Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Urteil, 14. Aug. 2014 - 3 LB 15/12

ECLI:ECLI:DE:OVGSH:2014:0814.3LB15.12.0A
bei uns veröffentlicht am14.08.2014

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig- Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 12. April 2012 – Einzelrichter der 15. Kammer – geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 02.08.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.09.2010 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die entstandenen Kosten für eine Schulbegleitung während der Klassenfahrt vom 27.09. bis 01.10.2010 nach Föhr in Höhe von 630,60 € zu erstatten.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der im Jahr 2001 geborene Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für die Schulbegleitung auf einer Klassenfahrt vom 27. September bis 01. Oktober 2010 nach Föhr.

2

Der Kläger wurde im Jahr 2007 in die Grundschule A-Stadt eingeschult. Nachdem er schon im Kindergarten eine Frühförderung erhalten hatte, wurde im September 2007 ein Gutachten zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs erstellt. Es wurde festgestellt, dass ein sonderpädagogischer Förderbedarf bestand, dessen Schwerpunkt in der emotionalen und sozialen Entwicklung lag. Dies bestätigte das amtsärztliche Gutachten vom 10. Oktober 2007. Auf Grund dessen bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 10. Dezember 2007 die Übernahme der Kosten für eine integrative Schulbegleitung durch eine Kraft der Lebenshilfe B-Stadt im Rahmen der Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII.

3

Da die Schulbegleitung auch weiterhin erforderlich blieb, gewährte der Beklagte die Begleitung auch in den Folgejahren weiter und weitete sie auf die Hausaufgabenbetreuung aus. Mit dem Hilfeplan vom 02. Juli 2010 wurde beschlossen, die Eigenständigkeit des Klägers zu fördern, indem die gewährten Stunden für die Schulbegleitung reduziert wurden. Dies erfolgte durch den Bescheid vom 06. Juli 2010. (Die Reduzierung der Betreuungsstunden ist inzwischen wieder aufgehoben worden, der Kläger erhält nach wie vor Schulbegleitung und Hausaufgabenbetreuung wie ursprünglich genehmigt.)

4

Mit dem Schreiben vom 15. Juli 2010 beantragten die Eltern des Klägers die Übernahme von Mehrstunden für die Schulbegleitung im Rahmen einer Klassenfahrt nach Föhr vom 27. September bis 01. Oktober 2010. Der Antrag wurde damit begründet, dass es sich um eine schulische Pflichtveranstaltung handele, die dem Kläger in seiner Entwicklung weiterhelfen würde. Allerdings könnten die Eltern die Mehrkosten weder aus eigener Tasche begleichen noch selbst die Klassenfahrt begleiten, da sie noch zwei kleine Kinder und eine kranke Mutter zu betreuen hätten.

5

Der Beklagte lehnte mit dem Bescheid vom 02. August 2010 die Maßnahme ab. Dagegen erhoben die Eltern des Klägers mit dem Schreiben vom 18. August 2010 Widerspruch, den sie damit begründeten, dass der Kläger dadurch von der Teilnahme am Leben der Gesellschaft ausgeschlossen würde, was mit dem Ziel des § 53 SGB XII nicht zu vereinbaren sei. Ohne Begleitung könne er an der Klassenfahrt nicht teilnehmen. Außerdem dürfe nach Art. 3 Abs. 3 GG niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Schule des Klägers unterstützte den Widerspruch des Klägers mit der Stellungnahme vom 30. August 2010. Sie stellte dar, dass die Klassenfahrt der seelischen Entwicklung des Klägers helfen würde, dass jedoch eine Beaufsichtigung des Klägers durch die Klassenlehrerin, die für 25 Schüler verantwortlich sei, nicht möglich sei und keine weiteren Lehrkräfte entbehrlich seien. Die Schule bat um Bewilligung der Begleitung, „damit auch an der Klassenfahrt teilnehmen könnte“.

6

Die Beklagte wies daraufhin den Widerspruch des Klägers mit dem Widerspruchsbescheid vom 08. September 2010 zurück. Es lägen keine Verhaltens- oder sonstigen Auffälligkeiten bei dem Kläger vor, die eine Teilnahme an der Klassenfahrt ohne Schulbegleitung unmöglich machten. Es sei lediglich ein Problem der Beaufsichtigung, für das vorrangig die Schule verantwortlich sei. Des Weiteren würde der Kläger durch die Begleitperson an der sozialen Integration in der Klassengemeinschaft behindert.

7

Gegen diese Entscheidung erhob der Kläger mit dem Schriftsatz vom 01. Oktober 2010 Klage bei dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht. Der Kläger habe noch immer Orientierungsschwierigkeiten in der Schule, insbesondere außerhalb des gewohnten Klassenraums. Auch fiele es ihm noch immer schwer, sich alleine an- und auszuziehen. Es sei daher auch seitens der Schule keinesfalls möglich gewesen, den Kläger ohne Begleitung an der Klassenfahrt teilnehmen zu lassen. Auch sei es nicht Aufgabe der Schule gewesen, eine Begleitperson zu organisieren. Mit Bescheid vom 17. Mai 2011 hat das Landesamt für Soziale Dienste das Merkmal „B“ (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) zuerkannt; daraus ergebe sich, dass der Kläger nicht nur jetzt, sondern auch schon im September 2010 auf eine Begleitperson angewiesen (gewesen) sei.

8

Der Kläger hat an der Klassenfahrt teilgenommen und ist selbst für die Kosten der Begleitperson aufgekommen.

9

Der Kläger hat beantragt,

10

den Bescheid des Beklagten vom 02. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08. September 2010 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die entstandenen Kosten für eine Schulbegleitung während der Klassenfahrt vom 27. September bis 01. Oktober 2010 nach Föhr in Höhe von 630,60 zu erstatten.

11

Der Beklagte hat beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Der Beklagte hat ausgeführt, dass die Entwicklung des Klägers inzwischen so weit fortgeschritten sei, dass die Stunden der Begleitung reduziert werden sollten und er lernen solle, sich Situationen ohne Begleitperson zu stellen. Des Weiteren sei die Schule für die Aufsichtspflicht zuständig, da es keine Verhaltensauffälligkeiten gäbe, die die soziale Teilhabe des Klägers unmöglich machten.

14

Mit Urteil vom 12. April 2012 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass dem Beklagten eine Einschätzungsprärogative zustehe, die gerichtlich nur auf die Verletzung äußerer Grenzen überprüfbar sei. Diese seien nicht verletzt. Insbesondere ginge es bei einer Klassenfahrt nicht um die Vermittlung von Unterrichtsstoff, sondern um den Erwerb sozialer Kompetenzen. Daher sei es gerade in diesem Fall geeignet, die Selbstständigkeit des Klägers zu testen und zu fördern.

15

Des Weiteren sei nicht ersichtlich gewesen, dass eine Schulbegleitung erforderlich gewesen sei, da es sich lediglich um ein Problem der schulischen Aufsichtspflicht handelte. Auch habe die Anwesenheit der Schulbegleitung nicht alle Unwägbarkeiten ausschließen können, da der Kläger trotz Begleitung mit Halbschuhen eine Wattwanderung habe mitmachen müssen und in einen Gezeitenbrunnen gefallen sei. Für die Voraussetzung eines Ersatzanspruches nach § 36 a Abs. 3 SGB VIII fehle es überdies an einem rechtzeitigen Inkenntnissetzen des Beklagten. Die Klassenfahrt sei schon viel früher bekannt gewesen und man hätte auf ein anderes Ausflugsziel hinarbeiten können. Auch hätte stärker auf die Mitwirkung der Mitschüler hingewirkt werden können, die im Rahmen der Inklusion als Mentoren eine altersentsprechende Verantwortung hätten übernehmen können.

16

Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers. Zu deren Begründung trägt er ergänzend vor, dass der Beklagte rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden sei, da es ihm bereits im August möglich gewesen sei, eine Sachentscheidung zu treffen. Es sei überdies abwegig davon auszugehen, dass die Eltern des Klägers das Ziel der Klassenfahrt hätten beeinflussen können. Auch wären die gleichen Probleme an anderen Orten aufgetreten, da der Kläger sich in neuen Umgebungen nicht zurechtfinde und Hilfe beim Anziehen brauche. Es sei auch unverständlich, dass davon ausgegangen werde, die Anwesenheit der Schulbegleitung müsse jede Unwägbarkeit ausschließen können. Es könne auch 9-jährigen Mitschülern nicht zugemutet werden, sich in dieser verantwortungsvollen Weise um einen behinderten Mitschüler zu kümmern. In der mündlichen Verhandlung haben die Eltern des Klägers betont, dass gerade die Schulbegleitung es ihm ermögliche, an der Klassengemeinschaft teilzuhaben, da diese dafür sorge, dass er rechtzeitig seine Aufgaben erledige und nicht ständig alle anderen auf ihn warten müssten. Die Reduzierung der Stunden für die Begleitperson sei auch wieder aufgehoben worden.

17

Der Kläger beantragt,

18

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den in erster Instanz gestellten Anträgen des Klägers zu erkennen.

19

Der Beklagte beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Der Beklagte nimmt Bezug auf sein bisheriges Vorbringen, insbesondere ist er der Auffassung, dass die erwachsene Begleitperson keine geeignete Maßnahme gewesen sei.

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Gerichtsakte 15 B 49/10 sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 2. August 2010 in Form des Widerspruchsbescheides vom 8. September 2010 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

24

Dem Kläger steht ein Kostenerstattungsanspruch aus § 36a Abs. 3 SGB VIII zu. Danach ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zum Ersatz der Aufwendungen verpflichtet, wenn der Leistungsberechtigte den Träger öffentlicher Jugendhilfe von dem Hilfebedarf rechtzeitig in Kenntnis gesetzt hat, die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe vorlagen und die Deckung des Bedarfs bis zu der Entscheidung über das Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

25

Die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe lagen vor. Unstreitig hat der Kläger einen Anspruch auf Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII, da seine seelische Gesundheit länger als sechs Monate von dem für sein Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher seine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Aus diesem Grund hat er auch seit seiner Einschulung eine Schulbegleitung bewilligt erhalten. Grundlage dafür waren jeweils die Hilfepläne. Mit dem letzten Hilfeplan vom 2. Juli 2010 war eine Reduzierung der Begleitstunden ab dem nächsten Schuljahr beschlossen worden. Diesen Hilfeplan hat der Beklagte seiner Entscheidung über die Ablehnung der Begleitung auf der Klassenfahrt zugrunde gelegt.

26

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Leistungsträger eine Einschätzungsprärogative für die Leistungsgewährung zusteht, die nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Bei einer aus fachlichen Gründen abgelehnten Leistung einer selbst beschafften Maßnahme ist zu prüfen, ob das Hilfekonzept verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist, nicht von sachfremden Erwägungen beeinflusst wurde und fachlich vertretbar ist (BVerwG Urteil vom 18.10.2012, - 5 C 21.11 -, juris). Dies erfasst auch die von der Behörde gegebene Begründung für die Entscheidung, da diese für den Betroffenen nachvollziehbar sein muss und ihn in die Lage versetzen muss, mittels einer Prognose zu entscheiden, ob die Selbstbeschaffung dennoch gerechtfertigt ist.

27

Die Entscheidung des Beklagten hält diesen Anforderungen nicht stand. Insbesondere ist die Begründung unter den in der Vergangenheit festgestellten Gesichtspunkten des Förderbedarfs nicht nachvollziehbar und fachlich nicht vertretbar.

28

Grundsätzlich sind auch Hilfen für besondere Schulveranstaltungen, wie z.B. Klassenfahrten möglich, wenn sie den Zielen der Eingliederungshilfe dienen (vgl. Jans/Happe/Saurbier/Harnach, Kinder- und Jugendhilferecht, Erl. § 35a Rn. 88, Stand: Juli 2013). Dabei muss berücksichtigt werden, dass nach § 10 Abs. 1 SGB VIII der Jugendhilfe Nachrang zu den Leistungsverpflichtungen der Schule zukommt. Die Abgrenzung, ob eine Maßnahme von der Schule oder von dem Jugendhilfeträger zu tragen ist und ob eine Konkurrenz im Sinne des § 10 Abs. 1 SGB VIII vorliegt, kann im Einzelfall problematisch sein, da die Übergänge nicht scharf zu trennen sind.

29

Es bestand in der beantragten Leistung eine andere Zwecksetzung, als die Leistungsverpflichtung der Schule. Zutreffend ist, dass die Stellungnahme der Schule vom 30. August 2010 lediglich von der mangelnden Möglichkeit der Aufsichtsführung ausgeht - allerdings auch davon, dass der Kläger ohne besondere Begleitperson nicht teilnehmen kann. Die Gewährleistung der Aufsicht ist zwar grundsätzlich die Pflicht der Schule, doch müssen die Aspekte berücksichtigt werden, die zu den Aufsichtsschwierigkeiten führen. Der dahinter stehende Grund kann ebenfalls zu der Leistungspflicht des Beklagten führen. Wie sich aus den Hilfeplänen und sonderpädagogischen Gutachten ergibt, steht die Förderung der Orientierung und Bewältigung des alltäglichen Ablaufs im Vordergrund. Dies dient der Integration des Klägers und ist nicht schulspezifischer Natur. Dieser Förderbedarf ist der entscheidende Grund, der die Aufsicht durch die Schule nicht möglich machte.

30

Dem Hilfeplan vom 2. Juli 2010 zu Folge sollte der Kläger nach und nach alleine in diese alltäglichen Situationen entlassen werden, indem sich die Schulbegleitung langsam aus dem Schulalltag zurückzieht. Diese Einschätzung wirkt für sich gesehen fachlich vertretbar und geeignet, die Integration des Klägers zu fördern. Dagegen ist es nicht fachlich vertretbar und nachvollziehbar, den Kläger in eine neue, mehrere Tage andauernde Situation ohne begleitende Hilfe zu lassen. Seit Beginn der Förderung ergibt sich aus den Hilfeplänen und Entwicklungsberichten durchgehend, dass der Kläger Schwierigkeiten damit hat, sich in neuen Situationen und Umgebungen zurechtzufinden und entsprechend zu reagieren. Er braucht lange, um sich an alltäglich wiederkehrende Abläufe zu gewöhnen und sich in diesen zu bewegen und Aufgaben wahrzunehmen. Auch wird wiederkehrend erwähnt, dass der Kläger Schwierigkeiten beim An- und Ausziehen hat und häufig verträumt und abwesend ist. Dadurch verpasst er den Anschluss oder die Möglichkeit einer Situation entsprechend zu reagieren. Des Weiteren hat er noch immer Probleme, sich sozial in das Klassengefüge zu integrieren, da er nicht gleichberechtigt behandelt wird. Daher besteht die Gefahr, dass er geschädigt wird, indem er sich nicht entsprechend zur Wehr setzt. Die Orientierungslosigkeit des Klägers ist insbesondere außerhalb des Klassenraums noch besonders groß, wie sich aus dem sonderpädagogischen Bericht vom 31. Mai 2010 ergibt. Selbst im Hilfeplan vom 2. Juli 2010 wird festgehalten, dass der Kläger gegebenenfalls in Hausschuhen von der Schule nach Hause laufen würde, Schwierigkeiten beim An- und Ausziehen bestehen, die gleichberechtigte Teilhabe am Spiel noch nicht besteht und die Ritualisierung gefördert werden soll. Diese zu fördernden Umstände waren gemäß dem Bericht der Schulbegleiterin der Aufgabenbereich, der von ihr auf der Klassenfahrt tatsächlich zu erbringen war.

31

Auf Grund dieser Tatsachen, die dem Beklagten bekannt waren, erscheint es nicht verständlich und fachlich begründet, den Kläger lediglich an die Aufsichtspflicht der Schule zu verweisen und in dieser Situation die Möglichkeit zu sehen, seine Selbstständigkeit zu trainieren. Bei den festgestellten Tatsachen handelt es sich um keine pädagogischen Aspekte, die zum Aufgabenbereich der Schule gehören. Es handelt sich um Tatsachen, die mit dem alltäglichen Leben zusammenhängen und auf die Behinderung des Klägers zurückzuführen sind. Diese Umstände bewirken, dass der Kläger einer besonderen Berücksichtigung bedarf, die nicht lediglich der allgemeinen schulischen Aufsicht unterfällt. Es handelt sich um individuell und speziell zu beachtende Umstände, die keinen schulspezifischen Zusammenhang haben.

32

Es ist auch nicht nachvollziehbar, den 9-jährigen Mitschülern die Aufsicht als „Mentoren“ zu übertragen. Dies mag für den gewohnten Ablauf in der Schule sinnvoll sein, doch ist 9- jährigen Schülern in einer unbekannten, aufregenden Situation wie einer Klassenfahrt nicht zuzutrauen, dass sie die verantwortungsvolle Übersicht für sich selbst, geschweige denn für einen behinderten Mitschüler selbstständig übernehmen. Dies muss auch unter dem Aspekt berücksichtigt werden, dass die Mitschüler den Kläger laut den Hilfeplänen noch nicht als gleichberechtigt behandeln und die Gefahr einer Schädigung besteht, weil sich der Kläger nicht hinreichend zur Wehr setzt.

33

Des Weiteren erscheint es nicht sinnvoll, den teilweisen Rückzug der Begleitung auf einer Klassenfahrt auszuprobieren. Es ist dem Kläger gerade nicht möglich, auf unbekannte Situationen zu reagieren und sich in fremden Umgebungen zurechtzufinden. Ausweislich des letzten Hilfeplans sollen ritualisierte, wiederkehrende Handlungen geübt werden und sich von diesen Handlungen langsam zurückgezogen werden. In diesem Kontext erscheint es geradezu abwegig, die Selbstständigkeit auf einer fünf-tägigen Klassenfahrt in einer völlig unbekannten Umgebung und mit vollständig unbekannten Abläufen trainieren zu wollen.

34

Auch der Auffassung, die Anwesenheit der Schulbegleitung sei wegen der Wattwanderung in Halbschuhen und des Sturzes in den Gezeitenbrunnen nicht geeignet gewesen, kann nicht gefolgt werden. Selbst durch eine Begleitperson kann nicht jede Unwägbarkeit ausgeschlossen werden. Des Weiteren könnte dem entgegen gehalten werden, dass sich durch die Anwesenheit der Begleitung nur zwei solcher Vorfälle ereignet haben, während ohne die Begleitung weitere Vorfälle wahrscheinlich gewesen wären. Wie dringend die Begleitung erforderlich war, ergibt sich vielmehr aus dem Bericht der Begleiterin von der Fahrt.

35

Dem Beklagten ist der Hilfebedarf auch rechtzeitig bekannt gegeben worden. Dem Träger öffentlicher Jugendhilfe muss der Hilfebedarf so rechtzeitig bekannt gegeben werden, dass er zu pflichtgemäßer Prüfung sowohl der Anspruchsvoraussetzungen als auch möglicher Hilfemaßnahmen in der Lage ist (vgl. Hauck/Noftz/Stähr, Sozialgesetzbuch SGB VIII, § 36a Rn. 26, Stand: Juli 2013; Jans/Happe/Saurbier/Werner, Kinder- und Jugendhilferecht, Erl. § 36a Rn. 35, Stand: Juli 2013). Der formelle Antrag wurde mit dem Schreiben vom 15. Juli 2010 gestellt, jedoch schon im Rahmen des Hilfeplangesprächs auf die bevorstehende Klassenfahrt hingewiesen und der Begleitbedarf geltend gemacht. Bei dem Merkmal des Inkenntnissetzens muss es sich nicht um einen formellen Antrag handeln, es reicht, dass für den Beklagten erkennbar war, dass der Bedarf bestand und die Hilfe geltend gemacht werden soll. Somit wurde der Beklagte fast drei Monate vor der Klassenfahrt von dem Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt. Es ist unbeachtlich, dass die Klassenfahrt schon vorher geplant war. Der Beklagte hatte genügend Zeit für eine Entscheidung, was sich auch daraus ergibt, dass er schon am 2. August 2010 zu einer endgültigen Entscheidung gelangte und auch vor Durchführung der Fahrt sogar über den Widerspruch entscheiden konnte. Es war schließlich nicht notwendig umfangreiche Gutachten oder Informationen einzuholen, da ein aktueller Hilfeplan bestand und die Situation des Klägers bekannt war.

36

Der Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass die Geltendmachung des Bedarfs verspätet sei, weil bei einer früheren Information des Beklagten die Möglichkeit bestanden hätte, Einfluss auf das Reiseziel zu nehmen, liegt neben der Sache. Abgesehen davon, dass es einzelnen Eltern kaum möglich sein dürfte, auf das Ziel einer Klassenfahrt Einfluss zu nehmen, hätte sich auch bei anderen Reisezielen die gleiche Situation der Hilfebedürftigkeit ergeben.

37

Die Leistung duldete auch keinen zeitlichen Aufschub, so dass die Leistung selbst beschafft werden durfte.

38

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO.

39

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

40

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.


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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

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Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in e

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(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn 1. ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und2. daher ihre Teilhabe am Leben in d

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(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den

Sozialgesetzbuch (SGB) - Achtes Buch (VIII) - Kinder- und Jugendhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163) - SGB 8 | § 10 Verhältnis zu anderen Leistungen und Verpflichtungen


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(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(1) Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe trägt die Kosten der Hilfe grundsätzlich nur dann, wenn sie auf der Grundlage seiner Entscheidung nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird; dies gilt auch in den Fällen, in denen Eltern durch das Familiengericht oder Jugendliche und junge Volljährige durch den Jugendrichter zur Inanspruchnahme von Hilfen verpflichtet werden. Die Vorschriften über die Heranziehung zu den Kosten der Hilfe bleiben unberührt.

(2) Abweichend von Absatz 1 soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die niedrigschwellige unmittelbare Inanspruchnahme von ambulanten Hilfen, insbesondere der Erziehungsberatung nach § 28, zulassen. Dazu soll der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit den Leistungserbringern Vereinbarungen schließen, in denen die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Leistungserbringung sowie die Übernahme der Kosten geregelt werden. Dabei finden der nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelte Bedarf, die Planungen zur Sicherstellung des bedarfsgerechten Zusammenwirkens der Angebote von Jugendhilfeleistungen in den Lebens- und Wohnbereichen von jungen Menschen und Familien nach § 80 Absatz 2 Nummer 3 sowie die geplanten Maßnahmen zur Qualitätsgewährleistung der Leistungserbringung nach § 80 Absatz 3 Beachtung.

(3) Werden Hilfen abweichend von den Absätzen 1 und 2 vom Leistungsberechtigten selbst beschafft, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme der erforderlichen Aufwendungen nur verpflichtet, wenn

1.
der Leistungsberechtigte den Träger der öffentlichen Jugendhilfe vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
2.
die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
3.
die Deckung des Bedarfs
a)
bis zu einer Entscheidung des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe über die Gewährung der Leistung oder
b)
bis zu einer Entscheidung über ein Rechtsmittel nach einer zu Unrecht abgelehnten Leistung
keinen zeitlichen Aufschub geduldet hat.
War es dem Leistungsberechtigten unmöglich, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe rechtzeitig über den Hilfebedarf in Kenntnis zu setzen, so hat er dies unverzüglich nach Wegfall des Hinderungsgrundes nachzuholen.

(1) Kinder oder Jugendliche haben Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn

1.
ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und
2.
daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung zu erwarten ist.
Von einer seelischen Behinderung bedroht im Sinne dieser Vorschrift sind Kinder oder Jugendliche, bei denen eine Beeinträchtigung ihrer Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. § 27 Absatz 4 gilt entsprechend.

(1a) Hinsichtlich der Abweichung der seelischen Gesundheit nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Stellungnahme

1.
eines Arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
2.
eines Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, eines Psychotherapeuten mit einer Weiterbildung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen oder
3.
eines Arztes oder eines psychologischen Psychotherapeuten, der über besondere Erfahrungen auf dem Gebiet seelischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen verfügt,
einzuholen. Die Stellungnahme ist auf der Grundlage der Internationalen Klassifikation der Krankheiten in der vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte herausgegebenen deutschen Fassung zu erstellen. Dabei ist auch darzulegen, ob die Abweichung Krankheitswert hat oder auf einer Krankheit beruht. Enthält die Stellungnahme auch Ausführungen zu Absatz 1 Satz 1 Nummer 2, so sollen diese vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe im Rahmen seiner Entscheidung angemessen berücksichtigt werden. Die Hilfe soll nicht von der Person oder dem Dienst oder der Einrichtung, der die Person angehört, die die Stellungnahme abgibt, erbracht werden.

(2) Die Hilfe wird nach dem Bedarf im Einzelfall

1.
in ambulanter Form,
2.
in Tageseinrichtungen für Kinder oder in anderen teilstationären Einrichtungen,
3.
durch geeignete Pflegepersonen und
4.
in Einrichtungen über Tag und Nacht sowie sonstigen Wohnformen geleistet.

(3) Aufgabe und Ziele der Hilfe, die Bestimmung des Personenkreises sowie Art und Form der Leistungen richten sich nach Kapitel 6 des Teils 1 des Neunten Buches sowie § 90 und den Kapiteln 3 bis 6 des Teils 2 des Neunten Buches, soweit diese Bestimmungen auch auf seelisch behinderte oder von einer solchen Behinderung bedrohte Personen Anwendung finden und sich aus diesem Buch nichts anderes ergibt.

(4) Ist gleichzeitig Hilfe zur Erziehung zu leisten, so sollen Einrichtungen, Dienste und Personen in Anspruch genommen werden, die geeignet sind, sowohl die Aufgaben der Eingliederungshilfe zu erfüllen als auch den erzieherischen Bedarf zu decken. Sind heilpädagogische Maßnahmen für Kinder, die noch nicht im schulpflichtigen Alter sind, in Tageseinrichtungen für Kinder zu gewähren und lässt der Hilfebedarf es zu, so sollen Einrichtungen in Anspruch genommen werden, in denen behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam betreut werden.

(1) Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, werden durch dieses Buch nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach diesem Buch entsprechende Leistungen vorgesehen sind.

(2) Unterhaltspflichtige Personen werden nach Maßgabe der §§ 90 bis 97b an den Kosten für Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch beteiligt. Soweit die Zahlung des Kostenbeitrags die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen mindert oder der Bedarf des jungen Menschen durch Leistungen und vorläufige Maßnahmen nach diesem Buch gedeckt ist, ist dies bei der Berechnung des Unterhalts zu berücksichtigen.

(3) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Zweiten Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 3 Absatz 2, den §§ 14 bis 16g, 16k, § 19 Absatz 2 in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches sowie Leistungen nach § 6b Absatz 2 des Bundeskindergeldgesetzes in Verbindung mit § 28 Absatz 6 des Zweiten Buches den Leistungen nach diesem Buch vor.

(4) Die Leistungen nach diesem Buch gehen Leistungen nach dem Neunten und Zwölften Buch vor. Abweichend von Satz 1 gehen Leistungen nach § 27a Absatz 1 in Verbindung mit § 34 Absatz 6 des Zwölften Buches und Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Neunten Buch für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, den Leistungen nach diesem Buch vor. Landesrecht kann regeln, dass Leistungen der Frühförderung für Kinder unabhängig von der Art der Behinderung vorrangig von anderen Leistungsträgern gewährt werden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.