Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 08. Juni 2015 - 2 M 29/15

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2015:0608.2M29.15.0A
bei uns veröffentlicht am08.06.2015

Gründe

1

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

2

Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine abweichende Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den sinngemäßen Antrag des Antragstellers, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, ihn abzuschieben, zu Recht abgelehnt.

3

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stehe ihm nicht zu. Insbesondere ergebe sich ein solcher Anspruch nicht aus dem hier allein in Betracht zu ziehenden § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Ausreise des Antragstellers sei nicht unmöglich. Nachdem der seit Jahren wegen fehlender Heimreisedokumente geduldete Antragsteller nunmehr einen gültigen Reisepass vorgelegt habe, stehe seiner Ausreise kein Hinderungsgrund mehr entgegen. Andere hier maßgebliche Ausreisehindernisse seien weder glaubhaft gemacht noch ersichtlich. Diese ergäben sich auch nicht aus der von ihm geltend gemachten Integration. Es sei nicht ersichtlich, dass er faktisch so stark integriert sei, dass ihm das Verlassen der Bundesrepublik nicht zumutbar sei. Der geplanten Durchsetzung der Abschiebung stehe auch die Regelung des § 81 Abs. 3 AufenthG nicht entgegen, weil der Antragsteller zu keinen Zeitpunkt über einen Aufenthaltstitel verfügt habe, sondern im Bundesgebiet stets nur geduldet gewesen sei. Eine Erlaubnisfiktion nach § 81 Abs. 3 AufenthG trete deshalb infolge seines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nicht ein.

4

Das Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung.

5

1. Zu Unrecht rügt der Antragsteller, der Antragsgegner habe mit der Abschiebungsankündigung vom 05.03.2015, mit der ihm die Abschiebung nach Indien für den 09.03.2015 angekündigt wurde, gegen die Vorschrift des § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG verstoßen, wonach die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden soll. Die Vorschrift ist im vorliegenden Fall nicht anwendbar, denn sie gilt nur für den Fall, dass der Ausländer aus der Haft oder dem sonstigen öffentlichen Gewahrsam abgeschoben werden soll (vgl. OVG NW, Beschl. v. 05.09.2011 – 18 B 960/11 –, juris RdNr. 4). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Eine Abschiebungsankündigung war auch nicht nach § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG erforderlich. Hiernach ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen, wenn die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt ist; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Die Vorschrift betrifft nur die Fälle des Widerrufs der Duldung. Ein solcher Widerruf erfolgte hier jedoch nicht. Auch ein Fall des Erlöschens der Duldung durch den Eintritt einer aufschiebenden Bedingung, in dem die Vorschrift des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entsprechend anzuwenden sein kann (vgl. Beschl. d. Senats v. 17.08.2010 – 2 M 124/10 –, juris RdNr. 4), liegt hier nicht vor. Vielmehr sollte die dem Antragsteller am 05.03.2015 angekündigte Abschiebung zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem die ihm erteilte Duldung bereits durch Ablauf ihrer Geltungsdauer erloschen war. In derartigen Fällen ist eine Abschiebungsankündigung nicht erforderlich. Das in § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG a.F. noch enthaltene Erfordernis, die vorgesehene Abschiebung auch für den Fall des Erlöschens der Duldung durch Ablauf ihrer Geltungsdauer vorher anzukündigen, wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970) mit Wirkung zum 28.08.2007 gestrichen, weil sich die Ankündigungspflicht in diesen Fällen nach Auffassung des Gesetzgebers als problematisch erwiesen hatte (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 188). Die Streichung der obligatorischen Abschiebungsankündigung bei Ablauf der Gültigkeit der Duldung beruhte letztlich auf der Überlegung, dass der Ausländer sich mit dem Ablauf der Duldung auf den Vollzug der Ausreisepflicht einzustellen und entsprechende Vorkehrungen zu treffen hat (vgl. VG Oldenburg, Urt. v. 15.05.2013 – 11 A 3664/12 –, juris RdNr. 17). Hiernach bedurfte es der Abschiebungsankündigung vom 05.03.2015 nicht, denn die dem Antragsteller am 27.01.2015 erteilte Duldung war bis zum 27.02.2015 befristet und der Antragsteller daher im Zeitpunkt der geplanten Abschiebung am 09.03.2015 nicht mehr Inhaber einer Duldung. Erst am 10.03.2015 wurde dem Antragsteller erneut eine befristete Duldung erteilt.

6

Eine Androhung der Abschiebung unter Bestimmung einer Ausreisefrist erfolgte bereits in dem – bestandskräftigen – Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.03.2004. Einer erneuten Abschiebungsandrohung oder der erneuten Setzung einer Ausreisefrist bedurfte es nicht.

7

2. Entgegen der Ansicht des Antragstellers findet die Regelung des § 81 Abs. 3 AufenthG auch bei einer langjährigen Duldung keine Anwendung. Mit einem Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis kann eine Erlaubnis- oder Duldungsfiktion nach § 81 Abs. 3 Satz 1 oder 2 AufenthG nur dann eintreten, wenn sich der Ausländer ohne Aufenthaltstitel rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die dem Antragsteller erteilten Duldungen begründeten keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Duldungen lassen die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht vielmehr unberührt, wie § 60a Abs. 3 AufenthG ausdrücklich klarstellt. Von § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG erfasst werden andere Fälle, insbesondere die des § 81 Abs. 2 AufenthG sowie die Fälle, in denen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zunächst eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels gegeben war (Beschl. d. Senats v. 08.09.2010 – 2 M 90/10 –, juris RdNr. 11 m.w.N.).

8

3. Dem Antragsteller steht – bei summarischer Prüfung – auch kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u.a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Völkervertragsrecht – etwa aus Art. 8 EMRK – in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 – BVerwG 1 C 14.05 –, juris RdNr. 17). Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Im Rahmen dieser Schrankenprüfung ist die aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgende Rechtsposition des Ausländers gegen das Recht des Konventionsstaats zur Einwanderungskontrolle im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen. Hierbei ist den Konventionsstaaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Einwanderung in ihr Hoheitsgebiet zulassen wollen (vgl. VGH BW, Urt. v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10 –, juris RdNr. 26 m.w.N.). Eine Verletzung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt allerdings bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.2009 – BVerwG 1 C 40.07 –, juris RdNr. 20 ff.). Ob eine solche Fallgestaltung vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland und zum anderen von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab (Beschl. d. Senats v. 02.09.2010 – 2 M 96/10 –, juris RdNr. 11 und Beschl. v. 13.09.2010 – 2 M 132/10 –, juris RdNr. 6). Das Ausmaß der Verwurzelung bzw. die für den Ausländer mit einer "Entwurzelung" verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen. Von erheblichem Gewicht sind dabei die Dauer des Aufenthalts, wo der Ausländer die Schulzeit verbracht hat und geprägt wurde, sowie der Schulabschluss und die Deutschkenntnisse, die er erworben hat. Was die berufliche Verwurzelung in Deutschland betrifft, ist zu prüfen, ob der Ausländer berufstätig und dadurch in der Lage ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dauerhaft zu sichern, und ob er über längere Zeit öffentliche Sozialleistungen bezogen hat. Ferner ist von Bedeutung, ob der Betreffende eine Berufsausbildung absolviert hat und ihn diese Ausbildung gegebenenfalls für eine Berufstätigkeit qualifiziert, die nur oder bevorzugt in Deutschland ausgeübt werden kann. Bei der sozialen Integration ist das Ausmaß sozialer Bindungen bzw. Kontakte des Ausländers außerhalb der Kernfamilie von Belang. Auch strafrechtliche Verurteilungen sind in die Betrachtung einzustellen. Von besonderer Bedeutung für die Frage der Verwurzelung ist grundsätzlich auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts (BVerwG, Urt. v. 30.04.2009 – BVerwG 1 C 3.08 –, juris RdNr. 20 und Urt. v. 26.10.2010 – BVerwG 1 C 18.09 –, juris RdNr. 14; BayVGH, Urt. v. 23.11.2010 – 10 B 09.731 –, juris RdNr. 43; Beschl. d. Senats v. 23.06.2014 – 2 L 32/13 –, juris RdNr. 8). Alle diese Umstände sind im Wege einer Gesamtbewertung zu gewichten (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.01.2009 - BVerwG 1 C 40.07 - a.a.O. RdNr. 24).

9

Nach diesen Grundsätzen kann der Antragsteller nicht als "faktischer Inländer" angesehen werden. Er ist am (…) 1969 in Indien geboren und nach den Angaben in dem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 22.03.2004 erst im Jahr 1999 und damit in einem Alter von etwa 30 Jahren aus Indien ausgereist. Eine Reintegration in die indische Gesellschaft erscheint vor diesem Hintergrund nicht unmöglich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass sich der Antragsteller seit über 10 Jahren im Bundesgebiet aufhält, am 22.01.2015 vom Antragsgegner eine Beschäftigungserlaubnis erhalten und am 20.04.2015 einen befristeten Arbeitsvertrag abgeschlossen hat. Allein ein längerer (geduldeter) Aufenthalt und die Aufnahme einer Beschäftigung führen nicht zur Unzumutbarkeit einer Rückkehr in das Heimatland. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller bislang straffrei geblieben ist und über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse verfügt.

10

4. Die vom Antragsteller erwähnte Möglichkeit einer Verfestigung der ursprünglichen Heiratsabsicht mit Frau (K.) rechtfertigt keine andere Beurteilung. Eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung, die eine Aussetzung der Abschiebung rechtfertigen könnte, ergibt sich hieraus nicht.

11

5. Ein Anordnungsanspruch des Antragstellers lässt sich auch nicht aus der geplanten Regelung des § 25b AufenthG-E (vgl. BT-Drs. 18/4097 vom 25.02.2015) herleiten, denn diese Regelung ist bislang noch nicht in Kraft getreten.

12

6. Ein Anordnungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG. Nach dieser Vorschrift kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Ziel der Regelung ist es, vollziehbar ausreisepflichtigen Personen im Ermessenswege einen vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG verdichtet hat und tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorliegen (vgl. VGH BW, Beschl. v. 13.09.2007 – 11 S 1964/07 –, juris RdNr. 10). Dringende humanitäre oder persönliche Gründe sind solche, die noch nicht das Gewicht haben, um aus Rechtsgründen im Sinne des § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG einer Abschiebung entgegen zu stehen, deren Bedeutung und Gewicht jedoch so groß sind, dass sie grundsätzlich geeignet sind, eindeutig das öffentliche Interesse an der an sich sofort möglichen und zulässigen Aufenthaltsbeendigung zu überwiegen (vgl. Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, § 60a RdNr. 233). Dringende persönliche Gründe können insbesondere dann vorliegen, wenn die vorübergehende weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet diesem die Chance erhält, an einer Altfallregelung für nachhaltig integrierte Ausländer zu partizipieren, während andererseits durch die Abschiebung ein vollständiger Rechtsverlust droht (vgl. OVG NW, Beschl. v. 27.11.2007 – 17 B 1779/07 –, juris RdNr. 19 ff.). Hiernach spricht viel dafür, dass die geplante Regelung des § 25b AufenthG-E aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen in dem Sinne entfaltet, dass nachhaltig integrierte Ausländer, denen nach dieser Regelung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden soll, einen dringenden persönlichen Grund für ihre vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet bis zum Inkrafttreten der geplanten Neuregelung geltend machen können.

13

Es kann offen bleiben, ob der Antragsteller hieran gemessen einen dringenden persönlichen Grund für seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet geltend machen kann. Es bedarf insbesondere keiner Vertiefung, ob dem Antragsteller nach Maßgabe der geplanten Regelung des § 25b AufenthG-E eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen wäre. Im vorliegenden Fall liegt jedenfalls deshalb kein Anordnungsgrund vor, weil das dem Antragsgegner gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eingeräumte Ermessen nicht dahin reduziert ist, dass nur die derzeitige Unterlassung der Abschiebung in Betracht kommt. Das der Behörde nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG eingeräumte Ermessen ist grundsätzlich weit. Bei der Ermessensausübung kann insbesondere berücksichtigt werden, ob die Betreffenden ihren Mitwirkungsverpflichtungen (§ 15 AsylVfG; § 48 AufenthG) nachgekommen sind (vgl. Funke-Kaiser, a.a.O., § 60a RdNr. 231). Vor diesem Hintergrund besteht keine Verpflichtung des Antragsgegners, gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG von einer Abschiebung des Antragstellers abzusehen, da dieser es offenbar über Jahre hinweg unterlassen hat, an der erforderlichen Passbeschaffung mitzuwirken.

14

Eine Ermessensreduzierung folgt auch nicht aus dem Erlass des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt vom 03.07.2014 (Az.: 34.31-12231-83.3.8.9). Hierin werden die Ausländerbehörden lediglich gebeten, zu prüfen, ob der ausreisepflichtigen Person mit Blick auf § 25b AufenthG-E im Ermessenswege eine Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG erteilt werden kann. Ein Anspruch auf Duldung ergibt sich hieraus nicht.

15

7. Der Senat konnte über die Beschwerde entscheiden, ohne dem Antragsteller die im Schreiben vom 04.06.2015 beantragte Stellungnahmefrist bis zum 19.06.2015 einzuräumen. Aus § 146 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Satz 6 VwGO ergibt sich, dass das Beschwerdegericht nur solche vom Beschwerdeführer vorgetragenen Gründe berücksichtigen kann, die innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist vorgetragen wurden (VGH BW, Beschl. v. 30.11.2010 – 5 S 933/10 –, juris RdNr. 9; SächsOVG, Beschl. v. 28.04.2011 – 2 B 235/10 –, juris RdNr. 8; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 146 RdNr. 43). Die Beschwerdebegründungsfrist ist bereits mit Ablauf des 07.04.2015 abgelaufen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass der Antragsteller auf Grund der Akteneinsicht neue Tatsachen vorträgt, die nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist noch berücksichtigungsfähig sein können (vgl. VGH BW, Beschl. v. 30.11.2010 – 5 S 933/10 – a.a.O.; SächsOVG, Beschl. v. 28.04.2011 – 2 B 235/10 – a.a.O.).

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.


ra.de-Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 08. Juni 2015 - 2 M 29/15

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 08. Juni 2015 - 2 M 29/15

Referenzen - Gesetze

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 08. Juni 2015 - 2 M 29/15 zitiert 14 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Gesetz


Aufenthaltsgesetz - AufenthG

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 146


(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltun

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60a Vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung)


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 25 Aufenthalt aus humanitären Gründen


(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlau

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 81 Beantragung des Aufenthaltstitels


(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist. (2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist u

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 4 Erfordernis eines Aufenthaltstitels


(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 48 Ausweisrechtliche Pflichten


(1) Ein Ausländer ist verpflichtet, 1. seinen Pass, seinen Passersatz oder seinen Ausweisersatz und2. seinen Aufenthaltstitel oder eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebungauf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten B

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 25b Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration


(1) Einem Ausländer, der geduldet oder Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c ist, soll abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesre

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 08. Juni 2015 - 2 M 29/15 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 08. Juni 2015 - 2 M 29/15 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 23. Juni 2014 - 2 L 32/13

bei uns veröffentlicht am 23.06.2014

Gründe I. 1 Die Kläger begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, den Klägern stehe ein solcher Anspruch nicht zu. Die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 S. 1 AufenthG erfül

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 13. Dez. 2010 - 11 S 2359/10

bei uns veröffentlicht am 13.12.2010

Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Mai 2010 - 11 K 2236/09 - wird zurückgewiesen.Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene die Gerichtskosten und die außer

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 30. Nov. 2010 - 5 S 933/10

bei uns veröffentlicht am 30.11.2010

Tenor Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. April 2010 – 6 K 521/10 - geändert.Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspru

Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 27. Aug. 2010 - 2 B 235/10

bei uns veröffentlicht am 27.08.2010

Tenor Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. Juli 2010 – 10 L 446/10 – wird zurückgewiesen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 17. Aug. 2010 - 2 M 124/10

bei uns veröffentlicht am 17.08.2010

Gründe 1 Die zulässige Beschwerde ist begründet. 2 Das Verwaltungsgericht hat den geltend gemachten Anordnungsanspruch zu Unrecht verneint. 3 Der Antragsteller rügt zu Recht, dass der für morgen, den 18.08.2010 beabsichtigten Abschiebu

Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern Beschluss, 31. Mai 2010 - 2 M 132/10

bei uns veröffentlicht am 31.05.2010

Tenor Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald - 2. Kammer - vom 28. Mai 2010 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vo

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 13. Sept. 2007 - 11 S 1964/07

bei uns veröffentlicht am 13.09.2007

Tenor Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 31. Juli 2007 - 6 K 1459/07 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antra

Referenzen

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

2

Das Verwaltungsgericht hat den geltend gemachten Anordnungsanspruch zu Unrecht verneint.

3

Der Antragsteller rügt zu Recht, dass der für morgen, den 18.08.2010 beabsichtigten Abschiebung die Vorschrift des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG entgegensteht. Danach ist, wenn die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt ist, die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen. Auch wenn in der Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucks. 16/5065, S. 188) davon die Rede ist, dass (nur) die Ausländer, die aufgrund eines Widerrufs „des Aufenthaltstitels ausreisepflichtig wurden“, privilegiert werden, da ihre Ausreisepflicht nicht von vorn herein ersichtlich war, kann es unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik und des mit der Vorschrift verfolgten Zwecks nur um den Widerruf der Duldung zur Durchsetzung der Ausreisepflicht gehen (vgl. Zühlcke, ZAR 2007, 361 [363]). In Satz 2 des § 60a Abs. 5 AufenthG wird der Widerruf der Duldung als Rechtsfolge bei Wegfall der der Abschiebung entgegenstehenden Gründe genannt. Ferner will die Regelung des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG den Ausländer in seinem Interesse schützen, sich in seinen Lebensverhältnissen auf die bevorstehende Abschiebung einstellen zu können. Dies ist nicht nur beim Widerruf eines Aufenthaltstitels im Sinne des § 4 AufenthG von Belang, sondern gerade auch dann, wenn der Ausländer bereits langjährig geduldet ist.

4

Die Antragsgegnerin hat die dem Antragsteller erteilte und noch bis zum 15.09.2010 gültige Aussetzung der Abschiebung (Duldung) zwar nicht widerrufen; vielmehr ist sie aufgrund der in der Duldung enthaltenen Nebenbestimmung „mit der Bekanntgabe des Rückführungstermins“ erloschen. Aber auch auf diesen Fall ist, wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, die Vorschrift des § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG (entsprechend) anzuwenden. Dabei kann der Senat offen lassen, ob die Ausländerbehörde die Abschiebung immer anzukündigen hat, wenn eine Duldung durch den Eintritt einer auflösenden Bedingung erlischt. Sie ist es jedenfalls dann, wenn sie es aufgrund der Formulierung der Nebenbestimmung letztlich selbst in der Hand hat, den Eintritt der auflösenden Bedingung herbeizuführen und tatsächlich auch herbeiführt. Ein solches Vorgehen kommt einem Widerruf der Duldung gleich. Durch die Beifügung der Nebenbestimmung, dass die Duldung mit der Bekanntgabe des Rückführungstermins erlischt, hat es die Antragsgegnerin hier in der Hand gehabt, das Erlöschen der Duldung durch bloße Bekanntgabe des Rückführungstermins anstelle eines Widerrufs herbeizuführen.

5

Entgegen der Annahme der Vorinstanz erfüllt das Schreiben der Antragsgegnerin vom 09.02.2010 nicht die Voraussetzungen, die § 60a Abs. 5 Satz 4 AufenthG an eine Ankündigung der Abschiebung stellt; denn zu diesem Zeitpunkt war noch völlig offen, wann eine Abschiebung des Antragstellers möglich sein würde. Zwar muss in einer Abschiebungsankündigung nicht zwingend ein ganz bestimmtes Datum oder ein bestimmter Zeitraum, nach dessen Ablauf abgeschoben werden wird, benannt werden. Für den Ausländer muss sich jedoch hinreichend deutlich ergeben, wann in etwa mit einer Abschiebung zu rechnen ist. Andernfalls vermag die Ankündigung ihren Zweck nicht zu erfüllen. Deshalb darf eine Ankündigung erst erfolgen, wenn eine Abschiebung tatsächlich konkret vorbereitet und demgemäß unmittelbar vollzogen werden kann (vgl. zum Ganzen: Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, II - § 60a RdNr. 254, m. w. Nachw.). Die Abschiebungsankündigung darf nicht ohne jeden Anlass, gewissermaßen „auf Vorrat" ergehen. Es liegt kein Sinn darin, die Betroffenen, nur um dem Gesetz Genüge zu tun, in regelmäßigen Abständen zu veranlassen, ihre Ausreise vorzubereiten. Eine Ankündigung, die nicht in dem Sinne ernst gemeint ist, dass ihre Umsetzung auch tatsächlich im zeitlichen Zusammenhang zu erwarten ist, läuft Gefahr, auch nicht ernst genommen zu werden (OVG MV, Beschl. v. 13.09.2006 - 2 M 84/06 -, Juris).

6

Im Zeitpunkt der „Abschiebungsankündigung“ vom 09.02.2010 lagen weder ein gültiger Pass noch ein gültiges Passersatzpapier vor, so dass weiterhin eine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen bis auf weiteres nicht möglich war. Daran ändert auch nichts, dass der Antragsteller, der nach den Feststellungen in diesem Schreiben bereits seit dem 15.04.2000 vollziehbar ausreisepflichtig ist, aufgefordert wurde, diese Dokumente beizubringen.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47; 52 Abs. 2; 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.


(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Ein Aufenthaltstitel wird einem Ausländer nur auf seinen Antrag erteilt, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Aufenthaltstitel, der nach Maßgabe der Rechtsverordnung nach § 99 Abs. 1 Nr. 2 nach der Einreise eingeholt werden kann, ist unverzüglich nach der Einreise oder innerhalb der in der Rechtsverordnung bestimmten Frist zu beantragen. Für ein im Bundesgebiet geborenes Kind, dem nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel zu erteilen ist, ist der Antrag innerhalb von sechs Monaten nach der Geburt zu stellen.

(3) Beantragt ein Ausländer, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, die Erteilung eines Aufenthaltstitels, gilt sein Aufenthalt bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als erlaubt. Wird der Antrag verspätet gestellt, gilt ab dem Zeitpunkt der Antragstellung bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde die Abschiebung als ausgesetzt.

(4) Beantragt ein Ausländer vor Ablauf seines Aufenthaltstitels dessen Verlängerung oder die Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels, gilt der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde als fortbestehend. Dies gilt nicht für ein Visum nach § 6 Absatz 1. Wurde der Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels verspätet gestellt, kann die Ausländerbehörde zur Vermeidung einer unbilligen Härte die Fortgeltungswirkung anordnen.

(5) Dem Ausländer ist eine Bescheinigung über die Wirkung seiner Antragstellung (Fiktionsbescheinigung) auszustellen.

(5a) In den Fällen der Absätze 3 und 4 gilt die in dem künftigen Aufenthaltstitel für einen Aufenthalt nach Kapitel 2 Abschnitt 3 und 4 beschriebene Erwerbstätigkeit ab Veranlassung der Ausstellung bis zur Ausgabe des Dokuments nach § 78 Absatz 1 Satz 1 als erlaubt. Die Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit nach Satz 1 ist in die Bescheinigung nach Absatz 5 aufzunehmen.

(6) Wenn der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug zu einem Inhaber einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte gestellt wird, so wird über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Zweck des Familiennachzugs gleichzeitig mit dem Antrag auf Erteilung einer ICT-Karte oder einer Mobiler-ICT-Karte entschieden.

(7) Ist die Identität durch erkennungsdienstliche Behandlung gemäß § 49 dieses Gesetzes oder § 16 des Asylgesetzes zu sichern, so darf eine Fiktionsbescheinigung nach Absatz 5 nur ausgestellt oder ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt worden ist und eine Speicherung der hierdurch gewonnenen Daten im Ausländerzentralregister erfolgt ist.

(1) Ausländer bedürfen für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder auf Grund des Abkommens vom 12. September 1963 zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (BGBl. 1964 II S. 509) (Assoziationsabkommen EWG/Türkei) ein Aufenthaltsrecht besteht. Die Aufenthaltstitel werden erteilt als

1.
Visum im Sinne des § 6 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 3,
2.
Aufenthaltserlaubnis (§ 7),
2a.
Blaue Karte EU (§ 18b Absatz 2),
2b.
ICT-Karte (§ 19),
2c.
Mobiler-ICT-Karte (§ 19b),
3.
Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder
4.
Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU (§ 9a).
Die für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Rechtsvorschriften werden auch auf die Blaue Karte EU, die ICT-Karte und die Mobiler-ICT-Karte angewandt, sofern durch Gesetz oder Rechtsverordnung nichts anderes bestimmt ist.

(2) Ein Ausländer, dem nach dem Assoziationsabkommen EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht zusteht, ist verpflichtet, das Bestehen des Aufenthaltsrechts durch den Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachzuweisen, sofern er weder eine Niederlassungserlaubnis noch eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU besitzt. Die Aufenthaltserlaubnis wird auf Antrag ausgestellt.

(1) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn er als Asylberechtigter anerkannt ist. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unter den Voraussetzungen des § 53 Absatz 3a ausgewiesen worden ist. Bis zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gilt der Aufenthalt als erlaubt.

(2) Einem Ausländer ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Absatz 1 des Asylgesetzes oder subsidiären Schutz im Sinne des § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes zuerkannt hat. Absatz 1 Satz 2 bis 3 gilt entsprechend.

(3) Einem Ausländer soll eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 vorliegt. Die Aufenthaltserlaubnis wird nicht erteilt, wenn die Ausreise in einen anderen Staat möglich und zumutbar ist oder der Ausländer wiederholt oder gröblich gegen entsprechende Mitwirkungspflichten verstößt. Sie wird ferner nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer

1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen,
2.
eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat,
3.
sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen, oder
4.
eine Gefahr für die Allgemeinheit oder eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.

(4) Einem nicht vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer kann für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, solange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Eine Aufenthaltserlaubnis kann abweichend von § 8 Abs. 1 und 2 verlängert werden, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalls das Verlassen des Bundesgebiets für den Ausländer eine außergewöhnliche Härte bedeuten würde. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4a) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuches wurde, soll, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
seine Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre,
2.
er jede Verbindung zu den Personen, die beschuldigt werden, die Straftat begangen zu haben, abgebrochen hat und
3.
er seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.

Nach Beendigung des Strafverfahrens soll die Aufenthaltserlaubnis verlängert werden, wenn humanitäre oder persönliche Gründe oder öffentliche Interessen die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet erfordern. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(4b) Einem Ausländer, der Opfer einer Straftat nach § 10 Absatz 1 oder § 11 Absatz 1 Nummer 3 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes oder nach § 15a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes wurde, kann, auch wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist, für einen vorübergehenden Aufenthalt eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn

1.
die vorübergehende Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen dieser Straftat von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre, und
2.
der Ausländer seine Bereitschaft erklärt hat, in dem Strafverfahren wegen der Straftat als Zeuge auszusagen.
Die Aufenthaltserlaubnis kann verlängert werden, wenn dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers die zustehende Vergütung noch nicht vollständig geleistet wurde und es für den Ausländer eine besondere Härte darstellen würde, seinen Vergütungsanspruch aus dem Ausland zu verfolgen. Die Aufenthaltserlaubnis berechtigt nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.

(5) Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10. Mai 2010 - 11 K 2236/09 - wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Kläger je zur Hälfte; ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte und der Beigeladene jeweils selbst.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
Die im Jahre 1969 im Irak geborenen und aus Kirkuk stammenden Kläger zu 1 und 2 reisten mit ihren am 26.04.1997 und 01.11.1998 geborenen Kindern, den Klägern zu 3 und 4, am 26.07.1999 in das Bundesgebiet ein und stellten Asylanträge. Bei der Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 11.08.1999 gab der Kläger zu 1 zu seinen persönlichen Verhältnissen unter anderem an: Sein Vater sei Araber, seine Mutter Kurdin. Nach irakischem Gesetz sei er deshalb Araber. Er spreche Kurdisch und Arabisch, außerdem Türkisch und etwas Englisch. Er habe einen Fachhochschulabschluss Fachrichtung Metallbearbeitung und habe bis zu seiner Ausreise in Kirkuk eine Autowerkstatt für Auto-Elektrik betrieben. Der Kläger zu 1 legte verschiedene irakische Dokumente vor, unter anderem ein Abschlusszeugnis der Technischen Hochschule ..., eine Heiratsurkunde und Urkunden über die Staatsangehörigkeit sowie Personalausweise.
Mit Bescheid vom 29.10.1999 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte den Klägern die Abschiebung in den Irak an. Die hiergegen erhobenen Klagen wies das Verwaltungsgericht Stuttgart mit Urteil vom 24.01.2001 - A 13 K 14053/99 - ab. Seit Ende Oktober 1999 hielt sich die Familie nicht mehr in der ihr zugewiesenen Unterkunft auf. Am 23.01.2002 wurden die Kläger zu 1 bis 4 aus Schweden rücküberstellt, wo sie unter anderen Namen um Asyl nachgesucht hatten. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 05.02.2002 die Anträge auf Durchführung von weiteren Asylverfahren und die Anträge auf Abänderung des Bescheides vom 29.10.1999 bezüglich der Feststellungen zu § 53 AuslG ab. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies mit Urteil vom 15.04.2003 - A 2 K 10431/02 - die hiergegen erhobenen Klagen ab. Die Anträge der Kläger auf Zulassung der Berufung ruhten zunächst und wurden vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit Beschluss vom 30.08.2006 - A 2 S 290/05 - abgelehnt.
Die Kläger zu 1 bis 4 erhalten seit 31.01.2002 bis heute ununterbrochen Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung. Auch die im Bundesgebiet am 04.06.2004 geborene Klägerin zu 5, deren Asylantrag nach § 14a Abs. 2 AsylVfG mit Bescheid des Bundesamtes vom 21.02.2006 unanfechtbar abgelehnt worden ist, verfügt bis heute lediglich über Duldungen. Die Duldungen für die Familienmitglieder haben grundsätzlich eine Geltungsdauer von drei Monaten.
Am 08.07.2008 beantragten die Kläger durch ihre Prozessbevollmächtigte unter Berufung auf die sog. Altfallregelung und § 25 Abs. 5 AufenthG die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen. Sie machten geltend, sie seien im Bundesgebiet integriert. Die Kinder besuchten die Schule oder eine Kindertageseinrichtung. Die Kläger zu 1 und 2 seien mittlerweile erwerbstätig. Auch im Hinblick auf die psychischen Erkrankungen der Klägerinnen zu 2 und 3 seien sie unverschuldet an einer Ausreise in den Irak gehindert. Die Kläger legten unter anderem Stellungnahmen der Psychologischen Beratungsstelle für politisch Verfolgte und Vertriebene, Stuttgart (im Folgenden: PBV), Schulbescheinigungen und Zeugnisse für die Kläger zu 3 und 4 sowie Lohnabrechnungen vor.
Mit Verfügungen vom 18.12.2008 lehnte die Beklagte die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen ab und führte zur Begründung unter anderem aus: Da die Kläger erst Anfang 2002 aus Schweden nach Deutschland rücküberstellt worden seien, seien schon die zeitlichen Voraussetzungen für ein Bleiberecht nach der Anordnung des Innenministeriums Baden-Württemberg nach § 23 AufenthG über ein Bleiberecht für im Bundesgebiet wirtschaftlich und sozial integrierte ausländische Staatsangehörige vom 20.11.2006 und nach der Altfallregelung des § 104a AufenthG nicht erfüllt. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG lägen ebenfalls nicht vor. Hinsichtlich eines rechtlichen inlandsbezogenen Ausreisehindernisses aus Art. 8 EMRK fehle es bei den Eltern, den Klägern zu 1 und 2, an der notwendigen Integration. Auch sei davon auszugehen, dass diese mit den Lebensverhältnissen ihres Heimatlandes noch vertraut seien und eine Reintegration möglich und zumutbar sei. Bei den Klägern zu 3 bis 5 sei kein überdurchschnittliches Maß der Integration festzustellen. Der stets nur geduldeten Familie könne eine gemeinsame Ausreise in das Herkunftsland zugemutet werden. Auch seien die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 AufenthG nicht erfüllt. Der Lebensunterhalt sei nicht ohne - zusätzliche - Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert. Die Identität sei nicht geklärt, denn die Angaben zur Person beruhten ausschließlich auf Angaben der Kläger selbst, die in Schweden andere Personalien verwendet hätten. Schließlich werde auch die Passpflicht nicht erfüllt. Nach umfassender Gewichtung und Wertung sämtlicher Umstände des Falles und Abwägung der privaten Belange gegenüber dem öffentlichen Interesse komme eine Abweichung von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht in Betracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.05.2009, zugestellt am 11.05.2009, wies das Regierungspräsidium Stuttgart die gegen die Verfügungen erhobenen Widersprüche der Kläger zurück und führte mit Blick auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK aus: Die Kläger zu 1 und 2 seien seit ihrer Wiedereinreise in das Bundesgebiet im Januar 2002 zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts auf öffentliche Leistungen angewiesen gewesen. Auch bezüglich der Kläger zu 3 bis 5 seien keine besonderen Integrationsleistungen ersichtlich. Allein der Umstand, dass die Klägerin zu 5 im Bundesgebiet geboren sei und die Kläger zu 3 und 4 hier zur Schule gingen, rechtfertige nicht die Annahme, eine Rückkehr in den Irak sei ihnen unzumutbar. Sie hätten noch kein Alter erreicht, in dem ihnen ein Hineinwachsen in die Lebensumstände des Staates ihrer Staatsangehörigkeit in der Regel nicht mehr oder nur unter größten Schwierigkeiten gelingen könnte. Die Kläger zu 1 und 2 seien im Irak geboren und aufgewachsen und hätten diesen erst im Erwachsenenalter verlassen. Auch die Kläger zu 3 und 4 seien dort geboren und hätten dort kurze Zeit gelebt. Zudem verfügten die Kläger auch heute noch über familiäre Anknüpfungspunkte. Nachdem die Kläger zu 1 und 2 bisher in ausgesprochen geringem Maße im Bundesgebiet integriert seien, könne davon ausgegangen werden, dass die innerfamiliären Lebensverhältnisse noch stark von der nationalen Herkunft der Großfamilie geprägt seien und die Kläger zu 3 bis 5 ihre Muttersprache zumindest in Grundzügen beherrschten. Diese würden auch nicht allein in den Irak übersiedeln, sondern könnten mit der Unterstützung der Kläger zu 1 und 2 sowie ggfs. anderer Verwandter rechnen. Auch die bisher vorgetragenen Erkrankungen reichten nicht aus, um von einer Unzumutbarkeit der Rückkehr in den Irak ausgehen zu können. Insbesondere sei nichts dafür ersichtlich, dass die Kläger auf eine dringende ärztliche Behandlung angewiesen wären, die nur im Bundesgebiet erbracht werden könnte. Allein die pauschale Aussage, die Kläger zu 3 bis 5 würden Verhaltensauffälligkeiten zeigen, und der Umstand, dass die Klägerinnen zu 2 und 3 psychotherapeutische Beratungsgespräche wahrnähmen, könnten die Unzumutbarkeit der Rückkehr nicht begründen.
Mit ihren am 10.06.2009 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klagen verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG weiter. Zur Begründung haben sie weitere Stellungnahmen der PBV sowie Bescheinigungen verschiedener Institutionen und Privatpersonen zum gesellschaftlichen und sozialen Leben der Familie vorgelegt, insbesondere zu den Aktivitäten der Kläger zu 3 und 4 im Fußballverein (aktive Spieler in einer Mädchen- bzw. Jugendfußballmannschaft des TSV H.), in der Schule (unter anderem Klassensprecherin bzw. stellvertretender Klassensprecher) und in Freizeiteinrichtungen.
Die Beklagte ist den Klagen entgegengetreten. Das beigeladene Land hat sich nicht geäußert.
10 
Nach der ohne Dolmetscher erfolgten Anhörung der Kläger in der mündlichen Verhandlung hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 10.05.2010 - 11 K 2236/09 - die Beklagte verpflichtet, den Klägern eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen und die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2008 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.05.2009 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt: Aufgrund der vollständigen Integration der Kläger zu 3 und 4 in die deutschen Lebensverhältnisse und der vollständigen Entwurzelung gegenüber der Heimat ihrer Eltern ergebe sich für diese unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf Achtung des Privatlebens ein rechtliches Abschiebungsverbot aus Art. 8 EMRK. Das Aufenthaltsrecht der Kläger zu 1, 2 und 5 folge aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK unter dem Gesichtspunkt des Familienlebens mit den im Bundesgebiet verwurzelten Klägern zu 3 und 4. Der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK sei auch bei lediglich Geduldeten eröffnet. Was die Frage der Qualität des Aufenthaltsrechts anbelange, so sei dies Teil der Schrankenprüfung, insbesondere nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wobei im vorliegenden Fall zu berücksichtigen sei, dass die Integrationsleistungen unter dem Schutz der jahrelangen bewussten „Vollstreckungszurückhaltung“ der Behörden stattgefunden hätten. Die Kläger zu 3 und 4 hätten - wie ihre Aktivitäten beim Sport, in der Schule und in der Freizeit zeigten - sich mit der bundesdeutschen Gesellschaft identifiziert und die demokratischen Grundanschauungen, die Wertvorstellungen und Verhaltensweisen inländischer Jugendlicher als Teil ihrer eigenen Identität persönlichkeitsprägend auf- und angenommen. Sie unterschieden sich durch ihre kulturellen Verhaltens- und Sichtweisen nicht von deutschen Schülern. Bei beiden sei auch von einer vollständigen Entwurzelung auszugehen. Sie besäßen nur mündliche Sprachkenntnisse in Sorani. Sie hätten als Kleinkinder den Irak verlassen und könnten nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Ihre Eltern seien auch nicht in der Lage, ihren Kindern die notwendige Unterstützung für eine erforderliche Reintegration zu geben. Seit dem Sturz Saddam Husseins und der Neuerrichtung des Landes hätten sich sämtliche Umstände dort, in wirtschaftlicher Hinsicht, in den sozialen Bedingungen, in gesellschaftlicher Hinsicht und - ganz besonders - in Sicherheitsfragen so grundlegend gewandelt, dass nicht zu erkennen sei, dass die Eltern selbst wüssten, wie es in diesem Land „laufe“ und wie sie eine Eingliederung der Kläger zu 3 und 4 in die dortige Gesellschaft erfolgreich bewerkstelligen sollten. Es sei angesichts ihres Alters, aber auch aus finanziellen Gründen, höchst unwahrscheinlich, dass namentlich für die Klägerin zu 3 die Möglichkeit bestehen könnte, durch einen Schulbesuch im Irak Zugang zur dortigen Gesellschaft zu finden. Ferner handele es sich bei den Klägern um eine ethnisch gemischte Familie aus arabischen (Kläger zu 1) und kurdischen (Klägerin zu 2) Angehörigen. Wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert hätten, habe die Verbindung der Klägerin zu 2 mit dem Kläger zu 1 zu familiären Verwerfungen dergestalt geführt, dass die Klägerin zu 2 gleichsam aus ihrer Familie verstoßen worden sei. Bis heute habe sich hieran nichts geändert. Für den Raum Kirkuk, der gerade nicht in der autonomen Provinz des Nordirak liege, werde seit langem und auch in jüngster Zeit von erheblichen, ständig zunehmenden ethnischen Spannungen berichtet. Es komme vielfach zu Übergriffen, Gewalttaten und Bombenanschlägen. Wie die Kläger zu 1 und 2 in einer solchen Situation den Klägern zu 3 und 4 bei der Reintegration ins Heimatland in irgendeiner Weise behilflich sein sollten, sei schlechterdings nicht vorstellbar. Das der Beklagten nach § 25 Abs. 5 AufenthG eingeräumte Ermessen sei angesichts der vorliegenden Umstände und auch mit Blick auf die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG auf Null reduziert.
11 
Auf Antrag der Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 06.10.2010 die Berufung zugelassen, die fristgerecht unter Stellung eines Antrags begründet worden ist. Die Beklagte ist der Auffassung, die Kläger könnten sich schon deshalb nicht auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK berufen, weil ansonsten die mit der Altfallregelung nach § 104a AufenthG getroffene gesetzgeberische Entscheidung umgangen würde. Jedenfalls liege kein schützenswertes Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK vor. Das Bundesverwaltungsgericht habe in seinem Urteil vom 30.04.2009 ausgeführt, eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht. Die Kläger zu 3 und 4 könnten sich schon deshalb nicht auf ein rechtliches Abschiebungsverbot aus Art. 8 EMRK berufen, weil ihr Aufenthalt zu keiner Zeit rechtmäßig, sondern stets nur geduldet gewesen sei. Abgesehen davon fehle es auch an besonderen Integrationsleistungen. Mit dem Schulbesuch kämen sie lediglich ihrer Schulpflicht nach. Das Verwaltungsgericht habe die Wahl der Klägerin zu 3 zur Klassensprecherin und die Wahl des Klägers zu 4 zum stellvertretenden Klassensprecher und auch deren sportliches Engagement überbewertet - zumal der Aufenthalt der gesamten Familie bis heute durch einen nur vorübergehenden geduldeten Status gekennzeichnet sei. Der Aussetzung der Abschiebung wohne der Natur nach inne, dass eine Aufenthaltsverfestigung grundsätzlich nicht möglich sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass bestimmte Regelungen, z.B. entsprechende Erlasse, dennoch geduldeten Ausländern zu einem Aufenthaltstitel unter den dort genannten Voraussetzungen verhelfen könnten. Der geduldete Ausländer dürfe nämlich von Beginn seines geduldeten Aufenthalts an und auch im weiteren Verlauf nicht darauf vertrauen, er werde später einmal in den Genuss solcher begünstigenden Regelungen kommen. Den Klägern habe stets bewusst sein müssen, ihr Aufenthalt im Bundesgebiet könne mit Wegfall der Duldungsgründe jederzeit beendet werden. Dass dies ganz kleinen Kindern unter Umständen nicht einfach zu vermitteln sei, werde nicht verkannt - umso höher seien jedoch die Anforderungen an die Eltern zu stellen, ihren Kindern diesen „unsicheren“ Aufenthalt im Bundesgebiet klarzumachen. Die Kläger zu 3 und 4 seien bei der Zurückstellung aus Schweden in einem Alter gewesen, in dem man ihnen mit entsprechender Mühe und einem kindgerechten Erklären das sicher hätte vermitteln können. Nach den Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht werde in der Familie Sorani gesprochen und auch kurdisches Fernsehen geschaut. Dies zeige, dass die Familie als Gesamteinheit im Bundesgebiet doch noch nicht so verwurzelt sei, dass im hausinternen Bereich eine deutsche Lebensweise kultiviert werde. Dies färbe natürlich auch auf die Kinder ab, so dass diese zwar möglicherweise außerhalb der heimischen Wohnung guten Umgang mit der deutschen Lebensweise hätten - wie dies bei Kindern normalerweise üblich sei, da Kinder sich regelmäßig ihrer Umgebung gut anpassen könnten - jedoch im privaten und innerfamiliären Bereich den Umgang mit den Sitten ihres Heimatstaates pflegten. Den Klägern zu 3 und 4 sei es auch durchaus möglich und zumutbar, Sorani noch schriftlich zu erlernen, zumal sie in einem Alter seien, in dem üblicherweise an der Schule Fremdsprachen gelernt würden. Ihre Eltern könnten ihnen in ihrer Heimat ohne weiteres dabei helfen. Kinder im Alter der Kläger zu 3 und 4 fänden naturgemäß auch leicht Kontakt zu Gleichaltrigen und hätten, da sie Sorani zumindest mündlich beherrschten, auch bei einer Kontaktaufnahme keine Schwierigkeiten - im Gegensatz zu Kindern, die die Sprache der Gleichaltrigen nicht sprächen. Auch werde ihnen ihre Fähigkeit zum Teamgeist, den sie hier in den Fußballmannschaften und als (stellvertretender) Klassensprecher bewiesen hätten, dabei helfen. Es sei zwar richtig, dass sich für die Kläger zu 3 und 4 bei einer Rückkehr in ihre Heimat einiges ändern werde. Es sei jedoch nicht ersichtlich, warum ihnen diese Umstellung nicht gelingen sollte. Die Kläger zu 3 und 4 befänden sich in der Vorpubertät bzw. am Anfang der Pubertät und hätten daher eine eigene Persönlichkeitsbildung noch lange nicht abgeschlossen, so dass gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine Reintegration in die Heimat noch möglich sei. Es sei sicherlich richtig, dass die Klägerin zu 3 in ihrer Heimat nicht mehr Mädchenfußball spielen können werde, jedoch sei dies unter Umständen auch bei einem bloßen Umzug innerhalb des Bundesgebiets der Fall, wenn der neue Wohnort keine Mädchenfußballmannschaft habe. Was einen möglichen Schulbesuch der Kläger zu 3 und 4 im Irak angehe, so sei festzustellen, dass die Kinder im Irak eben die Verhältnisse antreffen würden, die dort für Kinder in diesem Alter üblich seien, was ihnen durchaus zuzumuten sei. Die Kläger zu 3 und 4 könnten und dürften nicht erwarten, im Fall einer Rückkehr in ihre Heimat die gleichen Bildungsmöglichkeiten zu erhalten wie im Bundesgebiet. Es gebe kein Recht darauf, den hier erlebten Status in der Heimat aufrechterhalten zu können, wenn dort andere Verhältnisse üblich seien. Soweit das Verwaltungsgericht im Rahmen der familienbezogenen Gesamtbetrachtung darauf abgestellt habe, dass die Kläger zu 1 und 2 selbst nicht mehr wüssten, was in diesem Land „laufe“ und so eine Eingliederung der Kläger zu 3 und 4 nicht zu bewerkstelligen sei, so sei dem schon aus den zuvor genannten Gründen entgegenzutreten. Die Kinder hätten schon von sich aus sehr gute Voraussetzungen für eine Reintegration, so dass diesbezüglich an eine Hilfe der Eltern keine so großen Anforderungen mehr zu stellen seien. Außerdem sei davon auszugehen, dass die Kläger zu 1 und 2 über die Verhältnisse in der Heimat durch die Medien, insbesondere das kurdische Fernsehen, gut informiert seien. Dass ihre Familie ethnisch gemischt sei, führe zu keiner anderen Betrachtungsweise. Beide sprächen Sorani und damit eine der Amtssprachen des Irak. Es komme auch nicht darauf an, ob eine Integration in der Provinz Kirkuk möglich sei, denn die Familie sei nicht gezwungen, genau dorthin zu gehen, sondern könne sich auch einen anderen Ort im Irak auswählen. Nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes könne die Familie darauf verwiesen werden, die familiäre Lebensgemeinschaft in ihrem Heimatstaat zu führen.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10.05.2010 - 11 K 2236/09 - zu ändern und die Klagen abzuweisen.
14 
Der Beigeladene schließt sich ausdrücklich dem Antrag der Beklagten an und führt im Wesentlichen aus: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe die Frage, ob auch die sozialen Bindungen von Ausländern im Rahmen von Aufenthalten ohne einen Aufenthaltstitel vom Schutzbereich des Art. 8 EMRK erfasst würden, bisher offengelassen. Richtigerweise bedürfe es für den Schutz der sozialen Bindungen eines Ausländers einer festen Verankerung des Privatlebens im Vertragsstaat, die sich nicht auf eine lose Verbindung beschränke und einen aufenthaltsrechtlichen Status als Basis aufweise, die berechtigterweise die Erwartung hervorrufen könne, dort bleiben zu dürfen. Zwar sicherten die Vertragsstaaten gemäß Art. 1 EMRK allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen die in Abschnitt 1 bestimmten Rechte und Freiheiten zu. Hier sei jedoch zu unterscheiden zwischen dem Schutz der sozialen Bindungen des Ausländers im Aufenthaltsstaat und dem faktischen Aufenthalt als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Rechte. Bei Ausländern sei in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht die Freiheitssphäre grundsätzlich begrenzt, da sie für den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels bedürften. Der Schutz sozialer Bindungen durch Art. 8 EMRK während rechtswidriger Aufenthalte würde das Recht der Vertragsstaaten auf die Kontrolle der Zuwanderung unterlaufen. Soweit sich das Verwaltungsgericht bei seiner These, ein schutzwürdiges Privatleben könne auch bei einem rechtswidrigen Aufenthalt vorliegen, auf das erstinstanzliche Urteil des EGMR vom 16.06.2005 im Verfahren Nr. Nr. 60654/00 (Sisojeva ./. Lettland) stütze, sei dies zudem verfehlt. Weder eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung noch eine Aufenthaltsgestattung könnten die Basis für ein schutzwürdiges Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK bilden. Eine Duldung erschöpfe sich in dem vorübergehenden Verzicht auf die Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht. Für einen ordnungsgemäßen Aufenthalt sei gemäß § 4 Abs. 1 AufenthG ein Aufenthaltstitel erforderlich. Von dem vorübergehenden Verzicht auf die Vollstreckung der vollziehbaren Ausreisepflicht und der strafrechtlichen Sanktionierung gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG könne nicht auf eine Legalisierung des Aufenthalts geschlossen werden. Für geduldete Ausländer fehle es wegen der Rechtswidrigkeit des Aufenthalts an einer Basis für soziale Bindungen, deren Schutz die Vertragsstaaten gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisten müssten. Die Kinder müssten aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern teilen. Soweit das Verwaltungsgericht auf die Intention des Gesetzgebers abstelle, „Kettenduldungen“ nicht mehr vorzusehen, und eine großzügige Auslegung des § 25 Abs. 5 AufenthG befürworte, sei dies verfehlt. Die Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes durch das Bundesinnenministerium habe ergeben, dass die Mehrzahl der vollziehbar ausreisepflichtigen Personen die Ausreisehindernisse zu vertreten habe. Dies erkläre, warum in der Mehrzahl der Fälle die „Kettenduldungen“ nicht durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels abgelöst werden könnten. Eine großzügige Handhabung des § 25 Abs. 5 AufenthG würde die Intention des Gesetzgebers einer konsequenten Ausländerpolitik, die einerseits der Integration der rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländer und andererseits der Bekämpfung der illegalen Zuwanderung verpflichtet sei und deren zentrales Element die Durchsetzung bestehender Ausreiseverpflichtungen sei, konterkarieren. Eine solche Auslegung des § 25 Abs. 5 AufenthG könne auch nicht auf die Gesetzesbegründung gestützt werden, da sich die Systematik des Aufenthaltsgesetzes insoweit im Verlauf des Vermittlungsverfahrens zum Zuwanderungsgesetz durch die Einfügung der Duldung geändert habe. Eine großzügige Handhabung des § 25 Abs. 5 AufenthG wiese der Vorschrift die Funktion einer allgemeinen Bleiberechtsregelung zu. Ein wesentlicher Bestandteil des politischen Kompromisses zum Zuwanderungsgesetz sei jedoch der Verzicht auf eine solche allgemeine Bleiberechtsregelung gewesen.
15 
Die Kläger beantragen,
16 
die Berufung zurückzuweisen.
17 
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.
18 
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung die Kläger zu 1 bis 4, die Psychologin Frau A. (PBV), die die Kläger betreuende Sozialarbeiterin Frau O.-Y. sowie den derzeitigen Arbeitgeber des Klägers zu 1 Herrn S. K. angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
19 
Wegen des weitergehenden Vortrags und Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der Akten sowie die in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel zum Irak verwiesen. Dem Senat liegen die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart, die Ausländerakten über die Kläger (zehn Bände der Beklagten, zwei Bände des Regierungspräsidiums Stuttgart) und die die Kläger betreffenden gerichtlichen Asylverfahrensakten (drei Bände) vor.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den von den Klägern jeweils geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG bejaht. Die zulässigen Verpflichtungsklagen sind begründet; die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.05.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Die Klägerin zu 3 hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aus dem Recht auf Achtung ihres Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung ihres Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (I.). Der sachliche und personelle Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK ist eröffnet. Auch ein Ausländer, der seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nur über einen geduldeten Aufenthalt nach § 60a Abs. 2 AufenthG verfügt, kann sich auf das Recht auf Achtung seines Privatlebens berufen. Der prekären aufenthaltsrechtlichen Situation ist im Rahmen der Prüfung des Art. 8 Abs. 2 EMRK nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen (1.). Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens besteht darin, dass durch die Vorenthaltung eines verlässlichen Aufenthaltsstatus das Privatleben der Klägerin zu 3 unverhältnismäßig beeinträchtigt wird (2.). Sie ist in besonderem Maße im Bundesgebiet integriert (3.). Auch unter Berücksichtigung ihres prekären Aufenthaltsstatus kann ihr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht zugemutet werden (4.). Dem Anspruch der Klägerin zu 3 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehen die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG nicht entgegen (5.). Auch der Kläger zu 4 hat aus dem Recht auf Achtung seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung seines Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (II.). Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht ein Anspruch auf Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf die jeweils mit den Klägern zu 3 bzw. 4 gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zu (III.).
I.)
22 
Der Klägerin zu 3 ist nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
23 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Nach Satz 2 soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist.
24 
Die Klägerin zu 3 ist aufgrund der im Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohung gemäß Bescheid des Bundesamts vom 29.10.1999 vollziehbar ausreisepflichtig. Sie wird seit 31.01.2002 bis heute ununterbrochen („ketten“-)geduldet und damit um ein Vielfaches länger als der in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG definierte Zeitraum. Die - freiwillige - Ausreise der Klägerin zu 3 ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil einer solchen das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK entgegensteht. Der Begriff der Ausreise umfasst die zwangsweise Abschiebung und die freiwillige Ausreise (BVerwG, Urteile vom 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 12 und vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 15). Da die Ausreise eine unvertretbare Handlung darstellt, ist die Unmöglichkeit im Hinblick auf den betroffenen Ausländer zu prüfen. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn es diesem Ausländer aus Rechtsgründen nicht zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Allgemeine Widrigkeiten oder Überlegungen humanitärer Art, die keine Abschiebungshindernisse zur Folge haben, bleiben dabei unberücksichtigt. Somit ist die Ausreise unzumutbar und damit unmöglich, wenn rechtliche zielstaats- und/oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 17). Zu den inlandsbezogenen Abschiebungsverboten zählen auch die Verbote, die aus Verfassungsrecht (z.B. Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006, a.a.O.).
25 
1.) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klägerin zu 3 die Berufung auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK nicht deshalb verwehrt, weil die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG nicht erfüllt worden sind. Die Klägerin zu 3 und ihre Familie haben sich zum Stichtag am 01.07.2007 nicht - wie von § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für Familien mit minderjährigen Kindern gefordert - seit mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet aufgehalten. Sie sind zwar erstmals im Juli 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Allerdings kann auf diesen Zeitpunkt nicht abgestellt werden, weil die Familie den Angaben im Asylfolgeverfahren zufolge nach Erlass des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 29.10.1999 zunächst in der Türkei gegangen ist, um dort zu leben (siehe im Einzelnen den Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 28.03.2002 im Verfahren A 2 K 10431/02). In einem solchen Fall liegt keine unschädliche Unterbrechung der Aufenthaltszeiten vor (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 22 ff.; GK-AufenthG, § 104a Rn. 12 ff.). Erst mit ihrer Rücküberstellung aus Schweden am 23.01.2002 - dorthin war die Familie nach ihrer Abschiebung in den Irak durch die türkischen Behörden zum Zwecke der Asylantragstellung gereist - hat daher der für § 104a AufenthG relevante Aufenthaltszeitraum zu laufen begonnen. Aus der Existenz von Bleiberechts- und Altfallregelungen ergibt sich jedoch keine Sperrwirkung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (so aber Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14; Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 Rn. 661, 664). Systematisch stehen die Altfallregelungen der §§ 104a und 104b AufenthG neben § 25 Abs. 5 AufenthG (näher Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 25 Rn. 78; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 42). Die in den Altfallregelungen normierten generalisierten Fallkonstellationen, die rechtspolitisch begründet und nicht etwa verfassungs- bzw. völkerrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers geschuldet sind, berühren die hiervon losgelöste Einzelfallbetrachtungen auf der Grundlage der Menschenrechtskonvention nicht (vgl. auch VGH Bad-Württ., Urteil vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 19 und Beschluss vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - juris Rn. 12).
26 
a.) Mit Blick auf den Aufenthalt umfasst das Recht auf Achtung des Privatlebens die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275, 277 m.w.N.). Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Nach der ständigen Spruchpraxis des EGMR lässt sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich kein irgendwie geartetes Recht dahingehend ableiten, ein Ausländer dürfe sich einen Aufenthaltsort in einem Konventionsstaat frei wählen. Vielmehr ist den Konventionsstaaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Einwanderung in ihr Hoheitsgebiet zulassen wollen. Unter anderem in seinen Entscheidungen vom 16.09.2004 (11103/03 - - NVwZ 2005, 1046), vom 07.10.2004 (33743/03 - - NVwZ 2005, 1043) und vom 18.10.2006 (46410/99 - <Üner> - NVwZ 2007, 1279) hat der EGMR ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Konvention nicht das Recht eines Ausländers garantiere, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen bzw. abgeschoben zu werden. Die Vertragsstaaten haben vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden (siehe hierzu auch BVerwG, Urteile vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 - NVwZ 1998, 742 und vom 29.09.1998 - 1 C 8.98 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschluss vom 10.05.2006 - 11 2345/05 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - juris und Beschluss vom 15.02.2006 - 7 TG 106/06 - InfAuslR 2006, 217; NdsOVG, Beschlüsse vom 11.05.2006 - 12 ME 138/06 - InfAuslR 2006, 329 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2006 - 18 B 44/06 -AuAS 2006, 144).
27 
Dessen ungeachtet kann nach der Rechtsprechung des EGMR unter anderem in den Sachen „Silvenko“ (Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - EuGRZ 2006, 560), „Sisojeva I und II“ (Urteil vom 16.06.2005 - 60654/00 - EuGRZ 2006, 554 und Entscheidung vom 15.01.2007 - InfAuslR 2007, 140), „Rodrigues da Silva und Hoogkammer“ (Urteil vom 31.01.2006 - 50435/99 - EuGRZ 2006, 562) sowie „Mendizabal“ (Urteil vom 17.01.2006 - 51431/99 - InfAuslR 2006, 297) ausnahmsweise auch die Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung der Legalisierung des Aufenthalts einen - rechtfertigungsbedürftigen - Eingriff in das Privatleben darstellen, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt. Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt danach für solche Ausländer in Betracht, die auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 8.96 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - VBlBW 2009, 357 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -).
28 
Für diese den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnende Verbundenheit ist das Bestehen wirtschaftlicher Bindungen zwar regelmäßig typisch, aber nicht unerlässlich. Bei Kindern, die - wie die Klägerin zu 3 - der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, nicht erwerbstätig sein dürfen und daher in wirtschaftlicher Hinsicht grundsätzlich noch keine eigenen Bindungen an die Bundesrepublik aufgebaut haben, wäre andernfalls eine Berufung auf das Recht auf Privatleben von vornherein ausgeschlossen, was der Konzeption des Art. 8 EMRK als Menschenrecht widerspräche. Wären wirtschaftliche Bindungen dem Recht auf Achtung des Privatlebens immanente Tatbestandsvoraussetzungen, so wären gerade Kinder, die diese nicht eigenständig begründen können, insoweit vom Schutz der Konvention ausgeschlossen. Dass der eigenständige Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage für ein schützenswertes Privatleben nicht zwingend konstitutiv sein muss, lässt sich auch aus einem Vergleich mit Art. 16 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (Gesetz vom 17.02.1992, BGBl II S. 121) ersehen, in dem die Vertragsstaaten ausdrücklich vereinbart haben, den Schutz des Privatlebens eines Kindes prinzipiell anzuerkennen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gedanke der „starken persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen“ vor allem auch dazu dient, solche Konstellationen aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK „herauszufiltern“, bei denen es nicht gerechtfertigt ist, im Rahmen der Schranken des Absatzes 2 überhaupt in eine umfassende Interessens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung einzutreten. Jedenfalls dann, wenn aber - quantitativ betrachtet - ein längerer Aufenthalt vorliegt und - unter einem qualitativen Aspekt - besondere Integrationsleistungen erbracht wurden, ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet (GK-AufenthG, § 60a Rn. 174 f.). Auch der EGMR geht etwa im Urteil vom 18.10.2006 in der Rechtssache „Üner“ (46410/99 - NVwZ 2007, 1279) von einem denkbar weiten Schutzbereich aus und erachtet als Bestandteil des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK „die Gesamtheit der sozialen Beziehungen“. Dies entspricht der europäischen Tradition des „in dubio pro libertate“.
29 
Gemessen hieran verfügt die Klägerin zu 3 über Bindungen zum Bundesgebiet, die dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens unterfallen. Die am 26.04.1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit über acht Jahren ununterbrochen hier auf und besucht mittlerweile die 7. Klasse der Hauptschule. Ihre Fähigkeiten in der deutschen Sprache entsprechen, wie sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte, denjenigen von Kindern deutscher Herkunft, die ihr in Alter und Bildungsstand vergleichbar sind. Sie verfügt über einen - auch deutsche Freunde umfassenden -Freundeskreis und ist im Vereinsleben (als Mannschaftsfußballspielerin) und auch im sonstigen gesellschaftlichen Leben (unter anderem in einem Theaterprojekt) aktiv.
30 
Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, dass unter aufenthaltsrechtlichen Aspekten auch wirtschaftliche Bindungen für die Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens unerlässlich wären und bei Minderjährigen deshalb insoweit auf ihre Sorgeberechtigten abzustellen wäre, würde dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn beide Elternteile verfügen über hinreichend qualifizierte wirtschaftliche Kontakte. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. als geringfügig Beschäftigte. Der Kläger zu 1 ist seit 2005 überwiegend - wenn auch in unterschiedlichem Umfang und den Lebensunterhalt nicht allein deckend - erwerbstätig.
31 
b.) Der Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens steht ferner nicht entgegen, dass die Klägerin zu 3 während ihres gesamten bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet keinen Aufenthaltstitel besessen hat.
32 
aa.) Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob sich Ausländer, deren Aufenthalt stets lediglich geduldet worden ist, auf den Schutz der Achtung des Privatlebens berufen können (dies bejahend: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 - juris Rn. 80 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 17, vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - InfAuslR 2009, 72 und vom 25.10.2007 - 11 S 2019/07 - InfAuslR 2008, 29; BremOVG, Beschluss vom 22.11.2010 - 1 A 383/09 - juris Rn. 14 ff.; VG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2009 - 7 K 1621/08.F - InfAuslR 2010, 302; VG Stuttgart, Urteil vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 28 f.; GK-AufenthG, § 25 Rn. 150; HK-AuslR, § 25 Rn. 56; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 44 f.; Bergmann, Aufenthaltsrecht aufgrund von Verwurzelung, ZAR 2007, 128 ff.; Thym, Menschenrecht auf Legalisierung des Aufenthalts?, EuGRZ 2006, 541, 546 ff.; ders., Humanitäres Bleiberecht zum Schutz des Privatlebens?, InfAuslR 2007, 133, 138; Benassi, Die Bedeutung der humanitären Aufenthaltsrechte des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG im Lichte des Art 8 EMRK, InfAuslR 2006, 397, 401 ff.; Hoppe, Verwurzelung von Ausländern ohne Aufenthaltstitel - Wann kann Art. 8 Abs. 1 EMRK zu einem Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verhelfen?, ZAR 2006, 125, 128 f.; Marx, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung, ZAR 2006, 261, 266; Sander, Der Schutz des Aufenthalts durch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2008, S. 346; Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482, 523) oder ob ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt (in diesem Sinne: NdsOVG, Beschlüsse vom 12.08.2010 - 8 PA 182/10 - juris Rn. 5, vom 14.05.2009 - 8 LB 158/06 - juris Rn. 24, vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris Rn. 2 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - ZAR 2006, 413; Hailbronner, Ausländerrecht, § 25 Rn. 131; Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 25 Rn. 31; Fritzsch, Der Schutz sozialer Bindungen von Ausländern, 2009, S. 102 ff., 149 ff. 188 f.; ders., Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14, 16 ff.; Bundesministerium des Innern, Bericht zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung des Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), Juli 2006, Nr. 2.3.10.1.6, S. 80; dies offenbar grundsätzlich annehmend auch BVerwG, Urteile vom 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 14 und vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn. 20).
33 
Soweit sich das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung, der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK sei auch bei nur Geduldeten eröffnet, auf das Urteil des EGMR vom 16.06.2005 (60654/00 - - InfAuslR 2005, 349) berufen hat, wonach dieser explizit keine willentliche Legalisierung verlange (so etwa auch Benassi, InfAuslR 2006, 397, 403), ergibt sich das in dieser Allgemeinheit aus der Entscheidung nicht. Denn die dortigen Beschwerdeführer hatten jahrelang rechtmäßig in der früheren Sowjetunion (im Gebiet des heutigen Lettland) und auch danach noch in Lettland selbst gelebt und ihnen war erst später zum Teil als staatenlos gewordene russische Volkszugehörige ein Aufenthaltsrecht bestritten worden, nachdem sie nach 1989 sogar noch zeitlich befristete Aufenthaltstitel erhalten hatten (vgl. näher Thym, EuGRZ 2006, 541, 545 ff.). Die Entscheidung ist Teil der einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR, in der dieser bislang nicht ausdrücklich entschieden hat, ob ein - jedenfalls zeitweiliger - rechtmäßiger Aufenthalt Voraussetzung für die Begründung schutzwürdiger sozialer Bindungen ist (vgl. aus der Rechtsprechung des EGMR etwa Urteile vom 06.02.2001 - 44599/98 -, NVwZ 2002, 453, 455, vom 16.09.2004 - 11103/03 - , a.a.O., vom 07.10.2004 - 3374/03 , a.a.O. und vom 08.04.2008 - 21878/06 - ). Zwar hat der EGMR im Urteil vom 30.01.2006 (50435/99 - - a.a.O.) ausgeführt, „dass Personen, die, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden eines Vertragsstaates mit ihrer Anwesenheit in diesem Staat konfrontieren, im Allgemeinen nicht erwarten können, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht zugesprochen wird.“ Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, der Schutzbereich im Falle einer nicht erfolgten ausdrücklichen Legalisierung wäre von vornherein verschlossen. Das Recht der Vertragsstaaten auf Kontrolle ihrer Zuwanderung gebietet keine solche Auslegung. Ihr Recht, über die Zuwanderung von Ausländern eigenständig zu bestimmen, wird allein dadurch, dass einem Ausländer die Berufung auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK ermöglicht wird, nicht tangiert. Dies kann vielmehr erst Ergebnis der im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK durchzuführenden Prüfung sein, bei der auch die Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern als legitime Ziele eines Eingriffs einzustellen sind. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten selbst über Einreise- und Aufenthaltsrechte disponieren können, hat keinen Absolutheitsanspruch. Auch aus der Freizügigkeitsregelung in Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur Menschrechtskonvention folgt nicht, dass die Begründung eines schutzwürdigen Privatlebens nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt im Vertragsstaat in Betracht kommt (so aber Fritzsch, ZAR 2010, 14, 19). Nach dessen Art. 2 Abs. 1 hat jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen. Dieses Zusatzprotokoll dient ausdrücklich dazu, „gewisse Rechte und Freiheiten zu gewährleisten, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind“. Soweit für die Gewährung von Freizügigkeit auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abgestellt wird, erfolgt dies mit Blick auf diese besondere Gewährleistung, dient aber nach der Intention des Zusatzprotokolls keinesfalls dazu, den Schutzbereich des bereits durch die Konvention selbst gewährten Rechts auf Achtung des Privatlebens einschränkend zu bestimmen. Eine Unterscheidung in unterschiedlich werthaltige Privatleben ist Art. 8 EMRK nicht immanent (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Darüber hinaus ist ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll. Abgesehen davon, dass diese Begrenzung des Schutzbereiches durch die Aufnahme des „Vertrauensmerkmals“ wenig konturenscharf ist, steht ein zu eng gefasster Schutzbereich einem einzelfallbezogenen gerechten Interessenausgleich oftmals entgegen und ist zudem geeignet, die Wirksamkeit des konventionsrechtlichen Schutzes zu schmälern (GK-AufenthG, § 60a Rn. 173 f. m.w.N.). Gerade bei Personen, die aus Krisengebieten kommen und bei denen über Jahre hinweg die Abschiebung ausgesetzt worden ist, verbaut eine vorschnelle Ausgrenzung aus dem Schutzbereich die Möglichkeit, den Fallkonstellationen angemessen Rechnung tragen zu können, in denen die Ausländerbehörde in der Vergangenheit über Jahre hinweg nur „Kettenduldungen“ erteilt hatte, obwohl im Grunde realistischer Weise keine Abschiebungs- und Ausreisemöglichkeit bestanden hatte. Solchen Personen, die im Hinblick auf die Verhältnisse in ihrem Heimatland geduldet werden, wird mit der Aussetzung der Abschiebung faktisch eine „Hand zum Verbleib“ gereicht; der Staat zwingt den Ausländer gerade nicht dazu, das Land seines jetzigen Aufenthalts zu verlassen (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Dies zeigt sich insbesondere im vorliegenden Fall, in dem - mit Blick auf die seit 2003 herrschende Situation im Irak - zu keinem Zeitpunkt auf die Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin zu 3 und ihrer Familie hingewirkt worden ist. Vielmehr ist ihren Eltern im Januar 2008 die Beschäftigung sogar uneingeschränkt erlaubt worden, was den weiteren Aufbau wirtschaftlicher Bindungen begünstigt. Ein weiter Schutzbereich mit einer Verlagerung der Aufenthaltsstatusfragen in die Schrankenprüfung erlaubt daher eher dem Einzelfall adäquate Lösungen als eine zu enge Definition des Schutzbereichs. Mögliche Missbrauchsfälle sind kein generelles Argument hiergegen. Zwar ist nach dem Bericht des Bundesinnenministeriums zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes „die lange Aufenthaltsdauer in der Mehrzahl der Fälle der langjährig Geduldeten auf Verfahrensverschleppungen, missbräuchliche Antragstellungen und fehlende Mitwirkungsbereitschaft zurückzuführen“ (a.a.O. Nr. 2.3.10.3, S. 84). Solche Fälle können jedoch stets im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK „ausgesondert“ werden. Eine weite Fassung des Rechts auf Achtung des Privatlebens entspricht im Übrigen auch der Grundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts bei Art. 2 Abs. 1 GG, das insoweit ebenfalls von einem weiten Schutzbereich ausgeht (siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - juris).
34 
bb.) Erst recht ist im Übrigen die Eröffnung des Schutzbereichs bei Geduldeten anzunehmen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Rechtsordnung in der Vergangenheit einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgesehen hat, der im Einzelfall auch zu realisieren gewesen wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 - in Unkenntnis der Rechtslage - keinen entsprechenden Antrag bei der Ausländerbehörde gestellt hatten. Auch ein in der Vergangenheit nach dem Ausländerrecht bestehender, durch die Behörde aber nicht erfüllter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, stellt eine „Handreichung des Staates“ dar.
35 
Die Kläger zu 1 bis 4 waren aufgrund der Abschiebungsandrohung mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.10.1999 seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.01.2001 vollziehbar ausreisepflichtig und ab 31.01.2002 geduldet. Nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 konnte einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig war, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorlagen, weil seiner freiwilligen Ausreise Hindernisse entgegenstanden, die er nicht zu vertreten hatte. Die Regelung ermöglichte die Legalisierung eines schon länger geduldeten Aufenthalts, wobei als Ermessenkriterien die Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigungen im Fall der Ausreise, die Dauer der Abschiebungshindernisse und die Art der Duldungsgründe herangezogen werden konnten (Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl. 1993, § 30 Rn. 9). Nach § 34 AuslG konnte die Aufenthaltsbefugnis für jeweils längstens zwei Jahre erteilt und verlängert werden, wobei die jeweilige Frist nach der Art der Erteilungsgründe und der Möglichkeit ihres Fortfalls zu bemessen war (Kanein/Renner, a.a.O., § 34 Rn. 2).
36 
Weshalb die Klägerin zu 3 und ihre Familie nach der Entscheidung des Bundesamts über ihren Folgeantrag mit Bescheid vom 05.02.2002 danach im Jahre 2002 und Anfang 2003 geduldet wurden, obwohl ordnungsgemäß ausgefüllte Anträge auf Ausstellung eines Passersatzes vorlagen, erschließt sich anhand der Akten nicht. Auch die Beklagte und das beigeladene Land haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierfür keinen nachvollziehbaren Grund benennen können. In der Folgezeit waren die am 20.03.2003 im Irak begonnene Militäraktion und die danach nicht bestehenden Rückführungsmöglichkeiten ursächlich für die Aussetzung der Abschiebung (vgl. auch Schreiben des Innenministeriums vom 27.11.2003 und vom 29.07.2004 - jew. Az.:4-13-IPK/12). Nachdem im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.08.2003 die Rückkehrmöglichkeiten aus dem Ausland in den Irak aufgrund der von den Nachbarländern geschlossenen Grenzen verneint worden waren, wurden im Lagebericht vom 06.11.2003 die Möglichkeiten dargestellt, wie auf dem Landweg und mit welchen Dokumenten eine Einreise in den Irak erfolgen konnte (siehe im Einzelnen S. 15 f.). Eine Rückkehr über Kuwait, Iran, Türkei oder Saudi-Arabien war für aus westlichen Ländern kommende Iraker aufgrund der ganz oder jedenfalls für diesen Personenkreis immer wieder geschlossenen Grenzen praktisch nicht realisierbar. Grundsätzlich kam aber eine Einreise über Jordanien oder Syrien in den Irak in Betracht. Aus Deutschland kehrten Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration über Jordanien zurück (Taxi Amman - Bagdad). Auf dieser Route waren grundsätzlich irakische Pässe erforderlich. Ferner bestand die Möglichkeit, ab Damaskus mit Kleinbussen nach Bagdad zu fahren; syrische Grenzbehörden akzeptierten neben den irakischen Reisepässen auch Ersatzdokumente. In den folgenden Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vom 07.05.2004, 02.11.2004 und 24.11.2005) wurden insoweit keine grundsätzlichen Änderungen berichtet. Zwar hätten die Klägerin zu 3 und ihre Familie danach theoretisch den Irak auf dem Landweg erreichen können, wobei die Kläger allerdings erst in ihrer Herkunftsregion Kirkuk eine notwendige Unterstützung durch dort noch lebende Verwandte hätten erlangen können. Eine freiwillige Ausreise war ihnen in Anbetracht der schon mit der Reise über den Landweg unmittelbar verbundenen Gefahren - so war etwa auf Straßenverbindungen wie beispielsweise der Straße von Bagdad nach Amman, der wichtigsten Verbindung Bagdads mit dem Ausland, ständig mit bewaffneten Überfällen zu rechnen, bei denen auch Menschen zu Tode kamen (näher Lageberichte vom 07.05.2004, S. 8 ff. und vom 02.11.2004, S. 12 ff.) - aber auch mit Blick auf die katastrophale Versorgungssituation, die sie im damaligen Irak vorgefunden hätten, nicht zumutbar gewesen. Die Klägerin zu 2 war schwanger mit der am 04.06.2004 geborenen Klägerin zu 5 und der Kläger zu 4 gerade erst fünf Jahre alt. Eine Schwangere sowie kleine Kindern sind jedoch in besonderem Maße auf die ihren Bedürfnissen entsprechende Versorgung mit sauberem Wasser und Lebensmitteln, aber auch auf die Verfügbarkeit medizinischer Hilfe angewiesen. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.04.2003 beschrieb die medizinische Versorgung, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie Strom und Wasser als angespannt und kritisch (siehe im Einzelnen S. 2 f.). Die Lageberichte vom 07.08.2003 und 06.11.2003 zeichneten kein grundlegend anderes Bild. Im letztgenannten Lagebericht hieß es, dass sich die Stromversorgung nach der Besetzung des Landes drastisch verschlechtert habe, die Wasserversorgung von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen worden und weiterhin kritisch sei, die medizinische Versorgung angespannt bleibe, da viele Krankenhäuser - sofern sie überhaupt in Betrieb seien - unter schlechten hygienischen Bedingungen und mangelnder Energieversorgung litten und für die Versorgung der Bevölkerung Nahrungsmittel verteilt werden müssten. Diese Einschätzung wurde auch in den folgenden Lageberichten vom 07.05.2004 (vgl. dort S. 10 ff.), 02.11.2004 (S. 15 f., 19) und 24.11.2005 (S. 27 f.) im Wesentlichen aufrechterhalten.
37 
Selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Ausländerbehörde aufgrund der Veränderbarkeit persönlicher Verhältnisse und der Zustände im Herkunftsland zeitlich ein Spielraum zugebilligt werden musste, bevor die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG in Betracht kam, wäre eine solche unter Reduzierung des eingeräumten Ermessens auf Null jedenfalls spätestens im Laufe des Jahres 2004 zu erteilen gewesen. Dem stand nicht entgegen, dass nach dem Schreiben des Innenministeriums an die nachgeordneten Ausländerbehörden zur Rückführung irakischer Staatsangehöriger vom 27.11.2003 im Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit und Zumutbarkeit einer freiwilligen Rückkehr in den Irak die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG „in der Regel nicht mehr in Betracht kommt“ und nach den Angaben eines Vertreters des beigeladenen Landes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihm landesweit kein Fall bekannt sei, in dem eine Familie, die sich in einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation befand, Aufenthaltsbefugnisse erhalten hätte. Denn ein Anspruch der Klägerin zu 3 und ihrer Familie auf - zeitweilige - Legalisierung ihres Aufenthalts hätte sich - auch als Ausnahmefall von der grundsätzlichen Zumutbarkeit im Sinne des Erlasses des Innenministeriums - unmittelbar aus § 30 Abs. 3 AuslG ergeben.
38 
Die Realisierbarkeit dieses Anspruchs wäre auch nicht aufgrund von § 11 Abs. 1 AuslG 1990 zu verneinen gewesen. Danach konnte einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hatte, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es forderten. Die Vorschrift war zwar auf das von den Eltern der Klägerin zu 3 im Januar 2002 in Gang gesetzte Asylfolgeverfahren anwendbar (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.04.1996 - 11 S 156/96 - InfAuslR 1996, 303, 304), das bestandskräftig erst mit dem Beschluss des erkennenden Gerichtshofs vom 30.08.2006 abgeschlossen wurde. Allerdings hätten - nach entsprechendem Hinweis der Ausländerbehörde - die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 den Asylfolgeantrag zurücknehmen und damit die „Sperrwirkung“ des § 11 Abs. 1 AuslG beseitigen können.
39 
cc.) Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begründet, komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht, gebietet der vorliegende Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Die Klägerin zu 3 verfügt mit Blick auf die Situation im Irak seit vielen Jahren über jeweils auf drei Monate befristete Duldungen, die nahtlos ineinander übergehen. Diese „Kettenduldungen“ haben ihre Ursache nicht in einer mangelnden Mitwirkung an der Aufenthaltsbeendigung oder in einem sonstigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten, waren doch Passanträge ausgefüllt worden. Ihnen liegt vielmehr zugrunde, dass der Staat es der Ausländerin gerade nicht zumutet, in ihr Heimatland zurückzukehren, in dem er auch selbst nichts unternahm oder unternimmt, eine Aufenthaltsbeendigung zwangsweise durchzusetzen. Einem auf der Grundlage derartiger „zweitklassiger Aufenthaltstitel“ (vgl. Bergmann, ZAR 2007, 128, 129) gelebten Privatleben den Schutz des Art. 8 EMRK von vornherein zu versagen, wäre konventionswidrig.
40 
2.) Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 liegt darin, dass ihr eine Rückkehr in die Lebensverhältnisse ihres Herkunftsstaats nicht mehr zumutbar ist und durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels ihr Privatleben unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.
41 
a.) Zwar ist nicht ersichtlich, dass das beigeladene Land derzeit oder in absehbarer Zeit eine Aufenthaltsbeendigung der Klägerin zu 3 und ihrer Familie anstreben und ihre Abschiebung in den Irak in die Wege leiten würden. Im vorliegenden Fall reicht jedoch eine Duldung nicht aus, um der Konvention zu entsprechen (vgl. näher Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41, 43; Bergmann, ZAR 2007, 128, 131). Die Duldung begrenzt den Aufenthalt der Klägerin zu 3 kraft Gesetzes auf das Land Baden-Württemberg (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Zusätzlich ist die Wohnsitznahme in Stuttgart angeordnet (vgl. die der Klägerin zu 3 zuletzt am 11.10.2010 ausgestellte Duldungsbescheinigung). Will sie sich - und sei es auch nur kurzzeitig - außerhalb Baden-Württembergs aufhalten, bedarf es nach § 12 Abs. 5 AufenthG der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis, die nach Satz 2 grundsätzlich im Ermessen der Ausländerbehörde steht und auf die nur in den engen Grenzen des Satzes 3 ein Rechtsanspruch besteht. Ein spontanes vorübergehendes Verlassen des auf der Grundlage des Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs ist außer in den im Leben der Klägerin zu 3 praktisch nicht relevant werdenden Fällen des § 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG (Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen das persönliche Erscheinen des Ausländers erforderlich ist) nicht möglich. Gerade alterstypische Aktivitäten, an denen sie regelmäßig teilnimmt, wie (Schul-)ausflüge, Ferienfreizeiten oder Fußballturniere, sind - sofern sie außerhalb Baden-Württembergs stattfinden - für sie auf der Grundlage einer Duldung gar nicht oder jedenfalls nur mit erheblichem (Verwaltungs-)Aufwand realisierbar. Ohne Aufenthaltserlaubnis bleibt ihr etwa die im Frühling 2011 vorgesehene Teilnahme ihres Vereins an einem Mädchenfußballturnier in Spanien, wovon die Klägerin zu 3 in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berichtet hat, in jedem Fall verwehrt. Aktivitäten und soziale sowie gesellschaftliche Bindungen, die schon jetzt für ihr Privatleben konstitutiv sind (siehe nachfolgend 3.), und die mit fortschreitendem Alter bei einem Heranwachsenden für seine Sozialisation und Entwicklung der Persönlichkeit von wachsender Bedeutung werden, kann die Klägerin zu 3 nur auf der Grundlage eines legalisierten Aufenthalts in einer dem Recht auf Privatlebenden genügenden Weise „ausleben“. Im Übrigen leidet die Klägerin zu 3 auch psychisch in einer ihr Privatlebenden beeinträchtigenden Weise unter der seit Jahren andauernden, ungewissen und unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation. Dies ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme der PBV vom 09.04.2010. In dieser heißt es, dass das Mädchen unter anderem auf die langjährige Unsicherheit, hier in Deutschland bleiben zu dürfen mit einer längeren, phasenweise verlaufenden Anpassungsstörung reagiert und ein sicherer Aufenthaltsstatus für eine stabile Psyche notwendig ist.
42 
b.) Ob der Eingriff in das geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, ist bei der im Alter von 4 Jahren eingereisten Klägerin zu 3 nach ähnlichen Kriterien zu prüfen, wie sie normalerweise bei Einwanderern der zweiten Generation angewendet werden (EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 - InfAuslR 2006, 3). Insoweit ist das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse der Klägerin zu 3 an der Aufrechterhaltung ihrer faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476 und vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> -InfAuslR 2005, 450). Maßgebend sind dabei vor allem die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, der Stand der gesellschaftlichen und sozialen Integration (Sprachkenntnisse, Schule/Beruf, Freizeitgestaltung/Freundeskreis), das Fehlen von Straftaten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen. Hierbei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - 59643/00 - ). Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten sowie der Hilfe durch die Eltern bei Minderjährigen. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob und gegebenenfalls wie lange der Aufenthalt des Betroffenen legal war und damit - im Sinn einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein „Hierbleibendürfen“ entwickelt werden konnte (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 20 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -; Renner, a.a.O., § 25 Rn. 80 ff.).
43 
3.) Die im April 1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit Januar 2002 ununterbrochen in Deutschland auf und hat daher etwa zwei Drittel ihres Lebens hier verbracht. Sie besucht derzeit die 7. Klasse Hauptschule der Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule H. Ihre Fähigkeiten in Deutsch entsprechen denjenigen gleichaltriger Hauptschüler deutscher Herkunft. Ihre Klassenlehrerin bewertet in einer Stellungnahme vom 22.09.2010 die Kenntnisse der Klägerin zu 3 in Deutsch in Wort und Schrift mit „befriedigend“. Dies entspricht auch der Zeugnisnote im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10. In der aktualisierten Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, die Klägerin zu 3 beherrsche die deutsche Sprache in Wort und Schrift, sie könne sich mittlerweile sicher ausdrücken und habe auch ihr Leseverständnis stark verbessert. Dass sich die Klägerin zu 3, die in ihrer Freizeit inzwischen auch Bücher liest, ihrem Alter und Bildungsstand entsprechend sicher in der deutschen Sprache bewegt, hat auch ihre Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. Soweit ihr eine kontinuierliche Verbesserung in Deutsch und auch in den übrigen Schulfächern, die im letzten Zeugnis mit Noten von „gut“ bis „ausreichend“ bewertet worden sind, vor allem bisher deshalb gelungen ist, weil sie die Hilfe einer Hausaufgabenbetreuung in Anspruch nehmen kann, steht dies der positiven Bewertung ihrer Deutschkenntnisse und schulischen Leistungen im Rahmen der Würdigung als Integrationsmerkmal nicht entgegen. Denn die Inanspruchnahme von Hilfe bei den Hausaufgaben ist mittlerweile für deutsche Schüler ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Ausweislich der Stellungnahmen der Klassenlehrerin vom 27.11.2010 und 22.09.2010 ist die Klägerin zu 3, die in diesem Jahr von ihren Mitschülern zum zweiten Mal als Klassensprecherin gewählt worden ist, auch stets bereit, Aufgaben zum Wohl der Klasse oder der Schule zu übernehmen und engagiert sich sehr für die Interessen der Schüler. Zudem ist sie von den Klassensprechern der Schule in das drei Schüler umfassende Team der Schülervertretung gewählt worden, das auch Mitglied der Schulkonferenz ist (vgl. die Bestätigung der Schulleitung der GHS H. vom 10.11.2010).
44 
Die Klägerin zu 3 ist auch außerhalb ihres Schulalltags fest in die sozialen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Bundesrepublik eingebunden. Sie hat einen - auch deutsche Freunde umfassenden - Freundeskreis, mit dem sie in ihrer Freizeit ins Schwimmbad geht oder an organisierten Jugendprojekten teilnimmt. Nach den schriftlichen Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé Alberta - Offener Treff für Kinder und Jugendliche und Soziale Schülerbetreuung - vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme die Klägerin zu 3 häufig zu verschiedenen Angeboten des Schülercafés, dessen Schwerpunkt offene Angebote, Hausaufgabenbetreuung, Ferienprogramme und Freizeiten seien. Die Klägerin zu 3 treffe dort ihre Freundinnen aus dem Stadtbezirk und beteilige sich aktiv an den verschiedenen Programmen. Auch an dem Kooperationsprojekt MISS (Mädchen im Stadtbezirk ...) mit dem Jugendhaus ... und der Mobilen Jugendarbeit nehme sie regelmäßig teil. Sie habe einen Workshop zum Thema Selbstbehauptung besucht sowie an einem Fußballturnier und einem Bootsausflug für Mädchen teilgenommen. Den genannten Berichten zufolge ist sie voll in ihren Freundeskreis integriert, bringt sich persönlich und aktiv in das soziale Geschehen ein und übernimmt für sich und die Gruppe Verantwortung in Konfliktfällen. Ferner nimmt die Klägerin zu 3 seit April 2010 regelmäßig an einem integrativen Jugendtheaterprojekt teil, an dem Schülerinnen und Schüler verschiedener Nationalität und aus den unterschiedlichsten Schulformen von Förderschule bis zum Gymnasium beteiligt sind (vgl. hierzu die Teilnahmebestätigung des Jugendhauses ... vom 10.12.2010). Die Klägerin zu 3 ist auch bereits bei verschiedenen Ferienfreizeiten gewesen, unter anderem - nach ihren Angaben als einziges ausländisches Kind - an einer von der Caritas organisierten Jugendfreizeit in .... Sie spielt seit Sommer 2009 Fußball in einer Mädchenmannschaft. Nach der Bescheinigung des Jugendleiters des TSV H. vom 01.05.2010 nimmt sie seitdem regelmäßig am Trainings- und Verbandsspielbetrieb der Mädchenfußballmannschaft der C-Juniorinnen teil, zeigt ihre Integrationsbereitschaft und akzeptiert die Mannschafts- und Spielregeln.
45 
Auch im Übrigen lebt die Klägerin zu 3 - wie ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht haben - in einer Weise, wie sie auch unter Gleichaltrigen deutscher Herkunft praktiziert wird. Sie erhält mittlerweile Klavierunterricht und hört am liebsten Musik der Richtung „Hip hop“. Sie schaut in ihrer Familie oder gemeinsam mit Freunden und Freundinnen Fernsehsendungen deutscher Privatsender. Die Klägerin zu 3 kleidet sich in einer Art, wie sie auch unter jungen deutschen Mädchen üblich ist. Sie geht mit einem Bikini ins Schwimmbad und trägt kurze Hosen sowie dekolletierte Oberbekleidung.
46 
Der Bewertung der Integration in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht als außerordentlich gelungen steht nicht entgegen, dass die - nicht strafmündige - Klägerin zu 3 am 20.03.2010 wegen Körperverletzung angezeigt worden ist und ihr Verhalten in Konfliktsituationen - so etwa im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2008/09 zu lesen - als „nicht immer der Situation angepasst“ beschrieben wird. Diese Handlungen der Klägerin zu 3 sind nicht Ausdruck einer integrationsfeindlichen Gesinnung, sondern durch eine der Behandlung bedürfenden Verhaltensproblematik bedingt.
47 
Die Klägerin zu 3 hat wegen einer generalisierten Angststörung des Kindesalters und einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom von 29.08.2007 bis 17.09.2008 eine ambulante Psychotherapie absolviert, die vom Gesundheitsamt der Beklagten befürwortet worden war. Wegen einer drastischen Verschlechterung der Symptome (suizidale Vorstellungen und Gedanken) ist die Therapie ab 08.04.2009 wieder aufgenommen worden (vgl. näher PBV, Kurzbericht vom 25.10.2007, Bescheinigung vom 19.05.2009 und Zwischenbericht vom 09.04.2010). Das Gesundheitsamt der Beklagten hat unter dem 18.08.2009 ausgeführt, eine Langzeittherapie sei als Verhaltenstherapie wegen der Schwere des Krankheitsbildes und der bisher nicht erfolgten Stabilisierung des Mädchens medizinisch sinnvoll und begründet. Nach dem Bericht der PBV vom 09.04.2010 ist Grund für die erneute Therapieaufnahme eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und eine massive Problematik im Bereich des Sozialverhaltens gewesen; es lägen aggressive und dissoziale Züge vor, d.h. Nichtbefolgen von Regeln und Vorschriften der Lehrer, zahlreiche Streitigkeiten mit Mitschülern mit massiven verbalten Attacken und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Vermutlich stünden die Schwierigkeiten im Sozialkontakt in engem Zusammenhang mit massiven häuslichen Konflikten und Spannungen. Allerdings heißt es in dem genannten Bericht auch, dass sich durch die regelmäßigen Therapiebesuche deutliche Verbesserungen zeigten; die Lehrerin habe diese ebenfalls im letzten Lehrergespräch benannt. Diese positive Entwicklung spiegelt sich auch in den Beurteilungen der Schule wieder. Das Versetzungszeugnis zum Ende der Klasse 6 bescheinigt der Klägerin zu 3, dass es ihr immer besser gelinge, die Ordnung des Schulalltags einzuhalten; ferner arbeite sie mit anderen Kindern zusammen und bei Auseinandersetzungen sei sie zunehmend in der Lage, Kompromisse zu schließen. In ihrer Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, es gelinge der Schülerin im Umgang mit Mitschülern und Lehrern immer besser, den angemessenen Ton zu treffen und ihr Temperament zu beherrschen. Daran arbeite sie hart und habe bemerkenswerte Fortschritte gemacht. In diesen Kontext ist auch die Anzeige des Vaters einer Freundin der Klägerin zu 3 einzuordnen. Nach einer Mitteilung der Polizeirevierstation ... an die Beklagte vom 18.10.2010 ist die Klägerin zu 3 wegen einer am 20.03.2010 begangenen Körperverletzung angezeigt worden. Zwischen ihr und ihrer Freundin sei es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf sie ihre Freundin mehrfach gegen den Oberschenkel getreten habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Verfügung vom 02.11.2010 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen. Die Klägerin zu 3 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich geschildert, wie es zu dieser - letztlich handgreiflich verlaufenden - Auseinandersetzung auf einem Spielplatz gekommen ist, bei der sich beide Mädchen zuvor mit „Matsch“ bespritzt hatten. Beide Kinder sind nach wie vor miteinander befreundet. Die von der Schulsozialarbeiterin in ihrem Bericht über die Klägerin zu 3 vom 29.11.2010 vorgenommene Wertung, zwischen den beiden Mädchen bestehe eine sehr intakte und stabile Freundschaft und bei der Anzeige habe es sich um ein bedauerliches Missverständnis gehandelt, umschreibt die Situation zutreffend.
48 
In wirtschaftlicher Hinsicht liegt keine eigene Integrationsleistung der Klägerin zu 3 vor. Aufgrund ihres Alters unterliegt sie noch der allgemeinen Schulpflicht. Ob die Klägerin zu 3, der die Klassenlehrerin „aus schulischer Sicht gute Perspektiven für ein Leben in Deutschland“ bescheinigt, einmal erfolgreich die Schule abschließen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wird, steht naturgemäß noch nicht fest. Dies führt allerdings nicht dazu, dass die Frage nach wirtschaftlichen Bindungen bei Minderjährigen für die Feststellung des Ausmaßes ihrer Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse generell obsolet wäre. Die Klägerin zu 3 hat nach der deutschen Rechtsordnung einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern (§ 1601 BGB), so dass es insoweit auf deren Unterhaltsleistung und damit inzident auf deren wirtschaftliche Integration ankommt (GK-AufenthG, § 60a Rn. 188; gegen eine isolierte Betrachtung Minderjähriger auch SaarlOVG, Urteil vom 15.10.2009 - 2 A 329/09 - juris Rn. 39). Dabei ist nicht allein maßgebend, ob der Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 3 - rechnerisch gesehen - kontinuierlich von ihren Eltern erfüllt worden ist und wird. Für die Frage der wirtschaftlichen Integration sind auch die Unterhaltsansprüche ihrer ebenfalls minderjährigen Geschwister sowie der Bedarf der Eltern einzustellen (vgl. auch §§ 1609, 1603 Abs. 2 BGB). Die Kläger zu 1 und 2 sind zwar derzeit in der Lage, die Lebenshaltungskosten der Familie - ermittelt auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes - zu bestreiten und erhalten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr (vgl. insoweit noch Bescheid des Sozialamtes der Beklagten vom 14.09.2010 sowie die Mitteilung unter dem 18.10.2010, dass die Leistungen nunmehr eingestellt worden sind). Diese erst in den letzten Monaten eingetretene positive Entwicklung ist jedoch noch nicht hinreichend verfestigt, insbesondere ist eine unumkehrbare Verankerung der Kläger zu 1 und 2 in den deutschen Arbeitsmarkt und eine auskömmliche Sicherung des Bedarfs der Familie noch nicht anzunehmen.
49 
Die Kläger leben nach wie vor in einer Wohnung einer städtischen Asylunterkunft, für die Benutzungsgebühren erhoben werden. Die Familie hat ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet in der Vergangenheit überwiegend durch volle oder jedenfalls aufstockende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz finanziert, wobei die monatlichen Sozialleistungen unterschiedlich hoch gewesen sind und zwischen 300 EUR und 1176 EUR betragen haben (vgl. im Einzelnen die Auflistung Bl. 166 der Ausländerakte für den Kläger zu 1). Erst seit Januar 2008 ist die Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 uneingeschränkt erlaubt. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. vormittags als Putzhilfe und bezieht eine Entlohnung als geringfügig Beschäftigte. Soweit die Klägerin zu 2 - insoweit entgegen dem Inhalt der Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 08.12.2010 und der Verdienstabrechnung vom September 2010, die ausdrücklich den 23.11.2009 als Eintrittsdatum ausweisen - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, sie sei seit etwa einem halben Jahr dort beschäftigt, handelt es sich offensichtlich um ein sprachliches Missverständnis. Je nach Arbeitsanfall erhält sie zwischen 322 und 399 EUR netto im Monat, im Durchschnitt etwa 370 EUR. Wie sie im Einzelnen erläutert hat, hat sie einen zeitgleich vormittags stattfindenden Integrationskurs abgebrochen, um - mangels realisierbarer Beschäftigungsalternativen - diese Arbeit aufnehmen zu können. Der Kläger zu 1 ist seit Januar 2005 verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen, unter anderem als Fahrzeugpfleger bei der Firma B. Automobile, deren Umfang jedoch durch die beschränkte Zustimmungsentscheidung der Agentur für Arbeit ausweislich der Duldungsbescheinigungen vom 03.01.2005 bzw. 12.10.2005 auf zwanzig, später auf zehn Wochenstunden begrenzt gewesen ist. Zum 31.05.2006 hat die Firma B. dem Kläger zu 1 fristlos gekündigt. Von Januar bis März 2008 hat er mit einem monatlichen Auszahlungsbetrag zwischen 243,97 und 522,79 EUR gearbeitet. Ab 01.06.2008 ist der Kläger zu 1 mit einem monatlichen Brutto-Lohn von 1.385 EUR in Vollzeit bei einer Kfz-Werkstatt tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis ist zum 31.01.2009 aus betrieblichen Gründen gekündigt worden. Seit 01.09.2010 arbeitet der Kläger bei „...“ mit einer 40-Stunden-Woche als Hilfskraft im Gebrauchtwagenhandel und erhält monatlich 1.253,53 brutto (=1.000 EUR netto). Zusätzlich arbeitet er seit September 2010 als Aushilfe bei R. S. Baustahlarmierungen und bezieht hier monatlich 392,40 EUR.
50 
Für ein dauerhaftes wirtschaftliches „Fußfassen“ im Bundesgebiet ist es nicht zwingend erforderlich, dass die ausgeübte Tätigkeit eine besonders qualifizierte Berufstätigkeit darstellt. Auch kommt es letztlich nicht darauf an, dass der Kläger zu 1 in seiner Erwerbsbiographie stets Arbeitgeber ausländischer Herkunft gehabt hat und dass - gemessen an der gesamten Aufenthaltsdauer in Deutschland - erst relativ spät eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen worden ist. Allerdings kann von einer wirtschaftlich tragfähigen selbstständigen Existenzgrundlage allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Lebensphase des Bezugs von Sozialleistungen dauerhaft überwunden ist. Zur Feststellung der wirtschaftlichen Integration ist es dabei erforderlich, dass die Betroffenen, sofern - wie hier - kein nennenswertes Vermögen vorliegt, regelmäßige Einnahmen erzielen, die vom Umfang und der Stetigkeit ihres Zuflusses über den Regelbedarfssätzen nach den SGB II oder XII liegen und nicht etwa ständig um diese Grenzen oszillieren (näher GK-AufenthG, § 60a Rn 184 ff.). Ausgehend davon ist noch keine wirtschaftliche Verfestigung im Bundesgebiet gegeben.
51 
Die Kläger zu 1 und 2 erwirtschaften derzeit gemeinsam etwa 1.762 EUR monatlich. Dem steht rechnerisch ein Bedarf von etwa 2.117 EUR gegenüber. Dabei sind der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II noch nicht berücksichtigt. Der sich nach dem SGB II ergebende Unterhaltsbedarf für die Kläger zu 1 und 2 beträgt je 323 EUR (vgl. § 20 Abs. 3 SGB II, 90 % von der Regelleistung 359 EUR). Für die drei Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren sind jeweils 251 EUR anzusetzen (70 % von der Regelleistung 359 EUR, vgl. § 28 SGB II). Insgesamt beträgt der Unterhaltsbedarf der Kläger 1.399 EUR. Hinzukommen die Kosten für die Unterkunft, die das Sozialamt der Beklagten im Bescheid über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 14.09.2010 pro Person der Bedarfsgemeinschaft mit einer Grundmiete von 143,76 EUR angesetzt hat, insgesamt 718,80 EUR. Dieser Betrag entspricht dem Höchstbetrag, der für Paare mit zwei oder mehr zum Haushalt angehörenden unverheirateten Kindern als Gebühr für die Benutzung der Flüchtlingsunterkunft erhoben werden darf (vgl. die Satzung der Beklagten über die Benutzung von Unterkünften des Sozialamts für Wohnsitzlose und Flüchtlinge vom 25.03.2010 - abrufbar unter www.stuttgart.de). Auch ist zu bedenken, dass die Kläger zu 1 und 2 keine in Deutschland anerkannten Berufsausbildungen haben und lediglich als Hilfskräfte beschäftigt sind, mithin auf Positionen, die in besonderem Maße vom Verlust des Arbeitsplatzes bei konjunkturellen Schwankungen bedroht sind. Des Weiteren sind auch die Deutschkenntnisse des Klägers zu 1 nach dem Eindruck des Senats noch nicht von einer solchen Qualität, dass er jede für ihn in Frage kommende Tätigkeit annehmen und daher den Verlust eines Arbeitsplatzes kurzfristig kompensieren könnte. Er versteht zwar - wie seine Reaktionen in der Berufungsverhandlung gezeigt haben - Deutsch jedenfalls teilweise und kann sich nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten auch auf einfache Art in Deutsch unterhalten. Allerdings ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine Anhörung nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich gewesen. Dass die Klägerin zu 2, die sich - wie ihre Anhörung ergeben hat - flüssig auf einfache Art und Weise verständlich machen kann, ihre Beschäftigung zukünftig ausdehnen kann und wird, lässt sich nicht verlässlich annehmen. Ausweislich der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 sieht sie sich an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in zeitlich längerem Umfang dadurch gehindert, dass ihr Ehemann nicht zuverlässig nach den Kindern schaue. Insgesamt gesehen verfügen die Eltern der Klägerin zu 3 zwar durchaus über wirtschaftliche Bindungen, eine in wirtschaftlicher Hinsicht gelungene Integration der Kläger zu 1 und 2 liegt jedoch noch nicht vor.
52 
Weiter ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass ihr Aufenthalt nach der Rücküberstellung in das Bundesgebiet im Januar 2002 nie durch einen Aufenthaltstitel legalisiert worden ist. Der Klägerin zu 3 und den übrigen Familienmitgliedern ist verbal in der jeweils ausgestellten Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung stets vor Augen geführt worden, dass die Duldung keinen Aufenthaltstitel darstellt und deren Inhaber vollziehbar ausreisepflichtig ist. Aber auch mit Blick auf diesen tendenziell eher gegen die Führung eines schutzwürdigen Privatlebens sprechenden Umstand ist in der Gesamtschau der für die Feststellung des Ausmaßes der Integration relevanten - jeweils für und gegen die Klägerin zu 3 - streitenden Faktoren davon auszugehen, dass sie in erheblichem und schutzwürdigem Maße im Bundesgebiet „verankert“ ist.
53 
4.) In Ansehung des erreichten Integrationsstandes ist der Klägerin zu 3 nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch mit Blick auf den stets nur geduldeten Aufenthalt eine Rückkehr in den Irak nicht zuzumuten.
54 
a.) Die Klägerin zu 3 ist seit ihrem 5. Lebensjahr nicht mehr im Irak gewesen und hat aus eigenem Erleben keine Erinnerung an dieses Land. Die Lebensverhältnisse im Irak kennt sie allenfalls aus Erzählungen ihrer Eltern oder aus dem kurdischen Fernsehen. Sie kann sich zwar in Sorani mündlich verständigen, in schriftlicher Form fehlt es jedoch an Kenntnissen einer im Irak üblichen Sprache. Allerdings gilt für minderjährige Kinder der Grundsatz, dass bei der Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat entscheidend auf die Eltern und deren Hilfestellung abzustellen ist. Die familien- und aufenthaltsrechtliche Stellung minderjähriger Kinder gebietet es, dass diese prinzipiell aufenthaltsrechtlich das Schicksal der Eltern teilen (zu dieser sog. familienbezogenen Gesamtbetrachtung VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 31, vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 -juris Rn. 81 und vom 27.06.2006 - 11 S 951/06 - VBlBW 2006, 442 sowie Beschlüsse vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - juris und vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 -; NdsOVG, Beschluss vom 16.03.2010 - 8 ME 47/10 - juris Rn. 3; VG Stuttgart, Urteile vom 20.07.2006 - 4 K 921/06 - juris Rn. 57 und vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 39, 47; VG Koblenz, Urteile vom 11.01.2010 - 3 K 74/09.KO - juris Rn. 64 und vom 08.02.2010 - 3 K 206/09.KO - juris Rn. 79; GK-AufenthG, § 60a Rn. 179, 192; ein dogmatisch anderer Ansatz findet sich - allerdings in anderer Konstellation - in der Rechtsprechung des EuGH, vgl. Urteil vom 19.10.2004 - Rs. C-200/02 - InfAuslR 2004, 413). Das durch Art. 6 GG geschützte elterliche Sorgerecht umfasst unter anderem die Personensorge für das minderjährige Kind, die die Eltern auch dazu berechtigt, seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB). Dieses umfassende Recht der Eltern schränkt rechtlich zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen ein. Dieser ist nicht berechtigt, seinen Aufenthaltsort selbstständig und frei zu wählen. Dass Kinder mit zunehmendem Alter an Eigenständigkeit gewinnen, ändert an der Personensorge und dem hieraus folgenden Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern bis zum Eintritt der Volljährigkeit nichts. Diese rechtliche Ausgangssituation prägt auch die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung. Bei einem minderjährigen Kind ist daher maßgeblich die Situation der Eltern in den Blick zu nehmen. Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland bzw. fehlender „Entwurzelung“ über Art. 8 EMRK kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren ist und/oder dort lange Zeit gelebt hat und hier integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Eine prinzipiell andere Sichtweise würde dazu führen, dass minderjährige Kinder ihren nicht - oder jedenfalls nicht zulänglich - integrierten Eltern ein Aufenthaltsrecht verschaffen würden, obwohl diesen selbst eine Rückkehr in das Herkunftsland ohne weiteres zumutbar wäre. Im Ergebnis würden damit die Eltern das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer minderjährigen Kinder teilen, was mit den im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK ebenfalls einzustellenden einwanderungspolitischen Interessen des Staates grundsätzlich nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. auch NdsOVG, Urteil vom 29.01.2009 - 11 LB 136/07 - juris Rn. 75).
55 
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es jedoch gebieten, seinerseits Ausnahmen von der familieneinheitlichen Betrachtung zu machen. Ist kein Elternteil trotz der ihm aus seiner Stellung als Personensorgeberechtigter erwachsenden Pflichten in der Lage, die notwendige Hilfe bei der (Re-) Integration in den Herkunftsstaat zu erbringen, so fehlt der familienbezogenen Gesamtbetrachtung regelmäßig die Grundlage. Darüber hinaus kommt eine Ausnahme mit Blick auf die Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Wertvorstellungen dann in Betracht, wenn aufgrund der spezifischen Verhältnisse im Land der Staatsangehörigkeit ein „Einleben“ dort nur unter Inkaufnahme einer gravierenden Änderung der bisherigen Persönlichkeit und der durch diese bedingten Lebensführung möglich wäre. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in Deutschland heranwachsende Mädchen durch die hier erfolgte Sozialisation in einer Art und Weise geprägt sind, dass eine Verweisung auf ein Leben in ihrem Passstaat sie zwingen würde, ihre bisherige Identität und ihr Verständnis von der Bedeutung der Frau aufgeben zu müssen, weil die traditionelle Rolle der Frau und insbesondere ihre Stellung in der Öffentlichkeit in dem dortigen Gesellschaftssystem in unüberbrückbarem Gegensatz zu den auch von ihr im Bundesgebiet praktizierten Lebensverhältnissen stehen (GK-AufenthG, § 60a Rn 191; Bergmann, ZAR 2007, 128, 132). Diese Ausnahme trifft auf die Klägerin zu 3 zu.
56 
b.) Zwar wird die Klägerin zu 3 erst in einigen Monaten 14 Jahre alt. Sie ist jedoch ungeachtet ihres Alters in der hiesigen Gesellschaftsordnung und in ihren Wertvorstellungen in einer Weise „verwurzelt“, dass ihr eine Rückkehr in den Irak aufgrund der dort derzeit landesweit herrschenden Verhältnisse vor allem mit Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen nicht zugemutet werden kann.
57 
aa.) Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010 hat sich die Sicherheitslage im Irak zwar erheblich verbessert, sie ist aber im weltweiten Vergleich immer noch verheerend. Danach kommt es immer noch wöchentlich zu ca. 200 Anschlägen, bei denen im Schnitt pro Woche ca. 150 Todesopfer zu beklagten sind. Schwerpunkte terroristischer Anschläge bleiben weiterhin Bagdad und der Zentralirak, v.a. im Nordosten (Diyala, Salahaddin) sowie die Provinzen Tamin mit der Hauptstadt Kirkuk und Niniwe mit der Hauptstadt Mosul. Neuerdings werden auch Anschläge von Al-Qaida im Raum Basra verzeichnet. Die hohe Gewaltrate im Irak hat immer noch erhebliche Auswirkungen im alltäglichen Leben, wobei den Großteil der Opferlast die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung trägt. Immer wieder sind Zivilisten Opfer nicht nur politisch motivierter Gewalt, sondern auch organisierter Kriminalität wie Entführungen, Erpressungen und Morde (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 14 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 15). Die Sicherheitslage im von der Regionalregierung der Region Kurdistan-Irak (KRG) kontrollierten Gebiet ist deutlich besser als im Rest des Landes. Allerdings steigt in den außerhalb der kurdischen Autonomiezone liegenden Gebieten des Nordirak die Zahl der Anschläge und der Todesopfer. Besonders kritisch ist die Lage im erdölreichen Kirkuk, der Herkunftsregion der Klägerin zu 3 und ihrer Familie. Dieses gehört zu den umstrittenen Gebieten des Irak, in dem Araber und Kurden um die Vorherrschaft ringen und sowohl die Zentralregierung als auch die Regionalregierung Kurdistan-Irak die Kontrolle anstreben (vgl. näher Europäisches Zentrum für Kurdische Studien vom 07.07.2010 an VG Stuttgart; AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 15 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 16).
58 
Die Menschenrechtslage im Irak bleibt prekär. Zwar gibt es langsame Fortschritte; Verstöße gegen die Menschenrechte sind jedoch weiterhin weit verbreitet. Der Staat ist nicht in der Lage, die Sicherheit der Zivilbevölkerung und die Ausübung der in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten landesweit zu ermöglichen. Auch von der Region Kurdistan-Irak wird von schweren Menschenrechtsverstößen berichtet (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 28 ff. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 16 ff.).
59 
Zu den Hauptleidtragenden der gegenwärtigen Umstände im Irak gehören nach der Auskunftslage die Kinder. Die Folgen des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen und deren langsamer Wiederaufbau betreffen vor allem Familien, die auf Krankenhäuser, Schulen und Lebensmittelhilfen besonders angewiesen sind. Der Gesundheitszustand der Kinder hat sich seit März 2003 deutlich verschlechtert. Das Gesundheits- und Erziehungswesen im Irak liegt darnieder. Es mangelt an allem und die Grundversorgung ist unzureichend gesichert. Die Alphabetisierungsrate im Irak ist in den letzten 15 Jahren stark gefallen. Nur noch drei von vier Jugendlichen können lesen und schreiben. Die Möglichkeit des Schulbesuchs ist in Anbetracht der Sicherheitslage für viele Kinder noch eingeschränkt und mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Seit einiger Zeit werden Kinder Ziel von kriminellen Lösegelderpressern. Die Schulen sind oftmals in einem schlechten baulichen Zustand; es fehlt an sanitären Einrichtungen. Viele Schulen haben immer noch aus Mangel an Lehrpersonal geschlossen (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 19 f., 35 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 20, 34). Für die Situation von Schülerinnen und Schüler im Nordirak ergibt sich insoweit kein grundlegend anderes Bild (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe , Irak: Die sozio-ökonomische Situation im Nordirak, 07.06.2010, S. 14 ff.).
60 
Speziell was die Situation von Frauen und Mädchen anbelangt, so hat sich deren Stellung im Vergleich zur Zeit des Regimes unter Saddam Hussein deutlich verschlechtert. In der Verfassung aus dem Jahre 2005 ist die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter zwar formal festgeschrieben. Auch steht Frauen der Zugang zu Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt im Grundsatz offen. Die Verfassung garantiert ferner die soziale Sicherheit für Frauen und Kinder. Diese Prinzipien sind in der Praxis jedoch nicht umgesetzt (Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen). Die zunehmende Radikalisierung von Teilen der irakischen Gesellschaft hin zu fundamentalistisch radikalislamischen Überzeugungen stellt insbesondere für die Sicherheit der Frau eine Gefährdung dar. Darüber hinaus hat die allgemein prekäre Sicherheitslage erhebliche negative Auswirkungen auf das Alltagsleben der Frauen (siehe hierzu und zum folgenden AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 20 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 20 ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Geschlechtsspezifische Verfolgung für ausgewählte Herkunftsländer, April 2010, S. 96 ff. ; EZKS vom 15.08.2008 an VG Göttingen; Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen; SFH vom 20.11.2007 - Irak: Rückkehr einer verwitweten schiitischen Frau mit einem ehelichen und einem unehelichen Kind).
61 
Gewalt gegen Frauen ist im Irak weit verbreitet. Die Situation der Frauen wird als Privatangelegenheit einer Familie betrachtet und selten an staatliche Stellen herangetragen. Staatliche Schutzmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Nach dem Strafgesetzbuch ist der Ehemann berechtigt, seine Ehefrau zu bestrafen. Es gibt auch keine Vorschrift, nach der Vergewaltigung in der Ehe strafbar wäre. Zwangsverheiratung wird praktiziert. Die Tradition der Verheiratung junger Mädchen (ab 14 Jahre) existiert, besonders in den ländlichen Gebieten. Familienmitglieder verkaufen auch Mädchen und Frauen, um wirtschaftlichen Zwangslagen zu entgehen, Schulden zu bezahlen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen Familien zu überwinden. Frauen werden Opfer der im Irak nicht verbotenen und vor allem im stark patriarchalisch strukturierten Nordirak praktizierten Genitalverstümmelung. Auch Ehrenmorde sind noch immer in allen Teilen des Landes verbreitet. Schließlich nehmen in der irakischen Gesellschaft (insbesondere im schiitisch dominierten Süden) die Tendenzen zur Durchsetzung islamischer Regeln zu, z.B. Kleidervorschriften wie Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten. Frauen werden auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene mit dem Ziel unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und die Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Von Frauen wird verlangt, einen Schleier zu nehmen, keine Kleidung im westlichen Stil zu tragen und zu Hause zu bleiben. Frauen werden vor allem zur Zielscheibe islamischer Extremisten, wenn sie ein normales Leben nach westlichen Maßstäben führen wollen. Frauen, die von Gewaltakten betroffen werden, finden, insbesondere wenn es sich um Fälle häuslicher Gewalt handelt, bei staatlichen Stellen keinen Schutz.
62 
bb.) Für die Frage, ob in Anbetracht der derzeitigen Situation im Irak der Klägerin zu 3 eine Rückkehr zumutbar ist, kommt es aufgrund des unterschiedlichen Maßstabs nicht darauf an, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG hinsichtlich des Irak derzeit regelmäßig nicht vorliegen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.08.2010 - A 2 S 1134/10 - juris; OVG NRW, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - ; BayVGH, Urteil vom 21.01.2010 - 13a B 08.30283 -, wonach der westliche Habitus weiblicher irakischer Staatsangehöriger nicht als individuell gefahrenerhöhender Umstand berücksichtigt werden könne). Bei der einzelfallbezogenen Prüfung im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK geht es nicht primär um „Gefahrenlagen“, sondern um die Feststellung und Bewertung des Ausmaßes der Entfremdung vom Herkunftsstaat.
63 
Die Klägerin zu 3 hat aufgrund der von ihr als prägend erfahrenen Sozialisation im Bundesgebiet die Lebensweise der „westlichen Welt“ in Theorie und Praxis verinnerlicht. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer Art sich zu kleiden, sondern vor allem aus der oben unter 3.) im Einzelnen dargestellten Weise, ihre Freizeit zu verbringen und im Schulalltag aufzutreten. Die Klägerin zu 3 lebt auch in dem selbstverständlichen Bewusstsein, dass Jungen und Mädchen die gleichen Rechte haben und verhält sich dementsprechend. In dieser Art der Lebensführung wird sie von ihren Eltern bestärkt. Diese akzeptieren ihr Hobby Mädchenfußball und die Schwimmbadbesuche ebenso wie ihre Kontakte und Zusammenarbeit mit Jungen in der Schule (unter anderem im Team der Schülervertretung) oder Freizeit. Traditionelle oder gar archaische Vorstellungen werden in der Familie nicht gelebt. Weder ist das Tragen eines Kopftuchs üblich, noch spielt sich das Leben der Klägerin zu 3 und der weiteren weiblichen Familienmitglieder vor allem im häuslichen Bereich ab. Gerade die Klägerin zu 2 ist auch sehr darum bemüht, ihre Tochter auf deren Weg zu einem allgemein anerkannten Bildungsabschluss zu unterstützen. Bei der Bewertung, dass ihr vor diesem Hintergrund die erstmalige Integration in den Irak nicht angesonnen werden kann, spielt als solches keine Rolle, dass die Klägerin zu 3 dort ihren Hobbys nicht mehr nachgehen könnte und auch nicht die gleichen Bildungschancen hätte wie im Bundesgebiet sowie als Heranwachsende prinzipiell noch „entwicklungsfähig“ ist. Gewisse Anpassungen an das, was in seinem Herkunftsland üblich ist, können einem Ausländer abverlangt werden. Entscheidend ist jedoch der Umstand, dass die derzeitige gesellschaftliche Praxis im Irak, die bestimmt, was Frauen und junge Mädchen im Irak tun dürfen und können, diametral dem entgegensteht, was die Persönlichkeit der Klägerin zu 3 bisher geprägt hat und Ausdruck ihrer Individualität ist. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation für Frauen und Mädchen im Irak in überschaubarer Zukunft entscheidend verbessern würde, lassen sich den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht entnehmen; im Gegenteil: In den verwerteten Erkenntnismitteln kommt unübersehbar eine „schleichende“ Verschlechterung der Situation von Frauen und Mädchen zum Ausdruck. Die Aufgabe ihrer selbst - dies würde eine Verweisung auf ein Leben im Irak mit sich bringen - kann der Klägerin zu 3 nicht abverlangt werden.
64 
Selbst wenn man im Übrigen die Auffassung der Beklagten zugrunde legen würde, einem jungen Mädchen wäre aufgrund ihrer altersbedingt noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsbildung eine Integration in die Verhältnisse des Herkunftsstaates prinzipiell möglich und zumutbar, würde dies im vorliegenden Fall deshalb nicht gelten, weil die Klägerin zu 3 psychisch gar nicht in der Lage wäre, eine Rückkehr in den Irak mit der notwendigen Anpassung an den dortigen Lebensstil zu bewältigen. Dies hat die die Klägerin zu 3 betreuende Diplompsychologin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überzeugend dargelegt. Dies entspricht im Übrigen auch Erkenntnissen, die zu einer Rückkehr von Mädchen in den Irak nach langjährigem Auslandsaufenthalt im Westen vorliegen. Nach der Auskunft des EZKS vom 15.08.2008 an das Verwaltungsgericht Göttingen hat sich in den Fällen, in denen ganze Familien freiwillig in den Nordirak zurückgekehrt sind, diese Rückkehr vor allem für junge Frauen und Mädchen in der Pubertät, die einen wesentlichen Teil ihrer Sozialisation in Form eines westlich geprägten Lebensstils erfahren haben, als Katastrophe erwiesen und unter anderem unterschiedlichste psychische Störungen und Krankheiten, insbesondere Depressionen und Essstörungen, zur Folge gehabt.
65 
c.) Im Übrigen ergibt sich eine Ausnahme von der familienbezogenen Gesamtbetrachtung auch daraus, dass die Kläger zu 1 und 2 derzeit und bis auf Weiteres nicht in der Lage sind, der Klägerin zu 3 die für ein - erstmaliges -Einleben im Irak notwendige Hilfestellung zu gewähren. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellen würde, dass ihre Tochter auf den „Kulturschock“ nicht mit einer (psychischen) Erkrankung reagieren würde und sich der für sie dort erforderliche Aufwand an Betreuungs- und Beistandsleistungen nicht von dem unterscheidet, der auch ihren Geschwistern entgegen gebracht werden muss.
66 
Zwar sind die Kläger zu 1 und 2 selbst nicht „entwurzelt“. Sie haben den Irak erst als Erwachsene mit über 30 Jahren verlassen und dort einen höherwertigen Bildungsabschluss erlangt. Die Klägerin zu 2 hat im Irak das Gymnasium besucht und dort zunächst in einer Bank und später als Lehrerin gearbeitet. Sie spricht fließend Türkisch, Arabisch, Kurdisch und Farsi. Der Kläger zu 1 beherrscht ebenfalls diese Sprachen und verfügt auch über Kenntnisse der englischen Sprache. Außerdem leben noch Verwandte im Irak, unter anderem zwei Brüder und eine Schwester der Klägerin zu 2 in Kirkuk. Beide sind auch durch Berichte von Verwandten und das kurdische Fernsehen, das sie regelmäßig schauen, über die aktuellen Verhältnisse im Irak hinreichend informiert. So berichtet die Klägerin zu 2 einem Schreiben von Pfarrer B. - Arbeitskreis Asyl ... - vom 04.10.2010 zufolge bei Plenumssitzungen im Rahmen der „Aktuellen Runde“ über die Situation der Frauen im Irak. Allerdings sind die Kläger zu 1 und 2 aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastungen und Erkrankungen nicht in der Lage sein, ihrer Tochter die unerlässliche Hilfe zu geben, die diese nach einem langen und ihr Leben prägenden Aufenthalt im Bundesgebiet bräuchte, um sich im Irak einleben zu können.
67 
Die Klägerin zu 2 ist seit dem Jahre 2007 bis heute bei der PVB wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung. Das Gesundheitsamt der Beklagten hat aufgrund einer amtsärztlich-psychiatrischen Untersuchung der Klägerin zu 2 am 19.12.2007 ein erheblich ausgeprägtes depressives Syndrom (mittelschwere bis schwere Episode) mit Somatisierung vor einem posttraumatischen Hintergrund diagnostiziert. Nach einer erneuten Untersuchung vom 26.10.2009 und unter Berücksichtigung eine Stellungnahme der PBV vom 21.07.2009 hat gerade auch der Amtsarzt eine Fortsetzung der Therapie wegen eines erheblich ausgeprägten depressiven Syndroms mit Somatisierung auf posttraumatischer Grundlage befürwortet. Wie die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwesende Diplompsychologin überzeugend geschildert hat, ist die Klägerin zu 2 aufgrund der Behandlung und der sie umgebenden „Netzwerke“ mittlerweile in der Lage, ihr Leben zu bewältigen. Durch die psychologische Betreuung und die ihr hier ermöglichten Tätigkeiten - wie etwa das gelegentliche und ehrenamtliche Übersetzen für andere Flüchtlinge oder das „Sich-Einbringen“ in der Schule ihrer Kinder oder während ihrer Erwerbstätigkeit - erfährt die Klägerin zu 2 die für sie erforderliche innere Stabilität. Dass die Klägerin zu 2 für die Erlangung bzw. Aufrechterhaltung eines seelischen Gleichgewichts ungeachtet dessen, dass sie selbst aktiv hieran arbeitet, auf Unterstützung durch Dritte angewiesen ist, hat auch die die Kläger betreuende Sozialarbeiterin, die mit der Familie ständigen Kontakt hat, im Einzelnen dargelegt. Sie sieht die Klägerin zu 2 am Rande der Belastbarkeit stehen und dringend auf die Einbindung durch ihr soziales Engagement in ihrem derzeitigen Umfeld angewiesen. Würde die Klägerin zu 2 auf ein Leben in den Irak verwiesen, so wäre sie dort für einen unabsehbaren Zeitraum nicht in der Lage, ihren Kindern zu helfen, weil sie selbst eine Rückkehr in den Irak psychisch nicht verkraften würde. Diese schon in verschiedenen schriftlichen Stellungnahmen der PBV zum Ausdruck gebrachte Prognose hat die vom Senat angehörte Psychologin nochmals bekräftigt und darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin zu 2 zumindest mit einer schweren Depression zu rechnen wäre. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine psychische Erkrankung der Klägerin zu 2 im Irak grundsätzlich behandelbar wäre, würde die Notwendigkeit, mit den eigenen Problemen kämpfen zu müssen, bei ihr zwangsläufig so sehr im Vordergrund stehen, dass sie vorhersehbar nicht in der Lage wäre, ihren Kindern diejenige Hilfestellung zu bieten, auf die diese bei der von ihnen zu leistenden erstmaligen Integration in ein fremdes Land existentiell angewiesen wären.
68 
Auch der Kläger zu 1 könnte seine Kinder bei einer Rückkehr in den Irak nicht adäquat unterstützen. Er leidet an einem behandlungsbedürftigen Alkoholproblem und hat deswegen auch schon einen Arzt konsultiert. Seine Ursache hat der Alkoholkonsum nach der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 aber auch nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter anderem darin, dass ein Bruder von ihm im Jahre 2003 in Kirkuk durch ein Attentat getötet worden sei. Er ist darüber hinaus wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Aufgrund seiner Labilität würde er - wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen der PBV und den mündlichen Angaben der Psychologin ergibt - selbst eine Rückkehr in den Irak nicht verkraften und erst Recht nicht die notwendige Hilfestellung gegenüber der Klägerin zu 3 leisten können. Der lange und das Mädchen prägende Aufenthalt im Bundesgebiet, ihr vollständig fehlender Bezug zum Irak, die bei ihr nicht vorhandenen Kenntnisse einer im Irak üblichen Schriftsprache, die prekäre allgemeine (Sicherheits-)Lage, die beschränkten Schulmöglichkeiten und die unzureichend gesicherte Grundversorgung würden an den Erziehungsberichtigen besonders hohe Anforderungen hinsichtlich der Unterstützungsleistungen stellen, die im konkreten Einzelfall aufgrund der bei ihm fehlenden eigenen Belastbarkeit nicht erbracht werden könnten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in dieser Konstellation Verwandte oder sonstige Dritte im Irak die den Eltern obliegenden Aufgaben der Begleitung bei der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse (vorübergehend) in der notwendigen Art und Weise übernehmen könnten.
69 
d.) Im Rahmen dieser Bewertung, dass der Klägerin zu 3 in Anbetracht ihres erreichten Integrationsstands eine Rückkehr in den Irak nicht zugemutet werden kann, spielt es keine entscheidende Rolle, dass ihr Aufenthalt zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich legalisiert gewesen ist. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Aussetzung der Abschiebung seit Jahren mit Blick auf die Verhältnisse im Irak vorgenommen worden ist und wird. Dies folgt aus den zur „Rückführung irakischer Staatsangehöriger“ ergangenen Schreiben des Innenministerium vom 18.06.2003, vom 27.11.2003, vom 29.07.2004 und vom 12.03.2007 in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Fassung gemäß ZV-AufenthG (Abschn. D - Irak Nr. 3). Dem entsprechend haben die Beklagte oder das beigeladene Land zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anstrengungen unternommen, den Aufenthalt der Klägerin zu 3 und ihrer Familie zu beenden. Dass die Situation im Irak auch aus Sicht der Ausländerbehörden nicht ohne weiteres für jeden im Bundesgebiet lebenden ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen zu bewältigen ist, lässt sich daran ersehen, dass bislang nur straffällig gewordene Iraker abgeschoben worden sind, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, die Schutzfunktionen übernehmen und den betreffenden Rückkehrern Zugang zu Wohnmöglichkeiten und anderen Grundversorgungen verschaffen können (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 38 sowie ZV-AufenthG Abschn. D - Irak Nr. 3). Aufgrund dieser Besonderheiten ist dem aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkt der Begrenzung und Steuerung von Zuwanderern im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.
70 
5.) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK steht nicht entgegen, dass bei ansonsten vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen der Lebensunterhalt nicht vollständig gesichert ist und die Klägerin zu 3 selbst nicht über einen Pass verfügt. Insoweit liegen Ausnahmen von den Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG vor.
71 
a.) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft unter Berücksichtigung der von ihm angestrebten Aufenthaltsdauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. zur Prognose GK-AufenthG § 2 Rn. 41 ff.). Bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs kommt es auf den Bedarf der Kernfamilie an, d.h. bei der Prognose, ob der Lebensunterhalt der Klägerin zu 3 künftig voraussichtlich gesichert ist, ist der Bedarf der Kläger zu 1 und 2 sowie 4 und 5 ebenfalls zu berücksichtigen. Bei erwerbsfähigen Ausländern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs seit dem 01.01.2005 nach den entsprechenden Bestimmungen des 2. Sozialgesetzbuchs (SGB II). Dabei sind bei der Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens grundsätzlich der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu Lasten des Ausländers anzusetzen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 und 1 C 21.09 - bisher nur Pressemitteilung sowie Urteile vom 07.04.2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -NVwZ 2009, 248 ). Gemessen hieran kann prognostisch nicht von einer Sicherung des Lebensunterhalts ausgegangen werden.
72 
Die Kläger zu 1 und 2 verdienen derzeit gemeinsam monatlich etwa 1.762 EUR netto. Es bestehen zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschäftigungen der Klägerin zu 2, die bereits über ein Jahr bereits ausgeübt wird, und diejenige des Klägers zu 1 demnächst wieder entfallen könnten. Wie die Metzgerei Z. in der Arbeitsbescheinigung vom 08.12.2010 ausgeführt hat, ist die Klägerin zu 2 bis auf weiteres in der Filiale in S. beschäftigt, wo man mit ihrer Arbeit zufrieden sei. Auch hinsichtlich des Klägers zu 1 ist von einer weiteren Erwerbstätigkeit auszugehen. Der den Kläger zu 1 hauptberuflich beschäftigende Arbeitgeber hat unter dem 08.12.2010 schriftlich sowie ergänzend in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen, er sei mit dessen Arbeit stets sehr zufrieden gewesen. Daher habe er ihn im September 2010 festangestellt. Auch könne die vom Kläger zu 1 zusätzlich ausgeübte Nebentätigkeit als geringfügig Beschäftigter problemlos mit seiner Tätigkeit als Aushilfsarbeiter bei ihm in Einklang gebracht werden. Es ist auch nicht zu erkennen, dass einer weiteren Erwerbstätigkeit der Eltern der Klägerin zu 3 rechtliche Hindernisse entgegen stehen könnten. Zwar berechtigt der auch ihnen zu erteilende humanitäre Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG (siehe unten III.) nicht schon kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Allerdings ist prognostisch davon auszugehen, dass den Klägern zu 1 und 2 die Ausübung der Erwerbstätigkeit erlaubt werden wird (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2 AufenthG). Denn selbst als nur Geduldeten wird ihnen seit Januar 2008 die Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt. Dass die Zulassung einer Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 nunmehr auf der Grundlage eines - letztlich an die Stelle der Duldung tretenden - zunächst nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für sechs Monate befristeten humanitären Aufenthaltstitels unter arbeitsmarktspezifischen Aspekten anders zu bewerten wäre, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu auch § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV). Andererseits steht aber auch nicht zu erwarten, die Kläger zu 1 und 2 könnten in einem überschaubaren Zeitraum ein deutlich höheres Einkommen erzielen. Zwar ist dem Kläger zu 1 eine höhere Entlohnung bei der Firma ... ... in Aussicht gestellt worden, wenn er - auf der Grundlage eines Aufenthaltstitel - für den Betrieb flexibler verwendungsfähig wäre und etwa auch Autos ins Ausland verbringen könnte. Eine konkrete Zusage des Arbeitgebers, die prognostisch Berücksichtigung finden müsste, liegt jedoch nicht vor.
73 
Ausgehend von einer sozialversicherungspflichtigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu 1 auf der Grundlage eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht den Eltern zukünftig jedoch Kindergeld zu, das nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Einkommen zu berücksichtigen ist. Nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld unter anderem derjenige, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzt und sich seit mindestens drei Jahren geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist. Nach § 6 Abs. 1 BKGG beträgt das Kindergeld für die Klägerin zu 3 und den Kläger zu 4 jeweils 184 EUR sowie für die Klägerin zu 5 190 EUR, mithin zusammengerechnet 558 EUR. Insgesamt werden den Klägern daher bei einem Einkommen von 1.762 EUR zukünftig 2.320 EUR zur Verfügung stehen.
74 
Dem steht ein Bedarf von 2.580 EUR gegenüber. Dieser errechnet sich zunächst anhand der von den Klägern zu tragenden Gebühren für die Unterkunft in Höhe von etwa 718 EUR und des - auf der Grundlage der Regelsätze des SGB II ermittelten - Bedarfs von 1.399 EUR (siehe hierzu oben unter 3.). Des weiteren sind sowohl für den Kläger zu 1 als auch für die Klägerin zu 2 jeweils ein Betrag von 100 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II anzusetzen. Schließlich sind zu Lasten der Erwerbstätigen aus einem durchschnittlich monatlich zugrunde gelegten Nettoeinkommen der Klägerin zu 2 in Höhe von 370 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II ein Betrag von 54 EUR und für den Kläger zu 1 bei einem Gesamt-Nettoeinkommen von 1.329 EUR ein solcher von etwa 209 EUR anzusetzen.
75 
Allerdings gebietet der Schutz des Privatlebens der Klägerin zu 3 im Sinne des Art. 8 EMRK die Annahme eines Ausnahmefalles (zur Atypik aufgrund völker- oder verfassungsrechtlicher Wertentscheidung siehe etwa BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn.13 ff.; GK-AufenthG § 5 Rn. 28; Renner, a.a.O. § 5 Rn. 21 ff.). Die Klägerin zu 3 kann aufgrund des Ausmaßes ihrer Integration im Bundesgebiet bei gleichzeitiger „Entwurzelung“ nicht auf ein Leben im Irak verwiesen werden, sondern ist auf ein Verbleiben in der Bundesrepublik angewiesen. Diese für einen Ausnahmefall streitende Wertentscheidung des Art. 8 EMRK ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb in einem anderen Licht zu sehen, weil die Ausländerin minderjährig ist. Zwar könnte die Bejahung eines atypischen Falles in einer solchen Konstellation dazu führen, dass über den Rechtsanspruch des Kindes - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht - nicht integrationswillige oder -fähige Eltern wegen der grundsätzlich schutzbedürftigen familiären Lebensgemeinschaft ein rechtlich legalisiertes Bleiberecht vermittelt werden könnte, was nicht nur einwanderungspolitisch bedenklich wäre, sondern auch dem von der Konvention anerkannten Recht eines Konventionsstaats zuwiderlaufen würde, über den Zuzug von Ausländern und dessen Voraussetzungen selbst zu entscheiden. Im vorliegenden Fall greifen derartige Bedenken jedoch schon im Hinblick auf den Grad der Integration der Eltern der Klägerin zu 3 nicht durch. Diese haben zwar vor allem in sprachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht hier noch nicht in einer Weise Fuß gefasst, dass sie Inländern vergleichbar wären. Sie arbeiten jedoch an der Verbesserung der Sprachkenntnisse, verhalten sich entsprechend der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung - die eingeholten Auskünfte aus dem Zentralregister vom 04.10.2010 weisen keine Eintragungen auf -, engagieren sich hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten (so etwa die Klägerin zu 2 als Elternvertreterin oder der Kläger zu 1 beim Fußball seiner Kinder) und sind um die Erlangung einer qualifizierteren und besser bezahlten Erwerbstätigkeit bemüht. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall die Diskrepanz zwischen Unterhaltsbedarf und eigenem Einkommen mit 260 EUR relativ betrachtet gering und allein durch die bedarfserhöhend angesetzten Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II bedingt. Ein fiktiver Abzug von letztlich tatsächlich vorhandenem Einkommen zu Lasten des Ausländers ist bei einem aus dem Völkerrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht mit dessen Wertentscheidung nicht in Einklang zu bringen.
76 
b.) Die Klägerin zu 3 ist weder im Besitz eines eigenen Passes noch ist sie in dem der Klägerin zu 2 am 24.06.2009 ausgestellten irakischen Reisepass eingetragen (siehe zu dieser Möglichkeit der Erfüllung der Passpflicht § 2 Satz 1 AufenthV). Es liegt jedoch ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG vor. Der Zweck der Passpflicht besteht darin, durch den Besitz eines gültigen Passes den Behörden die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit sowie der Rückkehrberechtigung seines Inhabers ohne weiteres zu ermöglichen (Renner, a.a.O., § 5 Rn. 14 und Nr. 3.0.8 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 26.10.2009, abgedr. in Renner, a.a.O. vor § 3; GK-AufenthG, § 3 Rn. 14). Nach der Bestätigung der irakischen Botschaft in Berlin vom 11.02.2009 hat die Klägerin zu 3 die regulär geforderten irakischen Unterlagen für die Ausstellung der neuen irakischen Reisepässe mit dem Serienbuchstaben G eingereicht, und der Antrag ist an das zuständige irakische Innenministerium nach Bagdad weitergeleitet worden. Diese Bestätigung liegt mit gleichem Datum auch hinsichtlich ihres Vaters, des Klägers zu 1, vor. Wie die Prozessbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert hat, ist im Hinblick auf unterschiedliche Auffassungen zur richtigen Schreibweise des Vornamens des Klägers zu 1, was auch Auswirkungen auf die Pässe der Kinder hat, während des Verfahrens die Erneuerung seines Personalausweises gefordert worden. Der Kläger zu 1 hat dies daraufhin beantragt. Nunmehr sind alle Kläger im Besitz von am 08.08.2010 in Kirkuk ausgestellten irakischen Identitätskarten, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegt worden sind. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Eltern der Klägerin zu 3 bereits alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen für die Ausstellung eines Reisepasses vorgenommen haben, kann die lange Dauer des Verfahrens durch die Heimatbehörden in Passangelegenheiten, die auch Erkenntnissen des Auswärtige Amt entspricht (siehe etwa Lagebericht vom 28.11.2010, S. 36 f. zur Tätigkeit der irakischen Botschaft), nicht zu Lasten der Klägerin zu 3 gehen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 58; Renner, a.a.O., § 5 Rn. 13). Für eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung in einem solchen Fall spricht auch, dass der Klägerin zu 3 ein sich aus dem Völkerrecht ergebender Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels zusteht. Im Übrigen können auch wesentliche Funktionen der Passpflicht mit den in der Berufungsverhandlung vorgelegten Unterlagen hinreichend abgedeckt werden. So ist insbesondere die irakische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 3 nach der im Original vorgelegten irakischen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen für ihre Eltern, von denen sie durch Abstammung ihre Staatsangehörigkeit ableitet, unzweifelhaft.
II.)
77 
Der seit dem 31.01.2002 geduldete Kläger zu 4 hat ebenfalls einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
78 
Entsprechend den allgemeinen Darlegungen oben unter I.) führt der Kläger zu 4 im Bundesgebiet ein schutzwürdiges Privatleben, das durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Der am 01.11.1998 geborene Kläger zu 4 lebt seit über acht Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet und besucht hier altersentsprechend die 6. Klasse der Hauptschule. Seine deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift entsprechenden denjenigen von Mitschülern deutscher Herkunft. Er hat einen auch deutsche Freunde umfassenden Freundeskreis, mit dem er verschiedene Aktivitäten außerhalb der Schule durchführt (wie etwa Fahrradtouren oder Theaterspiel) und spielt in einem Verein Fußball. Ebenso wie bei seiner älteren Schwester ist auch für den Kläger zu 4 aus den dort allgemein angestellten Erwägungen heraus eine Duldung nicht ausreichend, um sein Privatleben in einer der Konvention entsprechenden Weise führen zu können. Dass es durch eine Duldung dem Kläger zu 4 nicht möglich ist, etwa an Fußballturnieren und entsprechenden Freizeitaktivitäten seines Vereins außerhalb Baden-Württembergs teilzunehmen, obwohl er dies möchte, d.h. dass dieses Verbot eine Belastung für ihn darstellt, ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wie auch schon beim Verwaltungsgericht im Einzelnen deutlich worden.
79 
Der Kläger zu 4 ist in einer Weise in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integriert, die im Wesentlichen derjenigen der Klägerin zu 3 entspricht. Er hat in etwa drei Viertel seines bisherigen Lebens im Bundesgebiet verbracht und geht in eine Regelschule. Nach dem zuletzt erteilten Zeugnis der Hauptschule (Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10) ist für Deutsch die Note „ausreichend“ vergeben worden; die Leistungen in den übrigen Fächern und Fächerverbünden sind mit „befriedigend“ und „ausreichend“, in einem Fach mit „gut“ bewertet worden. Die in dem Zeugnis ebenfalls enthaltene verbale allgemeine Beurteilung der Arbeitshaltung, Selbstständigkeit und Zusammenarbeit in der Klassen- und Schulgemeinschaft zeigt zwar noch etliche Defizite beim Kläger zu 4 auf (wie etwa schwankende Unterrichtsbeteiligung, Störung des Unterrichts). Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass es sich hierbei nicht um alters- und entwicklungstypische Erscheinungen handeln würde. Im Übrigen arbeitet der Kläger zu 4 an der Verbesserung seiner Leistungen. Nach einem Schreiben der Kontaktgruppe Asyl ... vom 29.07.2009 erhält er durch den Asylkreis Hilfe bei den Hausaufgaben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten komme er zuverlässig zu den Terminen. Er habe Erklärungen in Mathematik und Deutsch schnell verstanden und habe sich die Methoden und Regeln merken können. Er sei auch zu zusätzlichen Leistungen bereit, doch brauche er weiterhin viel Übung, um seine schulischen Leistungen deutlich verbessern zu können. Auch die Sorgfalt und das Gefühl der Verantwortung für seine schulischen Leistungen müssten noch wachsen. Er müsse noch begreifen, wie wichtig Bildung für seinen weiteren Lebensweg sei. Doch sei er auf einem guten Weg. Diese Nachhilfe nimmt er nach wie vor in Anspruch und hat nach einem am 08.12.2010 vorgelegten Schreiben seiner „Nachhilfelehrerein“ erhebliche Fortschritte gemacht. Der Kläger zu 4 ist in der 6. Klasse von seinen Mitschülern zum Klassensprecher gewählt worden, nachdem er zuvor stellvertretender Klassensprecher gewesen war.
80 
Der Kläger zu 4 ist auch außerhalb seines Schulalltags fest in die hier gegebenen gesellschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse eingebunden. In seiner Freizeit spielt er schon seit längerem beim TSV H. Fußball. Er ist - nach seinen Angaben seit zwei Jahren - Kapitän der D-Jugendmannschaft und nimmt auch an Turnieren teil. Zusätzlich spielt er außerhalb des Vereins Fußball und ist auch im Übrigen sportlich sehr aktiv. Nach einer Stellungnahme von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Arbeitskreises Asyl vom 02./03.12.2010 trainiert der Kläger zu 4 ferner in einem Boxverein und nimmt außerdem Angebote der evangelischen Kirchengemeinde ... für Kinder wahr. Als jüngeres Kind hat er am Laternenumzug teilgenommen. Ebenso wie seine ältere Schwester engagiert sich der Kläger zu 4 seit April 2010 bei dem Theaterprojekt „Yourstory“ des Jugendhauses ... in Kooperation mit der „freien bühne ...“. Nach den für den Kläger zu 4 erstellten Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé ... vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme er häufig zu den verschiedenen Angeboten des Schülercafés. Er nehme regelmäßig an einem wöchentlichen Fußballprogramm teil. Er komme zum Jungentreff und nutze am Freitagabend gerne das Angebot des Teenietreffs. In den Pfingstferien 2009 sei er Teilnehmer der viertägigen Fahrradfreizeit gewesen. Er beteilige sich rege am Geschehen in der Einrichtung. Meistens nutze er mit gleichaltrigen Freunden die Angebote. Er sei sehr aktiv und voll integriert. Insgesamt gesehen unterscheidet sich die Lebensweise des Klägers zu 4 in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht von derjenigen, wie sie auch von gleichaltrigen Schülern deutscher Herkunft gelebt wird. Unter Berücksichtigung des Maßes der Integration unter wirtschaftlicher Hinsicht und mit Blick auf den Duldungsstatus bereits oben unter I. 3.) getroffenen Feststellungen, die für den Kläger zu 4 gleichermaßen gelten, ist auch bei ihm davon auszugehen, dass er in erheblichem Maße im Bundesgebiet integriert ist.
81 
In Ansehung des erreichten Integrationsstands ist ihm auch trotz seines stets nur geduldeten Aufenthalts eine Rückkehr in den Irak ebenfalls nicht zuzumuten. Der Kläger zu 4 lebt im Bundesgebiet seitdem er drei Jahre alt gewesen ist. Den Irak kennt er aus eigenem Erleben nicht mehr. Er kann sich zwar in der Muttersprache seiner Eltern verständigen, hat jedoch keine Kenntnisse der Schriftsprache. Auf eine Hilfestellung seiner Eltern bei der - erstmaligen -Integration in seinen Passstaat kann er nicht verwiesen werden, weil diese auch ihm gegenüber entsprechend den Ausführungen oben unter I. 4.c.) nicht in der Lage wären, die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Entsprechend den Darlegungen oben unter I. 5.) stehen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht entgegen.
III.)
82 
Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht mit Rücksicht auf die stets gelebte und dem Schutz von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unterfallende familiäre Lebensgemeinschaft mit den Klägern zu 3 und 4 ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Zwar könnte eine Trennung von den Klägern zu 3 und 4 auch dadurch vermieden werden, dass die Abschiebung der übrigen Familienmitglieder weiter ausgesetzt wird. Das Rechtsinstitut der Duldung ist jedoch nicht dazu bestimmt, einen nach der Verfassung gebotenen dauernden Aufenthalt zu sichern und zu ermöglichen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.11.2009 - 13 S 2002/09 - juris Rn. 42; vgl. auch GK-AufenthG, § 60a Rn. 133 ff.). Hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen gelten mit Blick auf den verfassungsrechtlich gebotenen weiteren Aufenthalt die Ausführungen unter I. 5.) entsprechend.
IV.)
83 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO.
84 
Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. Nr. 1 VwGO. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Rechtsfrage, ob bei einem im Bundesgebiet - mit Blick auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat - stets nur geduldeten Aufenthalt der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet ist, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig
85 
Beschluss vom 13. Dezember 2010
86 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG auf 25.000,-- EUR festgesetzt.
87 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Gründe

 
20 
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht den von den Klägern jeweils geltend gemachten Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG bejaht. Die zulässigen Verpflichtungsklagen sind begründet; die Bescheide der Beklagten vom 18.12.2008 und der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 08.05.2009 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger daher in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
21 
Die Klägerin zu 3 hat in dem für die Sach- und Rechtslage maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aus dem Recht auf Achtung ihres Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung ihres Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (I.). Der sachliche und personelle Anwendungsbereich des Art. 8 EMRK ist eröffnet. Auch ein Ausländer, der seit seiner Einreise in das Bundesgebiet nur über einen geduldeten Aufenthalt nach § 60a Abs. 2 AufenthG verfügt, kann sich auf das Recht auf Achtung seines Privatlebens berufen. Der prekären aufenthaltsrechtlichen Situation ist im Rahmen der Prüfung des Art. 8 Abs. 2 EMRK nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen (1.). Der Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens besteht darin, dass durch die Vorenthaltung eines verlässlichen Aufenthaltsstatus das Privatleben der Klägerin zu 3 unverhältnismäßig beeinträchtigt wird (2.). Sie ist in besonderem Maße im Bundesgebiet integriert (3.). Auch unter Berücksichtigung ihres prekären Aufenthaltsstatus kann ihr nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Rückkehr in ihren Herkunftsstaat nicht zugemutet werden (4.). Dem Anspruch der Klägerin zu 3 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis stehen die Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG nicht entgegen (5.). Auch der Kläger zu 4 hat aus dem Recht auf Achtung seines Privatlebens nach Art. 8 EMRK einen Anspruch auf Legalisierung seines Aufenthalts gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG (II.). Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht ein Anspruch auf Erteilung eines Titels nach § 25 Abs. 5 AufenthG im Hinblick auf die jeweils mit den Klägern zu 3 bzw. 4 gelebte familiäre Lebensgemeinschaft zu (III.).
I.)
22 
Der Klägerin zu 3 ist nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen.
23 
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall des Ausreisehindernisses nicht in absehbarer Zeit zu rechnen ist. Nach Satz 2 soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten ausgesetzt ist.
24 
Die Klägerin zu 3 ist aufgrund der im Asylverfahren ergangenen Abschiebungsandrohung gemäß Bescheid des Bundesamts vom 29.10.1999 vollziehbar ausreisepflichtig. Sie wird seit 31.01.2002 bis heute ununterbrochen („ketten“-)geduldet und damit um ein Vielfaches länger als der in § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG definierte Zeitraum. Die - freiwillige - Ausreise der Klägerin zu 3 ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, weil einer solchen das Recht auf Achtung des Privatlebens aus Art. 8 EMRK entgegensteht. Der Begriff der Ausreise umfasst die zwangsweise Abschiebung und die freiwillige Ausreise (BVerwG, Urteile vom 10.11.2009 - 1 C 19.08 - juris Rn. 12 und vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 15). Da die Ausreise eine unvertretbare Handlung darstellt, ist die Unmöglichkeit im Hinblick auf den betroffenen Ausländer zu prüfen. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt vor, wenn es diesem Ausländer aus Rechtsgründen nicht zuzumuten ist, Deutschland zu verlassen. Allgemeine Widrigkeiten oder Überlegungen humanitärer Art, die keine Abschiebungshindernisse zur Folge haben, bleiben dabei unberücksichtigt. Somit ist die Ausreise unzumutbar und damit unmöglich, wenn rechtliche zielstaats- und/oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse bestehen (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006 - 1 C 14.05 - juris Rn. 17). Zu den inlandsbezogenen Abschiebungsverboten zählen auch die Verbote, die aus Verfassungsrecht (z.B. Art. 6 GG) oder aus Völkervertragsrecht (etwa Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (BVerwG, Urteil vom 27.6.2006, a.a.O.).
25 
1.) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Klägerin zu 3 die Berufung auf § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK nicht deshalb verwehrt, weil die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104a AufenthG nicht erfüllt worden sind. Die Klägerin zu 3 und ihre Familie haben sich zum Stichtag am 01.07.2007 nicht - wie von § 104a Abs. 1 Satz 1 AufenthG für Familien mit minderjährigen Kindern gefordert - seit mindestens sechs Jahren im Bundesgebiet aufgehalten. Sie sind zwar erstmals im Juli 1999 in das Bundesgebiet eingereist. Allerdings kann auf diesen Zeitpunkt nicht abgestellt werden, weil die Familie den Angaben im Asylfolgeverfahren zufolge nach Erlass des ablehnenden Bescheids des Bundesamts vom 29.10.1999 zunächst in der Türkei gegangen ist, um dort zu leben (siehe im Einzelnen den Schriftsatz ihres damaligen Prozessbevollmächtigten vom 28.03.2002 im Verfahren A 2 K 10431/02). In einem solchen Fall liegt keine unschädliche Unterbrechung der Aufenthaltszeiten vor (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 22 ff.; GK-AufenthG, § 104a Rn. 12 ff.). Erst mit ihrer Rücküberstellung aus Schweden am 23.01.2002 - dorthin war die Familie nach ihrer Abschiebung in den Irak durch die türkischen Behörden zum Zwecke der Asylantragstellung gereist - hat daher der für § 104a AufenthG relevante Aufenthaltszeitraum zu laufen begonnen. Aus der Existenz von Bleiberechts- und Altfallregelungen ergibt sich jedoch keine Sperrwirkung für eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK (so aber Fritzsch, Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14; Kluth/Hund/Maaßen, Zuwanderungsrecht, 2008, § 4 Rn. 661, 664). Systematisch stehen die Altfallregelungen der §§ 104a und 104b AufenthG neben § 25 Abs. 5 AufenthG (näher Renner, Ausländerrecht, 9. Aufl. 2011, § 25 Rn. 78; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 42). Die in den Altfallregelungen normierten generalisierten Fallkonstellationen, die rechtspolitisch begründet und nicht etwa verfassungs- bzw. völkerrechtlichen Bindungen des Gesetzgebers geschuldet sind, berühren die hiervon losgelöste Einzelfallbetrachtungen auf der Grundlage der Menschenrechtskonvention nicht (vgl. auch VGH Bad-Württ., Urteil vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 19 und Beschluss vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - juris Rn. 12).
26 
a.) Mit Blick auf den Aufenthalt umfasst das Recht auf Achtung des Privatlebens die Summe der persönlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind und denen angesichts der zentralen Bedeutung dieser Bindungen für die Entfaltung der Persönlichkeit eines Menschen bei fortschreitender Dauer des Aufenthalts wachsende Bedeutung zukommt. Ein Eingriff in die Rechte aus Art. 8 Abs. 1 EMRK muss gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.05.2007 - 2 BvR 304/07 - InfAuslR 2007, 275, 277 m.w.N.). Allerdings darf die Vorschrift nicht so ausgelegt werden, als verbiete sie allgemein eine gegebenenfalls auch zwangsweise Aufenthaltsbeendigung bei Ausländern bereits deswegen, weil diese sich eine bestimmte Zeit im Aufnahmeland aufgehalten haben. Nach der ständigen Spruchpraxis des EGMR lässt sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK grundsätzlich kein irgendwie geartetes Recht dahingehend ableiten, ein Ausländer dürfe sich einen Aufenthaltsort in einem Konventionsstaat frei wählen. Vielmehr ist den Konventionsstaaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Einwanderung in ihr Hoheitsgebiet zulassen wollen. Unter anderem in seinen Entscheidungen vom 16.09.2004 (11103/03 - - NVwZ 2005, 1046), vom 07.10.2004 (33743/03 - - NVwZ 2005, 1043) und vom 18.10.2006 (46410/99 - <Üner> - NVwZ 2007, 1279) hat der EGMR ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Konvention nicht das Recht eines Ausländers garantiere, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten oder nicht ausgewiesen bzw. abgeschoben zu werden. Die Vertragsstaaten haben vielmehr nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen das Recht, über die Einreise, den Aufenthalt und die Aufenthaltsbeendigung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden (siehe hierzu auch BVerwG, Urteile vom 09.12.1997 - 1 C 19.96 - NVwZ 1998, 742 und vom 29.09.1998 - 1 C 8.98 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ, Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschluss vom 10.05.2006 - 11 2345/05 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - juris und Beschluss vom 15.02.2006 - 7 TG 106/06 - InfAuslR 2006, 217; NdsOVG, Beschlüsse vom 11.05.2006 - 12 ME 138/06 - InfAuslR 2006, 329 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 11.01.2006 - 18 B 44/06 -AuAS 2006, 144).
27 
Dessen ungeachtet kann nach der Rechtsprechung des EGMR unter anderem in den Sachen „Silvenko“ (Urteil vom 09.10.2003 - 48321/99 - EuGRZ 2006, 560), „Sisojeva I und II“ (Urteil vom 16.06.2005 - 60654/00 - EuGRZ 2006, 554 und Entscheidung vom 15.01.2007 - InfAuslR 2007, 140), „Rodrigues da Silva und Hoogkammer“ (Urteil vom 31.01.2006 - 50435/99 - EuGRZ 2006, 562) sowie „Mendizabal“ (Urteil vom 17.01.2006 - 51431/99 - InfAuslR 2006, 297) ausnahmsweise auch die Aufenthaltsbeendigung bzw. die Verweigerung der Legalisierung des Aufenthalts einen - rechtfertigungsbedürftigen - Eingriff in das Privatleben darstellen, wenn der Ausländer über starke persönliche, soziale und wirtschaftliche Bindungen im Aufenthaltsstaat verfügt. Eine den Schutz des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK auslösende Verbindung mit der Bundesrepublik Deutschland als Aufenthaltsstaat kommt danach für solche Ausländer in Betracht, die auf Grund eines Hineinwachsens in die hiesigen Verhältnisse bei gleichzeitiger Entfremdung von ihrem Heimatland so eng mit der Bundesrepublik verbunden sind, dass sie gewissermaßen deutschen Staatsangehörigen gleichzustellen sind, während sie mit ihrem Heimatland im Wesentlichen nur noch das formale Band ihrer Staatsangehörigkeit verbindet (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 8.96 - NVwZ 1999, 303; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - ZAR 2006, 142 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - VBlBW 2009, 357 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -).
28 
Für diese den Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnende Verbundenheit ist das Bestehen wirtschaftlicher Bindungen zwar regelmäßig typisch, aber nicht unerlässlich. Bei Kindern, die - wie die Klägerin zu 3 - der allgemeinen Schulpflicht unterliegen, nicht erwerbstätig sein dürfen und daher in wirtschaftlicher Hinsicht grundsätzlich noch keine eigenen Bindungen an die Bundesrepublik aufgebaut haben, wäre andernfalls eine Berufung auf das Recht auf Privatleben von vornherein ausgeschlossen, was der Konzeption des Art. 8 EMRK als Menschenrecht widerspräche. Wären wirtschaftliche Bindungen dem Recht auf Achtung des Privatlebens immanente Tatbestandsvoraussetzungen, so wären gerade Kinder, die diese nicht eigenständig begründen können, insoweit vom Schutz der Konvention ausgeschlossen. Dass der eigenständige Aufbau einer wirtschaftlichen Existenzgrundlage für ein schützenswertes Privatleben nicht zwingend konstitutiv sein muss, lässt sich auch aus einem Vergleich mit Art. 16 des Übereinkommens über die Rechte der Kinder (Gesetz vom 17.02.1992, BGBl II S. 121) ersehen, in dem die Vertragsstaaten ausdrücklich vereinbart haben, den Schutz des Privatlebens eines Kindes prinzipiell anzuerkennen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Gedanke der „starken persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen“ vor allem auch dazu dient, solche Konstellationen aus dem Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK „herauszufiltern“, bei denen es nicht gerechtfertigt ist, im Rahmen der Schranken des Absatzes 2 überhaupt in eine umfassende Interessens- und Verhältnismäßigkeitsprüfung einzutreten. Jedenfalls dann, wenn aber - quantitativ betrachtet - ein längerer Aufenthalt vorliegt und - unter einem qualitativen Aspekt - besondere Integrationsleistungen erbracht wurden, ist der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet (GK-AufenthG, § 60a Rn. 174 f.). Auch der EGMR geht etwa im Urteil vom 18.10.2006 in der Rechtssache „Üner“ (46410/99 - NVwZ 2007, 1279) von einem denkbar weiten Schutzbereich aus und erachtet als Bestandteil des Privatlebens im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK „die Gesamtheit der sozialen Beziehungen“. Dies entspricht der europäischen Tradition des „in dubio pro libertate“.
29 
Gemessen hieran verfügt die Klägerin zu 3 über Bindungen zum Bundesgebiet, die dem Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens unterfallen. Die am 26.04.1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit über acht Jahren ununterbrochen hier auf und besucht mittlerweile die 7. Klasse der Hauptschule. Ihre Fähigkeiten in der deutschen Sprache entsprechen, wie sich der Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte, denjenigen von Kindern deutscher Herkunft, die ihr in Alter und Bildungsstand vergleichbar sind. Sie verfügt über einen - auch deutsche Freunde umfassenden -Freundeskreis und ist im Vereinsleben (als Mannschaftsfußballspielerin) und auch im sonstigen gesellschaftlichen Leben (unter anderem in einem Theaterprojekt) aktiv.
30 
Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, dass unter aufenthaltsrechtlichen Aspekten auch wirtschaftliche Bindungen für die Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens unerlässlich wären und bei Minderjährigen deshalb insoweit auf ihre Sorgeberechtigten abzustellen wäre, würde dies im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn beide Elternteile verfügen über hinreichend qualifizierte wirtschaftliche Kontakte. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. als geringfügig Beschäftigte. Der Kläger zu 1 ist seit 2005 überwiegend - wenn auch in unterschiedlichem Umfang und den Lebensunterhalt nicht allein deckend - erwerbstätig.
31 
b.) Der Eröffnung des Schutzbereichs des Rechts auf Achtung des Privatlebens steht ferner nicht entgegen, dass die Klägerin zu 3 während ihres gesamten bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet keinen Aufenthaltstitel besessen hat.
32 
aa.) Es ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob sich Ausländer, deren Aufenthalt stets lediglich geduldet worden ist, auf den Schutz der Achtung des Privatlebens berufen können (dies bejahend: VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 - juris Rn. 80 und Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 17, vom 03.11.2008 - 11 S 2235/08 - InfAuslR 2009, 72 und vom 25.10.2007 - 11 S 2019/07 - InfAuslR 2008, 29; BremOVG, Beschluss vom 22.11.2010 - 1 A 383/09 - juris Rn. 14 ff.; VG Frankfurt, Urteil vom 15.12.2009 - 7 K 1621/08.F - InfAuslR 2010, 302; VG Stuttgart, Urteil vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 28 f.; GK-AufenthG, § 25 Rn. 150; HK-AuslR, § 25 Rn. 56; Eckertz-Höfer, Neuere Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Schutz des Privatlebens, ZAR 2008, 41, 44 f.; Bergmann, Aufenthaltsrecht aufgrund von Verwurzelung, ZAR 2007, 128 ff.; Thym, Menschenrecht auf Legalisierung des Aufenthalts?, EuGRZ 2006, 541, 546 ff.; ders., Humanitäres Bleiberecht zum Schutz des Privatlebens?, InfAuslR 2007, 133, 138; Benassi, Die Bedeutung der humanitären Aufenthaltsrechte des § 25 Abs. 4 und 5 AufenthG im Lichte des Art 8 EMRK, InfAuslR 2006, 397, 401 ff.; Hoppe, Verwurzelung von Ausländern ohne Aufenthaltstitel - Wann kann Art. 8 Abs. 1 EMRK zu einem Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG verhelfen?, ZAR 2006, 125, 128 f.; Marx, Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG wegen Verwurzelung, ZAR 2006, 261, 266; Sander, Der Schutz des Aufenthalts durch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, 2008, S. 346; Mayer, Systemwechsel im Ausweisungsrecht - der Schutz „faktischer Inländer“ mit und ohne familiäre Bindungen nach dem Grundgesetz und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), VerwArch 2010, 482, 523) oder ob ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt (in diesem Sinne: NdsOVG, Beschlüsse vom 12.08.2010 - 8 PA 182/10 - juris Rn. 5, vom 14.05.2009 - 8 LB 158/06 - juris Rn. 24, vom 17.07.2008 - 8 ME 42/08 - juris Rn. 2 und vom 01.09.2006 - 8 LA 101/06 - juris; HessVGH, Urteil vom 07.07.2006 - 7 UE 509/06 - ZAR 2006, 413; Hailbronner, Ausländerrecht, § 25 Rn. 131; Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms, Zuwanderungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 25 Rn. 31; Fritzsch, Der Schutz sozialer Bindungen von Ausländern, 2009, S. 102 ff., 149 ff. 188 f.; ders., Die Grenzen des völkerrechtlichen Schutzes sozialer Bindungen von Ausländern nach Art. 8 EMRK, ZAR 2010, 14, 16 ff.; Bundesministerium des Innern, Bericht zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung des Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (Zuwanderungsgesetz), Juli 2006, Nr. 2.3.10.1.6, S. 80; dies offenbar grundsätzlich annehmend auch BVerwG, Urteile vom 26.10.2010 - 1 C 18.09 - juris Rn. 14 und vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn. 20).
33 
Soweit sich das Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung, der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens nach Art. 8 EMRK sei auch bei nur Geduldeten eröffnet, auf das Urteil des EGMR vom 16.06.2005 (60654/00 - - InfAuslR 2005, 349) berufen hat, wonach dieser explizit keine willentliche Legalisierung verlange (so etwa auch Benassi, InfAuslR 2006, 397, 403), ergibt sich das in dieser Allgemeinheit aus der Entscheidung nicht. Denn die dortigen Beschwerdeführer hatten jahrelang rechtmäßig in der früheren Sowjetunion (im Gebiet des heutigen Lettland) und auch danach noch in Lettland selbst gelebt und ihnen war erst später zum Teil als staatenlos gewordene russische Volkszugehörige ein Aufenthaltsrecht bestritten worden, nachdem sie nach 1989 sogar noch zeitlich befristete Aufenthaltstitel erhalten hatten (vgl. näher Thym, EuGRZ 2006, 541, 545 ff.). Die Entscheidung ist Teil der einzelfallbezogenen Rechtsprechung des EGMR, in der dieser bislang nicht ausdrücklich entschieden hat, ob ein - jedenfalls zeitweiliger - rechtmäßiger Aufenthalt Voraussetzung für die Begründung schutzwürdiger sozialer Bindungen ist (vgl. aus der Rechtsprechung des EGMR etwa Urteile vom 06.02.2001 - 44599/98 -, NVwZ 2002, 453, 455, vom 16.09.2004 - 11103/03 - , a.a.O., vom 07.10.2004 - 3374/03 , a.a.O. und vom 08.04.2008 - 21878/06 - ). Zwar hat der EGMR im Urteil vom 30.01.2006 (50435/99 - - a.a.O.) ausgeführt, „dass Personen, die, ohne den geltenden Gesetzen zu entsprechen, die Behörden eines Vertragsstaates mit ihrer Anwesenheit in diesem Staat konfrontieren, im Allgemeinen nicht erwarten können, dass ihnen ein Aufenthaltsrecht zugesprochen wird.“ Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, der Schutzbereich im Falle einer nicht erfolgten ausdrücklichen Legalisierung wäre von vornherein verschlossen. Das Recht der Vertragsstaaten auf Kontrolle ihrer Zuwanderung gebietet keine solche Auslegung. Ihr Recht, über die Zuwanderung von Ausländern eigenständig zu bestimmen, wird allein dadurch, dass einem Ausländer die Berufung auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 EMRK ermöglicht wird, nicht tangiert. Dies kann vielmehr erst Ergebnis der im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK durchzuführenden Prüfung sein, bei der auch die Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern als legitime Ziele eines Eingriffs einzustellen sind. Der Grundsatz, dass die Mitgliedstaaten selbst über Einreise- und Aufenthaltsrechte disponieren können, hat keinen Absolutheitsanspruch. Auch aus der Freizügigkeitsregelung in Art. 2 des 4. Zusatzprotokolls zur Menschrechtskonvention folgt nicht, dass die Begründung eines schutzwürdigen Privatlebens nur bei einem rechtmäßigen Aufenthalt im Vertragsstaat in Betracht kommt (so aber Fritzsch, ZAR 2010, 14, 19). Nach dessen Art. 2 Abs. 1 hat jede Person, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, das Recht, sich dort frei zu bewegen und ihren Wohnsitz frei zu wählen. Dieses Zusatzprotokoll dient ausdrücklich dazu, „gewisse Rechte und Freiheiten zu gewährleisten, die nicht bereits in der Konvention oder im ersten Zusatzprotokoll enthalten sind“. Soweit für die Gewährung von Freizügigkeit auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts abgestellt wird, erfolgt dies mit Blick auf diese besondere Gewährleistung, dient aber nach der Intention des Zusatzprotokolls keinesfalls dazu, den Schutzbereich des bereits durch die Konvention selbst gewährten Rechts auf Achtung des Privatlebens einschränkend zu bestimmen. Eine Unterscheidung in unterschiedlich werthaltige Privatleben ist Art. 8 EMRK nicht immanent (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Darüber hinaus ist ein Verständnis dahingehend, dass ein Privatleben, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine „Verwurzelung“ begründet, nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht kommt, angesichts der Schranke des Art. 8 Abs. 2 EMRK weder erforderlich noch sinnvoll. Abgesehen davon, dass diese Begrenzung des Schutzbereiches durch die Aufnahme des „Vertrauensmerkmals“ wenig konturenscharf ist, steht ein zu eng gefasster Schutzbereich einem einzelfallbezogenen gerechten Interessenausgleich oftmals entgegen und ist zudem geeignet, die Wirksamkeit des konventionsrechtlichen Schutzes zu schmälern (GK-AufenthG, § 60a Rn. 173 f. m.w.N.). Gerade bei Personen, die aus Krisengebieten kommen und bei denen über Jahre hinweg die Abschiebung ausgesetzt worden ist, verbaut eine vorschnelle Ausgrenzung aus dem Schutzbereich die Möglichkeit, den Fallkonstellationen angemessen Rechnung tragen zu können, in denen die Ausländerbehörde in der Vergangenheit über Jahre hinweg nur „Kettenduldungen“ erteilt hatte, obwohl im Grunde realistischer Weise keine Abschiebungs- und Ausreisemöglichkeit bestanden hatte. Solchen Personen, die im Hinblick auf die Verhältnisse in ihrem Heimatland geduldet werden, wird mit der Aussetzung der Abschiebung faktisch eine „Hand zum Verbleib“ gereicht; der Staat zwingt den Ausländer gerade nicht dazu, das Land seines jetzigen Aufenthalts zu verlassen (Hoppe, ZAR 2006, 125, 127). Dies zeigt sich insbesondere im vorliegenden Fall, in dem - mit Blick auf die seit 2003 herrschende Situation im Irak - zu keinem Zeitpunkt auf die Beendigung des Aufenthaltes der Klägerin zu 3 und ihrer Familie hingewirkt worden ist. Vielmehr ist ihren Eltern im Januar 2008 die Beschäftigung sogar uneingeschränkt erlaubt worden, was den weiteren Aufbau wirtschaftlicher Bindungen begünstigt. Ein weiter Schutzbereich mit einer Verlagerung der Aufenthaltsstatusfragen in die Schrankenprüfung erlaubt daher eher dem Einzelfall adäquate Lösungen als eine zu enge Definition des Schutzbereichs. Mögliche Missbrauchsfälle sind kein generelles Argument hiergegen. Zwar ist nach dem Bericht des Bundesinnenministeriums zur Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes „die lange Aufenthaltsdauer in der Mehrzahl der Fälle der langjährig Geduldeten auf Verfahrensverschleppungen, missbräuchliche Antragstellungen und fehlende Mitwirkungsbereitschaft zurückzuführen“ (a.a.O. Nr. 2.3.10.3, S. 84). Solche Fälle können jedoch stets im Rahmen der Prüfung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK „ausgesondert“ werden. Eine weite Fassung des Rechts auf Achtung des Privatlebens entspricht im Übrigen auch der Grundrechtsdogmatik des Bundesverfassungsgerichts bei Art. 2 Abs. 1 GG, das insoweit ebenfalls von einem weiten Schutzbereich ausgeht (siehe etwa BVerfG, Beschluss vom 10.08.2007 - 2 BvR 535/06 - juris).
34 
bb.) Erst recht ist im Übrigen die Eröffnung des Schutzbereichs bei Geduldeten anzunehmen, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Rechtsordnung in der Vergangenheit einen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vorgesehen hat, der im Einzelfall auch zu realisieren gewesen wäre. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 - in Unkenntnis der Rechtslage - keinen entsprechenden Antrag bei der Ausländerbehörde gestellt hatten. Auch ein in der Vergangenheit nach dem Ausländerrecht bestehender, durch die Behörde aber nicht erfüllter Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, stellt eine „Handreichung des Staates“ dar.
35 
Die Kläger zu 1 bis 4 waren aufgrund der Abschiebungsandrohung mit Bescheid des Bundesamtes vom 29.10.1999 seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens durch Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24.01.2001 vollziehbar ausreisepflichtig und ab 31.01.2002 geduldet. Nach § 30 Abs. 3 AuslG 1990 konnte einem Ausländer, der unanfechtbar ausreisepflichtig war, eine Aufenthaltsbefugnis abweichend von § 8 Abs. 1 AuslG erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 AuslG für eine Duldung vorlagen, weil seiner freiwilligen Ausreise Hindernisse entgegenstanden, die er nicht zu vertreten hatte. Die Regelung ermöglichte die Legalisierung eines schon länger geduldeten Aufenthalts, wobei als Ermessenkriterien die Schwere der zu erwartenden Beeinträchtigungen im Fall der Ausreise, die Dauer der Abschiebungshindernisse und die Art der Duldungsgründe herangezogen werden konnten (Kanein/Renner, Ausländerrecht, 6. Aufl. 1993, § 30 Rn. 9). Nach § 34 AuslG konnte die Aufenthaltsbefugnis für jeweils längstens zwei Jahre erteilt und verlängert werden, wobei die jeweilige Frist nach der Art der Erteilungsgründe und der Möglichkeit ihres Fortfalls zu bemessen war (Kanein/Renner, a.a.O., § 34 Rn. 2).
36 
Weshalb die Klägerin zu 3 und ihre Familie nach der Entscheidung des Bundesamts über ihren Folgeantrag mit Bescheid vom 05.02.2002 danach im Jahre 2002 und Anfang 2003 geduldet wurden, obwohl ordnungsgemäß ausgefüllte Anträge auf Ausstellung eines Passersatzes vorlagen, erschließt sich anhand der Akten nicht. Auch die Beklagte und das beigeladene Land haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hierfür keinen nachvollziehbaren Grund benennen können. In der Folgezeit waren die am 20.03.2003 im Irak begonnene Militäraktion und die danach nicht bestehenden Rückführungsmöglichkeiten ursächlich für die Aussetzung der Abschiebung (vgl. auch Schreiben des Innenministeriums vom 27.11.2003 und vom 29.07.2004 - jew. Az.:4-13-IPK/12). Nachdem im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 07.08.2003 die Rückkehrmöglichkeiten aus dem Ausland in den Irak aufgrund der von den Nachbarländern geschlossenen Grenzen verneint worden waren, wurden im Lagebericht vom 06.11.2003 die Möglichkeiten dargestellt, wie auf dem Landweg und mit welchen Dokumenten eine Einreise in den Irak erfolgen konnte (siehe im Einzelnen S. 15 f.). Eine Rückkehr über Kuwait, Iran, Türkei oder Saudi-Arabien war für aus westlichen Ländern kommende Iraker aufgrund der ganz oder jedenfalls für diesen Personenkreis immer wieder geschlossenen Grenzen praktisch nicht realisierbar. Grundsätzlich kam aber eine Einreise über Jordanien oder Syrien in den Irak in Betracht. Aus Deutschland kehrten Iraker mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration über Jordanien zurück (Taxi Amman - Bagdad). Auf dieser Route waren grundsätzlich irakische Pässe erforderlich. Ferner bestand die Möglichkeit, ab Damaskus mit Kleinbussen nach Bagdad zu fahren; syrische Grenzbehörden akzeptierten neben den irakischen Reisepässen auch Ersatzdokumente. In den folgenden Lageberichten des Auswärtigen Amtes (vom 07.05.2004, 02.11.2004 und 24.11.2005) wurden insoweit keine grundsätzlichen Änderungen berichtet. Zwar hätten die Klägerin zu 3 und ihre Familie danach theoretisch den Irak auf dem Landweg erreichen können, wobei die Kläger allerdings erst in ihrer Herkunftsregion Kirkuk eine notwendige Unterstützung durch dort noch lebende Verwandte hätten erlangen können. Eine freiwillige Ausreise war ihnen in Anbetracht der schon mit der Reise über den Landweg unmittelbar verbundenen Gefahren - so war etwa auf Straßenverbindungen wie beispielsweise der Straße von Bagdad nach Amman, der wichtigsten Verbindung Bagdads mit dem Ausland, ständig mit bewaffneten Überfällen zu rechnen, bei denen auch Menschen zu Tode kamen (näher Lageberichte vom 07.05.2004, S. 8 ff. und vom 02.11.2004, S. 12 ff.) - aber auch mit Blick auf die katastrophale Versorgungssituation, die sie im damaligen Irak vorgefunden hätten, nicht zumutbar gewesen. Die Klägerin zu 2 war schwanger mit der am 04.06.2004 geborenen Klägerin zu 5 und der Kläger zu 4 gerade erst fünf Jahre alt. Eine Schwangere sowie kleine Kindern sind jedoch in besonderem Maße auf die ihren Bedürfnissen entsprechende Versorgung mit sauberem Wasser und Lebensmitteln, aber auch auf die Verfügbarkeit medizinischer Hilfe angewiesen. Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 30.04.2003 beschrieb die medizinische Versorgung, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie Strom und Wasser als angespannt und kritisch (siehe im Einzelnen S. 2 f.). Die Lageberichte vom 07.08.2003 und 06.11.2003 zeichneten kein grundlegend anderes Bild. Im letztgenannten Lagebericht hieß es, dass sich die Stromversorgung nach der Besetzung des Landes drastisch verschlechtert habe, die Wasserversorgung von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen worden und weiterhin kritisch sei, die medizinische Versorgung angespannt bleibe, da viele Krankenhäuser - sofern sie überhaupt in Betrieb seien - unter schlechten hygienischen Bedingungen und mangelnder Energieversorgung litten und für die Versorgung der Bevölkerung Nahrungsmittel verteilt werden müssten. Diese Einschätzung wurde auch in den folgenden Lageberichten vom 07.05.2004 (vgl. dort S. 10 ff.), 02.11.2004 (S. 15 f., 19) und 24.11.2005 (S. 27 f.) im Wesentlichen aufrechterhalten.
37 
Selbst unter Berücksichtigung dessen, dass der Ausländerbehörde aufgrund der Veränderbarkeit persönlicher Verhältnisse und der Zustände im Herkunftsland zeitlich ein Spielraum zugebilligt werden musste, bevor die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 3 AuslG in Betracht kam, wäre eine solche unter Reduzierung des eingeräumten Ermessens auf Null jedenfalls spätestens im Laufe des Jahres 2004 zu erteilen gewesen. Dem stand nicht entgegen, dass nach dem Schreiben des Innenministeriums an die nachgeordneten Ausländerbehörden zur Rückführung irakischer Staatsangehöriger vom 27.11.2003 im Hinblick auf die grundsätzliche Möglichkeit und Zumutbarkeit einer freiwilligen Rückkehr in den Irak die Erteilung und Verlängerung von Aufenthaltsbefugnissen nach § 30 Abs. 3 und 4 AuslG „in der Regel nicht mehr in Betracht kommt“ und nach den Angaben eines Vertreters des beigeladenen Landes in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihm landesweit kein Fall bekannt sei, in dem eine Familie, die sich in einer dem vorliegenden Fall vergleichbaren Situation befand, Aufenthaltsbefugnisse erhalten hätte. Denn ein Anspruch der Klägerin zu 3 und ihrer Familie auf - zeitweilige - Legalisierung ihres Aufenthalts hätte sich - auch als Ausnahmefall von der grundsätzlichen Zumutbarkeit im Sinne des Erlasses des Innenministeriums - unmittelbar aus § 30 Abs. 3 AuslG ergeben.
38 
Die Realisierbarkeit dieses Anspruchs wäre auch nicht aufgrund von § 11 Abs. 1 AuslG 1990 zu verneinen gewesen. Danach konnte einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hatte, vor dem bestandskräftigen Abschluss des Asylverfahrens eine Aufenthaltsgenehmigung außer in den Fällen eines gesetzlichen Anspruchs nur mit Zustimmung der obersten Landesbehörde und nur dann erteilt werden, wenn wichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland es forderten. Die Vorschrift war zwar auf das von den Eltern der Klägerin zu 3 im Januar 2002 in Gang gesetzte Asylfolgeverfahren anwendbar (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 17.04.1996 - 11 S 156/96 - InfAuslR 1996, 303, 304), das bestandskräftig erst mit dem Beschluss des erkennenden Gerichtshofs vom 30.08.2006 abgeschlossen wurde. Allerdings hätten - nach entsprechendem Hinweis der Ausländerbehörde - die seinerzeit ausländerrechtlich nicht anwaltlich vertretenen Eltern der Klägerin zu 3 den Asylfolgeantrag zurücknehmen und damit die „Sperrwirkung“ des § 11 Abs. 1 AuslG beseitigen können.
39 
cc.) Selbst wenn man im Übrigen der Auffassung wäre, ein Privatleben im Sinne des Art. 8 Abs. 1 EMRK, das den Schutzbereich der Vorschrift eröffnet und eine Verwurzelung im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte begründet, komme grundsätzlich nur auf der Grundlage eines rechtmäßigen Aufenthalts und eines schutzwürdigen Vertrauens auf den Fortbestand des Aufenthalts in Betracht, gebietet der vorliegende Fall eine Ausnahme von diesem Grundsatz. Die Klägerin zu 3 verfügt mit Blick auf die Situation im Irak seit vielen Jahren über jeweils auf drei Monate befristete Duldungen, die nahtlos ineinander übergehen. Diese „Kettenduldungen“ haben ihre Ursache nicht in einer mangelnden Mitwirkung an der Aufenthaltsbeendigung oder in einem sonstigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten, waren doch Passanträge ausgefüllt worden. Ihnen liegt vielmehr zugrunde, dass der Staat es der Ausländerin gerade nicht zumutet, in ihr Heimatland zurückzukehren, in dem er auch selbst nichts unternahm oder unternimmt, eine Aufenthaltsbeendigung zwangsweise durchzusetzen. Einem auf der Grundlage derartiger „zweitklassiger Aufenthaltstitel“ (vgl. Bergmann, ZAR 2007, 128, 129) gelebten Privatleben den Schutz des Art. 8 EMRK von vornherein zu versagen, wäre konventionswidrig.
40 
2.) Ein Eingriff in das durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 liegt darin, dass ihr eine Rückkehr in die Lebensverhältnisse ihres Herkunftsstaats nicht mehr zumutbar ist und durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels ihr Privatleben unverhältnismäßig beeinträchtigt wird.
41 
a.) Zwar ist nicht ersichtlich, dass das beigeladene Land derzeit oder in absehbarer Zeit eine Aufenthaltsbeendigung der Klägerin zu 3 und ihrer Familie anstreben und ihre Abschiebung in den Irak in die Wege leiten würden. Im vorliegenden Fall reicht jedoch eine Duldung nicht aus, um der Konvention zu entsprechen (vgl. näher Eckertz-Höfer, ZAR 2008, 41, 43; Bergmann, ZAR 2007, 128, 131). Die Duldung begrenzt den Aufenthalt der Klägerin zu 3 kraft Gesetzes auf das Land Baden-Württemberg (§ 61 Abs. 1 Satz 1 AufenthG). Zusätzlich ist die Wohnsitznahme in Stuttgart angeordnet (vgl. die der Klägerin zu 3 zuletzt am 11.10.2010 ausgestellte Duldungsbescheinigung). Will sie sich - und sei es auch nur kurzzeitig - außerhalb Baden-Württembergs aufhalten, bedarf es nach § 12 Abs. 5 AufenthG der vorherigen Erteilung einer Erlaubnis, die nach Satz 2 grundsätzlich im Ermessen der Ausländerbehörde steht und auf die nur in den engen Grenzen des Satzes 3 ein Rechtsanspruch besteht. Ein spontanes vorübergehendes Verlassen des auf der Grundlage des Gesetzes beschränkten Aufenthaltsbereichs ist außer in den im Leben der Klägerin zu 3 praktisch nicht relevant werdenden Fällen des § 12 Abs. 5 Satz 3 AufenthG (Termine bei Behörden und Gerichten, bei denen das persönliche Erscheinen des Ausländers erforderlich ist) nicht möglich. Gerade alterstypische Aktivitäten, an denen sie regelmäßig teilnimmt, wie (Schul-)ausflüge, Ferienfreizeiten oder Fußballturniere, sind - sofern sie außerhalb Baden-Württembergs stattfinden - für sie auf der Grundlage einer Duldung gar nicht oder jedenfalls nur mit erheblichem (Verwaltungs-)Aufwand realisierbar. Ohne Aufenthaltserlaubnis bleibt ihr etwa die im Frühling 2011 vorgesehene Teilnahme ihres Vereins an einem Mädchenfußballturnier in Spanien, wovon die Klägerin zu 3 in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat berichtet hat, in jedem Fall verwehrt. Aktivitäten und soziale sowie gesellschaftliche Bindungen, die schon jetzt für ihr Privatleben konstitutiv sind (siehe nachfolgend 3.), und die mit fortschreitendem Alter bei einem Heranwachsenden für seine Sozialisation und Entwicklung der Persönlichkeit von wachsender Bedeutung werden, kann die Klägerin zu 3 nur auf der Grundlage eines legalisierten Aufenthalts in einer dem Recht auf Privatlebenden genügenden Weise „ausleben“. Im Übrigen leidet die Klägerin zu 3 auch psychisch in einer ihr Privatlebenden beeinträchtigenden Weise unter der seit Jahren andauernden, ungewissen und unsicheren aufenthaltsrechtlichen Situation. Dies ergibt sich insbesondere aus der Stellungnahme der PBV vom 09.04.2010. In dieser heißt es, dass das Mädchen unter anderem auf die langjährige Unsicherheit, hier in Deutschland bleiben zu dürfen mit einer längeren, phasenweise verlaufenden Anpassungsstörung reagiert und ein sicherer Aufenthaltsstatus für eine stabile Psyche notwendig ist.
42 
b.) Ob der Eingriff in das geschützte Privatleben der Klägerin zu 3 im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, ist bei der im Alter von 4 Jahren eingereisten Klägerin zu 3 nach ähnlichen Kriterien zu prüfen, wie sie normalerweise bei Einwanderern der zweiten Generation angewendet werden (EGMR, Urteil vom 27.10.2005 - 32231/02 - InfAuslR 2006, 3). Insoweit ist das öffentliche Interesse an der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 AufenthG) mit dem Interesse der Klägerin zu 3 an der Aufrechterhaltung ihrer faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten Bindungen im Bundesgebiet abzuwägen. Erforderlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der vom EGMR entwickelten Kriterien, die im Wesentlichen in den Entscheidungen Boultif und Üner zusammengefasst worden sind (EGMR, Urteile vom 02.08.2001 - 54273/00 - InfAuslR 2001, 476 und vom 05.07.2005 - 46410/99 <Üner> -InfAuslR 2005, 450). Maßgebend sind dabei vor allem die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, der Stand der gesellschaftlichen und sozialen Integration (Sprachkenntnisse, Schule/Beruf, Freizeitgestaltung/Freundeskreis), das Fehlen von Straftaten sowie die wirtschaftlichen Verhältnisse und Beziehungen. Hierbei kommt es zunächst auf den jeweiligen Grad der „Verwurzelung“ an; je stärker der Betroffene im Aufenthaltsstaat integriert ist, desto schwerer müssen die öffentlichen Interessen wiegen (vgl. auch EGMR, Urteil vom 22.06.2006 - 59643/00 - ). Weiter ist auf den Grad der „Entwurzelung“ abzustellen, d. h. auf die Möglichkeit und Zumutbarkeit der Reintegration im Herkunftsstaat, insbesondere aufgrund der Vertrautheit mit den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden und aufnahmebereiten Verwandten sowie der Hilfe durch die Eltern bei Minderjährigen. Schließlich können im Rahmen der Schrankenprüfung sonstige Faktoren Berücksichtigung finden, etwa ob und gegebenenfalls wie lange der Aufenthalt des Betroffenen legal war und damit - im Sinn einer „Handreichung des Staates“ - schutzwürdiges Vertrauen auf ein „Hierbleibendürfen“ entwickelt werden konnte (vgl. etwa VGH Bad.-Württ., Beschlüsse vom 05.02.2009 - 11 S 3244/08 - juris Rn. 20 und vom 08.03.2010 - 11 S 48/10 -; Renner, a.a.O., § 25 Rn. 80 ff.).
43 
3.) Die im April 1997 geborene Klägerin zu 3 hält sich seit Januar 2002 ununterbrochen in Deutschland auf und hat daher etwa zwei Drittel ihres Lebens hier verbracht. Sie besucht derzeit die 7. Klasse Hauptschule der Grund- und Hauptschule mit Werkrealschule H. Ihre Fähigkeiten in Deutsch entsprechen denjenigen gleichaltriger Hauptschüler deutscher Herkunft. Ihre Klassenlehrerin bewertet in einer Stellungnahme vom 22.09.2010 die Kenntnisse der Klägerin zu 3 in Deutsch in Wort und Schrift mit „befriedigend“. Dies entspricht auch der Zeugnisnote im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10. In der aktualisierten Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, die Klägerin zu 3 beherrsche die deutsche Sprache in Wort und Schrift, sie könne sich mittlerweile sicher ausdrücken und habe auch ihr Leseverständnis stark verbessert. Dass sich die Klägerin zu 3, die in ihrer Freizeit inzwischen auch Bücher liest, ihrem Alter und Bildungsstand entsprechend sicher in der deutschen Sprache bewegt, hat auch ihre Anhörung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gezeigt. Soweit ihr eine kontinuierliche Verbesserung in Deutsch und auch in den übrigen Schulfächern, die im letzten Zeugnis mit Noten von „gut“ bis „ausreichend“ bewertet worden sind, vor allem bisher deshalb gelungen ist, weil sie die Hilfe einer Hausaufgabenbetreuung in Anspruch nehmen kann, steht dies der positiven Bewertung ihrer Deutschkenntnisse und schulischen Leistungen im Rahmen der Würdigung als Integrationsmerkmal nicht entgegen. Denn die Inanspruchnahme von Hilfe bei den Hausaufgaben ist mittlerweile für deutsche Schüler ebenfalls nichts Ungewöhnliches. Ausweislich der Stellungnahmen der Klassenlehrerin vom 27.11.2010 und 22.09.2010 ist die Klägerin zu 3, die in diesem Jahr von ihren Mitschülern zum zweiten Mal als Klassensprecherin gewählt worden ist, auch stets bereit, Aufgaben zum Wohl der Klasse oder der Schule zu übernehmen und engagiert sich sehr für die Interessen der Schüler. Zudem ist sie von den Klassensprechern der Schule in das drei Schüler umfassende Team der Schülervertretung gewählt worden, das auch Mitglied der Schulkonferenz ist (vgl. die Bestätigung der Schulleitung der GHS H. vom 10.11.2010).
44 
Die Klägerin zu 3 ist auch außerhalb ihres Schulalltags fest in die sozialen und gesellschaftlichen Lebensverhältnisse der Bundesrepublik eingebunden. Sie hat einen - auch deutsche Freunde umfassenden - Freundeskreis, mit dem sie in ihrer Freizeit ins Schwimmbad geht oder an organisierten Jugendprojekten teilnimmt. Nach den schriftlichen Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé Alberta - Offener Treff für Kinder und Jugendliche und Soziale Schülerbetreuung - vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme die Klägerin zu 3 häufig zu verschiedenen Angeboten des Schülercafés, dessen Schwerpunkt offene Angebote, Hausaufgabenbetreuung, Ferienprogramme und Freizeiten seien. Die Klägerin zu 3 treffe dort ihre Freundinnen aus dem Stadtbezirk und beteilige sich aktiv an den verschiedenen Programmen. Auch an dem Kooperationsprojekt MISS (Mädchen im Stadtbezirk ...) mit dem Jugendhaus ... und der Mobilen Jugendarbeit nehme sie regelmäßig teil. Sie habe einen Workshop zum Thema Selbstbehauptung besucht sowie an einem Fußballturnier und einem Bootsausflug für Mädchen teilgenommen. Den genannten Berichten zufolge ist sie voll in ihren Freundeskreis integriert, bringt sich persönlich und aktiv in das soziale Geschehen ein und übernimmt für sich und die Gruppe Verantwortung in Konfliktfällen. Ferner nimmt die Klägerin zu 3 seit April 2010 regelmäßig an einem integrativen Jugendtheaterprojekt teil, an dem Schülerinnen und Schüler verschiedener Nationalität und aus den unterschiedlichsten Schulformen von Förderschule bis zum Gymnasium beteiligt sind (vgl. hierzu die Teilnahmebestätigung des Jugendhauses ... vom 10.12.2010). Die Klägerin zu 3 ist auch bereits bei verschiedenen Ferienfreizeiten gewesen, unter anderem - nach ihren Angaben als einziges ausländisches Kind - an einer von der Caritas organisierten Jugendfreizeit in .... Sie spielt seit Sommer 2009 Fußball in einer Mädchenmannschaft. Nach der Bescheinigung des Jugendleiters des TSV H. vom 01.05.2010 nimmt sie seitdem regelmäßig am Trainings- und Verbandsspielbetrieb der Mädchenfußballmannschaft der C-Juniorinnen teil, zeigt ihre Integrationsbereitschaft und akzeptiert die Mannschafts- und Spielregeln.
45 
Auch im Übrigen lebt die Klägerin zu 3 - wie ihre Angaben in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht haben - in einer Weise, wie sie auch unter Gleichaltrigen deutscher Herkunft praktiziert wird. Sie erhält mittlerweile Klavierunterricht und hört am liebsten Musik der Richtung „Hip hop“. Sie schaut in ihrer Familie oder gemeinsam mit Freunden und Freundinnen Fernsehsendungen deutscher Privatsender. Die Klägerin zu 3 kleidet sich in einer Art, wie sie auch unter jungen deutschen Mädchen üblich ist. Sie geht mit einem Bikini ins Schwimmbad und trägt kurze Hosen sowie dekolletierte Oberbekleidung.
46 
Der Bewertung der Integration in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht als außerordentlich gelungen steht nicht entgegen, dass die - nicht strafmündige - Klägerin zu 3 am 20.03.2010 wegen Körperverletzung angezeigt worden ist und ihr Verhalten in Konfliktsituationen - so etwa im Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2008/09 zu lesen - als „nicht immer der Situation angepasst“ beschrieben wird. Diese Handlungen der Klägerin zu 3 sind nicht Ausdruck einer integrationsfeindlichen Gesinnung, sondern durch eine der Behandlung bedürfenden Verhaltensproblematik bedingt.
47 
Die Klägerin zu 3 hat wegen einer generalisierten Angststörung des Kindesalters und einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom von 29.08.2007 bis 17.09.2008 eine ambulante Psychotherapie absolviert, die vom Gesundheitsamt der Beklagten befürwortet worden war. Wegen einer drastischen Verschlechterung der Symptome (suizidale Vorstellungen und Gedanken) ist die Therapie ab 08.04.2009 wieder aufgenommen worden (vgl. näher PBV, Kurzbericht vom 25.10.2007, Bescheinigung vom 19.05.2009 und Zwischenbericht vom 09.04.2010). Das Gesundheitsamt der Beklagten hat unter dem 18.08.2009 ausgeführt, eine Langzeittherapie sei als Verhaltenstherapie wegen der Schwere des Krankheitsbildes und der bisher nicht erfolgten Stabilisierung des Mädchens medizinisch sinnvoll und begründet. Nach dem Bericht der PBV vom 09.04.2010 ist Grund für die erneute Therapieaufnahme eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und eine massive Problematik im Bereich des Sozialverhaltens gewesen; es lägen aggressive und dissoziale Züge vor, d.h. Nichtbefolgen von Regeln und Vorschriften der Lehrer, zahlreiche Streitigkeiten mit Mitschülern mit massiven verbalten Attacken und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Vermutlich stünden die Schwierigkeiten im Sozialkontakt in engem Zusammenhang mit massiven häuslichen Konflikten und Spannungen. Allerdings heißt es in dem genannten Bericht auch, dass sich durch die regelmäßigen Therapiebesuche deutliche Verbesserungen zeigten; die Lehrerin habe diese ebenfalls im letzten Lehrergespräch benannt. Diese positive Entwicklung spiegelt sich auch in den Beurteilungen der Schule wieder. Das Versetzungszeugnis zum Ende der Klasse 6 bescheinigt der Klägerin zu 3, dass es ihr immer besser gelinge, die Ordnung des Schulalltags einzuhalten; ferner arbeite sie mit anderen Kindern zusammen und bei Auseinandersetzungen sei sie zunehmend in der Lage, Kompromisse zu schließen. In ihrer Stellungnahme vom 27.11.2010 führt die Klassenlehrerin aus, es gelinge der Schülerin im Umgang mit Mitschülern und Lehrern immer besser, den angemessenen Ton zu treffen und ihr Temperament zu beherrschen. Daran arbeite sie hart und habe bemerkenswerte Fortschritte gemacht. In diesen Kontext ist auch die Anzeige des Vaters einer Freundin der Klägerin zu 3 einzuordnen. Nach einer Mitteilung der Polizeirevierstation ... an die Beklagte vom 18.10.2010 ist die Klägerin zu 3 wegen einer am 20.03.2010 begangenen Körperverletzung angezeigt worden. Zwischen ihr und ihrer Freundin sei es zu einem Streit gekommen, in dessen Verlauf sie ihre Freundin mehrfach gegen den Oberschenkel getreten habe. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat mit Verfügung vom 02.11.2010 von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach § 152 Abs. 2 StPO abgesehen. Die Klägerin zu 3 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausführlich geschildert, wie es zu dieser - letztlich handgreiflich verlaufenden - Auseinandersetzung auf einem Spielplatz gekommen ist, bei der sich beide Mädchen zuvor mit „Matsch“ bespritzt hatten. Beide Kinder sind nach wie vor miteinander befreundet. Die von der Schulsozialarbeiterin in ihrem Bericht über die Klägerin zu 3 vom 29.11.2010 vorgenommene Wertung, zwischen den beiden Mädchen bestehe eine sehr intakte und stabile Freundschaft und bei der Anzeige habe es sich um ein bedauerliches Missverständnis gehandelt, umschreibt die Situation zutreffend.
48 
In wirtschaftlicher Hinsicht liegt keine eigene Integrationsleistung der Klägerin zu 3 vor. Aufgrund ihres Alters unterliegt sie noch der allgemeinen Schulpflicht. Ob die Klägerin zu 3, der die Klassenlehrerin „aus schulischer Sicht gute Perspektiven für ein Leben in Deutschland“ bescheinigt, einmal erfolgreich die Schule abschließen und auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen wird, steht naturgemäß noch nicht fest. Dies führt allerdings nicht dazu, dass die Frage nach wirtschaftlichen Bindungen bei Minderjährigen für die Feststellung des Ausmaßes ihrer Eingliederung in die deutschen Lebensverhältnisse generell obsolet wäre. Die Klägerin zu 3 hat nach der deutschen Rechtsordnung einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern (§ 1601 BGB), so dass es insoweit auf deren Unterhaltsleistung und damit inzident auf deren wirtschaftliche Integration ankommt (GK-AufenthG, § 60a Rn. 188; gegen eine isolierte Betrachtung Minderjähriger auch SaarlOVG, Urteil vom 15.10.2009 - 2 A 329/09 - juris Rn. 39). Dabei ist nicht allein maßgebend, ob der Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 3 - rechnerisch gesehen - kontinuierlich von ihren Eltern erfüllt worden ist und wird. Für die Frage der wirtschaftlichen Integration sind auch die Unterhaltsansprüche ihrer ebenfalls minderjährigen Geschwister sowie der Bedarf der Eltern einzustellen (vgl. auch §§ 1609, 1603 Abs. 2 BGB). Die Kläger zu 1 und 2 sind zwar derzeit in der Lage, die Lebenshaltungskosten der Familie - ermittelt auf der Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes - zu bestreiten und erhalten keine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz mehr (vgl. insoweit noch Bescheid des Sozialamtes der Beklagten vom 14.09.2010 sowie die Mitteilung unter dem 18.10.2010, dass die Leistungen nunmehr eingestellt worden sind). Diese erst in den letzten Monaten eingetretene positive Entwicklung ist jedoch noch nicht hinreichend verfestigt, insbesondere ist eine unumkehrbare Verankerung der Kläger zu 1 und 2 in den deutschen Arbeitsmarkt und eine auskömmliche Sicherung des Bedarfs der Familie noch nicht anzunehmen.
49 
Die Kläger leben nach wie vor in einer Wohnung einer städtischen Asylunterkunft, für die Benutzungsgebühren erhoben werden. Die Familie hat ihren Lebensunterhalt im Bundesgebiet in der Vergangenheit überwiegend durch volle oder jedenfalls aufstockende Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz finanziert, wobei die monatlichen Sozialleistungen unterschiedlich hoch gewesen sind und zwischen 300 EUR und 1176 EUR betragen haben (vgl. im Einzelnen die Auflistung Bl. 166 der Ausländerakte für den Kläger zu 1). Erst seit Januar 2008 ist die Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 uneingeschränkt erlaubt. Die Klägerin zu 2 arbeitet seit 23.11.2009 bei der Metzgerei Z. vormittags als Putzhilfe und bezieht eine Entlohnung als geringfügig Beschäftigte. Soweit die Klägerin zu 2 - insoweit entgegen dem Inhalt der Bescheinigung ihres Arbeitgebers vom 08.12.2010 und der Verdienstabrechnung vom September 2010, die ausdrücklich den 23.11.2009 als Eintrittsdatum ausweisen - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben hat, sie sei seit etwa einem halben Jahr dort beschäftigt, handelt es sich offensichtlich um ein sprachliches Missverständnis. Je nach Arbeitsanfall erhält sie zwischen 322 und 399 EUR netto im Monat, im Durchschnitt etwa 370 EUR. Wie sie im Einzelnen erläutert hat, hat sie einen zeitgleich vormittags stattfindenden Integrationskurs abgebrochen, um - mangels realisierbarer Beschäftigungsalternativen - diese Arbeit aufnehmen zu können. Der Kläger zu 1 ist seit Januar 2005 verschiedenen Beschäftigungen nachgegangen, unter anderem als Fahrzeugpfleger bei der Firma B. Automobile, deren Umfang jedoch durch die beschränkte Zustimmungsentscheidung der Agentur für Arbeit ausweislich der Duldungsbescheinigungen vom 03.01.2005 bzw. 12.10.2005 auf zwanzig, später auf zehn Wochenstunden begrenzt gewesen ist. Zum 31.05.2006 hat die Firma B. dem Kläger zu 1 fristlos gekündigt. Von Januar bis März 2008 hat er mit einem monatlichen Auszahlungsbetrag zwischen 243,97 und 522,79 EUR gearbeitet. Ab 01.06.2008 ist der Kläger zu 1 mit einem monatlichen Brutto-Lohn von 1.385 EUR in Vollzeit bei einer Kfz-Werkstatt tätig gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis ist zum 31.01.2009 aus betrieblichen Gründen gekündigt worden. Seit 01.09.2010 arbeitet der Kläger bei „...“ mit einer 40-Stunden-Woche als Hilfskraft im Gebrauchtwagenhandel und erhält monatlich 1.253,53 brutto (=1.000 EUR netto). Zusätzlich arbeitet er seit September 2010 als Aushilfe bei R. S. Baustahlarmierungen und bezieht hier monatlich 392,40 EUR.
50 
Für ein dauerhaftes wirtschaftliches „Fußfassen“ im Bundesgebiet ist es nicht zwingend erforderlich, dass die ausgeübte Tätigkeit eine besonders qualifizierte Berufstätigkeit darstellt. Auch kommt es letztlich nicht darauf an, dass der Kläger zu 1 in seiner Erwerbsbiographie stets Arbeitgeber ausländischer Herkunft gehabt hat und dass - gemessen an der gesamten Aufenthaltsdauer in Deutschland - erst relativ spät eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen worden ist. Allerdings kann von einer wirtschaftlich tragfähigen selbstständigen Existenzgrundlage allenfalls dann ausgegangen werden, wenn die Lebensphase des Bezugs von Sozialleistungen dauerhaft überwunden ist. Zur Feststellung der wirtschaftlichen Integration ist es dabei erforderlich, dass die Betroffenen, sofern - wie hier - kein nennenswertes Vermögen vorliegt, regelmäßige Einnahmen erzielen, die vom Umfang und der Stetigkeit ihres Zuflusses über den Regelbedarfssätzen nach den SGB II oder XII liegen und nicht etwa ständig um diese Grenzen oszillieren (näher GK-AufenthG, § 60a Rn 184 ff.). Ausgehend davon ist noch keine wirtschaftliche Verfestigung im Bundesgebiet gegeben.
51 
Die Kläger zu 1 und 2 erwirtschaften derzeit gemeinsam etwa 1.762 EUR monatlich. Dem steht rechnerisch ein Bedarf von etwa 2.117 EUR gegenüber. Dabei sind der Freibetrag für Erwerbstätige nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II noch nicht berücksichtigt. Der sich nach dem SGB II ergebende Unterhaltsbedarf für die Kläger zu 1 und 2 beträgt je 323 EUR (vgl. § 20 Abs. 3 SGB II, 90 % von der Regelleistung 359 EUR). Für die drei Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren sind jeweils 251 EUR anzusetzen (70 % von der Regelleistung 359 EUR, vgl. § 28 SGB II). Insgesamt beträgt der Unterhaltsbedarf der Kläger 1.399 EUR. Hinzukommen die Kosten für die Unterkunft, die das Sozialamt der Beklagten im Bescheid über die Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom 14.09.2010 pro Person der Bedarfsgemeinschaft mit einer Grundmiete von 143,76 EUR angesetzt hat, insgesamt 718,80 EUR. Dieser Betrag entspricht dem Höchstbetrag, der für Paare mit zwei oder mehr zum Haushalt angehörenden unverheirateten Kindern als Gebühr für die Benutzung der Flüchtlingsunterkunft erhoben werden darf (vgl. die Satzung der Beklagten über die Benutzung von Unterkünften des Sozialamts für Wohnsitzlose und Flüchtlinge vom 25.03.2010 - abrufbar unter www.stuttgart.de). Auch ist zu bedenken, dass die Kläger zu 1 und 2 keine in Deutschland anerkannten Berufsausbildungen haben und lediglich als Hilfskräfte beschäftigt sind, mithin auf Positionen, die in besonderem Maße vom Verlust des Arbeitsplatzes bei konjunkturellen Schwankungen bedroht sind. Des Weiteren sind auch die Deutschkenntnisse des Klägers zu 1 nach dem Eindruck des Senats noch nicht von einer solchen Qualität, dass er jede für ihn in Frage kommende Tätigkeit annehmen und daher den Verlust eines Arbeitsplatzes kurzfristig kompensieren könnte. Er versteht zwar - wie seine Reaktionen in der Berufungsverhandlung gezeigt haben - Deutsch jedenfalls teilweise und kann sich nach Angaben seiner Prozessbevollmächtigten auch auf einfache Art in Deutsch unterhalten. Allerdings ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine Anhörung nur mit Hilfe eines Dolmetschers möglich gewesen. Dass die Klägerin zu 2, die sich - wie ihre Anhörung ergeben hat - flüssig auf einfache Art und Weise verständlich machen kann, ihre Beschäftigung zukünftig ausdehnen kann und wird, lässt sich nicht verlässlich annehmen. Ausweislich der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 sieht sie sich an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in zeitlich längerem Umfang dadurch gehindert, dass ihr Ehemann nicht zuverlässig nach den Kindern schaue. Insgesamt gesehen verfügen die Eltern der Klägerin zu 3 zwar durchaus über wirtschaftliche Bindungen, eine in wirtschaftlicher Hinsicht gelungene Integration der Kläger zu 1 und 2 liegt jedoch noch nicht vor.
52 
Weiter ist zu ihren Lasten zu berücksichtigen, dass ihr Aufenthalt nach der Rücküberstellung in das Bundesgebiet im Januar 2002 nie durch einen Aufenthaltstitel legalisiert worden ist. Der Klägerin zu 3 und den übrigen Familienmitgliedern ist verbal in der jeweils ausgestellten Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung stets vor Augen geführt worden, dass die Duldung keinen Aufenthaltstitel darstellt und deren Inhaber vollziehbar ausreisepflichtig ist. Aber auch mit Blick auf diesen tendenziell eher gegen die Führung eines schutzwürdigen Privatlebens sprechenden Umstand ist in der Gesamtschau der für die Feststellung des Ausmaßes der Integration relevanten - jeweils für und gegen die Klägerin zu 3 - streitenden Faktoren davon auszugehen, dass sie in erheblichem und schutzwürdigem Maße im Bundesgebiet „verankert“ ist.
53 
4.) In Ansehung des erreichten Integrationsstandes ist der Klägerin zu 3 nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auch mit Blick auf den stets nur geduldeten Aufenthalt eine Rückkehr in den Irak nicht zuzumuten.
54 
a.) Die Klägerin zu 3 ist seit ihrem 5. Lebensjahr nicht mehr im Irak gewesen und hat aus eigenem Erleben keine Erinnerung an dieses Land. Die Lebensverhältnisse im Irak kennt sie allenfalls aus Erzählungen ihrer Eltern oder aus dem kurdischen Fernsehen. Sie kann sich zwar in Sorani mündlich verständigen, in schriftlicher Form fehlt es jedoch an Kenntnissen einer im Irak üblichen Sprache. Allerdings gilt für minderjährige Kinder der Grundsatz, dass bei der Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat entscheidend auf die Eltern und deren Hilfestellung abzustellen ist. Die familien- und aufenthaltsrechtliche Stellung minderjähriger Kinder gebietet es, dass diese prinzipiell aufenthaltsrechtlich das Schicksal der Eltern teilen (zu dieser sog. familienbezogenen Gesamtbetrachtung VGH Bad.-Württ., Urteile vom 09.12.2009 - 13 S 2092/09 - juris Rn. 31, vom 22.07.2009 - 11 S 1622/07 -juris Rn. 81 und vom 27.06.2006 - 11 S 951/06 - VBlBW 2006, 442 sowie Beschlüsse vom 18.01.2006 - 13 S 2220/05 - juris und vom 10.05.2006 - 11 S 2354/05 -; NdsOVG, Beschluss vom 16.03.2010 - 8 ME 47/10 - juris Rn. 3; VG Stuttgart, Urteile vom 20.07.2006 - 4 K 921/06 - juris Rn. 57 und vom 26.10.2006 - 4 K 1753/06 - juris Rn. 39, 47; VG Koblenz, Urteile vom 11.01.2010 - 3 K 74/09.KO - juris Rn. 64 und vom 08.02.2010 - 3 K 206/09.KO - juris Rn. 79; GK-AufenthG, § 60a Rn. 179, 192; ein dogmatisch anderer Ansatz findet sich - allerdings in anderer Konstellation - in der Rechtsprechung des EuGH, vgl. Urteil vom 19.10.2004 - Rs. C-200/02 - InfAuslR 2004, 413). Das durch Art. 6 GG geschützte elterliche Sorgerecht umfasst unter anderem die Personensorge für das minderjährige Kind, die die Eltern auch dazu berechtigt, seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB). Dieses umfassende Recht der Eltern schränkt rechtlich zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen ein. Dieser ist nicht berechtigt, seinen Aufenthaltsort selbstständig und frei zu wählen. Dass Kinder mit zunehmendem Alter an Eigenständigkeit gewinnen, ändert an der Personensorge und dem hieraus folgenden Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern bis zum Eintritt der Volljährigkeit nichts. Diese rechtliche Ausgangssituation prägt auch die nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotene Abwägung. Bei einem minderjährigen Kind ist daher maßgeblich die Situation der Eltern in den Blick zu nehmen. Steht den Eltern wegen deren mangelnder Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland bzw. fehlender „Entwurzelung“ über Art. 8 EMRK kein Aufenthaltsrecht zu, so ist davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren ist und/oder dort lange Zeit gelebt hat und hier integriert ist, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann. Eine prinzipiell andere Sichtweise würde dazu führen, dass minderjährige Kinder ihren nicht - oder jedenfalls nicht zulänglich - integrierten Eltern ein Aufenthaltsrecht verschaffen würden, obwohl diesen selbst eine Rückkehr in das Herkunftsland ohne weiteres zumutbar wäre. Im Ergebnis würden damit die Eltern das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer minderjährigen Kinder teilen, was mit den im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK ebenfalls einzustellenden einwanderungspolitischen Interessen des Staates grundsätzlich nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. auch NdsOVG, Urteil vom 29.01.2009 - 11 LB 136/07 - juris Rn. 75).
55 
Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann es jedoch gebieten, seinerseits Ausnahmen von der familieneinheitlichen Betrachtung zu machen. Ist kein Elternteil trotz der ihm aus seiner Stellung als Personensorgeberechtigter erwachsenden Pflichten in der Lage, die notwendige Hilfe bei der (Re-) Integration in den Herkunftsstaat zu erbringen, so fehlt der familienbezogenen Gesamtbetrachtung regelmäßig die Grundlage. Darüber hinaus kommt eine Ausnahme mit Blick auf die Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde liegenden Wertvorstellungen dann in Betracht, wenn aufgrund der spezifischen Verhältnisse im Land der Staatsangehörigkeit ein „Einleben“ dort nur unter Inkaufnahme einer gravierenden Änderung der bisherigen Persönlichkeit und der durch diese bedingten Lebensführung möglich wäre. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn in Deutschland heranwachsende Mädchen durch die hier erfolgte Sozialisation in einer Art und Weise geprägt sind, dass eine Verweisung auf ein Leben in ihrem Passstaat sie zwingen würde, ihre bisherige Identität und ihr Verständnis von der Bedeutung der Frau aufgeben zu müssen, weil die traditionelle Rolle der Frau und insbesondere ihre Stellung in der Öffentlichkeit in dem dortigen Gesellschaftssystem in unüberbrückbarem Gegensatz zu den auch von ihr im Bundesgebiet praktizierten Lebensverhältnissen stehen (GK-AufenthG, § 60a Rn 191; Bergmann, ZAR 2007, 128, 132). Diese Ausnahme trifft auf die Klägerin zu 3 zu.
56 
b.) Zwar wird die Klägerin zu 3 erst in einigen Monaten 14 Jahre alt. Sie ist jedoch ungeachtet ihres Alters in der hiesigen Gesellschaftsordnung und in ihren Wertvorstellungen in einer Weise „verwurzelt“, dass ihr eine Rückkehr in den Irak aufgrund der dort derzeit landesweit herrschenden Verhältnisse vor allem mit Blick auf die Situation von Frauen und Mädchen nicht zugemutet werden kann.
57 
aa.) Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28.11.2010 hat sich die Sicherheitslage im Irak zwar erheblich verbessert, sie ist aber im weltweiten Vergleich immer noch verheerend. Danach kommt es immer noch wöchentlich zu ca. 200 Anschlägen, bei denen im Schnitt pro Woche ca. 150 Todesopfer zu beklagten sind. Schwerpunkte terroristischer Anschläge bleiben weiterhin Bagdad und der Zentralirak, v.a. im Nordosten (Diyala, Salahaddin) sowie die Provinzen Tamin mit der Hauptstadt Kirkuk und Niniwe mit der Hauptstadt Mosul. Neuerdings werden auch Anschläge von Al-Qaida im Raum Basra verzeichnet. Die hohe Gewaltrate im Irak hat immer noch erhebliche Auswirkungen im alltäglichen Leben, wobei den Großteil der Opferlast die weitgehend ungeschützte Zivilbevölkerung trägt. Immer wieder sind Zivilisten Opfer nicht nur politisch motivierter Gewalt, sondern auch organisierter Kriminalität wie Entführungen, Erpressungen und Morde (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 14 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 15). Die Sicherheitslage im von der Regionalregierung der Region Kurdistan-Irak (KRG) kontrollierten Gebiet ist deutlich besser als im Rest des Landes. Allerdings steigt in den außerhalb der kurdischen Autonomiezone liegenden Gebieten des Nordirak die Zahl der Anschläge und der Todesopfer. Besonders kritisch ist die Lage im erdölreichen Kirkuk, der Herkunftsregion der Klägerin zu 3 und ihrer Familie. Dieses gehört zu den umstrittenen Gebieten des Irak, in dem Araber und Kurden um die Vorherrschaft ringen und sowohl die Zentralregierung als auch die Regionalregierung Kurdistan-Irak die Kontrolle anstreben (vgl. näher Europäisches Zentrum für Kurdische Studien vom 07.07.2010 an VG Stuttgart; AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 15 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 16).
58 
Die Menschenrechtslage im Irak bleibt prekär. Zwar gibt es langsame Fortschritte; Verstöße gegen die Menschenrechte sind jedoch weiterhin weit verbreitet. Der Staat ist nicht in der Lage, die Sicherheit der Zivilbevölkerung und die Ausübung der in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten landesweit zu ermöglichen. Auch von der Region Kurdistan-Irak wird von schweren Menschenrechtsverstößen berichtet (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 6, 28 ff. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 16 ff.).
59 
Zu den Hauptleidtragenden der gegenwärtigen Umstände im Irak gehören nach der Auskunftslage die Kinder. Die Folgen des Zusammenbruchs staatlicher Strukturen und deren langsamer Wiederaufbau betreffen vor allem Familien, die auf Krankenhäuser, Schulen und Lebensmittelhilfen besonders angewiesen sind. Der Gesundheitszustand der Kinder hat sich seit März 2003 deutlich verschlechtert. Das Gesundheits- und Erziehungswesen im Irak liegt darnieder. Es mangelt an allem und die Grundversorgung ist unzureichend gesichert. Die Alphabetisierungsrate im Irak ist in den letzten 15 Jahren stark gefallen. Nur noch drei von vier Jugendlichen können lesen und schreiben. Die Möglichkeit des Schulbesuchs ist in Anbetracht der Sicherheitslage für viele Kinder noch eingeschränkt und mit Gefahren für Leib und Leben verbunden. Seit einiger Zeit werden Kinder Ziel von kriminellen Lösegelderpressern. Die Schulen sind oftmals in einem schlechten baulichen Zustand; es fehlt an sanitären Einrichtungen. Viele Schulen haben immer noch aus Mangel an Lehrpersonal geschlossen (AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 19 f., 35 und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 6, 20, 34). Für die Situation von Schülerinnen und Schüler im Nordirak ergibt sich insoweit kein grundlegend anderes Bild (vgl. Schweizer Flüchtlingshilfe , Irak: Die sozio-ökonomische Situation im Nordirak, 07.06.2010, S. 14 ff.).
60 
Speziell was die Situation von Frauen und Mädchen anbelangt, so hat sich deren Stellung im Vergleich zur Zeit des Regimes unter Saddam Hussein deutlich verschlechtert. In der Verfassung aus dem Jahre 2005 ist die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter zwar formal festgeschrieben. Auch steht Frauen der Zugang zu Bildungseinrichtungen und Arbeitsmarkt im Grundsatz offen. Die Verfassung garantiert ferner die soziale Sicherheit für Frauen und Kinder. Diese Prinzipien sind in der Praxis jedoch nicht umgesetzt (Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen). Die zunehmende Radikalisierung von Teilen der irakischen Gesellschaft hin zu fundamentalistisch radikalislamischen Überzeugungen stellt insbesondere für die Sicherheit der Frau eine Gefährdung dar. Darüber hinaus hat die allgemein prekäre Sicherheitslage erhebliche negative Auswirkungen auf das Alltagsleben der Frauen (siehe hierzu und zum folgenden AA, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 20 f. und Lagebericht vom 11.04.2010, S. 20 ff.; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Geschlechtsspezifische Verfolgung für ausgewählte Herkunftsländer, April 2010, S. 96 ff. ; EZKS vom 15.08.2008 an VG Göttingen; Deutsches Orient-Institut vom 17.06.2008 an VG Göttingen; SFH vom 20.11.2007 - Irak: Rückkehr einer verwitweten schiitischen Frau mit einem ehelichen und einem unehelichen Kind).
61 
Gewalt gegen Frauen ist im Irak weit verbreitet. Die Situation der Frauen wird als Privatangelegenheit einer Familie betrachtet und selten an staatliche Stellen herangetragen. Staatliche Schutzmechanismen für Opfer häuslicher Gewalt sind nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Nach dem Strafgesetzbuch ist der Ehemann berechtigt, seine Ehefrau zu bestrafen. Es gibt auch keine Vorschrift, nach der Vergewaltigung in der Ehe strafbar wäre. Zwangsverheiratung wird praktiziert. Die Tradition der Verheiratung junger Mädchen (ab 14 Jahre) existiert, besonders in den ländlichen Gebieten. Familienmitglieder verkaufen auch Mädchen und Frauen, um wirtschaftlichen Zwangslagen zu entgehen, Schulden zu bezahlen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen Familien zu überwinden. Frauen werden Opfer der im Irak nicht verbotenen und vor allem im stark patriarchalisch strukturierten Nordirak praktizierten Genitalverstümmelung. Auch Ehrenmorde sind noch immer in allen Teilen des Landes verbreitet. Schließlich nehmen in der irakischen Gesellschaft (insbesondere im schiitisch dominierten Süden) die Tendenzen zur Durchsetzung islamischer Regeln zu, z.B. Kleidervorschriften wie Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten. Frauen werden auf familiärer und gesellschaftlicher Ebene mit dem Ziel unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und die Möglichkeiten der Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken. Von Frauen wird verlangt, einen Schleier zu nehmen, keine Kleidung im westlichen Stil zu tragen und zu Hause zu bleiben. Frauen werden vor allem zur Zielscheibe islamischer Extremisten, wenn sie ein normales Leben nach westlichen Maßstäben führen wollen. Frauen, die von Gewaltakten betroffen werden, finden, insbesondere wenn es sich um Fälle häuslicher Gewalt handelt, bei staatlichen Stellen keinen Schutz.
62 
bb.) Für die Frage, ob in Anbetracht der derzeitigen Situation im Irak der Klägerin zu 3 eine Rückkehr zumutbar ist, kommt es aufgrund des unterschiedlichen Maßstabs nicht darauf an, dass die Voraussetzungen für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 oder 2 AufenthG hinsichtlich des Irak derzeit regelmäßig nicht vorliegen (vgl. hierzu VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.08.2010 - A 2 S 1134/10 - juris; OVG NRW, Urteil vom 29.10.2010 - 9 A 3642/06.A - ; BayVGH, Urteil vom 21.01.2010 - 13a B 08.30283 -, wonach der westliche Habitus weiblicher irakischer Staatsangehöriger nicht als individuell gefahrenerhöhender Umstand berücksichtigt werden könne). Bei der einzelfallbezogenen Prüfung im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK geht es nicht primär um „Gefahrenlagen“, sondern um die Feststellung und Bewertung des Ausmaßes der Entfremdung vom Herkunftsstaat.
63 
Die Klägerin zu 3 hat aufgrund der von ihr als prägend erfahrenen Sozialisation im Bundesgebiet die Lebensweise der „westlichen Welt“ in Theorie und Praxis verinnerlicht. Dies ergibt sich nicht nur aus ihrer Art sich zu kleiden, sondern vor allem aus der oben unter 3.) im Einzelnen dargestellten Weise, ihre Freizeit zu verbringen und im Schulalltag aufzutreten. Die Klägerin zu 3 lebt auch in dem selbstverständlichen Bewusstsein, dass Jungen und Mädchen die gleichen Rechte haben und verhält sich dementsprechend. In dieser Art der Lebensführung wird sie von ihren Eltern bestärkt. Diese akzeptieren ihr Hobby Mädchenfußball und die Schwimmbadbesuche ebenso wie ihre Kontakte und Zusammenarbeit mit Jungen in der Schule (unter anderem im Team der Schülervertretung) oder Freizeit. Traditionelle oder gar archaische Vorstellungen werden in der Familie nicht gelebt. Weder ist das Tragen eines Kopftuchs üblich, noch spielt sich das Leben der Klägerin zu 3 und der weiteren weiblichen Familienmitglieder vor allem im häuslichen Bereich ab. Gerade die Klägerin zu 2 ist auch sehr darum bemüht, ihre Tochter auf deren Weg zu einem allgemein anerkannten Bildungsabschluss zu unterstützen. Bei der Bewertung, dass ihr vor diesem Hintergrund die erstmalige Integration in den Irak nicht angesonnen werden kann, spielt als solches keine Rolle, dass die Klägerin zu 3 dort ihren Hobbys nicht mehr nachgehen könnte und auch nicht die gleichen Bildungschancen hätte wie im Bundesgebiet sowie als Heranwachsende prinzipiell noch „entwicklungsfähig“ ist. Gewisse Anpassungen an das, was in seinem Herkunftsland üblich ist, können einem Ausländer abverlangt werden. Entscheidend ist jedoch der Umstand, dass die derzeitige gesellschaftliche Praxis im Irak, die bestimmt, was Frauen und junge Mädchen im Irak tun dürfen und können, diametral dem entgegensteht, was die Persönlichkeit der Klägerin zu 3 bisher geprägt hat und Ausdruck ihrer Individualität ist. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Situation für Frauen und Mädchen im Irak in überschaubarer Zukunft entscheidend verbessern würde, lassen sich den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen nicht entnehmen; im Gegenteil: In den verwerteten Erkenntnismitteln kommt unübersehbar eine „schleichende“ Verschlechterung der Situation von Frauen und Mädchen zum Ausdruck. Die Aufgabe ihrer selbst - dies würde eine Verweisung auf ein Leben im Irak mit sich bringen - kann der Klägerin zu 3 nicht abverlangt werden.
64 
Selbst wenn man im Übrigen die Auffassung der Beklagten zugrunde legen würde, einem jungen Mädchen wäre aufgrund ihrer altersbedingt noch nicht abgeschlossenen Persönlichkeitsbildung eine Integration in die Verhältnisse des Herkunftsstaates prinzipiell möglich und zumutbar, würde dies im vorliegenden Fall deshalb nicht gelten, weil die Klägerin zu 3 psychisch gar nicht in der Lage wäre, eine Rückkehr in den Irak mit der notwendigen Anpassung an den dortigen Lebensstil zu bewältigen. Dies hat die die Klägerin zu 3 betreuende Diplompsychologin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat überzeugend dargelegt. Dies entspricht im Übrigen auch Erkenntnissen, die zu einer Rückkehr von Mädchen in den Irak nach langjährigem Auslandsaufenthalt im Westen vorliegen. Nach der Auskunft des EZKS vom 15.08.2008 an das Verwaltungsgericht Göttingen hat sich in den Fällen, in denen ganze Familien freiwillig in den Nordirak zurückgekehrt sind, diese Rückkehr vor allem für junge Frauen und Mädchen in der Pubertät, die einen wesentlichen Teil ihrer Sozialisation in Form eines westlich geprägten Lebensstils erfahren haben, als Katastrophe erwiesen und unter anderem unterschiedlichste psychische Störungen und Krankheiten, insbesondere Depressionen und Essstörungen, zur Folge gehabt.
65 
c.) Im Übrigen ergibt sich eine Ausnahme von der familienbezogenen Gesamtbetrachtung auch daraus, dass die Kläger zu 1 und 2 derzeit und bis auf Weiteres nicht in der Lage sind, der Klägerin zu 3 die für ein - erstmaliges -Einleben im Irak notwendige Hilfestellung zu gewähren. Dies gilt selbst dann, wenn man unterstellen würde, dass ihre Tochter auf den „Kulturschock“ nicht mit einer (psychischen) Erkrankung reagieren würde und sich der für sie dort erforderliche Aufwand an Betreuungs- und Beistandsleistungen nicht von dem unterscheidet, der auch ihren Geschwistern entgegen gebracht werden muss.
66 
Zwar sind die Kläger zu 1 und 2 selbst nicht „entwurzelt“. Sie haben den Irak erst als Erwachsene mit über 30 Jahren verlassen und dort einen höherwertigen Bildungsabschluss erlangt. Die Klägerin zu 2 hat im Irak das Gymnasium besucht und dort zunächst in einer Bank und später als Lehrerin gearbeitet. Sie spricht fließend Türkisch, Arabisch, Kurdisch und Farsi. Der Kläger zu 1 beherrscht ebenfalls diese Sprachen und verfügt auch über Kenntnisse der englischen Sprache. Außerdem leben noch Verwandte im Irak, unter anderem zwei Brüder und eine Schwester der Klägerin zu 2 in Kirkuk. Beide sind auch durch Berichte von Verwandten und das kurdische Fernsehen, das sie regelmäßig schauen, über die aktuellen Verhältnisse im Irak hinreichend informiert. So berichtet die Klägerin zu 2 einem Schreiben von Pfarrer B. - Arbeitskreis Asyl ... - vom 04.10.2010 zufolge bei Plenumssitzungen im Rahmen der „Aktuellen Runde“ über die Situation der Frauen im Irak. Allerdings sind die Kläger zu 1 und 2 aufgrund ihrer eigenen psychischen Belastungen und Erkrankungen nicht in der Lage sein, ihrer Tochter die unerlässliche Hilfe zu geben, die diese nach einem langen und ihr Leben prägenden Aufenthalt im Bundesgebiet bräuchte, um sich im Irak einleben zu können.
67 
Die Klägerin zu 2 ist seit dem Jahre 2007 bis heute bei der PVB wegen psychischer Erkrankungen in Behandlung. Das Gesundheitsamt der Beklagten hat aufgrund einer amtsärztlich-psychiatrischen Untersuchung der Klägerin zu 2 am 19.12.2007 ein erheblich ausgeprägtes depressives Syndrom (mittelschwere bis schwere Episode) mit Somatisierung vor einem posttraumatischen Hintergrund diagnostiziert. Nach einer erneuten Untersuchung vom 26.10.2009 und unter Berücksichtigung eine Stellungnahme der PBV vom 21.07.2009 hat gerade auch der Amtsarzt eine Fortsetzung der Therapie wegen eines erheblich ausgeprägten depressiven Syndroms mit Somatisierung auf posttraumatischer Grundlage befürwortet. Wie die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat anwesende Diplompsychologin überzeugend geschildert hat, ist die Klägerin zu 2 aufgrund der Behandlung und der sie umgebenden „Netzwerke“ mittlerweile in der Lage, ihr Leben zu bewältigen. Durch die psychologische Betreuung und die ihr hier ermöglichten Tätigkeiten - wie etwa das gelegentliche und ehrenamtliche Übersetzen für andere Flüchtlinge oder das „Sich-Einbringen“ in der Schule ihrer Kinder oder während ihrer Erwerbstätigkeit - erfährt die Klägerin zu 2 die für sie erforderliche innere Stabilität. Dass die Klägerin zu 2 für die Erlangung bzw. Aufrechterhaltung eines seelischen Gleichgewichts ungeachtet dessen, dass sie selbst aktiv hieran arbeitet, auf Unterstützung durch Dritte angewiesen ist, hat auch die die Kläger betreuende Sozialarbeiterin, die mit der Familie ständigen Kontakt hat, im Einzelnen dargelegt. Sie sieht die Klägerin zu 2 am Rande der Belastbarkeit stehen und dringend auf die Einbindung durch ihr soziales Engagement in ihrem derzeitigen Umfeld angewiesen. Würde die Klägerin zu 2 auf ein Leben in den Irak verwiesen, so wäre sie dort für einen unabsehbaren Zeitraum nicht in der Lage, ihren Kindern zu helfen, weil sie selbst eine Rückkehr in den Irak psychisch nicht verkraften würde. Diese schon in verschiedenen schriftlichen Stellungnahmen der PBV zum Ausdruck gebrachte Prognose hat die vom Senat angehörte Psychologin nochmals bekräftigt und darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin zu 2 zumindest mit einer schweren Depression zu rechnen wäre. Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine psychische Erkrankung der Klägerin zu 2 im Irak grundsätzlich behandelbar wäre, würde die Notwendigkeit, mit den eigenen Problemen kämpfen zu müssen, bei ihr zwangsläufig so sehr im Vordergrund stehen, dass sie vorhersehbar nicht in der Lage wäre, ihren Kindern diejenige Hilfestellung zu bieten, auf die diese bei der von ihnen zu leistenden erstmaligen Integration in ein fremdes Land existentiell angewiesen wären.
68 
Auch der Kläger zu 1 könnte seine Kinder bei einer Rückkehr in den Irak nicht adäquat unterstützen. Er leidet an einem behandlungsbedürftigen Alkoholproblem und hat deswegen auch schon einen Arzt konsultiert. Seine Ursache hat der Alkoholkonsum nach der Stellungnahme der PBV vom 06.05.2009 aber auch nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter anderem darin, dass ein Bruder von ihm im Jahre 2003 in Kirkuk durch ein Attentat getötet worden sei. Er ist darüber hinaus wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung in Behandlung. Aufgrund seiner Labilität würde er - wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen der PBV und den mündlichen Angaben der Psychologin ergibt - selbst eine Rückkehr in den Irak nicht verkraften und erst Recht nicht die notwendige Hilfestellung gegenüber der Klägerin zu 3 leisten können. Der lange und das Mädchen prägende Aufenthalt im Bundesgebiet, ihr vollständig fehlender Bezug zum Irak, die bei ihr nicht vorhandenen Kenntnisse einer im Irak üblichen Schriftsprache, die prekäre allgemeine (Sicherheits-)Lage, die beschränkten Schulmöglichkeiten und die unzureichend gesicherte Grundversorgung würden an den Erziehungsberichtigen besonders hohe Anforderungen hinsichtlich der Unterstützungsleistungen stellen, die im konkreten Einzelfall aufgrund der bei ihm fehlenden eigenen Belastbarkeit nicht erbracht werden könnten. Es ist auch nicht ersichtlich, dass in dieser Konstellation Verwandte oder sonstige Dritte im Irak die den Eltern obliegenden Aufgaben der Begleitung bei der Integration in die dortigen Lebensverhältnisse (vorübergehend) in der notwendigen Art und Weise übernehmen könnten.
69 
d.) Im Rahmen dieser Bewertung, dass der Klägerin zu 3 in Anbetracht ihres erreichten Integrationsstands eine Rückkehr in den Irak nicht zugemutet werden kann, spielt es keine entscheidende Rolle, dass ihr Aufenthalt zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich legalisiert gewesen ist. Dies gilt vor allem auch deshalb, weil die Aussetzung der Abschiebung seit Jahren mit Blick auf die Verhältnisse im Irak vorgenommen worden ist und wird. Dies folgt aus den zur „Rückführung irakischer Staatsangehöriger“ ergangenen Schreiben des Innenministerium vom 18.06.2003, vom 27.11.2003, vom 29.07.2004 und vom 12.03.2007 in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Fassung gemäß ZV-AufenthG (Abschn. D - Irak Nr. 3). Dem entsprechend haben die Beklagte oder das beigeladene Land zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Anstrengungen unternommen, den Aufenthalt der Klägerin zu 3 und ihrer Familie zu beenden. Dass die Situation im Irak auch aus Sicht der Ausländerbehörden nicht ohne weiteres für jeden im Bundesgebiet lebenden ausreisepflichtigen irakischen Staatsangehörigen zu bewältigen ist, lässt sich daran ersehen, dass bislang nur straffällig gewordene Iraker abgeschoben worden sind, die aus den kurdischen Gebieten stammen und dort noch Familie haben, die Schutzfunktionen übernehmen und den betreffenden Rückkehrern Zugang zu Wohnmöglichkeiten und anderen Grundversorgungen verschaffen können (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 28.11.2010, S. 38 sowie ZV-AufenthG Abschn. D - Irak Nr. 3). Aufgrund dieser Besonderheiten ist dem aufenthaltsrechtlichen Gesichtspunkt der Begrenzung und Steuerung von Zuwanderern im Rahmen des Art. 8 Abs. 2 EMRK im vorliegenden Fall keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen.
70 
5.) Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK steht nicht entgegen, dass bei ansonsten vorliegenden Regelerteilungsvoraussetzungen der Lebensunterhalt nicht vollständig gesichert ist und die Klägerin zu 3 selbst nicht über einen Pass verfügt. Insoweit liegen Ausnahmen von den Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nrn. 1 und 4 AufenthG vor.
71 
a.) Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG ist der Lebensunterhalt eines Ausländers gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Es bedarf mithin der positiven Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft unter Berücksichtigung der von ihm angestrebten Aufenthaltsdauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Dies erfordert einen Vergleich des voraussichtlichen Unterhaltsbedarfs mit den voraussichtlich zur Verfügung stehenden Mitteln (vgl. zur Prognose GK-AufenthG § 2 Rn. 41 ff.). Bei der Ermittlung des Unterhaltsbedarfs kommt es auf den Bedarf der Kernfamilie an, d.h. bei der Prognose, ob der Lebensunterhalt der Klägerin zu 3 künftig voraussichtlich gesichert ist, ist der Bedarf der Kläger zu 1 und 2 sowie 4 und 5 ebenfalls zu berücksichtigen. Bei erwerbsfähigen Ausländern richtet sich die Ermittlung des Unterhaltsbedarfs seit dem 01.01.2005 nach den entsprechenden Bestimmungen des 2. Sozialgesetzbuchs (SGB II). Dabei sind bei der Ermittlung des zur Verfügung stehenden Einkommens grundsätzlich der Freibetrag für Erwerbstätige gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und die Werbungskostenpauschale nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II zu Lasten des Ausländers anzusetzen (vgl. BVerwG, Urteile vom 16.11.2010 - 1 C 20.09 und 1 C 21.09 - bisher nur Pressemitteilung sowie Urteile vom 07.04.2009 - 1 C 17.08 - BVerwGE 133, 329 und vom 26.08.2008 - 1 C 32.07 -NVwZ 2009, 248 ). Gemessen hieran kann prognostisch nicht von einer Sicherung des Lebensunterhalts ausgegangen werden.
72 
Die Kläger zu 1 und 2 verdienen derzeit gemeinsam monatlich etwa 1.762 EUR netto. Es bestehen zwar keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beschäftigungen der Klägerin zu 2, die bereits über ein Jahr bereits ausgeübt wird, und diejenige des Klägers zu 1 demnächst wieder entfallen könnten. Wie die Metzgerei Z. in der Arbeitsbescheinigung vom 08.12.2010 ausgeführt hat, ist die Klägerin zu 2 bis auf weiteres in der Filiale in S. beschäftigt, wo man mit ihrer Arbeit zufrieden sei. Auch hinsichtlich des Klägers zu 1 ist von einer weiteren Erwerbstätigkeit auszugehen. Der den Kläger zu 1 hauptberuflich beschäftigende Arbeitgeber hat unter dem 08.12.2010 schriftlich sowie ergänzend in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen, er sei mit dessen Arbeit stets sehr zufrieden gewesen. Daher habe er ihn im September 2010 festangestellt. Auch könne die vom Kläger zu 1 zusätzlich ausgeübte Nebentätigkeit als geringfügig Beschäftigter problemlos mit seiner Tätigkeit als Aushilfsarbeiter bei ihm in Einklang gebracht werden. Es ist auch nicht zu erkennen, dass einer weiteren Erwerbstätigkeit der Eltern der Klägerin zu 3 rechtliche Hindernisse entgegen stehen könnten. Zwar berechtigt der auch ihnen zu erteilende humanitäre Aufenthaltstitel nach § 25 Abs. 5 AufenthG (siehe unten III.) nicht schon kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Allerdings ist prognostisch davon auszugehen, dass den Klägern zu 1 und 2 die Ausübung der Erwerbstätigkeit erlaubt werden wird (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2 AufenthG). Denn selbst als nur Geduldeten wird ihnen seit Januar 2008 die Beschäftigung uneingeschränkt erlaubt. Dass die Zulassung einer Beschäftigung der Kläger zu 1 und 2 nunmehr auf der Grundlage eines - letztlich an die Stelle der Duldung tretenden - zunächst nach § 26 Abs. 1 Satz 1 AufenthG für sechs Monate befristeten humanitären Aufenthaltstitels unter arbeitsmarktspezifischen Aspekten anders zu bewerten wäre, ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu auch § 9 Abs. 1 Nr. 2 BeschVerfV). Andererseits steht aber auch nicht zu erwarten, die Kläger zu 1 und 2 könnten in einem überschaubaren Zeitraum ein deutlich höheres Einkommen erzielen. Zwar ist dem Kläger zu 1 eine höhere Entlohnung bei der Firma ... ... in Aussicht gestellt worden, wenn er - auf der Grundlage eines Aufenthaltstitel - für den Betrieb flexibler verwendungsfähig wäre und etwa auch Autos ins Ausland verbringen könnte. Eine konkrete Zusage des Arbeitgebers, die prognostisch Berücksichtigung finden müsste, liegt jedoch nicht vor.
73 
Ausgehend von einer sozialversicherungspflichtigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu 1 auf der Grundlage eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG steht den Eltern zukünftig jedoch Kindergeld zu, das nach § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG als Einkommen zu berücksichtigen ist. Nach § 1 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 3 BKGG hat Anspruch auf Kindergeld unter anderem derjenige, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG besitzt und sich seit mindestens drei Jahren geduldet im Bundesgebiet aufhält und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist. Nach § 6 Abs. 1 BKGG beträgt das Kindergeld für die Klägerin zu 3 und den Kläger zu 4 jeweils 184 EUR sowie für die Klägerin zu 5 190 EUR, mithin zusammengerechnet 558 EUR. Insgesamt werden den Klägern daher bei einem Einkommen von 1.762 EUR zukünftig 2.320 EUR zur Verfügung stehen.
74 
Dem steht ein Bedarf von 2.580 EUR gegenüber. Dieser errechnet sich zunächst anhand der von den Klägern zu tragenden Gebühren für die Unterkunft in Höhe von etwa 718 EUR und des - auf der Grundlage der Regelsätze des SGB II ermittelten - Bedarfs von 1.399 EUR (siehe hierzu oben unter 3.). Des weiteren sind sowohl für den Kläger zu 1 als auch für die Klägerin zu 2 jeweils ein Betrag von 100 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II anzusetzen. Schließlich sind zu Lasten der Erwerbstätigen aus einem durchschnittlich monatlich zugrunde gelegten Nettoeinkommen der Klägerin zu 2 in Höhe von 370 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II ein Betrag von 54 EUR und für den Kläger zu 1 bei einem Gesamt-Nettoeinkommen von 1.329 EUR ein solcher von etwa 209 EUR anzusetzen.
75 
Allerdings gebietet der Schutz des Privatlebens der Klägerin zu 3 im Sinne des Art. 8 EMRK die Annahme eines Ausnahmefalles (zur Atypik aufgrund völker- oder verfassungsrechtlicher Wertentscheidung siehe etwa BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 - 1 C 3.08 - NVwZ 2009, 1239 Rn.13 ff.; GK-AufenthG § 5 Rn. 28; Renner, a.a.O. § 5 Rn. 21 ff.). Die Klägerin zu 3 kann aufgrund des Ausmaßes ihrer Integration im Bundesgebiet bei gleichzeitiger „Entwurzelung“ nicht auf ein Leben im Irak verwiesen werden, sondern ist auf ein Verbleiben in der Bundesrepublik angewiesen. Diese für einen Ausnahmefall streitende Wertentscheidung des Art. 8 EMRK ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb in einem anderen Licht zu sehen, weil die Ausländerin minderjährig ist. Zwar könnte die Bejahung eines atypischen Falles in einer solchen Konstellation dazu führen, dass über den Rechtsanspruch des Kindes - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht - nicht integrationswillige oder -fähige Eltern wegen der grundsätzlich schutzbedürftigen familiären Lebensgemeinschaft ein rechtlich legalisiertes Bleiberecht vermittelt werden könnte, was nicht nur einwanderungspolitisch bedenklich wäre, sondern auch dem von der Konvention anerkannten Recht eines Konventionsstaats zuwiderlaufen würde, über den Zuzug von Ausländern und dessen Voraussetzungen selbst zu entscheiden. Im vorliegenden Fall greifen derartige Bedenken jedoch schon im Hinblick auf den Grad der Integration der Eltern der Klägerin zu 3 nicht durch. Diese haben zwar vor allem in sprachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht hier noch nicht in einer Weise Fuß gefasst, dass sie Inländern vergleichbar wären. Sie arbeiten jedoch an der Verbesserung der Sprachkenntnisse, verhalten sich entsprechend der deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung - die eingeholten Auskünfte aus dem Zentralregister vom 04.10.2010 weisen keine Eintragungen auf -, engagieren sich hier im Rahmen ihrer Möglichkeiten (so etwa die Klägerin zu 2 als Elternvertreterin oder der Kläger zu 1 beim Fußball seiner Kinder) und sind um die Erlangung einer qualifizierteren und besser bezahlten Erwerbstätigkeit bemüht. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall die Diskrepanz zwischen Unterhaltsbedarf und eigenem Einkommen mit 260 EUR relativ betrachtet gering und allein durch die bedarfserhöhend angesetzten Beträge nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II und § 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II bedingt. Ein fiktiver Abzug von letztlich tatsächlich vorhandenem Einkommen zu Lasten des Ausländers ist bei einem aus dem Völkerrecht abgeleiteten Aufenthaltsrecht mit dessen Wertentscheidung nicht in Einklang zu bringen.
76 
b.) Die Klägerin zu 3 ist weder im Besitz eines eigenen Passes noch ist sie in dem der Klägerin zu 2 am 24.06.2009 ausgestellten irakischen Reisepass eingetragen (siehe zu dieser Möglichkeit der Erfüllung der Passpflicht § 2 Satz 1 AufenthV). Es liegt jedoch ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 3 AufenthG vor. Der Zweck der Passpflicht besteht darin, durch den Besitz eines gültigen Passes den Behörden die Feststellung der Identität und der Staatsangehörigkeit sowie der Rückkehrberechtigung seines Inhabers ohne weiteres zu ermöglichen (Renner, a.a.O., § 5 Rn. 14 und Nr. 3.0.8 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 26.10.2009, abgedr. in Renner, a.a.O. vor § 3; GK-AufenthG, § 3 Rn. 14). Nach der Bestätigung der irakischen Botschaft in Berlin vom 11.02.2009 hat die Klägerin zu 3 die regulär geforderten irakischen Unterlagen für die Ausstellung der neuen irakischen Reisepässe mit dem Serienbuchstaben G eingereicht, und der Antrag ist an das zuständige irakische Innenministerium nach Bagdad weitergeleitet worden. Diese Bestätigung liegt mit gleichem Datum auch hinsichtlich ihres Vaters, des Klägers zu 1, vor. Wie die Prozessbevollmächtigte der Kläger in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert hat, ist im Hinblick auf unterschiedliche Auffassungen zur richtigen Schreibweise des Vornamens des Klägers zu 1, was auch Auswirkungen auf die Pässe der Kinder hat, während des Verfahrens die Erneuerung seines Personalausweises gefordert worden. Der Kläger zu 1 hat dies daraufhin beantragt. Nunmehr sind alle Kläger im Besitz von am 08.08.2010 in Kirkuk ausgestellten irakischen Identitätskarten, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgelegt worden sind. Unter Berücksichtigung dessen, dass die Eltern der Klägerin zu 3 bereits alle erforderlichen Mitwirkungshandlungen für die Ausstellung eines Reisepasses vorgenommen haben, kann die lange Dauer des Verfahrens durch die Heimatbehörden in Passangelegenheiten, die auch Erkenntnissen des Auswärtige Amt entspricht (siehe etwa Lagebericht vom 28.11.2010, S. 36 f. zur Tätigkeit der irakischen Botschaft), nicht zu Lasten der Klägerin zu 3 gehen (vgl. GK-AufenthG § 5 Rn. 58; Renner, a.a.O., § 5 Rn. 13). Für eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung in einem solchen Fall spricht auch, dass der Klägerin zu 3 ein sich aus dem Völkerrecht ergebender Anspruch auf Erteilung des Aufenthaltstitels zusteht. Im Übrigen können auch wesentliche Funktionen der Passpflicht mit den in der Berufungsverhandlung vorgelegten Unterlagen hinreichend abgedeckt werden. So ist insbesondere die irakische Staatsangehörigkeit der Klägerin zu 3 nach der im Original vorgelegten irakischen Staatsangehörigkeitsbescheinigungen für ihre Eltern, von denen sie durch Abstammung ihre Staatsangehörigkeit ableitet, unzweifelhaft.
II.)
77 
Der seit dem 31.01.2002 geduldete Kläger zu 4 hat ebenfalls einen Anspruch nach § 25 Abs. 5 Satz 1 und 2 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
78 
Entsprechend den allgemeinen Darlegungen oben unter I.) führt der Kläger zu 4 im Bundesgebiet ein schutzwürdiges Privatleben, das durch die Vorenthaltung eines Aufenthaltstitels unverhältnismäßig beeinträchtigt wird. Der am 01.11.1998 geborene Kläger zu 4 lebt seit über acht Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet und besucht hier altersentsprechend die 6. Klasse der Hauptschule. Seine deutschen Sprachkenntnisse in Wort und Schrift entsprechenden denjenigen von Mitschülern deutscher Herkunft. Er hat einen auch deutsche Freunde umfassenden Freundeskreis, mit dem er verschiedene Aktivitäten außerhalb der Schule durchführt (wie etwa Fahrradtouren oder Theaterspiel) und spielt in einem Verein Fußball. Ebenso wie bei seiner älteren Schwester ist auch für den Kläger zu 4 aus den dort allgemein angestellten Erwägungen heraus eine Duldung nicht ausreichend, um sein Privatleben in einer der Konvention entsprechenden Weise führen zu können. Dass es durch eine Duldung dem Kläger zu 4 nicht möglich ist, etwa an Fußballturnieren und entsprechenden Freizeitaktivitäten seines Vereins außerhalb Baden-Württembergs teilzunehmen, obwohl er dies möchte, d.h. dass dieses Verbot eine Belastung für ihn darstellt, ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wie auch schon beim Verwaltungsgericht im Einzelnen deutlich worden.
79 
Der Kläger zu 4 ist in einer Weise in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet integriert, die im Wesentlichen derjenigen der Klägerin zu 3 entspricht. Er hat in etwa drei Viertel seines bisherigen Lebens im Bundesgebiet verbracht und geht in eine Regelschule. Nach dem zuletzt erteilten Zeugnis der Hauptschule (Versetzungszeugnis zum Ende des Schuljahres 2009/10) ist für Deutsch die Note „ausreichend“ vergeben worden; die Leistungen in den übrigen Fächern und Fächerverbünden sind mit „befriedigend“ und „ausreichend“, in einem Fach mit „gut“ bewertet worden. Die in dem Zeugnis ebenfalls enthaltene verbale allgemeine Beurteilung der Arbeitshaltung, Selbstständigkeit und Zusammenarbeit in der Klassen- und Schulgemeinschaft zeigt zwar noch etliche Defizite beim Kläger zu 4 auf (wie etwa schwankende Unterrichtsbeteiligung, Störung des Unterrichts). Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass es sich hierbei nicht um alters- und entwicklungstypische Erscheinungen handeln würde. Im Übrigen arbeitet der Kläger zu 4 an der Verbesserung seiner Leistungen. Nach einem Schreiben der Kontaktgruppe Asyl ... vom 29.07.2009 erhält er durch den Asylkreis Hilfe bei den Hausaufgaben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten komme er zuverlässig zu den Terminen. Er habe Erklärungen in Mathematik und Deutsch schnell verstanden und habe sich die Methoden und Regeln merken können. Er sei auch zu zusätzlichen Leistungen bereit, doch brauche er weiterhin viel Übung, um seine schulischen Leistungen deutlich verbessern zu können. Auch die Sorgfalt und das Gefühl der Verantwortung für seine schulischen Leistungen müssten noch wachsen. Er müsse noch begreifen, wie wichtig Bildung für seinen weiteren Lebensweg sei. Doch sei er auf einem guten Weg. Diese Nachhilfe nimmt er nach wie vor in Anspruch und hat nach einem am 08.12.2010 vorgelegten Schreiben seiner „Nachhilfelehrerein“ erhebliche Fortschritte gemacht. Der Kläger zu 4 ist in der 6. Klasse von seinen Mitschülern zum Klassensprecher gewählt worden, nachdem er zuvor stellvertretender Klassensprecher gewesen war.
80 
Der Kläger zu 4 ist auch außerhalb seines Schulalltags fest in die hier gegebenen gesellschaftlichen und sozialen Lebensverhältnisse eingebunden. In seiner Freizeit spielt er schon seit längerem beim TSV H. Fußball. Er ist - nach seinen Angaben seit zwei Jahren - Kapitän der D-Jugendmannschaft und nimmt auch an Turnieren teil. Zusätzlich spielt er außerhalb des Vereins Fußball und ist auch im Übrigen sportlich sehr aktiv. Nach einer Stellungnahme von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Arbeitskreises Asyl vom 02./03.12.2010 trainiert der Kläger zu 4 ferner in einem Boxverein und nimmt außerdem Angebote der evangelischen Kirchengemeinde ... für Kinder wahr. Als jüngeres Kind hat er am Laternenumzug teilgenommen. Ebenso wie seine ältere Schwester engagiert sich der Kläger zu 4 seit April 2010 bei dem Theaterprojekt „Yourstory“ des Jugendhauses ... in Kooperation mit der „freien bühne ...“. Nach den für den Kläger zu 4 erstellten Berichten eines Diplomsozialpädagogen vom Schülercafé ... vom 28.04.2010, vom 04.10.2010 und vom 07.12.2010 komme er häufig zu den verschiedenen Angeboten des Schülercafés. Er nehme regelmäßig an einem wöchentlichen Fußballprogramm teil. Er komme zum Jungentreff und nutze am Freitagabend gerne das Angebot des Teenietreffs. In den Pfingstferien 2009 sei er Teilnehmer der viertägigen Fahrradfreizeit gewesen. Er beteilige sich rege am Geschehen in der Einrichtung. Meistens nutze er mit gleichaltrigen Freunden die Angebote. Er sei sehr aktiv und voll integriert. Insgesamt gesehen unterscheidet sich die Lebensweise des Klägers zu 4 in gesellschaftlicher und sozialer Hinsicht nicht von derjenigen, wie sie auch von gleichaltrigen Schülern deutscher Herkunft gelebt wird. Unter Berücksichtigung des Maßes der Integration unter wirtschaftlicher Hinsicht und mit Blick auf den Duldungsstatus bereits oben unter I. 3.) getroffenen Feststellungen, die für den Kläger zu 4 gleichermaßen gelten, ist auch bei ihm davon auszugehen, dass er in erheblichem Maße im Bundesgebiet integriert ist.
81 
In Ansehung des erreichten Integrationsstands ist ihm auch trotz seines stets nur geduldeten Aufenthalts eine Rückkehr in den Irak ebenfalls nicht zuzumuten. Der Kläger zu 4 lebt im Bundesgebiet seitdem er drei Jahre alt gewesen ist. Den Irak kennt er aus eigenem Erleben nicht mehr. Er kann sich zwar in der Muttersprache seiner Eltern verständigen, hat jedoch keine Kenntnisse der Schriftsprache. Auf eine Hilfestellung seiner Eltern bei der - erstmaligen -Integration in seinen Passstaat kann er nicht verwiesen werden, weil diese auch ihm gegenüber entsprechend den Ausführungen oben unter I. 4.c.) nicht in der Lage wären, die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Entsprechend den Darlegungen oben unter I. 5.) stehen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK die Regelerteilungsvoraussetzungen nicht entgegen.
III.)
82 
Den Klägern zu 1, 2 und 5 steht mit Rücksicht auf die stets gelebte und dem Schutz von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK unterfallende familiäre Lebensgemeinschaft mit den Klägern zu 3 und 4 ein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu. Zwar könnte eine Trennung von den Klägern zu 3 und 4 auch dadurch vermieden werden, dass die Abschiebung der übrigen Familienmitglieder weiter ausgesetzt wird. Das Rechtsinstitut der Duldung ist jedoch nicht dazu bestimmt, einen nach der Verfassung gebotenen dauernden Aufenthalt zu sichern und zu ermöglichen (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 18.11.2009 - 13 S 2002/09 - juris Rn. 42; vgl. auch GK-AufenthG, § 60a Rn. 133 ff.). Hinsichtlich der Regelerteilungsvoraussetzungen gelten mit Blick auf den verfassungsrechtlich gebotenen weiteren Aufenthalt die Ausführungen unter I. 5.) entsprechend.
IV.)
83 
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO und § 100 Abs. 1 ZPO.
84 
Die Zulassung der Revision beruht auf § 132 Abs. 2 Nr. Nr. 1 VwGO. Die zwischen den Beteiligten umstrittene Rechtsfrage, ob bei einem im Bundesgebiet - mit Blick auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat - stets nur geduldeten Aufenthalt der Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens eröffnet ist, ist grundsätzlich klärungsbedürftig und klärungsfähig
85 
Beschluss vom 13. Dezember 2010
86 
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1, 39 Abs. 1 GKG auf 25.000,-- EUR festgesetzt.
87 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Greifswald - 2. Kammer - vom 28. Mai 2010 geändert.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 26. Mai 2010 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

1

Die Antragstellerin begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Anordnung ihrer persönlichen Vorsprache vor der armenischen Expertenkommission bei der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld nebst Androhung der zwangsweisen Vorführung.

2

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Mai 2010 den Antrag abgelehnt. Der auf § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG gestützte Bescheid des Antragsgegners vom 26. Mai 2010 sei nach summarischer Prüfung offensichtlich rechtmäßig.

3

Die dagegen erhobene Beschwerde hat Erfolg.

4

Die Beschwerde ist statthaft.

5

Die Beschwerde ist nicht nach § 80 AsylVfG ausgeschlossen. Die angefochtenen Maßnahmen sind vom Antragsgegner ausdrücklich und ausschließlich auf die ausländerrechtliche Ermächtigungsgrundlage des § 82 Abs. 4 AufenthG gestützt worden (vgl. BVerwG, Urt. v. 31.03.1992 - 9 C 155/90 -, zit. nach Juris Rn. 13 ff.; OVG Koblenz, Beschl. v. 24.01.2007 - 6 E 11489/06 -, zit. nach Juris Rn. 7 ff.; OVG Bautzen, Beschl. v. 09.07.2009 - A 1 D 92/09 -, zit. nach Juris Rn. 2 m.w.N.). Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Maßnahme handelt, für die tatsächlich § 15 Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG heranzuziehen gewesen wäre, bestehen nicht.

6

Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), führen zur Änderung des angefochtenen Beschlusses.

7

Allerdings bestehen weder durchgreifende Anhaltspunkte für eine fehlende Reisefähigkeit der Antragstellerin nach Bielefeld noch hat sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts gewandt, ihr Kind könne durch den Lebensgefährten während ihrer Abwesenheit in zumutbarer Weise betreut werden. Auch die Einwände, der Antragsgegner habe pflichtwidrig eine frühzeitigere Ankündigung der beabsichtigten Maßnahmen unterlassen und damit gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, sind nicht substantiiert. Aus den Verwaltungsvorgängen ergibt sich lediglich, dass dem Antragsgegner jedenfalls Ende März 2010 nur vage Termine für die Expertenanhörungen im Mai/Juni und September in Aussicht gestellt waren.

8

Auch die Einwände der Beschwerde gegen die Legitimität der "Expertenkommission" bei der zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld greifen nicht durch. Auf die Ausführungen des erkennenden Senats in seinem - dem Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin bekannten - Beschluss vom 22. Juni 2007 (- 2 M 80/07 -), wird Bezug genommen.

9

"Auch ist die Maßnahme als solche entgegen der Beschwerdebegründung nicht mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig. Die Verfügung des Antragsgegners kann sich, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, auf § 82 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) stützen. Die Vorschrift ist nicht, wie die Antragsteller meinen, beschränkt auf Vorführungen des Ausländers in den jeweiligen Botschaftsgebäuden. Der Wortlaut des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG spricht zwar von den "Vertretungen des Staates". Sinn und Zweck des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist jedoch, ausländerrechtliche Maßnahmen durch die Beschaffung von Heimreisedokumenten mit Hilfe der betreffenden Auslandsvertretung vorzubereiten und zu fördern, weshalb der Begriff der Auslandsvertretung funktional zu verstehen ist. Es muss sich um eine Person oder um Personen handeln, der oder denen der ausländische Staat die Wahrnehmung diplomatischer oder konsularischer Aufgaben oder sonstiger Aufgaben auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten übertragen hat und die von diesem legitimiert oder autorisiert ist oder sind, ihn im Inland zu vertreten, und so die Vertretung des betreffenden Staates bildet oder bilden. Es ist kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, die Aufgabenwahrnehmung der Auslandsvertretung auf dem Gebiet der Ausstellung von Heimreisedokumenten auf ihre Diensträume zu beschränken und Außentermine vom Anwendungsbereich des §§ 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG auszunehmen (vgl. neben der bereits erstinstanzlich benannten Entscheidung des OVG Münster, Beschl. v. 28. November 2006 - 19 B 1789/06 -, zitiert aus Juris, Rn. 5 m. w. N., auch das VG München, Beschl. v. 20. März 2007 - M 10 S 07.488 -, zitiert aus Juris, Rn. 25).

10

Die dagegen erhobenen Einwände vermögen nicht zu überzeugen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit dieser Regelung auch die Befugnisse und Beschränkungen nach den internationalen Vereinbarungen über konsularische und diplomatische Betätigung in Bezug nehmen wollte und den Ausländern nicht mehr hat zumuten wollen, als die jeweiligen Auslandsvertretungen nach den internationalen Übereinkommen und den Akkreditierungsvereinbarungen veranlassen dürfen. Im Übrigen ist für den vorliegenden Einzelfall auch nicht dargetan, welche Maßnahme die Antragsteller im Rahmen des Außentermins der armenischen Vertretung in Bielefeld befürchten, die nach den genannten Vorschriften in dem Botschaftsgebäude in Deutschland nicht hätte veranlasst werden dürfen."

11

Der Senat sieht indes einen unverhältnismäßigen Eingriff in Rechte der Antragstellerin insoweit als gegeben an, als auch bei einer Abreise der Antragstellerin um 02.00 Uhr am 1. Juni 2010 ihr die Erfüllung ihre bestehenden Mitwirkungspflichten am selben Tag vor der Expertenkommission nach voraussehbar durchwachter Nacht nicht zumutbar ist. Mit Rücksicht auf die Dauer der Anreise verstößt eine solche Verpflichtung, im wesentlichen ohne Nachtschlaf zur Anhörung zu erscheinen, gegen das rechtsstaatliche Gebot der Verhältnismäßigkeit. Denn es wäre ohne weiteres möglich gewesen, eine Anreise am Vortag mit Übernachtungsmöglichkeit einzurichten. Allein die Kurzfristigkeit mit der der Antragsgegner von dem zur Verfügung stehenden Termin vor der Expertenkommission erfahren hat, rechtfertigt nicht die Maßnahme in ihrer hier zugrundeliegenden zeitlichen Ausgestaltung. Ob darüber hinaus es der Antragstellerin zu ermöglichen ist, selbstständig zu einem Termin in Bielefeld zu erscheinen, kann hier dahingestellt bleiben.

12

Die Kostenentscheidung folgt auch § 154 Abs. 2 VwGO.

13

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.

14

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Gründe

I.

1

Die Kläger begehren die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, den Klägern stehe ein solcher Anspruch nicht zu. Die Voraussetzungen des § 104a Abs. 1 S. 1 AufenthG erfüllten sie in Bezug auf die erforderliche Mindestaufenthaltsdauer bis zum 01.07.2007 nicht. Es bestehe auch kein Anspruch nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Soweit sich die Kläger darauf beriefen, dass die Klägerin zu 2 die wegen ihrer HIV-Infektion erforderliche dauerhafte medizinische Behandlung in Togo nicht erlangen könne, handele es sich um ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, das wegen der Bindungswirkung der Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nicht berücksichtigt werden könne. Übergangsschwierigkeiten, die sich daraus ergeben könnten, dass die Klägerin zu 2 nach ihrer Ankunft in Togo zunächst selbst nicht in der Lage sei, etwaige Familienangehörige oder geeignete öffentliche oder karitative Einrichtungen ausfindig zu machen, um das erforderliche Medikament zu erhalten, könnten dadurch Rechnung getragen werden, dass der Beklagte ihr das benötigte Medikament mitgebe. Es liege auch nicht deshalb ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis aus Art. 8 EMRK vor, weil die Klägerin zu 3 und der Kläger zu 4 in Deutschland geboren seien, die deutsche Sprache sprechen und Deutschland als ihre Heimat betrachteten. Bei den Kindern lägen keine besonderen Integrationsleistungen vor, die ein Abschiebungsverbot begründen würden. Die Kläger könnten sich auch nicht darauf berufen, dass sie wegen Passlosigkeit an der Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland gehindert seien, weil sie keine konkreten Maßnahmen ergriffen hätten, um von der togoischen Botschaft Ausreisedokumente zu erhalten. Ihr Hinweis auf die mangelnde Mitwirkung der Botschaft wäre nur dann relevant, wenn sie dort vergeblich vorstellig geworden wären, um Reisdokumente zu erhalten. Derartiges hätten die Kläger nicht dezidiert vorgetragen oder gar nachgewiesen. Es treffe nicht zu, dass die Botschaft von Togo grundsätzlich keine Reisedokumente für togoische Staatsangehörige ausstelle, wie sich bereits aus dem Schriftwechsel des Beklagten mit der Zentralen Abschiebestelle des Landes Sachsen-Anhalt und der Bundespolizei ergebe.

II.

2

A. Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

3

1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Solche Zweifel liegen nur dann vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt worden sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.07.2013 – 1 BvR 3057/11 –, NJW 2013, 3506, RdNr. 36 in juris, m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

4

1.1. Die Kläger rügen, die Kläger zu 3 und 4 seien mittlerweile zehn bzw. acht Jahre alt und in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen. Sie erreichten überdurchschnittliche Leistungen in der Schule, was auch eine überdurchschnittliche Integrationsleistung darstelle. Sie hätten keinerlei Verbindung in ihr Heimatland und sähen die Bundesrepublik Deutschland als ihre Heimat an. Die Kläger zu 1 und 2 lebten 10 Jahre im Bundesgebiet, besäßen ausreichende Sprachkenntnisse und seien in der Gesellschaft integriert. Damit vermögen die Kläger nicht durchzudringen.

5

Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 AufenthG eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Derartige Hindernisse können sich insbesondere aus inlandsbezogenen Abschiebungsverboten ergeben, zu denen u. a. auch diejenigen Verbote zählen, die aus Völkervertragsrecht (etwa aus Art. 8 EMRK) in Bezug auf das Inland herzuleiten sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 – 1 C 14.05 –, BVerwGE 126, 192 [197], RdNr. 17).

6

Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK darf eine Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Im Rahmen dieser Schrankenprüfung ist die sich aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgende Rechtsposition des Ausländers gegen das Recht des Konventionsstaats zur Einwanderungskontrolle im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abzuwägen (vgl. EGMR, Entsch. v. 16.09.2004 – 11103/03 [Ghiban] –, NVwZ 2005, 1046). Allerdings lässt sich nach der ständigen Spruchpraxis des EGMR aus Art. 8 EMRK grundsätzlich kein irgendwie geartetes Recht dahingehend ableiten, ein Ausländer dürfe sich einen Aufenthaltsort in einem Konventionsstaat frei wählen; vielmehr ist den Konventionsstaaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Einwanderung in ihr Hoheitsgebiet zulassen wollen (vgl. die Rechtsprechungsnachweise im Urt. d. VGH BW v. 13.12.2010 – 11 S 2359/10 –, DVBl 2011, 370 [371], RdNr. 26 in juris).

7

Eine Verletzung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt allerdings bei Ausländern in Betracht, die aufgrund ihrer gesamten Entwicklung faktisch zu Inländern geworden sind und denen wegen der Besonderheiten des Falles ein Leben im Staat ihrer Staatsangehörigkeit, zu dem sie keinen Bezug haben, nicht zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.09.1998 – 1 C 8.96 –, InfAuslR 1999, 54; Urt. v. 27.01.2009 – 1 C 40.07 –, BVerwGE 133, 73 [82 ff.], RdNr. 20 ff.; vgl. auch EGMR; Entsch. v. 16.06.2005 – 60654/00 – [Sisojeva] –, InfAuslR 2005, 349).

8

Ob eine solche Fallgestaltung vorliegt, hängt zum einen von der Integration des Ausländers in Deutschland, zum anderen aber auch von seiner Möglichkeit zur (Re-)Integration in seinem Heimatland ab. Das Ausmaß der „Verwurzelung“ bzw. die für den Ausländer mit einer „Entwurzelung" verbundenen Folgen sind unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben sowie der Regelung des Art. 8 EMRK zu ermitteln, zu gewichten und mit den Gründen, die für eine Aufenthaltsbeendigung sprechen, abzuwägen. Von erheblichem Gewicht sind dabei die Dauer des Aufenthalts, wo der Ausländer die Schulzeit verbracht hat und geprägt wurde, sowie der Schulabschluss und die Deutschkenntnisse, die er erworben hat. Was die berufliche Verwurzelung in Deutschland betrifft, ist zu prüfen, ob der Ausländer berufstätig und dadurch in der Lage ist, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie dauerhaft zu sichern, und ob er über längere Zeit öffentliche Sozialleistungen bezogen hat. Ferner ist von Bedeutung, ob der Betreffende eine Berufsausbildung absolviert hat und ihn diese Ausbildung gegebenenfalls für eine Berufstätigkeit qualifiziert, die nur oder bevorzugt in Deutschland ausgeübt werden kann. Bei der sozialen Integration ist das Ausmaß sozialer Bindungen bzw. Kontakte des Ausländers außerhalb der Kernfamilie von Belang. Auch strafrechtliche Verurteilungen sind in die Betrachtung einzustellen. Alle diese Umstände sind im Wege einer Gesamtbewertung zu gewichten (vgl. zum Ganzen auch BVerwG, Urt. v. 27.01.2009, a.a.O., S. 84, RdNr. 24). Für die Frage der Verwurzelung ist die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts von maßgeblichem Gewicht (vgl. BVerwG, Urt. 30.04.2009 – 1 C 3.08 – NVwZ 2009, 1239, RdNr. 20 in juris; Beschl. d. Senats v. 13.09.2010 – 2 M 132/10 –, Juris).

9

Minderjährige teilen allerdings grundsätzlich aufenthaltsrechtlich das Schicksal ihrer Eltern. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass auch ein Minderjähriger, der im Bundesgebiet geboren wurde oder lange dort gelebt hat und vollständig in die Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik integriert ist, dessen Eltern aber wegen ihrer mangelnden Integration kein Aufenthaltsrecht zusteht, auf die von den Eltern nach der Rückkehr im Familienverband zu leistenden Integrationshilfen im Heimatland verwiesen werden kann (BayVGH, Beschl. v. 12.03.2013 – 10 CE 12.2697, 10 C 1210 C 12.2700 – InfAuslR 2013, 281, RdNr. 19; OVG MV, Beschl. v. 16.09.2010 – 2 M 107/10 –, juris, RdNr. 6, m.w.N.). Ausnahmsweise kann etwas anderes gelten, wenn kein Elternteil in der Lage sein wird, diese Hilfen zu erbringen, etwa bei Inhaftierung oder schwerer Erkrankung (vgl. BayVGH, Beschl. v. 12.03.2013 a.a.O.). Eine prinzipiell andere Sichtweise würde dazu führen, dass minderjährige Kinder ihren nicht – oder jedenfalls nicht zulänglich – integrierten Eltern ein Aufenthaltsrecht verschaffen würden, obwohl diesen selbst eine Rückkehr in das Herkunftsland ohne weiteres zumutbar wäre; im Ergebnis würden damit die Eltern das aufenthaltsrechtliche Schicksal ihrer minderjährigen Kinder teilen, was mit den im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK ebenfalls einzustellenden einwanderungspolitischen Interessen des Staates grundsätzlich nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. VGH BW, Urt. v. 13.12.2010, a.a.O., S. 374, RdNr. 54in juris; vgl. auch NdsOVG, Urt. v. 29.01.2009 – 11 LB 136/07 –, juris, RdNr. 75; Beschl. v. 12.03.2013 – 8 LA 13/13 – juris, RdNr. 20). Im Rahmen der gebotenen Gesamtabwägung ist daher nicht nur die Integration von minderjährigen Kindern isoliert in den Blick zu nehmen, sondern es kommt auch der Frage Bedeutung zu, in welchem Umfang ihre Eltern in den bundesdeutschen Lebensverhältnissen verwurzelt sind. Bei dieser familienbezogenen Betrachtung sind auch solche Gesichtspunkte berücksichtigungsfähig, welche (etwa im Hinblick auf die unterbliebene Ausreise aus dem Bundesgebiet, die mangelnde wirtschaftliche oder soziale Integration, die Beachtung der bundesdeutschen Rechtsordnung usw.) auf das Verhalten der Eltern zurückzuführen sind. Darüber hinaus sind bei der beabsichtigten Rückführung minderjähriger Kinder die möglichen Unterstützungsleistungen der Eltern sowie deren Verbindungen im Heimatland in Rechnung zu stellen (NdsOVG, Urt. v. 29.01.2009, a.a.O., m.w.N.).

10

Gemessen daran vermag der Senat bei der gebotenen Gesamtschau nicht festzustellen, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Fall der Kläger den in Art. 8 Abs. 2 EMRK verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzen würde.

11

Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger zu 1 und 2, deren aufenthaltsrechtliches Schicksal die minderjährigen Kläger zu 3 und 4 teilen, in einer Weise im Bundesgebiet verwurzelt sind, dass ihnen eine Ausreise aus dem Bundesgebiet nicht zugemutet werden könnte. Insbesondere reicht es nicht aus, dass sie sich bereits über zehn Jahre im Bundesgebiet aufhalten und (möglicherweise) ausreichende Sprachkenntnisse besitzen. Gegen ihre Verwurzelung spricht entscheidend, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet nicht rechtmäßig (gewesen) ist, sie sich vielmehr nach Ablehnung ihrer Asylanträge nur geduldet im Bundesgebiet aufhalten, so dass sie kein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand ihren Aufenthalts haben entwickeln können. Eine wirtschaftliche Integration ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich.

12

Auch besitzen die Kläger zu 1 und 2 Möglichkeiten zur Reintegration in ihrem Heimatland. Gesichtspunkte sind diesbezüglich vor allem, inwieweit Kenntnisse der dort gesprochenen und geschriebenen Sprache bestehen bzw. erworben werden können, inwieweit der Ausländer mit den dortigen Verhältnissen vertraut ist und inwieweit er dort bei der Wiedereingliederung auf Hilfestellung durch Verwandte und sonstige Dritte rechnen kann, soweit diese erforderlich sein sollte (vgl. Urt. d. Senats v. 15.05.2014 – 2 L 136/12 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; OVG RP, Beschl. v. 24.02.2006 – 7 B 10020/06 –, InfAuslR 2006, 274, RdNr. 6, m.w.N.). Das Maß der Vertrautheit hängt davon ab, in welchem Alter das Heimatland verlassen wurde; hat der Ausländer das Heimatland erst im Erwachsenenalter verlassen und dort einen Schul- oder Hochschulabschluss erworben, spricht dies gegen eine Entwurzelung von den dortigen Lebensverhältnissen (Urt. d. Senats v. 15.05.2014). Für die Reintegrationsfähigkeit der Kläger zu 1 und 2 ist von erheblichem Gewicht, dass sie in ihrem Heimatland ihre ersten 26 bzw. 23 Lebensjahre verbrachten, daher dort geprägt wurden und die Heimatsprache sprechen. Zudem leben nach ihren Angaben im Asylverfahren noch viele Verwandte in Togo.

13

Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger zu 1 und 2 nicht in der Lage sein könnten, den Klägern zu 3 und 4 die erforderliche Hilfe bei der Integration in ihrem Heimatland zu leisten, sind nicht ersichtlich.

14

1.2. Unsubstantiiert bleibt der Vortrag, es würden nochmals die dauerhaften Erkrankungen angeführt. Mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts zu der geltend gemachten HIV-Infektion der Klägerin zu 2 setzt sich die Begründung des Zulassungsantrages nicht auseinander. Dass weitere Erkrankungen vorliegen, die einer Ausreise entgegenstehen könnten, legen die Kläger nicht dar.

15

1.3. Die Kläger machen schließlich geltend, es liege ein tatsächliches Ausreisehindernis vor, weil sie nicht im Besitz von Reisedokumenten seien, obwohl sie sich nachhaltig um die Passbeschaffung bemüht hätten. Es sei gerichtsbekannt, dass die togoischen Behörden, die sich hauptsächlich für die Erstellung von Reisedokumenten verantwortlich zeigten, „keinerlei Mitwirkungshandlungen nachkommen“. Der Hinweis des Gerichts, dass die Zentrale Abschiebestelle des Landes Sachsen-Anhalt und die Bundespolizei anderweitige Erfahrungen hätten, treffe nicht zu. Entscheidend sei die tatsächliche Behandlung, die sie, die Kläger, durch die togoische Botschaft erfahren hätten. Auch diese Einwände sind nicht stichhaltig.

16

Nach § 25 Abs. 5 Satz 4 AufenthG obliegt es dem ausreisepflichtigen Ausländer, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, damit etwaige Ausreisehindernisse überwunden werden (BVerwG, Beschl. v. 10.03.2009 – 1 B 4.09 –, Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 11). Die Mitwirkungshandlungen hat der Ausländer bereits von sich aus ohne besondere Aufforderung durch die Ausländerbehörde zu ergreifen (sog. Initiativpflicht, vgl. Burr, in: GK AufenthG, II - § 25 RdNr. 175, m.w.N.). Nur von vornherein erkennbar aussichtslose Handlungen sowie Mitwirkungshandlungen, die erkennbar ohne Einfluss auf die Möglichkeit der Ausreise sind, dürfen dem Ausländer nicht abverlangt werden (BVerwG, Beschl. v. 10.03.2009, a.a.O.). Sind etwa schon mehrfach Passanträge richtig und vollständig ausgefüllt worden, ohne dass das Heimatland in angemessener Zeit einen Nationalpass ausgestellt hat, wird eine erneute Passbeantragung im Regelfall nicht abverlangt werden können (vgl. Burr, a.a.O., RdNr. 177, m.w.N.). Zwar bestehen auch aufseiten der Ausländerbehörde gewisse Pflichten, um ein Ausreishindernis zu beseitigen; so hat sie den Ausländer auch auf seine konkreten Mitwirkungspflichten und die Folgen der Nichtmitwirkung hinzuweisen und ihm je nach Lage des Falles Möglichkeiten aufzuzeigen, die dem Ausländer nach ihrer Kenntnis zusätzlich zur Verfügung stehen, um das Ausreisehindernis beseitigen zu können (Burr, a.a.O., RdNr. 180, m.w.N.). Andererseits folgt allein daraus, dass der Heimatstaat die Kooperation mit der Ausländerbehörde verweigert, nicht, dass dann der Ausländer selbst untätig bleiben darf (Burr, a.a.O.).

17

Hiernach genügt der Vortrag der Kläger nicht, um die Annahme des Verwaltungsgerichts, ein unverschuldetes Ausreisehindernis liege wegen unterlassener Mitwirkungshandlungen aufseiten der Kläger nicht vor, in Frage zu stellen. Sie legen nicht dar, worin die von ihnen gelten gemachten „nachhaltigen“ Bemühungen um die Beschaffung von Pässen gelegen haben, woraus sich „gerichtsbekannt“ ergeben soll, dass die togoischen Behörden bei der Ausstellung von Reisedokumenten nicht mitwirken, und welche entgegenstehenden Erfahrungen sie insoweit gemacht haben.

18

2. Die Rechtssache weist auch nicht die geltend gemachten besonderen Schwierigkeiten rechtlicher und tatsächlicher Art auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

19

Besondere Schwierigkeiten liegen nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 13.02.2014 – 2 L 4/13 –, juris, RdNr. 50) vor bei erheblich über dem Durchschnitt liegender Komplexität der Rechtssache, im Tatsächlichen besonders bei wirtschaftlichen, technischen und wissenschaftlichen Zusammenhängen, wenn der Sachverhalt schwierig zu überschauen oder zu ermitteln ist, im Rechtlichen bei neuartigen oder ausgefallenen Rechtsfragen.

20

Mit dem Vortrag, das Urteil sei ohne Erläuterung der tatsächlichen Lebensumstände der Kläger bzw. ohne ihre Anhörung ergangen, sind diese Voraussetzungen nicht dargelegt. Im Übrigen haben die Kläger auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der sie ihre Lebensumstände hätten darlegen können, verzichtet.

21

3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

22

Dieser Zulassungsgrund verlangt, dass eine konkrete, aber generalisierbare, aus Anlass dieses Verfahrens zu beantwortende, in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinausreichende Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen wird, die um der Einheitlichkeit der Rechtsprechung willen der Klärung bedarf und noch nicht (hinreichend) geklärt worden ist. Die Frage muss für eine Vielzahl, jedenfalls Mehrzahl von Verfahren bedeutsam sein; jedoch reicht allein der Umstand nicht aus, dass der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse sein könnte oder sich vergleichbare Fragen in einer unbestimmten Vielzahl ähnlicher Verfahren stellen (vgl. Beschl. d. Senats v. 23.04.2010 – 2 L 148/09 –, Juris). Die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass der Rechtsmittelführer konkret auf die Rechts- oder Tatsachenfrage, ihre Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit sowie ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.06.2006 – 5 B 99.05 –, Juris, m. w. Nachw.).

23

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Mit dem Vortrag der Kläger, es sei klärungsbedürftig, ob „in derartig gelagerten Fällen das Gericht aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes weitere Vorträge hinsichtlich der Lebensumstände hätte anfordern müssen“, ist keine über den Einzelfall hinausreichende Rechts- oder Tatsachenfrage aufgeworfen. Inwieweit die Lebensumstände des Ausländers entscheidungserheblich und daher weiter aufzuklären sind, betrifft vielmehr den konkreten Einzelfall.

24

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

25

C. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 2, 39 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung vom Juli 2004 (NVwZ 2004, 1327 ff.).


(1) Einem Ausländer, der geduldet oder Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c ist, soll abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Ausländer

1.
sich seit mindestens sechs Jahren oder, falls er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens vier Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt,
3.
seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichert oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Absatz 3 sichern wird, wobei der Bezug von Wohngeld unschädlich ist,
4.
über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt und
5.
bei Kindern im schulpflichtigen Alter deren tatsächlichen Schulbesuch nachweist.
Ein vorübergehender Bezug von Sozialleistungen ist für die Lebensunterhaltssicherung in der Regel unschädlich bei
1.
Studierenden an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule sowie Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen oder in staatlich geförderten Berufsvorbereitungsmaßnahmen,
2.
Familien mit minderjährigen Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind,
3.
Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, denen eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Absatz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht zumutbar ist oder
4.
Ausländern, die pflegebedürftige nahe Angehörige pflegen.

(2) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 ist zu versagen, wenn

1.
der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit oder Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert oder
2.
ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 oder Absatz 2 Nummer 1 und 2 besteht.

(3) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 3 und 4 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann.

(4) Dem Ehegatten, dem Lebenspartner und minderjährigen ledigen Kindern, die mit einem Begünstigten nach Absatz 1 in familiärer Lebensgemeinschaft leben, soll unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 2 bis 5 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Absätze 2, 3 und 5 finden Anwendung. § 31 gilt entsprechend.

(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird abweichend von § 26 Absatz 1 Satz 1 längstens für zwei Jahre erteilt und verlängert. Sie kann abweichend von § 10 Absatz 3 Satz 2 erteilt werden. § 25a bleibt unberührt.

(6) Einem Ausländer, seinem Ehegatten oder seinem Lebenspartner und in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden minderjährigen ledigen Kindern, die seit 30 Monaten im Besitz einer Duldung nach § 60d sind, soll eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 abweichend von der in Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 genannten Frist erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach § 60d erfüllt sind und der Ausländer über hinreichende mündliche deutsche Sprachkenntnisse verfügt; bestand die Möglichkeit des Besuchs eines Integrationskurses, setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zudem voraus, dass der Ausländer, sein Ehegatte oder sein Lebenspartner über hinreichende schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(7) Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c, sind für die Anwendung des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 1 auch die in § 60b Absatz 5 Satz 1 genannten Zeiten anzurechnen.

(8) Einem Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c soll eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 Nummer 1a erfüllt sind. Hat der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen, kann sie abweichend von Satz 1 erteilt werden.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 31. Juli 2007 - 6 K 1459/07 - geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Abschiebung des Antragstellers vorläufig, längstens aber bis zum Ablauf der gesetzlichen Mutterschutzfrist nach der Niederkunft der deutschen Staatsangehörigen ... ..., auszusetzen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene und den inhaltlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO entsprechend begründete Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 31. Juli 2007 hat Erfolg.
Jedenfalls unter Zugrundelegung der rechtzeitig innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist beim Senat eingegangenen und daher berücksichtigungsfähigen (vgl. § 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO) weiteren ärztlichen Stellungnahme vom 14.08.2007 gebieten gegenwärtig dringende persönliche Gründe des Antragstellers, ihm den erstrebten vorläufigen Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Anordnung zu gewähren.
Ein Anordnungsgrund liegt vor. Der Antragsgegner hat bereits am 07.08.2007 versucht, den Antragsteller nach Indien abzuschieben. Aus den Schriftsätzen des Antragsgegners vom 10. und 11. 09.2007 ergibt sich, dass dieser an seiner Abschiebungsabsicht festhält.
Der Antragsteller hat im Beschwerdeverfahren auch einen Anordnungsanspruch hinreichend glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller beruft sich sinngemäß und zusammengefasst darauf, dass seine Verlobte, die deutsche Staatsangehörige ... ..., schwanger sei und nach dem errechneten Geburtstermin im November 2007 ein gemeinsames Kind zur Welt bringen werde. Mit seiner Verlobten lebe er de facto bereits seit über einem Jahr in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. Die Vaterschaft für das zu erwartende Kind habe er anerkannt und mit seiner Verlobten gegenüber dem Jugendamt eine Erklärung über die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge nach § 1626a BGB abgegeben. Eine „vaterlose Geburt“ sei nicht hinnehmbar; dem werdenden Vater eines deutschen Kindes stehe Abschiebungsschutz nach Art. 6 GG zur Seite. Jedenfalls sei bei einer Abschiebung mit einem erheblichen Schaden für die Kindesmutter und das ungeborene Kind zu rechnen.
Bereits im verwaltungsgerichtlichen Verfahren hatte der Antragsteller zur Glaubhaftmachung seines Anordnungsanspruchs ein ärztliches Attest des Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dr. ... ... vom 11.07.2007 vorgelegt. Zur - weiteren - Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren ein ärztliches Attest des Dr. ... vom 14.08.2007 vorgelegt, in dem es u.a. heißt:
„Die psychische Situation bei Frau ... hat sich mittlerweile in dem Maße zugespitzt, dass bei einer Abschiebung durch die massiven Aufregungen und Belastungen mit einem erheblichen Schaden für die Kindsmutter und das ungeborene Kind zu rechnen ist.“
Der Senat kann offen lassen, ob und unter welchen Umständen die nichteheliche Vaterschaft eines Ausländers hinsichtlich des ungeborenen Kindes einer deutschen Staatsangehörigen einen Umstand darstellt, der unter den Gesichtspunkten des Schutzes der Familie nach Art. 6 Abs. 1 und 2 GG und der Pflicht des Staates, sich gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützend und fördernd vor den nasciturus zu stellen, aufenthaltsrechtliche Vorwirkungen entfaltet. Das Verwaltungsgericht hat in dem angefochtenen Beschluss die dazu ergangene - divergierende - Rechtsprechung im Einzelnen dargestellt.
Nach Auffassung des Senats hat der Antragsteller jedenfalls einen mit einer einstweiligen Anordnung zu sichernden Anspruch auf vorübergehende Duldung gemäß dem am 28.08.2007 - innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist - in Kraft getretenen § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG (vgl. Art. 1 Nr. 49, 10 des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, BGBl. I 2007, 1970 ff. - AuslRÄndG 2007 -) hinreichend glaubhaft gemacht. Auf die Neuregelung hat der Senat den Antragsgegner vor seiner Entscheidung hingewiesen.
10 
Gemäß § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, der der früheren Bestimmung des § 55 Abs. 3 AuslG entspricht, kann einem Ausländer eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Ziel des neuen Satzes 3 in Absatz 2 ist es, vollziehbar ausreisepflichtigen Personen im Ermessenswege einen vorübergehenden Aufenthalt zu ermöglichen, wenn der vorübergehende Aufenthalt zwar aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen oder erheblichen öffentlichen Interessen erforderlich ist, sich der Aufenthaltszweck jedoch nicht zu einem rechtlichen Abschiebungshindernis nach Satz 1 verdichtet hat und tatsächliche Abschiebungshindernisse nicht vorliegen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 23.04.2007, BT-Drs. 16/5065). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist daher nicht erforderlich, dass sich die Durchsetzung der Ausreisepflicht als „unmenschlich“ erweisen würde; für diesen Fall ergäbe sich ein zwingender Duldungsanspruch bereits aus § 60 a Abs. 2 S. 1 AufenthG i.V.m. Art. 1 GG.
11 
Nach Auffassung des Senats hat der Antragsteller im Beschwerdeverfahren u.a. durch Vorlage des ärztlichen Attestes vom 14.08.2007 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG, nämlich die Erforderlichkeit einer vorübergehenden Anwesenheit aus dringenden persönlichen Gründen, hinreichend glaubhaft gemacht; angesichts der in dem ärztlichen Attest unzweideutig angesprochenen Gefahren für Mutter und Kind ist derzeit auch davon auszugehen, dass das dem Antragsgegner bei der Erteilung einer Duldung zustehende Ermessen auf Null reduziert ist.
12 
Anders als der Antragsgegner vermag der Senat in dem vom behandelnden Arzt der Frau ... ausgestellten ärztlichen Attest vom 14.08.2007 nicht nur eine - unbeachtliche - Gefälligkeitsbescheinigung zu sehen. Der Senat verkennt dabei nicht, dass dieses Attest im Vergleich zu den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten Attest vom 11.07.2007 im Hinblick auf die Notwendigkeit des Beistandes des Antragstellers während der Schwangerschaft und Entbindung schärfer gefasst ist. Dies allein reicht jedoch nicht aus, die ärztlichen Feststellungen grundsätzlich für unglaubhaft zu erachten. Der behandelnde Arzt hatte bereits in seinem Attest vom 11.07.2007 ausgeführt, dass Frau ... außer dem Antragsteller niemanden zu ihrer Unterstützung habe. Die Situation sei für sie sehr problematisch. Der Blutdruck sei grenzwertig bis pathologisch erhöht. Sie leide unter rezidivierenden Bauchschmerzen. Im April 2007 habe eine Appendektomie durchgeführt werden müssen. Schon aus diesem Attest ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für eine problematische Schwangerschaft der Verlobten des Antragstellers. Wenn nunmehr bei fortschreitender Schwangerschaft eine weitere Zuspitzung der Situation und eine erhebliche Gefahr für Mutter und Kind attestiert wird, könnte der Senat dem nur bei eindeutigen - hier nicht vorliegenden - Hinweisen auf eine inhaltlich falsche ärztliche Bescheinigung keine Beachtung schenken. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass der Antragsgegner mit der Abschiebung nicht zuwarten will und eine vom Antragsteller angebotene sowie vom Senat vorgeschlagene amtsärztliche Untersuchung der Kindesmutter abgelehnt hat.
13 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
14 
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs.1 und 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG.
15 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Einem Ausländer, der geduldet oder Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c ist, soll abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Ausländer

1.
sich seit mindestens sechs Jahren oder, falls er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens vier Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt,
3.
seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichert oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Absatz 3 sichern wird, wobei der Bezug von Wohngeld unschädlich ist,
4.
über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt und
5.
bei Kindern im schulpflichtigen Alter deren tatsächlichen Schulbesuch nachweist.
Ein vorübergehender Bezug von Sozialleistungen ist für die Lebensunterhaltssicherung in der Regel unschädlich bei
1.
Studierenden an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule sowie Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen oder in staatlich geförderten Berufsvorbereitungsmaßnahmen,
2.
Familien mit minderjährigen Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind,
3.
Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, denen eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Absatz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht zumutbar ist oder
4.
Ausländern, die pflegebedürftige nahe Angehörige pflegen.

(2) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 ist zu versagen, wenn

1.
der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit oder Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert oder
2.
ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 oder Absatz 2 Nummer 1 und 2 besteht.

(3) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 3 und 4 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann.

(4) Dem Ehegatten, dem Lebenspartner und minderjährigen ledigen Kindern, die mit einem Begünstigten nach Absatz 1 in familiärer Lebensgemeinschaft leben, soll unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 2 bis 5 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Absätze 2, 3 und 5 finden Anwendung. § 31 gilt entsprechend.

(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird abweichend von § 26 Absatz 1 Satz 1 längstens für zwei Jahre erteilt und verlängert. Sie kann abweichend von § 10 Absatz 3 Satz 2 erteilt werden. § 25a bleibt unberührt.

(6) Einem Ausländer, seinem Ehegatten oder seinem Lebenspartner und in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden minderjährigen ledigen Kindern, die seit 30 Monaten im Besitz einer Duldung nach § 60d sind, soll eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 abweichend von der in Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 genannten Frist erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach § 60d erfüllt sind und der Ausländer über hinreichende mündliche deutsche Sprachkenntnisse verfügt; bestand die Möglichkeit des Besuchs eines Integrationskurses, setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zudem voraus, dass der Ausländer, sein Ehegatte oder sein Lebenspartner über hinreichende schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(7) Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c, sind für die Anwendung des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 1 auch die in § 60b Absatz 5 Satz 1 genannten Zeiten anzurechnen.

(8) Einem Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c soll eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 Nummer 1a erfüllt sind. Hat der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen, kann sie abweichend von Satz 1 erteilt werden.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Ein Ausländer ist verpflichtet,

1.
seinen Pass, seinen Passersatz oder seinen Ausweisersatz und
2.
seinen Aufenthaltstitel oder eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung
auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, soweit dies zur Durchführung oder Sicherung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist. Ein deutscher Staatsangehöriger, der zugleich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, ist verpflichtet, seinen ausländischen Pass oder Passersatz auf Verlangen den mit dem Vollzug des Ausländerrechts betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und vorübergehend zu überlassen, wenn
1.
ihm nach § 7 Absatz 1 des Passgesetzes der deutsche Pass versagt, nach § 8 des Passgesetzes der deutsche Pass entzogen worden ist oder gegen ihn eine Anordnung nach § 6 Absatz 7 des Personalausweisgesetzes ergangen ist, wenn Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer beabsichtigt, das Bundesgebiet zu verlassen oder
2.
die Voraussetzungen für eine Untersagung der Ausreise nach § 10 Absatz 1 des Passgesetzes vorliegen und die Vorlage, Aushändigung und vorübergehende Überlassung des ausländischen Passes oder Passersatzes zur Durchführung oder Sicherung des Ausreiseverbots erforderlich sind.

(2) Ein Ausländer, der einen Pass oder Passersatz weder besitzt noch in zumutbarer Weise erlangen kann, genügt der Ausweispflicht mit der Bescheinigung über einen Aufenthaltstitel oder die Aussetzung der Abschiebung, wenn sie mit den Angaben zur Person und einem Lichtbild versehen und als Ausweisersatz bezeichnet ist.

(3) Besitzt der Ausländer keinen gültigen Pass oder Passersatz, ist er verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken sowie alle Urkunden, sonstigen Unterlagen und Datenträger, die für die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat von Bedeutung sein können und in deren Besitz er ist, den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden auf Verlangen vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen. Kommt der Ausländer seiner Verpflichtung nicht nach und bestehen tatsächliche Anhaltspunkte, dass er im Besitz solcher Unterlagen oder Datenträger ist, können er und die von ihm mitgeführten Sachen durchsucht werden. Der Ausländer hat die Maßnahme zu dulden.

(3a) Die Auswertung von Datenträgern ist nur zulässig, soweit dies für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers und für die Feststellung und Geltendmachung einer Rückführungsmöglichkeit in einen anderen Staat nach Maßgabe von Absatz 3 erforderlich ist und der Zweck der Maßnahme nicht durch mildere Mittel erreicht werden kann. Liegen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme vor, dass durch die Auswertung von Datenträgern allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden, ist die Maßnahme unzulässig. Der Ausländer hat die notwendigen Zugangsdaten für eine zulässige Auswertung von Datenträgern zur Verfügung zu stellen. Die Datenträger dürfen nur von einem Bediensteten ausgewertet werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung, die durch die Auswertung von Datenträgern erlangt werden, dürfen nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache ihrer Erlangung und Löschung ist aktenkundig zu machen.

(4) Wird nach § 5 Abs. 3 oder § 33 von der Erfüllung der Passpflicht (§ 3 Abs. 1) abgesehen, wird ein Ausweisersatz ausgestellt. Absatz 3 bleibt hiervon unberührt.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

(1) Einem Ausländer, der geduldet oder Inhaber einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c ist, soll abweichend von § 5 Absatz 1 Nummer 1 und Absatz 2 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn er sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Dies setzt regelmäßig voraus, dass der Ausländer

1.
sich seit mindestens sechs Jahren oder, falls er zusammen mit einem minderjährigen ledigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, seit mindestens vier Jahren ununterbrochen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltserlaubnis im Bundesgebiet aufgehalten hat,
2.
sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet verfügt,
3.
seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichert oder bei der Betrachtung der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt im Sinne von § 2 Absatz 3 sichern wird, wobei der Bezug von Wohngeld unschädlich ist,
4.
über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse im Sinne des Niveaus A2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt und
5.
bei Kindern im schulpflichtigen Alter deren tatsächlichen Schulbesuch nachweist.
Ein vorübergehender Bezug von Sozialleistungen ist für die Lebensunterhaltssicherung in der Regel unschädlich bei
1.
Studierenden an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule sowie Auszubildenden in anerkannten Lehrberufen oder in staatlich geförderten Berufsvorbereitungsmaßnahmen,
2.
Familien mit minderjährigen Kindern, die vorübergehend auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind,
3.
Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern, denen eine Arbeitsaufnahme nach § 10 Absatz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch nicht zumutbar ist oder
4.
Ausländern, die pflegebedürftige nahe Angehörige pflegen.

(2) Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 ist zu versagen, wenn

1.
der Ausländer die Aufenthaltsbeendigung durch vorsätzlich falsche Angaben, durch Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit oder Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert oder
2.
ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 oder Absatz 2 Nummer 1 und 2 besteht.

(3) Von den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 3 und 4 wird abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung oder aus Altersgründen nicht erfüllen kann.

(4) Dem Ehegatten, dem Lebenspartner und minderjährigen ledigen Kindern, die mit einem Begünstigten nach Absatz 1 in familiärer Lebensgemeinschaft leben, soll unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 2 bis 5 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Absätze 2, 3 und 5 finden Anwendung. § 31 gilt entsprechend.

(5) Die Aufenthaltserlaubnis wird abweichend von § 26 Absatz 1 Satz 1 längstens für zwei Jahre erteilt und verlängert. Sie kann abweichend von § 10 Absatz 3 Satz 2 erteilt werden. § 25a bleibt unberührt.

(6) Einem Ausländer, seinem Ehegatten oder seinem Lebenspartner und in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden minderjährigen ledigen Kindern, die seit 30 Monaten im Besitz einer Duldung nach § 60d sind, soll eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 abweichend von der in Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 genannten Frist erteilt werden, wenn die Voraussetzungen nach § 60d erfüllt sind und der Ausländer über hinreichende mündliche deutsche Sprachkenntnisse verfügt; bestand die Möglichkeit des Besuchs eines Integrationskurses, setzt die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zudem voraus, dass der Ausländer, sein Ehegatte oder sein Lebenspartner über hinreichende schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt.

(7) Besitzt der Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis nach § 104c, sind für die Anwendung des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 1 auch die in § 60b Absatz 5 Satz 1 genannten Zeiten anzurechnen.

(8) Einem Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 104c soll eine Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 nur erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des § 5 Absatz 1 Nummer 1a erfüllt sind. Hat der Ausländer die erforderlichen und ihm zumutbaren Maßnahmen für die Identitätsklärung ergriffen, kann sie abweichend von Satz 1 erteilt werden.

(1) Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für längstens drei Monate ausgesetzt wird. Für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten gilt § 23 Abs. 1.

(2) Die Abschiebung eines Ausländers ist auszusetzen, solange die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist und keine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Die Abschiebung eines Ausländers ist auch auszusetzen, wenn seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet für ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens von der Staatsanwaltschaft oder dem Strafgericht für sachgerecht erachtet wird, weil ohne seine Angaben die Erforschung des Sachverhalts erschwert wäre. Einem Ausländer kann eine Duldung erteilt werden, wenn dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende weitere Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Soweit die Beurkundung der Anerkennung einer Vaterschaft oder der Zustimmung der Mutter für die Durchführung eines Verfahrens nach § 85a ausgesetzt wird, wird die Abschiebung des ausländischen Anerkennenden, der ausländischen Mutter oder des ausländischen Kindes ausgesetzt, solange das Verfahren nach § 85a nicht durch vollziehbare Entscheidung abgeschlossen ist.

(2a) Die Abschiebung eines Ausländers wird für eine Woche ausgesetzt, wenn seine Zurückschiebung oder Abschiebung gescheitert ist, Abschiebungshaft nicht angeordnet wird und die Bundesrepublik Deutschland auf Grund einer Rechtsvorschrift, insbesondere des Artikels 6 Abs. 1 der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. EU Nr. L 321 S. 26), zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist. Die Aussetzung darf nicht nach Satz 1 verlängert werden. Die Einreise des Ausländers ist zuzulassen.

(2b) Solange ein Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a Absatz 1 besitzt, minderjährig ist, soll die Abschiebung seiner Eltern oder eines allein personensorgeberechtigten Elternteils sowie der minderjährigen Kinder, die mit den Eltern oder dem allein personensorgeberechtigten Elternteil in familiärer Lebensgemeinschaft leben, ausgesetzt werden.

(2c) Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.

(2d) Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.

(3) Die Ausreisepflicht eines Ausländers, dessen Abschiebung ausgesetzt ist, bleibt unberührt.

(4) Über die Aussetzung der Abschiebung ist dem Ausländer eine Bescheinigung auszustellen.

(5) Die Aussetzung der Abschiebung erlischt mit der Ausreise des Ausländers. Sie wird widerrufen, wenn die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe entfallen. Der Ausländer wird unverzüglich nach dem Erlöschen ohne erneute Androhung und Fristsetzung abgeschoben, es sei denn, die Aussetzung wird erneuert. Ist die Abschiebung länger als ein Jahr ausgesetzt, ist die durch Widerruf vorgesehene Abschiebung mindestens einen Monat vorher anzukündigen; die Ankündigung ist zu wiederholen, wenn die Aussetzung für mehr als ein Jahr erneuert wurde. Satz 4 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer die der Abschiebung entgegenstehenden Gründe durch vorsätzlich falsche Angaben oder durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit selbst herbeiführt oder zumutbare Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen nicht erfüllt.

(6) Einem Ausländer, der eine Duldung besitzt, darf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nicht erlaubt werden, wenn

1.
er sich in das Inland begeben hat, um Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen,
2.
aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ihm aus Gründen, die er selbst zu vertreten hat, nicht vollzogen werden können oder
3.
er Staatsangehöriger eines sicheren Herkunftsstaates nach § 29a des Asylgesetzes ist und sein nach dem 31. August 2015 gestellter Asylantrag abgelehnt oder zurückgenommen wurde, es sei denn, die Rücknahme erfolgte auf Grund einer Beratung nach § 24 Absatz 1 des Asylgesetzes beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, oder ein Asylantrag nicht gestellt wurde.
Zu vertreten hat ein Ausländer die Gründe nach Satz 1 Nummer 2 insbesondere, wenn er das Abschiebungshindernis durch eigene Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch eigene falsche Angaben selbst herbeiführt. Satz 1 Nummer 3 gilt bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern nicht für die Rücknahme des Asylantrags oder den Verzicht auf die Antragstellung, wenn die Rücknahme oder der Verzicht auf das Stellen eines Asylantrags im Interesse des Kindeswohls erfolgte. Abweichend von den Sätzen 1 bis 3 ist einem Ausländer, der als Asylberechtigter anerkannt ist, der im Bundesgebiet die Rechtsstellung eines ausländischen Flüchtlings oder eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, die Erwerbstätigkeit erlaubt.

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. April 2010 – 6 K 521/10 - geändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 15.03.2010 wird auch insoweit abgelehnt, als sie das westliche Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten betrifft.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaften – weitgehend inhalts- und wortgleichen - Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen sind zulässig (§§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO), insbesondere entsprechen sie (noch) den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Auch fehlt ihnen nicht deshalb das erforderliche Rechtsschutzinteresse, weil dem Beigeladenen unter dem 21.09.2010 eine Baugenehmigung für ein (geringfügig) verändertes Bauvorhaben erteilt wurde, mit dem im westlichen Wohnhaus nurmehr vier Wohneinheiten und eine Gewerbeeinheit vorgesehen sind. Denn auch insoweit hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und gegen den ihn versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11.10.2010 – 6 K 1778/10 – Beschwerde eingelegt (5 S 2025/10). Dass der Beigeladene ungeachtet dessen von der Verwirklichung seines ursprünglichen Bauvorhabens endgültig Abstand genommen hätte, ist nicht ersichtlich.
Die Beschwerden haben auch Erfolg.
Zwar rechtfertigten es die von den Beschwerdeführern innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe als solche noch nicht, die vom Verwaltungsgericht zu ihrem Nachteil getroffene Abwägungsentscheidung zu ändern (1). Jedoch geben die von den Beschwerdeführern nach Fristablauf dargelegten weiteren Gründe ungeachtet dessen, dass nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich nur die - innerhalb der Frist - dargelegten Gründe zu prüfen sind, Anlass, jene zu ändern und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 15.03.2010 auch insoweit abzulehnen, als sie das westliche Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten betrifft (2).
1. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, die Antragstellerin sei mit ihrer Einwendung nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO ausgeschlossen, das Bauvorhaben verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil eine heranrückende Wohnbebauung den weiteren Betrieb der auf ihrem Grundstück genehmigten Schreinerwerkstatt gefährde, geht dies fehl. Zwar brachte die Antragstellerin diesen Einwand im Rahmen der Angrenzerbenachrichtigung nicht ausdrücklich am 15.02.2010 zur Niederschrift beim Bürgermeisteramt Bodman-Ludwigshafen vor, jedoch verwies sie „im Übrigen“ auf ihre bereits im Rahmen der - die vorausgegangene Bauvoranfrage betreffenden - Angrenzerbenachrichtigung erhobenen Einwendungen, die auch gegen den nunmehr eingereichten Bauantrag „im selben Wortlaut übernommen werden sollten“. In der entsprechenden Niederschrift vom 06.08.2009 hatte sie indes ausdrücklich auf den „Bestandsschutz der Werkstatt“ und ihrer Immissionen, insbesondere auch darauf hingewiesen, dass die Höhe des Schornsteins im Bereich der Fensteröffnungen des geplanten Wohngebäudes zu liegen käme, sodass bei Westwind CO 2 unmittelbar in die nur ca. 6 m entfernte Lochfassade des geplanten westlichen Wohnhauses gelangte. Damit ist auch der möglicherweise auf einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führende (auf dasselbe Vorhaben bezogene) Einwand (jedenfalls) noch als fristgerecht erhoben anzusehen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass durch den Hinweis auf Vorbringen in einem anderen Verfahren und gegenüber einem anderen Vorhaben bzw. in einem Vorstadium des eigentlichen Verfahrens dieses noch nicht Inhalt des Einwendungsschreibens wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.08.1997 – 11 A 18.96 -, Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 24; Urt. v. 29.08.1986 – 7 C 52.84 -, Buchholz 406.25 § 10 BImSchG Nr. 2; Beschl. v. 11.12.1981 – 7 B 22.81 -, Buchholz 451.171 AtG Nr. 10). Denn die vollständig in Bezug genommenen Einwendungen wurden gerade im Rahmen der Angrenzerbenachrichtigung über die vorausgegangene Bauvoranfrage für dasselbe Vorhaben erhoben. Die entsprechenden Verwaltungsakten waren entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer schon deshalb beizuziehen, weil der Regelungsgehalt des bereits erteilten, wenn auch noch nicht bestandskräftigen Bauvorbescheids maßgeblich dafür ist, inwieweit die Antragsgegnerin gegenüber dem Beigeladenen gebunden war, dort vorab getroffene Feststellungen in die Baugenehmigung zu übernehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.03.1989 – 4 C 14.85 –, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 88). Abgesehen davon übersehen die Beschwerdeführer, dass die von ihnen geltend gemachte Präklusionswirkung voraussetzt, dass auf diese Rechtsfolge in der Angrenzerbenachrichtigung hingewiesen wurde (vgl. § 55 Abs. 3 Satz LBO; Sauter, Komm. Z. LBO, 3. A. 29. Lfg. 2007, § 55 Rn. 28 f.). Dass dies der Fall gewesen wäre, lässt sich indes den einschlägigen Baugenehmigungsakten nicht entnehmen. In diesen findet sich lediglich ein Zustellungsnachweis ( /29 ), nicht jedoch ein dem Bauantrag beigefügtes Begleitschreiben der Gemeinde mit einem entsprechenden Hinweis.
Soweit die Beschwerdeführer weiter rügen, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der „offensichtlichen Problematik“ auseinandergesetzt, ob es sich bei der in Rede stehenden Schreinerei nicht um einen „atypischen, von dem branchenüblichen Erscheinungsbild abweichenden Gewerbebetrieb“ handelte, lassen ihre weiteren Ausführungen schon nicht erkennen, inwiefern ein solcher vorläge. Für die Frage, ob ein Gewerbebetrieb das Wohnen (auch in einem Mischgebiet) nicht wesentlich störte (vgl. § 6 Abs. 1 u. 2 Nr. 4 BauNVO), ist eine Vorausschau erforderlich, die nicht nur die aktuellen Störwirkungen eines Betriebs für seine Umgebung, sondern auch die Beeinträchtigungen einbezieht, die künftig auch bei funktionsgerechter Nutzung der Anlage eines entsprechenden Betriebs nicht auszuschließen sind. Nur durch eine solche – begrenzte – typisierende Betrachtungsweise lassen sich Konflikte vermeiden oder doch bewältigen, die in dem Nebeneinander von Gewerbe- und Wohnnutzung angelegt sind. Anders verhält es sich dann, wenn der jeweilige Betrieb in der Weise atypisch ist, dass er nach seiner Art und Betriebsweise v o n v o r n h e r e i n keine Störungen befürchten lässt und damit seine Gebietsverträglichkeit d a u e r h a f t und z u v e r l ä s s i g sichergestellt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1992 – 7 C 7.92 -, Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22; Urt. v. 07.05.1971 - IV C 76.68 -, Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 7). Holzverarbeitende Betriebe mit maschineller Ausrüstung wie Kreissägen und Hobelmaschinen, wie sie auch hier eingesetzt werden (vgl. bereits die Baubeschreibung v. Juni 1956 und nunmehr auch die gutachtliche Stellungnahme v. 16.06.2010, S. 5), sind danach (auch) in einem Mischgebiet im Regelfall unzulässig (vgl. BayVGH, Urt. v. 22.07.2004 - 26 B 04.931 - m.w.N.; OVG Saarland, Urt. v. 30.11.1999 - 2 R 2/99 -; BVerwG, Urt. v. 07.05.1971, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.10.1993 - 8 S 2693/92 -, BWGZ 1994, 87). Dafür, dass die in Rede stehende Schreinerwerkstatt aufgrund der gebotenen eingeschränkten typisierenden Betrachtungsweise (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1992, a.a.O.) auch in einem Mischgebiet zulässig wäre, spricht wenig. Allein daraus, dass seitens der Nachbarschaft - soweit ersichtlich - bisher keine unzumutbaren Immissionswirkungen geltend gemacht wurden und sich an der bisherigen Betriebsweise in absehbarer Zeit nichts zum Nachteil der umliegenden Wohnbebauung ändern dürfte, folgt dies nicht. Auch der Umstand, dass es sich inzwischen um einen „Ein-Mann-Betrieb“ handeln mag (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 22.07.2004, a.a.O.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. A. 2008, § 6 Rn. 23.3), die Maschinen über mehrere Wochen in Folge nicht benutzt werden und die Montagearbeiten typischerweise erst vor Ort erfolgen mögen, vermag noch auf keine Atypik zu führen (vgl. OVG Saarland, Urt. v. BayVGH, Urt. v. 22.07.2004, a.a.O., Rn. 29); denn es ist keineswegs gewiss, dass es dabei bleiben wird. Soweit die Beschwerdeführer eine „Atypik“ damit zu begründen versuchen, dass die Schreinerei in einem Gebäude betrieben werde, dessen Standsicherheit (angeblich) „größten Bedenken“ begegne bzw. das „nahezu abbruchreif“ sei bzw. „gravierende bauliche Mängel“ aufweise, was freilich nicht näher belegt wird, und das nicht über die im Falle einer Beschäftigung von Angestellten notwendigen sanitären Anlagen verfüge, geht dies fehl. All dies mag Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten geben, führte aber ersichtlich noch nicht zur Unwirksamkeit der Baugenehmigung und zum Erlöschen des Bestandsschutzes oder dazu, dass die Schreinerwerkstatt nicht auch mit Angestellten betrieben werden dürfte. Nachdem im Hinblick auf die Größe des Bauvorhabens seinerzeit mit der Beschäftigung fremder Arbeitskräfte gerechnet worden war, war der baupolizeilichen Genehmigung auch eigens die vom Gewerbeaufsichtsamt mitgeteilte Auflage (Nr. 11) beigefügt worden, noch eine „Abortanlage mit Waschgelegenheit“ einzubauen.
Im Übrigen kommt es auf eine „Atypik“ nicht entscheidend an, da es nicht um die Genehmigungsfähigkeit der bereits am 30.07.1956 bzw. am 05.03.1964 baupolizeilich genehmigten Schreinerwerkstatt, sondern um diejenige des an sie heranrückenden Wohnbauvorhabens geht. Im Rahmen des im Erfordernis des Einfügens i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB verankerten Rücksichtnahme-gebots ist vielmehr maßgeblich, was dem zur Rücksichtnahme Begünstigten einerseits und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.01.2003 - 4 C 19.90 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155). Insofern ist für die Schutzwürdigkeit der Bestandsschutz genießenden Schreinerwerkstatt zwar durchaus von Bedeutung, wie diese in den letzten Jahren tatsächlich betrieben wurde. Jedoch lassen die von den Beschwerdeführern fristgerecht vorgetragenen Gründe noch nicht erkennen, dass deren Betreiber jedenfalls nicht zu befürchten hätte, bei einer Verwirklichung des Bauvorhabens des Beigeladenen aus Gründen des Immissionsschutzes mit zusätzlichen, nicht nur unerheblichen Anforderungen an den genehmigten Betrieb überzogen zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.03.1984 – 4 B 171.73 -, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 98; Beschl. v. 25.11.1985 – 4 B 202.85 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 67; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.1991 – 3 S 2087/91 -, BauR 1992, 45). Denn wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hatte die Antragsgegnerin vor Erteilung der angefochtenen Genehmigung keine entsprechenden Feststellungen getroffen, obwohl hierzu nicht zuletzt aufgrund des Schreibens der Handwerkskammer K. vom 18.02.2010 hinreichend Anlass bestand; darauf, ob diese „Einwendungen“ erhoben hatte, kam es insofern nicht an. Inwiefern die Antragsgegnerin aufgrund der „tatsächlichen Gegebenheiten“ gleichwohl zu dem Ergebnis hätte kommen dürfen, dass kein Nutzungskonflikt entstünde, erschließt sich aus den Akten nicht. Fehl geht der Hinweis, dass die Schreinerei seit Jahrzehnten von Wohnbebauung „umzingelt“ sei, ohne dass es je zu Nutzungskonflikten gekommen sei. Denn schon aufgrund der nunmehr geringeren Abstände zu den im Maschinenraum der Werkstatt eingesetzten, für eine Schreinerei typischen immissionsträchtigen Maschinen und zum Kamin des das Werkstattgebäude beheizenden Ofens ließ sich nicht feststellen, dass sich das vorhandene bodenrechtliche Spannungsverhältnis bei Verwirklichung des Bauvorhabens nicht doch wesentlich verstärkte, zumal das Obergeschoss eben in Höhe des Kamins zu liegen käme und eine vorherrschende Westwindlage nicht ausgeschlossen schien. Dass das Betriebsgebäude zu dem Wohnhaus auf dem nordöstlich angrenzenden Grundstück Flst. Nr. 143/1 einen geringeren Abstand einhalten mag, ist vorliegend nicht von Bedeutung. Inwiefern Beeinträchtigungen aufgrund des Kamins von vornherein deshalb ausgeschlossen sein sollen, weil die Aufenthaltsräume nach Westen ausgerichtet seien, der Schreinerei gegenüber „nur“ Schlaf- und Küchenräume lägen, ein Kamin nur während der Betriebszeit am Tage genutzt werde, Emissionen nur in den Wintermonaten zu erwarten seien, in denen die gegenüberliegenden Fenster grundsätzlich geschlossen seien bzw. lediglich „stoßweise“ gelüftet werde und bislang keine Beanstandungen erhoben worden seien, erschließt sich dem Senat nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.1991 - 3 S 2087/91 -, BauR 1992, 45). Inwiefern der Ofen aus „gewerbe- und brandschutzrechtlichen Gründen“ gar unzulässig sein sollte, zeigen die Beschwerdeführer nicht auf.
Soweit der Beigeladene noch geltend macht, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung habe für ihn „existenzgefährdende Auswirkungen“, rechtfertigt auch dies noch keine andere Abwägungsentscheidung. Solche sind schon nicht ansatzweise dargetan.
Nach alledem wären die Beschwerden nach der bei Ablauf der Begründungsfrist gegebenen Sachlage zurückzuweisen gewesen.
2. Anlass zu einer abweichenden Abwägungsentscheidung zugunsten der Beschwerdeführer geben indes nunmehr die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegende gutachtliche Stellungnahme des Ingenieurbüros für Schall- und Wärmeschutz (isw) vom 16.06.2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 30.07.2010, die hierzu abgegebene Stellungnahme des Landratsamtes Konstanz - Amt für Abfallrecht und Gewerbeaufsicht - vom 14.09.2010, die beigebrachte Stellungnahme des Bezirksschornsteinfegermeisters vom 05.10.2010 sowie nicht zuletzt die unter dem 07.10.2010 abgegebene Erklärung des Beigeladenen, die Kosten für zur Vermeidung von dem Kamin etwa ausgehender erheblicher Belästigungen erforderlich werdende Maßnahmen zu übernehmen. Zwar sind all diese Gründe, mit denen das bisherige Vorbringen auch nicht lediglich konkretisiert und vertieft wurde, erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungfrist entstanden, doch konnten sie vom Senat ungeachtet dessen, dass nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die - innerhalb der Frist - dargelegten Gründe zu prüfen sind, ausnahmsweise zu Gunsten der Beschwerdeführer berücksichtigt werden. So sind neue Tatsachen – hierzu gehören auch neue Beweismittel – zumindest dann berücksichtigungsfähig, wenn sie – wie hier – offensichtlich sind und nicht zu einem neuen - das Verfahren verzögernden - Streitstand führen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.07.2008 – 11 S 1041/08 -, VBlBW 2009, 109; BayVGH, Beschl. v. 11.06.2007 - 11 CS 06.2244 -; SächsOVG, Beschl. v. 29.03.2007 - 5 BS 295/06 -; HessVGH, Beschl. v. 07.09.2004 - 10 TG 1498/04 -). Denn § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zwingt das Beschwerdegericht nicht zu einer prozessunwirtschaftlichen und dem Gebot effektiven - zeitnahen - Rechtsschutzes widersprechenden Bestätigung einer Eilentscheidung erster Instanz, wenn diese Entscheidung in einem weiteren Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO - gegebenenfalls auch von Amts wegen - wieder zu ändern wäre, was auf eine bloße Förmelei hinausliefe. Die strikte Bindung an die innerhalb der Monatsfrist vorgebrachten Gründe gilt nach Sinn und Zweck des § 146 Abs. 4 VwGO in derartigen Fällen nicht (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.01.2006 - 6 S 1860/05 - VBlBW 2006, 323). Dies gilt insbesondere dann, wenn letztlich nur neue präsente Beweismittel den fristgerecht dargelegten Gründen zum Erfolg verhelfen. Es wäre schwerlich mit dem grundsätzlich auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.11.2004 - 8 S 1870/04 -, VBlBW 2005, 282) und dem mit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verfolgten Zweck vereinbar, einen offensichtlich eingetretenen Erkenntnisfortschritt, der in der Hauptsache zu berücksichtigen wäre, allein deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er nicht für, sondern gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung spricht. Die nunmehr vorgebrachten Gründe waren, ungeachtet dessen, dass die Antragsgegnerin den Sachverhalt bereits vor Erteilung der Baugenehmigung von Amts wegen aufzuklären gehabt hätte und sie bzw. der Beigeladene die Stellungnahmen eingeholt hatten, auch keineswegs für die Beschwerdeinstanz aufgespart worden (vgl. hierzu VGH Bad,-Württ., Beschl. v. 08.11.2004 - 9 S 1536/04 -, NVwZ-RR 2006, 74; OVG LSA, Beschl. v. 18.09.2008 - 3 M 511/08 -). Denn im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht konnten die nunmehr präsenten Beweismittel tatsächlich noch nicht vorgelegt werden.
10 
Nach der nunmehr vorliegenden gutachtlichen Stellungnahme des isw vom 16.06.2010 wird auch unter „schalltechnisch ungünstigen betrieblichen Gegebenheiten“ bezüglich der Einsatzdauer stationärer Werkzeugmaschinen sowie der Werkstattlüftung durch Öffnen von Fensterflügeln selbst der zur Beurteilung der Lärmwirkung vorsorglich herangezogene, für allgemeine Wohngebiete maßgebende (Lärm-)Immissionswert „tags“ vor der nordwestlichen Hausfassade des westlichen Hauses unterschritten. In Ermangelung entsprechender technischer Daten blieben lediglich die Immissionsanteile der Späneabsaugung sowie eines (nur selten betriebenen) Wandventilators rechnerisch außer Ansatz. Insofern wurde in der Stellungnahme jedoch klargestellt, dass, sollten diese Gebläse wider Erwarten einen wesentlichen Beitrag zur Lärmeinwirkung auf das Bauvorhaben aufweisen, eine hinreichende Lärmminderung mit überschaubarem technischen (und wirtschaftlichem) Aufwand kurzfristig erreicht werden könnte. Entsprechende Maßnahmen wären nach dem Gebot der Rücksichtnahme auch ohne Weiteres zumutbar (vgl. auch § 22 Abs. 1 BImSchG; BVerwG, Urt. v. 23.09.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314; Urt. v. 18.05.1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235).
11 
Die Richtigkeit des Ergebnisses der nunmehr vorliegenden gutachtlichen Stellungnahme wird auch nicht durch die nicht näher substantiierten Einwände der Antragstellerin in Frage gestellt. Soweit sie geltend macht, dass nicht berücksichtigt worden sei, dass „die Maschinen manchmal auch gleichzeitig liefen“, geht dies fehl. Denn davon, dass entgegen der Annahme in der gutachtlichen Stellungnahme auch ein zeitgleicher Betrieb mehrerer Werkzeugmaschinen im Last lauf stattfände (Abschnitt 3.3), war weder aufgrund der bisherigen Angaben des Betriebsinhabers vom 01.06.2010 noch aufgrund derer vom 15.07.2010 (AS 249) auszugehen. Soweit die Antragstellerin unter dem 24.08.2010 nunmehr erstmals geltend macht, dass der gelegentlich eingesetzte Mitarbeiter, der die Werkzeugmaschinen nicht selbständig bedienen dürfe, nach deren vorheriger Einstellung „durchaus auch alleine bestimmte Materialien mit dem Vorschub durchlassen dürfe“, ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass dieser Umstand trotz der im Übrigen angenommenen ungünstigen Bedingungen dazu führen könnte, dass die für die hier wohl vorliegende Gemengelage nach der sog. Mittelwertrechtsprechung voraussichtlich maßgeblichen Werte (eines Mischgebiets) überschritten würden (vgl. TA Lärm 1998, Abschn. 6.7; BVerwG, Urt. v. 18.05.1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235; Senat, Beschl. v. 11.01.2005 - 5 S 1444/04 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.1991 - 3 S 2087/91 -, BauR 1992, 45, Urt. v. 21.04.1995 - 3 S 2514/94 -, VBlBW 1995, 481).
12 
Inwiefern in der gutachtlichen Stellungnahme keine Berücksichtigung gefunden hätte, dass die Fenster im Sommer oft mehrere Stunden sowohl am Vor- und Nachmittag geöffnet würden, ist ebenso wenig zu erkennen. So ist rechnerisch berücksichtigt worden, dass ein Fensterflügel in der Nordwestfassade ständig und das Fenster im Maschinenraum in der Südostfassade intermittierend geöffnet würde. Die zum Bauvorhaben des Beigeladenen hin orientierten „großen“ Fenster sind ohnedies festverglast. Soweit die Antragstellerin neuerdings geltend macht, auch die (nach Nordwesten ausgerichteten) Fenster im Bankraum würden bei Bedarf gekippt, ist gänzlich unwahrscheinlich, dass dies zu qualitativ anderen Ergebnissen führte.
13 
Auch mit dem Einwand, dass vor Ort keine Messungen durchgeführt worden waren, lässt sich die gutachtliche Stellungnahme nicht in Frage stellen. Darauf, dass eine auf der Grundlage einschlägiger Emissionskennwerte und unter Berücksichtigung schalltechnisch ungünstiger betrieblicher Randbedingungen durchgeführte rechnerische Ermittlung der Lärmeinwirkung auf die Umgebung Ergebnisse mit deutlich größerer Sicherheit als kurzdauernde Schallpegelmessungen erbringen, hat bereits das Ingenieurbüro iws in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.07.2010 hingewiesen (vgl. AS 255 ff.); dies leuchtet unmittelbar ein und ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt.
14 
Spricht vor diesem Hintergrund nicht nur nichts dafür, dass bei der derzeit üblichen Betriebsweise die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte für die hier wohl vorliegende Gemengelage überschritten, sondern sogar die Immissionsgrenzwerte für allgemeine Wohngebiete eingehalten würden, liegt der vom Verwaltungsgericht seinerzeit noch zu Recht für möglich gehaltene Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nunmehr eher fern.
15 
Soweit die Antragstellerin demgegenüber darauf verweist, dass die Schreinerei ihren Betrieb jederzeit wieder in dem ursprünglich betriebenen Umfang aufnehmen, insbesondere weitere Mitarbeiter beschäftigt werden könnten, führt auch dies nicht auf einen Mangel der gutachtlichen Stellungnahme und einen nicht von der Hand zu weisenden Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
16 
Zwar wäre die Antragstellerin in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nicht auf die derzeitige Betriebsweise festgelegt, nachdem eine neuerliche Ausweitung der Schreinerwerkstatt von den ihrem Rechtsvorgänger erteilten Baugenehmigungen im Hinblick auf die seinerzeit vorliegende Baubeschreibung - ggf. nach Erfüllung der Auflage Nr. 11 - ohne Weiteres gedeckt wäre. Dass auf diese Genehmigung von der Antragstellerin oder ihrem Rechtsvorgänger teilweise verzichtet worden wäre, sodass sie sich teilweise erledigt hätte (vgl. § 43 Abs. 2 LVwVfG), ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 20.02.2003 - 15 B 00.1363 -, NVwZ-RR 2003, 726). Auch infolge der jahrelangen eingeschränkten Nutzung („Ein-Mann-Betrieb“) ihres Pächters ist die Baugenehmigung noch nicht (teilweise) unwirksam geworden (vgl. zu dieser Möglichkeit bei zeitweiliger Nichtausnutzung einer Baugenehmigung weiterhin BVerwG, Beschl. v. 05.06.2007 - 4 B 20.07 -, BauR 2007, 1697). Insbesondere kann darin kein die Antragstellerin bindender Teilverzicht gesehen werden (vgl. Nieders. OVG, Beschl. v. 20.07.2009 - 1 LA 103/07 -, NVwZ-RR 2009, 910). Aus den Urteilen des beschließenden Gerichtshofs vom 04.03.2009 - 3 S 1467/07 - (BauR 2009, 1881) und 19.10.2009 - 5 S 347/09 - (VBlBW 2010, 111) können die Beschwerdeführer nichts anderes herleiten.
17 
Jedoch richtetet sich das Maß an Rücksichtnahme, welches das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Rücksichtnahmegebot dem Bauinteressenten abverlangt, maßgeblich nach den tatsächlichen Gegebenheiten. Nach § 34 Abs. 1 BBauG bildet die Eigenart der näheren Umgebung den für das Einfügen maßgeblichen Bezugsrahmen. Ihr städtebauliches Gepräge erhält diese Umgebung durch die tatsächlich vorhandene Bebauung bzw. tatsächlich ausgeübte Nutzung. Diese bestimmt daher auch den Inhalt des Rücksichtnahmegebots (vgl. BVerwG, Urt.v. 14.01.1993 - 4 C 19.90 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155). Dies schließt zwar nicht aus, dass die einer Schreinerei eigene Variationsbreite bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen ist, welchen Beeinträchtigungen der Rücksichtnahmeverpflichtete im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB als Folge der prägenden Wirkung der in der Umgebung vorhandenen Bebauung ausgesetzt werden soll (vgl. BVerwG, Urt.v. 14.01.1993, a.a.O.). Ob die von ihr ausgehenden Wirkungen den Rahmen des Zumutbaren überschreiten, richtet sich jedoch nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.01.1993, a.a.O.). Insofern kann die seit einigen Jahren bestehende Betriebsweise der Schreinerwerkstatt nicht außer Ansatz bleiben, zumal keine Hinweise vorliegen, dass sich an dieser in absehbarer Zeit etwas änderte (vgl. Senat, Urt. v. 20.05.2003 - 5 S 2751/01 -, ESVGH 53, 212).
18 
Insofern liegt es vor dem Hintergrund der nunmehr vorliegenden Stellungnahmen eher fern, dass das Wohnbauvorhaben des Beigeladenen gegenüber der Schreinerwerkstatt nicht den Abstand wahrte, durch den sichergestellt ist, dass es bei der gebotenen Berücksichtigung der Situationsgebundenheit des Baugrundstücks einerseits und etwa zu ergreifender Lärmminderungsmaßnahmen andererseits keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt würde. Bei einer etwaigen, nicht ausgeschlossenen Ausweitung des Betriebs der Schreinerwerkstatt hätte diese ihrerseits Rücksicht auf die an sie näher herangerückte Wohnbebauung zu nehmen und zu gewährleisten, dass von dem Betrieb auch künftig keine unzumutbaren Lärmwirkungen ausgehen (vgl. auch § 22 Abs. 1 BImSchG).
19 
Auch die allein noch in Rede stehenden, über das Kamin abgeleiteten Rauchemissionen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Nach der Stellungnahme des Bezirksschornsteinfegermeisters vom 05.10.2010 rühren diese von einem Warmluftofen mit einer Leistung von lediglich 45 KW her, der allein zur Beheizung der Werkstatt betrieben wird. Dass mit dessen Betrieb auch bei Beachtung der sich aus der 1. BImSchV (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen) ergebenden Anforderungen schädliche Umwelteinwirkungen für das geplante Wohnbauvorhaben verbunden wären, erscheint insofern eher fernliegend (vgl. zu Hausfeuerungsanlagen VGH Bad.-Württ., Urt. v. 05.09.1989 - 10 S 1712/88 -, NJW 1990,1930). Zwar mag dies mit Blick auf die derzeitige Höhe der Austrittsöffnung des Schornsteins bei nicht auszuschließendem Westwind nicht von der Hand zu weisen sein, doch wäre es dem Betreiber und Rücksichtnahmebegünstigten vor dem Hintergrund der inzwischen erklärten Kostenübernahme durch den Beigeladenen ggf. seinerseits zuzumuten, den Kamin zu erhöhen (vgl. § 22 Abs. 1 BImSchG, § 19 Abs. 1 Nr. 2 1. BImSchV n.F.; BVerwG, Urt. v. 18.05.1995, a.a.O.; Urt. v. 23.09.1999, a.a.O.), nachdem jener immerhin durch eine entsprechende Grundrissgestaltung und Ausrichtung der Außenwohnbereiche nach Südwesten Rücksicht genommen hat. Dass die Schreinerwerkstatt vor der heranrückenden Wohnbebauung errichtet worden war, ändert nichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314).
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9, 19.1. u. 16.1.6 des Streitwertkatalogs vom Juli 2004 (vgl. zum Streitwert bei einer störungspräventiven Nachbarklage Senat, Beschl. v. 24.02.2010 - 5 S 1777/09 -, NVwZ-RR 2010, 542).
21 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. Juli 2010 – 10 L 446/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die 1978 in Gjakove (Djakovica) im heutigen Kosovo geborene Antragstellerin wendet sich gegen die Rücknahme einer ihr im Juli 2008 erteilten Niederlassungserlaubnis. Im vorliegenden Verfahren begehrt sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres dagegen eingelegten Rechtsbehelfs.

Die Antragstellerin heiratete im November 2002 in der Schweiz den deutschen Staatsangehörigen Ibrahim H, reiste im April 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt im Mai 2005 zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem damals in St. Ingbert lebenden Ehemann, die 2006 bis zum Mai 2008 verlängert wurde.

Nachdem die Antragstellerin und der Ehemann am 8.7.2008 im Rahmen einer gemeinsamen Vorsprache beim Antragsgegner erklärt hatten, dass sie weiterhin in ehelicher Gemeinschaft lebten, deren Aufgabe nicht beabsichtigten und insbesondere kein Scheidungsverfahren eingeleitet worden sei, (vgl. insoweit die von beiden (damaligen) Ehepartnern unterzeichnete Erklärung vom 8.7.2008, Blatt 106 der Ausländerakte) wurde der Antragstellerin unter demselben Datum eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt.

Im November 2008 wurde die kinderlos gebliebene Ehe auf übereinstimmenden Antrag beider Eheleute rechtskräftig geschieden. Im Tatbestand des Scheidungsurteils des Amtsgerichts St. Ingbert (vgl. das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht – St. Ingbert vom 28.11.2008 – 4 F 163/08 S – mit entsprechendem Rechtskraftvermerk, Blätter 122 ff. der Ausländerakte) heißt es, die persönliche Anhörung habe ergeben, dass die Ehegatten zum Scheidungszeitpunkt seit mindestens einem Jahr getrennt lebten.

Mit Datum vom 16.4.2010 nahm der Antragsgegner die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin unter Hinweis auf die Angaben im Scheidungsverfahren zurück und erklärte diese Entscheidung gleichzeitig für sofort vollziehbar. Auf dieser Grundlage könne entgegen den seinerzeitigen Angaben der Antragstellerin nicht vom Vorliegen beziehungsweise dem Fortbestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt der Erteilung des Titels ausgegangen werden. An diesen Aussagen müsse sich die Antragstellerin festhalten lassen. Da mithin bereits im Juli 2008 von einem Getrenntleben auszugehen gewesen sei, habe die Antragstellerin die Erteilung der Niederlassungserlaubnis durch falsche Angaben erwirkt.

Die Antragstellerin hat im Mai 2010 Widerspruch erhoben und gleichzeitig einen Aussetzungsantrag beim Verwaltungsgericht gestellt. Sie hat geltend gemacht, die Niederlassungserlaubnis sei aufgrund zutreffender Angaben erteilt worden. Eine Trennung sei erst nach der Antragstellung ins Auge gefasst worden. Der damalige Ehemann habe vor dem Familiengericht erklärt, er habe sich erst im August 2008 entschieden, „getrennte Wege zu gehen“, ihr – der Antragstellerin – diese Absicht bis dahin nicht mitgeteilt und im Oktober 2008 die Scheidung beantragt. Erst als die Niederlassungserlaubnis bereits erteilt gewesen sei, habe sie vermutet, dass ihr Mann in der Schweiz, wo er seit Ende 2006 gearbeitet habe, eine andere Frau kennen gelernt hatte. Sie sei mehr als sechs Jahre mit einem deutschen Staatsbürger verheiratet gewesen, erwerbstätig und in der Lage den eigenen Unterhalt zu sichern. Inzwischen sei sie wieder verheiratet. Der neue Ehemann lebe noch im Kosovo.

Das Verwaltungsgericht hat den Aussetzungsantrag im Juli 2010 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es unter anderem, die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung des Antragsgegners unterliege keinen durchgreifenden Zweifeln. Die der Erteilung des Titels zugrunde liegende Erklärung der Antragstellerin erweise sich aufgrund der vom Familiengericht im Scheidungsverfahren getroffenen Feststellungen als „fehlerhaft“. Die im Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts wiedergegebenen Äußerungen des damaligen Ehemannes befassten sich ausschließlich mit der Frage, wann sich dieser zur Scheidung entschlossen habe, nicht hingegen mit dem hier allein entscheidenden Zeitpunkt der Trennung. Dass entsprechend der Darstellung der Antragstellerin bis August 2008 eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden haben sollte, lasse sich auch seinen übrigen Einlassungen nicht entnehmen. Dieser habe sogar in seinem Scheidungsantrag vom Oktober 2008 ausgeführt, dass es „eigentlich nie zu einer Lebensgemeinschaft der Ehegatten gekommen“ beziehungsweise eine solche „lediglich kurzzeitig … hergestellt“ worden sei und dass die Ehepartner im Übrigen immer getrennt gelebt und nie füreinander Verantwortung übernommen hätten. Die Antragstellerin habe selbst vorgetragen, sie sei im „Juni oder Juli 2008 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen“. Soweit die Antragstellerin auf „taktische Erwägungen“ für ihren Vortrag verweise, so könne diese nicht im ausländerrechtlichen sowie im Scheidungsverfahren diametral entgegen gesetzte Angaben machen und sich in dem jeweiligen Verfahren die zur Erlangung der jeweils vorteilhafteren Rechtsstellung günstigen Tatsachen „heraussuchen“.

Gegen diesen Beschluss richtet sich das Rechtsmittel der Antragstellerin.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6.7.2010 – 10 L 446/10 – muss erfolglos bleiben. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Rücknahmebescheid des Antragsgegners vom 16.4.2010 wieder herzustellen. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang abschließend bestimmende Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 16.7.2010 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens in der Hauptsache. Auch auf dieser Grundlage unterliegt die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung am Maßstab des einschlägigen § 48 SVwVfG (vgl. dazu zuletzt allgemein OVG des Saarlandes, Urteil vom 11.3.2010 – 2 A 491/09 –) keinen ernsthaften Bedenken.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass nach gegenwärtigem Erkenntnisstand alles dafür spricht, dass bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) am 8.7.2009 die rechtlichen Voraussetzungen, hier speziell des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, nicht vorgelegen haben, weil für diesen Zeitpunkt bereits nicht (mehr) vom Fortbestehen der familiären Lebensgemeinschaft mit dem damaligen Ehemann Ibrahim H ausgegangen werden kann.

Insoweit mag dahinstehen, ob eine in den Schutzbereich des Art. 6 GG27 Abs. 1 AufenthG) fallende und daher von den Ausländerbehörden bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigende Lebensgemeinschaft, die Grundlage der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen über den Ehegattennachzug ist, zwischen der Antragstellerin und Herr H entgegen dessen Angaben im Scheidungsantrag an das Amtsgericht St. Ingbert vom 15.10.2008 jemals bestanden hat. Die Antragstellerin ist unstreitig nach der im November 2002 in der Schweiz erfolgten Heirat im Jahre 2003 zunächst in den Kosovo zurückgekehrt und hat dort bis zur Einreise nach Deutschland im Mai 2005 ohne den Ehemann, der sich damals in der Bundesrepublik aufhielt, gelebt. Seit Ende 2006 hat Herr H seinen Lebensmittelpunkt – ebenfalls unstreitig – wieder in die Schweiz verlegt, wo er eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Die Antragstellerin lebte in dieser Zeit (ausschließlich) in Deutschland.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass derartige – insbesondere beruflich bedingte – auch längere räumliche Trennungen von Ehepartnern nicht automatisch die Annahme einer Aufgabe der familiären Lebensgemeinschaft rechtfertigen. Diese erfordert nicht unbedingt das Vorliegen einer ständigen häuslichen Gemeinschaft der Ehepartner, allerdings im Falle einer dauerhaften räumlichen Trennung die Feststellung zusätzlicher Anhaltspunkte, um das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts weitgehend auszugleichen. (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27.1.1998 – 1 C 28.96 –, NVwZ 1998, 279, und allgemein beispielsweise Göbel-Zimmermann in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Auflage 2010, § 27 Rn 6 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung;) Bei einer berufs- und ausbildungsbedingten Trennung der Familienmitglieder setzt die Anerkennung einer familiären Lebensgemeinschaft daher zwingend voraus, dass die Angehörigen regelmäßigen Kontakt zueinander pflegen, der über bloße Besuche hinausgeht und in dem die besondere persönliche und emotionale Verbundenheit im Sinne einer Beistandsgemeinschaft zum Ausdruck kommt. (vgl. insoweit zur Eltern-Kind-Beziehung bei einem wegen Besuchs eines Internats dauerhaft im Heimatland lebenden Sohn OVG des Saarlandes, Beschluss vom 9.11.2009 – 2 B 449/09 –, SKZ 2010, 72, Leitsatz Nr. 65)

Dass davon hier für die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung nicht ausgegangen werden kann, hat das Verwaltungsgericht eingehend begründet. Es hat insbesondere zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Betroffenen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren in aller Regel an ihren Angaben in einem Ehescheidungsverfahren, insbesondere zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, festhalten lassen müssen. Das gilt auch für gerichtliche Aussetzungsersuchen der vorliegenden Art. Danach kann für den Juli 2008 entgegen den Angaben der Antragstellerin keine fortbestehende familiäre Lebensgemeinschaft zwischen ihr und Herrn H angenommen werden.

Was die Antragstellerin mit der Beschwerde einwendet, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Kaum nachzuvollziehen ist der Einwand, es sei „eine Tatsache“, dass die persönliche Anhörung vor dem Familiengericht nicht ergeben habe, dass die Eheleute bei Ausspruch der Scheidung im November 2008 seit einem Jahr getrennt gelebt hätten. Mit Blick auf § 1566 Abs. 1 BGB, der bei – wie hier – übereinstimmenden Scheidungsbegehren beider Ehepartner nach Ablauf des Trennungsjahres eine unwiderlegliche Vermutung für das Scheitern der Ehe begründet, kann die Feststellung des Familiengerichts, dass die Antragstellerin und Herr H damals „seit mindestens einem Jahr… getrennt“ lebten sicher nicht, wie die Antragstellerin das jetzt gern verstanden wissen will, als bloße „nachrichtliche“ und insoweit fallbezogen sinnlose Mitteilung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Scheidung „ohne Beweiskraft“ verstanden werden, sondern als – im Übrigen rechtskräftige – Feststellung ihres tatsächlichen Vorliegens. Danach bestand spätestens seit November 2007 keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr. Der frühere Ehemann der Antragstellerin hat ausweislich des Anhörungsprotokolls vom 28.11.2008 auf die ausdrückliche Rückfrage des Familienrichters eindeutig klargestellt, dass der von ihm zuvor genannte Zeitpunkt im August 2008, ab dem er den Entschluss gefasst habe, „getrennte Wege zu gehen“, sich auf das Scheidungsbegehren, nicht – wie die Antragstellerin nun erneut vorträgt – auf den Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bezog. Genau das hat das Verwaltungsgericht in der in der Beschwerdebegründung zitierten Passage des angegriffenen Beschlusses zutreffend ausgeführt.

Auf die durch die Schilderung der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz Ende des Jahres 2006 nachvollziehbar veranlasste Frage, ob er in dieser Zeit die Antragstellerin besucht habe, hat Herr H, nach dessen – von der Antragstellerin bestrittener – Darstellung im Scheidungsantrag es „eigentlich nie zu einer ehelichen Lebensgemeinschaft … gekommen“ sein soll, sogar nicht einmal solche Besuche bestätigt, sondern lediglich ausgeführt, dass die Antragstellerin „bei ihrem Onkel gelebt“ habe. Die Antragstellerin selbst hat bei der Anhörung ebenfalls keine Tatsachen vorgetragen, aus denen das Familiengericht auf einen späteren Zeitpunkt der tatsächlichen Aufhebung der Lebensgemeinschaft oder gar auf die Nichteinhaltung des Trennungsjahres im Sinne des § 1566 Abs. 1 BGB hätte schließen können. Sie hat berichtet, sie habe Ende 2006 „zunächst“ mit dem damaligen Ehemann in die Schweiz ziehen wollen. „Irgendwann“ sei es dann aber „nicht mehr wie vorher“ gewesen, so dass sie „glaube“, im Juni oder Juli (2008) aus der Wohnung in St. Ingbert ausgezogen zu sein. Auf den letztgenannten Zeitpunkt beziehungsweise auf den Auszug als solchen kommt es nach dem zuvor Gesagten nicht an. Er lässt keinen Rückschluss zu, dass bis dahin eine eheliche Lebensgemeinschaft (fort)bestanden hat. Schon von daher käme es auf die Aussagen der für den Zeitpunkt des „Auszugs“ der Antragstellerin aus der Wohnung in St. Ingbert allgemein angekündigten Zeugen – auch hauptsachebezogen – nicht an. Für eine Beweisaufnahme im Rahmen des Aussetzungsverfahrens ist – zusätzlich – auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Effektivitätsgebot (Art. 19 Abs. 4 GG) regelmäßig kein Raum. (vgl. hierzu etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 15.1.2009 – 2 B 376/08 –, SKZ 2009, 240, Leitsatz Nr. 31)

Was die nunmehr abweichende Darstellung der Antragstellerin, wonach sie mit Herrn H bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Juli 2008 eine „Wochenendehe“ geführt habe, was im Übrigen eine Scheidung im November desselben Jahres nach den Fallumständen nicht zugelassen hätte, und ihren Hinweis auf lediglich „verfahrenstaktisch“ veranlasste nun angeblich unwahre Angaben vor dem Familiengericht anbelangt, so könnte angesichts der zuvor geschilderten Erkenntnislage auch der nunmehr abweichende Vortrag gegenüber dem Antragsgegner und in dem vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren als „taktisch“ bedingt erheblich in Zweifel gezogen werden. Vertieft werden muss das hier nach dem zuvor Gesagten nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG 2004, wobei eine Halbierung des Auffangstreitwerts gerechtfertigt erscheint.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Auf die Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. April 2010 – 6 K 521/10 - geändert.

Der Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 15.03.2010 wird auch insoweit abgelehnt, als sie das westliche Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten betrifft.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die nach § 146 Abs. 1 VwGO statthaften – weitgehend inhalts- und wortgleichen - Beschwerden der Antragsgegnerin und des Beigeladenen sind zulässig (§§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO), insbesondere entsprechen sie (noch) den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Auch fehlt ihnen nicht deshalb das erforderliche Rechtsschutzinteresse, weil dem Beigeladenen unter dem 21.09.2010 eine Baugenehmigung für ein (geringfügig) verändertes Bauvorhaben erteilt wurde, mit dem im westlichen Wohnhaus nurmehr vier Wohneinheiten und eine Gewerbeeinheit vorgesehen sind. Denn auch insoweit hat die Antragstellerin um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und gegen den ihn versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 11.10.2010 – 6 K 1778/10 – Beschwerde eingelegt (5 S 2025/10). Dass der Beigeladene ungeachtet dessen von der Verwirklichung seines ursprünglichen Bauvorhabens endgültig Abstand genommen hätte, ist nicht ersichtlich.
Die Beschwerden haben auch Erfolg.
Zwar rechtfertigten es die von den Beschwerdeführern innerhalb der Frist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO dargelegten Gründe als solche noch nicht, die vom Verwaltungsgericht zu ihrem Nachteil getroffene Abwägungsentscheidung zu ändern (1). Jedoch geben die von den Beschwerdeführern nach Fristablauf dargelegten weiteren Gründe ungeachtet dessen, dass nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich nur die - innerhalb der Frist - dargelegten Gründe zu prüfen sind, Anlass, jene zu ändern und den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 15.03.2010 auch insoweit abzulehnen, als sie das westliche Wohnhaus mit fünf Wohneinheiten betrifft (2).
1. Soweit die Beschwerdeführer geltend machen, die Antragstellerin sei mit ihrer Einwendung nach § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO ausgeschlossen, das Bauvorhaben verstoße gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil eine heranrückende Wohnbebauung den weiteren Betrieb der auf ihrem Grundstück genehmigten Schreinerwerkstatt gefährde, geht dies fehl. Zwar brachte die Antragstellerin diesen Einwand im Rahmen der Angrenzerbenachrichtigung nicht ausdrücklich am 15.02.2010 zur Niederschrift beim Bürgermeisteramt Bodman-Ludwigshafen vor, jedoch verwies sie „im Übrigen“ auf ihre bereits im Rahmen der - die vorausgegangene Bauvoranfrage betreffenden - Angrenzerbenachrichtigung erhobenen Einwendungen, die auch gegen den nunmehr eingereichten Bauantrag „im selben Wortlaut übernommen werden sollten“. In der entsprechenden Niederschrift vom 06.08.2009 hatte sie indes ausdrücklich auf den „Bestandsschutz der Werkstatt“ und ihrer Immissionen, insbesondere auch darauf hingewiesen, dass die Höhe des Schornsteins im Bereich der Fensteröffnungen des geplanten Wohngebäudes zu liegen käme, sodass bei Westwind CO 2 unmittelbar in die nur ca. 6 m entfernte Lochfassade des geplanten westlichen Wohnhauses gelangte. Damit ist auch der möglicherweise auf einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führende (auf dasselbe Vorhaben bezogene) Einwand (jedenfalls) noch als fristgerecht erhoben anzusehen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, dass durch den Hinweis auf Vorbringen in einem anderen Verfahren und gegenüber einem anderen Vorhaben bzw. in einem Vorstadium des eigentlichen Verfahrens dieses noch nicht Inhalt des Einwendungsschreibens wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.08.1997 – 11 A 18.96 -, Buchholz 316 § 73 VwVfG Nr. 24; Urt. v. 29.08.1986 – 7 C 52.84 -, Buchholz 406.25 § 10 BImSchG Nr. 2; Beschl. v. 11.12.1981 – 7 B 22.81 -, Buchholz 451.171 AtG Nr. 10). Denn die vollständig in Bezug genommenen Einwendungen wurden gerade im Rahmen der Angrenzerbenachrichtigung über die vorausgegangene Bauvoranfrage für dasselbe Vorhaben erhoben. Die entsprechenden Verwaltungsakten waren entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer schon deshalb beizuziehen, weil der Regelungsgehalt des bereits erteilten, wenn auch noch nicht bestandskräftigen Bauvorbescheids maßgeblich dafür ist, inwieweit die Antragsgegnerin gegenüber dem Beigeladenen gebunden war, dort vorab getroffene Feststellungen in die Baugenehmigung zu übernehmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.03.1989 – 4 C 14.85 –, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 88). Abgesehen davon übersehen die Beschwerdeführer, dass die von ihnen geltend gemachte Präklusionswirkung voraussetzt, dass auf diese Rechtsfolge in der Angrenzerbenachrichtigung hingewiesen wurde (vgl. § 55 Abs. 3 Satz LBO; Sauter, Komm. Z. LBO, 3. A. 29. Lfg. 2007, § 55 Rn. 28 f.). Dass dies der Fall gewesen wäre, lässt sich indes den einschlägigen Baugenehmigungsakten nicht entnehmen. In diesen findet sich lediglich ein Zustellungsnachweis ( /29 ), nicht jedoch ein dem Bauantrag beigefügtes Begleitschreiben der Gemeinde mit einem entsprechenden Hinweis.
Soweit die Beschwerdeführer weiter rügen, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit der „offensichtlichen Problematik“ auseinandergesetzt, ob es sich bei der in Rede stehenden Schreinerei nicht um einen „atypischen, von dem branchenüblichen Erscheinungsbild abweichenden Gewerbebetrieb“ handelte, lassen ihre weiteren Ausführungen schon nicht erkennen, inwiefern ein solcher vorläge. Für die Frage, ob ein Gewerbebetrieb das Wohnen (auch in einem Mischgebiet) nicht wesentlich störte (vgl. § 6 Abs. 1 u. 2 Nr. 4 BauNVO), ist eine Vorausschau erforderlich, die nicht nur die aktuellen Störwirkungen eines Betriebs für seine Umgebung, sondern auch die Beeinträchtigungen einbezieht, die künftig auch bei funktionsgerechter Nutzung der Anlage eines entsprechenden Betriebs nicht auszuschließen sind. Nur durch eine solche – begrenzte – typisierende Betrachtungsweise lassen sich Konflikte vermeiden oder doch bewältigen, die in dem Nebeneinander von Gewerbe- und Wohnnutzung angelegt sind. Anders verhält es sich dann, wenn der jeweilige Betrieb in der Weise atypisch ist, dass er nach seiner Art und Betriebsweise v o n v o r n h e r e i n keine Störungen befürchten lässt und damit seine Gebietsverträglichkeit d a u e r h a f t und z u v e r l ä s s i g sichergestellt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1992 – 7 C 7.92 -, Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22; Urt. v. 07.05.1971 - IV C 76.68 -, Buchholz 406.11 § 2 BBauG Nr. 7). Holzverarbeitende Betriebe mit maschineller Ausrüstung wie Kreissägen und Hobelmaschinen, wie sie auch hier eingesetzt werden (vgl. bereits die Baubeschreibung v. Juni 1956 und nunmehr auch die gutachtliche Stellungnahme v. 16.06.2010, S. 5), sind danach (auch) in einem Mischgebiet im Regelfall unzulässig (vgl. BayVGH, Urt. v. 22.07.2004 - 26 B 04.931 - m.w.N.; OVG Saarland, Urt. v. 30.11.1999 - 2 R 2/99 -; BVerwG, Urt. v. 07.05.1971, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 08.10.1993 - 8 S 2693/92 -, BWGZ 1994, 87). Dafür, dass die in Rede stehende Schreinerwerkstatt aufgrund der gebotenen eingeschränkten typisierenden Betrachtungsweise (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.09.1992, a.a.O.) auch in einem Mischgebiet zulässig wäre, spricht wenig. Allein daraus, dass seitens der Nachbarschaft - soweit ersichtlich - bisher keine unzumutbaren Immissionswirkungen geltend gemacht wurden und sich an der bisherigen Betriebsweise in absehbarer Zeit nichts zum Nachteil der umliegenden Wohnbebauung ändern dürfte, folgt dies nicht. Auch der Umstand, dass es sich inzwischen um einen „Ein-Mann-Betrieb“ handeln mag (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 22.07.2004, a.a.O.; Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. A. 2008, § 6 Rn. 23.3), die Maschinen über mehrere Wochen in Folge nicht benutzt werden und die Montagearbeiten typischerweise erst vor Ort erfolgen mögen, vermag noch auf keine Atypik zu führen (vgl. OVG Saarland, Urt. v. BayVGH, Urt. v. 22.07.2004, a.a.O., Rn. 29); denn es ist keineswegs gewiss, dass es dabei bleiben wird. Soweit die Beschwerdeführer eine „Atypik“ damit zu begründen versuchen, dass die Schreinerei in einem Gebäude betrieben werde, dessen Standsicherheit (angeblich) „größten Bedenken“ begegne bzw. das „nahezu abbruchreif“ sei bzw. „gravierende bauliche Mängel“ aufweise, was freilich nicht näher belegt wird, und das nicht über die im Falle einer Beschäftigung von Angestellten notwendigen sanitären Anlagen verfüge, geht dies fehl. All dies mag Anlass für ein bauaufsichtliches Einschreiten geben, führte aber ersichtlich noch nicht zur Unwirksamkeit der Baugenehmigung und zum Erlöschen des Bestandsschutzes oder dazu, dass die Schreinerwerkstatt nicht auch mit Angestellten betrieben werden dürfte. Nachdem im Hinblick auf die Größe des Bauvorhabens seinerzeit mit der Beschäftigung fremder Arbeitskräfte gerechnet worden war, war der baupolizeilichen Genehmigung auch eigens die vom Gewerbeaufsichtsamt mitgeteilte Auflage (Nr. 11) beigefügt worden, noch eine „Abortanlage mit Waschgelegenheit“ einzubauen.
Im Übrigen kommt es auf eine „Atypik“ nicht entscheidend an, da es nicht um die Genehmigungsfähigkeit der bereits am 30.07.1956 bzw. am 05.03.1964 baupolizeilich genehmigten Schreinerwerkstatt, sondern um diejenige des an sie heranrückenden Wohnbauvorhabens geht. Im Rahmen des im Erfordernis des Einfügens i. S. des § 34 Abs. 1 BauGB verankerten Rücksichtnahme-gebots ist vielmehr maßgeblich, was dem zur Rücksichtnahme Begünstigten einerseits und dem zur Rücksichtnahme Verpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.01.2003 - 4 C 19.90 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155). Insofern ist für die Schutzwürdigkeit der Bestandsschutz genießenden Schreinerwerkstatt zwar durchaus von Bedeutung, wie diese in den letzten Jahren tatsächlich betrieben wurde. Jedoch lassen die von den Beschwerdeführern fristgerecht vorgetragenen Gründe noch nicht erkennen, dass deren Betreiber jedenfalls nicht zu befürchten hätte, bei einer Verwirklichung des Bauvorhabens des Beigeladenen aus Gründen des Immissionsschutzes mit zusätzlichen, nicht nur unerheblichen Anforderungen an den genehmigten Betrieb überzogen zu werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.03.1984 – 4 B 171.73 -, Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 98; Beschl. v. 25.11.1985 – 4 B 202.85 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 67; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.1991 – 3 S 2087/91 -, BauR 1992, 45). Denn wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hatte die Antragsgegnerin vor Erteilung der angefochtenen Genehmigung keine entsprechenden Feststellungen getroffen, obwohl hierzu nicht zuletzt aufgrund des Schreibens der Handwerkskammer K. vom 18.02.2010 hinreichend Anlass bestand; darauf, ob diese „Einwendungen“ erhoben hatte, kam es insofern nicht an. Inwiefern die Antragsgegnerin aufgrund der „tatsächlichen Gegebenheiten“ gleichwohl zu dem Ergebnis hätte kommen dürfen, dass kein Nutzungskonflikt entstünde, erschließt sich aus den Akten nicht. Fehl geht der Hinweis, dass die Schreinerei seit Jahrzehnten von Wohnbebauung „umzingelt“ sei, ohne dass es je zu Nutzungskonflikten gekommen sei. Denn schon aufgrund der nunmehr geringeren Abstände zu den im Maschinenraum der Werkstatt eingesetzten, für eine Schreinerei typischen immissionsträchtigen Maschinen und zum Kamin des das Werkstattgebäude beheizenden Ofens ließ sich nicht feststellen, dass sich das vorhandene bodenrechtliche Spannungsverhältnis bei Verwirklichung des Bauvorhabens nicht doch wesentlich verstärkte, zumal das Obergeschoss eben in Höhe des Kamins zu liegen käme und eine vorherrschende Westwindlage nicht ausgeschlossen schien. Dass das Betriebsgebäude zu dem Wohnhaus auf dem nordöstlich angrenzenden Grundstück Flst. Nr. 143/1 einen geringeren Abstand einhalten mag, ist vorliegend nicht von Bedeutung. Inwiefern Beeinträchtigungen aufgrund des Kamins von vornherein deshalb ausgeschlossen sein sollen, weil die Aufenthaltsräume nach Westen ausgerichtet seien, der Schreinerei gegenüber „nur“ Schlaf- und Küchenräume lägen, ein Kamin nur während der Betriebszeit am Tage genutzt werde, Emissionen nur in den Wintermonaten zu erwarten seien, in denen die gegenüberliegenden Fenster grundsätzlich geschlossen seien bzw. lediglich „stoßweise“ gelüftet werde und bislang keine Beanstandungen erhoben worden seien, erschließt sich dem Senat nicht (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.1991 - 3 S 2087/91 -, BauR 1992, 45). Inwiefern der Ofen aus „gewerbe- und brandschutzrechtlichen Gründen“ gar unzulässig sein sollte, zeigen die Beschwerdeführer nicht auf.
Soweit der Beigeladene noch geltend macht, die Aussetzung der sofortigen Vollziehung habe für ihn „existenzgefährdende Auswirkungen“, rechtfertigt auch dies noch keine andere Abwägungsentscheidung. Solche sind schon nicht ansatzweise dargetan.
Nach alledem wären die Beschwerden nach der bei Ablauf der Begründungsfrist gegebenen Sachlage zurückzuweisen gewesen.
2. Anlass zu einer abweichenden Abwägungsentscheidung zugunsten der Beschwerdeführer geben indes nunmehr die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorliegende gutachtliche Stellungnahme des Ingenieurbüros für Schall- und Wärmeschutz (isw) vom 16.06.2010 mit ergänzender Stellungnahme vom 30.07.2010, die hierzu abgegebene Stellungnahme des Landratsamtes Konstanz - Amt für Abfallrecht und Gewerbeaufsicht - vom 14.09.2010, die beigebrachte Stellungnahme des Bezirksschornsteinfegermeisters vom 05.10.2010 sowie nicht zuletzt die unter dem 07.10.2010 abgegebene Erklärung des Beigeladenen, die Kosten für zur Vermeidung von dem Kamin etwa ausgehender erheblicher Belästigungen erforderlich werdende Maßnahmen zu übernehmen. Zwar sind all diese Gründe, mit denen das bisherige Vorbringen auch nicht lediglich konkretisiert und vertieft wurde, erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungfrist entstanden, doch konnten sie vom Senat ungeachtet dessen, dass nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO nur die - innerhalb der Frist - dargelegten Gründe zu prüfen sind, ausnahmsweise zu Gunsten der Beschwerdeführer berücksichtigt werden. So sind neue Tatsachen – hierzu gehören auch neue Beweismittel – zumindest dann berücksichtigungsfähig, wenn sie – wie hier – offensichtlich sind und nicht zu einem neuen - das Verfahren verzögernden - Streitstand führen (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 08.07.2008 – 11 S 1041/08 -, VBlBW 2009, 109; BayVGH, Beschl. v. 11.06.2007 - 11 CS 06.2244 -; SächsOVG, Beschl. v. 29.03.2007 - 5 BS 295/06 -; HessVGH, Beschl. v. 07.09.2004 - 10 TG 1498/04 -). Denn § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zwingt das Beschwerdegericht nicht zu einer prozessunwirtschaftlichen und dem Gebot effektiven - zeitnahen - Rechtsschutzes widersprechenden Bestätigung einer Eilentscheidung erster Instanz, wenn diese Entscheidung in einem weiteren Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO - gegebenenfalls auch von Amts wegen - wieder zu ändern wäre, was auf eine bloße Förmelei hinausliefe. Die strikte Bindung an die innerhalb der Monatsfrist vorgebrachten Gründe gilt nach Sinn und Zweck des § 146 Abs. 4 VwGO in derartigen Fällen nicht (vgl. hierzu auch VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.01.2006 - 6 S 1860/05 - VBlBW 2006, 323). Dies gilt insbesondere dann, wenn letztlich nur neue präsente Beweismittel den fristgerecht dargelegten Gründen zum Erfolg verhelfen. Es wäre schwerlich mit dem grundsätzlich auch im vorläufigen Rechtsschutzverfahren geltenden Untersuchungsgrundsatz (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 25.11.2004 - 8 S 1870/04 -, VBlBW 2005, 282) und dem mit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verfolgten Zweck vereinbar, einen offensichtlich eingetretenen Erkenntnisfortschritt, der in der Hauptsache zu berücksichtigen wäre, allein deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil er nicht für, sondern gegen die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung spricht. Die nunmehr vorgebrachten Gründe waren, ungeachtet dessen, dass die Antragsgegnerin den Sachverhalt bereits vor Erteilung der Baugenehmigung von Amts wegen aufzuklären gehabt hätte und sie bzw. der Beigeladene die Stellungnahmen eingeholt hatten, auch keineswegs für die Beschwerdeinstanz aufgespart worden (vgl. hierzu VGH Bad,-Württ., Beschl. v. 08.11.2004 - 9 S 1536/04 -, NVwZ-RR 2006, 74; OVG LSA, Beschl. v. 18.09.2008 - 3 M 511/08 -). Denn im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht konnten die nunmehr präsenten Beweismittel tatsächlich noch nicht vorgelegt werden.
10 
Nach der nunmehr vorliegenden gutachtlichen Stellungnahme des isw vom 16.06.2010 wird auch unter „schalltechnisch ungünstigen betrieblichen Gegebenheiten“ bezüglich der Einsatzdauer stationärer Werkzeugmaschinen sowie der Werkstattlüftung durch Öffnen von Fensterflügeln selbst der zur Beurteilung der Lärmwirkung vorsorglich herangezogene, für allgemeine Wohngebiete maßgebende (Lärm-)Immissionswert „tags“ vor der nordwestlichen Hausfassade des westlichen Hauses unterschritten. In Ermangelung entsprechender technischer Daten blieben lediglich die Immissionsanteile der Späneabsaugung sowie eines (nur selten betriebenen) Wandventilators rechnerisch außer Ansatz. Insofern wurde in der Stellungnahme jedoch klargestellt, dass, sollten diese Gebläse wider Erwarten einen wesentlichen Beitrag zur Lärmeinwirkung auf das Bauvorhaben aufweisen, eine hinreichende Lärmminderung mit überschaubarem technischen (und wirtschaftlichem) Aufwand kurzfristig erreicht werden könnte. Entsprechende Maßnahmen wären nach dem Gebot der Rücksichtnahme auch ohne Weiteres zumutbar (vgl. auch § 22 Abs. 1 BImSchG; BVerwG, Urt. v. 23.09.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314; Urt. v. 18.05.1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235).
11 
Die Richtigkeit des Ergebnisses der nunmehr vorliegenden gutachtlichen Stellungnahme wird auch nicht durch die nicht näher substantiierten Einwände der Antragstellerin in Frage gestellt. Soweit sie geltend macht, dass nicht berücksichtigt worden sei, dass „die Maschinen manchmal auch gleichzeitig liefen“, geht dies fehl. Denn davon, dass entgegen der Annahme in der gutachtlichen Stellungnahme auch ein zeitgleicher Betrieb mehrerer Werkzeugmaschinen im Last lauf stattfände (Abschnitt 3.3), war weder aufgrund der bisherigen Angaben des Betriebsinhabers vom 01.06.2010 noch aufgrund derer vom 15.07.2010 (AS 249) auszugehen. Soweit die Antragstellerin unter dem 24.08.2010 nunmehr erstmals geltend macht, dass der gelegentlich eingesetzte Mitarbeiter, der die Werkzeugmaschinen nicht selbständig bedienen dürfe, nach deren vorheriger Einstellung „durchaus auch alleine bestimmte Materialien mit dem Vorschub durchlassen dürfe“, ist auch nicht ansatzweise zu erkennen, dass dieser Umstand trotz der im Übrigen angenommenen ungünstigen Bedingungen dazu führen könnte, dass die für die hier wohl vorliegende Gemengelage nach der sog. Mittelwertrechtsprechung voraussichtlich maßgeblichen Werte (eines Mischgebiets) überschritten würden (vgl. TA Lärm 1998, Abschn. 6.7; BVerwG, Urt. v. 18.05.1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235; Senat, Beschl. v. 11.01.2005 - 5 S 1444/04 -; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 04.10.1991 - 3 S 2087/91 -, BauR 1992, 45, Urt. v. 21.04.1995 - 3 S 2514/94 -, VBlBW 1995, 481).
12 
Inwiefern in der gutachtlichen Stellungnahme keine Berücksichtigung gefunden hätte, dass die Fenster im Sommer oft mehrere Stunden sowohl am Vor- und Nachmittag geöffnet würden, ist ebenso wenig zu erkennen. So ist rechnerisch berücksichtigt worden, dass ein Fensterflügel in der Nordwestfassade ständig und das Fenster im Maschinenraum in der Südostfassade intermittierend geöffnet würde. Die zum Bauvorhaben des Beigeladenen hin orientierten „großen“ Fenster sind ohnedies festverglast. Soweit die Antragstellerin neuerdings geltend macht, auch die (nach Nordwesten ausgerichteten) Fenster im Bankraum würden bei Bedarf gekippt, ist gänzlich unwahrscheinlich, dass dies zu qualitativ anderen Ergebnissen führte.
13 
Auch mit dem Einwand, dass vor Ort keine Messungen durchgeführt worden waren, lässt sich die gutachtliche Stellungnahme nicht in Frage stellen. Darauf, dass eine auf der Grundlage einschlägiger Emissionskennwerte und unter Berücksichtigung schalltechnisch ungünstiger betrieblicher Randbedingungen durchgeführte rechnerische Ermittlung der Lärmeinwirkung auf die Umgebung Ergebnisse mit deutlich größerer Sicherheit als kurzdauernde Schallpegelmessungen erbringen, hat bereits das Ingenieurbüro iws in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30.07.2010 hingewiesen (vgl. AS 255 ff.); dies leuchtet unmittelbar ein und ist dem Senat auch aus anderen Verfahren bekannt.
14 
Spricht vor diesem Hintergrund nicht nur nichts dafür, dass bei der derzeit üblichen Betriebsweise die maßgeblichen Immissionsgrenzwerte für die hier wohl vorliegende Gemengelage überschritten, sondern sogar die Immissionsgrenzwerte für allgemeine Wohngebiete eingehalten würden, liegt der vom Verwaltungsgericht seinerzeit noch zu Recht für möglich gehaltene Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme nunmehr eher fern.
15 
Soweit die Antragstellerin demgegenüber darauf verweist, dass die Schreinerei ihren Betrieb jederzeit wieder in dem ursprünglich betriebenen Umfang aufnehmen, insbesondere weitere Mitarbeiter beschäftigt werden könnten, führt auch dies nicht auf einen Mangel der gutachtlichen Stellungnahme und einen nicht von der Hand zu weisenden Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
16 
Zwar wäre die Antragstellerin in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nicht auf die derzeitige Betriebsweise festgelegt, nachdem eine neuerliche Ausweitung der Schreinerwerkstatt von den ihrem Rechtsvorgänger erteilten Baugenehmigungen im Hinblick auf die seinerzeit vorliegende Baubeschreibung - ggf. nach Erfüllung der Auflage Nr. 11 - ohne Weiteres gedeckt wäre. Dass auf diese Genehmigung von der Antragstellerin oder ihrem Rechtsvorgänger teilweise verzichtet worden wäre, sodass sie sich teilweise erledigt hätte (vgl. § 43 Abs. 2 LVwVfG), ist nicht ersichtlich (vgl. hierzu BayVGH, Urt. v. 20.02.2003 - 15 B 00.1363 -, NVwZ-RR 2003, 726). Auch infolge der jahrelangen eingeschränkten Nutzung („Ein-Mann-Betrieb“) ihres Pächters ist die Baugenehmigung noch nicht (teilweise) unwirksam geworden (vgl. zu dieser Möglichkeit bei zeitweiliger Nichtausnutzung einer Baugenehmigung weiterhin BVerwG, Beschl. v. 05.06.2007 - 4 B 20.07 -, BauR 2007, 1697). Insbesondere kann darin kein die Antragstellerin bindender Teilverzicht gesehen werden (vgl. Nieders. OVG, Beschl. v. 20.07.2009 - 1 LA 103/07 -, NVwZ-RR 2009, 910). Aus den Urteilen des beschließenden Gerichtshofs vom 04.03.2009 - 3 S 1467/07 - (BauR 2009, 1881) und 19.10.2009 - 5 S 347/09 - (VBlBW 2010, 111) können die Beschwerdeführer nichts anderes herleiten.
17 
Jedoch richtetet sich das Maß an Rücksichtnahme, welches das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Rücksichtnahmegebot dem Bauinteressenten abverlangt, maßgeblich nach den tatsächlichen Gegebenheiten. Nach § 34 Abs. 1 BBauG bildet die Eigenart der näheren Umgebung den für das Einfügen maßgeblichen Bezugsrahmen. Ihr städtebauliches Gepräge erhält diese Umgebung durch die tatsächlich vorhandene Bebauung bzw. tatsächlich ausgeübte Nutzung. Diese bestimmt daher auch den Inhalt des Rücksichtnahmegebots (vgl. BVerwG, Urt.v. 14.01.1993 - 4 C 19.90 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 155). Dies schließt zwar nicht aus, dass die einer Schreinerei eigene Variationsbreite bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen ist, welchen Beeinträchtigungen der Rücksichtnahmeverpflichtete im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB als Folge der prägenden Wirkung der in der Umgebung vorhandenen Bebauung ausgesetzt werden soll (vgl. BVerwG, Urt.v. 14.01.1993, a.a.O.). Ob die von ihr ausgehenden Wirkungen den Rahmen des Zumutbaren überschreiten, richtet sich jedoch nach der konkreten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Rechtsgüter, die sich ihrerseits nach der bebauungsrechtlichen Prägung der Situation und nach den tatsächlichen oder planerischen Vorbelastungen bestimmen (vgl. BVerwG, Urt. v. 14.01.1993, a.a.O.). Insofern kann die seit einigen Jahren bestehende Betriebsweise der Schreinerwerkstatt nicht außer Ansatz bleiben, zumal keine Hinweise vorliegen, dass sich an dieser in absehbarer Zeit etwas änderte (vgl. Senat, Urt. v. 20.05.2003 - 5 S 2751/01 -, ESVGH 53, 212).
18 
Insofern liegt es vor dem Hintergrund der nunmehr vorliegenden Stellungnahmen eher fern, dass das Wohnbauvorhaben des Beigeladenen gegenüber der Schreinerwerkstatt nicht den Abstand wahrte, durch den sichergestellt ist, dass es bei der gebotenen Berücksichtigung der Situationsgebundenheit des Baugrundstücks einerseits und etwa zu ergreifender Lärmminderungsmaßnahmen andererseits keinen unzumutbaren Immissionen ausgesetzt würde. Bei einer etwaigen, nicht ausgeschlossenen Ausweitung des Betriebs der Schreinerwerkstatt hätte diese ihrerseits Rücksicht auf die an sie näher herangerückte Wohnbebauung zu nehmen und zu gewährleisten, dass von dem Betrieb auch künftig keine unzumutbaren Lärmwirkungen ausgehen (vgl. auch § 22 Abs. 1 BImSchG).
19 
Auch die allein noch in Rede stehenden, über das Kamin abgeleiteten Rauchemissionen rechtfertigen keine andere Beurteilung. Nach der Stellungnahme des Bezirksschornsteinfegermeisters vom 05.10.2010 rühren diese von einem Warmluftofen mit einer Leistung von lediglich 45 KW her, der allein zur Beheizung der Werkstatt betrieben wird. Dass mit dessen Betrieb auch bei Beachtung der sich aus der 1. BImSchV (Verordnung über kleine und mittlere Feuerungsanlagen) ergebenden Anforderungen schädliche Umwelteinwirkungen für das geplante Wohnbauvorhaben verbunden wären, erscheint insofern eher fernliegend (vgl. zu Hausfeuerungsanlagen VGH Bad.-Württ., Urt. v. 05.09.1989 - 10 S 1712/88 -, NJW 1990,1930). Zwar mag dies mit Blick auf die derzeitige Höhe der Austrittsöffnung des Schornsteins bei nicht auszuschließendem Westwind nicht von der Hand zu weisen sein, doch wäre es dem Betreiber und Rücksichtnahmebegünstigten vor dem Hintergrund der inzwischen erklärten Kostenübernahme durch den Beigeladenen ggf. seinerseits zuzumuten, den Kamin zu erhöhen (vgl. § 22 Abs. 1 BImSchG, § 19 Abs. 1 Nr. 2 1. BImSchV n.F.; BVerwG, Urt. v. 18.05.1995, a.a.O.; Urt. v. 23.09.1999, a.a.O.), nachdem jener immerhin durch eine entsprechende Grundrissgestaltung und Ausrichtung der Außenwohnbereiche nach Südwesten Rücksicht genommen hat. Dass die Schreinerwerkstatt vor der heranrückenden Wohnbebauung errichtet worden war, ändert nichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.09.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314).
20 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 9, 19.1. u. 16.1.6 des Streitwertkatalogs vom Juli 2004 (vgl. zum Streitwert bei einer störungspräventiven Nachbarklage Senat, Beschl. v. 24.02.2010 - 5 S 1777/09 -, NVwZ-RR 2010, 542).
21 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Tenor

Die Beschwerde der Antragsstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. Juli 2010 – 10 L 446/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die 1978 in Gjakove (Djakovica) im heutigen Kosovo geborene Antragstellerin wendet sich gegen die Rücknahme einer ihr im Juli 2008 erteilten Niederlassungserlaubnis. Im vorliegenden Verfahren begehrt sie die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres dagegen eingelegten Rechtsbehelfs.

Die Antragstellerin heiratete im November 2002 in der Schweiz den deutschen Staatsangehörigen Ibrahim H, reiste im April 2005 in die Bundesrepublik Deutschland ein und erhielt im Mai 2005 zunächst eine befristete Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft mit dem damals in St. Ingbert lebenden Ehemann, die 2006 bis zum Mai 2008 verlängert wurde.

Nachdem die Antragstellerin und der Ehemann am 8.7.2008 im Rahmen einer gemeinsamen Vorsprache beim Antragsgegner erklärt hatten, dass sie weiterhin in ehelicher Gemeinschaft lebten, deren Aufgabe nicht beabsichtigten und insbesondere kein Scheidungsverfahren eingeleitet worden sei, (vgl. insoweit die von beiden (damaligen) Ehepartnern unterzeichnete Erklärung vom 8.7.2008, Blatt 106 der Ausländerakte) wurde der Antragstellerin unter demselben Datum eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt.

Im November 2008 wurde die kinderlos gebliebene Ehe auf übereinstimmenden Antrag beider Eheleute rechtskräftig geschieden. Im Tatbestand des Scheidungsurteils des Amtsgerichts St. Ingbert (vgl. das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht – St. Ingbert vom 28.11.2008 – 4 F 163/08 S – mit entsprechendem Rechtskraftvermerk, Blätter 122 ff. der Ausländerakte) heißt es, die persönliche Anhörung habe ergeben, dass die Ehegatten zum Scheidungszeitpunkt seit mindestens einem Jahr getrennt lebten.

Mit Datum vom 16.4.2010 nahm der Antragsgegner die Niederlassungserlaubnis der Antragstellerin unter Hinweis auf die Angaben im Scheidungsverfahren zurück und erklärte diese Entscheidung gleichzeitig für sofort vollziehbar. Auf dieser Grundlage könne entgegen den seinerzeitigen Angaben der Antragstellerin nicht vom Vorliegen beziehungsweise dem Fortbestand einer ehelichen Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt der Erteilung des Titels ausgegangen werden. An diesen Aussagen müsse sich die Antragstellerin festhalten lassen. Da mithin bereits im Juli 2008 von einem Getrenntleben auszugehen gewesen sei, habe die Antragstellerin die Erteilung der Niederlassungserlaubnis durch falsche Angaben erwirkt.

Die Antragstellerin hat im Mai 2010 Widerspruch erhoben und gleichzeitig einen Aussetzungsantrag beim Verwaltungsgericht gestellt. Sie hat geltend gemacht, die Niederlassungserlaubnis sei aufgrund zutreffender Angaben erteilt worden. Eine Trennung sei erst nach der Antragstellung ins Auge gefasst worden. Der damalige Ehemann habe vor dem Familiengericht erklärt, er habe sich erst im August 2008 entschieden, „getrennte Wege zu gehen“, ihr – der Antragstellerin – diese Absicht bis dahin nicht mitgeteilt und im Oktober 2008 die Scheidung beantragt. Erst als die Niederlassungserlaubnis bereits erteilt gewesen sei, habe sie vermutet, dass ihr Mann in der Schweiz, wo er seit Ende 2006 gearbeitet habe, eine andere Frau kennen gelernt hatte. Sie sei mehr als sechs Jahre mit einem deutschen Staatsbürger verheiratet gewesen, erwerbstätig und in der Lage den eigenen Unterhalt zu sichern. Inzwischen sei sie wieder verheiratet. Der neue Ehemann lebe noch im Kosovo.

Das Verwaltungsgericht hat den Aussetzungsantrag im Juli 2010 zurückgewiesen. In der Begründung heißt es unter anderem, die Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung des Antragsgegners unterliege keinen durchgreifenden Zweifeln. Die der Erteilung des Titels zugrunde liegende Erklärung der Antragstellerin erweise sich aufgrund der vom Familiengericht im Scheidungsverfahren getroffenen Feststellungen als „fehlerhaft“. Die im Sitzungsprotokoll des Amtsgerichts wiedergegebenen Äußerungen des damaligen Ehemannes befassten sich ausschließlich mit der Frage, wann sich dieser zur Scheidung entschlossen habe, nicht hingegen mit dem hier allein entscheidenden Zeitpunkt der Trennung. Dass entsprechend der Darstellung der Antragstellerin bis August 2008 eine eheliche Lebensgemeinschaft bestanden haben sollte, lasse sich auch seinen übrigen Einlassungen nicht entnehmen. Dieser habe sogar in seinem Scheidungsantrag vom Oktober 2008 ausgeführt, dass es „eigentlich nie zu einer Lebensgemeinschaft der Ehegatten gekommen“ beziehungsweise eine solche „lediglich kurzzeitig … hergestellt“ worden sei und dass die Ehepartner im Übrigen immer getrennt gelebt und nie füreinander Verantwortung übernommen hätten. Die Antragstellerin habe selbst vorgetragen, sie sei im „Juni oder Juli 2008 aus der ehelichen Wohnung ausgezogen“. Soweit die Antragstellerin auf „taktische Erwägungen“ für ihren Vortrag verweise, so könne diese nicht im ausländerrechtlichen sowie im Scheidungsverfahren diametral entgegen gesetzte Angaben machen und sich in dem jeweiligen Verfahren die zur Erlangung der jeweils vorteilhafteren Rechtsstellung günstigen Tatsachen „heraussuchen“.

Gegen diesen Beschluss richtet sich das Rechtsmittel der Antragstellerin.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6.7.2010 – 10 L 446/10 – muss erfolglos bleiben. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Rücknahmebescheid des Antragsgegners vom 16.4.2010 wieder herzustellen. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO den gerichtlichen Prüfungsumfang abschließend bestimmende Vorbringen in der Beschwerdebegründung vom 16.7.2010 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens in der Hauptsache. Auch auf dieser Grundlage unterliegt die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Verwaltungsentscheidung am Maßstab des einschlägigen § 48 SVwVfG (vgl. dazu zuletzt allgemein OVG des Saarlandes, Urteil vom 11.3.2010 – 2 A 491/09 –) keinen ernsthaften Bedenken.

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass nach gegenwärtigem Erkenntnisstand alles dafür spricht, dass bei der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG) am 8.7.2009 die rechtlichen Voraussetzungen, hier speziell des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, nicht vorgelegen haben, weil für diesen Zeitpunkt bereits nicht (mehr) vom Fortbestehen der familiären Lebensgemeinschaft mit dem damaligen Ehemann Ibrahim H ausgegangen werden kann.

Insoweit mag dahinstehen, ob eine in den Schutzbereich des Art. 6 GG27 Abs. 1 AufenthG) fallende und daher von den Ausländerbehörden bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigende Lebensgemeinschaft, die Grundlage der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen über den Ehegattennachzug ist, zwischen der Antragstellerin und Herr H entgegen dessen Angaben im Scheidungsantrag an das Amtsgericht St. Ingbert vom 15.10.2008 jemals bestanden hat. Die Antragstellerin ist unstreitig nach der im November 2002 in der Schweiz erfolgten Heirat im Jahre 2003 zunächst in den Kosovo zurückgekehrt und hat dort bis zur Einreise nach Deutschland im Mai 2005 ohne den Ehemann, der sich damals in der Bundesrepublik aufhielt, gelebt. Seit Ende 2006 hat Herr H seinen Lebensmittelpunkt – ebenfalls unstreitig – wieder in die Schweiz verlegt, wo er eine Arbeitsstelle gefunden hatte. Die Antragstellerin lebte in dieser Zeit (ausschließlich) in Deutschland.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass derartige – insbesondere beruflich bedingte – auch längere räumliche Trennungen von Ehepartnern nicht automatisch die Annahme einer Aufgabe der familiären Lebensgemeinschaft rechtfertigen. Diese erfordert nicht unbedingt das Vorliegen einer ständigen häuslichen Gemeinschaft der Ehepartner, allerdings im Falle einer dauerhaften räumlichen Trennung die Feststellung zusätzlicher Anhaltspunkte, um das Fehlen eines gemeinsamen Lebensmittelpunkts weitgehend auszugleichen. (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 27.1.1998 – 1 C 28.96 –, NVwZ 1998, 279, und allgemein beispielsweise Göbel-Zimmermann in: Huber, Aufenthaltsgesetz, 1. Auflage 2010, § 27 Rn 6 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung;) Bei einer berufs- und ausbildungsbedingten Trennung der Familienmitglieder setzt die Anerkennung einer familiären Lebensgemeinschaft daher zwingend voraus, dass die Angehörigen regelmäßigen Kontakt zueinander pflegen, der über bloße Besuche hinausgeht und in dem die besondere persönliche und emotionale Verbundenheit im Sinne einer Beistandsgemeinschaft zum Ausdruck kommt. (vgl. insoweit zur Eltern-Kind-Beziehung bei einem wegen Besuchs eines Internats dauerhaft im Heimatland lebenden Sohn OVG des Saarlandes, Beschluss vom 9.11.2009 – 2 B 449/09 –, SKZ 2010, 72, Leitsatz Nr. 65)

Dass davon hier für die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung nicht ausgegangen werden kann, hat das Verwaltungsgericht eingehend begründet. Es hat insbesondere zu Recht darauf hingewiesen, dass sich die Betroffenen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren in aller Regel an ihren Angaben in einem Ehescheidungsverfahren, insbesondere zum Zeitpunkt der tatsächlichen Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, festhalten lassen müssen. Das gilt auch für gerichtliche Aussetzungsersuchen der vorliegenden Art. Danach kann für den Juli 2008 entgegen den Angaben der Antragstellerin keine fortbestehende familiäre Lebensgemeinschaft zwischen ihr und Herrn H angenommen werden.

Was die Antragstellerin mit der Beschwerde einwendet, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Kaum nachzuvollziehen ist der Einwand, es sei „eine Tatsache“, dass die persönliche Anhörung vor dem Familiengericht nicht ergeben habe, dass die Eheleute bei Ausspruch der Scheidung im November 2008 seit einem Jahr getrennt gelebt hätten. Mit Blick auf § 1566 Abs. 1 BGB, der bei – wie hier – übereinstimmenden Scheidungsbegehren beider Ehepartner nach Ablauf des Trennungsjahres eine unwiderlegliche Vermutung für das Scheitern der Ehe begründet, kann die Feststellung des Familiengerichts, dass die Antragstellerin und Herr H damals „seit mindestens einem Jahr… getrennt“ lebten sicher nicht, wie die Antragstellerin das jetzt gern verstanden wissen will, als bloße „nachrichtliche“ und insoweit fallbezogen sinnlose Mitteilung der gesetzlichen Voraussetzungen für die Scheidung „ohne Beweiskraft“ verstanden werden, sondern als – im Übrigen rechtskräftige – Feststellung ihres tatsächlichen Vorliegens. Danach bestand spätestens seit November 2007 keine eheliche Lebensgemeinschaft mehr. Der frühere Ehemann der Antragstellerin hat ausweislich des Anhörungsprotokolls vom 28.11.2008 auf die ausdrückliche Rückfrage des Familienrichters eindeutig klargestellt, dass der von ihm zuvor genannte Zeitpunkt im August 2008, ab dem er den Entschluss gefasst habe, „getrennte Wege zu gehen“, sich auf das Scheidungsbegehren, nicht – wie die Antragstellerin nun erneut vorträgt – auf den Zeitpunkt der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft bezog. Genau das hat das Verwaltungsgericht in der in der Beschwerdebegründung zitierten Passage des angegriffenen Beschlusses zutreffend ausgeführt.

Auf die durch die Schilderung der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz Ende des Jahres 2006 nachvollziehbar veranlasste Frage, ob er in dieser Zeit die Antragstellerin besucht habe, hat Herr H, nach dessen – von der Antragstellerin bestrittener – Darstellung im Scheidungsantrag es „eigentlich nie zu einer ehelichen Lebensgemeinschaft … gekommen“ sein soll, sogar nicht einmal solche Besuche bestätigt, sondern lediglich ausgeführt, dass die Antragstellerin „bei ihrem Onkel gelebt“ habe. Die Antragstellerin selbst hat bei der Anhörung ebenfalls keine Tatsachen vorgetragen, aus denen das Familiengericht auf einen späteren Zeitpunkt der tatsächlichen Aufhebung der Lebensgemeinschaft oder gar auf die Nichteinhaltung des Trennungsjahres im Sinne des § 1566 Abs. 1 BGB hätte schließen können. Sie hat berichtet, sie habe Ende 2006 „zunächst“ mit dem damaligen Ehemann in die Schweiz ziehen wollen. „Irgendwann“ sei es dann aber „nicht mehr wie vorher“ gewesen, so dass sie „glaube“, im Juni oder Juli (2008) aus der Wohnung in St. Ingbert ausgezogen zu sein. Auf den letztgenannten Zeitpunkt beziehungsweise auf den Auszug als solchen kommt es nach dem zuvor Gesagten nicht an. Er lässt keinen Rückschluss zu, dass bis dahin eine eheliche Lebensgemeinschaft (fort)bestanden hat. Schon von daher käme es auf die Aussagen der für den Zeitpunkt des „Auszugs“ der Antragstellerin aus der Wohnung in St. Ingbert allgemein angekündigten Zeugen – auch hauptsachebezogen – nicht an. Für eine Beweisaufnahme im Rahmen des Aussetzungsverfahrens ist – zusätzlich – auch mit Blick auf das verfassungsrechtliche Effektivitätsgebot (Art. 19 Abs. 4 GG) regelmäßig kein Raum. (vgl. hierzu etwa OVG des Saarlandes, Beschluss vom 15.1.2009 – 2 B 376/08 –, SKZ 2009, 240, Leitsatz Nr. 31)

Was die nunmehr abweichende Darstellung der Antragstellerin, wonach sie mit Herrn H bis zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis im Juli 2008 eine „Wochenendehe“ geführt habe, was im Übrigen eine Scheidung im November desselben Jahres nach den Fallumständen nicht zugelassen hätte, und ihren Hinweis auf lediglich „verfahrenstaktisch“ veranlasste nun angeblich unwahre Angaben vor dem Familiengericht anbelangt, so könnte angesichts der zuvor geschilderten Erkenntnislage auch der nunmehr abweichende Vortrag gegenüber dem Antragsgegner und in dem vorliegenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren als „taktisch“ bedingt erheblich in Zweifel gezogen werden. Vertieft werden muss das hier nach dem zuvor Gesagten nicht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3, 52 Abs. 2, 47 GKG 2004, wobei eine Halbierung des Auffangstreitwerts gerechtfertigt erscheint.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.