Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 10. Feb. 2015 - 4 L 51/14
Tatbestand
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Die als GmbH organisierte Klägerin wendet sich gegen eine Feststellung nach dem Gesetz über Wohn- und Teilhabe des Landes Sachsen-Anhalt - WTG LSA -.
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Sie betreibt in einem Gebäude in der C-Straße in C-Stadt auf mehreren Etagen eine stationäre Alten- und Pflegeeinrichtung (A. „ServiceLeben E.“) mit 103 Pflegeplätzen und bietet außerdem eine ambulante Altenpflege/Intensivpflege mit Schwerpunkt Beatmung (A. „Intensiv“) an. Das Gebäude nutzt sie auf der Grundlage eines Pachtvertrages mit der Eigentümerin. Darin ist im Erdgeschoss rechts die „Betreute Wohngemeinschaft Intensiv E.“ untergebracht. Für diese Wohngemeinschaft - im folgenden: WG - stehen acht Zimmer, die jeweils einen Sanitärbereich haben, zwei ineinander übergehende kombinierte Wohn- und Aufenthaltsräume mit Küche sowie zwei Lagerräume zur Verfügung. Die Bewohner dieser WG, gegenwärtig die Gesellschafter der Beigeladenen, sind alle intensivpflegebedürftig. Sie bzw. ihre Bevollmächtigten oder gesetzlichen Vertreter schlossen mit der (...) Vermietungsgesellschaft mbH mit Sitz in A-Stadt, die nicht identisch ist mit der Eigentümerin des Gebäudes, jeweils Mietverträge über eine Wohneinheit inkl. anteiliger Gemeinschaftsfläche.
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Auf Nachfragen des Beklagten vom 13. Mai 2011 legte die Klägerin für die WG ein Konzept vor, nach dem sie seit dem Jahr 2004 in solchen spezialisierten Wohnformen tätig sei. Im Juni/Juli 2011 schlossen sich die damaligen Mitglieder der WG bzw. deren gesetzliche Vertreter mit einer Vereinbarung zusammen, um eigenverantwortlich die Interessen der Gemeinschaft gegenüber Dritten zu vertreten. Die Vereinbarung sieht u.a. die gemeinschaftliche Beauftragung eines Pflegedienstes vor und verpflichtet jedes Mitglied, Mehrheitsentscheidungen, insbesondere die einheitliche Beauftragung externer Dienstleister wie eines Pflegedienstes, zu akzeptieren. Aus der Vereinbarung kann nur zusammen mit dem Auszug aus der WG ausgetreten werden. Die Gemeinschaft bestimmt in Abstimmung mit dem Vermieter, wer neu in die WG einzieht, wobei Voraussetzung für die Aufnahme u.a. eine Empfehlung des in der WG tätigen Pflegedienstes ist. Am 14. Juli 2011 beschlossen die Mitglieder der WG, den Intensivpflegedienst der Klägerin bis auf weiteres zu beauftragen. Die Betreuung und Pflege der Bewohner erfolgt in einem 3-Schicht-System rund um die Uhr.
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Nach einer Begehung durch Vertreter des Beklagten am 25. Juli 2011 und einer Anhörung der Klägerin traf der Beklagte mit an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin adressierten Bescheid vom 3. November 2011 die Feststellung, dass es sich bei der „Betreuten Wohngemeinschaft Intensiv E.“ um den Teil einer stationären Einrichtung i.S.d. § 3 WTG LSA handele. Die Voraussetzungen des § 4 WTG LSA für die Annahme einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft seien im Wesentlichen nicht erfüllt. Das Kriterium der Inanspruchnahme externer Pflege- und Betreuungsleistungen gegen Entgelt sei praktisch nicht erfüllbar, da der Pflegedienst der Klägerin als hoch spezialisierter Pflegedienst im Zuge des durch die Modalitäten der Auftraggebergemeinschaft eingeschränkten individuellen Wahlrechtes tatsächlich nicht ersetzbar sei. Die Verknüpfung von Wohnraumüberlassung und dem Angebot hoch spezialisierter Pflege- und Betreuungsleistungen ergebe sich faktisch allein schon aus der Spezifik der Krankheitsbilder der Bewohner der WG. Weiter fehle es an der baulichen, organisatorischen und wirtschaftlichen Selbständigkeit der WG und es könne nicht von einem Gaststatus des Pflegedienstes ausgegangen werden, der zudem 24 Stunden am Tag anwesend sei.
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Am 5. Dezember 2011 hat die Klägerin fristgerecht bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg Anfechtungsklage erhoben. Nachdem das Verwaltungsgericht eine Beiladung abgelehnt hatte, hat das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt mit Beschluss vom 25. Februar 2013 (- 4 O 14/13 -) die aus den Bewohnern der WG bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts gem. § 65 Abs. 2 VwGO zu dem Verfahren beigeladen. Mit Beschluss vom 28. August 2013 (- 4 A 323/11 MD -) hat sich das Verwaltungsgericht Magdeburg für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Verwaltungsgericht Halle verwiesen.
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Mit Urteil vom 13. Februar 2014 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
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Die Vorschriften des WTG LSA stellten eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Erlass des streitbefangenen Feststellungsbescheides dar. Die Abgrenzung einer stationären Einrichtung und einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft sei nach objektiven Kriterien unter Beachtung der Zweckrichtung der Einrichtung und ihrer konkreten Betriebsform zu entscheiden. Ausschlaggebend sei dabei allein die tatsächliche Wohn- und Betreuungssituation, wie sie sich aus den abgeschlossenen Verträgen und den übrigen festgestellten tatsächlichen Verhältnissen ergebe. Hiervon ausgehend handele es sich bei der WG um den Teil einer stationären Einrichtung i.S.d. § 3 WTG LSA. Die Vorschrift erfasse eine Einrichtung, in der - wie vorliegend - verschiedene natürliche oder juristische Personen Wohnraum überließen, wenn diese mit der Wohnraumüberlassung verpflichtend Pflege und Betreuung zur Verfügung stellten. Auch wenn formal mit der Überlassung des Wohnraums durch die (...) Vermietungsgesellschaft mbH keine Verpflichtung der Klägerin oder eines anderen Dritten verbunden sei, Pflege- und Betreuungsleistungen zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten, sei der rechtliche Rahmen im Übrigen so gestaltet, dass ein Bewohner der Räumlichkeiten faktisch Pflege- und Versorgungsleistungen der Klägerin in Anspruch nehmen müsse. Faktisch habe eine Wahlfreiheit hinsichtlich der Frage, ob der Servicevertrag mit dem ambulantem Intensivpflegedienst der Klägerin oder einem anderen Anbieter - das Vorhandensein alternativ geeigneter Dienstleister unterstellt - abgeschlossen werde, zunächst ersichtlich nicht bestanden. Schon der zeitliche Ablauf lasse darauf schließen, dass die Gründung der Auftraggebergemeinschaft im Interesse der Klägerin und der Angehörigen sowie Betreuer erfolgt sei, um hierdurch eine Anpassung an die Gesetzeslage zu erreichen und eine Wohn- und Betreuungsform zu schaffen, die nicht den Anforderungen des WTG LSA unterliege. Es sei nicht anzunehmen, dass jetzt und in Zukunft eine nicht nur rechtliche, sondern auch faktische Wahlfreiheit bestehe. Die WG, die nach dem vorgelegten Konzept der Klägerin auf deren Initiative zurückgehe, hänge in ihrem Bestand faktisch von der weiteren Tätigkeit des Pflegedienstes der Klägerin ab. Die WG diene nach ihrem Gesamtbild auch nicht als ambulant betreute Wohngemeinschaft dem Zweck des § 4 Satz 1 WTG LSA. Sie sei zum einen nicht baulich, organisatorisch und wirtschaftlich selbständig und zum anderen habe der Pflegedienst der Klägerin nicht nur Gaststatus.
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Klägerin und Beigeladene haben fristgerecht jeweils die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung erhoben.
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Die Klägerin trägt zur Begründung vor, das Verwaltungsgericht habe sich schon zu Unrecht von dem Obersatz des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgrenzung nach dem Heimgesetz leiten lassen. Weiterhin handele es sich bei der WG nicht um eine stationäre Einrichtung. Allein die Beigeladene bestimme auf Grund ihrer Gemeinschaftsvereinbarung im Rahmen einer Mehrheitsentscheidung, wer in die WG einziehe und welcher Pflegedienstleister die Pflegeleistungen erbringe. Die Wahlfreiheit bezüglich des Pflegedienstes sei im Rahmen einer Mehrheitsentscheidung gewahrt, da die Wahlfreiheit als kollektive Wahlfreiheit der Auftraggebergemeinschaft zu verstehen sei. Warum keine faktische Wahlfreiheit bestehe, werde vom Verwaltungsgericht nicht schlüssig erläutert. Selbstverständlich bestehe eine faktische Zusammenarbeit zwischen der WG, dem Pflegedienst und dem Vermieter. Das Verwaltungsgericht ignoriere insoweit jedoch die rechtliche Stellung der WG. Es könne keine Rolle spielen, dass die Entscheidung der Beigeladenen, ihren Pflegedienst zu beauftragen, erst ergangen sei, nachdem sie bereits die Pflege und Versorgung der Bewohner übernommen hatte. Es handele sich auch nicht um eine bloße formale Vorgehensweise, die nicht tatsächlich umgesetzt worden wäre. Entscheidend sei, dass die zugrunde liegenden rechtlichen Verbindungen voneinander unabhängig erfolgt seien. Die WG sei baulich, organisatorisch und wirtschaftlich selbständig. Der gesetzliche Begriff des „Gaststatus“ könne nicht davon abhängen, dass die Bewohner einer WG krankheitsbedingt auf die durchgängige Anwesenheit des Pflegedienstes angewiesen seien. Hier sei auf das Hausrecht abzustellen, dass die Bewohner der WG innehätten.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 7. Kammer - vom 13. Februar 2014 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 3. November 2011 aufzuheben.
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Die Beigeladene beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle - 7. Kammer - vom 13. Februar 2014 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 3. November 2011 aufzuheben.
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Sie trägt vor, die Regelungen der §§ 2 und 12 WTG LSA seien keine taugliche Rechtsgrundlage für einen Feststellungsbescheid. Weiterhin hätte eine isolierte Feststellung allenfalls im Zeitpunkt ihres Erlasses eine verbindliche Rechtswirkung, so dass der streitige Bescheid ins Leere laufe. Aus den §§ 4 und 5 WTG LSA dürfte sich zudem nicht zwangsläufig ergeben, dass es sich bei Nichtvorliegen der dort genannten Voraussetzungen um eine stationäre Einrichtung i.S.d. § 3 WTG LSA handele.
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Bei ihr handele es sich um eine selbstorganisierte Wohngemeinschaft i.S.v. § 5 WTG LSA. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts ignorierten die rechtlich abgesicherte Selbstbestimmung ihrer Mitglieder, die sich in der Vereinbarung der Auftraggebergemeinschaft widerspiegele, und ihren erstinstanzlichen Vortrag zu den tatsächlichen Umständen der WG, ihrer Konstitution, der Neuaufnahme von Mitgliedern und der Organisation des täglichen Lebens. Tatsächlich habe sie sowohl rechtlich als auch faktisch die Möglichkeit, den Pflegedienst frei zu wählen, das Hausrecht auszuüben und Neubewohner aufzunehmen. Würde die Annahme zutreffen, dass das Hausrecht faktisch von den Bewohnern nicht kontinuierlich ausgeübt werden könne, weil Angehörige/Vertreter nicht ständig vor Ort seien, wäre ein selbstbestimmtes Leben bei Betreuung nur möglich, wenn der Betreuer 24 Stunden vor Ort sei. Dies wäre ein klarer Widerspruch zum gesetzgeberischen Zweck. Im Übrigen ergebe sich aus § 5 Abs. 2 WTG LSA, dass eben diese eingeschränkt handelnde Nutzergruppe bei wirksamer Vertretung nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich eine selbstbestimmte Wohngemeinschaft bilden könne. Inwiefern der Beklagte sowie das Verwaltungsgericht ihr die faktische Möglichkeit absprächen, die Klägerin zu kündigen und einen anderen Intensivpflegedienst als Dienstleister zu verpflichten, bleibe unklar und unbegründet bzw. begründe sich allein auf ungeprüften Annahmen und Unterstellungen. Die WG sei in keiner Hinsicht ein „Bestandteil“ der stationären Einrichtung, sondern organisatorisch und wirtschaftlich selbständig. Die Plätze seien nicht „eingestreut“ im stationären Bereich, sondern lägen in einem eigenen Trakt. Das Vorhandensein mehrerer Versorgungsformen sei in der Versorgungslandschaft üblich. In rechtlicher Hinsicht sei das Kriterium der baulichen Eingliederung - jedenfalls für sich genommen - zudem ungeeignet, letztlich über den rechtlichen Status zu entscheiden. Der Pflegedienst der Klägerin habe auch nur einen Gaststatus. Die im Gesetz genannten Bespiele für einen fehlenden Gaststatus legten nahe, dass es um Räume gehe, die dem Pflegedienst so eindeutig zugewiesen seien, dass das Hausrecht der Bewohner nicht nur faktisch, sondern rechtlich eingeschränkt werde. Durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts werde in die Grundrechte ihrer Mitglieder auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen. Würden sich ihre Mitglieder durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in einer stationären Einrichtung wiederfinden, so würde dies unweigerlich zur Auflösung der WG und zum Auszug der Bewohner führen. Schließlich zeige sich anhand zahlreicher Beispiele ihrer Mitglieder, dass sich die selbstorganisierte ambulante Wohnform positiv auf die gesundheitliche Entwicklung der betroffenen Bewohner auswirke.
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Der Beklagte beantragt,
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die Berufungen zurückzuweisen.
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Er macht geltend, es sei nicht zu beanstanden, dass auf die Rechtsprechung zum Heimgesetz zurückgegriffen werde. Die Beurteilung zum Vorliegen einer anderen Wohnform sei durch das Verwaltungsgericht allein nach den einschlägigen Bestimmungen des WTG LSA erfolgt.
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In die vermeintlich selbst organisierte „Wohngemeinschaft“ würden nur intensivpflegebedürftige Menschen aufgenommen. Die Anwärter auf einen Platz verzichteten darauf, ein eigenes persönliches Wahlrecht zur Beauftragung eines Pflegedienstes auszuüben und würden sich der Mehrheitsentscheidung unterwerfen, die Leistung der Klägerin anzunehmen. Mit ihrem Eintritt hätten sich die Anwärter zur Annahme der Leistungen durch die Klägerin auch rechtlich verpflichtet. Eine freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistung sei für den einzelnen Bewohner nicht mehr gegeben. Der in § 1 Abs. 1 und 2 WTG LSA genannte Zweck des Gesetzes werde hier unterwandert. Mit der Entscheidung für eine stationäre Einrichtung gebe der Einzelne sein Recht auf freie Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen auf. Bei der Entscheidung für eine andere Wohnform solle gerade diese freie Wählbarkeit erhalten bleiben und nicht durch irgendeine „Hintertür“ wegfallen. Soweit die Beigeladene auf die positiven Wirkungen von selbstorganisierten ambulanten Wohnformen verweise, verkenne sie, dass auch in einer stationären Einrichtung jedes Zimmer eine eigene Wohnung darstelle; zudem sehe § 10 WTG LSA ausdrücklich die Öffnung in das Gemeinwesen vor.
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Sowohl die Klägerin als auch die Beigeladene hätten immer nur auf ihre Feststellungen reagiert und die vermeintliche Wohngemeinschaft nach außen hin passend gemacht. Die (strukturellen) Abhängigkeit vom Träger einer stationären Einrichtung oder sonstigen Wohnform sei hier für die Beigeladene als sehr hoch einzuschätzen. Die tatsächliche Wohn- und Betreuungssituation lasse nur den Schluss zu, dass ihre Räume Bestandteil einer stationären Einrichtung seien. Das Merkmal der baulichen Selbständigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 WTG LSA werde in keinem Fall erfüllt. Eine engere räumliche Verbindung zwischen den Räumen der Beigeladenen und denen der stationären Einrichtung sei kaum denkbar. Zudem wiesen der Träger der stationären Einrichtung und der Pflegedienst gesellschaftsrechtliche Verbindungen auf. Um Bestandteil einer stationären Einrichtung zu sein, müssten die Pflegeplätze nicht „eingestreut“ im stationären Bereich sein. Sie könnten auch in einem eigenen Trakt liegen. Nach dem Vortrag der Klägerin seien ihre Büroräume in der stationären Einrichtung, d.h. nur getrennt durch den Empfangsbereich und im gleichen Gebäude, und nach Vortrag der Beigeladenen fänden in ihren Räumen Dienstbesprechungen statt. Diese Tatsachen widersprächen der Annahme eines Gaststatus. Der Auffassung der Beigeladenen, dass ihre Mitglieder selbstbestimmt entscheiden könnten, widersprächen die Festlegungen in ihrer Vereinbarung. Voraussetzung für die Aufnahme neuer Mitglieder sei die Empfehlung des Pflegedienstes, so dass sich die Beigeladene seiner Entscheidung unterwerfe. Ein Hausrecht könne von den Bewohnern selbst nicht mehr ausgeübt werden; sie seien dazu überhaupt nicht mehr in der Lage. Der Pflegedienst, der 24 Stunden anwesend sei, habe allein dieses Recht und die damit verbundene Entscheidungsbefugnis inne. Schließlich stelle der Gesetzgeber für Gebäude mit Personen, die einen Intensivpflegebedarf hätten, höhere bauliche Anforderungen und habe diese Gebäude als Sonderbauten eingestuft (§ 2 Abs. 4 Ziff. 9b BauO LSA).
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
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Die zulässigen Berufungen der Klägerin und der Beigeladenen sind begründet.
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Das Verwaltungsgericht hat die Anfechtungsklage gegen den Feststellungsbescheid der Beklagten vom 3. November 2011 zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
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Gesetzliche Grundlage für den angefochtenen Feststellungsbescheid sind die §§ 12, 19 Abs. 8 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG des Gesetzes über Wohnformen und Teilhabe des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Februar 2011 (GVBl. LSA 2011, 136) - WTG LSA -. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass feststellende Verwaltungsakte einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, wenn ihr Inhalt etwas als Rechtens feststellt, was der Betroffene erklärtermaßen für nicht Rechtens hält. Erforderlich ist aber keine ausdrückliche gesetzliche Grundlage, sondern es genügt, wenn sich eine solche im Wege der Auslegung ermitteln lässt (vgl. BVerwG, Urteile v. 14. Juni 2012 - 5 C 4.11 und v. 22. Oktober 2003 - 6 C 23.02 -, jeweils zit. nach JURIS, m.w.N.). § 12 und § 19 Abs. 8 WTG LSA, die eine Anzeigepflicht für stationäre Einrichtungen bestimmen (§ 12 WTG LSA) und der Behörde Prüfungsbefugnisse auch für die Feststellung zugestehen, ob es sich um eine stationäre Einrichtung handelt (§ 19 Abs. 8 WTG LSA), stellen die Rechtsgrundlage für den Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes des Inhalts dar, dass eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA vorliegt (so zu vergleichbaren landesgesetzlichen Regelungen OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9. Juli 2013 - 12 A 2623/12 -; VG Oldenburg, Urt. v. 21. Mai 2012 - 12 A 1136/11 - jeweils zit. nach JURIS; vgl. auch VG Augsburg, Urt. v. 22. Juli 2014 - Au 3 K 13.444 -, zit. nach JURIS; so zur Anzeigepflicht nach dem HeimG VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12. September 2003 - 14 S 718/03 -; OVG Brandenburg, Beschl. v. 1. Dezember 1999 - 4 B 127/99 -, jeweils zitiert nach JURIS; wohl auch OVG Sachsen, Beschl. v. 7. Oktober 2014 - 5 A 115/14 -, zit. nach JURIS; a.M.: VG Dresden, Urteile vom 11. Oktober 2014 - 1 K 1114/13 - und - 1 K 1123/13 -). Ausgehend von dem Sinn der Anzeigepflicht, eine wirksame Überwachung sicherzustellen, und angesichts einer ausdrücklich auf eine behördliche „Feststellung“ abzielenden Vorschrift, ermächtigen diese Regelungen die zuständige Behörde dazu, durch Verwaltungsakt die Voraussetzungen für das Bestehen der Anzeigepflicht festzustellen und damit mittelbar zu deren Erfüllung aufzufordern. Unbeachtlich für die Ermittlung der Rechtsgrundlage zur Klärung einer zwischen der Behörde und einem Anbieter von Pflegeleistungen als möglichem Träger einer stationären Einrichtung umstrittenen Rechtsfrage zur Einordnung einer Wohngemeinschaft ist dabei, ob diese Klärung unmittelbar dem Schutz der Bewohner dient oder ob sie dauerhaft sein kann. Dass das WTG LSA nicht mehr - wie noch das HeimG a.F. in seinem bis 12. Februar 1997 geltenden § 6 - eine Erlaubnispflicht für stationäre Einrichtungen vorsieht, steht dem ebenfalls nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem zu dem HeimG a.F. ergangenen Beschluss v. 2. Juli 1991 (- 1 B 64.91 -, zit. nach JURIS) maßgeblich auch auf die Anzeigepflicht nach § 7 HeimG a.F. und auf die zu einer vergleichbaren Anzeigeregelung in § 14 Abs. 1 GewO ergangene Rechtsprechung abgestellt.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung ist der Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Feststellungsbescheides (vgl. VG Gelsenkirchen, Urt. v. 15. Januar 2014 - 10 K 2661/12 -, zit. nach JURIS; VG Dresden, Urt. v. 11. Oktober 2014, a.a.O.; wohl auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9. Juli 2013, a.a.O.).
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Im Rahmen einer Anfechtungsklage ist vorbehaltlich abweichender Regelungen des materiellen Rechts in der Regel der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich (vgl. BVerwG, Urt. v. 11. Juli 2011 - 8 C 12/10 -; Beschl. v. 4. Juli 2006 - 5 B 90/05 -, jeweils zit. nach JURIS). Ist im Lichte des materiellen Fachrechts davon auszugehen, dass die der Feststellung zugrundeliegende Sachlage keinen Veränderungen unterliegen wird, kommt der Feststellung allerdings ein fortwährender Regelungsgehalt und damit eine Dauerwirkung zu mit der Folge, dass - wiederum vorbehaltlich abweichender Regelungen des Fachrechts - für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit maßgeblich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ist (vgl. auch BVerwG, Urt. v. 11. Juli 2011, a.a.O.; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10. November 2014 - 13 A 1973/13 -, zit. nach JURIS, m.w.N.). Es kann aber nach den Vorgaben des WTG LSA nicht hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass die Wohn- und Betreuungssituation, anhand derer sich bestimmt, ob eine stationäre Einrichtung im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA vorliegt, voraussichtlich statisch bleibt und keinen relevanten Veränderungen unterliegt. Mit solchen relevanten Veränderungen muss nach Erlass eines Feststellungsbescheides vielmehr jederzeit gerechnet werden (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9. Juli 2013, a.a.O.). Eine Auslegung des angefochtenen Bescheids dahingehend, dass die Feststellung nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt abstellt, sondern - gleichbleibende Verhältnisse unterstellt - auf Dauer angelegt ist und deshalb den Charakter eines Dauerverwaltungsakts hat (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 12. September 2003, a.a.O.; VG Leipzig, Urt. v. 31. Mai 2011 - 5 K 1062/09 -, zit. nach JURIS zum HeimG), ist auf Grund der Besonderheiten des zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses ausgeschlossen. Es kann daher offen bleiben, ob der streitbefangene Feststellungsbescheid überhaupt nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht nur für den Zeitpunkt des Zugangs, sondern - der Eigenart eines Dauerverwaltungsakts entsprechend - auch für einen hieran anschließenden Zeitraum Geltung beanspruchen sollte.
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Danach entfaltet die isolierte Feststellung zum Anwendungsbereich des WTG LSA schon auf Grund der Besonderheiten des materiellen Rechts eine verbindliche Regelungswirkung nur für den Zeitpunkt ihres Erlasses. Dies hat zum einen die Folge, dass die Sach- und Rechtslage in diesem Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit maßgeblich ist und zum anderen, dass einem solchen Feststellungsbescheid im Rahmen einer nachfolgenden Prüfung und Überwachung nach dem WTG LSA sowie des Erlasses entsprechender Maßnahmen keine bindende Wirkung zukommt und somit jeweils eine erneute Prüfung erfolgen muss.
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Die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA (vgl. auch § 2 Abs. 1 Nr. 1 ThürWTG; § 2 Abs. 1 WTG NRW a.F.) sind zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht in Gänze erfüllt gewesen. Denn die streitbefangene Wohngemeinschaft diente nicht als Teil einer Einrichtung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WTG LSA (auch) dem Zweck, den in der Vorschrift genannten Menschen mit der Wohnraumüberlassung verpflichtend Pflege- oder Betreuungsleistungen zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten.
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Soweit der Beklagte seine Entscheidung im Verwaltungsverfahren offensichtlich allein darauf gestützt hat, dass die Vorgaben für eine ambulant betreute Wohngemeinschaft i.S.d. § 4 Abs. 1 WTG LSA erfüllt waren, entspricht dieses Vorgehen schon nicht der gesetzlich vorgegebenen Prüfungsreihenfolge. Um eine Wohngemeinschaft als Teil einer stationären Einrichtung anzusehen, müssen insoweit die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA erfüllt sein. Dieser Schluss kann nicht automatisch auf Grund des Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 WTG LSA gezogen werden. § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG und § 4 Abs. 1 WTG LSA enthalten eigenständige Tatbestandsmerkmale, die nicht im Sinne eines gegenseitigen Ausschlussverhältnisses aufeinander abgestimmt sind.
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Eine Verpflichtung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WTG LSA besteht nur dann, wenn eine rechtliche Verbindung zwischen den darin genannten Leistungen gegeben ist, die betroffenen Menschen also auf Grund einer vertraglichen Abrede mit dem Wohnraum auch Pflege- oder Betreuungsleistungen eines bestimmten Anbieters in Anspruch nehmen müssen (vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 9. Juli 2013, a.a.O.). Dies ergibt sich aus der Formulierung „mit der Wohnraumüberlassung verpflichtend“, die gegenüber der Formulierung in dem Gesetzentwurf (LT-Drs 5/2556, S. 6) „ihnen Wohnraum zu überlassen sowie verpflichtend Pflege- und Betreuungsleistungen zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten“ eine Präzisierung darstellt. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WTG LSA unterscheidet dabei nach seinem Wortlaut nicht danach, ob die Wohnraumüberlassung und die Pflege- oder Betreuungsleistungen nur von einem oder von verschiedenen Anbietern erbracht werden. Das Gesetz macht in den §§ 3 ff. WTG LSA entsprechend seiner umfassenden Funktion zum Schutz vor Beeinträchtigungen der Bewohner (vgl. § 1 Abs. 1 WTG LSA) das Maß der behördlichen Kontrolle von dem Grad der (strukturellen) Abhängigkeit der Bewohner von dem jeweiligen Träger der stationären Einrichtung oder sonstigen Wohnform abhängig. Dies führt auch die Begründung des Gesetzentwurfs (LT-Drs 5/2556, S. 31, 47) aus, die weiter darauf verweist, dass bei einer stationären Einrichtung die Abhängigkeit am größten sei, weil die Bewohner sowohl hinsichtlich des Wohnraums, der Pflege- und Betreuungsleistungen und häufig auch der hauswirtschaftlichen Versorgung einschließlich der Verpflegung vom Einrichtungsträger abhängig seien. Es macht aber hinsichtlich der (strukturellen) Abhängigkeit keinen durchgreifenden Unterschied, ob die Leistungserbringung auf mehrere Anbieter aufgeteilt ist, wenn die Bewohner im Verhältnis zu dem Wohnraumanbieter ihren Anbieter von Pflege- oder Betreuungsleistungen nicht frei wählen können. Mit der rechtlichen Verbindung der Leistungen ist untrennbar die Bindung aller Bewohner an einen bestimmten Anbieter der Pflege- oder Betreuungsleistungen gegeben, so dass dann von vornherein keine Wahlfreiheit der Bewohner gegeben ist (vgl. auch LT-Drs 5/2556, S. 47).
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An einer rechtlichen Verbundenheit der Leistungen "Wohnraumüberlassung" und "Pflege oder Betreuung" fehlt es nach der vertraglichen Ausgestaltung hier. Mit der Überlassung des Wohnraums durch die (...) Vermietungsgesellschaft mbH an die Bewohner ist keine Verpflichtung verbunden, bestimmte Pflege- oder Betreuungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Der Mietvertrag sieht nur ein Servicepaket mit Grundleistungen des Vermieters vor, welche nicht als Pflege- und Betreuungsleistungen anzusehen sind. Die Wahlleistungen im Rahmen eines separaten Servicevertrages sind nicht schon verpflichtend. Auf Grund der rechtlichen Trennung der Vertragsverhältnisse können die Bewohner daher den Pflege- oder Betreuungsanbieter jederzeit wechseln, ohne zugleich ihre Wohnung verlassen zu müssen.
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Ohne Erfolg stellt der Beklagte darauf ab, eine Verpflichtung liege deshalb vor, weil die Wohngemeinschaftsvereinbarung bestimme, dass die Bewohner sich in einer Mehrheitsentscheidung auf einen Anbieter einigen und neue Bewohner dem beitreten müssten. Grundlage dieser Verpflichtung ist nicht die Wohnraumüberlassung. § 3 Abs. 1 Nr. 1 WTG LSA bezieht sich allein auf das Verhältnis der Bewohner zu demjenigen, der den Wohnraum überlässt. Dass die Wahlfreiheit im Verhältnis zu den anderen Bewohnern eingeschränkt ist, führt daher nicht zur Annahme einer stationären Einrichtung. Dementsprechend entscheiden bei einer selbstorganisierten Wohngemeinschaft nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 WTG LSA über die Pflege und Betreuung die Bewohner oder deren gesetzliche Vertreter. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich festgestellt, dass es dabei vielfach um die „kollektive Wahlfreiheit und Mehrheitsentscheidung“ der Bewohner zur eigenverantwortlichen Regelung aller die Wohngemeinschaft betreffenden Angelegenheiten gehe (LT-Drs 5/2556, S. 50).
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Dass die Betroffenen nicht mehr in der sind, über ihre Unterbringung, Versorgung sowie Pflege und Betreuung selbst zu entscheiden, hat ebenso wenig zwingend zur Folge, dass sie nur in einer stationären Einrichtung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA untergebracht sein können, wie der Umstand, dass sie eine Rund-um-die-Uhr Betreuung benötigen ( gelassen von OVG Sachsen, Beschl. v. 7. Oktober 2014 - 5 A 115/14 - und VG Leipzig, Urt. v. 31. Mai 2011 - 5 K 1062/09 -, jeweils zit. nach JURIS zum HeimG, m.w.N.). Einen solchen Automatismus sieht § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA nicht vor. Im Übrigen enthält auch § 4 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA hinsichtlich der Vorgaben an ambulant betreute Wohngemeinschaften keine derartigen Beschränkungen. Vielmehr wird in § 5 Abs. 1 Satz 2 WTG LSA bei den selbstbestimmten Wohngemeinschaften gerade auch auf die Entscheidungsbefugnisse der gesetzlichen Vertreter der Bewohner abgestellt.
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Ebenfalls unbeachtlich für die Prüfung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 WTG LSA ist, ob die Klägerin auf Grund ihrer Expertise sowie der Krankheitsbilder der Bewohner möglicherweise in C-Stadt - was von Klägerin und Beigeladener zudem bestritten wird - der einzige in Betracht kommende Pflegedienstleister ist. Dieser Umstand hat mit der Wohnraumüberlassung nichts zu tun.
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Schließlich liegt eine Verpflichtung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 WTG LSA im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts auch dann nicht vor, wenn der rechtliche Rahmen der Vermietung im Übrigen und/oder die tatsächlichen Verhältnisse so gestaltet sind, dass die Bewohner der Räumlichkeiten der Wohngemeinschaft mit der Wohnraumüberlassung faktisch Pflege- oder Betreuungsleistungen eines bestimmten Dienstleisters in Anspruch nehmen müssen. Zwar mag der Wortlaut der Formulierung „mit der Wohnraumüberlassung verpflichtend“ bei einer weiten Auslegung auch noch eine derartige faktische Verpflichtung erfassen. Dem stehen aber schon die Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie dessen Systematik entgegen. Trotz der bereits unter der Geltung des Heimgesetzes aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung von ambulant betreuten Wohngemeinschaften zu Heimen (vgl. z.B. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 6. Juli 2001 - 8 S 717/01 -, zit. nach JURIS) hat der Landesgesetzgeber auf eine umfassend zu verstehende Formulierung verzichtet. Vielmehr hat er eine tatsächliche Einschränkung der freien Wählbarkeit der Pflege- und Betreuungsleistungen nur im Rahmen der Unterscheidung von selbstbestimmten und nicht selbstbestimmten ambulant betreuten Wohngemeinschaften berücksichtigt (vgl. § 4 Abs. 2 WTG LSA), anstatt insoweit § 3 WTG LSA - wie es andere Landesgesetzgeber hinsichtlich der Definition einer stationären Einrichtung getan haben (vgl. z.B. § 3 Abs. 2 WTPG BW) - zu ergänzen. Darüber hinaus muss nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WTG LSA gerade eine Zweckbestimmung hinsichtlich der Verknüpfung von Wohnraumüberlassung mit dem Zur-Verfügung-Stellen bzw. Vorhalten von Pflege- oder Betreuungsleistungen vorliegen. Eine faktische Verpflichtung erfüllt im Gegensatz zu einer rechtlichen Verpflichtung diese Voraussetzung nicht ohne weiteres, so dass - was ebenfalls gegen eine weite Auslegung spricht - zusätzliche Aufklärungsmaßnahmen hinsichtlich der Vorstellungen desjenigen notwendig wären, der den Wohnraum überlässt. Aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes ergibt sich nichts anderes. Die umfassende Schutzfunktion des WTG LSA steht der hier vertretenen Auslegung nicht entgegen, da auch bei anderen Wohnformen (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 6 i.V.m. §§ 20 ff. WTG LSA) noch erhebliche Kontroll- und Eingriffsbefugnisse der zuständigen Behörde bestehen können.
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Im Übrigen dürfte selbst bei Zugrundelegung des vom Verwaltungsgericht gewählten Maßstabs und des Vorliegens einer faktischen Verpflichtung der Mitglieder der Wohngemeinschaft zur Beauftragung des ambulanten Pflegedienstes der Klägerin fraglich sein, ob eine entsprechende Zweckbestimmung vorlag. Denn es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass der Vermieter des Wohnraums, die (...) Vermietungsgesellschaft mbH, eine Bindung der Bewohner an den Pflegedienst der Klägerin beabsichtigte.
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Es kann danach offen bleiben, ob eine stationäre Einrichtung nach § 3 Abs. 1 WTG LSA als „Einrichtung“ nur dann vorliegt, wenn auch die freie Wählbarkeit sonstiger Unterstützungsleistungen, insbesondere der hauswirtschaftlichen Versorgung, eingeschränkt ist (vgl. dazu § 3 Abs. 1 WTPG BW; vgl. auch die Begründung des Gesetzentwurfs zum WTG LSA, LT-Drs 5/2556, S. 31 einerseits und LT-Drs 5/2556, S. 47 andererseits).
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Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten nicht selbst trägt, weil sie einen Antrag gestellt und sich somit in ein Kostenrisiko begeben hat.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 10. Feb. 2015 - 4 L 51/14
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Urteil einreichenOberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 10. Feb. 2015 - 4 L 51/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Das Gericht kann, solange das Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen oder in höherer Instanz anhängig ist, von Amts wegen oder auf Antrag andere, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung berührt werden, beiladen.
(2) Sind an dem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derart beteiligt, daß die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann, so sind sie beizuladen (notwendige Beiladung).
(3) Kommt nach Absatz 2 die Beiladung von mehr als fünfzig Personen in Betracht, kann das Gericht durch Beschluß anordnen, daß nur solche Personen beigeladen werden, die dies innerhalb einer bestimmten Frist beantragen. Der Beschluß ist unanfechtbar. Er ist im Bundesanzeiger bekanntzumachen. Er muß außerdem in Tageszeitungen veröffentlicht werden, die in dem Bereich verbreitet sind, in dem sich die Entscheidung voraussichtlich auswirken wird. Die Bekanntmachung kann zusätzlich in einem von dem Gericht für Bekanntmachungen bestimmten Informations- und Kommunikationssystem erfolgen. Die Frist muß mindestens drei Monate seit Veröffentlichung im Bundesanzeiger betragen. In der Veröffentlichung in Tageszeitungen ist mitzuteilen, an welchem Tage die Frist abläuft. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Frist gilt § 60 entsprechend. Das Gericht soll Personen, die von der Entscheidung erkennbar in besonderem Maße betroffen werden, auch ohne Antrag beiladen.
(4) Der Beiladungsbeschluß ist allen Beteiligten zuzustellen. Dabei sollen der Stand der Sache und der Grund der Beiladung angegeben werden. Die Beiladung ist unanfechtbar.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Wer den selbständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes, einer Zweigniederlassung oder einer unselbständigen Zweigstelle anfängt, muss dies der zuständigen Behörde gleichzeitig anzeigen. Das Gleiche gilt, wenn
- 1.
der Betrieb verlegt wird, - 2.
der Gegenstand des Gewerbes gewechselt oder auf Waren oder Leistungen ausgedehnt wird, die bei Gewerbebetrieben der angemeldeten Art nicht geschäftsüblich sind, - 2a.
der Name des Gewerbetreibenden geändert wird oder - 3.
der Betrieb aufgegeben wird.
(2) Absatz 1 gilt auch für den Handel mit Arzneimitteln, mit Losen von Lotterien und Ausspielungen sowie mit Bezugs- und Anteilscheinen auf solche Lose und für den Betrieb von Wettannahmestellen aller Art.
(3) Wer die Aufstellung von Automaten jeder Art als selbständiges Gewerbe betreibt, muss die Anzeige bei der zuständigen Behörde seiner Hauptniederlassung erstatten. Der Gewerbetreibende ist verpflichtet, zum Zeitpunkt der Aufstellung des Automaten den Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen, seine ladungsfähige Anschrift sowie die Anschrift seiner Hauptniederlassung an dem Automaten sichtbar anzubringen. Gewerbetreibende, für die eine Firma im Handelsregister eingetragen ist, haben außerdem ihre Firma in der in Satz 2 bezeichneten Weise anzubringen. Ist aus der Firma der Familienname des Gewerbetreibenden mit einem ausgeschriebenen Vornamen zu ersehen, so genügt die Anbringung der Firma.
(4) Die Finanzbehörden haben den zuständigen Behörden die nach § 30 der Abgabenordnung geschützten Daten von Unternehmern im Sinne des § 5 des Gewerbesteuergesetzes mitzuteilen, wenn deren Steuerpflicht nach dem Gewerbesteuergesetz erloschen ist; mitzuteilen sind
- 1.
der Name, - 2.
die betriebliche Anschrift, - 3.
die Rechtsform, - 4.
der amtliche Gemeindeschlüssel, - 5.
die Wirtschaftsidentifikationsnummer nach § 139c der Abgabenordnung und, soweit vorhanden, das Unterscheidungsmerkmal nach § 139c Absatz 5a der Abgabenordnung sowie - 6.
der Tag, an dem die Steuerpflicht endete.
(5) Die erhobenen Daten dürfen nur für die Überwachung der Gewerbeausübung sowie statistische Erhebungen verarbeitet werden. Der Name, der Name des Geschäfts (Geschäftsbezeichnung), die betriebliche Anschrift und die angezeigte Tätigkeit des Gewerbetreibenden dürfen allgemein zugänglich gemacht werden.
(6) Öffentlichen Stellen, soweit sie nicht als öffentlich-rechtliche Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen, dürfen der Zweckbindung nach Absatz 5 Satz 1 unterliegende Daten übermittelt werden, soweit
- 1.
eine regelmäßige Datenübermittlung nach Absatz 8 zulässig ist, - 2.
die Kenntnis der Daten zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl erforderlich ist oder - 3.
der Empfänger die Daten beim Gewerbetreibenden nur mit unverhältnismäßigem Aufwand erheben könnte oder von einer solchen Datenerhebung nach der Art der Aufgabe, für deren Erfüllung die Kenntnis der Daten erforderlich ist, abgesehen werden muss und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Gewerbetreibenden überwiegt.
(7) Öffentlichen Stellen, soweit sie als öffentlich-rechtliche Unternehmen am Wettbewerb teilnehmen, und nichtöffentlichen Stellen dürfen der Zweckbindung nach Absatz 5 Satz 1 unterliegende Daten übermittelt werden, wenn der Empfänger ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der zu übermittelnden Daten glaubhaft macht und kein Grund zu der Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse des Gewerbetreibenden überwiegt.
(8) Die zuständige Behörde übermittelt, sofern die empfangsberechtigte Stelle auf die regelmäßige Datenübermittlung nicht verzichtet hat, Daten aus der Gewerbeanzeige regelmäßig an
- 1.
die Industrie- und Handelskammer zur Wahrnehmung der in den §§ 1, 3 und 5 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern genannten sowie der nach § 1 Abs. 4 desselben Gesetzes übertragenen Aufgaben, - 2.
die Handwerkskammer zur Wahrnehmung der in § 91 der Handwerksordnung genannten, insbesondere der ihr durch die §§ 6, 19 und 28 der Handwerksordnung zugewiesenen und sonstiger durch Gesetz übertragener Aufgaben, - 3.
die für den Immissionsschutz zuständige Landesbehörde zur Durchführung arbeitsschutzrechtlicher sowie immissionsschutzrechtlicher Vorschriften, - 3a.
die für den technischen und sozialen Arbeitsschutz, einschließlich den Entgeltschutz nach dem Heimarbeitsgesetz zuständige Landesbehörde zur Durchführung ihrer Aufgaben, - 4.
die nach Landesrecht zuständige Behörde zur Wahrnehmung der Aufgaben, die im Mess- und Eichgesetz und in den auf Grund des Mess- und Eichgesetzes ergangenen Rechtsverordnungen festgelegt sind, - 5.
die Bundesagentur für Arbeit zur Wahrnehmung der in § 405 Abs. 1 in Verbindung mit § 404 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch sowie der im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz genannten Aufgaben, - 6.
die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. ausschließlich zur Weiterleitung an die zuständige Berufsgenossenschaft für die Erfüllung der ihr durch Gesetz übertragenen Aufgaben, - 7.
die Behörden der Zollverwaltung zur Wahrnehmung der ihnen nach dem Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, nach § 405 Abs. 1 in Verbindung mit § 404 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch sowie nach dem Arbeitnehmer-überlassungsgesetz obliegenden Aufgaben, - 8.
das Registergericht, soweit es sich um die Abmeldung einer im Handels- und Genossenschaftsregister eingetragenen Haupt- oder Zweigniederlassung handelt, für Maßnahmen zur Herstellung der inhaltlichen Richtigkeit des Handelsregisters gemäß § 388 Absatz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder des Genossenschaftsregisters gemäß § 160 des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, - 9.
die statistischen Ämter der Länder zur Führung des Statistikregisters nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des Statistikregistergesetzes in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1 und 2, - 10.
die nach Landesrecht zuständigen Behörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände-, Futtermittel-, Tabak-, Tiergesundheits- und Tierschutzrecht, - 11.
die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See zum Einzug und zur Vollstreckung der einheitlichen Pauschsteuer nach § 40a Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes, - 12.
die Ausländerbehörden zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Aufenthaltsgesetz, - 13.
die nach § 22 der Abgabenordnung zuständigen Finanzämter, unbeschadet des § 138 der Abgabenordnung, - 14.
die für die Erlaubnisverfahren nach diesem Gesetz zuständigen Behörden.
(9) Darüber hinaus sind Übermittlungen der nach den Absätzen 1 bis 4 erhobenen Daten nur zulässig, soweit die Kenntnis der Daten zur Verfolgung von Straftaten erforderlich ist oder eine besondere Rechtsvorschrift dies vorsieht.
(10) Die Einrichtung eines automatisierten Verfahrens, das den Abruf von Daten aus der Gewerbeanzeige ermöglicht, ist nur zulässig, wenn technisch sichergestellt ist, dass
- 1.
die abrufende Stelle die bei der zuständigen Stelle gespeicherten Daten nicht verändern kann und - 2.
ein Abruf durch eine in Absatz 7 genannte Stelle nur möglich ist, wenn die abrufende Stelle entweder den Namen des Gewerbetreibenden oder die betriebliche Anschrift des Gewerbetreibenden angegeben hat; der Abruf von Daten unter Verwendung unvollständiger Abfragedaten oder die Suche mittels einer Ähnlichenfunktion kann zugelassen werden.
(11) Die Einrichtung eines automatisierten Verfahrens, das den Abruf von Daten ermöglicht, die der Zweckbindung nach Absatz 5 Satz 1 unterliegen, ist nur zulässig, soweit
- 1.
dies wegen der Häufigkeit oder der Eilbedürftigkeit der Abrufe und unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der Gewerbetreibenden angemessen ist, - 2.
die zum Abruf bereitgehaltenen Daten ihrer Art nach für die Aufgaben oder Geschäftszwecke des Empfängers erforderlich sein können und - 3.
technisch sichergestellt ist, dass Daten durch andere als die in Absatz 8 genannten Stellen nur abgerufen werden können, wenn dabei der Verarbeitungszweck, für den der Abruf erfolgt, sowie das Aktenzeichen oder eine andere Bezeichnung des Vorgangs, für den der Abruf erfolgt, angegeben wird.
(12) Daten, die der Zweckbindung nach Absatz 5 Satz 1 unterliegen, darf der Empfänger nur für den Zweck verarbeiten, zu dessen Erfüllung sie ihm übermittelt werden.
(13) Über die Gewerbeanzeigen nach Absatz 1 Satz 1 und 2 Nr. 3 werden monatliche Erhebungen als Bundesstatistik durchgeführt. Die Statistik nach Satz 1 soll als Informationsgrundlage für die Wirtschafts-, Wettbewerbs- und Strukturpolitik dienen. Für die Erhebungen besteht Auskunftspflicht. Auskunftspflichtig sind die Anzeigepflichtigen, die die Auskunftspflicht durch Erstattung der Anzeige erfüllen. Die zuständige Behörde übermittelt aus den Gewerbeanzeigen monatlich die Daten als Erhebungs- oder Hilfsmerkmale an die statistischen Ämter der Länder, die zur Führung der Statistik nach Satz 1 erforderlich sind. Die statistischen Ämter der Länder dürfen die Angaben zum eingetragenen Namen des Betriebes mit Rechtsform und zum Namen des Betriebsinhabers für die Bestimmung der Rechtsform bis zum Abschluss der nach § 12 Abs. 1 des Bundesstatistikgesetzes vorgesehenen Prüfung auswerten. Ferner dürfen sie nähere Angaben zu der angemeldeten Tätigkeit unmittelbar bei den Auskunftspflichtigen erfragen, soweit die gemeldete Tätigkeit sonst den Wirtschaftszweigen nach Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 3037/90 des Rates sowie einiger Verordnungen der EG über bestimmte Bereiche der Statistik (ABl. EU Nr. L 393 S. 1) in der jeweils geltenden Fassung nicht zugeordnet werden kann.
(14) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz erlässt mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Anzeigepflicht nach Absatz 1, zur Regelung der Datenübermittlung nach Absatz 8 sowie zur Führung der Statistik nach Absatz 13 nähere Vorschriften. Die Rechtsverordnung
- 1.
bestimmt insbesondere, welche erforderlichen Informationen in den Anzeigen nach Absatz 1 anzugeben sind, - 2.
kann die Verwendung von Vordrucken zur Anzeige eines Gewerbes anordnen, die Gestaltung der Vordrucke durch Muster festlegen und Vorgaben treffen, wie und in welcher Anzahl die Vordrucke auszufüllen sind, - 3.
kann Rahmenvorgaben für die elektronische Datenverarbeitung und -übermittlung festlegen, - 4.
bestimmt, welche Daten zur Aufgabenwahrnehmung der in Absatz 8 Satz 1 bezeichneten Stellen erforderlicherweise zu übermitteln sind, und - 5.
bestimmt, welche Daten als Erhebungs- und Hilfsmerkmale für die Statistik nach Absatz 13 Satz 1 an die statistischen Ämter der Länder zu übermitteln sind.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2012 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, mit dem dieser festgestellt hat, dass die von der Klägerin in der L.--straße 18 bis 20 in T. betreute Seniorenwohngemeinschaft „E. . X. -Haus“ dem Anwendungsbereich des Gesetzes über das Wohnen mit Assistenz und Pflege in Einrichtungen (Wohn- und Teilhabegesetz – WTG -) unterfällt.
3Die Klägerin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, bietet neben anderen Dienstleistungen seit dem Jahr 2001 unter anderem Menschen ambulante Pflege an. Neben der streitgegenständlichen Wohngemeinschaft erbringt sie in vier weiteren Wohngemeinschaften in V. Pflege- und Betreuungsleistungen und ist darüber hinaus in zwei Wohnhäusern in V. tätig, die betreutes Wohnen anbieten.
4Bauherr des E. . X. -Hauses in T. war die Miteigentumsgemeinschaft X. , Kläger des Verfahrens 10 K 2694/12. Im Dezember 2008 stellte diese bei der Stadt T. einen Antrag auf Nutzungsänderung von zwei Arztpraxen zu einer Wohnung für eine Pflegewohngruppe. In diesem Rahmen gab der handelnde Architekt an, dass die Klägerin die Wohngruppe betreuen und mit der Familie X. eine Kooperation eingehen werde. Ausweislich der ebenfalls vorgelegten Baubeschreibung solle die Wohnung als häusliche Gemeinschaft von bis zu zwölf älteren, teils betreuungsbedürftigen Personen bewohnt werden. Die Begleitung übernähmen ambulante Pfleger. Aufnahme fänden Personen mit einer Einstufung bis zur Pflegestufe 1; bei Demenzerkrankten könne auch eine Aufnahme bis zur Pflegestufe 2 erfolgen. Im Februar 2009 erteilte die Stadt T. die Baugenehmigung zur Nutzungsänderung von zwei Arztpraxen zu einer Wohnung für eine Pflegegruppe. Die Arztpraxen wurden im folgenden zu zwölf Zimmern, drei Bädern, zwei WC sowie einer offenen Küche mit Gemeinschaftsraum umgebaut.
5Im Juli 20** berichteten die Westfälische Rundschau T. sowie die Westdeutsche Allgemeine Zeitung über das E. . X. -Haus als erste ambulant betreute Seniorenwohngemeinschaft in T. . Es wurde u.a. ausgeführt, dass die Familie X. Zimmer vermiete und die Klägerin bereitstehe, die Pflege und Betreuung der Menschen zu übernehmen. Im Rahmen einer E-Mail von Anfang August 2009 führten die Miteigentümer X. gegenüber dem Beklagten aus, dass eine Pflegewohngruppe mit zwölf Bewohnern eingerichtet werde. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung werde durch ihren Kooperationspartner, die Klägerin, angeboten bzw. vorgehalten.
6Mit Schreiben vom 17. Januar 2010 übersandten die Miteigentümer X. auf Anforderung des Beklagten einen Mietvertrag, wie er mit den Bewohnern der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus abgeschlossen werde. Ausweislich des Vorwortes zum Wohnraummietvertrag wird davon ausgegangen, dass jeder Mieter mit einem für die Wohngemeinschaft zuständigen Pflegedienst einen gesonderten Pflegevertrag abschließen wird. Der Abschluss dieses Mietvertrages sei weiter davon abhängig, dass der Mieter zugleich einen Pflegevertrag abschließe. Die Pflegeleistungen seien während der gesamten Dauer des Mietverhältnisses ggfs. durch einen anderen qualifizierten Pflegedienst aufrecht zu erhalten. Eine heimmäßige Versorgung erfolge nicht. Unter § 5 Ziff. 3 dieses Wohnraummietvertrages wird weiter ausgeführt, dass der Vermieter berechtigt sei, den Mietvertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei vollen Monaten zu kündigen, wenn der Mieter keinen Pflegevertrag mit dem für die Wohngemeinschaft zuständigen Pflegedienst schließe und sich nach Abmahnung weigere, einen solchen vorzulegen.
7Am 3. Februar 2010 trafen sich die von den Bewohnern des E. . X. -Hauses bevollmächtigten Angehörigen bzw. Betreuer erstmals zu einer Versammlung, um eine Interessengemeinschaft zu gründen. Die Geschäftsführerin der Klägerin, die an diesem Treffen teilnahm, klärte über das Wohn- und Teilhabegesetz, insbesondere über eine Auftraggebergemeinschaft auf. Die Interessengemeinschaft sprach sich einstimmig dafür aus, dass die Klägerin die Pflege und Betreuung der Bewohner des E. . X. -Hauses übernehmen solle. Zur Sprecherin der Interessengemeinschaft wurde Frau N. O. , Frau J. G. zur „neutralen dritten Person“ gewählt. Weiter wurde beschlossen, bei der nächsten Versammlung eine Satzung für die Interessengemeinschaft zu erarbeiten, für die die Rahmenbedingungen bereits in der Versammlung vom 3. Februar 2010 festgelegt wurden.
8Mit Schreiben vom 5. März 2010 übersandte die Klägerin dem Beklagten das Protokoll der ersten Zusammenkunft der Angehörigen/Betreuer der Seniorenwohngemeinschaft E. . X. -Haus in T. vom 3. Februar 2010. Mit vorgenanntem Schreiben bat die Klägerin den Beklagten zudem um Bestätigung, dass es sich bei dieser Wohngemeinschaft um eine solche handele, auf die das Wohn- und Teilhabegesetz keine Anwendung finde.
9Am 6. Mai 2010 fand ein weiteres Treffen der Interessengemeinschaft E. . X. -Haus statt. Themen dieses Treffens waren u.a. die Schlüsselliste, die Anschaffung einer Haushaltskasse sowie Veranstaltungen.
10Die Klägerin überreichte im Dezember 2010 dem Beklagten sodann das von ihr erstellte Kurkonzept der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus, aktualisiert im Dezember 2010. Ausweislich dieses Konzeptes werde durch die konzeptionelle Ausrichtung der Klägerin, insbesondere die strikte Trennung der Verträge sowie die Wahlfreiheit der Bewohner der Wohngemeinschaft hinsichtlich des Pflegedienstes sichergestellt, dass es sich nicht um eine Einrichtung im Sinne des Wohn- und Teilhabegesetzes handele. Aufgrund der unterschiedlichen, auch altersbedingten Erkrankungen der Bewohner sei eine Rund-um-die-Uhr-Versorgung notwendig.
11Am 27. Januar und 24. Oktober 2011 fanden weitere Treffen der Interessengemeinschaft E. . X. -Haus statt. Themen dieser Treffen waren u.a. die personelle Situation der Klägerin in der Wohngemeinschaft, die Gemeinschaftsordnung der Interessengemeinschaft sowie Veranstaltungen.
12Mit Schreiben vom 8. März 2012 teilte der Beklagte sowohl der Klägerin als auch den Miteigentümern X. mit, dass die Wohn- und Betreuungsform in der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus unter das Wohn- und Teilhabegesetz falle und gab der Klägerin sowie den Miteigentümern X. Gelegenheit zu Stellungnahme. Die Klägerin führte im Rahmen ihrer nachfolgenden Stellungnahme aus, dass weder eine rechtliche noch vertragliche Beziehung zu den Eigentümern, den Vermietern des Wohnhauses, bestehe. Die Vermieter entschieden autonom über den Bestand der Mietverhältnisse. Allein die Tatsache, dass alle Mitglieder der Wohngemeinschaft von ihr als Pflegedienst grund- und behandlungspflegerisch versorgt würden, begründe weder eine vertragliche noch eine faktische Bindung an das Unternehmen. Die Seniorengemeinschaft selbst befinde jeweils jährlich über den Fortbestand der Versorgung der Wohngemeinschaft. Davon ausgehend bestehe eine rechtliche oder tatsächliche Verbundenheit zwischen dem Anbieter des Wohnraums und der Pflegeleistung nicht.
13In einer weiteren Versammlung der Interessengemeinschaft am 12. März 2012 wurde insbesondere über die Gemeinschaftsordnung der Interessengemeinschaft diskutiert. In der Versammlung am 23. April 2012 der Interessengemeinschaft des E. . X. -Hauses wurde u.a. die vorgenannte Gemeinschaftsordnung beschlossen und genehmigt, weiter wurde die Klägerin auch über den 1. Januar 2012 hinaus bis auf Widerruf gemäß den bestehenden oder noch zu schließenden Einzelverträgen für die Grund- und Behandlungspflege im Sinne von Ziff. 1. g. der Gemeinschaftsordnung beauftragt. Weitere Versammlungen der Angehörigen bzw. Betreuer fanden am 15. Oktober 2012, 7. März, 23. April und am 29. Oktober 2013 statt.
14Mit Bescheid vom 2. Mai 2012 stellte der Beklagte fest, dass eine rechtliche Verbundenheit zwischen der Klägerin und der Miteigentumsgemeinschaft E. . X. gemäß § 2 Abs. 2 WTG in Verbindung mit § 4 Abs. 3 WTG bestehe, so dass die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus in T. unter das Wohn- und Teilhabegesetz falle. Die Klägerin habe von Anfang an die Betreuungsleistungen in der vorgenannten Wohngemeinschaft erbracht. Sie werbe im Internet für die Seniorenwohngemeinschaft E. . X. und in diesem Zusammenhang für eine 24-Stunden-Betreuung unter dem eigenen Firmennamen. Aufgrund dieser Werbung werde der Eindruck erweckt, dass die Leitung der Wohngemeinschaft der Klägerin unterliege bzw. dass ein Interessent sich an die Klägerin wenden müsse. Die Werbung enthalte auch Hinweise auf die Räumlichkeiten und gehe damit über die bloße Betreuung hinaus. Auch dem Mietvertrag sei eine Verknüpfung von Raum- und Betreuungsangebot zu entnehmen. Mit Abschluss des Mietvertrages sei ein Bewohner verpflichtet, einen gesonderten Pflegevertrag mit dem für die Wohngemeinschaft zuständigen Pflegedienst abzuschließen. Zudem berechtige nach § 5 Ziff. 3 des Mietvertrages der fehlende Abschluss eines Pflegevertrages zur Kündigung. Die Versorgung der Pflegewohngemeinschaft sei nur durch einen Anbieter vorgesehen, so dass dieser finanzielle Sicherheit im Hinblick auf die Organisation einer Pflegewohngemeinschaft erhalte. Damit sei die rechtliche Verbundenheit bereits dem Mietvertrag zu entnehmen. Der Wohnraum könne nur angemietet werden in Verbindung mit der Inanspruchnahme von Betreuungsleistungen eines für die Wohngemeinschaft feststehenden Pflegedienstes. Es bestehe für den einzelnen Bewohner nicht die Möglichkeit, einen selbst ausgesuchten Pflegedienst zu beauftragen. Mit Abschluss des Mietvertrages sei auch der Abschluss des Pflegevertrages zwingend vorgeschrieben; eine Wahlmöglichkeit bestehe nicht. Die Beauftragung nur eines Pflegedienstes sei gewollt. Dies gelte unabhängig davon, dass die Mitglieder der Pflegewohngemeinschaft jährlich über die Beauftragung des Pflegedienstes einen Beschluss fassten und auf welchen Pflegedienst letztlich die Wahl falle. Für die Annahme einer rechtlichen Verbundenheit reichten aus Verbraucherschutzgründen tatsächliche Gegebenheiten aus. Bei der ersten Sitzung der Auftraggebergemeinschaft sei die Leiterin der Pflegewohngemeinschaft, Frau C. , als Protokollführerin bestimmt worden; die Geschäftsführerin der Klägerin habe die Sitzung eröffnet. Auch dies lasse den Schluss dahingehend zu, dass die Initiative zur Gründung einer Auftraggebergemein-schaft von der Klägerin selbst ausgegangen sei.
15Die Klägerin hat am 4. Juni 2012 Klage erhoben und trägt zur Begründung vor, dass ihr Betreuungsangebot in der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus nicht dem Geltungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes unterfalle, daher sei der angefochtene Bescheid rechtswidrig. Die Bewohner des E. . X. -Hauses hätten sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Grundlage der Versorgung mit der Grund- und Behandlungspflege seien gesondert mit den jeweiligen Mitgliedern dieser Interessengemeinschaft abgeschlossene Pflegeverträge. Sie, d.h. die Klägerin, habe mit der Interessengemeinschaft eine 24-Stunden-Betreuung und Erreichbarkeit sowie die hauswirtschaftliche Versorgung vereinbart. Der Interessengemeinschaft obliege die Entscheidung über die Aufrechterhaltung des Vertrages mit ihr. Aus der Gemeinschaftsordnung der Interessengemeinschaft ergebe sich, dass der Fortbestand des Dienstverhältnisses zur Interessengemeinschaft ebenso wie zu den einzelnen Mitgliedern allein von deren Mehrheitsentscheidung abhängig sei. Auch in anderen Bereichen gestalte die Wohngemeinschaft ihr Leben, wie sich aus der Gemeinschaftsordnung ergebe, selbst. Auf die Begründung bzw. Beendigung von Mietverhältnissen habe sie, d.h. die Klägerin, ebenfalls keinen Einfluss. Dies laufe lediglich über die Interessengemeinschaft. Aufgrund der Mietverträge, sei keine Verpflichtung gegeben, Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen; dies gelte auch in Bezug auf sie. Die Zimmer der Wohngemeinschaft könnten erst nach Aufnahme in die Interessengemeinschaft und mit Zustimmung dieser angemietet werden; hierauf hätten sie und der Vermieter keinen Einfluss. Die Annahme des Beklagten, sie, d.h. die Klägerin, habe Einflussmöglichkeit auf den Inhalt der Mietverträge und profitiere von dem Abschluss der Mietverträge, sei unrichtig. Die Versorgungsverträge seien zudem jederzeit kündbar. Schließlich lasse sich auch aus der Unterstützung der Interessengemeinschaft und Werbung für die Interessengemeinschaft keine Abhängigkeit und rechtliche Verbundenheit zwischen ihr, d.h. der Klägerin, und dem Vermieter herleiten. Diese rechtliche Verbundenheit folge auch nicht aus ihrer Unterstützung im Rahmen der Gründung der Interessengemeinschaft. Davon ausgehend seien die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 WTG nicht erfüllt. Eine Verpflichtung und Bindung zwischen Mietvertrag und Pflegevertrag bestehe nicht. Die Pflegeverträge enthielten zudem keine Bezugnahme auf die Mietverträge. Die Verpflichtung zum Abschluss der Pflegeverträge resultierte allein aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Mitglieder. Weiter lägen auch die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 WTG nicht vor. Eine rechtliche Verbundenheit in diesem Sinne bestehe nicht, ebenso wenig wie eine Kooperationsvereinbarung. Diese ergebe sich auch nicht aus den Mietverträgen. In den Mitgliederversammlungen der Interessengemeinschaft sei weder sie noch der Vermieter stimm- und anwesenheitsberechtigt. Die Gründung dieser Gemeinschaft sei Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts. Rein vorsorglich werde auf die Ausnahmevorschrift in § 2 Abs. 3 Satz 3 WTG verwiesen, die vorliegend einschlägig sei. Die Wohngemeinschaft sei auf nicht mehr als zwölf Bewohner ausgerichtet. Zudem würden einzelne Mitglieder sowohl durch die Interessengemeinschaft als auch durch einen Betreuungsverein bei der Wahrnehmung ihrer Rechte unterstützt. Bereits aus diesem Grunde sei der Anwendungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes nicht eröffnet.
16Die Klägerin beantragt,
17den Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2012 aufzugeben.
18Der Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
21Das Gericht hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben zur Tätigkeit und Organisation der Interessengemeinschaft des E. . X. -Hauses in T. durch Vernehmung der Zeuginnen Frau N. O. und Frau C1. T1. . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Gerichtsakte 10 K 2694/12 und auf den von dem Beklagten übersandten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
24Die als Anfechtungsklage zulässige Klage ist begründet.
25Der Bescheid des Beklagten vom 2. Mai 2012, mit dem dieser feststellt, dass es sich bei der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus um eine Einrichtung gemäß § 2 Abs. 2 WTG handelt, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
26Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des vorgenannten Bescheides ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses, d.h. der letzten behördlichen Entscheidung.
27Vgl. OVG NRW, Urteile vom 9. Juli 2013 – 12 K 2623/12 und 12 K 2911/12 -, jeweils juris. Allerdings wird in diesen Urteilen keine abschließende Entscheidung zur Frage des maßgeblichen Zeitpunktes getroffen, da sich die dort streitgegenständlichen Bescheide sowohl im Zeitpunkt ihres Erlasses als auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung als rechtmäßig erwiesen.
28Der streitgegenständliche Feststellungsbescheid findet seine gesetzliche Grundlage in den Vorschriften des Wohn- und Teilhabegesetzes. Ein feststellender Verwaltungsakt, der – wie hier – auf das Bestehen eines bestimmten Rechtsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Beklagten als für die Durchführung des Gesetzes zuständiger Behörde gerichtet ist, bedarf der gesetzlichen Grundlage. Insoweit ist jedoch eine ausdrückliche Gesetzesgrundlage nicht erforderlich; es genügt vielmehr, wenn sie dem Gesetz im Wege der Auslegung entnommen werden kann.
29Vgl. BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 2003 – 6 C 23.02 -, BVerwGE 119,123 und vom 9. Mai 2001 – 3 C 2.01 -, BVerwGE 114, 226.
30Gemäß § 13 WTG sind die Kreise und kreisfreien Städte für die Durchführung des Wohn- und Teilhabegesetzes zuständig. Nach dem Willen des Gesetzgebers sind diese ermächtigt, im Rahmen der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Wohn- und Teilhabegesetzes auch feststellende Verwaltungsakte gegenüber den Betreibern von Einrichtungen auszusprechen. Dies ergibt sich aus § 2 Abs. 6 WTG und § 18 Abs. 7 WTG. Nach der erstgenannten Vorschrift lässt die Feststellung, ob eine Einrichtung dem Geltungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes unterfällt, die leistungsrechtliche Einordnung der Einrichtung unberührt. Dies setzt voraus, dass eine derartige Feststellung durch die zuständige Behörde zulässigerweise erfolgen kann. Nach § 18 Abs. 7 WTG sind bestimmte in § 18 Abs. 1 bis 6 WTG bezeichnete Maßnahmen zur Feststellung zulässig, ob eine Einrichtung eine Betreuungseinrichtung ist.
31Vgl. auch VG Gelsenkirchen, Urteil vom 26. Februar 2013 – 10 K 5629/10 -, m.w.N., juris; OVG NRW, Urteile vom 9. Juli 2013 - 12 K 2623/12 und 12 K 2911/12 -, a.a.O..
32Die Frage, ob die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus – so wie der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid festgestellt hat - gemäß § 2 Abs. 2 WTG dem Geltungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes unterfällt, kann letztlich offen gelassen werden (1.), denn die Anwendung des Wohn- und Teilhabegesetzes scheidet – unabhängig von der Erfüllung der tatbestandlichen Vorgaben des § 2 Abs. 2 WTG – aus systematischen Gründen aus; die vorgenannte Wohngemeinschaft ist als selbstorganisiert und selbstbestimmt zu qualifizieren (2.).
331.
34Das Wohn- und Teilhabegesetz gilt gemäß § 2 Abs. 1 WTG zunächst für Einrichtungen, die den Zweck haben, ältere Menschen, Volljährige mit Behinderung oder pflegebedürftige Volljährige aufzunehmen, ihnen entgeltlich Wohnraum zu überlassen und damit verbunden verpflichtend Betreuung zur Verfügung zu stellen oder vorzuhalten und die in ihrem Bestand vom Wechsel der Bewohner unabhängig sind. Um eine derartige Betreuungseinrichtung handelt es sich bei dem vorgenannten Wohnprojekt nicht. Vorliegend fehlt es an dem Tatbestandsmerkmal einer mit der Wohnraumüberlassung verpflichtend verbundenen Betreuung.
35Der Umstand, dass es sich bei den Vermietern und der Klägerin um verschiedene natürliche bzw. juristische Personen handelt, ist insoweit unerheblich. Die Regelung des § 2 Abs. 1 WTG unterscheidet - anders als § 2 Abs. 2 und 3 WTG – nicht danach, ob die Wohnraumüberlassung und die Betreuungsleistungen nur von einem oder von verschiedenen Anbietern erbracht werden, sondern stellt maßgeblich auf die rechtliche Verbindung der Leistungen ab. Wesentlich für das Vorliegen einer Betreuungseinrichtung im Sinne des § 2 Abs. 1 WTG ist danach neben der Entgeltlichkeit der Leistungen und der Unabhängigkeit vom Wechsel der Bewohner zum einen das Vorliegen einer rechtlichen Verbundenheit zwischen den Anbietern und zum anderen das Vorliegen einer rechtlichen Verbindung zwischen den Leistungen.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2013 – 12 A 2623/12 -, a.a.O..
37Die danach erforderliche rechtliche Verbindung der Leistungen Wohnraumüberlassung und Betreuungsleistung ist vorliegend nicht gegeben.
38Nach § 2 Abs. 3 WTG gilt das Wohn- und Teilhabegesetz auch, wenn ein Anbieter Wohnraum überlässt und derselbe Anbieter davon rechtlich unabhängig Betreuungsleistungen zur Verfügung stellt oder vorhält. Vorliegend überlässt nicht derselbe Anbieter Wohnraum und stellt rechtlich unabhängig davon Betreuungsleistungen zur Verfügung, sondern zwei verschiedene Anbieter.
39Das Wohn- und Teilhabegesetz gilt jedoch auch dann, wenn von verschiedenen natürlichen oder juristischen Personen Wohnraum überlassen und Betreuungsleistungen zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden und diese Personen (und nicht deren jeweilige Leistungen) rechtlich miteinander verbunden sind, vgl. § 2 Abs. 2 Satz 1 WTG.
40Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf beruft, dass die Ausnahmevorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 3 WTG einschlägig sei, da in der streitgegenständlichen Einrichtung nicht mehr als zwölf Bewohner wohnten, die sowohl durch eine Interessengemeinschaft als auch durch einen Betreuungsverein unterstützt würden, führt dies nicht bereits zu einem Ausschluss der Anwendung des Wohn- und Teilhabegesetzes.
41Die Anwendung des § 2 Abs. 3 Satz 3 WTG im Rahmen des § 2 Abs. 2 WTG kommt nicht in Betracht. Zunächst scheidet eine direkte Anwendung aus. Nach dem Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 3 WTG gilt Satz 1 (des § 2 Abs. 3 WTG) nicht. Davon ausgehend bezieht sich die Ausnahmeregelung lediglich auf die Fallgestaltung, die § 2 Abs. 3 WTG beschreibt. Nur dieses bestimmte Wohn- und Betreuungsangebot wird durch die Bezugnahme der Ausnahme des § 2 Abs. 3 Satz 3 WTG auf § 2 Abs. 3 Satz 1 WTG vom Anwendungsbereich ausgeschlossen. Neben einer direkten Anwendung der Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 3 Satz 3 WTG auf § 2 Abs. 2 WTG scheidet aber auch eine entsprechende Anwendung aus, da es insoweit an einer Regelungslücke fehlt. In der Konstellation des § 2 Abs. 2 WTG fehlt es an einem Bedürfnis – im Gegensatz zur Konstellation des § 2 Abs. 3 WTG – nach einem gesetzlichen Ausgleich der Schlechterstellung des Anbieters. Die jeweiligen Fallkonstellationen sind nicht vergleichbar. § 2 Abs. 2 WTG regelt den Fall des aus der Sicht des Gesetzgebers geringsten Grades der Schutzwürdigkeit.
42Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2013 – 12 A 2623/12 -, a.a.O..
43Soweit die Voraussetzungen der vorgenannten Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 1 WTG mit denen in § 2 Abs. 1 WTG übereinstimmen, liegen diese vor: Die Wohnanlage E. . X. -Haus in T. hat den Zweck, ältere Menschen aufzunehmen, denen entgeltlich Wohnraum überlassen wird und für die Betreuungsleistungen (vgl. hierzu § 4 Abs. 1 WTG) zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden; sie ist zudem nicht davon abhängig, ob die Bewohner im Laufe der Zeit wechseln. Darüber hinaus handelt es sich bei den Vermietern der Zimmer und der Klägerin, die die Betreuungsleistungen erbringt, um verschiedene juristische bzw. natürliche Personen.
44Es kann vorliegend dahinstehen sich jedoch die Frage, ob die vorgenannten juristischen bzw. natürlichen Personen rechtlich miteinander verbunden sind. Nach der Legaldefinition in § 4 Abs. 3 WTG sind natürliche oder juristische Personen rechtlich miteinander verbunden, die gemeinschaftlich ältere Menschen, Volljährige mit Behinderung oder pflegebedürftige Volljährige in Betreuungseinrichtungen aufnehmen. Satz 2 der vorgenannten Vorschrift benennt vier Regelbeispiele („insbesondere“) einer solchen rechtlichen Verbundenheit. Nach der in § 4 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 WTG angeführten Fallgestaltung sind natürliche oder juristische Personen rechtlich miteinander verbunden, die eine Vereinbarung zu dem Zweck geschlossen haben, denselben Menschen Wohn- und Betreuungsleistungen anzubieten.
45Gemeinschaftliches Handeln des Vermieters des Wohnraums und des Betreuungsanbieters im vorgenannten Sinne liegt vor, wenn der Anbieter des Wohnraums und der Anbieter der Betreuungsleistungen sich einig sind, dass sie ihre Leistungen zeitgleich denselben Personen erbringen wollen und sie diese Absicht auch umsetzen. Erforderlich ist ein tatsächliches Moment – zeitgleiche Wohnraumüberlassung und Betreuung der Bewohner eines Wohnraums – und ein rechtliches Moment – Einigung der Anbieter über diese zeitgleiche Erbringung der Leistungen. Diese Einigung kann ausdrücklich – schriftlich bzw. mündlich – erfolgen; sie ist aber auch durch ein nur konkludentes Verhalten möglich. Der Wille der Beteiligten zur gemeinsamen Leistungserbringung muss dabei nach außen hin erkennbar sein.
46Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2013 – 12 A 2623/12 -, a.a.O., sowie die Auslegungsregeln zum Geltungsbereich des Wohn– und Teilhabegesetzes des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 5. Februar 2009 – VA 3 – 5401.1.
47Vorliegend gibt es keine ausdrückliche schriftliche Kooperationsvereinbarung zwischen der Klägerin, die Betreuungsleistungen in der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus erbringt, und den Vermietern der Zimmer dieser Wohngemeinschaft, den Miteigentümern X. . Für das Vorliegen einer rechtlichen Verbundenheit im Sinne eines konkludenten Verhaltens können zwar durchaus einige Anhaltspunkte angeführt werden, so die Ausführungen des Architekten Q. im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens betreffend die Nutzungsänderung der ehemaligen Arztpraxen zu einer Wohnung für eine Pflegegruppe, ebenso wie die Zeitungsartikel aus Juli 20**, die E-Mail eines der Miteigentümer X. aus August 2009 sowie der Internetauftritt der Klägerin.
48Letztlich bedarf es jedoch keiner abschließenden Entscheidung darüber, ob eine rechtliche Verbundenheit zwischen der Klägerin und den Vermietern des Wohnraums im E. . X. -Haus im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 WTG im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides oder im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung besteht, da aufgrund der unter 2. genannten Gründe die Anwendung des Wohn- und Teilhabegesetzes ausscheidet.
492.
50Die Anwendung des Wohn- und Teilhabegesetzes scheidet aus systematischen Gründen aus, weil die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus als selbstorganisiert und selbstbestimmt bzw. selbstverantwortet zu qualifizieren ist und als solche nicht dem Anwendungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes unterfällt.
51§ 2 Abs. 2 Satz 1 WTG regelt den Fall des aus der Sicht des Gesetzgebers geringsten Grades der Schutzwürdigkeit. Nach dem gesetzgeberischen Anliegen soll der Anwendungsbereich des Gesetzes maßgeblich am Grad der Schutzwürdigkeit der betroffenen Bewohner ausgerichtet werden.
52Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2013 – 12 A 2623/12 -, m.w.N., a.a.O..
53Vor diesem Hintergrund ist § 2 Abs. 2 Satz 1 WTG nicht schon dann erfüllt, wenn nur die rechtliche Verbundenheit zwischen den beiden Anbietern besteht, sondern erst dann, wenn dazu auch noch – als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal – die tatsächliche Bindung aller Bewohner an den Anbieter der Betreuungsleistungen besteht. Weiter ist sodann zu prüfen, ob die Anwendung des Gesetzes trotz Erfüllung der tatbestandlichen Vorgaben aus systematischen Gründen ausscheidet. Dies ist dann der Fall, wenn die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Annahme, die tatsächliche Bindung aller Bewohner an einen mit dem Anbieter des Wohnraums rechtlich verbundenen Anbieter bedinge regelmäßig ein Schutzbedürfnis, ausnahmsweise nicht gilt, weil die Wohngemeinschaft ungeachtet dieser Sachlage als selbstorganisiert und selbstbestimmt (selbstverantwortet) zu qualifizieren ist.
54Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2013 – 12 A 2623/12 -, a.a.O..
55Für die Beurteilung der Frage, ob eine Wohngemeinschaft als selbstorganisiert und selbstbestimmt bzw. selbstverantwortet zu qualifizieren ist, können die Kriterien des Gesetzentwurfs zu dem Gesetz zur Entwicklung und Stärkung einer demographiefesten, teilhabeorientierten Infrastruktur und zur Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Wohn- und Betreuungsangeboten für ältere Menschen, pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Behinderung und ihre Angehörigen, LT-Drs. 16/3388 vom 26. Juni 2013 herangezogen werden. Hier hat der Gesetzgeber erstmals positiv definiert, wann - bei gleichzeitigem Fehlen eines bestimmenden Einflusses der Anbieter bei den Entscheidungen – eine selbstverantwortete Wohngemeinschaft mit Betreuungsleistungen gegeben ist.
56Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 2013 – 12 A 2623/12 -, a.a.O., mit dem Hinweis darauf, dass nicht zu erkennen sei, dass der Gesetzgeber vorher, d.h. z.Zt., andere Kriterien für maßgeblich erachtet hätte.
57Nach Art. 2 § 24 Abs. 2 des vorgenannten Gesetzentwurfs ist eine Wohngemeinschaft selbstverantwortet, wenn die Ansprüche auf Wohnraumüberlassung und Betreuungsleistungen rechtlich voneinander unabhängig sind und die Nutzer oder ihre Vertreter mindestens bei der Wahl und dem Wechsel der Leistungsanbieter frei sind, das Hausrecht ausüben, über die Aufnahme neuer Nutzer entscheiden, die Gemeinschaftsräume selbst gestalten, die gemeinschaftlichen Finanzmittel selbst verwalten und die Lebens- und Haushaltsführung sowie das Alltagsleben selbstbestimmt gemeinschaftlich gestalten. Die Leistungsanbieter dürfen auf diese Entscheidungen keinen bestimmenden Einfluss haben. Sofern Leistungsanbieter bei der Gründung einer Wohngemeinschaft bestimmend mitwirken, ist eine selbstverantwortete Wohngemeinschaft nur dann gegeben, wenn nach Abschluss der Gründungsphase die oben genannten Voraussetzungen vorliegen.
58Ausweislich der Gesetzesbegründung zu Art. 2 § 24 Abs. 2 des vorgenannten Gesetzentwurfs (S. 101, 102) ist wesentlich, dass die Nutzer gemeinschaftlich in einer gemeinsamen „Wohnung“ leben und gemeinsam den Haushalt führen. Aus der Wohnung selbst muss eine vollständige Versorgung der Nutzer möglich sein. Dies umfasst die Möglichkeit, die im Haushalt üblicherweise anfallenden Verrichtungen, wie z.B. Kochen und Waschen selbst durchführen zu können. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Nutzer diese Aufgaben tatsächlich selbst erledigen. Die Hilfe anderer kann insoweit in Anspruch genommen werden. Entscheidend ist weiter, dass die Nutzer alle Angelegenheiten des Wohnens, der Betreuung sowie des Zusammenlebens in der Wohngemeinschaft selbst organisieren und verantworten. Die in Art. 2 § 24 Abs. 2 des Gesetzentwurfs genannten Entscheidungsbefugnisse müssen von den Nutzern oder ihren Vertretern selbstverantwortet und ohne Einflussnahme Dritter ausgeübt oder gestaltet werden. Dazu gehört u.a. die Wahlfreiheit hinsichtlich Inhalt, Umfang und Wechsel von Pflege-, Betreuungs- oder anderen Dienstleistungen durch Dritte. Die Nutzer müssen die Dienstleistungen jederzeit innerhalb einer angemessenen Frist ohne Auswirkungen auf das Mietverhältnis kündigen können. Entscheidend ist auch die gemeinschaftliche Entscheidung über die Aufnahme neuer Nutzer sowie die Ausübung des Hausrechts. Die Dienstleistungsanbieter haben in einer selbstverantworteten Wohngemeinschaft nur Gaststatus. Das ist nicht mehr der Fall, wenn ein Leistungsanbieter auf das Leben und den Alltag in der Wohngemeinschaft bestimmenden Einfluss hat. Die Nutzer verwalten die gemeinschaftlichen Finanzmittel selbst und gestalten selbstbestimmt und gemeinschaftlich die Lebens- und Haushaltsführung sowie das Alltagsleben. Eine Beratung der Leistungsanbieter in der Gründungsphase führt grundsätzlich nicht dazu, eine Selbstverantwortung zu verneinen. Es muss jedoch sichergestellt werden, dass die Selbstverantwortung der Nutzer nach Abschluss der Gründungsphase nicht eingeschränkt ist.
59Davon ausgehend ist die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus auf der Grundlage der von der Klägerin und dem Beklagten zur Gerichtsakte überreichten Unterlagen und nach der aus dem Gesamtergebnis des vorliegenden Verfahrens (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) gewonnenen Überzeugung als selbstorganisiert und selbstbestimmt bzw. selbstverantwortet sowohl im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides am 2. Mai 2012 als auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu qualifizieren.
60Die Bewohner des E. . X. -Hauses bzw. ihre Vertreter haben sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Diese hat sich erstmals am 3. Februar 2010 getroffen; sodann erfolgten regelmäßige Treffen: 6. Mai 2010, 27. Januar und 24. Oktober 2011, 12. März, 23. April und 15. Oktober 2012, 7. März, 23. April und 29. Oktober 2013. Diese Interessengemeinschaft hat sich zudem eine Gemeinschaftsordnung gegeben; der entsprechende Beschluss wurde in der Versammlung am 23. April 2012 gefasst.
61Die Ansprüche auf Wohnraumüberlassung und Betreuungsleistung sind rechtlich voneinander unabhängig. Zwar sieht § 5 Ziffer 3 der Mietverträge der Bewohner der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus vor, dass der Vermieter berechtigt ist, den Mietvertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zu kündigen, wenn der Mieter keinen Pflegevertrag mit dem für die Wohngemeinschaft zuständigen Pflegedienst schließt und sich nach Abmahnung weigert, einen solchen vorzulegen. Der ursprüngliche Zusatz im Vorwort zu den Mietverträgen, nach dem der Abschluss eines Mietvertrages davon abhängig war, dass der Mieter zugleich einen Pflegevertrag abschließt, wurde spätestens mit Nachträgen zu den Mietverträgen Ende April 2012, d.h. vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides, ausweislich der von den Klägern im Verfahren 10 K 2694/12 vorgelegten Mietverträge gestrichen; in diesen Nachträgen wurde deutlich gemacht, dass aus dem Vorwort keine Verpflichtung des Mieters begründet wird, hauswirtschaftliche Versorgung oder Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen. Ausweislich Ziff. 1. lit. g. der Gemeinschaftsordnung regelt die Interessengemeinschaft gemeinsam die Beauftragung eines Pflegedienstes zur Durchführung von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie hauswirtschaftlichen Dienstleistungen und ggfs. weiterer Hilfen; beauftragt werden kann danach nur ein Pflegedienst. Nach Ziff. 2. lit. h. der Gemeinschaftsordnung erfolgen die Beschlüsse der Versammlungen nach dem Mehrheitsprinzip. Nach der vorgenannten Gesetzesbegründung kann die geforderte Wahlfreiheit auch durch eine in einem – so wie hier - gemeinsamen Gremium gefundene Mehrheitsentscheidung der Nutzer oder ihrer rechtlichen Vertreter gewährleistet werden. Davon ausgehend sind die Ansprüche auf Wohnraumüberlassung und Betreuungsleistung – trotz des oben angeführten Kündigungsrechts rechtlich voneinander unabhängig. Die Regelung in § 5 Ziff. 3 der Mietverträge dient vielmehr dem Zweck, den Entscheidungen der Interessengemeinschaft entsprechend ihrer Gemeinschaftsordnung auch seitens des Vermieters Rechnung tragen zu können.
62Darüber hinaus ist die Wohngemeinschaft aber auch auf der Grundlage der in Art. 2 § 24 Abs. 2 des vorgenannten Gesetzentwurfs genannten Entscheidungsbefugnisse als selbstorganisiert und selbstverantwortet zu bezeichnen. Dies folgt zunächst aus der von der Interessengemeinschaft beschlossenen Gemeinschaftsordnung. Nach Ziff. 1. lit. a. der Gemeinschaftsordnung regelt die Interessengemeinschaft insbesondere die Beteiligung beim Einzug neuer Mitglieder in Abstimmung mit dem Vermieter und ggfs. mit fachlicher Beratung sowie nach Ziff. 1. lit. c. die Sicherstellung von den Wohnraum betreffenden mieterseitig erforderlichen bzw. sinnvollen Versicherungen. Weiter trifft die Interessengemeinschaft Festlegungen in Bezug auf das Verfahren und die Art und den Umfang des gemeinsamen Einkaufs von Lebensmitteln, Verbrauchsgütern des täglichen Lebens, Ausstattungsgegenständen für gemeinschaftlich genutzte Räume, die Durchführung von Ausflügen, Veranstaltungen und sonstigen Feierlichkeiten (Ziff. 1. lit. d.) sowie in Bezug auf die Tagesgestaltung innerhalb der Wohngemeinschaft (Ziff. 1. lit. e.). Schließlich regelt die Interessengemeinschaft – wie oben bereits angeführt – gemeinsam die Beauftragung eines Pflegedienstes zur Durchführung von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie hauswirtschaftlichen Dienstleistungen. Danach organisieren die Bewohner bzw. ihre Vertreter alle Angelegenheiten des Wohnens, der Betreuung sowie des Zusammenlebens in der Wohngemeinschaft selbst, insbesondere besteht Wahlfreiheit hinsichtlich Inhalt, Umfang und Wechsel von Pflege-, Betreuungs- oder anderen Dienstleistungen durch Dritte.
63Auch nach den dem Gericht vorliegenden Protokollen der oben genannten Versammlungen der Interessengemeinschaft stellt sich die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus als eine selbstorganisierte und selbstbestimmte Gemeinschaft dar. So hat die Interessengemeinschaft in ihrer Sitzung am 3. Februar 2010 und am 23. April 2012 beschlossen, die Klägerin als Pflegedienst – in der letztgenannten Sitzung bis auf Widerruf - zu beauftragen. In der Versammlung am 27. Januar 2011 wurde auch die – zum damaligen Zeitpunkt wohl beanstandet - personelle Situation der Klägerin in der Wohngemeinschaft diskutiert; die Klägerin stellte Lösungen in Aussicht. Aus den Protokollen geht hervor, dass den Beteiligten (Vertreter der Bewohner, Pflegedienst und Eigentümer) bewusst war, dass Hausschlüssel nicht bei der Klägerin und den Eigentümern ohne Grund verbleiben durften; die Schlüssel wurden von diesen sodann auch sukzessive zurückgegeben. Ausweislich der Protokolle existiert auch eine Haushaltskasse, die von den Bewohner bzw. deren Vertretern regelmäßig geprüft wurde. Aus den Protokollen über die Versammlungen der Interessengemeinschaft ergibt sich zudem, dass die Bewohner bzw. ihre Vertreter die Lebens- und Haushaltsführung sowie das Alltagsleben selbstbestimmt gemeinschaftlich gestalten, z.B. wurde der Supermarkt für den Einkauf der Lebensmittel bestimmt, es wurde über Anschaffungen diskutiert und abgestimmt (Markise, Kühlschrank, Kaffemaschine), über Betreuungsangebote für die Bewohner am Vor- und Nachmittag diskutiert, es wurden Ideen für Veranstaltungen gesammelt und diese geplant (Tag der offenen Tür, Sommerfest, Weihnachtsfeier), ferner wurden Friseur und Fußpflege organisiert.
64Neben der von der Gemeinschaftsordnung vorgesehenen Wahl eines Sprechers (vgl. Ziff. 4.) – diese Wahl erfolgte in der ersten Versammlung der Interessengemeinschaft am 3. Februar 2010 – wählte diese ebenfalls in der vorgenannten Versammlung eine neutrale dritte Person, Frau G. , die nach Auskunft der Geschäftsführerin der Klägerin, Frau C2. , in der mündlichen Verhandlung ihr Amt ehrenamtlich ausübt; ein Angehöriger von Frau G. wohnt nicht in der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus. Diese neutrale dritte Person rundet das sich aus der Gemeinschaftsordnung und den Protokollen der Versammlungen der Interessengemeinschaft ergebende Bild einer selbstorganisierten und selbstverantworteten Wohngemeinschaft ab.
65Dieses sich ergebende Bild einer selbstbestimmten und selbstorganisierten Wohngemeinschaft wurde durch die Aussagen der Geschäftsführerin der Klägerin, Frau C2. , und einer der Eigentümer, Frau H. -X. , sowie der Zeuginnen Frau O. und Frau T1. in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Danach organisieren und verantworten die Bewohner bzw. ihre Vertreter alle Angelegenheiten des Wohnens, der Betreuung sowie des Zusammenlebens in der Wohngemeinschaft selbst.
66So stellte Frau C2. in der mündlichen Verhandlung zunächst selbst klar, dass der Einfluss der Klägerin auf die Wohn- und Interessengemeinschaft in ihrer Gründungsphase ein anderer, d.h. ein stärkerer gewesen sei. So hätte der Pflegedienst selbst noch zur ersten Versammlung im Februar 2010 eingeladen. Plausibel legte Frau C2. jedoch dar, dass dieser Einfluss nach und nach zurückgefahren worden sei. Deutlich wurde dies zunächst bzgl. der Organisation der Versammlungen der Interessengemeinschaft, aber auch hinsichtlich der Frage, wer einen Hausschlüssel für die Wohngemeinschaft besitzt. Frau C2. bestätigte, dass diese nach und nach – entsprechend den Ausführungen in den Protokollen – zurückgegeben worden seien. Hinsichtlich der Neuaufnahme von Bewohnern erklärte Frau C2. weiter, dass auch bei der Klägerin Anfragen von Interessenten eingingen und dass sie bei der Aufnahme neuer Bewohner insoweit beteiligt sei, als es um die Beurteilung von pflegerischen Aspekten ginge. Diesbezüglich ist anzumerken, dass die Interessengemeinschaft ausweislich des Protokolls in ihrer Versammlung am 15. Oktober 2012 beschlossen hat, dass Interessierte für einen Einzug in die Wohngemeinschaft auch über das Büro der Klägerin Anfragen stellen könnten. Letztendlich entscheiden die Bewohner bzw. ihre Vertreter über die Aufnahme neuer Bewohner.
67Soweit der Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid bemängelt, dass mit Frau C. eine Mitarbeiterin der Klägerin bei der ersten Versammlung der Interessengemeinschaft als Protokollführerin eingesetzt war, führt dies nicht zu einer anderen Bewertung. Zunächst handelte es sich bei dieser Versammlung um die erste der Interessengemeinschaft. Wie oben bereits ausgeführt, ist es unschädlich, wenn der Einfluss eines Leistungsanbieters in der Gründungsphase stärker ist, wenn sichergestellt ist, dass die Selbstverantwortung der Bewohner nach Abschluss der Gründungsphase nicht eingeschränkt ist. Zudem gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass die Schwiegermutter von Frau C. auch Bewohnerin der Wohngemeinschaft gewesen ist, wie Frau C2. in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat.
68Dieses Ergebnis der Selbstverantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus wird schließlich durch die überzeugende Aussage der Zeugin Frau N. O. belegt. Frau O. war von Februar 2010 bis April 2013 Sprecherin der Interessengemeinschaft. Auch die Zeugin hat geschildert, dass der Einfluss der Klägerin zunächst, insbesondere in der ersten Sitzung im Februar 2010 stärker war als in der Folgezeit. Überzeugend legte die Zeugin O. auch dar, dass die Gemeinschaftsordnung zwar durch den Prozessbevollmächtigten der Kläger in dem Verfahren 10 K 2694/12 grundsätzlich erarbeitet worden sei, sie, d.h. die Interessengemeinschaft, habe diese jedoch dann auf sich „zurechtgeschnitten“. Frau O. machte weiter Ausführungen zu der Haushaltskasse: Danach wurden im Monat von jedem Bewohner 250,00 € eingezahlt. Kontoinhaberin war ihres Wissens nach die Klägerin. Diese habe lediglich Lebensmittel ohne eine weitere Erlaubnis davon bezahlen können. Darüber hinaus habe die Klägerin über Geld des Haushaltskontos nur verfügen können, wenn sie vorher die Zustimmung des Sprechers bzw. der Interessengemeinschaft eingeholt habe. Soweit die Geschäftsführerin der Klägerin im Gegensatz zur Zeugin O. zuvor angegeben hatte, Kontoinhaberin sei die Interessengemeinschaft, führte die Geschäftsführerin der Klägerin im Anschluss an die Zeugenvernehmung auf diesen Gegensatz angesprochen korrigierend aus, das Haushaltkonto laufe auf den Namen „Pflegedienst C2. , E. . X. -Haus“ und sie als Geschäftsführerin habe den Vertrag über den Abschluss dieses Kontos unterschrieben.
69Nach Auswertung der Aussage der Zeugin O. ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei der Auswahl neuer Bewohner beteiligt worden ist und auch das Haushaltskonto auf den Namen der Klägerin läuft. Dies führt jedoch nicht dazu, die Selbstverantwortung der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus zu verneinen. Die Zeugin O. hat vielmehr plausibel und überzeugend dargelegt, dass die vorgenannten Umstände die Selbstorganisation und Selbstbestimmung nicht in Frage stellen. Es handelt sich hierbei um bewusste Entscheidungen der Interessengemeinschaft im Sinne der Bewohner der Wohngemeinschaft, um einen reibungslosen Ablauf des täglichen Lebens in der Wohngemeinschaft zu gewährleisten. So legte Frau O. dar, dass das Haushaltskonto und seine Führung in ihrer Zeit als Sprecherin niemals beanstandet worden sei. Auf die Nachfrage des Vertreters des Beklagten in der mündlichen Verhandlung erklärte sie, dass es für sie eine Erleichterung gewesen sei, dass die Kasse vor Ort von dem Pflegedienst geführt worden sei; sie hätte für eine eigene Führung der Kasse auch keine Notwendigkeit gesehen, da diese einwandfrei geführt worden sei. Auch ist für das Gericht nachvollziehbar, dass die Klägerin mit ihren fachlichen Erfahrungen bei dem Entscheidungsprozess hinsichtlich der Aufnahme neuer Bewohner mit einbezogen worden ist bzw. wird; diese Möglichkeit sieht im Übrigen auch die Gemeinschaftsordnung vor. Schließlich legte die Zeugin O. überzeugend dar, dass eine Selbstbestimmung nicht deshalb zu verneinen ist, weil die Klägerin von der Interessengemeinschaft wiederholt mit den Pflege- und Betreuungsleistungen beauftragt worden ist. Das Gericht verkennt nicht, dass die Tatsache, dass die bisherige Betreuung und Pflege durch die Klägerin erbracht worden ist, einen faktischen Einfluss auf die weitere Bestellung eines Pflegedienstes haben kann, insbesondere, wenn dieser die Arbeit zur Zufriedenheit aller erbringt. Allein hieraus ist jedoch noch nicht grundsätzlich eine Abhängigkeit und damit ein Schutzbedürfnis herzuleiten. Vielmehr hat die Zeugin O. in diesem Zusammenhang nachvollziehbar dargelegt, dass die Entscheidung, die Klägerin weiterhin mit der Pflege und Betreuung zu beauftragen, als eine reflektierte und damit selbstbestimmte Entscheidung zu qualifizieren ist und zwar in bewusster Anerkennung dessen, dass auch ein anderer Betreuungsdienstleister hätte beauftragt werden können. Da es keinen Bedarf für einen anderen Pflegedienst gegeben habe, so die Zeugin, sei auch kein anderer beauftragt worden.
70Soweit der Beklagte in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf seine am 9. Januar 2014 durchgeführte Regelbegehung – nach den hier vorliegenden Verwaltungsvorgängen des Beklagten handelt es sich um die erste Begehung nach Erlass des streitgegenständlichen Bescheides vom 2. Mai 2012 – das Vorliegen einer Selbstorganisation und Selbstverantwortung der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus verneint, die Bewohner seien aufgrund ihres Alters und ihrer Erkrankungen schutzbedürftig und könnten deshalb kein selbstbestimmtes Leben führen, greift dieser Vortrag nicht durch. Es kommt bei der Beantwortung der Frage, ob eine Wohngemeinschaft als selbstorganisiert und selbstverantwortet zu qualifizieren ist, nicht darauf an, ob die Bewohner den Haushalt, das alltägliche Leben noch selbst führen können. Wie die oben zitierte Gesetzesbegründung zu Art. 2 § 24 des Gesetzentwurfes darlegt, ist es nicht erforderlich, dass die Bewohner die angeführten Tätigkeiten selbst ausführen; die Hilfe anderer kann in Anspruch genommen werden. Es muss jedoch gewährleistet sein, dass die Bewohner bzw. deren Vertreter – sowie hier - auf die Haushaltsführung Einfluss nehmen können. Schließlich ist dem Protokoll der Begehung am 9. Januar 2014 auch nicht etwa zu entnehmen, dass die Klägerin über ein eigenes Büro in der Wohngemeinschaft verfügt. Auch dies ist als Ausdruck eines selbstbestimmten Lebens in der Wohngemeinschaft E. . X. -Haus zu werten; damit wird deutlich, dass die Klägerin sich nicht etwa dauerhaft in der Wohngemeinschaft eingerichtet hat sondern dort nur Gaststatus genießt.
71Zusammenfassend ist auch nach der Aussage der Zeugin O. die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus als eine selbstorganisierte und selbstbestimmte Wohngemeinschaft zu qualifizieren. Die hier entscheidenden Aspekte der Selbstorganisation und der Selbstverantwortung einer Wohngemeinschaft können schlechterdings nicht zu einem einzigen bestimmten Zeitpunkt umgesetzt werden; vielmehr handelt es sich hierbei um einen Prozess. Das Gericht geht nach der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung davon aus, dass dieser Prozess jedenfalls im Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides am 2. Mai 2012 soweit fortgeschritten war, dass die Wohngemeinschaft E. . X. -Haus als selbstorganisiert und selbstbestimmt zu qualifizieren war. Gleiches gilt aber auch bezogen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen und der Aussagen der Geschäftsführerin der Klägerin und der Zeugin O. hat sich die vorgenannte Entwicklung zu einer selbstorganisierten und selbstbestimmten Wohngemeinschaft fortgesetzt und verfestigt. Dies wird nicht zuletzt auch durch die Aussage der Zeugin T1. bestätigt. Diese übt zwar erst seit Oktober 2013 das Amt der Sprecherin aus, so dass sie aufgrund der Kürze der vergangenen Zeit des ausgeübten Amtes naturgemäß erst wenig Erfahrungen gemacht hat. Aber auch ihre Aussage machte insbesondere deutlich, dass die Bewohner bzw. ihre Vertreter die Lebens- und Haushaltsführung sowie das Alltagsleben selbstbestimmt führen.
72Schließlich ist für das Gericht nicht ersichtlich, ob und wann eine Wohngemeinschaft für ältere – auch pflegebedürftige – Menschen, die nicht vom Geltungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes erfasst wird, vorliegen könnte, wenn die hier vorliegende Art der Wohngemeinschaft vom Anwendungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes erfasst werden würde. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs zum Gesetz zur Umsetzung der Föderalismusreform auf dem Gebiet des Heimrechts vom 11. Juni 2008, LT-Drs. 14/6972, Begründung A Allgemeines, I. Zweck, S. 39, ergibt sich nicht, dass jegliche Einrichtung dem Wohn- und Teilhabegesetz zu unterstellen wäre. Vielmehr hat das Wohn- und Teilhabegesetz den Zweck u.a. ältere Menschen zu schützen, indem es seine Anwendung vom Grad des jeweiligen Schutzbedürfnisses des Einzelnen und damit von seinen Möglichkeiten, in einer „Heimsituation“ selbstbestimmt zu handeln und entscheiden zu können, abhängig macht.
73Abschließend weist das Gericht noch einmal darauf hin, dass – wie hier – ambulant betreute Wohnformen nicht statisch bleiben, sondern relevanten Veränderungen unterliegen können. Nach Erlass eines Feststellungsbescheides bzw. nach Ergehen eines Urteils muss jederzeit mit relevanten Veränderungen gerechnet werden. Die Frage, ob eine Wohnform dem Anwendungsbereich des Wohn- und Teilhabegesetzes unterfällt, hängt nicht nur von veränderbaren rechtlichen und tatsächlichen Beziehungen zwischen den Anbietern und den Leistungen ab, sondern gerade im Bereich der Wohngemeinschaften ganz maßgeblich auch von den freien Entscheidungen der Bewohner bzw. ihrer Vertreter, von den persönlichen Verhältnissen und Lebensumständen der Bewohner sowie von der konkreten Zusammensetzung des Kreises der Bewohner und ihrer Vertreter. In diesem Zusammenhang wird nochmals auf die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. Juli 2013 – 12 K 2623/12 und 12 K 2011/12 – verwiesen:
74Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen weist in den vorgenannten Entscheidungen darauf hin, dass einem – wie hier - isolierten Feststellungsbescheid im Rahmen einer nachfolgenden wohn- und teilhaberechtlichen Prüfung und Überwachung sowie dem Erlass entsprechender Maßnahmen keine bindende Wirkung zukommt, sondern jeweils erneut untersucht werden muss, ob die Wohn– und Betreuungsform (noch) dem Wohn- und Teilhabegesetz unterfällt.
75Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen eine Untersagungsverfügung wegen unerlaubten Glücksspiels. Er ist Geschäftsführer der Firma W. ... GmbH, die in I. u.a. eine Annahmestelle für Sportwetten mit festen Gewinnquoten betrieb. Sie vermittelte Wetten an die Firma P. GmbH mit Sitz in Österreich sowie an die Firma I. ... mit Sitz in Großbritannien, die nach Angaben des Klägers in ihren Heimatländern zum Abschluss und zur Vermittlung von Wetten konzessioniert sind. Mit Verfügung vom 23. Februar 2005 untersagte die Beklagte dem Kläger unter Anordnung des Sofortvollzugs und unter Androhung von Zwangsgeld, im Geschäftslokal der Firma W. ... GmbH in I. Sportwetten zu vermitteln, und gab ihm auf, die untersagte Tätigkeit unverzüglich einzustellen. Zur Begründung hieß es, dass die Vermittlung von Sportwetten ohne Erlaubnis verboten sei und daher eine Störung der öffentlichen Sicherheit darstelle, gegen welche die Polizeibehörde einschreiten könne. Den Widerspruch des Klägers wies das Landratsamt R. mit Bescheid vom 12. Juni 2006 zurück.
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Die hiergegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 26. November 2007 abgewiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Klägers mit Beschluss vom 1. April 2010 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Untersagungsverfügung sei ein Dauerverwaltungsakt. Für die Beurteilung maßgeblich sei damit die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Die Untersagungsverfügung habe sich für die Zeiträume vor dem 1. Januar 2009 durch Zeitablauf erledigt. Der Kläger habe seinen Anfechtungsantrag insoweit nicht auf einen Feststellungsantrag umgestellt.
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Rechtsgrundlage der Untersagungsverfügung sei §§ 1, 3 des Polizeigesetzes, nunmehr in Verbindung mit dem Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV). Der Kläger habe keine Erlaubnis für eine Vermittlungstätigkeit und könne wegen des staatlichen Monopols auch keine Erlaubnis erhalten. Das staatliche Monopol sei verfassungsgemäß. Der Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG sei verhältnismäßig. Der Gesetzgeber habe mit der Errichtung des staatlichen Monopols ein geeignetes und erforderliches Mittel gewählt, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Das Monopol sei in materiellrechtlicher und organisatorischer Hinsicht konsequent am Ziel der Begrenzung der Spielleidenschaft und Wettsucht ausgerichtet. Die Erzielung von Einnahmen sei nicht Gesetzeszweck.
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Der Gesetzgeber habe ausreichende inhaltliche Kriterien zu Art und Zuschnitt der Sportwetten sowie zu ihrer Vermarktung im Glücksspielstaatsvertrag festgelegt. Wetten seien nur als Kombinationswetten oder Einzelwetten auf den Spielausgang erlaubt. Wetten über das Internet seien nicht gestattet. Diese Vorschriften dienten dem Spielerschutz. Der Glücksspielstaatsvertrag enthalte die erforderlichen wesentlichen Vorschriften zur Vertriebsstruktur. Alle Annahmestellen und Vermittler bedürften der Erlaubnis. Die Vertriebswege seien so ausgewählt und eingerichtet, dass der Spieler- und Jugendschutz gewährleistet sei und der Eindruck vermieden werde, bei der Wettabgabe handele es sich um ein Gut des täglichen Lebens. Das staatliche Angebot über Zeitschriften- und Tabakläden zu vertreiben, vermeide eine Wettabgabe in Anonymität und erleichtere die Information der Spieler. Die Kundenkarte diene dem Spielerschutz. Die Mitarbeiter in den Annahmestellen würden im Hinblick auf problematisches Suchtverhalten geschult. Auch würden Sozialkonzepte kontinuierlich evaluiert. Die Werbung stehe mit den Zielen des Glücksspielstaatsvertrages in Einklang. Eine allgemeine Imagewerbung für den Deutschen Toto- und Lottoblock sei zulässig. Ein gewisser Umfang an Werbung sei erforderlich, um eine Kanalisierung der Spielleidenschaft zu bewirken. Es bestehe auch kein strukturelles Vollzugsdefizit im Hinblick auf die Suchtprävention und den Jugendschutz.
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Das Monopol verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Der Gleichheitssatz binde jeden Träger der öffentlichen Gewalt nur in seinem Zuständigkeitsbereich. Pferdewetten und das Aufstellen, die Zulassung und der Betrieb von Geldspielautomaten fielen nicht in den Zuständigkeitsbereich des Landesgesetzgebers und seien deshalb als Vergleichsmaßstab nicht heranzuziehen. Bezüglich der Spielbanken liege kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz vor, weil der Gesetzgeber unterschiedliche Ausgangslagen vorgefunden habe und der Glücksspielstaatsvertrag in wesentlichen Bereichen auch auf Spielbanken anwendbar sei.
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Das Monopol sei auch mit Unionsrecht vereinbar. Tangiert sei die Dienstleistungs- oder die Niederlassungsfreiheit. Zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigten das Monopol, wobei die Festlegung des Schutzniveaus Sache des Mitgliedstaates sei. Der Gesetzgeber müsse das gesteckte Ziel nicht im gesamten Glücksspielbereich in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, sondern nur im Bereich der Sportwetten. Das Kohärenzgebot werde durch die noch von der DDR erteilten Gewerbeerlaubnisse nicht in Frage gestellt. Diese beruhten auf Alt-Rechten und führten nicht zu einer Ausweitung des Sportwettenangebots. Die Länder strebten an, diese Erlaubnisse zum Erlöschen zu bringen. Das gemeinschaftsrechtliche Kohärenzgebot werde auch erfüllt, wenn dieses eine kohärente Glücksspielpolitik insgesamt erfordere. Die Erteilung von Buchmacherkonzessionen sei nicht inkohärent. Diese spielten im Verhältnis zum gesamten Glücksspielbereich nur eine sehr untergeordnete Rolle und machten nach Angaben der Bundesregierung nur 0,5 % des Glücksspielmarktes aus. Für das Spielen in Casinos enthalte das Spielbankengesetz für Baden-Württemberg erhebliche Begrenzungen und Maßgaben zum Spielerschutz. Auch bezüglich der Spielbanken anderer Länder bestünden keine Bedenken hinsichtlich einer konsistenten bereichsübergreifenden Glücksspielpolitik. Dasselbe gelte für das Automatenspiel.
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Mit der Revision rügt der Kläger, die angefochtenen Bescheide seien gegen den falschen Adressaten gerichtet. Zudem verletze der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 AEUV. Das staatliche Sportwettenmonopol verstoße gegen die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit. Die gesetzlichen Regelungen über Art und Zuschnitt der im staatlichen Monopol vertriebenen Sportwetten, Vertriebsstruktur und Werbung ließen keine konsequente Ausrichtung am Spieler- und Jugendschutz erkennen. Ferner sei offenkundig, ein strukturelles Vollzugsdefizit bei der Vermarktung der staatlichen Sportwetten gegeben, das eine Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs ebenfalls ausschließe. Das Gebot der Verhältnismäßigkeit verlange des Weiteren, dass staatliches Handeln widerspruchsfrei sei. Daran fehle es, weil eine harmonisierte, einheitliche Glücksspielpolitik, die Pferdewetten, Spielbanken sowie das gewerbliche Automatenspiel einbeziehe, nicht ersichtlich sei. Die ungleiche Ausgestaltung der verschiedenen Glücksspielbereiche begründe zudem einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Aus der inkohärenten Glücksspielpolitik des Staates ergebe sich auch eine Verletzung der unionsrechtlich garantierten Dienstleistungsfreiheit. Das Erfordernis der Kohärenz verlange, dass das Sportwettenmonopol in seiner rechtlichen und tatsächlichen Ausgestaltung mit Blick auch auf andere Glückspielbereiche geeignet sei, das mit der Monopolregelung angestrebte Ziel des Spieler- und Jugendschutzes und der Spielsuchtbekämpfung zu erreichen. Das sei nicht der Fall. Die föderale Zuständigkeitsverteilung könne eine sektorenbeschränkte Betrachtung nicht rechtfertigen.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 26. November 2007 und den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. April 2010 zu ändern
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und den Bescheid der Beklagten vom 23. Februar 2005 sowie den Widerspruchsbescheid des Landratsamts R. vom 12. Juni 2006 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Er verteidigt das angegriffene Urteil. Ein staatliches Glücksspielmonopol sei unionsrechtlich auch nach der neuesten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich zulässig.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Klägers ist begründet. Zwar kann er nicht damit gehört werden, dass die angefochtenen Bescheide nicht gegen ihn hätten gerichtet werden dürfen; diese Rüge betrifft kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO), sondern nur die Anwendung der polizeirechtlichen Generalklausel, die dem Landesrecht angehört. Der angefochtene Beschluss beruht aber auf einer unzutreffenden Anwendung des Art. 12 Abs. 1 GG und der Art. 49 und 56 AEUV, soweit er ohne Differenzierung nach dem Aussagegehalt davon ausgeht, eine allgemeine Imagewerbung des Monopolanbieters sei verfassungs- und unionsrechtlich unbedenklich. Darüber hinaus beruht er auf der fehlerhaften Annahme, Art. 49 und 56 AEUV erforderten eine Kohärenzprüfung der Monopolregelung nur anhand des betroffenen Glücksspielsektors bezogen auf das jeweilige Bundesland. Da sich der Beschluss auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig darstellt, war die Sache an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 4 und Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
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1. Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Anfechtungsantrag des Klägers, soweit er die Betriebsuntersagung für die Zeit vor dem 1. Januar 2009 betrifft, unzulässig ist, und der Kläger eine effektive gerichtliche Überprüfung der angefochtenen Bescheide anhand der Rechtslage vor dem 1. Januar 2009 nur über eine Feststellungsklage hätte erreichen können. Da sich die Anfechtung auf ein Unterlassungsgebot bezieht, das sich für den jeweils zurückliegenden Zeitraum erledigt, ist die in der Vergangenheit liegende Sach- und Rechtslage nicht erheblich; der Verwaltungsakt würde nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben. Für die Vergangenheit hätte der Kläger nur die Feststellung begehren können, die Behörden seien bis zur Rechtsänderung zum Erlass des Verwaltungsaktes nicht berechtigt gewesen (vgl. Urteil vom 14. Dezember 1994 - BVerwG 11 C 25.93 - BVerwGE 97, 214 <220> = Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 31; Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: 1997, § 113 Rn. 34, 83).
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Für die revisionsrechtliche Beurteilung ist auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats abzustellen.
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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist entschieden, dass sich der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes nicht nach dem Prozessrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht richtet (Urteil vom 14. Dezember 1994 - BVerwG 11 C 25.93 - a.a.O.). Danach ergibt sich für die Anfechtungsklage im Allgemeinen, dass die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich ist, es sei denn, das materielle Recht regelt etwas Abweichendes (Urteil vom 28. Juli 1989 - BVerwG 7 C 39.87 - BVerwGE 82, 260 <261> = Buchholz 442.01 § 13 PBefG Nr. 29). Es ist aber auch anerkannt, dass die Gerichte bei der Beurteilung von Dauerverwaltungsakten die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung jedenfalls dann zu berücksichtigen haben, wenn das materielle Recht nicht die Maßgeblichkeit eines anderen Zeitpunkts bestimmt (Urteil vom 22. Januar 1998 - BVerwG 3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141 <143 f.> = Buchholz 418.21 ApBO Nr. 15).
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Der Verwaltungsgerichtshof hat die Untersagungsverfügung als Dauerverwaltungsakt eingeordnet und ist durch Auslegung des irrevisiblen Glücksspielstaatsvertrages zu der Einschätzung gekommen, die Untersagungsverfügung müsse sich nach der jeweils aktuellen Rechtslage als rechtmäßig erweisen, da sich aus irrevisiblem Landesrecht kein anderer Zeitpunkt ergebe. An diese Annahme und die sich daran anschließende Einschätzung ist der Senat gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO; vgl. Urteil vom 21. Juni 2006 - BVerwG 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 Rn. 33 = Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 264).
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Nichts anderes folgt aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 20. März 2009 - 1 BvR 2410/08 - NVwZ 2009, 1221 f.). Danach ist ein Abstellen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bei einer "Alt-Verfügung" wie der gegenüber dem Kläger ergangenen Untersagungsverfügung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, solange und soweit daraus nicht gefolgert werden kann, diese stelle sich schon ursprünglich als rechtmäßig dar. Das ist vorliegend der Fall. Die ursprüngliche Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung ist weder Gegenstand des angegriffenen Urteils noch der Revisionsentscheidung. Auch aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ergibt sich nichts Abweichendes. Mit der prozessualen Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung für die Zeit vor dem 1. Januar 2009 im Rahmen eines Feststellungsbegehrens überprüfen zu lassen, ist dem Gebot, effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, hinreichend Rechnung getragen (vgl. z.B. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Februar 2011 - 1 BvR 1946/06 - NVwZ-RR 2011, 405). Dies gilt auch in Ansehung dessen, dass die Beklagte die Untersagungsanordnung infolge des Inkrafttretens des Glücksspielstaatsvertrages auf eine neue Rechtsgrundlage stützt. Der Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG ist nicht unzumutbar beschränkt, wenn die Überprüfung der Untersagungsverfügung am Maßstab der neuen Rechtslage durch die Tatsacheninstanz eröffnet ist. Schließlich ist gegen ein Abstellen auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch aus Sicht des Unionsrechts nichts zu erinnern.
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2. Das Revisionsgericht hat seiner Entscheidung nach § 137 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 173 VwGO, § 560 ZPO die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des irrevisiblen Glücksspielstaatsvertrages und des dazu erlassenen baden-württembergischen Ausführungsgesetzes vom 4. März 2008 zugrundezulegen und nur zu überprüfen, ob diese mit revisiblem Recht in Einklang stehen. Danach ist davon auszugehen, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GlüStV seit dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 1. Januar 2008 die Rechtsgrundlage der streitigen Untersagungsverfügung bildet und dass die vom Kläger vermittelten Sportwetten als Glücksspiele anzusehen sind, die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GlüStV in Baden-Württemberg nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde veranstaltet und vermittelt werden dürfen. Die Erteilung einer Erlaubnis ist nach der den Senat bindenden berufungsgerichtlichen Auslegung des § 4 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 10 Abs. 2 und 5 GlüStV ausgeschlossen, weil diese Vorschriften eine Vermittlung von Sportwetten an andere Veranstalter als die Träger des staatlichen Sportwettenmonopols verbieten. Die den in Österreich und in Großbritannien ansässigen Wettunternehmen erteilten Konzessionen ersetzen nicht die für die Tätigkeit des Klägers im Bereich der Sportwetten notwendige Erlaubnis durch das Land Baden-Württemberg.
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3. Die Annahme des Berufungsgerichts, die angefochtenen Bescheide seien mit dem Grundgesetz vereinbar, ist revisionsrechtlich fehlerhaft. Die dem zugrunde liegende Erwägung, der Eingriff sei am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt, beruht auf einer unzutreffenden Konkretisierung der Anforderungen, die das Gebot der Verhältnismäßigkeit an Eingriffe in die Berufswahlfreiheit stellt.
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a) Der Senat hat bereits entschieden, dass die Errichtung des staatlichen Sportwettenmonopols von der Landesgesetzgebungskompetenz nach Art. 70 Abs. 1, Art. 72 Abs. 1 GG gedeckt ist und dass die Monopolregelung nach dem Glücksspielstaatsvertrag verfassungsrechtlich legitimen Zwecken dient sowie geeignet und erforderlich ist, diese zu verwirklichen (vgl. Urteil vom 24. November 2010 - BVerwG 8 C 14.09 - NVwZ 2011, 554 Rn. 23 ff.). Daran hält der Senat auch für das baden-württembergische Sportwettenmonopol fest. Die dem zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts, die die Revision nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen hat, sind für das revisionsgerichtliche Verfahren bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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Danach verfolgt der Gesetzgeber mit dem staatlichen Sportwettenmonopol keine rein fiskalischen Interessen. Eine solche illegitime Zwecksetzung ergibt sich auch nicht daraus, dass die Inhaber des Monopols Andere mit Unterlassungsklagen überziehen, die sie auf das Gesetz über den unlauteren Wettbewerb - UWG - stützen. Das UWG ist anwendbar, ohne dass es auf ein Wettbewerbsverhältnis ankommt (vgl. Keller, in: Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl. 2009, § 2 Rn. 4). Dementsprechend hat sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 14. Februar 2008 - I ZR 140/04 - (juris) nicht mit der Frage eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen dem staatlichen Monopolanbieter von Sportwetten und einem Anbieter von Sportwetten über das Internet befasst.
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b) Die Annahme des Berufungsgerichts, die Beschränkung der Berufswahlfreiheit durch das staatliche Wettmonopol sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne und damit zumutbar, hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand, soweit sie Art und Zuschnitt der Sportwetten, ihre Vermarktung und den Vertrieb über gewerbliche Annahmestellen betrifft. Sie berücksichtigt die rechtlichen und tatsächlichen Anforderungen, die das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit an die Ausgestaltung der Werbung für das Monopol stellt, jedoch nur unzureichend.
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aa) In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass die glücksspielstaatsvertragliche Regelung der inhaltlichen Kriterien betreffend Art und Zuschnitt der Sportwetten dem Verhältnismäßigkeitsgebot (in engerem Sinne) gerecht wird (Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 32 f., 35). Der Verwaltungsgerichtshof durfte davon ausgehen, dass über § 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 3, § 4 Abs. 4 GlüStV hinaus eine gesetzliche Regelung weiterer Ausgestaltungsdetails nicht erforderlich war. Die nähere Konkretisierung der Angebotsformen ist auf der Grundlage von § 4 GlüStV geregelt. Die Erlaubniserteilung ist streng an den Zielen des § 1 GlüStV auszurichten. Nach den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Monopolangebot, die nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen wurden, entspricht die Praxis diesen Anforderungen. So hat der Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Spieleinsätze und der Verlusthöhe darauf hingewiesen, dass die dem Monopolträger erteilte Erlaubnis vom 20. November 2008 (GA Bl. 2008 S. 410) entsprechende Begrenzungen vorgenommen hat, die dem Zweck der Suchtprävention dienen.
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Der Glücksspielstaatsvertrag und die dazu erlassenen baden-württembergischen Ausführungsvorschriften genügen auch im Hinblick auf die rechtlichen Vorgaben zur Beschränkung der Vermarktung von Sportwetten dem Verhältnismäßigkeitsgebot (im engeren Sinne), soweit sie die Vertriebswege begrenzen und sicherstellen, dass bei der Einzelausgestaltung der Wettgelegenheiten dem Spieler- und Jugendschutz Rechnung getragen wird. Der Gesetzgeber hat die Zahl der Annahmestellen begrenzt (§ 10 Abs. 3 GlüStV, § 7 Abs. 1 AGGlüStV) und ein strenges Erlaubnisverfahren für alle Annahmestellen vorgesehen (§ 4 Abs. 1 GlüStV, § 7 AGGlüStV).
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Der Verwaltungsgerichtshof musste auch nicht von einer Verpflichtung des Gesetzgebers ausgehen, den Verbundvertrieb über mittelständische Einzelhandelsbetriebe aufzugeben. Seine Annahme, die verfassungsrechtlich geforderte Abkehr vom Vertrieb der Wettangebote als allerorts verfügbare normale Gegenstände des täglichen Bedarfs lasse sich auch dadurch erreichen, dass die Zahl der Vertriebsstellen begrenzt und gleichzeitig Maßnahmen zur qualitativen Beschränkung der Vermarktung getroffen würden, schließt eine konsequente Ausrichtung auf die Suchtvorbeugung und -bekämpfung nicht aus (vgl. Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 39). Eine quantitative Begrenzung der Annahmestellen hat das Berufungsgericht über die verbindliche Vorgabe in der dem Monopolträger erteilten Erlaubnis (GA Bl. 2008 S. 410; Begrenzung auf 3 630 Annahmestellen) und zudem über das Vertriebskonzept als gewährleistet angesehen, das nach seinen Feststellungen Bestandteil der Erlaubnis ist. Der Einwand der Revision, das Vertriebsnetz habe sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in tatsächlicher Hinsicht nicht verändert, geht an diesen Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts vorbei. Der Verwaltungsgerichtshof hat des Weiteren angenommen, durch ergänzende Maßnahmen (Einführung einer Kundenkarte, Identitätskontrollen, persönliche Registrierung des Spielers, Einführung eines Spielersperrsystems, separate Abrechnung und Bezahlung der Wetten, Warnhinweise auf den Spielscheinen und -quittungen, vgl. §§ 7, 8, § 21 Abs. 3 Satz 2 GlüStV, §§ 9 f. AGGlüStV) sei sichergestellt, dass die Wettabgabe im gewählten System des Vertriebs über Zeitschriften-, Schreibwaren- und Tabakläden nicht als Geschäft des täglichen Lebens und unbedenkliche Freizeitbeschäftigung erscheint. Auch insoweit werden von der Revision keine wirksamen Verfahrensrügen erhoben.
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Der Verwaltungsgerichtshof durfte des Weiteren zugrunde legen, dass das Ziel der Kanalisierung des vorhandenen Spieltriebs in geordnete und überwachte Bahnen und damit verbunden das Ziel des Jugend- und Spielerschutzes im Verbundbetrieb besser gewährleistet sind als bei einem Vertrieb über gesonderte Wettlokale. Nach seinen Feststellungen kann in den Annahmestellen des Verbundbetriebs eine soziale Kontrolle sichergestellt und eine Wettabgabe in der Anonymität verhindert werden; zudem ist der Verbundbetrieb geeignet, den Zugang zu Informationen und Maßnahmen der Suchtprävention zu erleichtern (vgl. Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 40). Auch die Kontrolle der Vermittler trägt dazu bei, der Spielsucht entgegenzuwirken und einen ausreichenden Spieler- und Jugendschutz zu gewährleisten.
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Der Gesetzgeber war schließlich auch nicht verpflichtet, die Vermarktung des staatlichen Wettangebots mit einem Provisionsverbot zu belegen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dies erübrige sich bei einem Vertrieb nur durch untergeordnete Nebentätigkeiten, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die konsequente Ausrichtung am Ziel der Suchtbekämpfung verlangt keine Optimierung (vgl. Urteil des Senats vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 42).
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Entgegen der Annahme der Revision verlangt die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht die Einbeziehung sonstiger Glücksspielbereiche. Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht darauf abgestellt, dass es insoweit allein auf eine konsequente und konsistente Ausgestaltung des staatlichen Sportwettenmonopols ankommt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. März 2009 a.a.O. Rn. 17 unter Verweis auf das Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - BVerfGE 115, 276).
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bb) Nicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar ist allerdings die berufungsgerichtliche Konkretisierung der Werbebeschränkung in § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV, soweit sie eine allgemeine Imagewerbung für den Deutschen Toto- und Lotto-Block ohne Differenzierung nach dem Aussagegehalt für rechtlich zulässig erachtet.
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Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts davon ausgegangen, dass sich die Werbung für das staatliche Wettangebot zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Wettmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeiten zum Wetten zu beschränken hat und nicht zum Wetten auffordern, anreizen und ermuntern darf (BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 a.a.O. S. 318). Jedoch lassen seine Ausführungen im Zuge der Anwendung dieser Maßstäbe erkennen, dass er sich von einer unzutreffenden Unterscheidung zwischen zulässiger und unzulässiger Werbung hat leiten lassen.
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Richtig ist, dass eine allgemeine Imagewerbung und die Verwendung einer Dachmarke nicht zwangsläufig unzulässig sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 52). Eine solche Werbung muss sich aber ebenfalls auf sachliche Information und Aufklärung über legale Wettmöglichkeiten beschränken. Sie darf auf die Legalität und Seriosität des Monopolangebots hinweisen, aber nach ihrem Aussagegehalt nicht zum Wetten motivieren. Die zulässige Kanalisierung der Wettleidenschaft rechtfertigt nur, bereits zum Wetten Entschlossene zum Monopolangebot hin zu lenken, nicht jedoch, noch Unentschlossene zur Teilnahme an Wetten anzureizen oder zu ermuntern (Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 48). Unzulässig sind daher stimulierende Bezugnahmen auf herausragende Sportereignisse oder die Verknüpfung auch rein informativer Hinweise mit der Ankündigung von Sonderausschüttungen oder anderen höheren oder zusätzlichen Gewinnchancen. Auch eine Aufmachung, die etwa durch befristete Angebote Entscheidungsdruck suggeriert, ist nicht erlaubt. Weist der Monopolträger auf eine Verwendung der geflossenen Geldmittel hin, ist dies unbedenklich, wenn es sich nach der konkreten Aufmachung nur um eine sachliche Information im Sinne einer Rechenschaftslegung ohne Bezug zu konkreten Spielmöglichkeiten handelt. Dagegen darf der Hinweis nicht mit einem solchen Bezug verknüpft und das Wetten selbst nicht zum sozialadäquaten oder gar wünschenswerten, positiv zu beurteilenden, sozial verantwortlichen Handeln aufgewertet werden (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. Oktober 2008 - 1 BvR 928/08 - NVwZ 2008, 1338 Rn. 39, 47, 57; BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 51).
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Dass der Verwaltungsgerichtshof die ihm vorgelegten Werbebeispiele nicht als Anhaltspunkte für eine systematisch zum Wetten anreizende Werbung gewertet hat und den entsprechenden Beweisanregungen nicht nachgegangen ist, lässt auf einen fehlerhaften rechtlichen Maßstab schließen. Die Verknüpfung populärer Sportereignisse mit befristeten Sonderausschüttungen und zum Teil hochwertigen "Boni" hat stimulierenden Charakter und ist nach ihrem Aussagegehalt darauf gerichtet, auch bis dahin Unentschlossene zum Wetten zu veranlassen.
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c) Dagegen ist der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Da er nur den jeweils zuständigen Normgeber verpflichtet, im Wesentlichen gleiche Sachverhalte gleich zu regeln, begründen Unterschiede zur bundesrechtlichen Normierung der Pferdesportwetten und des Betriebs der Geldspielautomaten keinen Gleichheitsverstoß. Die Fortgeltung der vereinzelt noch bestehenden, in der ehemaligen DDR erteilten Wettkonzessionen stellt mangels Regelungskompetenz des Landes Baden-Württemberg ebenfalls keine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung dar. Glücksspiele im Rundfunk und anderen Telemedien (vgl. §§ 8a, 58 Abs. 4 RStV) werden vom Glücksspielstaatsvertrag erfasst (vgl. LTDrucks 14/1930 S. 6 zu § 3 GlüStV; LTDrucks 14/2705 S. 26 zu § 8a RStV; Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 54).
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Hinsichtlich der Spielbanken liegt ebenfalls keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor. Für Spielbanken besteht in Baden-Württemberg zwar kein rechtliches, aber ein faktisches Monopol, weil die Beklagte Teilhaberin des Erlaubnisträgers ist. Außerdem hat der Gesetzgeber nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs in diesem Bereich eine Ausgangslage vorgefunden, die eine Differenzierung verfassungsrechtlich rechtfertigt. Aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtigkeit von Teilen des Spielbankengesetzes von 1995, das ein staatliches Spielbankenmonopol vorsah (BVerfG, Beschluss vom 19. Juli 2000 - 1 BvR 539/96 - BVerfGE 102, 197), war das Land Baden-Württemberg gezwungen, die berechtigten Belange der vorhandenen zwei privaten Spielbankenbetreiber zu berücksichtigen, die seit Jahrzehnten beanstandungsfrei ihre Unternehmen betrieben hatten. Eine vergleichbare Ausgangslage hat der Gesetzgeber bei Erlass der Regelungen des Glücksspielstaatsvertrages nicht vorgefunden.
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4. Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs verstößt auch gegen die unionsrechtliche Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit. Die berufungsgerichtliche Annahme, die durch den Glücksspielstaatsvertrag bewirkten Beschränkungen seien mit beiden Grundfreiheiten vereinbar und wahrten den unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, gründet sich auf eine unrichtige Anwendung des Kohärenzkriteriums, das der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung als Maßstab für die Geeignetheit des Eingriffs im unionsrechtlichen Sinne näher konkretisiert hat.
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Der Kläger unterfällt in sachlicher und persönlicher Hinsicht dem Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit, soweit nicht die Niederlassungsfreiheit eingreift. Da sich die hier entscheidungserheblichen unionsrechtlichen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) nicht unterscheiden, muss nicht geklärt werden, welches der beiden Freiheitsrechte einschlägig ist. Der Anwendung der Dienstleistungs- oder der Niederlassungsfreiheit auf die Vermittlung von Sportwetten stehen auch keine anderweitigen unionsrechtlichen Bestimmungen entgegen (vgl. Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 59).
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Der Erlaubnisvorbehalt des § 4 Abs. 1 GlüStV und der Ausschluss einer Erlaubnis zur Vermittlung von Sportwetten an private Wettanbieter - auch - in anderen Mitgliedstaaten stellen eine rechtfertigungsbedürftige Beschränkung dieser Freiheit dar. Derartige staatliche Maßnahmen müssen vier Voraussetzungen erfüllen, um mit Unionsrecht in Einklang zu stehen: Sie müssen mit dem Diskriminierungsverbot vereinbar, nach Art. 62 i.V.m. Art. 51 AEUV (Ausübung öffentlicher Gewalt), Art. 52 AEUV (öffentliche Ordnung; Sicherheit; Gesundheit) oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt und geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten; ferner dürfen sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.
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a) Der Verwaltungsgerichtshof hat zutreffend einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 57 Abs. 3 AEUV verneint; denn die der Untersagungsverfügung der Beklagten zugrunde liegenden Rechtsnormen gelten nach den Feststellungen des Berufungsgerichts gleichermaßen für Inländer wie für Ausländer. Auch eine Anerkennung der von den österreichischen und britischen Behörden den dort jeweils ansässigen Wettanbietern erteilten Konzessionen zugunsten des Klägers ist im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot unionsrechtlich nicht geboten (vgl. EuGH, Urteile vom 6. März 2007 - Rs. C-338/04 u.a., Placanica u.a. - Slg. 2007, I-1891 Rn. 48 f. und vom 8. September 2010 - Rs. C-46/08, Carmen Media - NVwZ 2010, 1422 Rn. 44).
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Das Berufungsgericht ist ferner zu Recht davon ausgegangen, dass die durch den Glücksspielstaatsvertrag und die Ausführungsbestimmungen bewirkten Einschränkungen der Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit im Bereich der Sportwetten mit den in § 1 GlüStV genannten Zielen, insbesondere mit dem Ziel der Suchtbekämpfung und des Jugendschutzes unionsrechtlich legitimen Zwecken dienen (Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 66 ff.).
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Mangels unionsrechtlicher Harmonisierung im Glücksspielbereich bleibt es jedem Mitgliedstaat überlassen, das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen und zu beurteilen, ob es erforderlich ist, bestimmte Tätigkeiten im Glücksspielbereich vollständig oder teilweise zu verbieten, oder ob es genügt, sie zu beschränken und zu kontrollieren. Die Verhältnismäßigkeit der erlassenen Maßnahmen ist allein im Hinblick auf das national angestrebte Schutzniveau und die verfolgten Ziele zu beurteilen (EuGH, Urteile vom 8. September 2010 - Rs. C-316/07 u.a., Markus Stoß u.a. - NVwZ 2010, 1409 Rn. 79 und Carmen Media, a.a.O. Rn. 46 m.w.N.). Danach ist es im Grundsatz unionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass sich der Gesetzgeber für den Bereich der Sportwetten für ein staatliches Monopol entschieden hat (EuGH, Urteile vom 21. September 1999 - Rs. C-124/97, Läärä u.a. - Slg. 1999, I-6067 Rn. 37 und vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 46 m.w.N.). Er war unionsrechtlich auch nicht gehindert, vor einer abschließenden wissenschaftlichen Klärung des Suchtpotenzials von Sportwetten mit festen Gewinnquoten präventive Regelungen zu erlassen, die durch begleitende Untersuchungen zur Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit der getroffenen Maßnahmen ergänzt werden (vgl. EuGH, Urteile vom 13. November 2003 - Rs. C-42/02, Lindman - Slg. 2003, I-13519 Rn. 25 und vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 117 Ziff. 1a). Um dem aktuellen Defizit an belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu begegnen, haben die Normgeber in § 10 Abs. 1 GlüStV die Berufung eines unabhängigen Fachbeirates zur Beratung der Länder vorgesehen, der sich aus Experten in der Bekämpfung der Glücksspielsucht zusammensetzt. Darüber hinaus haben die Länder gemäß § 11 GlüStV die wissenschaftliche Forschung zur Vermeidung und Abwehr von Suchtgefahren sicherzustellen. Das Berufungsgericht hat vor diesem Hintergrund unionsrechtlich zu Recht keinen Anlass gesehen, die Gefahrenprognose des Gesetzgebers in Frage zu stellen (vgl. bereits Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 73 ff.).
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b) Das Berufungsgericht hat aber revisionsrechtlich fehlerhaft angenommen, das Sportwettenmonopol sei im unionsrechtlichen Sinne verhältnismäßig und insbesondere geeignet, die legitimen Ziele der Suchtbekämpfung und des Spieler- und Jugendschutzes zu erreichen.
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Eine Monopolregelung, die auf diese zwingenden Gründe des Allgemeininteresses gestützt wird, muss ebenso wie ihre Anwendung in der Praxis geeignet sein, die Verwirklichung dieser Ziele in dem Sinne zu gewährleisten, dass sie kohärent und systematisch zur Begrenzung der Wetttätigkeiten beiträgt (EuGH, Urteile vom 6. November 2003 - Rs. C-243/01, Gambelli u.a. - Slg. 2003, I-13031 Rn. 67, vom 3. Juni 2010 - Rs. C-258/08, Ladbrokes - NVwZ 2010, 1081 Rn. 21 sowie vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 88 ff. und Carmen Media, a.a.O. Rn. 55, 64 ff.). Innerhalb dieses sog. Kohärenzgebots lassen sich zwei Anforderungen unterscheiden. Zum einen muss der Mitgliedstaat die Gemeinwohlziele, denen die beschränkende Regelung dienen soll und die diese legitimieren sollen, im Anwendungsbereich der Regelung auch tatsächlich verfolgen; er darf nicht in Wahrheit andere Ziele - namentlich solche finanzieller Art - anstreben, welche die Beschränkung nicht legitimieren könnten (EuGH, Urteile vom 21. Oktober 1999 - Rs. C-67/98, Zenatti - Slg. 1999, I-7289 Rn. 35 ff., vom 6. November 2003, Gambelli, a.a.O. Rn. 67 ff. und vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 65; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 77, 80). Zum anderen darf die in Rede stehende Regelung nicht durch die Politik in anderen Glücksspielsektoren konterkariert werden. Zwar ist der Mitgliedstaat nicht verpflichtet, in sämtlichen Glücksspielsektoren dieselbe Politik zu verfolgen; das Kohärenzgebot ist kein Uniformitätsgebot (vgl. EuGH, Urteile vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 95 f. und Carmen Media, a.a.O. Rn. 62 f.; vgl. auch Urteile vom 10. März 2009 - Rs. C-169/07, Hartlauer - Slg. 2009, I-1721 Rn. 60). Es verlangt auch keine Optimierung der Zielverwirklichung. Das gewinnt Bedeutung namentlich in Mitgliedstaaten wie Deutschland, zu deren Verfassungsgrundsätzen eine bundesstaatliche Gliederung in Länder mit je eigener Gesetzgebungsautonomie gehört (vgl. Art. 28 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3, Art. 23 Abs. 1 Satz 3 GG). Jedoch dürfen in anderen Glücksspielsektoren - auch wenn für sie andere Hoheitsträger desselben Mitgliedstaates zuständig sind - nicht Umstände durch entsprechende Vorschriften herbeigeführt oder, wenn sie vorschriftswidrig bestehen, strukturell geduldet werden, die - sektorenübergreifend - zur Folge haben, dass die in Rede stehende Regelung zur Verwirklichung der mit ihr verfolgten Ziele tatsächlich nicht beitragen kann, so dass ihre Eignung zur Zielerreichung aufgehoben wird (EuGH, Urteile vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 106 und Carmen Media, a.a.O. Rn. 68 f.; vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2010 a.a.O. Rn. 82).
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Das Ziel, die Spielsucht zu bekämpfen und den Spieltrieb von Verbrauchern in kontrollierte legale Bereiche zu lenken, kann nur dann in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden, wenn der Monopolträger darauf verzichtet, die Wettbereitschaft zu fördern. Er darf dem Wetten kein positives Image verleihen, indem er auf eine gemeinnützige Verwendung der erzielten Einnahmen hinweist, und die Anziehungskraft des Wettspiels nicht durch zugkräftige Werbebotschaften erhöhen, die bedeutende Gewinne in Aussicht stellen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010, Markus Stoß u.a., a.a.O. Rn. 103) oder sonst eine zum Wetten stimulierende Aussage treffen. Werbung, die über eine Information und Aufklärung bezüglich legaler Möglichkeiten zum Sportwetten hinausgeht und einzelne Sportereignisse mit der Möglichkeit zusätzlicher oder höherer Gewinne verknüpft, wirkt dieser Zielsetzung entgegen. Wie gezeigt (oben 3. b. bb.), wird der Beschluss des Berufungsgerichts diesen Anforderungen nicht gerecht.
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Die Annahme des Berufungsgerichts, eine sektorenübergreifende Kohärenzprüfung sei nicht erforderlich, vernachlässigt die zweite Anforderung des Kohärenzgebots und versäumt zu prüfen, ob die rechtliche Regelung anderer Glücksspielbereiche mit vergleichbarem oder höherem Suchtpotenzial oder die dortige Praxis die mit dem Monopol verfolgten Ziele konterkarieren. Dabei sind die Besonderheiten der jeweiligen Glücksspielart in Rechnung zu stellen (EuGH, Urteil vom 8. September 2010, Carmen Media, a.a.O. Rn. 60 f.). Die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entwickelten Kriterien machen deutlich, dass eine Kohärenz nur entfällt, wenn die Politik dem mit der Monopolregelung verfolgten Ziel aktiv zuwider handelt oder wenn Zuwiderhandlungen im Verwaltungsvollzug systematisch geduldet werden und deshalb auf strukturelle Mängel der Aufsichts- und Sanktionsregelungen hindeuten.
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Das Sportwettenmonopol wird durch das Konzessionsmodell im Pferderennwettbereich nicht konterkariert. Die Erreichbarkeit der mit dem Sportwettenmonopol verfolgten Ziele wird dadurch schon deshalb nicht in Frage gestellt, weil die Pferdewetten nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs im Verhältnis zum gesamten Glücksspielbereich eine nur sehr untergeordnete Rolle spielen und sich auf ein enges und deshalb leicht überschaubares Sportgeschehen beziehen. Wirksame Verfahrensrügen wurden dagegen nicht erhoben. Der Einwand der Revision, der Pferdesportwettenmarkt stelle mit 250 Mio. € Umsatz pro Jahr mit steigender Tendenz die zweitumsatzstärkste Sportwette mit einem höheren Suchtpotenzial dar, als es Oddset-Wetten aufweisen, weshalb das Sportwettenmonopol in sich widersprüchlich und inkohärent sei, berücksichtigt zudem nicht, dass als Vergleichsmaßstab für eine umfassende Kohärenzbetrachtung der gesamte Glücksspielmarkt heranzuziehen ist und nicht nur der Bereich der Sportwetten. Unabhängig davon hat das Fehlen eines Monopols im Bereich der Pferdesportwetten nicht zur Folge, dass das Ziel der Suchtbekämpfung mit dem Monopol im sonstigen Sportwetten- und im Lotteriebereich nicht mehr wirksam verfolgt werden kann (vgl. EuGH, Urteil vom 8. September 2010, Carmen Medien, a.a.O. Rn. 68). Denn der Staat verfolgt auch im Bereich der Pferdesportwetten keine Politik, die darauf abzielt, zur Teilnahme an diesen Spielen zu ermuntern. Namentlich gilt auch für diese Wetten gemäß § 2 Abs. 2 des Rennwett- und Lotteriegesetzes (RennwLottG) ein § 4 Abs. 4 GlüStV entsprechendes Internetverbot (siehe Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 5.10 -).
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Was den Bereich der Sportwetten anbelangt, die auf der Grundlage von Erlaubnissen nach den gewerberechtlichen Vorschriften der ehemaligen DDR veranstaltet und vermittelt werden, so hat der Verwaltungsgerichtshof zutreffend darauf abgestellt, dass das unionsrechtliche Kohärenzgebot nicht verlangt, alle Inhaber "alter" Genehmigungen sogleich dem staatlichen Sportwettenmonopol unterzuordnen. Entscheidend sei vielmehr, dass eine weitere Ausdehnung des Sektors der Sportwetten verhindert werde. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass die auf Alt-Rechten beruhenden Sonderfälle nicht zu einer systemwidrigen, mit den Zielen des § 1 GlüStV unvereinbaren Ausweitung des Sportwettenangebots führen. Eine Politik der Expansion und ein strukturelles Defizit im Vollzug lassen sich hieraus nicht entnehmen, zumal die Länder auch gegenüber diesen sog. Alt-Rechten bestrebt sind, die Zielsetzungen des Glücksspielstaatsvertrages durchzusetzen (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 5.10 -).
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Die vom Verwaltungsgerichtshof für den Bereich der Spielbanken getroffenen Feststellungen lassen ebenfalls nicht auf eine in sich widersprüchliche und expansive Glücksspielpolitik schließen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zugrunde gelegt, dass die für den Spielbankensektor geltenden Regelungen des GlüStV (vgl. § 2 Satz 2 GlüStV) sowie die weiteren Beschränkungen im Spielbankengesetz in vergleichbarer Weise wie im Sportwettensektor der Bekämpfung der Wettsucht und der mit dem Glücksspiel verbundenen Gefahren dienen. Bedenken hinsichtlich einer konsistenten bereichsübergreifenden Glücksspielpolitik im Verhältnis zum Spielbankensektor anderer Länder hat der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Mitteilung der Bundesregierung an die EU-Kommission vom 20. Mai 2008 (ZfWG 2008 S. 173) nicht gesehen. Dagegen hat die Revision keine durchgreifenden Verfahrensrügen erhoben, so dass der Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO an diese Feststellungen gebunden ist.
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Für den Bereich des in der Spielverordnung geregelten Automatenspiels musste der Verwaltungsgerichtshof nicht schon wegen der mit der 5. Änderungsverordnung (BGBl I 2005 S. 3495) verbundenen Liberalisierung von einer Inkohärenz ausgehen. Die Absicht des Gesetzgebers, einen bestimmten Glücksspielbereich zu liberalisieren, zwingt nicht schon für sich genommen zu der Annahme, das mit der Monopolregelung im Sportwettenbereich verfolgte Ziel lasse sich damit nicht mehr erreichen. Wird jedoch eine solche Liberalisierung trotz vergleichbaren oder höheren Suchtpotenzials als im Monopolbereich nicht durch ausreichende Maßnahmen zum Spieler- und Jugendschutz ausgeglichen, kann dies zur Folge haben, dass das Ziel des Monopols konterkariert wird. Deshalb hätte der Verwaltungsgerichtshof prüfen müssen, ob das Suchtpotenzial des Automatenspiels mindestens gleich groß wie das der Sportwetten ist, und bejahendenfalls, ob die zum Spieler- und Jugendschutz getroffenen Maßnahmen ausreichen. Dabei hätte er auch die tatsächlichen Auswirkungen der Liberalisierung und deren mögliche Folgewirkungen auf den gesamten Glücksspielbereich, mithin auch die Sportwetten, berücksichtigen und klären müssen, inwieweit dadurch die Geeignetheit der Monopolregelung im Bereich der Sportwetten in Frage gestellt wird.
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5. Der angefochtene Beschluss beruht auf den festgestellten Verstößen gegen Art. 12 Abs. 1 GG und gegen die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit. Er stellt sich nicht im Sinne von § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig dar. Ob die Untersagungsverfügung der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides rechtmäßig ist, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen.
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Bei verfassungskonformer Auslegung des § 5 Abs. 1 und 2 GlüStV, die keine anlassbezogene Werbung des Monopolträgers mit Hinweisen auf zusätzliche Gewinne und eine gemeinnützige Verwendung der Wetteinnahmen zulässt, kommt es darauf an, inwieweit eine danach unzulässige Werbung in Baden-Württemberg seit dem 1. Januar 2009 tatsächlich betrieben und von den Überwachungsbehörden nicht konsequent verfolgt und unterbunden wird. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof - nach seiner Rechtsauffassung konsequent - bislang keine Feststellungen getroffen.
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Sie sind auch nicht entbehrlich, weil die Frage der unionsrechtlichen Kohärenz auf der Grundlage der bereits festgestellten Tatsachen zu beantworten wäre. Ob die im Glücksspielstaatsvertrag getroffenen Regelungen über das staatliche Glücksspielmonopol im Bereich der Sportwetten im unionsrechtlichen Sinne geeignet sind, zum Erreichen der legitimen Zwecke der Suchtbekämpfung (§ 1 Nr. 1 GlüStV), des Jugend- und Spielerschutzes (§ 1 Nr. 3 GlüStV), der Begrenzung des Glücksspielangebots sowie der Lenkung der Wettleidenschaft (§ 1 Nr. 2 GlüStV) und der vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung (§ 1 Nr. 4 GlüStV) beizutragen, lässt sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der Werbung und des Automatenspiels nicht hinreichend beurteilen.
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Die Sache war daher nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Juni 2013 geändert.
Der Bescheid der Bundesnetzagentur vom 19. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Klägerin, der auskunftsersuchenden Behörde während der laufenden Internetverbindung – „on the fly“ – mitzuteilen, welchem Anschlussinhaber eine bestimmte Internetprotokoll-(IP‑)Adresse zuzuordnen ist.
3Die Klägerin erbringt geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste. Sie bietet unter anderem Internetzugangsdienstleistungen im Festnetzbereich an. Beim Aufbau einer Internetverbindung wird hierzu in der Telekommunikationsinfrastruktur der Klägerin in einem vollautomatisch ablaufenden Prozess eine IP-Adresse erzeugt, die nur temporär für die Dauer der Verbindung zugewiesen wird (dynamische IP-Adresse). Mit dem Beginn einer Internet-Sitzung wird die IP-Adresse von einem der ca. 170 BRAS (Broadband Remote Access Server) nach erfolgreicher Autorisierung der Anschlusskennung und des Kundenpassworts aus einem vom jeweiligen BRAS verwalteten Pool von IP-Adressen dem Netzwerkanschluss, über den die Verbindung aufgebaut wird, zugeordnet. Die IP-Adresse – vereinfacht: die „Telefonnummer des Computers“ – ist erforderlich, um Daten zwischen verschiedenen Internetservern zu übermitteln; dabei werden größere Dateien in eine Vielzahl von kleinen Datenpaketen zerlegt, die jeweils unter Verwendung der IP-Adresse adressiert werden. Die Klägerin speichert – anders als andere
4Access-Provider – die jeweils genutzte IP-Adresse nicht, weil sie sie aus betrieblichen Gründen (Abrechnung, Unternehmenssicherheit, Störungsbeseitigung etc.) nicht benötigt. Nach Ende der Internetverbindung ist die IP-Adresse im System der Klägerin nicht mehr vorhanden; sie wird in einem vollautomatisierten Verfahren abgebaut und einer nächsten Verbindung zugewiesen.
5Das Landeskriminalamt NRW teilte der Klägerin mit Schreiben vom 23. September 2010 unter Bezugnahme auf § 113 Abs. 1 TKG mit, dass bei Ermittlungen in Fällen der Verbreitung von Kinderpornographie eine Nutzung von IP-Adressen der Klägerin festgestellt worden sei. Die Klägerin möge prüfen, ob sie Nutzerbestandsdaten während der aktuellen Nutzung einer dynamischen IP-Adresse übermitteln könne. Die Klägerin teilte daraufhin mit, dies sei rechtlich, technisch und organisatorisch nicht möglich. Die gewünschte Auskunft, ob eine IP-Adresse aktuell genutzt werde, sei unzulässig, da dies eine Recherche in den Verkehrsdaten erfordere, was eine Verletzung des Telekommunikationsgeheimnisses bedeute.
6Auf Anhörung der Bundesnetzagentur teilte die Klägerin mit, der angekündigte Erlass einer Anordnung nach § 115 TKG sei rechtswidrig. Die Wortlautgrenze des § 113 Abs. 1 TKG sei überschritten, wenn auch solche Daten als erhoben angesehen würden, die nur vorhanden seien. Sie müsse die angefragten Daten erst beschaffen, also erheben. Ferner sei die Auskunftserteilung nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung vom 2. März 2010 unzulässig. Die Anordnung wäre auch unverhältnismäßig, da sie technisch nicht mit vertretbarem Aufwand umsetzbar sei. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt habe, habe sie die dafür vorgehaltenen Systeme deaktiviert und den Datenbestand gelöscht. Technisch habe sie keine Möglichkeit mehr, in einem Standardprozess dynamische IP-Adressen zu beauskunften. Um eine spezielle IP-Adresse einem Kunden zuzuordnen, müsse manuell über die IP-Adresse der jeweilige BRAS ermittelt werden. Im Anschluss müsse sich ein Systemtechniker auf dem BRAS einwählen und über spezielle Systemkommandos nach einer Session mit der bezeichneten IP-Adresse suchen. Dieser Zugang werde im Normalfall nur zur Konfiguration, Wartung und Entstörung des BRAS genutzt. Suchfunktionalitäten, die eine direkte Suche nach einer IP-Adresse ermöglichten, seien nicht implementiert. Da eine IP-Adresse nur während der laufenden Internetsitzung im Arbeitsspeicher des BRAS gespeichert sei, müsse eine Anfrage nach einer IP-Adresse sofort umgesetzt und ein entsprechender Techniker herbeigerufen werden. Hierfür sei der Aufbau eines immensen Personalbestandes für einen Schichtbetrieb rund um die Uhr erforderlich, der mehr als 1 Mio. Euro im Jahr koste. Diesen Kosten stehe eine geringe Erfolgsquote von 5 bis 10 % bei der Ermittlung der IP-Adresse aus laufenden Verbindungen gegenüber. Vereinzelt, insbesondere bei gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben (z. B. Suizid- und Amok-Ankündigungen in Internetforen), beantworte sie Anfragen der berechtigten Stellen „on the fly“. Dies gelte jedoch nicht für Fälle der Strafverfolgung.
7Die Bundesnetzagentur verpflichtete die Klägerin durch Bescheid vom 19. Januar 2011, Auskunftsersuchen, die von den nach § 113 TKG berechtigten Stellen unter Mitteilung einer dynamischen IP-Adresse (mit Datum und Uhrzeit) an sie gerichtet werden und die die Beauskunftung der zu der mitgeteilten dynamischen IP-Adresse gehörenden Bestandsdaten oder der Bestandsdaten des Inhabers des physikalischen Anschlusses, über den die durch die mitgeteilte IP-Adresse bestimmte Internetverbindung zustande gekommen ist, zum Gegenstand haben, künftig nach § 113 TKG auch dann unverzüglich zu entsprechen, wenn zur Feststellung der nachgesuchten Bestandsdaten eine Auswertung von Verkehrsdaten erforderlich ist und ihr der Zugriff auf diese Verkehrsdaten im Einzelfall möglich ist. Sofern der Klägerin keine der nachgesuchten Bestandsdaten vorlägen, habe sie dies der zuständigen Stelle mitzuteilen. Zur Begründung führte die Bundesnetzagentur aus, die Klägerin sei nach § 113 TKG zur Auskunftserteilung verpflichtet. Die Regelung sei verfassungsgemäß. Die Beauskunftung „on the fly“ unterscheide sich rechtlich qualitativ nicht von der Beauskunftung unter Verwendung von gespeicherten Verkehrsdaten. § 113 TKG beziehe sich auf die bereits erhobenen Bestandsdaten, nicht auf noch zu erhebende Daten. Die IP-Adresse sei bereits ermittelt und bekannt. Die Beauskunftung „on the fly“ sei grundsätzlich möglich und werde von der Klägerin in Fällen, in denen Gefahr für Leib oder Leben bestehe, auch praktiziert. Die Klägerin sei auch organisatorisch in der Lage, die entsprechenden Auskunftsersuchen zu beantworten. Dies sei bereits einem wesentlich kleineren Unternehmen als der Klägerin möglich. Auch sei zu berücksichtigen, dass es sich hinsichtlich der Anfragen „on the fly“ um eine wesentlich geringere Anfragenanzahl handele als hinsichtlich der Anfragen an Unternehmen, die die IP-Adresse mehrere Tage speicherten und damit auch zivilrechtlichen Auskunftsansprüchen nach Urheberrecht, die den Großteil der Anfragen ausmachen dürften, ausgesetzt seien.
8Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin ergänzend geltend, der Bescheid sei mangels Bestimmtheit formell rechtswidrig. Da die Auskunft nur gefordert werde, wenn der Zugriff auf die Verkehrsdaten im Einzelfall möglich sei, sei unklar, welche Anfragen sie letztlich beantworten müsse. Auch aus der Begründung des Bescheids gehe nicht hervor, ob die technische, personelle oder organisatorische Möglichkeit gemeint sei. Die Bundesnetzagentur wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 1. Dezember 2011 zurück.
9Die Klägerin hat am 20. Dezember 2011 beim Verwaltungsgericht Köln Klage erhoben. Zur Begründung hat sie unter anderem vorgetragen: Der für ein Einschreiten nach § 115 TKG erforderliche Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG liege nicht vor. Zwar biete diese Regelung nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 - übergangsweise eine hinreichende Rechtsgrundlage. Dies gelte aber nur für bereits erhobene, also bei einem Telekommunikationsunternehmen vorliegende dynamische IP-Adressen. Nicht erfasst sei hingegen die Erhebung der IP-Adresse. Erheben sei das Beschaffen von Daten über den Betroffenen durch aktives zielgerichtetes Tätigwerden, durch das der Handelnde objektiv die Verfügungsmacht und subjektiv Kenntnis der betroffenen Daten erlange. Eine solche Tätigkeit müsse sie vornehmen, indem sie den jeweiligen BRAS ermittle, sich auf diesen einwähle und die IP-Adresse suche. Das bloße Vorhandensein einer dynamischen IP-Adresse in den Systemen der Klägerin stelle noch keine Erhebung dieser IP-Adresse dar. Auch für die im zweiten Schritt erforderliche Zuordnung der IP-Adresse zu einem Kunden fehle es an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Zudem sei die Anordnung ermessensfehlerhaft. Die Beklage habe sowohl die betrieblichen Abläufe der Klägerin als auch die mit der Anordnung verbundene Belastungsdimension außer Acht gelassen.
10Die Klägerin hat beantragt,
11die Auskunftsanordnung der Bundesnetzagentur vom 19. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2011 aufzuheben.
12Die Beklagte hat beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie hat ergänzend vorgetragen, § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts während einer Übergangszeit hinreichende Rechtsgrundlage für die Verpflichtung privater Unternehmen zur Zuordnung dynamischer IP-Adressen. Dabei sei eine Beauskunftung „on the fly“ rechtlich nicht anders zu bewerten als die Beauskunftung unter Verwendung gespeicherter Verkehrsdaten. Die dynamische IP-Adresse müsse auch nicht erst erhoben werden, sondern sei den zuständigen Stellen i. S. v. § 113 Abs. 1 TKG wie auch der Klägerin bekannt, die für die Herstellung der Internetverbindung dem Kunden eine dynamische IP-Adresse zuteile und sie i. S. d. § 96 TKG verarbeite. Damit werde der Diensteanbieter durch die Anordnung allein dazu verpflichtet, den zuständigen Stellen Auskunft über Bestandsdaten unter Verwendung von Verkehrsdaten zu erteilen. Die von der Klägerin vorgenommene Unterscheidung zwischen der Verwendung von Daten, die dem Diensteanbieter bereits bei Abfrage vorlägen, und einer Ermittlung von Daten während einer laufenden Internetvermittlung sei nicht geboten. Der einzige Unterschied bestehe in Ort und Zeit des Zugriffs auf die Daten. Die Anordnung sei auch ermessensfehlerfrei. Der Bescheid enthalte umfangreiche Erwägungen zur Frage des mit der Auskunftsanordnung verbundenen organisatorischen und technischen Aufwandes. Zudem habe die Klägerin in einer Versicherung an Eides Statt des Leiters der Rechtsabteilung angegeben, dass sich die Anzahl der Anfragen auf 100 in der Woche belaufe und diese mit der bestehenden Infrastruktur bearbeitet werden könnten.
15Das Verwaltungsgericht hat die Klage unter Zulassung der Berufung durch Urteil vom 27. Juni 2013 abgewiesen. § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG stelle für die Zeit bis zum 30. Juni 2013 (noch) eine hinreichende gesetzliche Regelung zur Begründung einer Verpflichtung der Klägerin dar, unverzüglich Auskunft über diejenigen Bestandsdaten (Nummer des Anschlusses, Anschlussinhaber) zu erteilen, die einer zu einem bestimmten Zeitpunkt vergebenen dynamischen IP-Adresse zuzuordnen seien, und zwar auch dann, wenn zur Feststellung dieser Bestandsdaten eine Auswertung von Verkehrsdaten erforderlich sei. Dass die Klägerin die Verbindungsdaten ihrer Kunden nicht speichere, stehe der Anordnung nicht entgegen. Gegenstand der Auskunft seien allein die erhobenen Kundendaten, nicht eine von der Klägerin noch zu erhebende IP-Adresse. Es gehe um die Zuordnung der dynamischen IP-Adresse, die Ausgangspunkt der entsprechenden Anfrage sei und ihr von der berechtigten Stelle mitgeteilt werde, zu einer Person. Die Klägerin müsse die entsprechenden Daten nicht erheben; sie seien in dem Moment der Abfrage „on the fly“ in dem Arbeitsspeicher des BRAS gespeichert, d. h. von der Klägerin mit der Speicherung im Arbeitsspeicher bereits erhoben worden. Der angefochtene Bescheid sei auch ermessensfehlerfrei. Die Beklagte habe in ihre Ermessenserwägungen die technische, organisatorische und finanzielle Zumutbarkeit der Anordnung eingestellt.
16Mit ihrer Berufung macht die Klägerin geltend: Die streitgegenständliche Auskunftsanordnung könne nach den gesetzlichen Änderungen nicht mehr auf §§ 115, 113 TKG gestützt werden. Die maßgebenden Ermächtigungsgrundlagen für Auskunftsverlangen seien nun im Fachrecht geregelt. § 115 Abs. 1 TKG ermächtige nur zur Durchsetzung von Verpflichtungen nach dem 7. Teil des TKG. § 113 TKG sei zu einer Befugnisnorm der Diensteanbieter, zur Erfüllung fachspezifischer Auskunftsverlangen auf bestimmte Daten ihrer Kunden zuzugreifen, umgestaltet worden. Soweit die Vorschrift eine imperative Formulierung verwende, betreffe dies nicht das „Ob“ einer Beauskunftung, sondern das „Wie“. Die streitgegenständliche Auskunftsanordnung erschöpfe sich aber nicht in einer Vorgabe der Modalitäten einer Auskunftserteilung, sondern lege eine Auskunftspflicht für bestimmte Fälle fest. Selbst wenn aber § 113 TKG eine Auskunftspflicht begründe, seien jedenfalls die Voraussetzungen für eine Auskunftsanordnung nicht gegeben. Die Anordnung verpflichte sie zur Datenerhebung, da ohne die aktive, erstmalige Ermittlung der dynamischen IP-Adresse in ihren Systemen eine Auskunftserteilung unmöglich wäre. Diese Ermittlung der dynamischen IP-Adresse einzig mit dem Ziel, die Auskunftsanfrage beantworten zu können, stelle eine Datenerhebung im rechtlichen Sinn dar. Das bloße Vorhandensein dynamischer IP-Adressen in den Systemen sei noch keine solche „Datenerhebung"; diese erfolge erst durch den zielgerichteten und von ihrem subjektiven Willen getragenen Zugriff auf die dynamischen IP-Adressen zur Ermöglichung der Auskunft. Für eine solche Datenerhebung fehle es jedoch an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Ferner sei die Anordnung ermessensfehlerhaft, weil es an der erforderlichen Auseinandersetzung mit dem Einzelfall fehle.
17Die Klägerin beantragt,
18das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Juni 2013 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen sowie
19die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Ermächtigungsgrundlage der getroffenen Anordnung sei § 115 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 113 Abs. 4 Satz 1, Abs. 1 Sätze 3 und 4 TKG n. F. Die Bundesnetzagentur sei weiterhin befugt, Auskunftsverpflichtungen durchzusetzen. § 113 TKG n. F. enthalte eine Pflicht der Unternehmen zur Beauskunftung und sei eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Zuordnung der dynamischen IP-Adressen zu Bestandsdaten sowie die Übermittlung dieser Informationen an die auskunftsberechtigte Stelle. Dass die Bundesnetzagentur auch nach der neuen Rechtslage ermächtigt sei, Anordnungen zur Auskunftsverpflichtung zu treffen, zeige § 113 Abs. 1 Satz 4 TKG, wonach für eine Auskunftserteilung sämtliche unternehmensinternen Datenquellen zu berücksichtigen seien. Die Pflicht zur Datenübermittlung ergebe sich aus § 113 Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 TKG. Der Bescheid verpflichte dementsprechend dazu, nach Fachrecht berechtigte Auskunftsverlangen auch dann unverzüglich zu bearbeiten, wenn dies eine Auswertung von Verkehrsdaten erfordere. Der Gesetzgeber habe sich auch nicht bewusst auf den Fall der betrieblichen Speicherung von IP-Adressen beschränkt. Insbesondere bedürfe es auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht für jeden einzelnen Arbeitsschritt der Bearbeitung eines Auskunftsersuchens einer eigenständigen Ermächtigungsgrundlage. Das Aufsuchen der dynamischen IP-Adresse im System der Klägerin, das heißt aus vorhandenem Material, sei keine Datenerhebung im Rechtssinne, sondern eine Nutzung bestehender Daten.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
24Entscheidungsgründe
25Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg.
26Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der Bescheid der Bundesnetzagentur vom 19. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Dezember 2011 ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
27I. Die Rechtmäßigkeit der Anordnung beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.
28Der maßgebliche Zeitpunkt der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes richtet sich nicht nach dem Prozessrecht, sondern nach dem jeweiligen materiellen Recht. Fehlt es an einer materiell-rechtlichen Regelung, ist bei Anfechtungsklagen grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung maßgeblich. Bei der Beurteilung von Dauerverwaltungsakten haben die Gerichte hingegen die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu berücksichtigen, wenn das materielle Recht nichts Abweichendes bestimmt.
29Vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2011 - 8 C 11.10 -, juris, Rn. 17, vom 28. Juli 1989 ‑ 7 C 39.87 - BVerwGE 82, 260 (261) = juris, Rn. 8, und vom 22. Januar 1998 - 3 C 6.97 - BVerwGE 106, 141 = juris, Rn. 18.
30Ein solcher Fall ist hier gegeben. Die Anordnung, mit der die Klägerin verpflichtet wird, bestimmten Auskunftsersuchen berechtigter Stellen künftig zu entsprechen, ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Sie fordert generell für die Zukunft die Erteilung der geforderten Auskünfte und erschöpft sich damit nicht im Verlangen eines einmaligen Tuns. Das auferlegte Handlungsgebot hat sich für den zurückliegenden Zeitraum auch deshalb erledigt, weil die Klägerin verpflichtet wird, Auskünfte zu einer laufenden Internetverbindung („on the fly“) zu erteilen und die dafür erforderlichen Daten mit dem Ende der Internetsitzung nicht mehr abgerufen werden können. Dem Telekommunikationsgesetz ist nicht zu entnehmen, dass bei einer solchen Anordnung auf einen anderen Zeitpunkt als den der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist.
31II. Hiervon ausgehend beurteilt sich die Rechtmäßigkeit der Anordnung nicht mehr nach der bei Erlass des Verwaltungsakts und bei Ergehen der erstinstanzlichen Entscheidung maßgeblichen, bis zum 30. Juni 2013 geltenden Fassung des Telekommunikationsgesetzes (im Folgenden: TKG a. F.), sondern nach den seit dem 1. Juli 2013 geltenden Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes (im Folgenden: TKG n. F.). Rechtsgrundlage der angefochtenen Anordnung ist § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG n. F.
32Es kann offen bleiben, ob die Anordnung hinreichend bestimmt ist, soweit sie die Einschränkung enthält, „wenn ihr der Zugriff auf diese Verkehrsdaten im Einzelfall möglich ist“. Sie ist jedenfalls materiell rechtswidrig.
33Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG kann die Bundesnetzagentur Anordnungen treffen, um die Einhaltung der Vorschriften des Teils 7 und der auf Grund dieses Teils ergangenen Rechtsverordnungen sowie der jeweils anzuwendenden Technischen Richtlinien sicherzustellen.
341. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht erfüllt.
35a. Die Generalklausel § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG ermächtigt nicht generell zur Überwachung der Tätigkeit der Telekommunikationsunternehmen. Eingriffsmöglichkeiten für die Bundesnetzagentur bestehen nur bei der Verletzung der Vorschriften des (7. Teils des) Telekommunikationsgesetzes und der dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen, nicht hingegen bei Verstößen gegen andere Gesetze. Es muss der Bundesnetzagentur darum gehen, die Erfüllung von telekommunikationsrechtlichen Verpflichtungen sicherzustellen. § 115 Abs. 1 Satz 1 TKG dient als Schlussnorm des 7. Teils des Telekommunikationsgesetzes der – so die amtliche Überschrift – „Kontrolle und Durchsetzung von Verpflichtungen“, die in diesem Teil des Gesetzes geregelt sind. Dies folgt nicht nur aus dem Sinn und Zweck, Verstöße gegen Vorschriften des Gesetzes zu unterbinden, sondern auch aus der ausdrücklichen Erwähnung von Verpflichtungen nach Teil 7 des Gesetzes in den weiteren Regelungen des § 115 TKG n. F. (Abs. 1 Satz 3,
36Abs. 2 Satz 1 und 2 sowie Abs. 3).
37b. An einer solchen Nichterfüllung telekommunikationsrechtlicher Verpflichtungen fehlt es hier. Nach der maßgeblichen gegenwärtigen Rechtslage verstößt die Klägerin nicht gegen Vorschriften des 7. Teils des Telekommunikationsgesetzes. Mit der streitgegenständlichen Anordnung wollte die Bundesnetzagentur bei Erlass durchsetzen, dass die Klägerin künftig Auskunftsersuchen zur Zuordnung von dynamischen IP-Adressen zu Bestandsdaten „nach § 113 TKG“ auch dann entspricht, wenn zur Feststellung der nachgesuchten Bestandsdaten eine Auswertung von Verkehrsdaten erforderlich ist. Die Behörde ging ausweislich der Begründung davon aus, die Klägerin sei nach § 113 Abs. 1 TKG a. F. zur Erteilung dieser Auskünfte verpflichtet, könne Auskunftsersuchen insbesondere ihre technische Infrastruktur und die Notwendigkeit der Nutzung von Verkehrsdaten nicht entgegenhalten, und wollte die Einhaltung dieser Verpflichtung sicherstellen. Gegenstand der Anordnung war damit, der Klägerin die Verpflichtung aufzuerlegen, Auskunftsersuchen zu dynamischen IP-Adressen ungeachtet der von ihr bisher geltend gemachten technischen und rechtlichen Einwände zu entsprechen („ob“), nicht hingegen, die Art und Weise der Erteilung der nachgesuchten Auskünfte („wie“) zu regeln. § 113 TKG a. F. war bei verfassungskonformer Auslegung allerdings keine Rechtsgrundlage für den Abruf der Daten und durfte auch nicht zur Zuordnung dynamischer IP-Adressen angewendet werden. Die anderweitige Anwendung des § 113 Abs. 1 TKG a. F. durfte lediglich für eine Übergangszeit bei zum 30. Juni 2013 fortgeführt werden.
38Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 -, BVerfGE 130, 151 = juris, Rn. 164 ff., 190.
39§ 113 TKG in seiner hier allein maßgeblichen, seit dem 1. Juli 2013 geltenden Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. Juni 2013 (BGBl. I 2013, S. 1602) regelt aber keine Verpflichtung von Telekommunikationsunternehmen mehr, Auskunftsersuchen staatlicher Stellen zur Zuordnung von dynamischen IP-Adressen zu Bestandsdaten zu entsprechen. Die mit der streitgegenständlichen Anordnung durchzusetzende Verpflichtung folgt auch nicht aus anderen Vorschriften des 7. Teils des Gesetzes.
40aa. § 113 Abs. 1 S. 1 bis 3 TKG n. F. scheidet als Grundlage für die statuierte Auskunftsverpflichtung aus. § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG n. F. bestimmt: Wer geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt, darf nach Maßgabe des Absatzes 2 die nach den §§ 95 und 111 erhobenen Daten nach Maßgabe dieser Vorschrift zur Erfüllung von Auskunftspflichten gegenüber den in Absatz 3 genannten Stellen verwenden. Nach § 113 Abs. 1 Satz 3 TKG n.F. dürfen die in eine Auskunft aufzunehmenden Daten auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse bestimmt werden; hierzu dürfen Verkehrsdaten auch automatisiert ausgewertet werden.
41Diese Bestimmungen sind dahingehend auszulegen, dass sie als datenschutzrechtliche Öffnungsklausel lediglich eine Übermittlungsbefugnis regeln, die berechtigten Stellen aber nicht zum Bestandsdatenabruf ermächtigen und – korrespondierend – die Diensteanbieter auch nicht zur Übermittlung verpflichten.
42So auch Dalbry, CR 2013, 361 (362, 364); Eckhardt, in: Geppert/Schütz (Hrsg.), Beck’scher TKG-Kommentar, 4. Auflage 2013, § 113 Rn. 18; Seidl/Albrecht, VR 2014, 126 (127).
43(1) Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut. Die Grundnorm § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG n. F. bestimmt nicht, dass das Telekommunikationsunternehmen Auskünfte zu erteilen hat, sondern welche Daten der Anbieter „zur Erfüllung von Auskunftspflichten“ übermitteln „darf“. Anderweitig geregelte Auskunftspflichten werden also vorausgesetzt. Auch § 113 Absatz 1 Satz 3 TKG n. F., der die hier in Rede stehende Auskunft über den Inhaber einer dynamischen IP-Adresse – unter zweimaliger Verwendung des Verbs „dürfen“ – ausdrücklich regelt, begründet keine Auskunftsverpflichtung. Er ist vielmehr eine „Maßgabe dieser Vorschrift“ im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 und konkretisiert die Datenübermittlungsbefugnis dahingehend, dass die Telekommunikationsunternehmen zur Auswertung von Verkehrsdaten zwecks Auskunftserteilung zu einer IP-Adresse befugt sind, besagt aber nichts über eine entsprechende Verpflichtung und damit die Befugnis staatlicher Stellen zum Datenabruf.
44(2) Systematische Erwägungen bestätigen dieses Verständnis des § 113 Abs. 1 TKG n. F. Nach Absatz 2 Satz 1 darf die Auskunft nur erteilt werden, soweit eine in Absatz 3 genannte Stelle dies in Textform im Einzelfall zu bestimmten Zwecken unter Angabe einer gesetzlichen Bestimmung verlangt, die ihr eine Erhebung der in Absatz 1 in Bezug genommenen Daten erlaubt. Erneut wird das Verb „dürfen“ verwendet. Ferner verweist die Bestimmung auf die fachgesetzlichen Eingriffsgrundlagen. Durch die Bezugnahme auf eine anderweitige Normierung wird – wie schon durch die Formulierung „zur Erfüllung von Auskunftspflichten“ in Absatz 1 Satz 1 – verdeutlicht, dass nicht § 113 Abs. 1 TKG n. F. den staatlichen Stellen den Datenzugriff erlaubt, sondern die Abrufberechtigung und Auskunftsverpflichtung anderweitig geregelt sein müssen. § 113 TKG n. F. bestimmt nur grundlegend, für welche Zwecke die Daten verwendet werden dürfen und befreit die Telekommunikationsunternehmen insoweit von ihren im Übrigen geltenden Geheimhaltungspflichten.
45Vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a. -, BVerfGE 125, 260 = juris, Rn. 194 f. (zu § 113b Satz 1 und § 113 Abs. 1 TKG a. F.).
46§ 113 Abs. 1 TKG n. F. öffnet also die bei privaten TK-Anbietern vorhandenen Datenbestände für die staatliche Aufgabenwahrnehmung.
47Vgl. Seidl/Albrecht, VR 2014, 126 (128); Dalbry, CR 2013, 361 (362),
48Die Vorschrift verschafft dem Staat aber noch keinen Zugriff auf die Daten. Ob die berechtigten staatlichen Stellen Daten abrufen dürfen, welche Daten sie unter welchen Umständen von Telekommunikationsunternehmen wie der Klägerin verlangen und sodann verwenden dürfen, bestimmt das jeweils für die Ermittlungsbehörden und sonstigen staatlichen Stellen im Sinne des Absatzes 3 geltende Fachrecht. Schließlich wird diese Auslegung bestätigt durch § 113 Abs. 2 Satz 4 TKG n. F., wonach die Verantwortung für die Zulässigkeit des Auskunftsverlangens die in Absatz 3 genannten Stellen tragen.
49(3) Dieses Verständnis des § 113 Abs. 1 TKG n. F. als einer datenschutzrechtlichen Öffnungsklausel, die keine Verpflichtung der Diensteanbieter zur Datenübermittlung begründet, ist auch nach dem entstehungsgeschichtlich belegten Sinn und Zweck der Vorschrift sowie aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG a. F. hatte, wer geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbrachte, im Einzelfall den zuständigen Stellen auf deren Verlangen unverzüglich Auskünfte über die nach den §§ 95 und 111 erhobenen Daten zu erteilen, soweit dies für die Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erforderlich war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bot § 113 TKG a. F., der im Unterschied zu § 113 Abs. 1 Satz 1 TKG n. F. nicht eine bloße Befugnis („darf“), sondern eine Verpflichtung („hat zu erteilen“) statuierte, bei verfassungskonformer Auslegung aus kompetenzrechtlichen sowie rechtsstaatlichen Gründen keine rechtliche Grundlage für derartige Auskunftsersuchen.
50BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 -, a. a. O., Rn. 108 ff.
51Eine Auskunftspflicht kann nur durch eigene fachrechtliche – gegebenenfalls landesrechtliche – Ermächtigungsgrundlagen begründet werden, die eine Verpflichtung der Telekommunikationsdiensteanbieter gegenüber den jeweils abrufberechtigten Behörden eigenständig und normenklar begründen. Da die identifizierende Zuordnung von dynamischen IP-Adressen in weitem Umfang eine Deanonymisierung von Kommunikationsvorgängen im Internet ermöglicht und deshalb in das Grundrecht der Nutzer von Telekommunikationsmitteln auf Wahrung des Telekommunikationsgeheimnisses aus Art. 10 Abs. 1 GG eingreift, durfte § 113 TKG a. F. mangels hinreichend normenklarer Regelung nicht zur Zuordnung dynamischer IP-Adressen angewendet werden.
52BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 -, a. a. O., Rn. 108 ff.
53Bei der Regelung eines Datenaustauschs zur staatlichen Aufgabenwahrnehmung ist zunächst zwischen der Datenübermittlung seitens der auskunftserteilenden Stelle und dem Datenabruf seitens der auskunftsuchenden Stelle zu unterscheiden. Ein Datenaustausch vollzieht sich durch die einander korrespondierenden Eingriffe von Abfrage und Übermittlung, die jeweils einer eigenen Rechtsgrundlage bedürfen. Der Gesetzgeber muss, bildlich gesprochen, nicht nur die Tür zur Übermittlung von Daten öffnen, sondern auch die Tür zu deren Abfrage. Erst beide Rechtsgrundlagen gemeinsam, die wie eine Doppeltür zusammenwirken müssen, berechtigen zu einem Austausch personenbezogener Daten.
54BVerfG, Beschluss vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 -, a. a. O., Rn. 123.
55Das Erfordernis einer fachgesetzlichen Abrufnorm – außerhalb des Telekommunikationsgesetzes – ergibt sich schon aus kompetenzrechtlichen Überlegungen. Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG ermächtigt kraft Sachzusammenhangs auch zu den zugehörigen datensicherheitsrechtlichen Bestimmungen. Der Gesetzgeber darf Regelungen treffen, die notwendig sind, damit die Übermittlung der Daten an die berechtigten staatlichen Stellen und ihre Verwendung zur Erteilung von Auskünften den grundrechtlichen Anforderungen von Art. 10 Abs. 1 GG genügen, und damit die Voraussetzungen für die mögliche Verwendung der bei den Telekommunikationsunternehmen gespeicherten Daten für die öffentliche Aufgabenwahrnehmung festlegen. Die Ermächtigung zum Abruf der Daten ist auf der Grundlage jeweils derjenigen Kompetenznorm zu schaffen, die die Gesetzgebung für die mit der Datenverwendung verfolgten Aufgaben regelt, mit der Folge, dass die Länder insbesondere im Bereich der Gefahrenabwehr zuständig sind.
56Vgl. BVerfG, Urteile vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 u.a. -, a. a. O., juris, Rn. 200 ff., 264 ff., und vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 -, a. a. O., juris, Rn. 166 f.
57Eine Inpflichtnahme Privater gehört nicht mehr zur Bestimmung der Grenzen des Datenschutzes, sondern ist untrennbarer Bestandteil des Datenabrufs. Weil der Bund auf der Grundlage des Art. 73 Abs. 1 Nr. 7 GG nur die Öffnung der Datenbestände für die staatliche Aufgabenwahrnehmung regeln kann, nicht aber auch den Zugriff auf diese Daten selbst, muss die Inpflichtnahme der Telekommunikationsdiensteanbieter als privater Auskunftspersonen in Materien, die der Regelung der Länder vorbehalten sind, in der Abrufnorm geregelt werden.
58BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2012 - 1 BvR 1299/05 -, a. a. O., Rn. 167.
59Auch mit Rücksicht auf den Grundsatz der Normenklarheit war § 113 Abs. 1 TKG a. F. so auszulegen, dass er für die Datenabfrage in Form eines unmittelbar an private Dritte gerichteten Auskunftsverlangens spezifische Rechtsgrundlagen voraussetzte, die eine Auskunftsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen eigenständig begründen. Es bedarf mit Blick auf die Grundrechte der Kunden auf informationelle Selbstbestimmung und Wahrung des Fernmeldegeheimnisses, die durch gesetzlich angeordnete Auskunftspflichten (mittelbar) beeinträchtigt werden, qualifizierter – bundes- oder landesrechtlicher – Abrufnormen, die über eine schlichte Datenerhebungsbefugnis hinausgehen.
60Vgl. BVerfG, Urteil vom 24. Januar 2012- 1 BvR 1299/05 -, a. a. O., Rn. 168; BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 6 C 23.02 -, BVerwGE 119, 123 = juris, Rn. 18 ff.
61Der Gesetzgeber hat sich bei der Neuregelung der Bestandsdatenauskunft an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientiert und sich ausweislich der Gesetzesbegründung auf die Umsetzung der gerichtlichen Vorgaben beschränkt. Das Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vom 20. Juni 2013, das die Neufassung des § 113 TKG, aber auch Änderungen der StPO, des BKA-Gesetzes und anderer Fachgesetze enthält, „bezweckt die Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Januar 2012. […] Ziel des Gesetzes ist, klare Bestimmungen zu treffen, gegenüber welchen Behörden die Telekommunikationsanbieter zur Datenübermittlung verpflichtet sein sollen, insoweit findet eine Konkretisierung der Vorschriften für die berechtigten Behörden in den jeweiligen Fachgesetzen statt. Die Neuregelung beschränkt sich auf die Umsetzung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.“ (BT-Drs. 17/12034, S. 10). Zu § 113 TKG heißt es, eine Berechtigung der genannten Stellen sei nur gegeben, soweit eine gesetzliche Bestimmung unter Bezugnahme auf § 113 TKG die Erhebung der Daten erlaube (S. 10). Ferner greift der Gesetzgeber ausdrücklich das Bild der Doppeltür auf und führt aus, die konkreten Normen, die zum Abruf berechtigten, fänden sich in den jeweils einschlägigen Fachgesetzen des Bundes, sofern ihm die Gesetzgebungskompetenz zustehe (S. 12). Die Voraussetzungen für die Bestandsdatenauskunft seien nicht (mehr) in § 113 TKG geregelt. „Vielmehr soll 113 TKG zukünftig nur noch die datenschutzrechtlichen Übermittlungsbefugnisse für die Telekommunikationsanbieter und damit zusammenhängende Verfahrensfragen regeln (erste Tür). Die eigentlichen Erhebungsbefugnisse der Behörden sind entsprechend dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts jeweils fachspezifisch zu regeln (zweite Tür). […] Die Voraussetzungen der Auskunftserteilung sind deshalb ausschließlich im jeweiligen Fachrecht zu verankern.“ (S. 20) Zu der Abrufnorm § 100j StPO heißt es etwa, sie begründe die Auskunftspflicht der Telekommunikationsunternehmen über Bestandsdaten (S. 11). Die Änderungen in der StPO, im Bundeskriminalamtsgesetz, im Bundespolizeigesetz, im Bundesverfassungsschutzgesetz und im Zollfahndungsdienstgesetz enthielten konkrete Ermächtigungen zum Auskunftsverlangen von Daten anhand einer zu bestimmten Zeitpunkten zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse (S. 11).
62bb. Die ausgesprochene Verpflichtung, Auskunftsersuchen zu beantworten – und zwar auch dann, wenn hierfür zunächst Verkehrsdaten auszuwerten sind –, ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht aus § 113 Abs. 1 Satz 4 TKG n. F. Danach „sind“ für die Auskunftserteilung nach Satz 3 sämtliche unternehmensinternen Datenquellen zu berücksichtigen. Damit wird ungeachtet des Imperativs schon keine eigenständige telekommunikationsrechtliche Verpflichtung begründet. Insbesondere folgt daraus nicht die von der Bundesnetzagentur für sich in Anspruch genommene „Dachkompetenz“ für alle Fragen, wie Auskunftsersuchen der Fachbehörden zu beantworten seien. Die Bestimmung lässt gerade angesichts der ausdrücklichen Erwähnung von Verkehrsdaten im vorstehenden Satz 3 – allein im Sinne einer Befugnis zu deren automatisierter Auswertung – schon nicht den Schluss darauf zu, dass damit eine Pflicht zur Auswertung von Verkehrsdaten im Einzelfall begründet wird. Ferner fehlt es angesichts der Formulierung „sind zu berücksichtigen“ an einer normenklaren Begründung einer entsprechenden Verpflichtung. Diese wäre auch ein Fremdkörper im § 113 Abs. 1 TKG n. F., der – wie vorstehend dargelegt – lediglich eine datenschutzrechtliche Öffnungsklausel ist. Auch unter Berücksichtigung von Absatz 1 Satz 1 und mit Blick auf den dort in Bezug genommenen Absatz 2 ist nicht davon auszugehen, dass durch § 113 Abs. 1 Satz 4 TKG n. F. eine eigenständige telekommunikationsrechtliche (Auskunfts-)Verpflichtung begründet wird; vielmehr ist auch diese Bestimmung lediglich als eine Maßgabe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 zu verstehen. Dass der Gesetzgeber selbst davon ausgegangen ist, hiermit werde keine Verpflichtung begründet, bestätigt § 115 Abs. 2 TKG, wonach insoweit kein Zwangsmittel vorgesehen ist; genannt werden – anders als in der vorherigen Fassung – nur noch § 113 Abs. 4 und 5 TKG n. F.
63Selbst wenn man annähme, § 113 Abs. 1 Satz 4 TKG n. F. begründe die Verpflichtung der Klägerin, zur Ermöglichung der Auskunft zu dynamischen IP-Adressen auf Verkehrsdaten zuzugreifen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Die Bundesnetzagentur hat die Klägerin ausweislich des Tenors und der Begründung der Anordnung nicht verpflichtet, nach Fachrecht berechtigte Auskunftsverlangen dahingehend zu bearbeiten, dass mit Hilfe von Verkehrsdaten die Bestandsdaten ermittelt werden. Sie hat die Klägerin vielmehr – dem damaligen Rechtsverständnis entsprechend – ohne Einschränkung hinsichtlich der Voraussetzungen verpflichtet, Auskunftsersuchen „nach § 113 TKG“ zu dynamischen IP-Adressen zu entsprechen. Angeordnet ist, wie bereits ausgeführt, das „Ob“ der Auskunftserteilung, nicht geregelt werden hingegen einzelne Modalitäten der Ermittlung bestimmter Daten. Die Klägerin wäre nach der Anordnung etwa auch dann zur Auskunft verpflichtet, wenn das Fachrecht dynamische IP-Adressen gar nicht oder nicht in verfassungsrechtlich zulässigerweise in den Kreis der zu übermittelnden Daten aufgenommen hätte. Eine Anpassung an die aktuelle Rechtslage und darauf fußende Anliegen der Bundesnetzagentur ist nicht erfolgt.
64cc. Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht eine Auskunftsverpflichtung, die die hier streitgegenständliche Anordnung rechtfertigte, auch nicht nach § 113 Abs. 4 Satz 1 TKG n. F. Danach hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt, die zu beauskunftenden Daten unverzüglich und vollständig zu übermitteln.
65Die Vorschrift begründet keine eigenständige Auskunftsverpflichtung. Abgesehen davon, dass der Gesetzgeber die Auskunftsermächtigungen und ‑verpflichtungen dem Fachrecht zuordnen wollte und zugeordnet hat, genügt diese Bestimmung nicht den oben dargestellten Anforderungen an eine Abrufnorm, die den Diensteanbieter zur Auskunft verpflichtet. Nach der Gesetzesbegründung soll es sich um eine „Klarstellung zur Verpflichtung zur Auskunftserteilung“ handeln (BT-Drs. 17/12034, S. 12). Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung besteht aber nur nach dem Fachrecht. Zudem wäre unklar, was die „zu beauskunftenden Daten“ sind, d.h. ob insoweit die Vorgaben des § 113 Abs. 2 Satz 1 TKG n. F. oder die des (ggf. abweichenden landesrechtlichen) Fachgesetzes gelten sollen. Absatz 4 regelt danach – jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung – nicht, welche Daten der Diensteanbieter wie ermitteln und wem gegenüber beauskunften muss.
66Bestimmt wird danach allenfalls, wie der Diensteanbieter die nach Fachrecht zu erteilenden Auskünfte zu übermitteln hat: unverzüglich und vollständig. In der Anordnung dieser Modalitäten der Auskunftserteilung erschöpft sich die Vorschrift. Die Bundesnetzagentur hat die Klägerin aber nicht verpflichtet, die nach dem jeweiligen Fachrecht berechtigterweise verlangten Daten unverzüglich (und vollständig) zu erteilen. Sie hat die materielle Verpflichtung ausgesprochen, die zu einer mitgeteilten dynamischen IP-Adresse gehörenden Bestandsdaten unverzüglich zu übermitteln – und zwar auch dann, wenn zu deren Feststellung eine Auswertung von Verkehrsdaten erforderlich ist – und ihr der Zugriff auf diese Verkehrsdaten im Einzelfall möglich ist.
67dd. Auch § 113 Abs. 5 Satz 1 TKG n. F. begründet nicht die angeordnete Verpflichtung, Auskünfte zu erteilen. Danach müssen die Dienstanbieter die in ihrem Verantwortungsbereich für die Auskunftserteilung erforderlichen Vorkehrungen auf ihre Kosten treffen. Ob die Bundesnetzagentur, wie sie anführt, unter Bezug darauf nach § 115 Abs. 1 TKG anordnen könnte, dass ein Telekommunikationsunternehmen ein Tool zur Datenermittlung "on the fly" bereitzustellen hat, kann offen bleiben. Eine entsprechende Anordnung hat sie der Klägerin gegenüber nicht getroffen.
68c. Dass die auf Ersuchen des Landeskriminalamts ergangene Verpflichtung der Klägerin, mitgeteilten dynamischen IP-Adressen Bestandsdaten zuzuordnen, aufgrund der dualen Gesetzessystematik nach § 115 TKG n. F. nicht möglich ist, veranschaulicht der vorliegende Fall. Für das Landeskriminalamt gilt, da es gemäß § 2 Abs. 1 POG NRW Polizeibehörde des Landes ist, der ebenfalls zum 1. Juli 2013 eingeführte § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PolG NRW, der eine Auskunftsverpflichtung zu Bestandsdaten regelt und bestimmt, dass die Auskunft auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden darf. Allerdings sind die Voraussetzungen für einen Datenabruf im nordrhein-westfälischen Landesrecht wesentlich enger als § 113 Abs. 2 TKG n. F. dies vorgibt. Die Maßnahmen sind nach § 20a Abs. 1 Satz 2 PolG NRW nur zulässig, wenn die hohe Wahrscheinlichkeit eines Schadens für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person besteht oder zur Abwehr einer gemeinen Gefahr und nur, soweit die Erreichung des Zwecks der Maßnahme auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Diese engen Voraussetzungen finden aber im Tenor der angegriffenen Verfügung keinen Niederschlag, die vielmehr allgemein zur Beantwortung von Auskunftsersuchen „nach § 113 TKG“ zu dynamischen IP-Adressen verpflichtet.
692. Abgesehen davon fehlte es an einer fehlerfreien Ermessensausübung. Die Bundesnetzagentur ist im Bescheid vom 19. Januar 2011 davon ausgegangen, die Anordnung sei geeignet, Verstößen gegen die sich aus § 113 TKG ergebende Auskunftspflicht künftig entgegenzuwirken, und erforderlich, da sich die Klägerin weigere, Bestandsdaten nach § 113 TKG zu übermitteln. Im Widerspruchsbescheid wird ausgeführt, die Anordnung solle klarstellen, dass Anfragen von Sicherheitsbehörden unter Mitteilung einer dynamischen IP-Adresse unter § 113 TKG fielen und grundsätzlich beantwortet werden müssten. Diese Erwägungen sind nach der derzeitigen Rechtslage ermessensfehlerhaft. Bei Dauerverwaltungsakten muss die Behörde ihre Ermessensausübung unter Kontrolle halten. Nach derzeitiger Rechtsgrundlage begründet § 113 TKG aber keine Auskunftsverpflichtung, vielmehr besteht nun eine duale Gesetzessystematik.
70Abgesehen davon, dass dies eine Neufassung auch des Tenors der Anordnung erfordert hätte, hat die Bundesnetzagentur jedenfalls diesen Ermessensfehler nicht durch das Nachschieben von Ermessenserwägungen geheilt. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 27. Oktober 2014, in dem erstmals näher zur neuen Rechtslage Stellung genommen wird, genügen schon nicht den formellen Anforderungen an ein Nachschieben von Ermessenserwägungen. Wird die Änderung von Ermessenserwägungen erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich.
71Vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 -, juris, und vom 13. Dezember 2011 - 1 C 14.10 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 2014 - 13 A 2018/11 -, NWVBl. 2014, 314 = juris, Rn. 224.
72Daran fehlt es hier. Überdies hätte es näherer Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit einer solchen Anordnung bedurft. Zum einen sehen die Fachgesetze nunmehr jeweils eine ausdrückliche Rechtsgrundlage dafür vor, Auskunft anhand einer zu bestimmten Zeitpunkten zugewiesenen IP-Adresse zu verlangen, und bestimmen ebenfalls, dass die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich zu übermitteln sind (vgl. nur § 100j Abs. 2 und 3 StPO, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 3 PolG NRW), so dass die Frage zu beantworten wäre, ob es der streitgegenständlichen Anordnung heute noch bedarf. Zum anderen können die berechtigten staatlichen Stellen bei der Verweigerung von Auskünften, die sie auf der Grundlage des jeweiligen Fachgesetzes von der Klägerin berechtigterweise verlangen können – auch diese Prüfung obliegt der jeweiligen Fachbehörde –, die dort vorgesehenen Ordnungs- und Zwangsmittel ergreifen (vgl. ausdrücklich § 100j Abs. 5 Satz 2 i. V. m. § 95 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 70 StPO; dazu BT-Drs. 17/12034, S. 13). Ein Einschreiten durch die Bundesnetzagentur hätte also jedenfalls die begründete Feststellung erfordert, dass eine effiziente Durchsetzung der Pflicht zur unverzüglichen Auskunftserteilung mit Hilfe dieser Vorschriften nicht gewährleistet wäre, etwa dass solche Maßnahmen bei der Auskunftserteilung zu dynamischen IP-Adressen wegen der Zeitgebundenheit stets zu spät kämen oder es aus Gründen der Gefahrenabwehr erforderlich wäre, dass sie von ihrer behaupteten „Dachkompetenz“ Gebrauch mache. Weiterhin hätte die Bundesnetzagentur erwägen müssen, ob ein Einschreiten noch geboten ist, nachdem die Klägerin – wenn auch unter dem Druck der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung – inzwischen seit Jahren die Auskünfte erteilt hat und Beschwerden der Ermittlungsbehörden nicht bekannt geworden sind. Sind damit die geltend gemachten technischen Hinderungsgründe wohl ausgeräumt und mit der geänderten Rechtslage auch einige der rechtlichen Einwände obsolet, hätte es näherer Feststellungen dazu bedurft, dass die Anordnung gleichwohl erforderlich bleibt, etwa weil die Klägerin auch künftig entsprechende Auskunftsersuchen ablehnen werde.
73III. Die rechtswidrige Anordnung verletzt die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Berufsausübungsfreiheit.
74Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 2. März 2010 - 1 BvR 256/08 -, a. a. O., Rn. 293 ff.
75Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
76Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären, weil sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte.
77Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
78Die Revision ist zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.