammerbeschluss vom 26.9.2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 42 BvR 469/07 - NJW 2012, 669 RdNr 45; BVerfGE 126, 286, 306). Das lässt sich hier nicht feststellen.

40

Denn der Gesetzgeber hat Erstattungsansprüche bei Erbringung von Leistungen an nicht Erwerbsfähige durch die - hierfür an sich nicht leistungsverpflichteten - SGB II-Träger geregelt. Er hat, wie bereits oben (bei 2 a) ausgeführt, im Jahre 2006 den speziellen Erstattungstatbestand des § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II (Fassung 2006) geschaffen. Diese ausdrückliche Erstattungsregelung erfasst erkennbar nur einen engen Teilbereich der Fälle, in denen SGB II-Leistungen rechtsgrundlos an nicht Erwerbsfähige gezahlt werden. Damit sieht sich der Senat aber daran gehindert, sie im Wege der Rechtsfortbildung auf jene Fälle zu erweitern, in denen die SGB II-Träger ohne nähere Prüfung fälschlicherweise von der Erwerbsfähigkeit eines Antragstellers ausgehen.

41

4. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass das LSG von einer Beiladung (§ 75 SGG) der Leistungsempfängerin abgesehen hat, obwohl diese von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X betroffen ist. Zwar ist eine Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit (zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 80; BSG vom 15.11.1989 - 5 RJ 78/88 - Juris; zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 60; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7; s hierzu auch Becker, SGb 2011, 84) als notwendig erachtet worden. Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht dann aber keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (vgl BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3 f; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 68; BSGE 96, 190 f = SozR 4-4300 § 421g Nr 1 RdNr 20). Eine mögliche Benachteiligung der Leistungsempfängerin ist hier nicht ersichtlich.

42

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 159 S 1 VwGO und § 100 Abs 1 ZPO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 1872,44 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist, in welchem Umfang der Bundesagentur für Arbeit (BA) bzw für Leistungen nach dem SGB II dem Jobcenter Erstattungsansprüche gegen den Rentenversicherungsträger aufgrund einer rückwirkend bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung zustehen.

2

Die beklagte Trägerin der Rentenversicherung bewilligte der im Jahr 1956 geborenen Versicherten (Leistungsempfängerin) mit Bescheid vom 9.1.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (unter dreistündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.3.2008. Die laufende Rentenzahlung iHv monatlich 362,72 Euro begann am 1.3.2007. Die Beklagte behielt die Nachzahlung für den Zeitraum von Juni 2006 bis Februar 2007 iHv 3264,48 Euro bis zur Klärung der Ansprüche anderer Stellen zunächst ein.

3

Zuvor hatten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann aufgrund eines Antrags vom September 2004, in dem beide angegeben hatten, noch mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können, seit Januar 2005 vom Beigeladenen (Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II, dessen Rechtsnachfolge später das Jobcenter team.arbeit.hamburg antrat - im Folgenden einheitlich als Beigeladener bezeichnet) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II bezogen. Zudem hatte die Leistungsempfängerin vom 22.7.2004 bis zum 7.12.2005 Krankengeld erhalten, das der Beigeladene, nachdem er hiervon im Februar 2006 Kenntnis erlangt hatte, als Einkommen auf das Alg II zur Anrechnung gebracht hat. Außerdem hatte ihr die klagende BA aufgrund einer Anfang April 2006 vorgenommenen (erneuten) Arbeitslosmeldung, in der die Leistungsempfängerin angab, aus gesundheitlichen Gründen höchstens noch 20 Stunden in der Woche erwerbstätig sein zu können, gemäß der Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 SGB III) ab dem 3.4.2006 bis zum 15.8.2007 Alg iHv kalendertäglich 12,36 Euro bzw monatlich 370,80 Euro gezahlt (Bescheid vom 10.4.2006).

4

Ebenfalls im April 2006 hatten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann einen Antrag auf Fortzahlung der SGB II-Leistungen gestellt, wobei sie als einzige gegenüber früheren Anträgen eingetretene Änderung der maßgeblichen Verhältnisse den Bezug von Alg ab 3.4.2006 erwähnten. Der Beigeladene hatte daraufhin den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zunächst für den Zeitraum vom 1.5. bis zum 30.9.2006 und sodann unverändert auch für die daran anschließende Zeit bis zum 31.3.2007 "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)" iHv monatlich 716,82 Euro bewilligt; hiervon entfielen auf die Leistungsempfängerin nach anteiliger Anrechnung des Alg 341,30 Euro (Bescheid vom 2.5.2006 idF des Änderungsbescheids vom 5.7.2006 sowie Bescheid vom 12.9.2006: Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 134,32 Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 206,98 Euro). Zuvor hatten der Beigeladene und die Leistungsempfängerin am 20.3.2006 eine "Eingliederungsvereinbarung" geschlossen, in der sich diese zur Beantragung einer Rente und der Beigeladene zum Abwarten der Entscheidung der Rentenstelle verpflichtete.

5

Aufgrund der Rentenbewilligung hob die Klägerin in zwei Bescheiden vom 6.3.2007 die gegenüber der Leistungsempfängerin ausgesprochene Bewilligung des Alg für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 sowie gesondert für den Zeitraum ab 1.3.2007 auf. Zugleich stellte sie fest, dass bis zum 28.2.2007 eine Überzahlung iHv 3264,48 Euro eingetreten sei; eine Rückzahlung dieses Betrags durch die Leistungsempfängerin sei aber nur erforderlich, wenn und soweit der Rentenversicherungsträger den Erstattungsanspruch nicht erfülle. Die Leistungsempfängerin focht die Bescheide vom 6.3.2007 nicht an.

6

Der Beigeladene erließ nach Kenntnis der Rentenbewilligung zunächst am 23.2.2007 einen Änderungsbescheid mit der Feststellung, dass die Leistungsempfängerin aufgrund des Bezugs von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2007 lediglich Anspruch auf Sozialgeld habe; zugleich erfolgte für den Monat März 2007 eine Anrechnung sowohl des bislang gezahlten Alg als auch des Rentenzahlbetrags als Einkommen. Nach Widerspruch nahm der Beigeladene im Änderungsbescheid vom 16.3.2007 eine Korrektur dahingehend vor, dass - wie bisher - nur der (höhere) Zahlbetrag des (ab März 2007 nicht mehr gezahlten) Alg Anrechnung fand. Zugleich kündigte der Beigeladene an, er werde den Rentenzahlbetrag ab April 2007 mit monatlich 332,72 Euro berücksichtigen, sofern ein Fortzahlungsantrag gestellt werde.

7

Der Beigeladene meldete mit Schreiben vom 22.1.2007 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch für die von ihm im Zeitraum März 2005 bis Februar 2007 an die Leistungsempfängerin gezahlten Beträge (Regelleistung, KdU, Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) iHv insgesamt 11 524,30 Euro an (davon Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv zuletzt monatlich 132,15 Euro). Die Klägerin forderte im Schreiben vom 6.3.2007 von der Beklagten für das im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 an die Leistungsempfängerin gezahlte Alg die Erstattung des gesamten Rentennachzahlungsbetrags iHv 3264,48 Euro zuzüglich der in diesem Zeitraum von ihr entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (monatlich 71,22 Euro, insgesamt 640,98 Euro).

8

Die Beklagte teilte den zur Verfügung stehenden Nachzahlungsbetrag zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen auf. Sie bestimmte den maßgeblichen Anteil nach dem Verhältnis der für den Nachzahlungszeitraum jeweils angeforderten Erstattungsbeträge (Klägerin: monatlich 362,72 Euro an Stelle des monatlich gezahlten Alg iHv 370,40 Euro; Beigeladener: monatlich 341,30 Euro für gezahlte Regelleistung und KdU) zu der insgesamt geforderten Erstattungssumme (monatlich 362,72 Euro + 341,30 Euro = 704,02 Euro); dies ergab für die Klägerin einen Anteil von 51,52 % (monatlich 186,88 Euro, insgesamt 1681,82 Euro) und für den Beigeladenen von 48,48 % (monatlich 175,84 Euro, insgesamt 1582,56 Euro). Hingegen kehrte die Beklagte die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die sie für den Nachzahlungszeitraum zu entrichten gehabt hätte (monatlich 64,42 Euro, insgesamt 579,78 Euro), ohne Berücksichtigung des Umfangs der von diesen tatsächlich geleisteten Beitragszahlungen je zur Hälfte (iHv 289,88 Euro - statt zutreffend 289,89 Euro) an die Klägerin und den Beigeladenen aus. Mit Schreiben vom 23.4.2007 teilte sie der Klägerin und dem Beigeladenen mit, dass wegen des Vorliegens gleichrangiger Erstattungsansprüche der BA bzw des Jobcenters nach § 103 SGB X nur eine anteilige Erstattung gemäß § 106 Abs 2 S 1 SGB X erfolgen könne; zugleich informierte sie die Leistungsempfängerin, dass der Rentennachzahlungsbetrag aufgrund der Erstattungen erschöpft sei.

9

Die Klägerin hat ihre zunächst zum ArbG Berlin erhobene Klage gegen die Beklagte zurückgenommen. Auf die sodann erhobene sozialgerichtliche Leistungsklage hat das SG das Jobcenter gemäß § 75 Abs 1 SGG beigeladen und die zuletzt auf Zahlung weiterer 1872,44 Euro gerichtete Klage abgewiesen(Urteil vom 30.1.2012).

10

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein weitergehender Erstattungsanspruch zu, weil die Beklagte zu Recht ihren Erstattungsanspruch und den des Beigeladenen iS von § 106 Abs 2 S 1 SGB X als ranggleich behandelt habe. Beide Ansprüche hätten ihre Rechtsgrundlage in § 103 SGB X. Für die Zuordnung zu dieser Vorschrift oder zu § 104 SGB X sei nicht das Verhältnis der Leistungen der Klägerin und des Beigeladenen untereinander maßgeblich; vielmehr komme es entscheidend auf das Verhältnis der Leistung des Erstattungsberechtigten zu der Leistung des erstattungspflichtigen Sozialleistungsträgers an. Insoweit bestehe zwischen der Leistung des Beigeladenen (Grundsicherung) und derjenigen der Beklagten (Rente) weder ein institutionelles Nachrang-Vorrang-Verhältnis noch eine Einzelanspruchssubsidiarität (Hinweis auf Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.9.2010 - L 3 AL 43/09 - s hierzu das Urteil im Parallelverfahren B 13 R 11/11 R vom heutigen Tage). Abzustellen sei auf den jeweiligen Einzelfall. Dieser sei hier durch ein Ausschlussverhältnis gekennzeichnet, da der Anspruch auf Alg II entfalle, wenn - wie hier - die Voraussetzungen einer vollen Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen vorlägen. Das gelte auch dann, wenn der Leistungsempfänger in einer Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaft lebe. Auf die Besonderheit des vorliegenden Falles, die darin bestehe, dass der Leistungsempfängerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem erwerbsfähigen Ehemann bei nachträglicher Betrachtung ein Anspruch auf Sozialgeld in gleicher Höhe wie das gezahlte Alg II zugestanden habe, komme es hingegen nicht an. Denn es sei nur auf die konkreten ursprünglichen Leistungsansprüche - hier Alg und aufstockend Alg II - abzustellen. Das verhindere, dass der Erstattungspflichtige alle denkbaren Ansprüche des Leistungsempfängers prüfen müsse und die einschlägige Erstattungsnorm von den Zufälligkeiten der Familienkonstellation bzw von der Größe und Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft abhänge. Da hiernach infolge der Feststellung einer vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin aus medizinischen Gründen mit Wirkung für die Vergangenheit sowohl ihr Anspruch auf Alg als auch derjenige auf Alg II aus dem gleichen Grund nachträglich entfallen sei, beruhten die Erstattungsansprüche der Klägerin und des Beigeladenen jeweils auf § 103 SGB X und seien deshalb von der Beklagten zu Recht anteilsmäßig befriedigt worden. Ebenfalls nicht zu beanstanden sei die hälftige Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

11

Die Klägerin rügt mit ihrer Sprungrevision, die das SG in seinem Urteil zugelassen und deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, eine Verletzung der §§ 103, 104 und 106 SGB X. Ihr stehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, der voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen sei, weil sich der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X richte. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende sei eine institutionell nachrangige Leistung, wie schon die Sozialhilfe. Dies folge aus § 5 Abs 1 SGB II und den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zu dieser Vorschrift sowie klarstellend aus § 12a SGB II(idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008 - BGBl I 681). Die Erbringung der Grundsicherung als Aufstockungsleistung zum Alg nach Maßgabe des § 22 Abs 4 SGB III(idF des GSiFoG vom 20.7.2006 - BGBl I 1706) ändere daran ebenso wenig wie der Umstand, dass die Leistungsempfängerin bei Erwerbsunfähigkeit an Stelle des Anspruchs auf Alg II einen solchen auf Sozialgeld gemäß § 28 Abs 1 S 2 SGB II(in den bis zum 31.12.2010 geltenden Fassungen) gehabt habe. Das SG habe dagegen im Ergebnis eine Einzelfallsubsidiarität der Leistung des Beigeladenen im Verhältnis zu der von ihr - der Klägerin - erbrachten Leistung bejaht, obwohl das bei bestehender Systemsubsidiarität ausgeschlossen sei. Ihrem danach vorrangig zu befriedigenden Erstattungsanspruch stehe auch nicht entgegen, dass sie - die Klägerin - die Bewilligung von Alg gegenüber der Leistungsempfängerin rückwirkend aufgehoben habe.

12

Die Klägerin ist zudem der Meinung, dass auch hinsichtlich der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung die Rangfolge des § 106 SGB X maßgeblich sei. Danach sei - wie hier - beim Zusammentreffen eines vorrangigen Erstattungsanspruchs (§ 103 SGB X) mit einem nachrangigen Erstattungsanspruch des Jobcenters (§ 104 SGB X) zuerst der Beitragserstattungsanspruch des Trägers zu befriedigen, der sich auf § 103 SGB X berufen könne.

13

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1872,44 Euro zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

15

Sie macht geltend, dass es aus dem Blickwinkel der finanziellen Belastung für sie unerheblich sei, ob sie die Rentennachzahlung nur an die Klägerin auskehre oder aber zwischen dieser und dem Beigeladenen aufteile. Für beide Lösungen sprächen vertretbare Gründe. Sie habe sich in ihrer Verwaltungspraxis für eine dieser Lösungen entscheiden müssen und wolle lediglich geklärt wissen, ob der von ihr beschrittene Weg der richtige sei. Die Beklagte weist allerdings darauf hin, dass im Sozialrecht ein genereller Nachrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Verhältnis zu anderen Sozialleistungen nicht normiert sei. Vielmehr sehe § 5 Abs 2 S 1 SGB II sogar einen partiellen Vorrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor.

16

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag und den Ausführungen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

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Die (Sprung-)Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu erstatten, denn ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen, der den Anspruch der Klägerin begrenzen könnte, besteht nicht. Das anderslautende Urteil des SG ist daher aufzuheben (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

18

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen.

19

a) Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache nicht aufgrund des Umstands verwehrt, dass die Klägerin ihre Leistungsklage gegen die Beklagte zunächst beim ArbG erhoben, anschließend aber den Rechtsbehelf dort zurückgenommen und sodann beim SG angebracht hat. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG zu § 102 SGG jedenfalls bei einer nicht fristgebundenen Klage nach deren Rücknahme eine erneute Klage in derselben Sache grundsätzlich unzulässig(BSG SozR 1500 § 102 Nr 5 S 10 mwN; BSGE 57, 184, 185 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 39 f; Senatsurteil vom 31.3.1993 - 13 RJ 33/91 - Juris RdNr 17; s aber Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 102 RdNr 11). Dieser Grundsatz kann jedoch keine Anwendung finden, wenn - wie hier - die Klagerücknahme nach den Regeln einer Prozessordnung erfolgte, die eine solche Rechtsfolge nicht vorsieht (§ 46 Abs 2 S 1 ArbGG iVm § 269 Abs 6 ZPO). Nichts anderes gilt, wenn die Klagerücknahme auf eine entsprechende Anregung des Gerichts hin erklärt wurde, um - wie ebenfalls hier - eine an sich gebotene Rechtswegverweisung (§ 17a Abs 2 GVG, hier iVm § 48 ArbGG) zu vermeiden (vgl BSGE 57, 184, 185 f = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 39 f; BSG SozR 4-4200 § 16 Nr 8 RdNr 13).

20

b) Einer Sachentscheidung steht als Hindernis auch nicht entgegen, dass das SG die Beiladung des Jobcenters auf § 75 Abs 1 SGG (sog einfache Beiladung) gestützt hat.

21

Das Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs 3 S 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung(Jobcenter, §§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen Arbeitsgemeinschaft getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II hat das SG zutreffend durch Berichtigung des Rubrums Rechnung getragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, nur in Juris RdNr 14).

22

Allerdings spricht viel dafür, dass bei einem Streit zwischen der BA und dem Rentenversicherungsträger um die Rangfolge und den Umfang konkurrierender Erstattungsansprüche von Trägern nach dem SGB III bzw SGB II das Jobcenter iS des § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen ist. Denn dieses ist aufgrund der den Erstattungsumfang begrenzenden Regelung in § 106 Abs 3 SGB X an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, dass die Entscheidung letztlich auch ihm gegenüber nur einheitlich getroffen werden kann(Böttiger in Diering/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl 2011, § 106 RdNr 20; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 106 RdNr 34, Stand Einzelkommentierung April 2012; Breitkreuz in Breitkreuz/ Fichte, SGG, 2009, § 75 RdNr 10; zur Notwendigkeit einer Beiladung in Konstellationen eng miteinander zusammenhängender, aus demselben Bestand an Mitteln zu befriedigender Ansprüche s auch Loytved, SGb 1984, 510, 512; Hänlein, SGb 1989, 337, 338; Zeihe, SGG, Stand November 2010, § 75 Anm 15b aa) bzw ee)).

23

Der Senat ist jedoch nicht gehalten, insoweit eine notwendige Beiladung nachzuholen (§ 168 S 2 letzte Alt SGG). Die Angabe einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in dem Beiladungsbeschluss ändert nichts daran, dass die prozessual erforderliche Beteiligung des Jobcenters an dem Verfahren durch Einräumung der Rechtsstellung eines Beigeladenen tatsächlich erfolgt ist (s Zeihe, SGb 1994, 363, 364; Ulmer in Hennig, SGG, § 75 RdNr 15, Stand Einzelkommentierung November 2006, RdNr 15, 20). Soweit der 6. Senat (BSGE 67, 256, 259 = SozR 3-2500 § 92 Nr 1 S 4)und der 5. Senat (BSGE 108, 158 = SozR 4-3250 § 17 Nr 1, RdNr 20) des BSG im Hinblick auf § 75 Abs 4 S 2 SGG darauf abstellen, ob der Beigeladene in der Vorinstanz möglicherweise abweichende Sachanträge gestellt hätte, kommt es darauf hier nicht an. Denn der Beigeladene hat sich bereits vor dem SG dem Sachantrag der Beklagten angeschlossen und überdies zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, er hätte dies anders gehandhabt, wäre er vom SG ausdrücklich unter Berufung auf § 75 Abs 2 SGG beigeladen worden.

24

c) Eine Sachentscheidung ist aber auch nicht aufgrund des Umstands ausgeschlossen, dass das SG von einer Beiladung (§ 75 SGG) der Leistungsempfängerin abgesehen hat, obwohl diese von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X betroffen ist. Zwar ist eine Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit als notwendig erachtet worden (zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 80; BSG vom 15.11.1989 - 5 RJ 78/88 - Juris; zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 60; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7 S 20; s hierzu auch Becker, SGb 2011, 84). Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht dann aber keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (stRspr, vgl BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSGE 96, 190 = SozR 4-4300 § 421g Nr 1, RdNr 20; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 68; BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3 f). So verhält es sich auf der Grundlage der vom Senat getroffenen Sachentscheidung hier. Denn der Beigeladene kann die von ihm gezahlten SGB II-Leistungen, die von der Beklagten nicht zu erstatten sind, auch von der Leistungsempfängerin nicht zurückfordern, da er sie zu Recht erbracht hat (dazu sogleich).

25

d) Für die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) besteht auch ein uneingeschränktes Rechtsschutzbedürfnis. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch aufgrund des erbrachten Alg ist nicht - teilweise - bereits durch die Zahlung der Beklagten an den Beigeladenen erfüllt. Zwar hatte die Leistungsempfängerin auch solche Leistungen nach dem SGB II (zB zur Sicherung des Lebensunterhalts) erhalten, für die die Klägerin zuständiger Träger war (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II); für die hier abgedeckten Bedarfe war nicht lediglich der kommunale Träger (aaO Nr 2) zuständig. Soweit jedoch die Klägerin Leistungen nach dem SGB II erbringt, trägt der Bund die Aufwendungen (§ 46 Abs 1 S 1 SGB II, § 251 Abs 4 SGB V, § 59 Abs 1 S 1 SGB XI). Ihm haben damit auch die entsprechenden Erstattungsleistungen zugutezukommen. Dagegen bestreitet die BA die Leistungen nach dem SGB III, für die sie eine höhere Erstattung begehrt, aus den ihr als Selbstverwaltungskörperschaft (§ 367 Abs 1 SGB III) zustehenden eigenen Mitteln (§ 340 SGB III; s auch § 251 Abs 4a SGB V).

26

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 gezahlten Alg, weil die Beklagte der Leistungsempfängerin für denselben Zeitraum rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat (dazu nachfolgend unter a). Dieser Erstattungsanspruch ist voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen, denn dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte kein Erstattungsanspruch für die von ihm zeitgleich gezahlten aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung) zu (b). Aus diesem Grund ist der Beigeladene auch nicht an den von der Beklagten zu ersetzenden Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zu beteiligen (c).

27

a) Der Klägerin steht ein spezialgesetzlich normierter Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X zu.

28

Dieser ergibt sich aus § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2, S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III(letztgenannte Vorschrift idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2828 ). Danach steht der BA ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Der Anspruch auf Alg ruht während dieser Zeit erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an.

29

Dieser spezielle Erstattungsanspruch der BA ist in § 142 Abs 2 S 2 SGB III aF eingefügt worden(durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I 1827, mWv 1.1.2001 - als Folgeänderung zur Änderung von § 96a SGB VI, vgl BT-Drucks 14/4630 S 26, 50), um auch den Ersatz des "regulär" - und nicht als Sonderform der "Nahtlosigkeitsregelung" von § 125 SGB III aF im Rahmen eines Kompetenzkonflikts zwischen den Leistungsträgern - gezahlten Alg bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung für deckungsgleiche Zeiträume vom Rentenversicherungsträger zu gewährleisten. Damit hat die BA bei rückwirkender Rentenbewilligung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl dazu BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie das Alg zu Recht oder (wie hier wegen der medizinisch vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin) im Widerspruch zum materiellen Recht gezahlt hat.

30

Anders als es die direkte Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X voraussetzt, entfällt der Anspruch auf das Alg im Fall rückwirkender Gewährung einer zeitgleichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nachträglich. Vielmehr ruht der Anspruch auf Alg erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung (§ 142 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF, vgl BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 20). Der Rechtsgrund des davor erbrachten Alg wird dadurch weder beseitigt noch iS der Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 19).

31

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs entsprechend § 103 SGB X nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF sind hier erfüllt. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 Alg an die Leistungsempfängerin gezahlt. Für den Zeitraum ab 1.6.2006 ist dieser nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (§ 43 Abs 2 SGB VI) zuerkannt worden. Die Beklagte hatte auch nicht bereits selbst an die Leistungsempfängerin geleistet, bevor sie von der Leistungspflicht der Klägerin Kenntnis erlangt hat (entsprechende Anwendung von § 103 Abs 1 Halbs 2 SGB X); vielmehr hat sie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den Rentennachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 vorläufig einbehalten.

32

Für den speziellen Erstattungsanspruch nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF ist unschädlich, dass die Klägerin nach Kenntnis der mit Bescheid vom 9.1.2007 erfolgten Rentenbewilligung gegenüber der Leistungsempfängerin im Bescheid vom 6.3.2007 die Zuerkennung des Alg rückwirkend ab 1.6.2006 aufgehoben hat. Ob diese Aufhebung rechtmäßig war (vgl BSG Urteil vom 28.8.2007 - B 7/7a AL 10/06 R - Juris RdNr 18; BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18 f), ist hier nicht zu beurteilen, zumal die Leistungsempfängerin selbst dagegen keinen Rechtsbehelf erhoben hat. Der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung - somit vor Erlass des Aufhebungsbescheids vom 6.3.2007 - entstanden. Die später zusätzlich vorgenommene Aufhebung der Leistungsbewilligung lässt ihn unberührt, weil dem erstattungsberechtigten Träger kein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegen den leistungsverpflichteten Träger oder einem Vorgehen gegen den Leistungsempfänger (Versicherten) nach den §§ 45, 48, 50 SGB X zusteht(BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 13 f).

33

Der Erstattungsanspruch (entsprechend § 103 SGB X) ist schließlich nicht nach § 111 S 1 SGB X ausgeschlossen. Die dort genannte Frist zur Geltendmachung ist eingehalten.

34

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (entsprechend § 103 Abs 2 SGB X). Dies sind die für die Beklagte geltenden Vorschriften des SGB VI zur Rentenhöhe. Der von der Beklagten geleistete Rentenzahlbetrag im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 (monatlich 362,72 Euro) reicht nicht aus, um das von der Klägerin gezahlte Alg (je vollem Kalendermonat 370,80 Euro, vgl § 134 S 2 SGB III aF) in voller Höhe zu erstatten. Die Klägerin hat daher zutreffend ihren Erstattungsanspruch nur in Höhe der von der Beklagten gezahlten Rente geltend gemacht (zu Einzelheiten sowie zum Ersatz der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge s nachfolgend unter d)).

35

b) Dem Beigeladenen steht nach den hier maßgeblichen Umständen kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

36

Der Beigeladene hat für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 in Wahrnehmungszuständigkeit sowohl für die BA als auch für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 und 2, § 44b Abs 3 S 1 und 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung; vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207)Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung, §§ 20, 22 SGB II) erbracht. Er ist daher auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen zu verlangen.

37

aa) Der Beigeladene kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II(in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des GSiFoG vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ) für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II(in der bis zum 31.7.2006 gültigen Fassung des KomOptG vom 30.7.2004, BGBl I 2014 ) sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist(vgl BT-Drucks 16/1410 S 27). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44a Abs 1 S 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 ) liegen hier jedoch nicht vor.

38

Die genannte Vorschrift ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger(vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f - zu § 44a S 3 SGB II). Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.

39

Eine derartige Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Denn übereinstimmend (wenn auch irrtümlich) sind sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene von einer noch bestehenden Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen. Der Beigeladene hat selbst ab dem Zeitpunkt, als er - im März 2006 - die Leistungsempfängerin im Rahmen einer "Eingliederungsvereinbarung" zur Beantragung einer Rente anhielt, seine Pflicht zur Zahlung von Alg II nicht in Frage gestellt. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) mithin nicht eröffnet (vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667). Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20), in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33).

40

bb) Ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil er die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I erbracht hat. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen (vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19). § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung(s oben aa)).

41

cc) Dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch(durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet).

42

Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende oder das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird. Entgegen der Rechtsmeinung des SG liegt ein nachträgliches "Entfallen" eines Anspruchs auf Sozialleistungen nicht bereits dann vor, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein bei Bewilligung als gegeben angesehener anspruchsbegründender Umstand für die konkret gewährte Leistung (hier: Erwerbsfähigkeit für den Anspruch auf Alg II) in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.

43

dd) Der Beigeladene kann in der hier zu beurteilenden Konstellation aber auch keinen Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X geltend machen. "Nachrangig verpflichtet" ist gemäß § 104 Abs 1 S 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers (hier: des Rentenversicherungsträgers) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dementsprechend ist für einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift kein Raum, soweit ein Träger seine Leistungen auch bei (rechtzeitiger) Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs 1 S 3 SGB X - s allgemein zu den Grundvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs auch BSGE 106, 206 = SozR 4-1300 § 103 Nr 3, RdNr 9 f).

44

So verhält es sich hier. Der Beigeladene war zur Erbringung von SGB II-Leistungen an die Leistungsempfängerin auch dann verpflichtet, wenn diese nicht zu dem Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) gehörte, da bei ihr nach den Feststellungen der Beklagten eine volle Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen bestand. In diesem Fall stand der Leistungsempfängerin, wie es sowohl der Beigeladene (Änderungsbescheide vom 23.2. bzw 16.3.2007) als auch das SG zugrunde gelegt haben, an Stelle des gezahlten Alg II ein Anspruch auf Sozialgeld (§ 28 SGB II aF; ab 1.1.2011: § 19 Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) zumindest in derselben Höhe zu. Denn sie lebte mit ihrem (erwerbsfähigen) Ehemann in Bedarfsgemeinschaft, hatte aber noch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung), weil sie aufgrund der lediglich befristet - für knapp zwei Jahre - zuerkannten Rente wegen (unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage) voller Erwerbsminderung (vgl § 102 Abs 2 S 5 SGB VI)die Voraussetzungen einer "dauerhaften vollen Erwerbsminderung" iS des § 41 Abs 1 Nr 2 SGB XII(hier noch anzuwenden in der ab 1.1.2005 geltenden aF; ab 1.1.2008: § 41 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 SGB XII idF des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007, BGBl I 554) noch nicht erfüllte.

45

Hat aber der Beigeladene die von ihm in den Bescheiden vom 2.5., 5.7. und 12.9.2006 bewilligten aufstockenden "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II" (vgl die Überschrift des Abschn 2 in Kap 3 SGB II aF, der sowohl das Alg II als auch das Sozialgeld umfasste) unabhängig von der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in jedem Fall gegenüber der Leistungsempfängerin erbringen müssen (hat er sie also endgültig zu Recht erbracht), so fehlt es von vornherein an den Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch sowohl nach § 104 SGB X(vgl Störmann in Jahn/Jansen, SGB für die Praxis, Stand September 2012, § 106 SGB X RdNr 7) als auch nach § 105 SGB X. Unter diesen Voraussetzungen würde die vom SG für zutreffend erachtete Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs an den Beigeladenen nur zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen.

46

Ein solches Ergebnis kann nicht mit der Überlegung gerechtfertigt werden, dass der Erstattungspflichtige davor zu schützen sei, alle Ansprüche des Leistungsempfängers - auch solche subsidiärer oder alternativer Art - prüfen zu müssen. Der um Erstattung angegangene (Rentenversicherungs-)Träger bedarf insoweit keines besonderen Schutzes. Denn er hat die Möglichkeit, von dem Erstattung begehrenden Träger eine Spezifizierung seiner Forderungen und auch Auskunft darüber zu verlangen, ob der Leistungsempfänger bei rechtzeitiger Rentenzahlung weiterhin Anspruch auf Leistungen gehabt hätte, sofern ihm entsprechende Erkenntnisse nicht bereits aufgrund einer Zuziehung des Leistungsempfängers zum Erstattungsverfahren (vgl § 12 Abs 1 Nr 4, Abs 2 iVm § 107 sowie § 24 Abs 1 SGB X)bekannt sind. Im Übrigen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine zum Schutz der erstattungsverpflichteten Behörde befürwortete pauschale Bejahung von Erstattungsansprüchen anderer Träger wegen der in § 107 SGB X angeordneten Erfüllungswirkung dem Leistungsempfänger auch zum Nachteil gereichen könnte.

47

c) Der Beigeladene hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Ersatz eines Teils der von ihm im Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Leistungsempfängerin.

48

Spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen (§ 37 S 1 SGB I)hierfür sind die Regelungen in § 335 Abs 2 S 1 bzw Abs 5 iVm Abs 2 S 1 SGB III (in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954), die im Bereich des SGB II gemäß § 40 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II(ebenfalls idF des genannten Gesetzes vom 24.12.2003; ab 1.4.2011: § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) entsprechend anzuwenden sind. Nach den genannten Vorschriften hat der Rentenversicherungsträger die für einen Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V bzw § 20 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB XI (dh für Personen, die Alg II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind) entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (KV: § 251 Abs 4 iVm § 252 S 2 SGB V in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung; PV: § 59 Abs 1 S 1 iVm § 60 Abs 1 S 2 SGB XI)zu ersetzen, sofern dem Versicherungspflichtigen eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt worden ist (s hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 81 ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 40 RdNr 567, 637 ff, Stand Einzelkommentierung Juni 2012).

49

Ein Ersatzanspruch für gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge besteht allerdings gemäß § 335 Abs 2 S 1 Teils 2 SGB III nur, "wenn und soweit" dem betreffenden Träger auch ein Erstattungsanspruch gegen den Träger der Rentenversicherung "wegen der Gewährung" von Alg II zusteht. Es handelt sich somit hinsichtlich erbrachter Nebenleistungen zum Alg II um die Ergänzung (Annex) eines nach den §§ 102 ff SGB X bestehenden Erstattungsanspruchs(Eicher, aaO RdNr 98; s auch Conradis in Münder, LPK SGB II, 4. Aufl 2011, § 40 RdNr 21 f). Wenn daher - wie hier (s oben unter 2. b) - dem Jobcenter schon kein Erstattungsanspruch für die von ihm erbrachte Hauptleistung nach dem SGB II zusteht, kann es auch keinen Ersatz hinsichtlich der (vom Bund getragenen) Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen. Danach ist über die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als vordringlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage nach der zutreffenden Aufteilung der vom Rentenversicherungsträger gemäß § 335 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB III zu ersetzenden Beträge auf die BA und das Jobcenter (hälftig oder im Verhältnis der jeweils gezahlten Beiträge) hier nicht zu entscheiden.

50

d) Im Ergebnis kann somit nur die Klägerin von der Beklagten die Erstattung des von ihr im Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 an die Leistungsempfängerin gezahlten Alg und zusätzlich gemäß § 335 Abs 2 S 1, Abs 5 SGB III Ersatz der für diese entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen; dem Beigeladenen steht weder ein Erstattungs- noch ein Ersatzanspruch zu. Damit ist hier über die Rangfolge bei mehreren Erstattungsberechtigten iS des § 106 SGB X nicht zu befinden(s dazu näher die Senatsentscheidung vom heutigen Tage im Verfahren B 13 R 11/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

51

Wie bereits ausgeführt (s oben unter 2. a) am Ende), kann die Klägerin das von ihr an die Leistungsempfängerin vom 1.6.2006 bis 28.2.2007 gezahlte Alg nur im Umfang des geringeren Rentenzahlbetrags von der Beklagten erstattet erhalten, also iHv (9 x 362,72 Euro =) 3264,48 Euro. Hinzu kommen als Ersatz für die von der Klägerin entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 335 Abs 2 S 1, S 3 Nr 1 SGB III diejenigen Beitragsanteile, die der Rentenversicherungsträger (die Beklagte) und der versicherte Rentner (die Leistungsempfängerin) für diesen Zeitraum aus der Rente zu entrichten gehabt hätten; das sind hier (9 x =) 579,78 Euro. Mithin stehen der Klägerin insgesamt (3264,48 + 579,78 =) 3844,26 Euro als Erstattung bzw Ersatz zu; die Beklagte, die bereits einen Betrag iHv 1971,80 Euro an die Klägerin gezahlt hat, schuldet ihr noch weitere 1872,46 Euro. Weil die Klägerin aber mit ihrer Revision nur die Zahlung von 1872,44 Euro geltend gemacht hat, war die Beklagte nach dem Grundsatz "ne ultra petita" (§ 123 SGG) lediglich zur Zahlung dieses Betrags zu verurteilen (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

52

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 159 S 1 VwGO und § 100 Abs 1 ZPO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

(1) Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

(2) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen.

Tenor

Die Revisionen der Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. November 2012 werden zurückgewiesen.

Die Beklagte und der Beigeladene haben jeweils zur Hälfte dem Kläger auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob dem Kläger Arbeitslosengeld (Alg) auszuzahlen ist, das die Beklagte wegen eines angemeldeten Erstattungsanspruchs des Beigeladenen einbehalten hat.

2

Der Kläger lebt mit seiner Lebensgefährtin und deren Tochter, deren Vater er nicht ist, in einem Haushalt. Für Januar 2010 gewährte der Beigeladene dem Kläger, der Lebensgefährtin und deren Tochter Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ausgehend vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft errechnete der Beigeladene einen monatlichen Gesamtbedarf von 445,95 Euro, wovon dem Kläger 215,52 Euro, seiner Lebensgefährtin 215,53 Euro und deren Tochter 14,90 Euro ausgezahlt wurden.

3

Die Beklagte bewilligte dem Kläger, der sich im Dezember 2009 arbeitslos gemeldet hatte, Alg ab 5.12.2009 für die Dauer von 360 Tagen. Gleichzeitig teilte sie dem Kläger mit, die Leistung werde für die Zeit vom 5.12.2009 bis 31.1.2010 auf 0,00 Euro festgesetzt, sodass eine Zahlung erst ab 1.2.2010 in Höhe von täglich 32,27 Euro erfolgen könne; die an ihn, seine Lebensgefährtin und deren Tochter für Januar 2010 erbrachten Grundsicherungsleistungen von insgesamt 445,95 Euro seien einzubehalten und zur Erstattung an den Beigeladenen auszuzahlen (Bescheid vom 7.1.2010).

4

Der Kläger erhob Widerspruch hinsichtlich der Einbeziehung der an seine Lebensgefährtin und deren Tochter gezahlten Beträge (insgesamt 230,43 Euro). Daraufhin änderte die Beklagte ihre Entscheidung und teilte dem Kläger mit, es seien für die Zeit vom 5.12.2009 bis 18.12.2009 von einem täglichen Leistungsbetrag von jeweils 36,03 Euro verschiedene Einbehalte wegen eines Erstattungsanspruchs des Beigeladenen bis zur Gesamthöhe von 445,95 Euro abzuziehen (Änderungsbescheid vom 19.1.2010).

5

Die Beklagte wies den Widerspruch, den der Kläger auch auf den Änderungsbescheid erstreckt hatte, als unbegründet zurück (Widerspruchsbescheid vom 7.6.2010). Zur Begründung führte sie ua aus, eine Absetzung für Tage im Dezember 2009 sei lediglich aus technischen Gründen erfolgt und die für Ehepartner und Kinder geltende Ausgleichsregelung sei entsprechend auch auf die Lebensgefährtin des Klägers und deren Tochter anzuwenden.

6

Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weiteres Alg in Höhe von 230,43 Euro zu zahlten (Urteil vom 29.9.2011). Das Landessozialgericht (LSG) hat die vom SG zugelassenen Berufungen der Beklagten und des Beigeladenen zurückgewiesen (Urteil vom 29.11.2012). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Ein Bezieher von Alg habe gemäß § 34a Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der im Jahre 2010 geltenden Fassung nur eine Berücksichtigung der Leistungen an seinen nicht getrennt lebenden Ehe- oder Lebenspartner sowie seine Kinder hinzunehmen, nicht aber einen Ausgleich mit an eine Lebensgefährtin und deren Kinder erbrachten Leistungen. Eine entsprechende Anwendung des § 34a SGB II sei nicht möglich; der Gesetzgeber habe sehenden Auges darauf verzichtet, eine diesbezügliche Rechtsänderung vorzunehmen.

7

Die vom LSG zugelassene Revision haben jeweils die Beklagte und der Beigeladene eingelegt. Beide Revisionsführer rügen eine Verletzung des § 34a SGB II in der bis zum 31.3.2011 geltenden Fassung (aF). Zur Begründung führen sie im Wesentlichen aus: Die Ehe dürfe gegenüber einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht in ungerechtfertigter Weise schlechter gestellt werden. § 34a SGB II aF sei deshalb so auszulegen, dass er auch eine nichteheliche Lebensgefährtin erfasse. Der in § 34a SGB II aF verwendete Begriff des "Lebenspartners" sei nicht im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes (LPartG) zu verstehen, sondern im Sinne eines allgemeinen Partnerbegriffs. Zumindest sei eine analoge Anwendung geboten.

8

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen jeweils,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29.11.2012 und das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 29.9.2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Der Kläger beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen,

10

Er hält die Urteile des LSG und des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

11

Die Revisionen sind unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz).

12

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrensfehler liegen nicht vor.

13

Die Revisionen wie auch die Berufungen sind jeweils kraft Zulassung statthaft; daran ist der Senat gebunden. Es bestehen auch keine Bedenken gegen die materielle Beschwer und damit die Rechtsmittelberechtigung des Beigeladenen (vgl etwa BSGE 81, 207, 208 = SozR 3-2500 § 101 Nr 2 mwN). Denn die Entscheidung über den mit der Klage geltend gemachten Anspruch wirkt sich auch auf das Rechtsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Beigeladenen aus und dieser sieht sich bei Erfolg der Klage einer Rückerstattungsforderung hinsichtlich der bereits erstatteten 230,43 Euro ausgesetzt (§ 112 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch).

14

Das LSG ist auch zu Recht von der Zulässigkeit der Klage als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) ausgegangen. Die angefochtenen Bescheide vom 7.1.2010 bzw 19.1.2010, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7.6.2010, enthalten in Bezug auf die vorgenommenen Einbehaltungen von den kalendertäglichen Leistungsbeträgen, die Nichtauszahlung in bestimmter Höhe und die Ankündigung der Auszahlung in gleicher Höhe an den Beigeladenen eigenständige Verfügungssätze. Zur Durchsetzung seines Rechtsanspruchs auf Auszahlung von Alg ist der Kläger gehalten, gegen die ihn belastenden Regelungen mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage vorzugehen.

15

2. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, soweit die Beklagte in ihnen verfügt hat, von den Leistungsansprüchen des Klägers auch jene 230,43 Euro einzubehalten und an den Beigeladenen zu erstatten, die zuvor an die Lebensgefährtin des Klägers und deren Tochter gezahlt worden sind. Insoweit hat das SG die Bescheide zu Recht aufgehoben und das LSG diese Entscheidung zu Recht bestätigt. Klarzustellen ist, dass sich die Aufhebung der Bescheide durch das SG - wie sich auch aus den Gründen der vorinstanzlichen Entscheidungen unzweifelhaft ergibt - nur auf die vom Kläger angefochtenen Verfügungssätze bezieht und die ebenfalls den Bescheiden zu entnehmende Bewilligung bzw Auszahlung von Alg für die übrigen Zeiten ab 5.12.2009 unberührt lässt.

16

a) Offenlassen kann der Senat, ob sich die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide bereits daraus ergibt, dass die Ausgangsbescheide zunächst Verfügungen über Einbehaltungen für Teile des Monats Dezember 2009 enthalten, obwohl der Beigeladene Leistungen an den Kläger, seine Lebensgefährtin und deren Tochter erst für den Monat Januar 2010 erbracht hat. Dass damit dem Erfordernis einer zeitlichen Kongruenz zwischen zu erstattender und ersetzender Leistung (vgl hierzu Urteil des Senats vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4) nicht Rechnung getragen ist, hat die Beklagte später erkannt und insoweit im Widerspruchsbescheid ausgeführt, die Regelungen der Ausgangsbescheide beruhten lediglich auf technischen Gründen, beträfen aber der Sache nach den Ausgleich von im Januar 2010 erbrachten Leistungen. Ob ein solches Vorgehen rechtmäßig ist, ist im Hinblick auf §§ 33, 41 SGB X sowie das Fehlen einer formellen Abhilfeentscheidung zweifelhaft. Die Frage kann aber auf sich beruhen, weil der Kläger jedenfalls aus anderen Gründen Anspruch auf Auszahlung der streitgegenständlichen einbehaltenen Beträge hat.

17

b) Dass dem Kläger in der streitgegenständlichen Höhe Alg zusteht, folgt bereits aus der nicht angegriffenen Bewilligungsentscheidung der Beklagten und ist auch sonst zwischen den Beteiligten nicht streitig. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Beigeladenen kann dem Anspruch des Klägers auch nicht der Einwand der Erfüllung entgegengehalten werden.

18

Gemäß § 107 Abs 1 SGB X gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch besteht. Ein solcher Erstattungsanspruch ergibt sich unter den Umständen des vorliegenden Falls nicht aus § 104 Abs 1 S 1 SGB X, weil es bereits an der erforderlichen Personenidentität zwischen den von der zur Erstattung angemeldeten Leistung Begünstigten - hier der Lebensgefährtin des Klägers und deren Tochter - und dem Leistungsberechtigten - hier dem Kläger - mangelt(vgl zum Erfordernis der Personenidentität Urteile des Senats vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3, und vom 12.5.2011 - B 11 AL 24/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 4).

19

c) Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus § 34a SGB II in der hier anzuwendenden aF, die durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) eingeführt worden ist. Die Vorschrift bestimmt - ähnlich wie seit 1.4.2011 § 34b SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) - für den Fall eines Rechts des Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende, Ersatz seiner Aufwendungen von einem anderen zu verlangen, gegen den Leistungsberechtigte einen Anspruch haben, dass als Aufwendungen auch solche Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gelten, die an den nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner des Hilfebedürftigen erbracht wurden sowie an dessen unverheiratete Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Die Vorschrift kann dem Kläger nicht entgegengehalten werden, weil die Tatbestandsvoraussetzungen - Ehegatte, Lebenspartner, Kind - nicht erfüllt sind.

20

Gegen eine unmittelbare Anwendung des § 34a SGB II aF auf die Lebensgefährtin des Klägers als sonstige Lebenspartnerin spricht der eindeutige Wortlaut der Norm. Nach dem für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs (SGB) geltenden § 33b Erstes Buch Sozialgesetzbuch ist die Lebenspartnerschaft im Sinne des SGB eine solche nach dem LPartG, also eine Verbindung gleichgeschlechtlicher Personen(§ 1 Abs 1 LPartG). Dementsprechend ist mit dem Lebenspartner iS des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst b SGB II in Abgrenzung zum Ehegatten nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II und sonstigen die Lebensführung gemeinsam bestreitenden Personen nach § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c, Abs 3a SGB II nur eine Person gemeint, die eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft nach dem LPartG begründet hat. Dem Vorbringen der Revisionsführer, der Begriff des Lebenspartners sei im Sinne eines allgemeinen Partnerbegriffs zu verstehen, vermag der Senat nicht zu folgen.

21

Eine unmittelbare Anwendung des § 34a SGB II aF auf die Tochter der Lebensgefährtin des Klägers ist deswegen nicht möglich, weil diese kein leibliches Kind des Klägers ist. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 34a SGB II aF erfasst die Vorschrift nur Kinder des Leistungsberechtigten. Dies folgt sinngemäß auch aus den Gesetzesmaterialien zu § 114 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), dem § 34a SGB II nachgebildet ist(vgl BT-Drucks 16/1410 S 27; vgl auch früher § 140 Bundessozialhilfegesetz). Soweit zu § 34b SGB II, der seit 1.4.2011 an die Stelle des § 34a SGB II aF getreten ist und im Wortlaut gegenüber § 34a SGB II aF geringfügig abweicht, die Auffassung vertreten wird, die Vorschrift erfasse auch Kinder von Ehegatten oder Lebenspartnern(vgl Fügemann in Hauck/Noftz, SGB II, § 34b RdNr 30, Stand Februar 2012), kann offenbleiben, ob dem zu folgen ist. Der Senat vermag aus der Formulierung in § 34b SGB II ("deren oder dessen unverheiratete Kinder") nicht zweifelsfrei zu erkennen, ob damit eine Änderung im Vergleich zu § 34a SGB II ("dessen unverheiratete Kinder") beabsichtigt war, zumal den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte für eine Änderungsabsicht des Gesetzgebers zu entnehmen sind. Im vorliegenden Fall ist jedoch allein § 34a SGB II aF anzuwenden und dessen Fassung lässt keinerlei Zweifel aufkommen, dass er sich nur auf Kinder des Leistungsberechtigten selbst bezieht.

22

Entgegen dem Vorbringen der Revisionsführer ist es nicht möglich, § 34a SGB II aF auf den vorliegenden Fall analog anzuwenden. Soweit im Schrifttum eine analoge Anwendung mit Hinweisen auf den Zweck der Entlastung des Grundsicherungsträgers und die Annahme des wechselseitigen Einstehens innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 9 Abs 2 SGB II befürwortet worden ist(vgl Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 34b RdNr 22; zustimmend Maul-Sartori, BB 2010, 3021, 3023), ist zunächst klarzustellen, dass es sich bei der Bestimmung des Personenkreises, der bei Ersatzansprüchen des Grundsicherungsträgers im Sinne einer Modifizierung des Grundsatzes der Personenidentität zu berücksichtigen ist, um eine bewusste Begrenzung des Gesetzgebers handelt, sodass bereits aus diesem Grund keine ungewollte Regelungslücke zu erkennen und damit eine Analogie als ausgeschlossen anzusehen ist (in diesem Sinne etwa: Schellhorn in Hohm, GK-SGB II, § 34a RdNr 5, Stand Januar 2008; Hölzer in Estelmann, SGB II, § 34a RdNr 26, Stand Mai 2009; Cantzler in Löns/Herold-Tews, SGB II, 3. Aufl 2011, § 34b RdNr 4; Grote-Seifert in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 34b RdNr 16; S. Knickrehm in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 34b SGB II).

23

Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen steht einer analogen Anwendung des § 34a SGB II aF aber insbesondere dessen Ausnahmecharakter entgegen. Die der Vorschrift zu entnehmende Abweichung vom Erfordernis der Personenidentität, die bei einem nachträglich zutage tretenden vorrangigen Leistungsanspruch eines Berechtigten auch die Berücksichtigung von Grundsicherungsleistungen zulässt, die nicht an den Berechtigten selbst, sondern an Dritte aus dessen Umfeld erbracht worden sind, enthält eine gesetzliche Fiktion und insoweit einen nicht unerheblichen Eingriff in den Rechtskreis des Berechtigten, der einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Zu bedenken ist dabei, dass der Anspruch auf Alg durch die Eigentumsgarantie des Art 14 Grundgesetz (GG) geschützt ist (vgl BVerfGE 72, 9 = SozR 4100 § 104 Nr 13). Der Eingriff in die Rechtsposition des Inhabers des Anspruchs auf Alg kann als gerechtfertigt angesehen werden, weil er diesen so stellt, wie er stünde, wenn er sich pflichtgemäß verhielte, wenn er also sein Einkommen zur Bedarfsdeckung jener Personen mit einsetzen würde, denen er familienrechtlich zum Unterhalt verpflichtet ist. Insofern antizipiert § 34a SGB II aF in zulässiger Weise eine Form der Selbsthilfe, die in einer durch unterhaltsrechtliche Beziehungen geprägten Bedarfsgemeinschaft geboten ist. Dadurch schützt § 34a SGB II aF zugleich den Familienfrieden, indem er Aufhebungen bzw Rückforderungen nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X iVm § 50 SGB X und damit unter Umständen Streitigkeiten um die Verteilung zugeflossenen Einkommens aus der vorrangigen Sozialleistung verhindert.

24

Von einer vergleichbaren Rechtfertigung kann dagegen bei einer Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 34a SGB II aF auf Lebensgefährten und deren Kinder keine Rede sein. Zwar wird auch zwischen diesen Personen und dem Inhaber des Anspruchs auf die vorrangige Leistung von einem gemeinsamen Wirtschaften und einem Einstehen füreinander ausgegangen (§ 2 Abs 1 S 1 und Abs 2 S 1, § 7 Abs 3 und Abs 3a, § 9 Abs 2 SGB II). Gleichwohl hat es der Gesetzgeber - bewusst - unterlassen, für den genannten Personenkreis gegenseitige unterhaltsrechtliche Ansprüche zu formulieren, falls entgegen der Vermutung des Einstehens füreinander das einer Bedarfsgemeinschaftsmitglied zufließende Einkommen nicht zur gemeinsamen Bedarfsdeckung verwendet wird. Damit kann bei nicht ehelichen bzw nicht lebenspartnerschaftlichen Lebensgefährten und bei Kindern anderer Personen als der des Berechtigten der von § 34a SGB II aF bezweckte Erfolg, ein pflichtgemäßes Verhalten normativ vorwegzunehmen, nicht erreicht werden. Zudem bleibt es dem Träger der Grundsicherung unbenommen, auf den Zufluss von Einkommen gegenüber den übrigen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft jeweils einzeln nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 3, § 50 SGB X zu reagieren. Einer analogen Anwendung des § 34a SGB II aF auf die vorliegende Fallgestaltung steht somit kein legitimer Zweck und keine der gesetzlichen Regelung vergleichbare Interessenlage zur Seite.

25

Soweit der Senat zum früheren Recht entschieden hat, dass bei Erstattungsansprüchen infolge des sich überschneidenden Bezugs von Sozialhilfe und vorrangiger Arbeitslosenhilfe (Alhi) in analoger Anwendung des § 140 BSHG auch Lebensgefährten zu erfassen sind(Urteil vom 8.8.1990 - 11 RAr 79/88 - SozR 3-1300 § 104 Nr 3), berührt dies die vorliegende Entscheidung nicht. Denn die Alhi beruhte als steuerfinanzierte Leistung vorwiegend auf staatlicher Gewährung und nahm nicht am grundrechtlichen Eigentumsschutz des Art 14 GG teil (BVerfGE 128, 90 = SozR 4-1100 Art 14 Nr 23). Die genannte frühere Rechtsprechung kann somit nicht auf eine Fallgestaltung übertragen werden, in der es um einen Eingriff in die vom GG geschützte Rechtsstellung des Inhabers des Anspruchs auf Alg geht.

26

Der Senat vermag schließlich nicht zu erkennen, dass durch die Verneinung einer analogen Anwendung des § 34a SGB II aF auf die vorliegende Fallgestaltung das durch Art 6 Abs 1 GG institutionell geschützte Lebensmodell der Familie(vgl Badura in Maunz/Dürig, GG, Art 6 RdNr 69 ff mwN, Stand April 2012) in abwertender Weise diskriminiert würde. Denn die für eine eheliche bzw unterhaltsrechtlich geprägte Gemeinschaft über § 34a SGB II aF mögliche Korrektur eines "voreiligen" Bezugs von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende kann bei anderen Gemeinschaften in anderer Weise durch § 48 Abs 1 S 2 Nr 3, § 50 SGB X ebenfalls erreicht werden.

27

Die Revisionen sind somit zurückzuweisen.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Verwaltungsakt ist jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet oder die öffentlich-rechtliche Eigenschaft einer Sache oder ihre Benutzung durch die Allgemeinheit betrifft.

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn von den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte.

(3) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(4) Sind mehrere Leistungsträger vorrangig verpflichtet, kann der Leistungsträger, der die Sozialleistung erbracht hat, Erstattung nur von dem Leistungsträger verlangen, für den er nach § 107 Abs. 2 mit befreiender Wirkung geleistet hat.

(1) Ist ein Leistungsträger mehreren Leistungsträgern zur Erstattung verpflichtet, sind die Ansprüche in folgender Rangfolge zu befriedigen:
1. (weggefallen)

2.
der Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers nach § 102,
3.
der Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist, nach § 103,
4.
der Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104,
5.
der Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers nach § 105.

(2) Treffen ranggleiche Ansprüche von Leistungsträgern zusammen, sind diese anteilsmäßig zu befriedigen. Machen mehrere Leistungsträger Ansprüche nach § 104 geltend, ist zuerst derjenige zu befriedigen, der im Verhältnis der nachrangigen Leistungsträger untereinander einen Erstattungsanspruch nach § 104 hätte.

(3) Der Erstattungspflichtige muss insgesamt nicht mehr erstatten, als er nach den für ihn geltenden Erstattungsvorschriften einzeln zu erbringen hätte.

(1) Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

(2) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen.

(1) Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 vorliegen, ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen. Satz 1 gilt entsprechend, wenn von den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann; Satz 3 gilt in diesen Fällen nicht.

(2) Absatz 1 gilt auch dann, wenn von einem nachrangig verpflichteten Leistungsträger für einen Angehörigen Sozialleistungen erbracht worden sind und ein anderer mit Rücksicht auf diesen Angehörigen einen Anspruch auf Sozialleistungen, auch auf besonders bezeichnete Leistungsteile, gegenüber einem vorrangig verpflichteten Leistungsträger hat oder hatte.

(3) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(4) Sind mehrere Leistungsträger vorrangig verpflichtet, kann der Leistungsträger, der die Sozialleistung erbracht hat, Erstattung nur von dem Leistungsträger verlangen, für den er nach § 107 Abs. 2 mit befreiender Wirkung geleistet hat.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

(2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der Träger, der die Sozialleistung erbracht hat, bestimmt. Die Bestimmung ist dem Berechtigten gegenüber unverzüglich vorzunehmen und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert des Revisionsverfahrens wird auf 1872,44 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Streitig ist, in welchem Umfang der Bundesagentur für Arbeit (BA) bzw für Leistungen nach dem SGB II dem Jobcenter Erstattungsansprüche gegen den Rentenversicherungsträger aufgrund einer rückwirkend bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung zustehen.

2

Die beklagte Trägerin der Rentenversicherung bewilligte der im Jahr 1956 geborenen Versicherten (Leistungsempfängerin) mit Bescheid vom 9.1.2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (unter dreistündiges Leistungsvermögen für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt) für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 31.3.2008. Die laufende Rentenzahlung iHv monatlich 362,72 Euro begann am 1.3.2007. Die Beklagte behielt die Nachzahlung für den Zeitraum von Juni 2006 bis Februar 2007 iHv 3264,48 Euro bis zur Klärung der Ansprüche anderer Stellen zunächst ein.

3

Zuvor hatten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann aufgrund eines Antrags vom September 2004, in dem beide angegeben hatten, noch mindestens drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen zu können, seit Januar 2005 vom Beigeladenen (Hamburger Arbeitsgemeinschaft SGB II, dessen Rechtsnachfolge später das Jobcenter team.arbeit.hamburg antrat - im Folgenden einheitlich als Beigeladener bezeichnet) Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II bezogen. Zudem hatte die Leistungsempfängerin vom 22.7.2004 bis zum 7.12.2005 Krankengeld erhalten, das der Beigeladene, nachdem er hiervon im Februar 2006 Kenntnis erlangt hatte, als Einkommen auf das Alg II zur Anrechnung gebracht hat. Außerdem hatte ihr die klagende BA aufgrund einer Anfang April 2006 vorgenommenen (erneuten) Arbeitslosmeldung, in der die Leistungsempfängerin angab, aus gesundheitlichen Gründen höchstens noch 20 Stunden in der Woche erwerbstätig sein zu können, gemäß der Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 SGB III) ab dem 3.4.2006 bis zum 15.8.2007 Alg iHv kalendertäglich 12,36 Euro bzw monatlich 370,80 Euro gezahlt (Bescheid vom 10.4.2006).

4

Ebenfalls im April 2006 hatten die Leistungsempfängerin und ihr Ehemann einen Antrag auf Fortzahlung der SGB II-Leistungen gestellt, wobei sie als einzige gegenüber früheren Anträgen eingetretene Änderung der maßgeblichen Verhältnisse den Bezug von Alg ab 3.4.2006 erwähnten. Der Beigeladene hatte daraufhin den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zunächst für den Zeitraum vom 1.5. bis zum 30.9.2006 und sodann unverändert auch für die daran anschließende Zeit bis zum 31.3.2007 "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II)" iHv monatlich 716,82 Euro bewilligt; hiervon entfielen auf die Leistungsempfängerin nach anteiliger Anrechnung des Alg 341,30 Euro (Bescheid vom 2.5.2006 idF des Änderungsbescheids vom 5.7.2006 sowie Bescheid vom 12.9.2006: Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts iHv 134,32 Euro, Kosten für Unterkunft und Heizung iHv 206,98 Euro). Zuvor hatten der Beigeladene und die Leistungsempfängerin am 20.3.2006 eine "Eingliederungsvereinbarung" geschlossen, in der sich diese zur Beantragung einer Rente und der Beigeladene zum Abwarten der Entscheidung der Rentenstelle verpflichtete.

5

Aufgrund der Rentenbewilligung hob die Klägerin in zwei Bescheiden vom 6.3.2007 die gegenüber der Leistungsempfängerin ausgesprochene Bewilligung des Alg für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 sowie gesondert für den Zeitraum ab 1.3.2007 auf. Zugleich stellte sie fest, dass bis zum 28.2.2007 eine Überzahlung iHv 3264,48 Euro eingetreten sei; eine Rückzahlung dieses Betrags durch die Leistungsempfängerin sei aber nur erforderlich, wenn und soweit der Rentenversicherungsträger den Erstattungsanspruch nicht erfülle. Die Leistungsempfängerin focht die Bescheide vom 6.3.2007 nicht an.

6

Der Beigeladene erließ nach Kenntnis der Rentenbewilligung zunächst am 23.2.2007 einen Änderungsbescheid mit der Feststellung, dass die Leistungsempfängerin aufgrund des Bezugs von Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1.3.2007 lediglich Anspruch auf Sozialgeld habe; zugleich erfolgte für den Monat März 2007 eine Anrechnung sowohl des bislang gezahlten Alg als auch des Rentenzahlbetrags als Einkommen. Nach Widerspruch nahm der Beigeladene im Änderungsbescheid vom 16.3.2007 eine Korrektur dahingehend vor, dass - wie bisher - nur der (höhere) Zahlbetrag des (ab März 2007 nicht mehr gezahlten) Alg Anrechnung fand. Zugleich kündigte der Beigeladene an, er werde den Rentenzahlbetrag ab April 2007 mit monatlich 332,72 Euro berücksichtigen, sofern ein Fortzahlungsantrag gestellt werde.

7

Der Beigeladene meldete mit Schreiben vom 22.1.2007 bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch für die von ihm im Zeitraum März 2005 bis Februar 2007 an die Leistungsempfängerin gezahlten Beträge (Regelleistung, KdU, Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung) iHv insgesamt 11 524,30 Euro an (davon Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung iHv zuletzt monatlich 132,15 Euro). Die Klägerin forderte im Schreiben vom 6.3.2007 von der Beklagten für das im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 an die Leistungsempfängerin gezahlte Alg die Erstattung des gesamten Rentennachzahlungsbetrags iHv 3264,48 Euro zuzüglich der in diesem Zeitraum von ihr entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (monatlich 71,22 Euro, insgesamt 640,98 Euro).

8

Die Beklagte teilte den zur Verfügung stehenden Nachzahlungsbetrag zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen auf. Sie bestimmte den maßgeblichen Anteil nach dem Verhältnis der für den Nachzahlungszeitraum jeweils angeforderten Erstattungsbeträge (Klägerin: monatlich 362,72 Euro an Stelle des monatlich gezahlten Alg iHv 370,40 Euro; Beigeladener: monatlich 341,30 Euro für gezahlte Regelleistung und KdU) zu der insgesamt geforderten Erstattungssumme (monatlich 362,72 Euro + 341,30 Euro = 704,02 Euro); dies ergab für die Klägerin einen Anteil von 51,52 % (monatlich 186,88 Euro, insgesamt 1681,82 Euro) und für den Beigeladenen von 48,48 % (monatlich 175,84 Euro, insgesamt 1582,56 Euro). Hingegen kehrte die Beklagte die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, die sie für den Nachzahlungszeitraum zu entrichten gehabt hätte (monatlich 64,42 Euro, insgesamt 579,78 Euro), ohne Berücksichtigung des Umfangs der von diesen tatsächlich geleisteten Beitragszahlungen je zur Hälfte (iHv 289,88 Euro - statt zutreffend 289,89 Euro) an die Klägerin und den Beigeladenen aus. Mit Schreiben vom 23.4.2007 teilte sie der Klägerin und dem Beigeladenen mit, dass wegen des Vorliegens gleichrangiger Erstattungsansprüche der BA bzw des Jobcenters nach § 103 SGB X nur eine anteilige Erstattung gemäß § 106 Abs 2 S 1 SGB X erfolgen könne; zugleich informierte sie die Leistungsempfängerin, dass der Rentennachzahlungsbetrag aufgrund der Erstattungen erschöpft sei.

9

Die Klägerin hat ihre zunächst zum ArbG Berlin erhobene Klage gegen die Beklagte zurückgenommen. Auf die sodann erhobene sozialgerichtliche Leistungsklage hat das SG das Jobcenter gemäß § 75 Abs 1 SGG beigeladen und die zuletzt auf Zahlung weiterer 1872,44 Euro gerichtete Klage abgewiesen(Urteil vom 30.1.2012).

10

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein weitergehender Erstattungsanspruch zu, weil die Beklagte zu Recht ihren Erstattungsanspruch und den des Beigeladenen iS von § 106 Abs 2 S 1 SGB X als ranggleich behandelt habe. Beide Ansprüche hätten ihre Rechtsgrundlage in § 103 SGB X. Für die Zuordnung zu dieser Vorschrift oder zu § 104 SGB X sei nicht das Verhältnis der Leistungen der Klägerin und des Beigeladenen untereinander maßgeblich; vielmehr komme es entscheidend auf das Verhältnis der Leistung des Erstattungsberechtigten zu der Leistung des erstattungspflichtigen Sozialleistungsträgers an. Insoweit bestehe zwischen der Leistung des Beigeladenen (Grundsicherung) und derjenigen der Beklagten (Rente) weder ein institutionelles Nachrang-Vorrang-Verhältnis noch eine Einzelanspruchssubsidiarität (Hinweis auf Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 10.9.2010 - L 3 AL 43/09 - s hierzu das Urteil im Parallelverfahren B 13 R 11/11 R vom heutigen Tage). Abzustellen sei auf den jeweiligen Einzelfall. Dieser sei hier durch ein Ausschlussverhältnis gekennzeichnet, da der Anspruch auf Alg II entfalle, wenn - wie hier - die Voraussetzungen einer vollen Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen vorlägen. Das gelte auch dann, wenn der Leistungsempfänger in einer Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaft lebe. Auf die Besonderheit des vorliegenden Falles, die darin bestehe, dass der Leistungsempfängerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem erwerbsfähigen Ehemann bei nachträglicher Betrachtung ein Anspruch auf Sozialgeld in gleicher Höhe wie das gezahlte Alg II zugestanden habe, komme es hingegen nicht an. Denn es sei nur auf die konkreten ursprünglichen Leistungsansprüche - hier Alg und aufstockend Alg II - abzustellen. Das verhindere, dass der Erstattungspflichtige alle denkbaren Ansprüche des Leistungsempfängers prüfen müsse und die einschlägige Erstattungsnorm von den Zufälligkeiten der Familienkonstellation bzw von der Größe und Zusammensetzung der Bedarfsgemeinschaft abhänge. Da hiernach infolge der Feststellung einer vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin aus medizinischen Gründen mit Wirkung für die Vergangenheit sowohl ihr Anspruch auf Alg als auch derjenige auf Alg II aus dem gleichen Grund nachträglich entfallen sei, beruhten die Erstattungsansprüche der Klägerin und des Beigeladenen jeweils auf § 103 SGB X und seien deshalb von der Beklagten zu Recht anteilsmäßig befriedigt worden. Ebenfalls nicht zu beanstanden sei die hälftige Erstattung der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung.

11

Die Klägerin rügt mit ihrer Sprungrevision, die das SG in seinem Urteil zugelassen und deren Einlegung die Beklagte zugestimmt hat, eine Verletzung der §§ 103, 104 und 106 SGB X. Ihr stehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, der voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen sei, weil sich der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X richte. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende sei eine institutionell nachrangige Leistung, wie schon die Sozialhilfe. Dies folge aus § 5 Abs 1 SGB II und den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zu dieser Vorschrift sowie klarstellend aus § 12a SGB II(idF des Siebten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 8.4.2008 - BGBl I 681). Die Erbringung der Grundsicherung als Aufstockungsleistung zum Alg nach Maßgabe des § 22 Abs 4 SGB III(idF des GSiFoG vom 20.7.2006 - BGBl I 1706) ändere daran ebenso wenig wie der Umstand, dass die Leistungsempfängerin bei Erwerbsunfähigkeit an Stelle des Anspruchs auf Alg II einen solchen auf Sozialgeld gemäß § 28 Abs 1 S 2 SGB II(in den bis zum 31.12.2010 geltenden Fassungen) gehabt habe. Das SG habe dagegen im Ergebnis eine Einzelfallsubsidiarität der Leistung des Beigeladenen im Verhältnis zu der von ihr - der Klägerin - erbrachten Leistung bejaht, obwohl das bei bestehender Systemsubsidiarität ausgeschlossen sei. Ihrem danach vorrangig zu befriedigenden Erstattungsanspruch stehe auch nicht entgegen, dass sie - die Klägerin - die Bewilligung von Alg gegenüber der Leistungsempfängerin rückwirkend aufgehoben habe.

12

Die Klägerin ist zudem der Meinung, dass auch hinsichtlich der Erstattung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung die Rangfolge des § 106 SGB X maßgeblich sei. Danach sei - wie hier - beim Zusammentreffen eines vorrangigen Erstattungsanspruchs (§ 103 SGB X) mit einem nachrangigen Erstattungsanspruch des Jobcenters (§ 104 SGB X) zuerst der Beitragserstattungsanspruch des Trägers zu befriedigen, der sich auf § 103 SGB X berufen könne.

13

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 30. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 1872,44 Euro zu zahlen.

14

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

15

Sie macht geltend, dass es aus dem Blickwinkel der finanziellen Belastung für sie unerheblich sei, ob sie die Rentennachzahlung nur an die Klägerin auskehre oder aber zwischen dieser und dem Beigeladenen aufteile. Für beide Lösungen sprächen vertretbare Gründe. Sie habe sich in ihrer Verwaltungspraxis für eine dieser Lösungen entscheiden müssen und wolle lediglich geklärt wissen, ob der von ihr beschrittene Weg der richtige sei. Die Beklagte weist allerdings darauf hin, dass im Sozialrecht ein genereller Nachrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Verhältnis zu anderen Sozialleistungen nicht normiert sei. Vielmehr sehe § 5 Abs 2 S 1 SGB II sogar einen partiellen Vorrang der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vor.

16

Der Beigeladene schließt sich dem Antrag und den Ausführungen der Beklagten an.

Entscheidungsgründe

17

Die (Sprung-)Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin weitere 1872,44 Euro zu erstatten, denn ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen, der den Anspruch der Klägerin begrenzen könnte, besteht nicht. Das anderslautende Urteil des SG ist daher aufzuheben (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

18

1. Von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse stehen einer Sachentscheidung nicht entgegen.

19

a) Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache nicht aufgrund des Umstands verwehrt, dass die Klägerin ihre Leistungsklage gegen die Beklagte zunächst beim ArbG erhoben, anschließend aber den Rechtsbehelf dort zurückgenommen und sodann beim SG angebracht hat. Zwar ist nach der Rechtsprechung des BSG zu § 102 SGG jedenfalls bei einer nicht fristgebundenen Klage nach deren Rücknahme eine erneute Klage in derselben Sache grundsätzlich unzulässig(BSG SozR 1500 § 102 Nr 5 S 10 mwN; BSGE 57, 184, 185 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 39 f; Senatsurteil vom 31.3.1993 - 13 RJ 33/91 - Juris RdNr 17; s aber Leitherer in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 102 RdNr 11). Dieser Grundsatz kann jedoch keine Anwendung finden, wenn - wie hier - die Klagerücknahme nach den Regeln einer Prozessordnung erfolgte, die eine solche Rechtsfolge nicht vorsieht (§ 46 Abs 2 S 1 ArbGG iVm § 269 Abs 6 ZPO). Nichts anderes gilt, wenn die Klagerücknahme auf eine entsprechende Anregung des Gerichts hin erklärt wurde, um - wie ebenfalls hier - eine an sich gebotene Rechtswegverweisung (§ 17a Abs 2 GVG, hier iVm § 48 ArbGG) zu vermeiden (vgl BSGE 57, 184, 185 f = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 39 f; BSG SozR 4-4200 § 16 Nr 8 RdNr 13).

20

b) Einer Sachentscheidung steht als Hindernis auch nicht entgegen, dass das SG die Beiladung des Jobcenters auf § 75 Abs 1 SGG (sog einfache Beiladung) gestützt hat.

21

Das Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs 3 S 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung(Jobcenter, §§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der ursprünglich beigeladenen Arbeitsgemeinschaft getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II hat das SG zutreffend durch Berichtigung des Rubrums Rechnung getragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, nur in Juris RdNr 14).

22

Allerdings spricht viel dafür, dass bei einem Streit zwischen der BA und dem Rentenversicherungsträger um die Rangfolge und den Umfang konkurrierender Erstattungsansprüche von Trägern nach dem SGB III bzw SGB II das Jobcenter iS des § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen ist. Denn dieses ist aufgrund der den Erstattungsumfang begrenzenden Regelung in § 106 Abs 3 SGB X an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, dass die Entscheidung letztlich auch ihm gegenüber nur einheitlich getroffen werden kann(Böttiger in Diering/Timme/Waschull, LPK SGB X, 3. Aufl 2011, § 106 RdNr 20; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K § 106 RdNr 34, Stand Einzelkommentierung April 2012; Breitkreuz in Breitkreuz/ Fichte, SGG, 2009, § 75 RdNr 10; zur Notwendigkeit einer Beiladung in Konstellationen eng miteinander zusammenhängender, aus demselben Bestand an Mitteln zu befriedigender Ansprüche s auch Loytved, SGb 1984, 510, 512; Hänlein, SGb 1989, 337, 338; Zeihe, SGG, Stand November 2010, § 75 Anm 15b aa) bzw ee)).

23

Der Senat ist jedoch nicht gehalten, insoweit eine notwendige Beiladung nachzuholen (§ 168 S 2 letzte Alt SGG). Die Angabe einer unzutreffenden Rechtsgrundlage in dem Beiladungsbeschluss ändert nichts daran, dass die prozessual erforderliche Beteiligung des Jobcenters an dem Verfahren durch Einräumung der Rechtsstellung eines Beigeladenen tatsächlich erfolgt ist (s Zeihe, SGb 1994, 363, 364; Ulmer in Hennig, SGG, § 75 RdNr 15, Stand Einzelkommentierung November 2006, RdNr 15, 20). Soweit der 6. Senat (BSGE 67, 256, 259 = SozR 3-2500 § 92 Nr 1 S 4)und der 5. Senat (BSGE 108, 158 = SozR 4-3250 § 17 Nr 1, RdNr 20) des BSG im Hinblick auf § 75 Abs 4 S 2 SGG darauf abstellen, ob der Beigeladene in der Vorinstanz möglicherweise abweichende Sachanträge gestellt hätte, kommt es darauf hier nicht an. Denn der Beigeladene hat sich bereits vor dem SG dem Sachantrag der Beklagten angeschlossen und überdies zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, er hätte dies anders gehandhabt, wäre er vom SG ausdrücklich unter Berufung auf § 75 Abs 2 SGG beigeladen worden.

24

c) Eine Sachentscheidung ist aber auch nicht aufgrund des Umstands ausgeschlossen, dass das SG von einer Beiladung (§ 75 SGG) der Leistungsempfängerin abgesehen hat, obwohl diese von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X betroffen ist. Zwar ist eine Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit als notwendig erachtet worden (zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 80; BSG vom 15.11.1989 - 5 RJ 78/88 - Juris; zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 60; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7 S 20; s hierzu auch Becker, SGb 2011, 84). Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht dann aber keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (stRspr, vgl BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSGE 96, 190 = SozR 4-4300 § 421g Nr 1, RdNr 20; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 68; BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3 f). So verhält es sich auf der Grundlage der vom Senat getroffenen Sachentscheidung hier. Denn der Beigeladene kann die von ihm gezahlten SGB II-Leistungen, die von der Beklagten nicht zu erstatten sind, auch von der Leistungsempfängerin nicht zurückfordern, da er sie zu Recht erbracht hat (dazu sogleich).

25

d) Für die allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) besteht auch ein uneingeschränktes Rechtsschutzbedürfnis. Der geltend gemachte Erstattungsanspruch aufgrund des erbrachten Alg ist nicht - teilweise - bereits durch die Zahlung der Beklagten an den Beigeladenen erfüllt. Zwar hatte die Leistungsempfängerin auch solche Leistungen nach dem SGB II (zB zur Sicherung des Lebensunterhalts) erhalten, für die die Klägerin zuständiger Träger war (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II); für die hier abgedeckten Bedarfe war nicht lediglich der kommunale Träger (aaO Nr 2) zuständig. Soweit jedoch die Klägerin Leistungen nach dem SGB II erbringt, trägt der Bund die Aufwendungen (§ 46 Abs 1 S 1 SGB II, § 251 Abs 4 SGB V, § 59 Abs 1 S 1 SGB XI). Ihm haben damit auch die entsprechenden Erstattungsleistungen zugutezukommen. Dagegen bestreitet die BA die Leistungen nach dem SGB III, für die sie eine höhere Erstattung begehrt, aus den ihr als Selbstverwaltungskörperschaft (§ 367 Abs 1 SGB III) zustehenden eigenen Mitteln (§ 340 SGB III; s auch § 251 Abs 4a SGB V).

26

2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 gezahlten Alg, weil die Beklagte der Leistungsempfängerin für denselben Zeitraum rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat (dazu nachfolgend unter a). Dieser Erstattungsanspruch ist voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen, denn dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte kein Erstattungsanspruch für die von ihm zeitgleich gezahlten aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier: zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie für Unterkunft und Heizung) zu (b). Aus diesem Grund ist der Beigeladene auch nicht an den von der Beklagten zu ersetzenden Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung zu beteiligen (c).

27

a) Der Klägerin steht ein spezialgesetzlich normierter Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X zu.

28

Dieser ergibt sich aus § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2, S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III(letztgenannte Vorschrift idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2828 ). Danach steht der BA ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Der Anspruch auf Alg ruht während dieser Zeit erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an.

29

Dieser spezielle Erstattungsanspruch der BA ist in § 142 Abs 2 S 2 SGB III aF eingefügt worden(durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I 1827, mWv 1.1.2001 - als Folgeänderung zur Änderung von § 96a SGB VI, vgl BT-Drucks 14/4630 S 26, 50), um auch den Ersatz des "regulär" - und nicht als Sonderform der "Nahtlosigkeitsregelung" von § 125 SGB III aF im Rahmen eines Kompetenzkonflikts zwischen den Leistungsträgern - gezahlten Alg bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung für deckungsgleiche Zeiträume vom Rentenversicherungsträger zu gewährleisten. Damit hat die BA bei rückwirkender Rentenbewilligung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl dazu BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie das Alg zu Recht oder (wie hier wegen der medizinisch vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin) im Widerspruch zum materiellen Recht gezahlt hat.

30

Anders als es die direkte Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X voraussetzt, entfällt der Anspruch auf das Alg im Fall rückwirkender Gewährung einer zeitgleichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nachträglich. Vielmehr ruht der Anspruch auf Alg erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung (§ 142 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF, vgl BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 20). Der Rechtsgrund des davor erbrachten Alg wird dadurch weder beseitigt noch iS der Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 19).

31

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs entsprechend § 103 SGB X nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF sind hier erfüllt. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 Alg an die Leistungsempfängerin gezahlt. Für den Zeitraum ab 1.6.2006 ist dieser nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (§ 43 Abs 2 SGB VI) zuerkannt worden. Die Beklagte hatte auch nicht bereits selbst an die Leistungsempfängerin geleistet, bevor sie von der Leistungspflicht der Klägerin Kenntnis erlangt hat (entsprechende Anwendung von § 103 Abs 1 Halbs 2 SGB X); vielmehr hat sie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den Rentennachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 vorläufig einbehalten.

32

Für den speziellen Erstattungsanspruch nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF ist unschädlich, dass die Klägerin nach Kenntnis der mit Bescheid vom 9.1.2007 erfolgten Rentenbewilligung gegenüber der Leistungsempfängerin im Bescheid vom 6.3.2007 die Zuerkennung des Alg rückwirkend ab 1.6.2006 aufgehoben hat. Ob diese Aufhebung rechtmäßig war (vgl BSG Urteil vom 28.8.2007 - B 7/7a AL 10/06 R - Juris RdNr 18; BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18 f), ist hier nicht zu beurteilen, zumal die Leistungsempfängerin selbst dagegen keinen Rechtsbehelf erhoben hat. Der Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte ist jedenfalls bereits zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung - somit vor Erlass des Aufhebungsbescheids vom 6.3.2007 - entstanden. Die später zusätzlich vorgenommene Aufhebung der Leistungsbewilligung lässt ihn unberührt, weil dem erstattungsberechtigten Träger kein Wahlrecht zwischen der Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegen den leistungsverpflichteten Träger oder einem Vorgehen gegen den Leistungsempfänger (Versicherten) nach den §§ 45, 48, 50 SGB X zusteht(BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 13 f).

33

Der Erstattungsanspruch (entsprechend § 103 SGB X) ist schließlich nicht nach § 111 S 1 SGB X ausgeschlossen. Die dort genannte Frist zur Geltendmachung ist eingehalten.

34

Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (entsprechend § 103 Abs 2 SGB X). Dies sind die für die Beklagte geltenden Vorschriften des SGB VI zur Rentenhöhe. Der von der Beklagten geleistete Rentenzahlbetrag im Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 (monatlich 362,72 Euro) reicht nicht aus, um das von der Klägerin gezahlte Alg (je vollem Kalendermonat 370,80 Euro, vgl § 134 S 2 SGB III aF) in voller Höhe zu erstatten. Die Klägerin hat daher zutreffend ihren Erstattungsanspruch nur in Höhe der von der Beklagten gezahlten Rente geltend gemacht (zu Einzelheiten sowie zum Ersatz der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge s nachfolgend unter d)).

35

b) Dem Beigeladenen steht nach den hier maßgeblichen Umständen kein Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

36

Der Beigeladene hat für den Zeitraum vom 1.6.2006 bis zum 28.2.2007 in Wahrnehmungszuständigkeit sowohl für die BA als auch für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 1 und 2, § 44b Abs 3 S 1 und 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung; vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207)Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung, §§ 20, 22 SGB II) erbracht. Er ist daher auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen zu verlangen.

37

aa) Der Beigeladene kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II(in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des GSiFoG vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ) für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II(in der bis zum 31.7.2006 gültigen Fassung des KomOptG vom 30.7.2004, BGBl I 2014 ) sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist(vgl BT-Drucks 16/1410 S 27). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 44a Abs 1 S 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 ) liegen hier jedoch nicht vor.

38

Die genannte Vorschrift ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger(vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f - zu § 44a S 3 SGB II). Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.

39

Eine derartige Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Denn übereinstimmend (wenn auch irrtümlich) sind sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene von einer noch bestehenden Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen. Der Beigeladene hat selbst ab dem Zeitpunkt, als er - im März 2006 - die Leistungsempfängerin im Rahmen einer "Eingliederungsvereinbarung" zur Beantragung einer Rente anhielt, seine Pflicht zur Zahlung von Alg II nicht in Frage gestellt. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) mithin nicht eröffnet (vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667). Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20), in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33).

40

bb) Ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil er die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I erbracht hat. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen (vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19). § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung(s oben aa)).

41

cc) Dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch(durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet).

42

Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende oder das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird. Entgegen der Rechtsmeinung des SG liegt ein nachträgliches "Entfallen" eines Anspruchs auf Sozialleistungen nicht bereits dann vor, wenn sich nachträglich herausstellt, dass ein bei Bewilligung als gegeben angesehener anspruchsbegründender Umstand für die konkret gewährte Leistung (hier: Erwerbsfähigkeit für den Anspruch auf Alg II) in Wirklichkeit nicht vorgelegen hat.

43

dd) Der Beigeladene kann in der hier zu beurteilenden Konstellation aber auch keinen Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104 SGB X geltend machen. "Nachrangig verpflichtet" ist gemäß § 104 Abs 1 S 2 SGB X ein Leistungsträger nur, soweit er bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers (hier: des Rentenversicherungsträgers) selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Dementsprechend ist für einen Erstattungsanspruch nach dieser Vorschrift kein Raum, soweit ein Träger seine Leistungen auch bei (rechtzeitiger) Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen (§ 104 Abs 1 S 3 SGB X - s allgemein zu den Grundvoraussetzungen eines Erstattungsanspruchs auch BSGE 106, 206 = SozR 4-1300 § 103 Nr 3, RdNr 9 f).

44

So verhält es sich hier. Der Beigeladene war zur Erbringung von SGB II-Leistungen an die Leistungsempfängerin auch dann verpflichtet, wenn diese nicht zu dem Personenkreis der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) gehörte, da bei ihr nach den Feststellungen der Beklagten eine volle Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen bestand. In diesem Fall stand der Leistungsempfängerin, wie es sowohl der Beigeladene (Änderungsbescheide vom 23.2. bzw 16.3.2007) als auch das SG zugrunde gelegt haben, an Stelle des gezahlten Alg II ein Anspruch auf Sozialgeld (§ 28 SGB II aF; ab 1.1.2011: § 19 Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) zumindest in derselben Höhe zu. Denn sie lebte mit ihrem (erwerbsfähigen) Ehemann in Bedarfsgemeinschaft, hatte aber noch keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung), weil sie aufgrund der lediglich befristet - für knapp zwei Jahre - zuerkannten Rente wegen (unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage) voller Erwerbsminderung (vgl § 102 Abs 2 S 5 SGB VI)die Voraussetzungen einer "dauerhaften vollen Erwerbsminderung" iS des § 41 Abs 1 Nr 2 SGB XII(hier noch anzuwenden in der ab 1.1.2005 geltenden aF; ab 1.1.2008: § 41 Abs 1 S 1 iVm Abs 3 SGB XII idF des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007, BGBl I 554) noch nicht erfüllte.

45

Hat aber der Beigeladene die von ihm in den Bescheiden vom 2.5., 5.7. und 12.9.2006 bewilligten aufstockenden "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II" (vgl die Überschrift des Abschn 2 in Kap 3 SGB II aF, der sowohl das Alg II als auch das Sozialgeld umfasste) unabhängig von der Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung in jedem Fall gegenüber der Leistungsempfängerin erbringen müssen (hat er sie also endgültig zu Recht erbracht), so fehlt es von vornherein an den Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch sowohl nach § 104 SGB X(vgl Störmann in Jahn/Jansen, SGB für die Praxis, Stand September 2012, § 106 SGB X RdNr 7) als auch nach § 105 SGB X. Unter diesen Voraussetzungen würde die vom SG für zutreffend erachtete Zuerkennung eines Erstattungsanspruchs an den Beigeladenen nur zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen.

46

Ein solches Ergebnis kann nicht mit der Überlegung gerechtfertigt werden, dass der Erstattungspflichtige davor zu schützen sei, alle Ansprüche des Leistungsempfängers - auch solche subsidiärer oder alternativer Art - prüfen zu müssen. Der um Erstattung angegangene (Rentenversicherungs-)Träger bedarf insoweit keines besonderen Schutzes. Denn er hat die Möglichkeit, von dem Erstattung begehrenden Träger eine Spezifizierung seiner Forderungen und auch Auskunft darüber zu verlangen, ob der Leistungsempfänger bei rechtzeitiger Rentenzahlung weiterhin Anspruch auf Leistungen gehabt hätte, sofern ihm entsprechende Erkenntnisse nicht bereits aufgrund einer Zuziehung des Leistungsempfängers zum Erstattungsverfahren (vgl § 12 Abs 1 Nr 4, Abs 2 iVm § 107 sowie § 24 Abs 1 SGB X)bekannt sind. Im Übrigen darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine zum Schutz der erstattungsverpflichteten Behörde befürwortete pauschale Bejahung von Erstattungsansprüchen anderer Träger wegen der in § 107 SGB X angeordneten Erfüllungswirkung dem Leistungsempfänger auch zum Nachteil gereichen könnte.

47

c) Der Beigeladene hat gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf Ersatz eines Teils der von ihm im Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Leistungsempfängerin.

48

Spezialgesetzliche Anspruchsgrundlagen (§ 37 S 1 SGB I)hierfür sind die Regelungen in § 335 Abs 2 S 1 bzw Abs 5 iVm Abs 2 S 1 SGB III (in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954), die im Bereich des SGB II gemäß § 40 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB II(ebenfalls idF des genannten Gesetzes vom 24.12.2003; ab 1.4.2011: § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II idF des Gesetzes vom 24.3.2011, BGBl I 453) entsprechend anzuwenden sind. Nach den genannten Vorschriften hat der Rentenversicherungsträger die für einen Versicherungspflichtigen nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V bzw § 20 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB XI (dh für Personen, die Alg II beziehen, soweit sie nicht familienversichert sind) entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (KV: § 251 Abs 4 iVm § 252 S 2 SGB V in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung; PV: § 59 Abs 1 S 1 iVm § 60 Abs 1 S 2 SGB XI)zu ersetzen, sofern dem Versicherungspflichtigen eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährt worden ist (s hierzu Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 40 RdNr 81 ff; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 40 RdNr 567, 637 ff, Stand Einzelkommentierung Juni 2012).

49

Ein Ersatzanspruch für gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge besteht allerdings gemäß § 335 Abs 2 S 1 Teils 2 SGB III nur, "wenn und soweit" dem betreffenden Träger auch ein Erstattungsanspruch gegen den Träger der Rentenversicherung "wegen der Gewährung" von Alg II zusteht. Es handelt sich somit hinsichtlich erbrachter Nebenleistungen zum Alg II um die Ergänzung (Annex) eines nach den §§ 102 ff SGB X bestehenden Erstattungsanspruchs(Eicher, aaO RdNr 98; s auch Conradis in Münder, LPK SGB II, 4. Aufl 2011, § 40 RdNr 21 f). Wenn daher - wie hier (s oben unter 2. b) - dem Jobcenter schon kein Erstattungsanspruch für die von ihm erbrachte Hauptleistung nach dem SGB II zusteht, kann es auch keinen Ersatz hinsichtlich der (vom Bund getragenen) Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen. Danach ist über die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als vordringlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage nach der zutreffenden Aufteilung der vom Rentenversicherungsträger gemäß § 335 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB III zu ersetzenden Beträge auf die BA und das Jobcenter (hälftig oder im Verhältnis der jeweils gezahlten Beiträge) hier nicht zu entscheiden.

50

d) Im Ergebnis kann somit nur die Klägerin von der Beklagten die Erstattung des von ihr im Zeitraum Juni 2006 bis Februar 2007 an die Leistungsempfängerin gezahlten Alg und zusätzlich gemäß § 335 Abs 2 S 1, Abs 5 SGB III Ersatz der für diese entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlangen; dem Beigeladenen steht weder ein Erstattungs- noch ein Ersatzanspruch zu. Damit ist hier über die Rangfolge bei mehreren Erstattungsberechtigten iS des § 106 SGB X nicht zu befinden(s dazu näher die Senatsentscheidung vom heutigen Tage im Verfahren B 13 R 11/11 R - zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).

51

Wie bereits ausgeführt (s oben unter 2. a) am Ende), kann die Klägerin das von ihr an die Leistungsempfängerin vom 1.6.2006 bis 28.2.2007 gezahlte Alg nur im Umfang des geringeren Rentenzahlbetrags von der Beklagten erstattet erhalten, also iHv (9 x 362,72 Euro =) 3264,48 Euro. Hinzu kommen als Ersatz für die von der Klägerin entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 335 Abs 2 S 1, S 3 Nr 1 SGB III diejenigen Beitragsanteile, die der Rentenversicherungsträger (die Beklagte) und der versicherte Rentner (die Leistungsempfängerin) für diesen Zeitraum aus der Rente zu entrichten gehabt hätten; das sind hier (9 x =) 579,78 Euro. Mithin stehen der Klägerin insgesamt (3264,48 + 579,78 =) 3844,26 Euro als Erstattung bzw Ersatz zu; die Beklagte, die bereits einen Betrag iHv 1971,80 Euro an die Klägerin gezahlt hat, schuldet ihr noch weitere 1872,46 Euro. Weil die Klägerin aber mit ihrer Revision nur die Zahlung von 1872,44 Euro geltend gemacht hat, war die Beklagte nach dem Grundsatz "ne ultra petita" (§ 123 SGG) lediglich zur Zahlung dieses Betrags zu verurteilen (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).

52

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 159 S 1 VwGO und § 100 Abs 1 ZPO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weitere 54,55 Euro zu zahlen.

Die Kosten des Verfahrens aller Rechtszüge tragen die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auf 54,55 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Rangfolge von Erstattungsansprüchen in der Zeit vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005.

2

Die im Jahre 1963 geborene Leistungsempfängerin bezog von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (jetzt: Deutsche Rentenversicherung Bund; im Folgenden: Beklagte) eine vom 1.12.2003 bis zum 31.5.2005 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung (Bescheid vom 21.10.2003). Den Antrag von September 2004 auf Weitergewährung der Rente lehnte diese ab (Bescheid vom 10.5.2005; Widerspruchsbescheid vom 21.10.2005). Im Klageverfahren vor dem SG Lübeck (S 18 R 820/05) erkannte die Beklagte über den Monat Mai 2005 hinaus bis zum 30.9.2008 Leistungen wegen voller Erwerbsminderung an (Teilanerkenntnis vom 27.9.2006; entsprechender Ausführungsbescheid vom 30.10.2006). Die monatliche Rentenzahlung begann am 1.12.2006 (591,55 Euro zzgl Beitragsanteile zur Kranken- und Pflegeversicherung = insgesamt 657,64 Euro). Die für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2006 errechnete Rentennachzahlung iHv 9800,01 Euro behielt sie vorläufig ein (täglicher Leistungsbetrag im Juli 2005: 19,17 Euro; im November 2005: 19,81 Euro).

3

Auf ihre Arbeitslosmeldung im Mai 2005 bezog die Leistungsempfängerin von der Bundesagentur für Arbeit (BA; im Folgenden: Klägerin) im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 12.7.2005 Arbeitslosengeld (Alg; täglicher Leistungsbetrag 17,37 Euro). Vom 13.7.2005 bis zum 2.11.2005 erhielt sie Krankengeld. Am 2.11.2005 meldete sie sich erneut arbeitslos und bezog Alg vom 3.11.2005 bis zum 3.3.2006 (täglicher Leistungsbetrag 23,77 Euro). Jeweils aufstockend zum Alg und zum Krankengeld bezog sie im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (für Unterkunft und Heizung) von der Arbeitsgemeinschaft Lübeck (Rechtsvorgängerin des Jobcenters Lübeck, im Folgenden: Beigeladener).

4

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 9.11.2006 und 23.2.2007 bei der Beklagten Erstattungsansprüche wegen des Alg iHv 3124,15 Euro für die Zeiträume vom 1.6.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 3.3.2006 geltend (unter Einschluss nicht streitgegenständlicher Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung insgesamt 3710,18 Euro). Der Beigeladene machte mit Schreiben vom 13.12.2006, 17.1. und 29.1.2007 eine Erstattungsforderung iHv 364,84 Euro gegen die Beklagte für die im Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2005 an die Leistungsempfängerin aufstockend gezahlten Leistungen nach dem SGB II geltend.

5

Mit Schreiben vom 19.2. und 10.4.2007 bezifferte die Beklagte die Höhe des Erstattungsanspruchs der Klägerin wegen des Alg auf nur 3069,60 Euro. Der Rentennachzahlbetrag reiche nicht für die vollständige Befriedigung beider Erstattungsansprüche. Der Erstattungsanspruch der Klägerin sei nur anteilsmäßig zu befriedigen, weil dem Beigeladenen ein gleichrangiger Erstattungsanspruch für dieselben Zeiträume zustehe. Entsprechend erstatte die Beklagte dem Beigeladenen nur 358,96 Euro.

6

Im Verhältnis zum Beigeladenen hielt sich die Klägerin jedoch weiterhin für vorrangig erstattungsberechtigt. Das auf die Erstattung des Restbetrags von 54,55 Euro gerichtete Klage- und Berufungsverfahren blieb erfolglos (Urteile SG Lübeck vom 26.5.2009; Schleswig-Holsteinisches LSG vom 10.9.2010). Das LSG hat im Wesentlichen ausgeführt, dass kein weiterer Erstattungsanspruch bestehe, weil sich die Ansprüche der Klägerin und des Beigeladenen gleichrangig - jeweils gestützt auf § 103 SGB X - gegenüberstünden. Deshalb habe die Beklagte die Erstattungsforderungen zutreffend nach § 106 Abs 2 S 1 SGB X anteilsmäßig beglichen. Die Ansicht der Klägerin, wonach der Erstattungsanspruch des Beigeladenen auf § 104 SGB X beruhe und deshalb nachrangig sei, könne nicht auf Rechtsprechung des BSG zu Erstattungsansprüchen des Sozialhilfeträgers alten Rechts gestützt werden(Hinweis auf BSGE 81, 30 = SozR 3-1300 § 104 Nr 12). Wegen fehlender Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin habe kein Anspruch auf Leistungen des Beigeladenen bestanden (§ 8 Abs 1 SGB II). Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung führe bei einer Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaft - wie hier - dazu, dass der Anspruch nach dem SGB II nachträglich entfalle, sodass sich der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X richte, anders bei bloßer Anrechnung der Rente auf die Leistungen nach dem SGB II(dann § 104 SGB X). Im Übrigen scheide ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X auch deshalb aus, weil der Beigeladene weder institutionell nachrangig noch hier im Einzelfall subsidiär zur Leistung verpflichtet gewesen sei. Schließlich folge aus § 44a Abs 2 SGB II (aF) kein anderslautendes Ergebnis. Der in dieser Vorschrift normierte Erstattungsanspruch setze eine Entscheidung der Einigungsstelle darüber voraus, dass ein Grundsicherungsanspruch nicht bestehe. Ein Kompetenzkonflikt um die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin habe hier nicht vorgelegen.

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts (§§ 103, 104, 106 Abs 1 Nr 3 und 4, Abs 2 S 1 SGB X). Ihr stehe ein vorrangiger Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X zu, der voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen sei, weil sich der Erstattungsanspruch des Beigeladenen nach § 104 SGB X richte. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende sei eine institutionell nachrangige Leistung, wie schon die Sozialhilfe (Hinweis auf BSGE 82, 143 = SozR 3-2600 § 13 Nr 1; BSGE 70, 186 = SozR 3-1200 § 53 Nr 4; BSGE 58, 119 = SozR 1300 § 104 Nr 7). Der Grundsatz der Nachrangigkeit folge aus § 5 Abs 1 SGB II(Hinweis auf BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 15)und klarstellend aus § 12a SGB II. Deshalb sei nicht zu prüfen, ob das materielle Recht die Subsidiarität der konkreten Leistung im Einzelfall bestimme. Zwar schließe Erwerbsunfähigkeit Leistungen nach dem SGB II aus (§§ 7, 8 SGB II). Für die grundsätzliche Nachrangigkeit der Leistungen nach dem SGB II könne es jedoch keinen Unterschied machen, ob der Leistungsanspruch wegen fehlender Erwerbsfähigkeit voll oder wegen Einkommensanrechnung nur teilweise entfalle. Die zur Nachrangigkeit der Sozialhilfe ergangene Rechtsprechung (Hinweis auf BSGE 81, 30 = SozR 3-1300 § 104 Nr 12; BSG SozR 3-5870 § 11a Nr 1) stehe dem nicht entgegen. Auch aus § 44a Abs 2 SGB II (aF) könne der Beigeladene keinen Erstattungsanspruch herleiten, weil kein Konflikt über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin im Sinne dieser Vorschrift bestanden habe.

8

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 10. September 2010 sowie das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 26. Mai 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 54,55 Euro zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

10

Sie ist der Ansicht, dass die Nachrangigkeit von Leistungen des SGB II gegenüber denen des SGB III nicht von vornherein die Rangfolge der Erstattungsansprüche im Verhältnis des Beigeladenen zur Beklagten bestimme. Jedenfalls kenne das SGB II keinen Nachrang "sui generis". Vielmehr sehe § 5 Abs 2 S 1 SGB II sogar einen partiellen Vorrang der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vor.

11

Der Beigeladene hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt und sich in der Sache nicht geäußert.

Entscheidungsgründe

12

Die Revision ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Erstattung des an die Leistungsempfängerin in den Zeiträumen vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 gezahlten Alg, weil die Beklagte der Leistungsempfängerin für dieselben Zeiträume rückwirkend Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt hat (1). Dieser Erstattungsanspruch ist voll und nicht nur anteilsmäßig zu befriedigen, weil dem Beigeladenen gegen die Beklagte kein gleichrangiger Erstattungsanspruch für die von ihm zeitgleich gezahlten aufstockenden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier für Unterkunft und Heizung) zusteht (2). Für eine richterliche Rechtsfortbildung besteht kein Grund (3). Einer Beiladung der Leistungsempfängerin bedurfte es nicht (4).

13

Die von der BA erhobene allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist zulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Erhebung besteht; insbesondere steht der Klage nicht die Bagatellgrenze von 50 Euro (§ 110 S 2 SGB X) entgegen, für die keine Erstattung erfolgt. Diese bezieht sich nicht auf den geltend gemachten Einzelbetrag, sondern auf den Gesamtbetrag pro Erstattungsfall (BSG SozR 3-2200 § 548 Nr 4 S 6), der hier weit überschritten ist.

14

Ob und wieweit Erstattungsansprüche mehrerer Sozialleistungsträger zu befriedigen sind, bestimmt § 106 SGB X. Während §§ 102 bis 105 SGB X die Erstattungsansprüche für Sozialleistungen im Verhältnis zweier Sozialleistungsträger normieren, regelt § 106 SGB X den Fall, dass ein Leistungsträger mehreren Leistungsträgern zur Erstattung verpflichtet ist. Gemäß § 106 Abs 1 SGB X sind die Ansprüche nach der in den Nr 1 bis 5 genannten Rangfolge wie folgt zu befriedigen: Zunächst der Anspruch des vorläufig leistenden Leistungsträgers nach § 102(§ 106 Abs 1 Nr 2 SGB X), dann der Anspruch des Leistungsträgers, dessen Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen ist, nach § 103(§ 106 Abs 1 Nr 3 SGB X), dann der Anspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers nach § 104(§ 106 Abs 1 Nr 4 SGB X) und zuletzt der Anspruch des unzuständigen Leistungsträgers nach § 105(§ 106 Abs 1 Nr 5 SGB X). Die im Rahmen des § 106 Abs 1 SGB X angeordnete Rangfolge ist von Bedeutung, wenn - wie hier - die Erstattung eines Leistungsträgers nicht zur Erfüllung der Ansprüche aller Erstattungsberechtigten ausreicht(vgl BT-Drucks 9/95, S 25 f zu § 112). Treffen ranggleiche Erstattungsansprüche mehrerer Sozialleistungsträger zusammen, sind sie nach der Grundregel des § 106 Abs 2 S 1 SGB X anteilsmäßig zu befriedigen, sofern es sich nicht um solche nach § 104 SGB X handelt(§ 106 Abs 2 S 2 SGB X). Die Erstattungspflicht ist nach § 106 Abs 3 SGB X begrenzt, so dass nicht mehr zu leisten ist, als der Erstattungspflichtige nach den für ihn geltenden Erstattungsvorschriften einzeln zu erbringen hätte.

15

Die in § 106 Abs 1 SGB X normierte Rangfolge ergibt sich mithin aus der Einordnung des jeweiligen Erstattungsanspruchs nach §§ 102 ff SGB X und richtet sich damit nach den entsprechenden Anspruchsvoraussetzungen("sachlogische Hierarchie", vgl Kater in Kasseler Komm, Stand März 2001, SGB X, § 106 RdNr 6; Becker in Hauck/Noftz, Stand 2012, SGB X, K § 106 RdNr 10). Bestehen außerhalb des Normenkomplexes von §§ 102 ff SGB X Erstattungsregelungen in den anderen Büchern des SGB, sind diese speziellen Regelungen vorrangig anzuwenden, wenn sie Abweichendes regeln(§ 37 S 1 SGB I).

16

Daher kommt es für die Rangfolge der hier streitigen Erstattungsansprüche - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht darauf an, ob Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II generell nachrangig (systemsubsidiär) gegenüber anderen Leistungen wie dem Alg nach dem SGB III sind. Denn es ist nicht etwa über einen Erstattungsanspruch der klagenden BA gegen das beigeladene Jobcenter zu entscheiden. Vielmehr ist zu klären, welcher Erstattungsanspruch im Verhältnis der klagenden BA zum beklagten Rentenversicherungsträger besteht (1) und welcher im Verhältnis des beigeladenen Jobcenters zum beklagten Rentenversicherungsträger (2); etwaige Erstattungsansprüche sind dann in die in § 106 SGB X vorgesehene Rangfolge einzuordnen. Hieraus folgt ihre Vor-, Gleich- oder Nachrangigkeit und mit ihr deren volle oder nur anteilsmäßige Befriedigung.

17

1. Der Klägerin steht ein spezialgesetzlich normierter Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X zu.

18

Dieser ergibt sich aus § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2, S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III(letztgenannte Vorschrift idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2828 ). Danach steht der BA ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Arbeitslosen eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus der gesetzlichen Rentenversicherung zuerkannt ist. Der Anspruch auf Alg ruht während dieser Zeit erst vom Beginn der laufenden Zahlung der Rente an.

19

a) Dieser spezielle Erstattungsanspruch der BA ist in § 142 Abs 2 S 2 SGB III aF eingefügt worden(durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000, BGBl I 1827 mWv 1.1.2001, als Folgeänderung zur Änderung von § 96a SGB VI, vgl BT-Drucks 14/4630, S 26, 50), um auch den Ersatz des "regulär" - und nicht als Sonderform der "Nahtlosigkeitsregelung" von § 125 SGB III aF im Rahmen eines Kompetenzkonflikts zwischen den Leistungsträgern(vgl dazu noch unten 2a) - gezahlten Alg bei rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung für deckungsgleiche Zeiträume vom Rentenversicherungsträger zu gewährleisten. Damit hat die BA bei rückwirkender Rentenbewilligung stets einen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger (vgl dazu BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 16). Dies gilt unabhängig davon, ob sie das Alg zu Recht oder (wie hier wegen der medizinisch vollen Erwerbsminderung der Leistungsempfängerin) im Widerspruch zum materiellen Recht gezahlt hat.

20

Anders als es die direkte Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X voraussetzt, entfällt der Anspruch auf das Alg im Fall rückwirkender Gewährung einer zeitgleichen Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht nachträglich. Vielmehr ruht der Anspruch auf Alg erst ab Beginn der laufenden Rentenzahlung (§ 142 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF, vgl BSG SozR 4-2600 § 89 Nr 2 RdNr 20). Der Rechtsgrund des davor erbrachten Alg wird dadurch weder beseitigt noch im Sinne der Feststellungen des Rentenversicherungsträgers nachträglich ersetzt (vgl BSG vom 30.1.2002 - B 5 RJ 6/01 R - Juris RdNr 19). Die Klägerin hat die Bewilligung des Alg in den streitigen Zeiträumen auch nicht nachträglich gegenüber der Leistungsempfängerin aufgehoben.

21

Die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs entsprechend § 103 SGB X nach § 142 Abs 2 S 2 iVm § 125 Abs 3 S 1 SGB III aF sind erfüllt. Die Klägerin hat in den Zeiträumen vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 Alg an die Leistungsempfängerin gezahlt. Für den Zeitraum ab 1.6.2005 ist der Leistungsempfängerin nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) rückwirkend eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus medizinischen Gründen (§ 43 Abs 2 SGB VI) zuerkannt worden. Die Beklagte hatte auch nicht bereits selbst an die Leistungsempfängerin geleistet, bevor sie von der Leistungspflicht der Klägerin Kenntnis erlangt hat (entsprechende Anwendung von § 103 Abs 1 Halbs 2 SGB X); vielmehr hat sie nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG den Rentennachzahlungsbetrag für den Zeitraum vom 1.6.2005 bis zum 30.11.2006 vorläufig einbehalten.

22

Der Erstattungsanspruch (entsprechend § 103 SGB X) ist auch nicht nach § 111 S 1 SGB X ausgeschlossen. Die dort genannte Frist zur Geltendmachung ist eingehalten.

23

b) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften (entsprechend § 103 Abs 2 SGB X). Dies sind die für die Beklagte geltenden Vorschriften des SGB VI zur Rentenhöhe. Der von der Beklagten geleistete Rentenzahlbetrag im Zeitraum vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 (täglich 19,17 Euro) reichte aus, um das von der Klägerin gezahlte Alg (täglich 17,37 Euro) zu erstatten. Für die Zeit vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005, in dem das Alg (täglich 23,77 Euro) den Rentenzahlbetrag (täglich 19,81 Euro) überstieg, hat die Klägerin zutreffend den Erstattungsanspruch nur in Höhe der von der Beklagten gezahlten Rente geltend gemacht.

24

2. Dem Beigeladenen steht kein gleichrangiger Erstattungsanspruch gegen die Beklagte zu.

25

Das beigeladene Jobcenter ist gemäß § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs 3 S 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung(Jobcenter, §§ 6d, 44b SGB II) als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beigeladenen Arbeitsgemeinschaft getreten. Diesem kraft Gesetzes eintretenden Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II war von Amts wegen durch Berichtigung des Rubrums Rechnung zu tragen (BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 10; BSGE 108, 86 = SozR 4-1500 § 54 Nr 21, nur in Juris RdNr 14).

26

Der Beigeladene hat für die Zeiträume vom 1.7.2005 bis zum 12.7.2005 und vom 3.11.2005 bis zum 30.11.2005 in Wahrnehmungszuständigkeit für den kommunalen Träger (§ 6 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II, § 44b Abs 3 S 2 SGB II in der bis zum 31.12.2010 gültigen Fassung; vgl BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 20; dazu BVerfGE 119, 331 = SozR 4-4200 § 44b Nr 1 RdNr 165, 207)Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (hier für Unterkunft und Heizung, § 22 SGB II) erbracht. Er ist daher auch berechtigt, die Erstattung dieser Leistungen für den kommunalen Träger zu verlangen.

27

a) Der Beigeladene kann nicht die spezielle Erstattungsregelung nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II(in der bis 31.12.2010 gültigen Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706 ) für sich beanspruchen. Hiernach steht den Leistungsträgern des SGB II ein Erstattungsanspruch entsprechend § 103 SGB X zu, wenn dem Hilfebedürftigen eine andere Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes zuerkannt wird. Nach § 44a Abs 2 S 1 Halbs 1 SGB II (Fassung 2006) setzte dies voraus, dass die gemeinsame Einigungsstelle entschied, dass ein Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht besteht. Die Vorgängernorm von § 44a SGB II(in der bis zum 31.7.2006 gültigen Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004, BGBl I 2014 ) sah hingegen einen solchen Erstattungsanspruch noch nicht vor. Mit der Ergänzung der Erstattungsregelung in § 44a Abs 2 S 1 SGB II (Fassung 2006) sollte klargestellt werden, dass in den Fällen, in denen ein anderer als die SGB II-Träger leistungspflichtig ist, dieser den Trägern der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechend § 103 SGB X erstattungspflichtig ist(vgl BT-Drucks 16/1410, S 27).

28

Der Senat kann offen lassen, ob hier § 44a SGB II in der Fassung 2004 oder Fassung 2006 gilt. Selbst bei Anwendbarkeit der Fassung 2006 lägen deren Voraussetzungen nicht vor.

29

Die Vorschrift des § 44a Abs 1 S 3 SGB II(in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze vom 2.12.2006, BGBl I 2742 ) ordnete an, dass die zuständigen Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bis zur Entscheidung der nach S 2 der Vorschrift angerufenen Einigungsstelle zu erbringen hatten. Sie ist als Nahtlosigkeitsregelung nach dem Vorbild des § 125 Abs 1 SGB III aF interpretiert worden, und nicht als nur vorläufige Leistungspflicht der SGB II-Träger(vgl BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 19 f - zu § 44a S 3 SGB II). Jedenfalls aber griff sie nur dann, wenn die zuständigen SGB II-Leistungsträger sich nicht für zuständig erachteten oder zwischen den Leistungsträgern Uneinigkeit über die Erwerbsfähigkeit bestand.

30

Eine derartige Konstellation lag hier jedoch nicht vor. Denn übereinstimmend (wenn auch irrtümlich) sind sowohl die Klägerin als auch der Beigeladene von der Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ausgegangen. Mangels Streits oder eines Dissenses zwischen den Leistungsträgern über die Erwerbsfähigkeit der Leistungsempfängerin ist der Anwendungsbereich von § 44a SGB II (Fassung 2006) nicht eröffnet (vgl BSG SozR 4-2500 § 9 Nr 3 RdNr 13; Chojetzki, NZS 2010, 662, 667). Die Leistungsempfängerin war zu keinem Zeitpunkt in einer Situation (bildlich gesprochen "zwischen zwei Stühlen", BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, RdNr 20), in der keiner der Leistungsträger Leistungen erbringen wollte (vgl BSG aaO RdNr 21; Blüggel in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 44a RdNr 33).

31

b) Ein Erstattungsanspruch des Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 102 SGB X kommt nicht in Betracht, weil die Leistungen nach dem SGB II nicht vorläufig iS von § 43 SGB I geleistet worden sind. Denn hierfür bedarf es einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung; es reicht nicht aus, vorläufige Leistungen freiwillig zu erbringen (vgl BSGE 58, 119, 121 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 19). § 44a Abs 1 S 3 SGB II (Fassung 2006) enthielt aber keine Anordnung einer vorläufigen Leistung(s oben a).

32

c) Dem Beigeladenen steht gegen die Beklagte auch kein Erstattungsanspruch in direkter Anwendung von § 103 Abs 1 SGB X zu. Diese Norm setzt ua voraus, dass ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch entfällt iS von § 103 Abs 1 Halbs 1 SGB X nur, wenn durch die Erfüllung des (zweiten) Leistungsanspruchs der von einem zuständigen Leistungsträger erbrachte (erste) Leistungsanspruch(durch eine "Wegfallregelung" oder "-bestimmung": vgl BSG SozR 1300 § 103 Nr 5 S 24 f) zum Wegfall kommt (vgl ferner BSGE 72, 163, 165 = SozR 3-2200 § 183 Nr 6 S 14; BSGE 57, 146, 148 = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 1, 4; Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, SGB X, § 103 RdNr 20; zB auch § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V, wonach der Anspruch auf Krankengeld vom Beginn der Rente wegen voller Erwerbsminderung an endet).

33

Der Anspruch der Leistungsempfängerin auf die Leistungen nach dem SGB II ist aber weder durch die rückwirkende Gewährung noch durch die Auszahlung der vollen Erwerbsminderungsrente an sie nachträglich ganz oder teilweise iS von § 103 Abs 1 SGB X entfallen. Im SGB II existiert keine - § 142 Abs 1 S 1 Nr 3, Abs 2 S 1 Nr 2 SGB III aF oder dem § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V vergleichbare - Regelung, die den Wegfall, das Ende bzw das Ruhen der Leistungen nach dem SGB II für den Fall anordnet, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung rückwirkend zeitgleich gewährt wird.

34

Hingegen regelt § 103 SGB X nicht den Fall, dass ein Leistungsträger Leistungen zu Unrecht erbracht hat(vgl BT-Drucks 9/95, S 25 zu § 109; vgl Kater in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 103 SGB X RdNr 27; Becker in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 2012, K §§ 102 - 114 RdNr 9a, c). Denn dann entfällt ein Anspruch auf Sozialleistungen nicht "nachträglich", wie Abs 1 der Vorschrift verlangt; vielmehr bestand ein solcher von vornherein nicht. So liegt der Fall hier. Die Leistungen nach dem SGB II sind zu Unrecht gezahlt worden, weil die allein lebende Leistungsempfängerin die Anspruchsvoraussetzung des § 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II von Anfang an nicht erfüllt hat und auch andere Leistungsansprüche nach dem SGB II für sie nicht in Betracht kamen. Die Leistungsempfängerin war nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG ab Beginn der SGB II-Leistungen wegen Krankheit auf absehbare Zeit außer Stande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, mithin nicht erwerbsfähig nach § 8 Abs 1 SGB II. Dass das Fehlen der Erwerbsfähigkeit erst später festgestellt wurde, steht dem nicht entgegen.

35

d) Hat das beigeladene Jobcenter im Ergebnis weder einen spezialgesetzlichen Erstattungsanspruch in entsprechender Anwendung von § 103 SGB X noch einen Erstattungsanspruch nach §§ 102, 103 SGB X gegen den beklagten Rentenversicherungsträger, folgt daraus, dass ihm im Verhältnis zur klagenden BA kein (zumindest) gleichrangiger Erstattungsanspruch zusteht, der anteilsmäßig zu befriedigen wäre(§ 106 Abs 2 S 1 SGB X).

36

Der Senat kann daher offen lassen, ob das beigeladene Jobcenter für den nachrangig verpflichteten Leistungsträger einen Erstattungsanspruch gegen den beklagten Rentenversicherungsträger auf § 104 Abs 1 S 1 SGB X stützen könnte. Dieser Erstattungsanspruch wäre nach der in § 106 Abs 1 SGB X normierten Rangfolge(dort Nr 4) immer nachrangig gegenüber dem auf § 103 SGB X (in entsprechender Anwendung) gestützten Erstattungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte (§ 106 Abs 1 Nr 3 vor Nr 4 SGB X). Ebenso wenig muss der Senat entscheiden, ob sich die Klägerin für ihre Rechtsmeinung auf einen aus § 5 bzw § 12a SGB II folgenden Grundsatz der generellen Nachrangigkeit von Leistungen nach dem SGB II - wie für die Sozialhilfe nach § 2 Abs 1 SGB XII(vormals § 2 Abs 2 BSHG)- berufen kann(zur "Systemsubsidiarität" des SGB II: vgl BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 15 RdNr 14 ff, 16 im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB V; vgl BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15 im Verhältnis zu Leistungen nach dem SGB III, dort wohl nicht tragend; s aber BSG SozR 4-1300 § 107 Nr 4 RdNr 14 und BSG vom 20.12.2011 - B 4 AS 203/10 R - SozR 4-1300 § 107 Nr 5 RdNr 18).

37

3. Der Senat sieht sich ferner nicht veranlasst, dem Beigeladenen im Wege richterlicher Rechtsfortbildung einen Erstattungsanspruch in der hier vorliegenden Fallkonstellation zuzubilligen.

38

Dies gilt selbst dann, wenn den SGB II-Trägern bei nachträglicher Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung (die Fälle einer sog "Arbeitsmarkt-Rente" ausgenommen) auch ohne konkurrierenden Erstattungsanspruch der BA eine Erstattung vom Rentenversicherungsträger nach § 104 oder § 105 SGB X verwehrt bliebe. Ein solches Ergebnis ließe sich damit begründen, dass auch im Rahmen dieser Vorschriften die konkreten Leistungen des nachrangig verpflichteten bzw unzuständigen Leistungsträgers materiell rechtmäßig erbracht worden sein müssten ("ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 104 SGB X", BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 12 S 38; vgl auch BSGE 58, 119, 123 = SozR 1300 § 104 Nr 7 S 21; BSGE 70, 186, 195 f = SozR 3-1200 § 53 Nr 4 S 26; BSGE 74, 36, 39 = SozR 3-1300 § 104 Nr 8 S 18; BSG BSGE 99, 111 = SozR 4-2500 § 39 Nr 10, RdNr 7; aA BSG SozR 3-1300 § 107 Nr 10 S 12 ff, 15; BSG SozR 3-2600 § 93 Nr 12 S 109 f mwN; zu § 105 SGB X zB BSG SozR 3-5670 § 3 Nr 4 S 21). Einer näheren Überprüfung dieser Argumentation bedarf es hier nicht. Selbst wenn sie zuträfe, schiede eine richterliche Rechtsfortbildung aus.

39

Ein derartiges Vorgehen ist allenfalls dort angebracht, wo Programme ausgefüllt, Lücken geschlossen, Wertungswidersprüche aufgelöst werden müssen oder besonderen Umständen des Einzelfalls Rechnung zu tragen ist (BVerfG - Kammerbeschluss vom 26.9.2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 42 BvR 469/07 - NJW 2012, 669 RdNr 45; BVerfGE 126, 286, 306). Das lässt sich hier nicht feststellen.

40

Denn der Gesetzgeber hat Erstattungsansprüche bei Erbringung von Leistungen an nicht Erwerbsfähige durch die - hierfür an sich nicht leistungsverpflichteten - SGB II-Träger geregelt. Er hat, wie bereits oben (bei 2 a) ausgeführt, im Jahre 2006 den speziellen Erstattungstatbestand des § 44a Abs 2 S 1 Halbs 2 SGB II (Fassung 2006) geschaffen. Diese ausdrückliche Erstattungsregelung erfasst erkennbar nur einen engen Teilbereich der Fälle, in denen SGB II-Leistungen rechtsgrundlos an nicht Erwerbsfähige gezahlt werden. Damit sieht sich der Senat aber daran gehindert, sie im Wege der Rechtsfortbildung auf jene Fälle zu erweitern, in denen die SGB II-Träger ohne nähere Prüfung fälschlicherweise von der Erwerbsfähigkeit eines Antragstellers ausgehen.

41

4. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass das LSG von einer Beiladung (§ 75 SGG) der Leistungsempfängerin abgesehen hat, obwohl diese von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wegen der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X betroffen ist. Zwar ist eine Beiladung des Leistungsempfängers im Erstattungsstreit (zwischen Sozialhilfeträger und Rentenversicherungsträger vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 80; BSG vom 15.11.1989 - 5 RJ 78/88 - Juris; zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 60; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 7; s hierzu auch Becker, SGb 2011, 84) als notwendig erachtet worden. Eine unterbliebene notwendige Beiladung zieht dann aber keine Aufhebung des angefochtenen Urteils und keine Zurückverweisung nach sich, wenn sich im Revisionsverfahren ergibt, dass die zu treffende Entscheidung aus Sicht des Revisionsgerichts den Beizuladenden nicht benachteiligen kann (vgl BSG SozR 4-3250 § 51 Nr 2 RdNr 15; BSG SozR 4-2500 § 121 Nr 6 RdNr 18; BSGE 66, 144, 146 f = SozR 3-5795 § 6 Nr 1 S 3 f; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 34 S 68; BSGE 96, 190 f = SozR 4-4300 § 421g Nr 1 RdNr 20). Eine mögliche Benachteiligung der Leistungsempfängerin ist hier nicht ersichtlich.

42

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 1, § 159 S 1 VwGO und § 100 Abs 1 ZPO. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 S 1 GKG.

(1) Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt.

(2) Hat der Berechtigte Ansprüche gegen mehrere Leistungsträger, gilt der Anspruch als erfüllt, den der Träger, der die Sozialleistung erbracht hat, bestimmt. Die Bestimmung ist dem Berechtigten gegenüber unverzüglich vorzunehmen und den übrigen Leistungsträgern mitzuteilen.

Tenor

§ 43 Absatz 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften verstößt gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes aus Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes und ist nichtig, soweit danach § 40a Absatz 1 Satz 2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, rückwirkend bereits in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anzuwenden ist.

Gründe

1

Die Vorlage betrifft die Frage, ob § 43 Abs. 18 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG) insofern gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot aus Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, als darin die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle von dieser Vorschrift erfassten, noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen angeordnet worden ist. Dies hat zur Folge, dass Teilwertabschreibungen einer Körperschaft auf Anteile an Aktienfonds den steuerlichen Gewinn auch der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 nicht mehr mindern.

A.

I.

2

1. Das Recht der inländischen Investmentgesellschaften war bis zum 31. Dezember 2003 im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften geregelt. Die ursprüngliche Fassung dieses Gesetzes datiert vom 16. April 1957 (BGBl I S. 378). Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften enthielt die aufsichts- und steuerrechtlichen Vorschriften für inländische Kapitalanlagegesellschaften. Die entsprechenden Vorschriften für ausländische Kapitalanlagegesellschaften waren in dem ebenfalls zum Jahresende 2003 ausgelaufenen Auslandinvestment-Gesetz (AuslInvG) - ursprünglich in der Fassung vom 28. Juli 1969 (BGBl I S. 986) - enthalten.

3

Das Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften und das Auslandinvestment-Gesetz wurden im Rahmen des Gesetzes zur Modernisierung des Investmentwesens und zur Besteuerung von Investmentvermögen (Investmentmodernisierungsgesetz) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I S. 2676) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 durch das Investmentgesetz (InvG) für das Aufsichtsrecht und das Investmentsteuergesetz (InvStG) für das Steuerrecht abgelöst. Das Investmentgesetz wurde inzwischen durch das am 22. Juli 2013 in Kraft getretene Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) ersetzt (BGBl I S. 1981), das Investmentsteuergesetz besteht fort.

4

Die Vorlage betrifft die Endphase der zeitlichen Anwendung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften. In dem Gesetzgebungsverfahren zum Investmentmodernisierungsgesetz setzte sich der Gesetzgeber unter anderem mit einem Auslegungsproblem zur ertragsteuerlichen Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen auseinander (vgl. § 8 InvStG). Es ging um die Frage, ob der in § 8b Abs. 3 Körperschaftsteuergesetz (KStG) in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung vorgesehene Ausschluss der Berücksichtigungsfähigkeit von Teilwertabschreibungen (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 79; BGBl I 2000, S. 1433 <1453>, S. 1850 <1854> und BGBl I 2001, S. 3858 <3863>) auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung findet, obwohl § 40a KAGG auf diese Vorschrift nicht verwies. Der Gesetzgeber erstreckte die seiner Auffassung nach im Vergleich zur bisherigen Rechtslage nur klarstellende Lösung, wonach § 8b Abs. 3 KStG auch auf Kapitalanlagegesellschaften Anwendung finde, durch eine Änderung des auslaufenden Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften zugleich auf die Vergangenheit. Die dies anordnenden Regelungen des § 40a Abs. 1 Satz 2 und des § 43 Abs. 18 KAGG wurden in das Gesetz zur Umsetzung der Protokollerklärung der Bundesregierung zur Vermittlungsempfehlung zum Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl I S. 2840), das auch Korb II-Gesetz genannt wird, aufgenommen. Die Gesetzgebungsverfahren zum Korb II-Gesetz und zum Investmentmodernisierungsgesetz wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 durchgeführt (vgl. zu den Gesetzentwürfen der Bundesregierung BRDrucks 560/03 vom 15. August 2003 und BRDrucks 609/03 vom 28. August 2003; vgl. BTDrucks 15/1518, 15/1553). Das Investmentmodernisierungsgesetz wurde am 19. Dezember 2003, das Korb II-Gesetz am 27. Dezember 2003 im Bundesgesetzblatt verkündet.

5

2. Hintergrund der Einführung des § 40a Abs. 1 KAGG war der Systemwechsel im Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren (später Teileinkünfteverfahren). Dieser Systemwechsel (vgl. dazu BVerfGE 125, 1; 127, 224) hatte zu Änderungen des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und des Auslandinvestment-Gesetzes geführt (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132). An den durch das Gesetz zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung (Steuersenkungsgesetz - StSenkG) vom 23. Oktober 2000 (BGBl I S. 1433) eingeführten, zunächst nur aus einem Satz bestehenden § 40a Abs. 1 KAGG a.F. wurde durch das Korb II-Gesetz vom 22. Dezember 2003 ein zweiter Satz (im nachfolgenden Text in Fettdruck wiedergegeben) angefügt, für den es in der vorherigen Fassung noch keine Entsprechung gegeben hatte.

6

§ 40a KAGG in der hier maßgeblichen Fassung des Korb II-Gesetzes lautet:

7

§ 40a KAGG

(1) 1Auf die Einnahmen aus der Rückgabe oder Veräußerung von Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen, die zu einem Betriebsvermögen gehören, sind § 3 Nr. 40 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit sie dort genannte, dem Anteilscheininhaber noch nicht zugeflossene oder als zugeflossen geltende Einnahmen enthalten oder auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören. 2Auf Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilsscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, sind § 3c Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes und § 8b Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes anzuwenden, soweit die Gewinnminderungen auf Beteiligungen des Wertpapier-Sondervermögens an Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen entfallen, deren Leistungen beim Empfänger zu den Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes gehören.

(2) …

8

Die zeitliche Anwendung des § 40a Abs. 1 KAGG wurde durch das Korb II-Gesetz in § 43 Abs. 18 KAGG wie folgt festgelegt:

9

§ 43 KAGG

(1) bis (17) …

(18) § 40a Abs. 1 in der Fassung des Artikels 6 des Gesetzes vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I S. 2840) ist für alle Veranlagungszeiträume anzuwenden, soweit Festsetzungen noch nicht bestandskräftig sind.

10

Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17) handelt es sich bei § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG um eine "redaktionelle Klarstellung, dass § 8b Abs. 3 KStG auch bei Investmentanteilen gilt, wenn Verluste aus der Veräußerung der Anteilscheine oder Teilwertminderungen auf Wertminderungen der in dem Wertpapier-Sondervermögen befindlichen Beteiligungen beruhen".

11

Auf der Ebene der Finanzgerichte ist umstritten, ob die Vorschrift des § 40a Abs. 1 KAGG mit dem neuen Satz 2 im Vergleich zur vorherigen Gesetzesfassung ohne den Satz 2 - wie im Vorlagebeschluss vertreten - als konstitutive, die bisherige Rechtslage ändernde Regelung oder als deklaratorische, die bisherige Rechtslage lediglich klarstellende Regelung anzusehen ist (vgl. Finanzgericht München, Urteile vom 28. Februar 2008 - 7 K 917/07 -, EFG 2008, S. 991, - dazu BFHE 227, 73 - und vom 17. März 2009 - 6 K 3474/06 -, EFG 2009, S. 1053, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 33/09, sowie Gerichtsbescheid vom 18. September 2012 - 7 K 2684/10 -, EFG 2013, S. 72, das Revisionsverfahren ist anhängig unter dem Aktenzeichen I R 74/12).

12

Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung des einfachen Rechts in dieser Frage liegt noch nicht vor. Beim Bundesfinanzhof sind zwei Revisionsverfahren hierzu anhängig (I R 33/09 und I R 74/12). Beide beziehen sich auf das Jahr 2002, welches auch das Streitjahr in dem Ausgangsverfahren der hier zu behandelnden Vorlage ist. Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs zu dem § 40a Abs. 1 KAGG a.F. betreffenden Auslegungsproblem ist noch nicht ergangen (vgl. Beschluss vom 15. Mai 2013 zur Aussetzung des Revisionsverfahrens I R 74/12, BFH/NV 2013, S. 1452).

13

3. Nach dem um den Satz 2 ergänzten § 40a Abs. 1 KAGG bleiben Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen einer Kapitalgesellschaft an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, bei der steuerlichen Gewinnermittlung unberücksichtigt. Im Gegensatz zur vorherigen Fassung enthält § 40a Abs. 1 KAGG neben der ausdrücklichen Verweisung auf § 8b Abs. 2 KStG durch den neuen Satz 2 nunmehr auch eine ausdrückliche Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG.

14

§ 8b KStG in der Fassung der Bekanntmachung der Neufassung des Körperschaftsteuergesetzes vom 15. Oktober 2002 (BGBl I S. 4144, nachfolgend als KStG a.F. bezeichnet) lautet auszugsweise:

15

§ 8b KStG

Beteiligungen an anderen Körperschaften und Personenvereinigungen

(1) …

(2) 1Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben Gewinne aus der Veräußerung eines Anteils an einer Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen beim Empfänger zu Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2, 9 und 10 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes gehören, oder an einer Organgesellschaft im Sinne der §§ 14, 17 oder 18, aus der Auflösung oder der Herabsetzung des Nennkapitals oder aus dem Ansatz des in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes bezeichneten Werts sowie Gewinne im Sinne des § 21 Abs. 2 des Umwandlungssteuergesetzes außer Ansatz. 2Das gilt nicht, soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist. 3Veräußerung im vorstehenden Sinne ist auch die verdeckte Einlage.

(3) Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit dem in Absatz 2 genannten Anteil entstehen, sind bei der Gewinnermittlung nicht zu berücksichtigen.

(4) bis (7) …

16

§ 8 Abs. 3 KStG a.F. ("bei der Gewinnermittlung") ist mit § 8b Abs. 3 Satz 3 der aktuellen Fassung des KStG ("bei der Ermittlung des Einkommens") nahezu wortgleich. Bei dem steuerlichen Begriff des Teilwerts handelt es sich nach der Legaldefinition in § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) um den Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde, wobei davon auszugehen ist, dass der Erwerber den Betrieb fortführt (vgl. die Legaldefinition in § 10 Bewertungsgesetz). Sinkt der Teilwert im Vergleich zu den Anschaffungskosten, den Herstellungskosten oder zu dem Restbuchwert eines Wirtschaftsguts, kann eine Verpflichtung zur Teilwertabschreibung bestehen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG; vgl. zum Handelsrecht § 253 HGB). Abschreibungen auf den niedrigeren Teilwert mindern grundsätzlich das zu versteuernde Einkommen. In den Fällen des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG8b Abs. 3 KStG a.F.) gilt das jedoch ausnahmsweise nicht; hierunter fallende Gewinnminderungen bleiben steuerlich unberücksichtigt. Nach der Begründung zum Absatz 3 im Entwurf des Steuersenkungsgesetzes bleiben Veräußerungsverluste und Teilwertabschreibungen steuerlich unberücksichtigt, ebenso Wertaufholungen ("Konsequenz aus der Befreiung der Veräußerungsgewinne", vgl. BTDrucks 14/2683, S. 124; vgl. zu "Regelungssymmetrie" und steuersystematischer Korrektheit auch Gosch, in: Gosch, KStG, 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 260 f.). Eine Ausnahme von der Steuerbefreiung sei vorgesehen, soweit sich Teilwertabschreibungen in früheren Jahren gewinnmindernd ausgewirkt hätten (vgl. § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F., inzwischen Satz 4), insoweit sei eine Wertaufholung oder ein Veräußerungsgewinn zu versteuern.

17

Gewinnminderungen im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen (vgl. § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG), können - wie im Ausgangsverfahren des Finanzgerichts - bei im Wert gefallenen Anteilen an Aktienfonds vorliegen. Die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. hat zur Folge, dass diesbezügliche Teilwertabschreibungen - zum Beispiel infolge von Kursstürzen an der Börse - bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens einer Körperschaft nicht berücksichtigt werden.

II.

18

Das Ausgangsverfahren betrifft die Körperschaftsteuer des Veranlagungszeitraums 2002 der dortigen Klägerin. Sie ist ein Kreditinstitut, das am 31. Dezember 2002 (Stichtag des Jahresabschlusses) in seinem Umlaufvermögen Anteile an zwei Investmentfonds hielt. Zum 31. Dezember 2002 waren die Börsenkurse der Anteilscheine an diesen Fonds unter die jeweiligen im Jahresabschluss des Vorjahres ausgewiesenen Buchwerte gesunken.

19

Die klagende Bank nahm in ihrer am 14. Januar 2003 erstellten Handelsbilanz für das Jahr 2002 Abschreibungen auf die Fonds in Höhe von insgesamt 392.643,53 € vor. In seinem Lagebericht beschrieb der Vorstand den "stärksten Kurseinbruch in der Geschichte des DAX". Für den deutschen Aktienindex (DAX) sei das Jahr 2002 das dritte Verlustjahr in Folge gewesen. Nachdem der Index bereits in den Jahren 2000 und 2001 um 8% beziehungsweise 20% an Wert verloren habe, habe er im Jahr 2002 mit dem Verlust von 44% (DAX-Stand zum Jahresende 2002: 2.892,63 Punkte) die höchste Einbuße in seiner Geschichte verzeichnet.

20

In der am 10. Juli 2003 erstellten Steuerbilanz für das Jahr 2002 führten die Abschreibungen auf die Fondsanteile, nachdem deren Kurswerte bis zur Erstellung der Steuerbilanz wieder gestiegen waren, zu einer Gewinnminderung in Höhe von 357.493,73 €. Die Klägerin wurde gemäß ihrer im August 2003 beim Finanzamt eingereichten Körperschaftsteuererklärung veranlagt. Die Körperschaftsteuer laut dem ursprünglichen Bescheid vom 22. Oktober 2003 betrug 95.509 €.

21

Nach der Verabschiedung des Korb II-Gesetzes reichte die Klägerin Ende Februar 2004 beim Finanzamt eine geänderte Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2002 ein. Unter anderem erhöhte sie den bislang erklärten Gewinn um die für das Jahr 2002 vorgenommenen, als steuerwirksam behandelten Teilwertabschreibungen. Gleichzeitig kündigte die Klägerin einen Einspruch an, den sie sodann nach Erlass des Änderungsbescheids vom 27. April 2004 einlegte.

22

Im Rahmen einer während des Einspruchsverfahrens durchgeführten Betriebsprüfung teilte der Prüfer unter Hinweis auf das Korb II-Gesetz die Auffassung der Finanzverwaltung, dass eine steuerliche Berücksichtigung der Teilwertabschreibung gemäß § 8b Abs. 3 KStG a.F. ausgeschlossen und der Gewinn daher entsprechend zu erhöhen sei. Unter Berücksichtigung der sich erhöhenden Gewerbesteuer-Rückstellung ergab sich im Hinblick auf die im Streit stehende Teilwertabschreibung für 2002 eine Gewinnerhöhung um einen Betrag von 282.019,50 €, die in dieser Höhe dem Körperschaftsteuer-Änderungsbescheid vom 13. April 2005 zugrunde gelegt wurde. Das Finanzamt setzte die Körperschaftsteuer nunmehr auf 140.570 € fest und wies den Einspruch als unbegründet zurück.

23

Mit der gegen den geänderten Körperschaftsteuerbescheid und die Einspruchsentscheidung erhobenen Klage macht die Klägerin im Ausgangsverfahren geltend, § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG wirke in Verbindung mit der Anwendungsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in konstitutiver und verfassungsrechtlich unzulässiger Weise in abgeschlossene Veranlagungszeiträume zurück. Sie beantragt eine Herabsetzung des zu versteuernden Einkommens um den Betrag von 282.019,50 €.

III.

24

Das Finanzgericht hat das Ausgangsverfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (veröffentlicht in EFG 2008, S. 983).

25

Das vorlegende Gericht hält § 43 Abs. 18 KAGG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG für verfassungswidrig, weil die neue Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG nicht lediglich klarstellend sei, sondern eine unzulässige echte Rückwirkung entfalte. § 8b Abs. 3 KStG sei weder unmittelbar auf Anteilscheine anwendbar gewesen, noch habe § 40a Abs. 1 KAGG a.F. die sinngemäße Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG angeordnet, noch folge der Ausschluss der Teilwertabschreibungen vom steuerrechtlichen Abzug bei der Gewinnermittlung aus § 8 Abs. 1 KStG in Verbindung mit § 3c Abs. 1 EStG. Insbesondere der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. mit der dort fehlenden Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG a.F. und eine systematische Auslegung der Vorschrift, wonach die steuerliche Berücksichtigung von Teilwertabschreibungen auf Anteilscheine nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen führe, sprächen dafür, dass bis zur Neuregelung des § 40a Abs. 1 KAGG Teilwertabschreibungen bei Anteilscheinen gewinnmindernd berücksichtigungsfähig gewesen seien. Diese Möglichkeit werde rückwirkend versagt. Keine der Ausnahmefallgruppen, in denen eine echte Rückwirkung zulässig sein könne, sei einschlägig.

IV.

26

Zu dem Vorlagebeschluss haben Stellung genommen das Bundesministerium der Finanzen namens der Bundesregierung, die Bundessteuerberaterkammer, ein Zusammenschluss der Bundesverbände aus dem Bereich des Bankwesens, das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V., der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. sowie - im Auftrag der Klägerin des Ausgangsverfahrens - Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön.

27

Das Bundesministerium der Finanzen hält die Vorlage für unzulässig und überdies für unbegründet. Das vorlegende Gericht setze sich nicht näher mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung auseinander. § 43 Abs. 18 KAGG erfülle nicht den Tatbestand einer echten Rückwirkung. Der Verweis in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf § 8b Abs. 3 KStG sei nur deklaratorisch. Bereits § 40a Abs. 1 KAGG a.F. habe die Anwendung des Abzugsverbots nach § 8b Abs. 3 KStG mit eingeschlossen. Das Bundesministerium der Finanzen verweist ferner auf die Urteile des Finanzgerichts München vom 28. Februar 2008 (EFG 2008, S. 991) und vom 17. März 2009 (EFG 2009, S. 1053).

28

In den übrigen Stellungnahmen wird, soweit sie sich inhaltlich zu den aufgeworfenen Rechtsfragen äußern, die Auffassung des vorlegenden Finanzgerichts Münster geteilt, dass § 43 Abs. 18 KAGG die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise anordne.

29

Der Bundesfinanzhof hat inhaltlich nicht Stellung bezogen. Das Offenlassen der verfassungsrechtlichen Frage in seinem Urteil vom 28. Oktober 2009 - I R 27/08 - (BFHE 227, 73) hat er mit der in diesem Fall gemeinschaftsrechtlich bedingten Unanwendbarkeit der Vorschrift begründet.

B.

I.

30

Die Vorlage ist zulässig.

31

1. Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG muss das vorlegende Gericht darlegen, inwiefern seine Entscheidung von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Norm abhängt (vgl. BVerfGE 105, 48 <56>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f.>). Dazu muss der Vorlagebeschluss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit und wie das Gericht dieses Ergebnis begründen würde (vgl. BVerfGE 105, 61 <67>; 133, 1 <11>). Für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG ist dabei grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts vom einfachen Recht maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <11>).

32

2. Die Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. durch das vorlegende Gericht ist vertretbar. Sie lässt sich insbesondere auf den Wortlaut der Vorschrift stützen. Dass die gegenteilige Auslegung der Vorschrift ebenfalls vertretbar erscheint (vgl. die unter A I 2 zitierten Urteile des Finanzgerichts München aus den Jahren 2008 und 2009) und die maßgebliche Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, steht der Zulässigkeit der Vorlage nicht entgegen. Hierfür genügt es, dass die Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht offensichtlich unhaltbar ist. Es gehört nicht zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Antrags auf konkrete Normenkontrolle, die vorherige höchstrichterliche Klärung einer für die verfassungsrechtliche Beurteilung erheblichen Vorfrage des einfachen Rechts abzuwarten. Dagegen spricht schon die Befugnis von erst- oder zweitinstanzlichen Gerichten zum Antrag auf konkrete Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG.

33

3. Das Finanzgericht hat sich im Vorlagebeschluss hinreichend mit der Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung der einschlägigen einfachrechtlichen Vorschriften befasst und diese verneint. Der Gesetzgeber habe mit der Übergangsvorschrift des § 43 Abs. 18 KAGG in der Fassung des Korb II-Gesetzes bewusst und eindeutig die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auf alle noch nicht bestandskräftigen Veranlagungen festgelegt. Das vorlegende Gericht sieht insofern zu Recht keinen Spielraum bei der Auslegung des § 43 Abs. 18 KAGG.

34

4. Das vorlegende Gericht war nicht verpflichtet, den Vorlagebeschluss vom 22. Februar 2008 im Hinblick auf mehrere zwischenzeitlich ergangene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 126, 369; 127, 1; 131, 20; 132, 302) zu ergänzen, die auch für die Vorlage relevante Aussagen zu Fragen der Verfassungsmäßigkeit rückwirkender Gesetze enthalten.

35

Es besteht keine generelle verfassungsprozessuale Verpflichtung eines vorlegenden Gerichts, den Vorlagebeschluss im Hinblick auf erhebliche tatsächliche oder rechtliche Entwicklungen, die sich erst nach der Vorlage ergeben, fortlaufend zu überwachen und gegebenenfalls zu aktualisieren. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dem auch für die Vorlagefrage maßgeblichen Verfassungsrecht, die erst nach dem Vorlagebeschluss veröffentlicht werden. Das vorlegende Gericht ist allerdings berechtigt, das Bundesverfassungsgericht über neue, aus seiner Sicht für das Vorlageverfahren bedeutsame Erkenntnisse zu unterrichten. Es kann auch einen Ergänzungsbeschluss fassen, wenn es Mängel im ursprünglichen Vorlagebeschluss beseitigen will (vgl. z.B. BVerfGE 132, 302 <310>).

36

5. Die auf Anteile an Aktienfonds zielende Vorlagefrage ist dem Wortlaut des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG entsprechend auf Anteile an Wertpapier-Sondervermögen und diesbezügliche Gewinnminderungen zu erstrecken. Die Befriedungsfunktion des Normenkontrollverfahrens (vgl. dazu BVerfGE 132, 302 <316> m.w.N.) spricht für diese Erweiterung der Vorlagefrage. Weitergehende verfassungsrechtliche Fragen werden dadurch nicht aufgeworfen.

37

Entsprechendes gilt für den Veranlagungszeitraum 2001, auf den die Vorlagefrage zu erstrecken ist. Die nach der Vorlage für den im Ausgangsverfahren entscheidungserheblichen Veranlagungszeitraum 2002 erheblichen Verfassungsrechtsfragen stellen sich in gleicher Weise für das Jahr 2001. Eine Erstreckung der Vorlage auf den Veranlagungszeitraum 2003 kommt hingegen nicht in Betracht, weil die verfassungsrechtliche Beurteilung bezüglich dieses Veranlagungszeitraums (vgl. Finanzgericht Nürnberg, Urteil vom 21. Juli 2009 - 1 K 733/2007 -, EFG 2010, S. 163) schon im Hinblick auf die Einordnung der gesetzlichen Rückwirkung eigene Probleme und teilweise andere Fragen aufwirft.

II.

38

§ 43 Abs. 18 KAGG ist verfassungswidrig, soweit er für Gewinnminderungen, die im Zusammenhang mit Anteilscheinen an einem Wertpapier-Sondervermögen stehen, die rückwirkende Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 anordnet. Insoweit entfaltet § 43 Abs. 18 KAGG schon in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (1). Die rückwirkende Verweisung auf § 8b Abs. 3 KStG in § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG ist aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutive Änderung der bisherigen Rechtslage zu behandeln und damit auch materiell an den Grundsätzen einer echten Rückwirkung zu messen (2). Die Voraussetzungen einer nur ausnahmsweise zulässigen echten Rückwirkung liegen hier nicht vor (3).

39

1. § 43 Abs. 18 KAGG hat § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG für die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 jedenfalls formal mit echter Rückwirkung in Kraft gesetzt.

40

a) Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet bei rückwirkenden Gesetzen in ständiger Rechtsprechung zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; jeweils m.w.N.), und solchen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. BVerfGE 132, 302 <318> m.w.N.).

41

Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift (vgl. BVerfGE 11, 139 <145 f.>; 30, 367 <386>; 101, 239 <263>; 123, 186 <257>; 132, 302 <318>). Dies ist insbesondere der Fall, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"; vgl. BVerfGE 127, 1 <16 f.>).

42

Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfGE 127, 1 <18 f.>; 127, 31 <48 f.>; 127, 61 <77 f.>; 132, 302 <319>). Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum jedenfalls in formaler Hinsicht der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 Abgabenordnung in Verbindung mit § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, das heißt des Kalenderjahres (§ 25 Abs. 1 EStG; vgl. BVerfGE 72, 200 <252 f.>; 97, 67 <80>; 132, 302 <319>; vgl. auch bereits BVerfGE 13, 261 <263 f., 272>; 13, 274 <277 f.>; 19, 187 <195>; 30, 272 <285>). Dasselbe gilt für Veranlagungen zur Körperschaftsteuer (vgl. § 30 Nr. 3 KStG).

43

b) § 43 Abs. 18 KAGG, der durch das am 27. Dezember 2003 verkündete Korb II-Gesetz eingeführt wurde, entfaltet für die beiden Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 in formaler Hinsicht echte Rückwirkung (vgl. BVerfGE 126, 369 <391 f.>), soweit er noch nicht bestandskräftige Festsetzungen für diese Veranlagungszeiträume erfasst. Diese waren am 31. Dezember des jeweiligen Kalenderjahres und damit vor Verkündung des Korb II-Gesetzes abgelaufen, so dass die Neuregelung insoweit nachträglich einen abgeschlossenen Sachverhalt betrifft.

44

2. Die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Verbots echt rückwirkender Gesetze beanspruchen hier auch in materiellrechtlicher Hinsicht Geltung, weil § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG, anders als in der Begründung des Regierungsentwurfs angenommen (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), aus verfassungsrechtlicher Sicht gegenüber der alten Rechtslage als konstitutive Änderung zu behandeln ist.

45

a) Würde § 40 Abs. 1 Satz 2 KAGG rückwirkend lediglich das klarstellen, was ohnehin bereits Gesetz war, stellte sich die Frage nicht, ob die Vorschrift trotz formal echter Rückwirkung ausnahmsweise mit dem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze vereinbar ist. Das Vertrauen in das geltende Recht könnte dann von vornherein nicht berührt sein, weil das geltende Recht nachträglich keine materielle Änderung erfahren hätte.

46

Ob eine rückwirkende Gesetzesänderung gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der - abgesehen von eindeutigen Gesetzesformulierungen - zumeist erst durch Auslegung ermittelt werden muss.

47

Die in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG vertretene Auffassung, die Vorschrift habe lediglich klarstellenden Charakter (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17), ist für die Gerichte nicht verbindlich. Sie schränkt weder die Kontrollrechte und -pflichten der Fachgerichte und des Bundesverfassungsgerichts ein noch relativiert sie die für sie maßgeblichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

48

Zur verbindlichen Auslegung einer Norm ist letztlich in aller Regel die rechtsprechende Gewalt berufen (vgl. BVerfGE 65, 196 <215>; 111, 54 <107>; 126, 369 <392>). Dies gilt auch bei der Frage, ob eine Norm konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat. Allerdings ist der Gesetzgeber ebenfalls befugt, den Inhalt einer von ihm gesetzten Norm zu ändern oder klarstellend zu präzisieren und dabei gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Dabei hat er sich jedoch im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu halten, zu der auch die aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für rückwirkende Rechtsetzung gehören. Der Gesetzgeber kann diese Bindung und die Prüfungskompetenz der Gerichte nicht durch die Behauptung unterlaufen, seine Norm habe klarstellenden Charakter (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>). Es besteht keine Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation gesetzlicher Vorschriften (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37>).

49

b) Die Auslegung des einfachen Rechts ist grundsätzlich Sache der Fachgerichte (aa); die Inhaltsbestimmung einer im Normenkontrollverfahren vorgelegten Norm obliegt allerdings regelmäßig dem Bundesverfassungsgericht (bb). Für die Klärung, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven oder deklaratorischen Charakter hat, gelten jedoch Besonderheiten; eine solche Vorschrift ist aus verfassungsrechtlicher Sicht stets schon dann als konstitutiv anzusehen, wenn sie sich für oder gegen eine vertretbare Auslegung einer Norm entscheidet und damit ernstliche Auslegungszweifel im geltenden Recht beseitigt (cc).

50

aa) Die Auslegung des einfachen Rechts, die Wahl der hierbei anzuwendenden Methoden sowie die Anwendung des Rechts auf den Einzelfall sind primär Aufgabe der dafür zuständigen Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen (vgl. BVerfGE 128, 193 <209>), solange nicht Auslegungsfehler sichtbar werden, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; stRspr). Im Übrigen ist die Anwendung des einfachen Rechts durch die Fachgerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange sie sich innerhalb der Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegen. Setzt sich ihre Auslegung jedoch in krassen Widerspruch zu den zur Anwendung gebrachten Normen, so beanspruchen die Gerichte Befugnisse, die von der Verfassung dem Gesetzgeber übertragen sind (vgl. BVerfGE 49, 304 <320>; 69, 315 <372>; 71, 354 <362 f.>; 113, 88 <103>; 128, 193 <209>).

51

bb) Soweit es für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle auf die Auslegung und das Verständnis des einfachen Rechts ankommt, erfolgt eine Vollprüfung des einfachen Rechts durch das Bundesverfassungsgericht selbst (vgl. BVerfGE 2, 181 <193>; 7, 45 <50>; 18, 70 <80>; 31, 113 <117>; 51, 304 <313>; 80, 244 <250>; 98, 145 <154>; 110, 412 <438>; stRspr). In diesem Fall ist es an die Auslegung des einfachen Rechts durch das vorlegende Gericht nicht gebunden. Es kann entscheidungserhebliche Vorfragen des einfachen Rechts selbst in vollem Umfang prüfen und darüber als Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung entscheiden. Nur so kann verhindert werden, dass das Bundesverfassungsgericht zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit einer Norm auf der Grundlage einer womöglich einseitigen, aber noch vertretbaren Deutung veranlasst ist, die ansonsten nicht, auch in der übrigen Fachgerichtsbarkeit nicht, geteilt wird. Das Bundesverfassungsgericht ist freilich nicht gehindert, die im Vorlagebeschluss vertretene Auslegung des einfachen Rechts durch das Fachgericht zu übernehmen und wird dies regelmäßig tun, wenn keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen.

52

cc) (1) Unbeschadet der grundsätzlichen Befugnis des Bundesverfassungsgerichts zur Vollprüfung des einfachen Rechts im Normenkontrollverfahren genügt für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung aus verfassungsrechtlicher Sicht als konstitutiv zu behandeln ist, die Feststellung, dass die geänderte Norm in ihrer ursprünglichen Fassung von den Gerichten in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll (vgl. BVerfGE 131, 20 <37 f.>).

53

(a) Der Wunsch des Gesetzgebers, eine Rechtslage rückwirkend klarzustellen, verdient grundsätzlich nur in den durch das Rückwirkungsverbot vorgegebenen Grenzen verfassungsrechtliche Anerkennung. Andernfalls könnte der Gesetzgeber auch jenseits dieser verfassungsrechtlichen Bindung einer Rechtslage unter Berufung auf ihre Klärungsbedürftigkeit ohne Weiteres die von ihm für richtig gehaltene Deutung geben, ohne dass von den dafür letztlich zuständigen Gerichten geklärt wäre, ob dies der tatsächlichen Rechtslage entsprochen hat. Damit würde der rechtsstaatlich gebotene Schutz des Vertrauens in die Stabilität des Rechts empfindlich geschwächt. Angesichts der allgemeinen Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit des Rechts könnte es dem Gesetzgeber regelmäßig gelingen, einen Klärungsbedarf zu begründen. Eine von Vertrauensschutzerfordernissen weitgehend freigestellte Befugnis zur rückwirkenden Klarstellung des geltenden Rechts eröffnete dem Gesetzgeber den weit reichenden Zugriff auf zeitlich abgeschlossene Rechtslagen, ließe im Nachhinein politischen Opportunitätserwägungen Raum, die das einfache Recht zum Zeitpunkt der später als korrekturbedürftig empfundenen Auslegung nicht prägten, und beeinträchtigte so das Vertrauen in die Stabilität des Rechts erheblich.

54

Ein legislatives Zugriffsrecht auf die Vergangenheit folgt auch nicht ohne Weiteres aus dem Demokratieprinzip, sondern steht zu diesem in einem Spannungsverhältnis. Zwar begrenzt das Rückwirkungsverbot die legislativen Handlungsspielräume des Parlaments für die Vergangenheit. Die demokratische Verantwortung des Parlaments ist jedoch auf die Gegenwart und auf die Zukunft bezogen. Früher getroffene legislative Entscheidungen verfügen über eine eigenständige demokratische Legitimation. Der historische Legitimationskontext kann - jedenfalls soweit die Gesetzeswirkungen in der Vergangenheit liegen - nicht ohne Weiteres durch den rückwirkenden Zugriff des heutigen Gesetzgebers ausgeschaltet werden. Besonders augenfällig würde dies bei Gesetzen, welche Entscheidungen aus einer früheren Legislaturperiode, die unter anderen politischen Mehrheitsverhältnissen getroffen wurden, rückwirkend revidierten. Für die Vergangenheit beziehen diese Entscheidungen ihre demokratische Legitimation allein aus dem damaligen, nicht aus dem heutigen Entscheidungszusammenhang. Der demokratische Verfassungsstaat vermittelt eine Legitimation des Gesetzgebers in der Zeit. Auch vom Demokratieprinzip ausgehend muss der Zugriff des Gesetzgebers auf die Vergangenheit die Ausnahme bleiben.

55

(b) Eine rückwirkende Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist in jedem Fall als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn der Gesetzgeber damit nachträglich einer höchstrichterlich geklärten Auslegung des Gesetzes den Boden zu entziehen sucht. Der Gesetzgeber hat es für die Vergangenheit grundsätzlich hinzunehmen, dass die Gerichte das damals geltende Gesetzesrecht in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung verbindlich auslegen. Entspricht diese Auslegung nicht oder nicht mehr dem politischen Willen des Gesetzgebers, kann er das Gesetz für die Zukunft ändern.

56

Eine nachträgliche Klärung der Rechtslage durch den Gesetzgeber ist aber grundsätzlich auch dann als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn die rückwirkende Regelung eine in der Fachgerichtsbarkeit kontroverse Auslegungsfrage entscheidet, die noch nicht höchstrichterlich geklärt ist. Die klärende Regelung ist bereits dann konstitutiv, wenn sie eine - sei es auch unterinstanzliche - fachgerichtliche Auslegung durch nachträglichen Zugriff auf einen abgeschlossenen Sachverhalt ausschließen soll. Indem der Gesetzgeber mit einem in der maßgeblichen Aussage nunmehr regelmäßig eindeutigen Gesetz rückwirkend die insofern offenbar nicht eindeutige, in ihrer Anwendung jedenfalls uneinheitliche Rechtslage klären will, verleiht er dem rückwirkenden Gesetz konstitutive Wirkung.

57

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in diesen Fällen allein über die Verfassungsmäßigkeit der Rückwirkung, nicht über die verbindliche Auslegung des einfachen Rechts, das der Gesetzgeber rückwirkend ändern wollte. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die in diesen Fällen noch nicht höchstrichterlich entschiedene, aber umstrittene Auslegung des einfachen Rechts selbst vorzunehmen. Für die Feststellung einer konstitutiven rückwirkenden Gesetzesänderung genügt es, wenn das vorlegende Gericht vertretbar einen Standpunkt zur Auslegung des alten Rechts einnimmt, den der Gesetzgeber mit der rückwirkenden Neuregelung ausschließen will. Eine gefestigte oder gar höchstrichterlich bestätigte Rechtsprechungslinie verlangt dieser Rechtsstandpunkt nicht. Entscheidend ist, dass der Gesetzgeber ihn korrigieren und ausschließen will.

58

Ob Bürger oder Behörde im Ausgangsrechtsstreit ihren Rechtsstandpunkt zur alten Rechtslage zu Recht eingenommen haben, ist in einem solchen Fall durch die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine konstitutiv rückwirkende Neuregelung vorliegt, nicht entschieden. Hält das Bundesverfassungsgericht - wie hier - die Rückwirkung für verfassungswidrig, ist es weiterhin der Fachgerichtsbarkeit aufgegeben, den Inhalt der alten Rechtslage durch Auslegung zu klären. Dies entspricht der Funktionsteilung zwischen Bundesverfassungsgericht und Fachgerichten. Die weitere, insbesondere höchstrichterliche Auslegung durch die Fachgerichte kann dabei ergeben, dass die Norm gerade so zu verstehen ist, wie es der Gesetzgeber nachträglich festgestellt wissen wollte. Dies bleibt jedoch eine Frage der Auslegung geltenden Rechts, die nicht dem Gesetzgeber, sondern der Gerichtsbarkeit und dabei in erster Linie der Fachgerichtsbarkeit obliegt.

59

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen erweist sich die rückwirkende "Klarstellung" der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. in § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG als konstitutiv. Der Gesetzgeber hat bei der Anfügung des Satzes 2 an § 40a Abs. 1 Satz 1 KAGG seine Absicht der Klarstellung zur Beseitigung des entstandenen Auslegungsproblems zum Ausdruck gebracht (vgl. BTDrucks 15/1518, S. 17). § 40a Abs. 1 KAGG konnte vor der Klärung durch den Gesetzgeber in jeweils vertretbarer Weise im Sinne der Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG a.F. wie auch im Sinne seiner Nichtanwendung ausgelegt werden. Dass bis zu der Verkündung des Korb II-Gesetzes im Bundesgesetzblatt noch keine gerichtliche Entscheidung zu dieser Frage ergangen war, rechtfertigt mit Blick auf den verfassungsgerichtlichen Prüfungsmaßstab keine andere Betrachtung. Denn auch hier hat der Gesetzgeber die nachträglich klarstellend gemeinte Norm vor dem Hintergrund der als unklar erkannten Rechtslage und damit in einer Situation der Ungewissheit rückwirkend in das Gesetz aufgenommen. Diese Ungewissheit wurde durch die später ergangenen divergierenden Entscheidungen der Finanzgerichte bestätigt (vgl. oben A I 2).

60

Auch in diesen Konstellationen, in denen es auf die Frage ankommt, ob eine Neuregelung aus verfassungsrechtlicher Sicht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, bleibt es dem Bundesverfassungsgericht allerdings unbenommen, in eigener Zuständigkeit das einfache Recht als Grundlage seiner Entscheidung auszulegen, etwa weil der vom vorlegenden Gericht zum einfachen Recht vertretene Rechtsstandpunkt verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt ist. Verpflichtet dazu ist es in diesen Fällen freilich nicht. Die Vorlage gibt dem Bundesverfassungsgericht hier keine Veranlassung, eine eigenständige Auslegung des einfachen Rechts vorzunehmen, da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die im Vorlagebeschluss zur Nichtanwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. vertretene Rechtsauffassung verfassungswidrig sein könnte.

61

3. Die mit der konstitutiven Wirkung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG verbundene Belastung ist verfassungswidrig, soweit sie nach § 43 Abs. 18 KAGG hinsichtlich der Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 mit echter Rückwirkung versehen ist.

62

Die im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes stehen Gesetzen mit echter Rückwirkung grundsätzlich entgegen (a). Keine der in der Rechtsprechung anerkannten Ausnahmen von diesem Verbot liegt hier vor (b). Auch ansonsten ist hier kein Grund für die Rechtfertigung der echten Rückwirkung erkennbar (c).

63

a) Die Verfassungsmäßigkeit eines rückwirkenden Gesetzes ist nur dann fraglich, wenn es sich um ein den Bürger belastendes Gesetz handelt (vgl. BVerfGE 24, 220 <229>; 32, 111 <123>; 50, 177 <193>; 101, 239 <262>; 131, 20 <36 f.>). Das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 132, 302 <317>). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl. BVerfGE 101, 239 <262>; 132, 302 <317>). Wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert, bedarf dies einer besonderen Rechtfertigung vor dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten des Grundgesetzes (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 63, 343 <356 f.>; 72, 200 <242>; 97, 67 <78 f.>; 132, 302 <317>). Die Grundrechte wie auch das Rechtsstaatsprinzip garantieren im Zusammenwirken die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und damit als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Es würde die Betroffenen in ihrer Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>; 63, 343 <357>; 72, 200 <257 f.>; 97, 67 <78>; 105, 17 <37>; 114, 258 <300 f.>; 127, 1 <16>; 132, 302 <317>). Ausgehend hiervon sind Gesetze mit echter Rückwirkung grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar (vgl. BVerfGE 45, 142 <167 f.>; 101, 239 <262>; 132, 302 <318>; stRspr).

64

b) aa) Von diesem grundsätzlichen Verbot echt rückwirkender Gesetze bestehen jedoch Ausnahmen (vgl. BVerfGE 13, 261 <272 f.>; 18, 429 <439>; 30, 367 <387 f.>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>; 126, 369 <393 f.>; 131, 20 <39>; stRspr). Das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze (vgl. BVerfGE 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393>). Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>) oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 50, 177 <193>). Bei den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten, nicht abschließend definierten Fallgruppen handelt es sich um Typisierungen ausnahmsweise fehlenden Vertrauens in eine bestehende Gesetzeslage (vgl. BVerfGE 72, 200 <258>; 97, 67 <80>). Für die Frage, ob mit einer rückwirkenden Änderung der Rechtslage zu rechnen war, ist von Bedeutung, ob die bisherige Regelung bei objektiver Betrachtung geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf ihren Fortbestand zu begründen (vgl. BVerfGE 32, 111 <123>).

65

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 30, 367 <387>; 95, 64 <86 f.>; 122, 374 <394>). Vertrauensschutz kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn die Rechtslage so unklar und verworren war, dass eine Klärung erwartet werden musste (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 30, 367 <388>; 50, 177 <193 f.>; 88, 384 <404>; 122, 374 <394>; 126, 369 <393 f.>), oder wenn das bisherige Recht in einem Maße systemwidrig und unbillig war, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestanden (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>). Der Vertrauensschutz muss ferner zurücktreten, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung erfordern (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 88, 384 <404>; 95, 64 <87>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>), wenn der Bürger sich nicht auf den durch eine ungültige Norm erzeugten Rechtsschein verlassen durfte (vgl. BVerfGE 13, 261 <272>; 18, 429 <439>; 50, 177 <193 f.>; 101, 239 <263 f.>; 122, 374 <394 f.>) oder wenn durch die sachlich begründete rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (sogenannter Bagatellvorbehalt, vgl. BVerfGE 30, 367 <389>; 72, 200 <258>).

66

bb) Von den in der Rechtsprechung anerkannten Fallgruppen zulässigerweise echt rückwirkender Gesetze kommen hier nur diejenigen der Unklarheit und Verworrenheit der ursprünglichen Gesetzeslage oder ihrer Systemwidrigkeit und Unbilligkeit in Betracht. Keine von beiden vermag die Rückwirkung des § 43 Abs. 18 KAGG auf die Veranlagungszeiträume 2001 und 2002 zu rechtfertigen.

67

(1) (a) Allein die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm rechtfertigt nicht deren rückwirkende Änderung; erst wenn die Auslegungsoffenheit ein Maß erreicht, das zur Verworrenheit der Rechtslage führt, darf der Gesetzgeber eine klärende Neuregelung auf die Vergangenheit erstrecken.

68

Den in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fall-gruppen zu den Ausnahmen vom Verbot echt rückwirkender Gesetze ist sämtlich gemeinsam, dass besondere Umstände ein grundsätzlich berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage erst gar nicht entstehen lassen oder entstandenes Vertrauen wieder zerstören. Die schlichte Auslegungsoffenheit und Auslegungsbedürftigkeit einer Norm und die damit bestehende Unsicherheit über deren Inhalt ist keine solche Besonderheit, die dieses grundsätzlich berechtigte Vertrauen zerstören könnte. Andernfalls könnte sich insbesondere in den Anfangsjahren einer gesetzlichen Regelung grundsätzlich nie ein schutzwürdiges Vertrauen gegen rückwirkende Änderungen entwickeln, solange sich keine gefestigte Rechtsprechung hierzu herausgebildet hat.

69

Sähe man jede erkennbare Auslegungsproblematik als Entstehungshindernis für verfassungsrechtlich schutzwürdiges Vertrauen an, stünde es dem Gesetzgeber weitgehend frei, das geltende Recht immer schon dann rückwirkend zu ändern, wenn es ihm opportun erscheint, etwa weil die Rechtsprechung das geltende Recht in einer Weise auslegt, die nicht seinen Vorstellungen und Erwartungen entspricht. In diesem Fall kann der Gesetzgeber zwar stets die Initiative ergreifen und das geltende Recht für die Zukunft in seinem Sinne ändern, sofern er sich dabei an die Vorgaben des Grundgesetzes hält. Einen "Freibrief" für rückwirkende Gesetzesänderungen verschafft ihm eine schlicht auslegungsbedürftige und insofern unklare Rechtslage hingegen nicht. Eine so weitreichende Befugnis des Gesetzgebers zur Normsetzung mit echter Rückwirkung würde das durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützte Vertrauen in die geltende Rechtslage weitgehend entwerten.

70

Außerdem würde eine über besondere Ausnahmefälle hinausgreifende Befugnis des Gesetzgebers zur rückwirkenden Präzisierung von Normen, die sich als auslegungsbedürftig erweisen, die vom Grundgesetz der rechtsprechenden Gewalt vorbehaltene Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen unterlaufen (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>).

71

Da sich Auslegungsfragen gerade bei neuen Normen häufig stellen, bestünde die Gefahr, dass auf diese Weise schließlich das Regel-Ausnahme-Verhältnis bei der echten Rückwirkung in dem Sinne in sein Gegenteil verkehrt würde, dass auch sie nicht mehr grundsätzlich unzulässig bliebe, sondern - ebenso wie die unechte Rückwirkung - grundsätzlich zulässig wäre. Ein solches Ergebnis wäre mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht vereinbar.

72

(b) Die eine echt rückwirkende gesetzliche Klärung rechtfertigende Unklarheit einer Rechtslage erfordert vielmehr zusätzliche qualifizierende Umstände, die das geltende Recht so verworren erscheinen lassen, dass es keine Grundlage für einen verfassungsrechtlich gesicherten Vertrauensschutz mehr bilden kann. Eine solche Verworrenheit liegt insbesondere dann vor, wenn auch unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik und Normzweck völlig unverständlich ist, welche Bedeutung die fragliche Norm haben soll.

73

(c) § 40a Abs. 1 KAGG ließ vor der hier zu prüfenden Einfügung des Satzes 2 verschiedene Auslegungen zu. Das belegen die divergierenden finanzgerichtlichen Entscheidungen zur Auslegung dieser Vorschrift. Die höchstrichterlich nicht geklärte Auslegung im Hinblick auf die Anwendung des im ursprünglichen Wortlaut nicht erwähnten § 8b Abs. 3 KStG a.F. und die insoweit uneinheitliche Rechtsprechung auf der Ebene der Finanzgerichte begründen indes noch keine verworrene Rechtslage. Die Norm war hinsichtlich ihres Verständnisses nach Wortlaut und Regelungsgehalt nicht fragwürdig oder gar unverständlich, sondern klar formuliert. Ihre Auslegungsbedürftigkeit, insbesondere im Hinblick auf die systematische Verknüpfung mit § 8b KStG, hat zu divergierenden, für sich genommen aber jeweils vertretbaren Standpunkten geführt. Eine "Klarstellung" durch ein echt rückwirkendes Gesetz rechtfertigt dies nicht.

74

(2) Das ursprüngliche einfache Recht war auch nicht in einer Weise systemwidrig und unbillig, dass dies die durch § 43 Abs. 18 KAGG angeordnete echte Rückwirkung rechtfertigen könnte.

75

Weder die Auslegung des vorlegenden Finanzgerichts (keine Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) noch die gegenteilige Auslegung des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG (Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG) sind von Verfassungs wegen zwingend geboten. Zwar mögen im vorliegenden Zusammenhang systematische und teleologische Aspekte bei der Interpretation des ursprünglichen § 40a Abs. 1 KAGG gute Gründe für ein von der reinen Wortlautauslegung abweichendes Auslegungsergebnis im Sinne der Anwendbarkeit des § 8b Abs. 3 KStG a.F. liefern (vgl. Gosch, in: Gosch, KStG, 1. Aufl. 2005, § 8b Rn. 52 und 2. Aufl. 2009, § 8b Rn. 49). Ungeachtet dessen führt auch die Sichtweise des vorlegenden Finanzgerichts nicht zu einem Ergebnis, das in einem Maße systemwidrig und unbillig ist, dass ernsthafte Zweifel an seiner Verfassungsmäßigkeit bestehen (vgl. BVerfGE 13, 215 <224>; 30, 367 <388>).

76

Den Gesetzesmaterialien zum Korb II-Gesetz lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber Kapitalanlagegesellschaften gegenüber Körperschaften, für die das Körperschaftsteuergesetz unmittelbar gilt, im Hinblick auf die Anwendung des § 8b Abs. 3 KStG privilegieren wollte. Andererseits war das Transparenzprinzip im Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften nicht uneingeschränkt verwirklicht; es galt vielmehr nur gemäß der jeweiligen Anordnung des Gesetzgebers (sogenanntes eingeschränktes Transparenzprinzip, vgl. BFHE 130, 287 <289>; 168, 111 <113>; 193, 330 <333 f.>; 229, 351 <357 f.>; vgl. BTDrucks 15/1553, S. 120 zum Transparenzprinzip als Leitidee der Investmentbesteuerung; Engl, Erträge aus Investmentvermögen, 2009, S. 73 ff.; Lübbehüsen, in: Brinkhaus/Scherer, KAGG, 2003, Vor §§ 37n ff. KAGG Rn. 11 ff.; Teichert, Die Besteuerung in- und ausländischer Investmentfonds nach dem Investmentsteuergesetz, 2009, S. 78 ff.).

77

Vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Investmentsteuerrechts und des dieses prägenden eingeschränkten Transparenzprinzips führt die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht nicht zu einer so systemwidrigen und unbilligen Begünstigung der Kapitalanlagegesellschaften, dass bereits ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Auslegung bestünden. Zwar erscheint systematisch fragwürdig, weshalb - abweichend vom "normalen" neuen Körperschaftsteuersystem - positive Wertentwicklungen nicht der Besteuerung unterliegen, negative Wertentwicklungen hingegen steuerliche Berücksichtigung finden sollten. Immerhin aber wurde durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. (inzwischen Satz 4) eine systemwidrige Begünstigung durch eine Steuerwirksamkeit von Gewinnminderungen und eine Steuerfreistellung der auf die nämlichen Beträge entfallenden Gewinne vermieden. Nach dieser Vorschrift gilt die Veräußerungsgewinnbefreiung nicht, "soweit der Anteil in früheren Jahren steuerwirksam auf den niedrigeren Teilwert abgeschrieben und die Gewinnminderung nicht durch den Ansatz eines höheren Werts ausgeglichen worden ist". § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. war unzweifelhaft schon nach dem Wortlaut von der auf § 8b Abs. 2 KStG zielenden Verweisung in § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfasst. Die Auslegung durch das vorlegende Finanzgericht führt daher nicht dazu, dass Kapitalanlagegesellschaften Gewinnminderungen von Anteilen an Wertpapier-Sondervermögen steuerwirksam berücksichtigen durften, auf die jeweiligen Anteile entfallende Gewinne aber nicht zu versteuern brauchten.

78

Daher kann von einer systemwidrigen Abwälzung der Verluste der Kapitalanlagegesellschaften auf die Allgemeinheit nicht die Rede sein. Eine Ausgestaltung der Besteuerung von Kapitalanlagegesellschaften im Sinne der Auffassung des vorlegenden Gerichts bewegt sich im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und ist keinesfalls so unbillig oder systemwidrig, dass ernsthafte Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit bestünden.

79

c) Sonstige Gründe, die jenseits der in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannten Fallgruppen hier ausnahmsweise eine gesetzliche Regelung mit echter Rückwirkung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Anderes ergibt sich auch nicht aus den Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 zum Fremdrentenrecht (BVerfGE 126, 369) und vom 2. Mai 2012 zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz (BVerfGE 131, 20), in denen das Gericht jeweils rückwirkende Gesetzesänderungen als verfassungsgemäß beurteilt hat.

80

In dem Beschluss zum Fremdrentenrecht sah das Gericht, unabhängig von der Frage, ob die in Streit stehende rückwirkende Gesetzesänderung konstitutiv wirkte, das Vertrauen in ein geändertes Verständnis der alten Rechtslage, das durch eine Rechtsprechungsänderung des Bundessozialgerichts in Abweichung von der bis dahin in Rechtspraxis und Rechtsprechung gefestigten Rechtsauffassung herbeigeführt worden war, als von vornherein nicht gerechtfertigt an (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>). Mit dieser Sondersituation ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

81

Entsprechendes gilt für die Entscheidung zum Dienstrechtsneuordnungsgesetz. Ihr lag ein Fall zugrunde, in dem das Bundesverwaltungsgericht eine gefestigte Rechtspraxis zur Berechnung des Mindestruhegehalts bei Zusammentreffen von beamtenrechtlicher Versorgung und gesetzlicher Rente änderte. Die Korrektur dieser Rechtsprechung durch den Gesetzgeber bewertete das Bundesverfassungsgericht zwar als konstitutive Gesetzesänderung mit zum Teil echter und zum Teil unechter Rückwirkung (vgl. BVerfGE 131, 20 <36 ff.>), stellte aber zugleich fest, dass sich ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen in ein Verständnis der Rechtslage im Sinne des Bundesverwaltungsgerichts unter den gegebenen Umständen nicht habe entwickeln können (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>). Auch hier bezieht sich die Entscheidung mithin auf eine besondere Situation, der sich der Gesetzgeber angesichts einer kurzfristigen Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der bis dahin gefestigten Rechtspraxis gegenüber sah. Damit ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar.

82

d) Es besteht kein Anlass, für die Fälle, in denen der Gesetzgeber die geltende Rechtslage für die Vergangenheit klarstellen will, von dem im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten verankerten Vertrauensschutz und dem darin wurzelnden Ausnahmecharakter zulässiger echter Rückwirkung abzuweichen. Eine solche Abweichung wäre es jedoch, wenn dem Wunsch des Gesetzgebers, den "wahren" Inhalt früher gesetzten Rechts nachträglich festzulegen und eine seinen Vorstellungen widersprechende Auslegung auch für die Vergangenheit zu korrigieren, Grenzen nur im Hinblick auf bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren oder bei Rechtslagen gesetzt wären, die keinen ernsthaften Auslegungsspielraum lassen. Damit würde der in der ständigen Rechtsprechung entwickelte besondere Schutz gegen Gesetze mit echter Rückwirkung ebenso preisgegeben wie die Differenzierung zwischen grundsätzlich unzulässiger echter und grundsätzlich zulässiger unechter Rückwirkung.

III.

83

Soweit § 43 Abs. 18 KAGG zur Anwendung des § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG in den körperschaftsteuerlichen Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 führt, verstößt diese Anwendungsvorschrift gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und ist nichtig (§ 78 Satz 1 i.V.m. § 82 Abs. 1 BVerfGG).

IV.

84

Die Entscheidung ist im Ergebnis mit 5:3 Stimmen, hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Grundsätze mit 6:2 Stimmen ergangen.

Abw. Meinung

85

Ich kann der Entscheidung nicht zustimmen. Entgegen ihrem ersten Anschein betrifft die Entscheidung nicht fachrechtliche Spezialprobleme, sondern grundsätzliche Fragen zur Reichweite der Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers für unklare, offengebliebene Rechtsfragen der Vergangenheit - hier für steuerrechtliche Abschreibungsmöglichkeiten von Verlusten, die Finanzinstitute insbesondere in Folge der Anschläge des 11. September 2001 erlitten haben. Unter Berufung auf das Rückwirkungsverbot untersagt der Senat dem Gesetzgeber eine Klarstellung, dass diese Verluste nicht auf die Allgemeinheit abgewälzt werden dürfen.

86

Damit verändert er der Sache nach das Fundament der Rückwirkungsrechtsprechung. Der Senat entzieht ihr - nicht dem Selbstverständnis nach, doch in Ergebnis und Begründung - die im Vertrauensschutz liegenden Wurzeln und ersetzt sie durch abstrakte, in der Sache fehlgeleitete Vorstellungen der Gewaltenteilung. An die Stelle des Schutzes subjektiver Freiheit tritt die Absicherung eines objektiv-rechtlichen Reservats der Fachgerichtsbarkeit. Der Verlierer ist das Parlament: In Umwertung der bisherigen Rechtsprechung wird ihm die rückwirkende Klarstellung ungeklärter Rechtsfragen nun nicht erst bei einem entgegenstehenden Vertrauen der Bürger, sondern grundsätzlich abgeschnitten. Die Übernahme von politischer Verantwortung wird ihm so für Altfälle schon prinzipiell aus der Hand geschlagen. Hierin liegt eine gravierende Störung der Balance zwischen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip.

I.

87

Der Senat hebt die angegriffene Vorschrift wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot auf, obwohl er selbst der Auffassung ist, dass die ursprüngliche Rechtslage dem Beschwerdeführer keinerlei Vertrauen vermittelt hat, das durch die Gesetzesänderung enttäuscht würde. Damit entzieht er dem Rückwirkungsverbot sein auf subjektive Freiheitssicherung ausgerichtetes Fundament.

88

1. Gegenstand der in Frage stehenden Normen ist die Frage, ob Kapitalgesellschaften - in der Praxis insbesondere Banken - berechtigt sind, Wertverluste ihrer Anteile an Investmentfonds für die Jahre 2001 und 2002 steuerlich gewinnmindernd geltend zu machen, während das Gesetz Gewinne grundsätzlich steuerfrei stellt. Der Senat selbst ist der Auffassung, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens zu keiner Zeit ein berechtigtes Vertrauen dahin hatte, Teilwertabschreibungen für diese Zeit gewinnmindernd geltend machen zu können. Er hält die ursprüngliche Rechtslage diesbezüglich zu Recht für ungeklärt und erkennt an, dass sie sich sowohl subjektiv als auch bei verobjektivierter Betrachtung für die betroffenen Banken als offen darstellte. Dennoch ist er der Ansicht, dass der Gesetzgeber dies für die noch offenen Altfälle nicht rückwirkend klären durfte. Es sei Aufgabe der Fachgerichte, über diese Fälle zu entscheiden.

89

Mit dieser Argumentation wird die Fundierung des Rückwirkungsverbots im Vertrauensschutz der Sache nach aufgegeben: Der Senat geht ausdrücklich davon aus, dass die Fachgerichte für die hier in Rede stehenden Fälle in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis kommen können, dass der alte § 40a Abs. 1 Satz 2 KAGG auch unabhängig von der gesetzlichen Klarstellung in § 43 Abs. 18 KAGG sachgerecht so auszulegen ist, dass die von der Klägerin geltend gemachten Teilwertabschreibungen nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden können. Diese Frage dürfe rückwirkend aber nicht der Gesetzgeber klären; die Klärung sei allein den Fachgerichten vorbehalten. Dem Gesetzgeber wird so eine Regelung verboten, die die Gerichte durch Auslegung ohne weiteres herbeiführen dürfen. Obwohl die alte Rechtslage kein Vertrauen der Bürger begründete, in Blick auf insoweit vorhersehbare Rechtsfolgen Dispositionen zu treffen, soll der Gesetzgeber an einer Klärung dennoch durch das - aus dem Vertrauensschutz hergeleitete - Rückwirkungsverbot gehindert sein. Die Instrumente des Vertrauensschutzes werden ihm so für die Anordnung von Rechtsfolgen entgegengehalten, mit denen die Betroffenen auch nach dem alten Recht schon rechnen mussten und weiterhin rechnen müssen.

90

2. Wenn hier überhaupt noch eine Brücke zu irgendeiner Form von Vertrauen auszumachen ist, so kann diese allenfalls in dem abstrakten Vertrauen auf die Gültigkeit einer inhaltsoffenen Norm gesucht werden - und damit auf eine Streit-entscheidung der politisch offen gebliebenen Frage durch die Fachgerichte. Geschützt wird durch die Entscheidung des Senats das Vertrauen in die Chance einer für die Betreffenden günstigen Rechtsprechung. Gerade dies aber zeigt, wie weit sich der Senat von dem ursprünglichen Anliegen der Rückwirkungsrechtsprechung entfernt. Das Rückwirkungsverbot sichert nicht mehr das Vertrauen in eine berechenbare Rechtsordnung, damit der Einzelne sein Verhalten im Blick auf vorhersehbare Rechtsfolgen selbstbestimmt ausrichten kann, sondern lediglich die Chance, dass die Rechtsprechung möglicherweise zu einer vorteilhafteren Klarstellung der ungeklärten Position führt als eine demokratisch-politische Entscheidung des Parlaments. Galt die Rückwirkungsrechtsprechung zunächst dem Schutz des Vertrauens zur Sicherung individueller Freiheitswahrnehmung, so gilt sie nun der Absicherung eines kompetentiellen Vorbehaltsbereichs der Rechtsprechung gegenüber dem Gesetzgeber. Aus dem Schutz subjektiver Freiheit wird die Durchsetzung objektiver Gewaltenteilungsvorstellungen und hierbei eines Reservats der Rechtsprechung.

II.

91

Das damit vom Senat zur Geltung gebrachte Verhältnis von Gesetzgebung und Rechtsprechung lässt sich aus der Ordnung des Grundgesetzes nicht herleiten. Es drängt den Gesetzgeber unberechtigt aus seiner Verantwortung.

92

1. Durch die Ablösung des Rückwirkungsverbots von dem Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage wird es für die Fälle der echten Rückwirkung im Ergebnis zu einem apriorischen Prinzip der Gewaltenteilung verselbständigt, das seinen Sinn darin hat, die rückwirkende Einmischung des Gesetzgebers in offene, noch ungeklärte Rechtsfragen schon prinzipiell auszuschalten. Statt einer politischen Entscheidung durch das Parlament soll grundsätzlich nur noch eine entpolitisierte Entscheidung durch die Justiz möglich sein.

93

a) Dies überzeugt schon vom Grundverständnis nicht. Ausgehend von dem aus dem Demokratieprinzip folgenden legislativen Zugriffsrecht des Parlaments kann sich der Gesetzgeber aller drängenden Fragen des Gemeinwesens annehmen. Zu entscheiden, was Recht sein soll, ist im demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, der hierfür gewählt wird und sich in einem politischen Prozess vor der Öffentlichkeit verantworten muss. Dies betrifft grundsätzlich auch die Entscheidung über Probleme, die in der Vergangenheit wurzeln, oder die Klärung von Streitfragen, die offengeblieben und lösungsbedürftig sind. Dass diese demokratische Verantwortung von vornherein auf die Zukunft beschränkt wäre, ist durch nichts begründet und lässt sich insbesondere auch der bisherigen Rechtsprechung nicht entnehmen. Insbesondere lassen sich hierfür nicht die Vorstellung eines je begrenzten historischen Legitimationskontextes und die eigene Dignität des je auf Zeit gewählten Gesetzgebers anführen. Denn auch mit solchen rückwirkenden Regelungen geht es um die Bewältigung von Problemen, die in der Vergangenheit gerade nicht inhaltlich sachhaltig bewältigt wurden und nun - offen und lösungsbedürftig - in die Gegenwart und Zukunft hineinwirken.

94

In der Tat freilich ist der Gesetzgeber in seiner Gestaltungsbefugnis rechtsstaatlich begrenzt und diese rechtsstaatlichen Grenzen können bei Gesetzen, die in die Vergangenheit hineinwirken, schneller berührt sein als bei anderen. So kann der Gesetzgeber selbstverständlich nicht ohne weiteres nachträglich in bestands- oder rechtskräftig abgeschlossene Einzelverfahren eingreifen oder für abgeschlossene Zeiträume ein Verhalten neu bewerten und mit Sanktionen belegen, mit denen die Betreffenden nicht rechnen mussten. Insbesondere die Grundrechte und die aus ihnen folgende Freiheitsvermutung setzen hier vielfach Grenzen. Dies ist der zutreffende Kern der Rückwirkungsrechtsprechung. Solche Einschrän-kungen des Gesetzgebers müssen sich aber jeweils mit einem spezifischen Schutzbedürfnis der Betroffenen begründen lassen. Sie ergeben sich nicht schon generell aus einer abstrakten Grenze der Regelungsbefugnis des Gesetzgebers. Es gibt keinen Grund, warum der Gesetzgeber umstrittene und unklare Rechtsfragen nicht auch für offene Altfälle regeln können soll, solange dadurch berechtigtes Vertrauen nicht enttäuscht wird. Dass der Gesetzgeber bei Gesetzen, die in die Vergangenheit wirken, die zutage getretenen Interessenkonflikte möglicherweise konkreter vor Augen hat als bei zukunftsgerichteten Gesetzen, macht eine Klärung durch den Gesetzgeber nicht unzulässig. Gesetzgebung beschränkt sich im modernen Staat grundsätzlich nicht auf die Vorgabe situationsblinder Regelungen für die Zukunft, sondern hat fast immer einen konkreten Interessenausgleich zu ihrem Gegenstand.

95

b) Aus Gewaltenteilungsgesichtspunkten spricht vielmehr umgekehrt alles dafür, in ungeklärten Rechtslagen die rückwirkende Klarstellung offener und umstrittener Fragen auch durch den Gesetzgeber grundsätzlich für zulässig zu halten. Wenn sich in der Anwendungspraxis eines Gesetzes herausstellt, dass wichtige Fragen von allgemeiner Bedeutung offengeblieben oder Regelungen unklar oder missverständlich formuliert sind, gehört es zur Aufgabe der Volksvertretung, dass sie in politisch-demokratischer Verantwortung gesetzlich klarstellen kann, wie diese Fragen in den noch offenen Verfahren zu beantworten sind. Die Vorstellung, der Gesetzgeber habe nur einen Versuch frei, dürfe dann aber auf die im Laufe der Zeit aufkommenden Probleme bis zu einer Neuregelung pro futuro keinen klärenden Zugriff mehr nehmen, hat in den Legitimationsgrundlagen unserer Verfassungsordnung kein Fundament. Insbesondere lässt sich dies nicht mit Vorstellungen zeitlich segmentierter Legitimationszusammenhänge begründen. Denn der alte Gesetzgeber hatte hier die entsprechenden Fragen gerade nicht geklärt. Dies wird besonders deutlich, wenn der Gesetzgeber, wie vorliegend, nur das festschreiben will, was seiner Ansicht nach - mehr als nachvollziehbar (siehe unten IV.) - ohnehin auch mit der alten Regelung intendiert war.

96

2. Die vom Senat geschaffene Abgrenzung zwischen Gesetzgebung und Rechtsprechung ist auch funktional nicht einleuchtend.

97

a) Angesichts der immer komplexer werdenden Anforderungen an die Gesetzgebung in einer hochdifferenzierten und sektoral wie international vielfältig vernetzten Welt kann nicht ernsthaft erwartet werden, dass alle Auswirkungen eines Gesetzgebungsvorhabens stets verlässlich von vornherein überschaut werden können. Normen können im Interessengeflecht der zahlreichen Anwender und Betroffenen Missverständnisse, Zweifelsfragen oder sinnwidrige Praktiken hervorrufen, die nicht vorhersehbar sind. Auch muss damit gerechnet werden, dass dabei dem Gesetzgeber Ungenauigkeiten oder Fehler unterlaufen. Gerade eine Gesetzesreform, wie sie den hier streitigen Normen zugrunde liegt, macht das besonders deutlich. Der Gesetzgeber hatte damals die Herkulesaufgabe auf sich genommen, das gesamte Körperschaftsteuerrecht vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren umzustellen und damit die Besteuerung fast aller bedeutsamen Unternehmen - mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die Konzernstrukturen ebenso wie auf internationale Zusammenhänge - auf grundlegend neue Füße zu stellen. Die hier in Frage stehenden Normen bildeten dabei nur einen ganz kleinen, untergeordneten Aspekt. Dass im Rahmen eines solchen Vorhabens nicht sofort alle Fragen eine klare, durchdachte und unmissverständliche Lösung erfahren, liegt auf der Hand - und davon mussten alle Betroffenen ausgehen.

98

b) Nach Ansicht des Senats sind alle insoweit aufkommenden Probleme bis auf Widerruf für die Zukunft grundsätzlich allein durch die Gerichte zu klären. Zwar dürfe der Gesetzgeber aufkommende Unklarheiten pro futuro neu regeln, jedoch seien gesetzliche Unzuträglichkeiten und Streitfragen, die unter einer gegebenen Rechtslage entstehen, - bis auf extreme Ausnahmen (siehe unten IV. 3) - ausschließlich von den Gerichten zu bewältigen.

99

Dies ist schon im Blick auf die den Gerichten im gewaltenteiligen Verfassungsstaat zugewiesene Aufgabe nicht überzeugend: Während diese angesichts unklarer Rechtslagen nach dem vom Gesetzgeber gemeinten Sinn zu suchen haben und sich, wenn es hieran fehlt, letztlich unter Umständen zu demokratisch nicht angeleiteten Setzungen eigener Gerechtigkeitsvorstellungen genötigt sehen, wird dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen, eine solche Klarstellung zur Entlastung der Gerichte vorzunehmen.

100

Ein solcher Ansatz leuchtet auch hinsichtlich der praktischen Konsequenzen nicht ein. Während eine rückwirkende Klarstellung durch den Gesetzgeber mit einem Schlag unmittelbar alle offenen Streitfälle einheitlich für Zukunft und Vergangenheit lösen und Rechtssicherheit schaffen kann, müssen als Folge der Entscheidung des Senats stattdessen alle vor der Gesetzesänderung angefallenen Fälle vor Gericht durch die Instanzen prozessiert werden. Das kann Jahre dauern, die Gerichte mit vielen Verfahren belasten, für die Betroffenen hohe Kosten mit sich bringen und für lange Zeit Rechtszersplitterung und Verunsicherung zur Folge haben. Die vom Senat aus der Taufe gehobene Chance des Bürgers auf eine für ihn vorteilhafte Entscheidung durch die Rechtsprechung, ist damit nicht nur Chance, sondern auch erhebliche Bürde - nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für die Betroffenen selbst.

III.

101

In der Entscheidung liegt damit zugleich eine tiefgreifende Wende der Rückwirkungsrechtsprechung und ein Bruch mit den diesbezüglichen bisherigen Wertungen.

102

Allerdings knüpft der Senat an Obersätze an, die der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entnommen sind: Die grundsätzliche Unzulässigkeit der echten Rückwirkung entspricht ständiger - und in ihrem bisherigen Kontext auch zutreffender - Rechtsprechung. Wie die zahlreichen Zitatketten aus der Rechtsprechung zeigen, ist der Senat dabei von dem Anliegen getragen, diese lediglich stimmig weiterzuentwickeln. Dies gelingt jedoch überzeugend nicht. Denn er löst dabei die Obersätze von ihrer bisherigen Einbindung an die Grundsätze des Vertrauensschutzes ab und verselbständigt sie zu für sich stehenden abstrakten Regeln. Dies gibt ihnen eine neue Bedeutung, die wesentlich strenger ist und mit den Wertungen der bisherigen Entscheidungen des Gerichts bricht.

103

1. a) Mit der Nichtigkeitserklärung von Gesetzen wegen Verstoßes gegen das Verbot echter Rückwirkung war das Bundesverfassungsgericht bisher zurückhaltend. In der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts finden sich hierfür nur zwei Fälle und diese liegen lange zurück (vgl. BVerfGE 18, 429; 30, 272). Die Dogmatik hat sich seither naturgemäß weiterentwickelt und die Begründungen würden heute vielleicht differenzierter ausfallen. Im entscheidenden Punkt besteht jedoch Klarheit: In beiden Fällen stellte das Gericht ausdrücklich auf eine konkret vertrauensbegründende Rechtslage ab.

104

So begründete das Gericht in der ersten Entscheidung vom 31. März 1965 die Verfassungswidrigkeit der dort streitbefangenen Norm maßgeblich damit, dass die vom Gesetzgeber rückwirkend geänderte Rechtslage zwar zunächst von einigen Untergerichten verkannt, dann aber zugunsten der betroffenen Bürger vom Bundesgerichtshof höchstrichterlich geklärt war und diese Klärung sich zutreffend auf Grundsätze stützte, die "allgemeiner, in Rechtsprechung und Literatur einmütig vertretener Auffassung" entsprächen (vgl. BVerfGE 18, 429 <437>). Die Rechtslage sei nicht unklar, sondern "völlig klar" gewesen. Demgegenüber habe der Gesetzgeber versucht, die Rechtsprechung "gleichsam für die Vergangenheit ins Unrecht zu setzen" (a.a.O. S. 439). Auch vom Sachverhalt her ging es um eine Konstellation, die der Frage des Vertrauensschutzes wesentlich näher stand, nämlich um Regressforderungen des Staates für in der Vergangenheit über acht Jahre gezahlte Unterhaltsleistungen an ein Kind, von denen der unerwartet in Anspruch genommene Bürger bis dahin nichts wusste.

105

In der zweiten Entscheidung vom 10. März 1971 ging es um einen nachträglich für vorangehende steuerliche Veranlagungszeiträume vom Gesetzgeber eingeführten Progressionsvorbehalt, für den bis dahin unstreitig keinerlei Rechtsgrundlage bestand und der dazu führte, dass rückwirkend die Steuern höher ausfielen als nach der ursprünglichen Rechtslage. Das Gericht stellte hier darauf ab, dass das Vertrauen der Betroffenen enttäuscht werde, weil der Gesetzgeber an abgeschlossene Tatbestände nachträglich ungünstigere Folgen anknüpfe als "diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte" (vgl. BVerfGE 30, 272 <285>). Die Rechtslage sei nicht unklar gewesen und die Betroffenen hätten mit einer solchen Regelung nicht rechnen müssen (BVerfGE 30, 272 <285 f.>).

106

b) Erst recht stellte das Bundesverfassungsgericht auf die Enttäuschung eines durch die ursprüngliche Rechtslage spezifisch begründeten Vertrauens in den Fällen ab, in denen es Gesetze mit unechter Rückwirkung für verfassungswidrig befand. Da eine unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig ist und nur bei Vorliegen besonderer Vertrauenstatbestände zur Verfassungswidrigkeit führt, bedurfte es hier schon vom Ausgangspunkt her des Nachweises eines spezifischen Vertrauens (so zum Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Ausstellung eines Flüchtlingsausweises BVerfGE 59, 128 <164 ff.>; in die bisher erlaubte Widerrufbarkeit freiwillig gewährter Vorsorgeleistungen BVerfGE 74, 129 <155 ff.>; in die Fortdauer der Besteuerungsregelungen von Abfindungsvereinbarungen BVerfGE 127, 31 <49 ff.>). Nichts anderes gilt dabei für die insoweit besonders gelagerten, der echten Rückwirkung angenäherten Fälle, in denen für einen noch nicht abgelaufenen steuerlichen Veranlagungszeitraum rückwirkende Änderungen in Frage standen und für verfassungswidrig erklärt wurden (vgl. BVerfGE 72, 200; 127, 1; 127, 61; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, NJW 2013, S. 145 ff.). Dort mag man bei formaler Betrachtung zwar eine gewisse Relativierung des Vertrauenskriteriums sehen, da der Einzelne für den Veranlagungszeitraum einfachrechtlich mit einer rückwirkenden Änderung der Vorschriften stets rechnen müssen soll; tatsächlich verbindet die Rechtsprechung, indem sie dies teilweise für nicht hinnehmbar hält, die Rückwirkungslehre für diese Konstellation in spezifischer Weise mit dem eigenständigen Schutzaspekt der Rechtssicherheit. Auch dort aber bestand - ohne dass diese Entscheidungen hier in allen Aspekten zu würdigen wären - zunächst jedenfalls immer eine klare Rechtslage, die als solche geeignet war, Vertrauen für Dispositionen zu begründen und die durch den Gesetzgeber dann rückwirkend geändert wurde. Der Schutz konkreten Vertrauens ist auch hier der Kern der Rechtsprechung.

107

Weitere Fälle, in denen das Bundesverfassungsgericht Gesetze wegen eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot aufgehoben hat, finden sich nicht. Insbesondere gibt es keinen Fall, in dem die Klarstellung einer unsicheren Rechtslage, die kein Vertrauen begründen konnte, für verfassungswidrig erklärt wurde.

108

2. Der Bruch mit den Wertungen der bisherigen Rechtsprechung wird um so deutlicher, wenn man umgekehrt die Fälle betrachtet, in denen das Bundesverfassungsgericht rückwirkende Gesetze zur Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat. Es reicht dabei auf die Fälle einzugehen, in denen der Gesetzgeber in Reaktion auf unvorhergesehene Entwicklungen bei der Anwendung die bisherige Rechtslage lediglich bekräftigen wollte und die Klarstellung deshalb als "authentische Interpretation" verstand. Es zeigt sich dabei, dass der Senat mit der vorliegenden Entscheidung auch in der materiellen Bewertung wesentlich strengere Maßstäbe anlegt als die Rechtsprechung bisher.

109

a) In der Tat allerdings hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt entschieden, dass eine eigene Befugnis des Gesetzgebers zur "authentischen Interpretation" nicht anzuerkennen ist. Die Auslegung unklarer Rechtsnormen sei grundsätzlich Sache der Gerichte (vgl. BVerfGE 126, 369 <392>; 131, 20 <37 ff.>; ähnlich bereits BVerfGE 111, 54 <107>). Auch diese Aussage blieb aber bisher stets in den Kontext des Vertrauensschutzes eingebunden. Sie wendet sich lediglich dagegen, die Berufung auf eine "authentische Interpretation" als eigenständigen Titel zur Rechtfertigung rückwirkender Gesetze anzuerkennen. Mit ihr sollte auf die allgemeinen - und damit vertrauensschutzbezogenen - Rückwirkungsgrundsätze verwiesen werden. Ausdrücklich hielt der Senat deshalb fest: "Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung" (BVerfGE 126, 369 <392>).

110

b) Dementsprechend wurde nach bisheriger Rechtsprechung in allen Fällen, in denen eine vertrauensbegründende Rechtslage nicht gegeben war, die rückwirkende Klärung offener Rechtsfragen als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen.

111

Dies gilt naturgemäß zunächst für den ersten hier zu nennenden Fall vom 23. Februar 1960, da das Gericht damals von einer lediglich "deklaratorischen Bedeutung" der gesetzlichen Klarstellung ausging (vgl. BVerfGE 10, 332 <340>). Man mag in jenem Fall nur eine geringe Parallele sehen, da der Senat hier anders als dort gerade nicht von einem lediglich deklaratorischen Gesetz ausgeht. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass auch damals die Rechtslage objektiv keinesfalls so klar war, wie die verfassungsgerichtliche Beurteilung des Gesetzes als "deklaratorisch" vermuten lässt: Die Frage, die der Gesetzgeber rückwirkend änderte, war damals vielmehr durchaus umstritten und noch das vorlegende Gericht war der Auffassung, dass das Gesetz die Rechtslage verändert habe. Nach den heute vom Senat zugrunde gelegten, differenzierteren Kriterien, wäre deshalb wohl äußerst zweifelhaft, ob damals tatsächlich von einer bloß deklaratorischen Rechtsänderung die Rede sein konnte. Dennoch erkannte man damals nicht auf eine verfassungsrechtlich verbürgte Chance, fachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, sondern sah es als Befugnis des Gesetzgebers an, diese Frage selbst rückwirkend klarzustellen.

112

Ebenso wurde eine rückwirkende Klärung in der Entscheidung zur Angestelltenversicherung vom 17. Januar 1979 als unbedenklich angesehen. Der Senat ließ dort ausdrücklich offen, ob die Gesetzesänderung deklaratorischen oder konstitutiven Charakter hatte. Es reichte ihm hier die Feststellung, dass "die ursprüngliche Norm … von vornherein Anlass zu zahlreichen Auslegungsproblemen gegeben" habe, "deren Lösung nicht allein aus dem Wortlaut, sondern nur in einer Zusammenschau von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und gesetzgeberischer Zielsetzung möglich war" (BVerfGE 50, 177 <194>). Der Bürger habe sich auf den durch die Norm erzeugten Rechtsschein deshalb nicht verlassen dürfen. Von den gesteigerten Anforderungen des Senats an eine besonders verworrene Rechtslage, die nur ausnahmsweise eine rückwirkende Klarstellung erlaube, ist hier nichts ersichtlich.

113

Besonders deutlich wird die Bewertungsverschiebung der Senatsmehrheit schließlich in Kontrast zu den beiden jüngeren Entscheidungen zur authentischen Auslegung. Im Fremdrentenbeschluss vom 21. Juli 2010 nahm der Senat sogar eine rückwirkende gesetzliche Klarstellung hin, die sich zu Lasten der Betroffenen über eine höchstrichterliche Grundsatzentscheidung hinwegsetzte. Das Vertrauen der betroffenen Rentner, unter leichteren Bedingungen eine Rente zu erhalten, war dort jedenfalls wesentlich gehaltvoller unterlegt als vorliegend das Vertrauen der Banken, ihre Verluste steuerlich geltend machen zu können: Das dort streitige Gesetz nahm den Betroffenen ganz erhebliche Aussichten, ihre Ansprüche im Prozesswege durchzusetzen. Als es in Kraft trat, hatte das Bundessozialgericht gerade in ihrem Sinne entschieden. Dennoch reichte dies dem Senat nicht, um dem Gesetzgeber eine rückwirkende Klarstellung zu untersagen. Von einem Reservat der Rechtsprechung, unklare Rechtslagen selbst aufzulösen, war hier nicht die Rede. Vielmehr stellte der Senat konsequent auf die Frage des Vertrauensschutzes ab: Selbst eine höchstrichterliche Klärung reiche nicht in jedem Fall, ein Vertrauen in die entsprechende Rechtslage zu begründen (vgl. BVerfGE 126, 369 <394 ff.>).

114

Nicht anders lag es bei der Entscheidung des Senats vom 2. Mai 2012 zur Beamtenversorgung. Auch dort setzte sich der Gesetzgeber über eine letztinstanzliche Auslegung eines Bundesgerichts - in concreto des Bundesverwaltungsgerichts - hinweg und führte damit für die Betroffenen rückwirkend eine ungünstigere Versorgungsregelung herbei. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte dies. Wiederum wurde als maßgebliches Kriterium das Vertrauen in die geltende Rechtslage zugrunde gelegt. Nur wenn die Rechtslage generell geeignet sei, ein Vertrauen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermögensdispositionen - herbeizuführen, sei ein solches Vertrauen berechtigt (vgl. BVerfGE 131, 20 <41>). Selbst höchstrichterliche Entscheidungen würden ein solches Vertrauen nicht automatisch begründen. Es bedürfe insoweit vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände wie etwa einer langjährigen gefestigten Rechtsprechung. Die erhebliche Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Literatur und Praxis habe dazu geführt, dass Vertrauen in die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts nicht habe erwachsen können und der Gesetzgeber zu einer rückwirkenden Klarstellung befugt sei (vgl. BVerfGE 131, 20 <41 ff.>).

115

c) Vergleicht man all diese Fälle mit der vorliegenden Konstellation, in der die Rechtslage sogar noch höchstrichterlich ungeklärt, zwischen Literatur und Fachgerichtsbarkeit vielfältig umstritten und damit insgesamt in jeder Hinsicht als offen bezeichnet werden kann, wird offensichtlich, dass ein Vertrauensschutz im vorliegenden Verfahren nach den Kriterien der bisherigen Rechtsprechung nicht ansatzweise begründet ist. Auch vom Gegenstand her gibt es keinen Grund, warum das Vertrauen von Banken in die teilweise Abwälzbarkeit ihrer Verluste auf die Allgemeinheit weitergehend geschützt sein soll als das Vertrauen von Rentnern oder Beamten in eine für sie günstige Berechnung ihrer Bezüge. Der Senat vollzieht mit dieser Entscheidung vielmehr eine grundlegende Umwertung der bisherigen Maßstäbe.

116

3. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass ein konsequentes Abstellen auf das Vertrauenskriterium den Grundsatz des Verbots echt rückwirkender Gesetze letztlich schon als solchen hinfällig werden ließe und damit seinerseits die Schutzstandards der Rechtsprechung preisgebe.

117

Dass diese Schutzstandards jedenfalls bisher nicht in der nun vom Senat zugrunde gelegten Strenge praktiziert wurden und das grundsätzliche Verbot echt rückwirkender Gesetze, auch mittels der von der Rechtsprechung zugleich entwickelten Ausnahmemöglichkeiten, letztlich zu einer maßgeblichen Berücksichtigung von Vertrauensgesichtspunkten führte, hat die Durchsicht der Rechtsprechung deutlich gemacht. Die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung wurde in ihr weniger als kategoriale denn als heuristische Unterscheidung verstanden - was sich mit dieser Entscheidung ändert.

118

Durch ein konsequentes Abstellen auf den Vertrauensschutz wird dem Gesetzgeber aber auch für die Zukunft kein Weg eröffnet, der es ihm erlaubte, angesichts der generellen Auslegungsbedürftigkeit des Rechts praktisch beliebig Klärungsbedarf geltend zu machen und damit gesetzliche Entscheidungen ohne weiteres nachträglich umzudrehen. Zwar ist Recht im Einzelfall meistens auslegungsbedürftig. Jedoch lässt sich aus solch abstrakter Aussage nicht herleiten, dass gesetzliche Grundentscheidungen und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Be-stimmungen in aller Regel unbegrenzt auslegungsoffen sind. Man wird kaum davon ausgehen müssen, dass unsere Rechtsordnung schon grundsätzlich nicht in der Lage ist, konkretes Vertrauen in bestimmte Rechtsfolgen zu begründen oder Grundlagen zu schaffen, auf die sich Dispositionen stützen lassen. In allen Fällen jedoch, in denen die Rechtsordnung ein solches Vertrauen begründet - und hierüber zu entscheiden ist gegebenenfalls Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts - gilt der Grundsatz des Verbots echter Rückwirkung zu Recht. Schon die grundrechtlichen Freiheitsvermutungen führen insoweit dazu, dass das Rückwirkungsverbot nicht wirkungslos ist. Im Übrigen lässt sich auch aus dem Fallmaterial des Bundesverfassungsgerichts ersehen, dass der Erlass rückwirkender Gesetze keinesfalls in aller Regel oder auch nur einer Großzahl von Fällen als Klarstellung ungeklärter Auslegungsfragen gerechtfertigt werden könnte. Das Vertrauenskriterium erodiert nicht die bisherige Rechtsprechung, sondern ist vielmehr ihre maßgebliche Grundlage.

IV.

119

Die streitbefangenen Normen geben auch sachlich keinen Anlass, hier von einem Vertrauen der klagenden Banken in die steuerrechtliche Berücksichtigung ihrer Verluste auszugehen. Dass eine solche Berücksichtigung mit der alten Regelung des § 40a Abs. 1 KAGG nie intendiert war, ist bei sachgerechter Auslegung jedenfalls naheliegend. Ganz unzweifelhaft ist jedenfalls, dass die Kläger mit einer solchen Auslegung rechnen mussten und auf ein entgegenstehendes Verständnis keine Dispositionen stützen konnten.

120

1. Ein Vertrauen lässt sich insoweit jedenfalls nicht einfach hin auf den Wortlaut stützen. Die Auslegung einer solchen Bestimmung bedarf einer verständigen Würdigung in ihrem Gesamtzusammenhang unter Berücksichtigung auch von Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck.

121

Zwar verweist der Wortlaut des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. ausdrücklich nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., der die steuerliche Nichtberücksichtigung der Gewinne anordnet, nicht aber auch auf dessen Abs. 3, der die Nichtberücksichtigung der Verluste regelt. Dies schließt jedoch nicht aus, dass dieser Verweis möglicherweise doch weiter zu verstehen ist. Gerade in komplexen Materien wie dem Steuerrecht, in denen nicht jeder Fall vom Gesetzgeber vorgedacht werden kann, ist es Aufgabe der Fachgerichtsbarkeit, die Normen nicht in einer punktuell beziehungslosen Wortlautauslegung zu exekutieren, sondern sie aus ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Systematik und den gesetzgeberischen Leitideen heraus zu interpretieren, mit Sinn zu füllen und rechtsfortbildend weiter zu entwickeln. Die strengen Grenzen des Art. 103 Abs. 2 GG, die für den besonderen Bereich des Strafrechts im Zweifel alle Unklarheiten zugunsten des Bürgers durchschlagen lassen, gelten hier nicht. Die Rechtsprechung hat vielmehr den im Gesetz angelegten Ausgleich von privaten und öffentlichen Interessen in einer beiden Seiten gerecht werdenden Weise fort zudenken und ihm Gestalt zu geben. Insofern steht der Wortlaut einer Auslegung, die bei verständiger Würdigung aller Gesichtspunkte schon in der ursprünglichen Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG einen impliziten Verweis nicht nur auf § 8b Abs. 2 KStG a.F., sondern auch auf Abs. 3 KStG a.F. sieht, nicht entgegen. Eine solche Auslegung kommt auch nicht erst dann in Betracht, wenn sich anders unerträgliche Wertungswidersprüche auftun. Maßgeblich ist vielmehr, welches Verständnis sich nach Maßgabe der allgemeinen juristischen Auslegungsmethoden als das in der Sache überzeugendste und dem mutmaßlichen Willen des damaligen Gesetzgebers am nächsten kommende erweist.

122

2. Hiervon ausgehend musste auch für die alte Fassung des § 40a Abs. 1 KAGG damit gerechnet werden, dass diese in der Rechtspraxis so verstanden wird, wie der Gesetzgeber dies später klarstellend angeordnet hat. Eine solche Auslegung war auch damals zumindest naheliegend.

123

a) Die Einfügung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. erfolgte im Gesamtzusammenhang mit der Umstellung des Körperschaftsteuerrechts vom Anrechnungsverfahren auf das Halbeinkünfteverfahren. Man wollte dabei auch die Investmentfonds möglichst systemgerecht in die neue Ordnung einbeziehen. Ausgehend von der Grundidee des § 8b KStG a.F. und in Verbindung mit dem für die Investmentfonds leitenden Transparenzprinzip liegt es insoweit nahe, dass hier Veräußerungsgewinne und -verluste ebenso wie Teilwertab- und -zuschreibungen möglichst systemgerecht, und das heißt gleichförmig und symmetrisch, in das Körperschaftsteuerrecht integriert werden sollten.

124

Der Gesetzgeber hat in den Materialien keinerlei Erklärung erkennen lassen, warum hier unter Abweichung von der Grundkonzeption des § 8b KStG a.F. nur dessen Abs. 2 anwendbar sein soll. Die Erläuterungen weisen die Einführung der §§ 38 ff. KAGG lediglich als Konsequenz der Gesetzesreform aus (vgl. BTDrucks 14/2683, S. 132) und erläutern die spätere Einfügung des § 40a KAGG a.F. nur in einzelnen technischen Aspekten (vgl. BTDrucks 14/3366, S. 126). Hiervon ausgehend spricht wenig dafür, dass mit der Regelung systemwidrig eine Abweichung vom Transparenzprinzip statuiert werden sollte. Zwar darf der Rückgriff auf das Transparenzprinzip in der Tat nicht genutzt werden, um mit systematischen Erwägungen anderweitige Entscheidungen des Gesetzgebers zu überspielen. Das Transparenzprinzip gilt nur insoweit, als der Gesetzgeber hierauf rekurriert (vgl. BFHE 130, 287 <289>; 229, 351 <357>; Schnitger/Schachinger, BB 2007, S. 801). Wenn aber der Gesetzgeber durch nichts zu erkennen gibt, dass ihn irgendwelche Sachgründe angeleitet haben, hier zu anderen Regeln zu greifen, spricht schon dies dafür, hierin eher ein Redaktionsversehen zu sehen als eine bewusste anderweitige Entscheidung.

125

Ein Indiz für ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen lässt sich bei genetischer Auslegung im Übrigen auch daraus herleiten, dass § 8b Abs. 2 KStG a.F. nach dem ursprünglichen Stand des Gesetzentwurfs zunächst ausschließlich auf Gewinne im engeren Sinne Anwendung finden sollte, während § 8b Abs. 3 KStG a.F. sowohl Teilwertabschreibungen als auch Veräußerungsverluste erfasste. Ebenso spricht für die steuerrechtliche Gleichbehandlung von Gewinnen und Verlusten die Spezialregelung des § 8b Abs. 7 Satz 1 KStG a.F., wonach die Absätze 1 bis 6 nicht auf Anteile anzuwenden sind, die bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten nach § 1 Abs. 12 des Kreditwesengesetzes a.F. dem Handelsbuch zuzurechnen sind. Damit steht zugleich fest, dass bei Kreditinstituten und Finanzdienstleistungsinstituten keine Differenzierung dahingehend erfolgt, dass Gewinnminderungen steuerwirksam bleiben, während Veräußerungsgewinne steuerfrei gestellt sind.

126

b) Auch in der Sache ist wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber Gewinne aus Anteilen an Investmentfonds von Steuern freistellen wollte, hiermit verbundene Verluste aber steuermindernd anerkennen wollte. Ein Hinweis darauf, dass eine solche steuerliche Form der Privatisierung von Gewinnen bei gleichzeitiger Sozialisierung der Verluste gewollt war, ist nicht ersichtlich, und Sachgründe hierfür sind nicht erkennbar. Allerdings weist das vorlegende Gericht zu Recht darauf, dass für die im konkreten Fall in Frage stehenden Teilwertabschreibungen der Wertungswiderspruch durch § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. ein Stück weit abgemildert wird. Diese Vorschrift führt dazu, dass Gewinne und Verluste so miteinander verrechnet werden, dass jedenfalls eine doppelte Begünstigung verhindert wird, die dadurch entstehen könnte, dass in einem Jahr erzielte Gewinne steuerfrei bleiben, entsprechende Verluste im nächsten Jahr aber steuermindernd berücksichtigt werden könnten. Dennoch ändert dies nichts an der bei wörtlicher Anwendung der Norm verbleibenden Asymmetrie, dass im Gesamtergebnis die bei Veräußerung erzielten Gewinne steuerfrei sind, während Verluste zu Lasten der Allgemeinheit steuerlich in Ansatz gebracht werden können. Der Verweis auf § 8b Abs. 2 Satz 2 KStG a.F. führt zu einer Verrechnung nur bezogen auf den jeweiligen Anteil und hilft bei den nur einmalig anfallenden Veräußerungsgewinnen und -verlusten generell nicht. Die Diskrepanz zwischen der steuerlichen Relevanz von Verlusten und Gewinnen kommt hier voll zur Geltung, ohne dass hierfür irgendeine Rechtfertigung ersichtlich wäre. Als fernliegend erscheint es dabei, die Bedeutung des Verweises auf § 8b Abs. 2 KStG a.F. für Teilwertab- und -zuschreibungen anders zu interpretieren als für die Veräußerungsgewinne und -verluste.

127

All diese Verkomplizierungen lösen sich auf, wenn man systematisch folgerichtig § 40a Abs. 1 KAGG a.F. von vornherein so versteht, dass er schon immer nicht nur auf Abs. 2, sondern auch auf Abs. 3 verwiesen hat - wie ja im Übrigen auch unstreitig ist, dass der gleichfalls nicht vom Wortlaut umfasste Abs. 4 anwendbar ist.

128

c) Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, diese Frage abschließend zu klären. Dies wird - in Folge der Mehrheitsmeinung im Senat - nun Aufgabe der Fachgerichte sein. Angesichts der triftigen Argumente, die schon ursprünglich für die Auslegung sprachen, die der Gesetzgeber dann auch ausdrücklich bekräftigt hat, kann die rückwirkende Erstreckung dieser Regelung auf die offen gebliebenen Altfälle dann aber nicht als Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes beurteilt werden. Die klagenden Banken mussten von Anfang an damit rechnen, dass sie ihre Teilwertabschreibungen nicht steuermindernd geltend machen können. Das gilt umso mehr, als die hier in Frage stehenden Auslegungsfragen schon früh bekannt waren und in der Regel Unternehmen, insbesondere Banken mit kompetenten Rechtsabteilungen, betreffen, die solche Unklarheiten im Zweifel schneller erkennen als die Finanzbehörden selbst.

129

3. Dass der Gesetzgeber in dieser Lage nicht selbst auch für die Altfälle eine Regelung treffen darf, leuchtet nicht ein. Die Annahme eines prinzipiellen Reservats der Fachgerichtsbarkeit für die Lösung dieser Fälle überzeugt - wie dargelegt - schon grundsätzlich nicht. Wenig einleuchtend sind aber auch die vom Senat ergänzend herangezogenen Abgrenzungskriterien für die Anerkennung von Ausnahmen.

130

a) Eine rückwirkende Regelung soll nach Ansicht des Senats deshalb ausscheiden, weil die alte Rechtslage zwar ungeklärt und offen, aber in einem normalen Sinne auslegungsfähig war. Verfassungsrechtlich zulässig sei eine rückwirkende Regelung nur, wenn die alte Regelung zu einer durchgreifend unverständlichen oder verworrenen Rechtslage geführt hätte. Dies sei erst dann der Fall, wenn völlig unverständlich sei, welche Bedeutung die fragliche Norm haben solle, oder die Norm völlig wirr sei. Der Gesetzgeber darf also das, was er als Redaktionsfehler ansieht, hier deshalb nicht selbst klären, weil dieser Fehler zu geringfügig war. Er hätte also gravierendere und größere Verwirrung stiftende Fehler begehen müssen - dann wäre er auch nach Ansicht des Senats zu einer rückwirkenden Regelung befugt. Überzeugend sind solche Grenzlinien nicht.

131

b) Die für den Senat maßgebliche Abgrenzung zwischen einer ungeklärten Rechtslage, die ein rückwirkendes Gesetz noch nicht rechtfertigt, und unklarer und verworrener Rechtslage, die ein solches Gesetz rechtfertigen kann, ist eine Wertungsfrage, die für künftige Fälle Spielräume belässt. Es ist zu hoffen, dass hierüber der mit vorliegender Entscheidung vom Senat eingeschlagene Irrweg doch wieder eingefangen werden kann und sich diese Entscheidung dann im Rückblick nur als Einzelfall darstellt.

132

Gerade aber wenn sie nur ein Einzelfall bleibt, muss die Entscheidung auf Widerspruch stoßen. Denn der vorliegende Fall gibt zu einem Abweichen von der Rechtsprechung besonders wenig Anlass: Es geht hier um das Vertrauen insbesondere von Banken in die steuerliche Absetzbarkeit von Verlusten in einem Geschäftsbereich, der insgesamt durch einen spekulativen Charakter geprägt ist. Praktisch dürfte es in den betroffenen Jahren vor allem auch um die Verluste in Folge der durch die Anschläge des 11. September 2001 ausgelösten Kursstürze gehen. Warum nun ausgerechnet in dieser Konstellation strengere Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt werden als in den Fällen, in denen es um den Zugang zur Angestelltenversicherung, die Erlangung von Renten oder die Höhe der Beamtenversorgung ging, leuchtet nicht ein.

V.

133

Richtigerweise hätte § 43 Abs. 18 KAGG für verfassungsgemäß erklärt werden müssen. Dabei ist es wenig wichtig, ob man angesichts der ungeklärten Auslegung des § 40a Abs. 1 KAGG a.F. schon das Vorliegen einer änderungsfähigen Rechtslage und damit überhaupt einer Rückwirkung verneint, ob man von einer nur formellen Rückwirkung ausgeht, die durch die ungeklärte Rechtslage gerechtfertigt ist (vgl. BVerfGE 126, 369 <393 ff.>), oder ob man hier eine Rückwirkung sieht, die jenseits der Alternativen von echter und unechter Rückwirkung oder deklaratorischer oder konstitutiver Rechtsänderung unmittelbar durch Verweis auf die offene Rechtsfrage zu lösen ist (vgl. BVerfGE 50, 177 <193 f.>; 131, 20 <40 ff.>). Maßgeblich ist allein, dass im Ergebnis auf die Frage abgestellt werden muss, in welchem Umfang die bisherige Rechtslage ein berechtigtes Vertrauen begründet hat. Und ein solches Vertrauen besteht im vorliegenden Fall schlicht nicht.

134

Nur durch ein konsequentes Abstellen auf ein berechtigtes Vertrauen in die bestehende Rechtslage behält die Rückwirkungsrechtsprechung ihren Charakter als Schutz individueller Freiheit und Selbstbestimmung. Mit der vorliegenden Entscheidung verformt der Senat die Rückwirkungsrechtsprechung zu einem Instrument der Absicherung eines Reservats der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber wird aus seiner Verantwortung gedrängt und der Bereich politisch-parlamentarischer Entscheidung ungerechtfertigt eingeengt. Dies entspricht dem Bild der Demokratie des Grundgesetzes nicht.

(1) Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

(2) Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften.

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe, der Sozialhilfe, der Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen.

Wird einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt, so steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des § 104 des Zehnten Buches ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu. Der Erstattungsanspruch besteht auch, soweit die Erbringung des Arbeitslosengeldes II allein auf Grund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war oder rückwirkend eine Rente wegen Alters oder eine Knappschaftsausgleichsleistung zuerkannt wird. Die §§ 106 bis 114 des Zehnten Buches gelten entsprechend. § 44a Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit

1.
er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat,
2.
der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder
3.
er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

(3) Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung kann nach Absatz 2 nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden. Satz 1 gilt nicht, wenn Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung vorliegen. Bis zum Ablauf von zehn Jahren nach seiner Bekanntgabe kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Absatz 2 zurückgenommen werden, wenn

1.
die Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 2 oder 3 gegeben sind oder
2.
der Verwaltungsakt mit einem zulässigen Vorbehalt des Widerrufs erlassen wurde.
In den Fällen des Satzes 3 kann ein Verwaltungsakt über eine laufende Geldleistung auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren zurückgenommen werden, wenn diese Geldleistung mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurde. War die Frist von zehn Jahren am 15. April 1998 bereits abgelaufen, gilt Satz 4 mit der Maßgabe, dass der Verwaltungsakt nur mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wird.

(4) Nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Die Behörde muss dies innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen tun, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen.

(5) § 44 Abs. 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

Wird einer leistungsberechtigten Person für denselben Zeitraum, für den ein Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen nach diesem Buch erbracht hat, eine andere Sozialleistung bewilligt, so steht dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende unter den Voraussetzungen des § 104 des Zehnten Buches ein Erstattungsanspruch gegen den anderen Sozialleistungsträger zu. Der Erstattungsanspruch besteht auch, soweit die Erbringung des Arbeitslosengeldes II allein auf Grund einer nachträglich festgestellten vollen Erwerbsminderung rechtswidrig war oder rückwirkend eine Rente wegen Alters oder eine Knappschaftsausgleichsleistung zuerkannt wird. Die §§ 106 bis 114 des Zehnten Buches gelten entsprechend. § 44a Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Sach- und Dienstleistungen sind in Geld zu erstatten.

(2) Soweit Leistungen ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, sind sie zu erstatten. §§ 45 und 48 gelten entsprechend.

(2a) Der zu erstattende Betrag ist vom Eintritt der Unwirksamkeit eines Verwaltungsaktes, auf Grund dessen Leistungen zur Förderung von Einrichtungen oder ähnliche Leistungen erbracht worden sind, mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich zu verzinsen. Von der Geltendmachung des Zinsanspruchs kann insbesondere dann abgesehen werden, wenn der Begünstigte die Umstände, die zur Rücknahme, zum Widerruf oder zur Unwirksamkeit des Verwaltungsaktes geführt haben, nicht zu vertreten hat und den zu erstattenden Betrag innerhalb der von der Behörde festgesetzten Frist leistet. Wird eine Leistung nicht alsbald nach der Auszahlung für den bestimmten Zweck verwendet, können für die Zeit bis zur zweckentsprechenden Verwendung Zinsen nach Satz 1 verlangt werden; Entsprechendes gilt, soweit eine Leistung in Anspruch genommen wird, obwohl andere Mittel anteilig oder vorrangig einzusetzen sind; § 47 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bleibt unberührt.

(3) Die zu erstattende Leistung ist durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Die Festsetzung soll, sofern die Leistung auf Grund eines Verwaltungsakts erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsaktes verbunden werden.

(4) Der Erstattungsanspruch verjährt in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Absatz 3 unanfechtbar geworden ist. Für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sinngemäß. § 52 bleibt unberührt.

(5) Die Absätze 1 bis 4 gelten bei Berichtigungen nach § 38 entsprechend.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.