Oberlandesgericht Naumburg Urteil, 26. Juni 2014 - 9 U 130/13

bei uns veröffentlicht am26.06.2014

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. November 2013 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckungssicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Streitwert: 107.100,00 €

Gründe

A.

1

Die Klägerin begehrt die Zahlung einer Lizenzgebühr.

2

Seit Januar 2007 befasst sich die Klägerin mit der Erforschung und Entwicklung eines Verfahrens, das die Schaltung von Straßenbeleuchtungen durch Dritte ermöglicht. Sie vertreibt dieses Produkt unter dem Namen „D.“.

3

Die Muttergesellschaft der Klägerin hat das Verfahren beim Europäischen Patentamt angemeldet.

4

Mit Bescheid vom 7. Mai 2009 teilte das europäische Patentamt der Klägerin den Einwand der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit mit. Die Muttergesellschaft hielt ihren Antrag mit Schreiben vom 16. November 2009 aufrecht. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2009 wurde der Klägerin erneut der Einwand der mangelnden Neuheit mitgeteilt. Am 16. April 2010 wurde die Muttergesellschaft zu einer mündlichen Verhandlung auf den 11. November 2010 geladen.

5

Die Klägerin hat dessen ungeachtet mit der Beklagten zu 1., deren Gesellschafter die Beklagte zu 2.-4. sind, am 4. Oktober 2010 einen Lizenzvertrag geschlossen.

6

Die Präambel des Vertrages lautet wörtlich:

7

"LG hat ein Verfahren zur Schaltung von Straßenbeleuchtung erfunden und zugehörige Geräte und Software entwickelt. LN möchte die Verfahren und Entwicklung nutzen, um in einem begrenzten Vertragsgebiet dieses Verfahren exklusiv anzuwenden. Die Vertragsparteien gehen von folgendem aus:

8

1. Der LG hatte das Verfahren beim Europäischen Patentamt angemeldet. Die anmelde Nummer lautet IP 07712021. …"

9

„2. Brauchbarkeit und Schutzfähigkeit der Vertragsschutzrechte.

10

Der Lizenzgeber übernimmt - von der Haftung wegen Vorsatzes abgesehen - keine Haftung für die technische ausführbar kalt und technische Brauchbarkeit der Vertrag Schutzrechte vor Ort. Auch sicher der Lizenzgeber eine Schutzfähigkeit angemeldeten bzw. eine Beständigkeit der erteilten verfassungsrechtlich nicht zu.

11

Die Lizenzgebühr betrug nach dem Vertrag 90.000,00 € für jeweils zwei Jahre Vertragslaufzeit. Der Vertrag sollte sechs Jahre laufen. Werde er von keiner Vertragspartei gekündigt, verlängere sich das Vertragsverhältnis um jeweils zwei Jahre. Längstens laufe das Vertragsverhältnis bis zum Wegfall des Vertragsschutzrechts.

12

Bei vorzeitiger Auflösung oder Kündigung des Vertrages sollte die Lizenzgebühr nicht rückforderbar sein.

13

Weiter vereinbarten die Vertragsparteien unter „VIII. Gewährleistung des Lizenzgebers“:

14

„…

15

2. Brauchbarkeit und Schutzfähigkeit der Vertragsschutzrechte

16

Der Lizenzgeber übernimmt - von der Haftung wegen Vorsatzes abgesehen - keine Haftung für die technische Ausführbarkeit und die technische Brauchbarkeit der Vertragsschutzrechte vor Ort. Auch sichert der Lizenzgeber eine Schutzfähigkeit der angemeldeten bzw. eine Rechtsbeständigkeit der erteilten Vertragsschutzrechte nicht zu.

17

3. Haftungsausschluss

18

Der Lizenzgeber übernimmt keinerlei Haftung für sonstige Sach- und Rechtsmängel.“

19

Die Beklagte zahlte mit Vertragsschluss die Lizenzgebühr für die beiden ersten Jahre.

20

Das europäische Patentamt hat am 2. Dezember 2010 die genannte Patentanmeldung mit der Begründung zurückgewiesen, dass keine technische Neuheit vorliege.

21

Die Klägerin hat mit Rechnung vom 13. September 2012 die zweite Lizenzgebühr in Höhe von 90.000,00 € in Rechnung gestellt.

22

Diese hat die Beklagte zu 1. nicht beglichen. Stattdessen hat sie mit einem undatierten Schreiben, das am 20. September 2012 bei der Klägerin eingegangen ist, mitgeteilt, dass sie den Lizenzvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechte. Außerdem forderte sie die Klägerin auf, die bereits gezahlte Lizenzgebühr zurückzuzahlen.

23

Die Klägerin hat daraufhin die Zahlung der zweiten Lizenzgebühr anwaltlich angemahnt und eine Frist zur Zahlung des Betrages bis zum 4. Oktober 2012 gesetzt.

24

Die Klägerin hat im Urkundsprozess beantragt,

25

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 107.100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Oktober 2012 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.051,00 € zu zahlen.

26

Die Beklagten haben beantragt,

27

die Klage abzuweisen.

28

Sie haben die Auffassung vertreten, dass der Vertrag beendet sei, da die Klägerin nicht in der Lage sei, das Vertragsschutzrecht in seiner Gesamtheit zur Verfügung zu stellen. Außerdem sei die Beklagte zu 1. zur Anfechtung berechtigt, weil die Klägerin sie bei Abschluss des Vertrages arglistig getäuscht habe. Dies ergäbe sich aus der Formulierung der Präambel. Danach hätte die Beklagten davon ausgehen müssen, dass auf die Patentanmeldung auch die Patenterteilung folgen werde. Zumindest habe die Klägerin ihre Aufklärungspflicht verletzt, indem sie nicht mitgeteilt habe, dass die Patentierbarkeit des Verfahrens unklar sei. Hierzu behauptet sie, dass ein Vertreter der Klägerin in Bezug auf das Patent erklärt habe, es sei nur noch eine reine Formsache.

29

Das Landgericht hat die Klage mit am 27. November 2013 verkündetem Urteil abgewiesen.

30

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Vertrag aufgrund vollzogener Anfechtung als von Anfang an nichtig zu werten wäre. Die Täuschung bestehe darin, dass die Klägerin die Beklagte nicht über die Einwände des europäischen Patentamts im laufenden Patentverfahren aufgeklärt habe. Die Klägerin habe auch vorsätzlich gehandelt, weil sie vom Europäischen Patentamt über die rechtlichen Zweifel der Prüfungsabteilung informiert gewesen sei.

31

Der Senat nimmt auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug.

32

Die Klägerin hat gegen das ihr am 3. Dezember 2013 zugestellte Urteil am 23. Dezember 2013 Berufung eingelegt und diese am 3. Februar 2013 begründet.

33

Sie vertritt die Auffassung, dass sich aus den eingebrachten Urkunden und dem unstreitigen Sachverhalt nicht ohne weiteres ergäbe, dass die Frage des Verlaufs des Patentverfahrens für die Beklagten so wesentlich gewesen sei, dass auf den fehlenden Hinweis eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gestützt werden könne. Gegen die Bedeutung des Patentverfahrens spräche vielmehr die Tatsache, dass in dem Vertrag eine Gewährleistung für die Patentfähigkeit ausdrücklich ausgeschlossen werde. Außerdem seien die Informationen über den Stand des Patentverfahrens jederzeit über das Internet auch von der Beklagten abrufbar gewesen. Die Patentierbarkeit sei für den Vertragsschluss nicht kausal gewesen. Zumindest sei dies für die Klägerin nicht erkennbar gewesen, so dass es am Täuschungsvorsatz fehle. Schließlich habe das erstinstanzliche Gericht die Besonderheiten des Urkundsprozesses nicht ausreichend beachtet.

34

Die Klägerin beantragt,

35

Das am 27. November 2013 verkündeten Urteil der 7. Kammer des Landgerichts Magdeburg abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 107.100,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 5. Oktober 2012 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2051,00 € zu zahlen.

36

Die Beklagten beantragen,

37

die Berufung zurückzuweisen.

38

Sie vertreten die Auffassung, dass aus dem Lizenzvertrag die überragende Bedeutung der Patentierbarkeit des Verfahrens deutlich hervorgehe. Nicht umsonst beginne der Vertrag mit einer Präambel. Hieraus ergebe sich, dass der Lizenznehmer das Verfahren und die Entwicklungen exklusiv anwenden wolle. Außerdem werde das Patent ausdrücklich erwähnt.

B.

39

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

I.

40

Im Berufungsverfahren sind Entscheidungen des ersten Rechtszugs nach § 513 Abs. 1 ZPO nur noch darauf überprüfbar, ob die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung nach § 546 ZPO beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dabei ist grundsätzlich von den durch das Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen auszugehen. Das Berufungsgericht hat nur zu überprüfen, ob konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen bestehen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

II.

41

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr eingeklagte Lizenzgebühr. Hier hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Lizenzvertrag gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist. Denn die Beklagte zu 1. hat diesen Vertrag unter dem Gesichtspunkt der arglistigen Täuschung gemäß § 123 BGB wirksam angefochten. Insbesondere ergibt die Auslegung des Lizenzvertrages, dass die Klägerin die Pflicht hatte, die Beklagte zu 1. unaufgefordert und umfassend über den Stand des Patentanmeldungsverfahrens zu informieren. Die arglistige Täuschung folgt dem unstreitigen Sachverhalt in Verbindung mit der Vertragsurkunde des Lizenzvertrages. Sie ist daher im Urkundsverfahren zu berücksichtigen.

42

1. Die Beklagte zu 1. hat mit ihrem undatierten Schreiben, das am 20. September 2012 bei der Klägerin eingegangen ist, die Anfechtung des Lizenzvertrages wegen arglistiger Täuschung ausdrücklich erklärt.

43

2. Ihr stand zu diesem Zeitpunkt der Anfechtungsgrund des § 123 BGB zu Gebote.

44

a) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Klägerin die Beklagte zu 1. im Sinne dieser Vorschrift dadurch getäuscht hat, dass sie es unterlassen hat, die Beklagte zu 1. über die vorläufige Rechtsauffassung des europäischen Patentamts im laufenden Patentverfahren aufzuklären.

45

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs besteht bei Vertragsverhandlungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Teil über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten (Staudinger/Singer/v. Finckenstein BGB Bearb. 2004 § 123 Rn. 10; MünchKommBGB/Kramer 5. Aufl. § 123 Rn. 16 bis 18; vgl. zum Kaufvertrag: BGH Urteile vom 13. Juli 1983 - VIII ZR 142/82 - NJW 1983, 2493, 2494 und vom 12. Juli 2001 - IX ZR 360/00 - NJW 2001, 3331, 3332). Vielmehr ist grundsätzlich jeder Verhandlungspartner für sein rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen (BGH Urteil vom 13. Juli 1988 - VIII ZR 224/87 - NJW 1989, 763, 764 m.w.N.).

46

Allerdings besteht dann eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen auch ohne Nachfrage dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind (RGZ 111, 233, 234; vgl. zur Aufklärungspflicht des Vermieters: BGH vom 16. Februar 2000 - XII ZR 279/97 - NJW 2000, 1714, 1718; vom 28. April 2004 - XII ZR 21/02 - NJW 2004, 2674; vom 28. Juni 2006 - XII ZR 50/04 - NJW 2006, 2618, 2619 und vom 15. November 2006 - XII ZR 63/04 - NZM 2007, 144; zur Aufklärungspflicht des Verkäufers: BGH Urteile vom 12. Juli 2001 - IX ZR 360/00 - NJW 2001, 3331 und vom 25. Oktober 2007 - VII ZR 205/06 - NJW-RR 2008, 258 Rn. 20; Staudinger/Singer/v. Finckenstein BGB Bearb. 2004 § 123 Rn. 11; MünchKommBGB/Kramer 5. Aufl. § 123 Rn. 16 bis 18). Davon wird insbesondere bei solchen Tatsachen ausgegangen, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können (BGH Urteile vom 13. Dezember 1990 - III ZR 333/89 - NJW-RR 1991, 439 und vom 8. Dezember 1989 - V ZR 246/87 - NJW 1990, 975, zu Kaufverträgen). Eine Tatsache von ausschlaggebender Bedeutung kann auch dann vorliegen, wenn sie geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.

47

Die Aufklärung über eine solche Tatsache kann der Vertragspartner redlicherweise aber nur verlangen, wenn er im Rahmen seiner Eigenverantwortung nicht gehalten ist, sich selbst über diese Tatsache zu informieren (vgl.Staudinger/Singer/v. Finckenstein BGB Bearb. 2004 § 123 Rn. 17 m.w.N.).

48

bb) Hier ergibt die Vertragsauslegung, dass es sich bei dem Stand des Patentverfahrens um eine Tatsache handelte, von der die Beklagte zu 1. nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung erwarten durfte. Denn der Stand des Patentverfahrens war für die Beklagten offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung.

49

α) Die Vertragsauslegung hat in erster Linie den von den Parteien gewählten Wortlaut der Vereinbarung und den diesem zu entnehmenden objektiven Parteiwillen zu berücksichtigen (BGH NJW-RR 2007, 976). Sie hat sich danach zu richten, was als Wille für denjenigen erkennbar geworden ist, für den die Erklärung bestimmt war, es kommt daher darauf an, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben und nach der Verkehrsauffassung verstehen durfte (BGH vom 12. März 1992, Az.: IV ZR 141/91, zitiert nach JURIS Rn. 19 m. w. N.). Maßgeblich für die Auslegung ist in erster Linie der Inhalt der auszulegenden Urkunde. Die Partei muss die in der Urkunde enthaltene Erklärung so gegen sich gelten lassen, wie sie bei Berücksichtigung der für sie erkennbaren Umstände objektiv zu verstehen ist (BGH a. a. O.).

50

β) Hier ist bei der Auslegung weiter zu berücksichtigen, dass die Parteien einen Lizenzvertrag geschlossen haben.

51

Mit einem Lizenzvertrag werden grundsätzlich Nutzungsbefugnisse an technischem Wissen und/oder sonst nicht gewerblich verwertbaren Erfahrungen (Know-how) von einem Verfügungsberechtigten (Lizenzgeber) an einen Dritten (Lizenznehmer) übertragen. Hierbei muss es sich um Know-how handeln, das ohne Abschluss dieses Vertrages nicht frei verfügbar wäre, d.h. "geheimes" oder durch gewerbliche Schutzrechte gesichertes Wissen.

52

bb) In dem Lizenzvertrag vom 4. Oktober 2010 werden die Vertragsschutzrechte ausdrücklich als Vertragsgegenstand bezeichnet.

53

Unter Vertragsschutzrechten versteht man gemeinhin alle Schutzrechte, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zum Vertragsgegenstand erteilt oder angemeldet sind.

54

Nach dem Wortlaut des Vertrages ist damit das angemeldete Patent, nicht aber allein das Know-how, Vertragsgegenstand.

55

Auch der Vertragszweck wird in der Vertragsurkunde ausdrücklich bezeichnet:

56

"Der Lizenznehmer beabsichtigt und der Lizenzgeber gestattet diesem, unter Benutzung der Vertragsschutzrechte das Vertragsprodukt D. für den Bereich der politischen Gemeinden zu vertreiben bzw. durch Mitarbeiter oder Vertreter vertreiben zu lassen.“

57

Der Vertragszweck besteht damit im Vertrieb des Produkts unter Benutzung der Vertragsschutzrechte, das heißt, dass das Produkt nicht nur ein geheimes Verfahren darstellt, sondern dass es auch rechtlichen Schutz von Nachahmung genießt. Dieser rechtliche Schutz wäre aber erst durch die Eintragung des Patents entstanden. Die Patentierung des Verfahrens ist ein entscheidender Bestandteil der Leistung der Klägerin. Dies zeigt sich auch in der Vertragsbestimmung X Nr. 1:

58

„Längstens läuft das Vertragsverhältnis bis zum Wegfall des Vertragsschutzrecht.“

59

Ginge es in dem Vertrag schwerpunktmäßig um die faktische Überlassung des Verfahrens statt um die Vertragsschutzrechte, wäre diese Vertragsbestimmung nicht zu erklären.

60

Ohne Vertragsschutzrechte wäre eine Nachahmung des Verfahrens D. rechtlich zulässig gewesen. Damit würde auch beim Weitervertrieb des Produkts die Lizenzgebühr nur für den in dem Verfahren verkörperten technischen Vorsprung gezahlt. Es liegt auf der Hand, dass der fehlende rechtliche Schutz Einfluss auf die Vertriebsmöglichkeiten und die Höhe der zu erzielenden Einnahmen hat.

61

Im Hinblick auf diese möglichen, gravierenden Auswirkungen für den Vertrieb durch die Beklagte zu 1. war die Erteilung des Patents für sie von erheblicher Bedeutung. Sie durfte darüber redlicherweise Aufklärung darüber erwarten, dass nach der vorläufigen Auffassung des Europäischen Patentamtes eine Patentierung nicht in Betracht kam.

62

Die Beklagten konnten ohne einen Hinweis auf die Mitteilungen des Europäischen Patentamtes nicht erkennen, dass die Eintragung des Patents alles andere als sicher war. Sie hatte auch keine Veranlassung, dies anzunehmen. Denn die Klägerin hatte in der Präambel die Patentanmeldung ausdrücklich erwähnt. Die Formulierung erweckt den Eindruck der Vollständigkeit. Die Beklagten mussten deshalb nicht damit rechnen, dass das europäische Patentamt die Patentierbarkeit bereits infrage gestellt hatte. Aufgrund der Formulierung der Präambel bestand für die Beklagten kein Anlass zu einer Nachfrage oder zu eigener Recherche.

63

Im Hinblick auf die der Klägerin bekannten Umstände musste es sich ihr aufdrängen, dass sich die Beklagte insoweit über den Stand und die Erfolgschancen des Patentverfahrens im Irrtum befand und dass dies für deren Entscheidung, den Lizenzvertragvertrag abzuschließen, von erheblicher Bedeutung war.

64

Die Klägerin war deshalb nach Treu und Glauben und den Grundsätzen eines redlichen Geschäftsverhaltens verpflichtet, die Beklagte über die Hinweise des Europäischen Patentamtes zu informieren.

65

b) Auch aus der Vertragsbestimmung Ziffer VIII Nr. 2 des Lizenzvertrages ergibt sich nichts anderes:

66

„Auch sichert der Lizenzgeber eine Schutzfähigkeit der angemeldeten bzw. eine Beständigkeit erteilten Vertragsschutzrecht nicht zu.“

67

Diese Vertragsbestimmung, die sich unter der Überschrift "Gewährleistung des Lizenzgebers“ befindet, regelt Gewährleistungsansprüche, also Sekundäransprüche der Lizenznehmer, hier der Beklagten zu 1., gegen den Lizenzgeber. Um solche Ansprüche geht es hier nicht. Auch wenn die Klägerin nicht wegen der fehlenden Erteilung des Patents auf Gewährleistung in Anspruch genommen werden kann, so hätte sie doch auf die bereits bei Vertragsschluss bestehenden Bedenken des Europäischen Patentamtes gegen die Patentierbarkeit hinweisen müssen.

68

c) Zu Recht hat das Landgericht die subjektiven Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung durch unterlassene Aufklärung bejaht.

69

Die Klägerin wusste aufgrund amtlichen der Hinweise, dass das Europäische Patentamt das Verfahren „D.“ nicht als patentierbar ansah. Ihr war nach der Vertragsgestaltung bewusst, dass das Fehlen eines Patents geeignet war, erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Beklagten zu verursachen. Daraus ergibt sich, dass sie zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass die Beklagte den Lizenzvertrag nicht abgeschlossen hätte, wenn sie vor Vertragsschluss Kenntnis von der vorläufigen Rechtsauffassung des Europäischen Patentamtes gehabt hätte.

70

d) Das Landgericht hat weiter rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Verletzung der Aufklärungspflicht für den Entschluss der Beklagten, den Lizenzvertrag abzuschließen, ursächlich war. Wie bereits ausgeführt, handelte es sich bei der vorläufigen Rechtsauffassung um einen Umstand, der angesichts der wirtschaftlichen Auswirkungen für die Beklagte von erheblicher Bedeutung war.

71

3. Die arglistige Täuschung ergibt sich bereits aus der Urkunde des Lizenzvertrages vom 4. Oktober 2010. Sie ist deshalb im Urkundsverfahren zu berücksichtigen. Damit kommt es auf die weiteren von den Beklagten im Schriftsatz vom 24. Oktober 2013 behaupteten Täuschungen, die nicht mit Beweismitteln, die im Urkundsverfahren zulässig sind, unter Beweis gestellt werden könnten, nicht mehr an.

C.

72

I. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Eine Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO war gemäß § 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO nicht auszusprechen, da die Beschwer 20.000,00 EUR nicht übersteigt.

73

II. Die Entscheidung über die Höhe des Gebührenstreitwerts für das Berufungsverfahren beruht auf den §§ 39 Abs. 1, 47, 63 GKG, 3 ZPO.

74

III. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor; denn diese Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Beurteilung des Einzelfalles gebietet auch nicht, die Revision zur Fortbildung des Rechtes zuzulassen, weil die vorliegende Entscheidung nicht von der obergerichtlichen oder höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht.

75

Insbesondere vermag der Senat keine Differenz zu den von der Klägerin vorgelegten Urteilen des Oberlandesgerichts Dresden vom 25. März 2014 (Az.:11 U 1175/13 und 11 U 1976/13) festzustellen. Das Oberlandesgericht Dresden führt dort lediglich aus:

76

„Der Vortrag der Beklagten zur Aufrechnung und Anfechtung ist als im Urkundsprozess unstatthaft nach §§ 592 Abs. 2, 598 ZPO zurückzuweisen. Der Vortrag wird von der Klägerin bestritten und dürfte deshalb des Beweises, den die Beklagten nicht mit den Mitteln des Urkundsprozess es angetreten haben.… So lässt sich dem Vortrag der Beklagten nicht dem erforderlichen Beweisangebot entnehmen, welchen Stellenwert sie dem Stand des Anmeldeverfahrens - für die Klägerin erkennbar - beimaßen. Danach bestimmte sich ihre Aufklärungsbedürftigkeit. Auch lässt sich hier im Urkundsprozess nicht feststellen, dass die Beklagten im Falle eines Hinweises über die (bevorstehende) Zurückweisung der Patentanmeldung den Lizenzvertrag nicht oder nicht so abgeschlossen hätten.“

77

In den zitierten Urteilen des Oberlandesgerichts Dresden ist der Wortlaut der dort zu beurteilenden Verträge nicht wiedergegeben, so dass nicht überprüft werden kann, ob eine andere Auslegung vorliegt.


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(1) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546) beruht oder nach § 529 zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

(2) Die Berufung kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.

Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Wird ein anfechtbares Rechtsgeschäft angefochten, so ist es als von Anfang an nichtig anzusehen.

(2) Wer die Anfechtbarkeit kannte oder kennen musste, wird, wenn die Anfechtung erfolgt, so behandelt, wie wenn er die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gekannt hätte oder hätte kennen müssen.

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.

(2) Hat ein Dritter die Täuschung verübt, so ist eine Erklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben war, nur dann anfechtbar, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen musste. Soweit ein anderer als derjenige, welchem gegenüber die Erklärung abzugeben war, aus der Erklärung unmittelbar ein Recht erworben hat, ist die Erklärung ihm gegenüber anfechtbar, wenn er die Täuschung kannte oder kennen musste.

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IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 360/00 Verkündet am:
12. Juli 2001
Bürk,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur arglistigen Täuschung durch stillschweigendes Verhalten und durch
Unterlassen bei Abschluß eines Bürgschaftsvertrages.
BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - IX ZR 360/00 - OLG Jena
LG Erfurt
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Stodolkowitz, Dr. Zugehör, Dr. Ganter und Raebel

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 27. April 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Agentur B., deren Inhaberin A. B. war, vermittelte für die Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft, den Abschluß von Versicherungsverträgen. Der Beklagte war für die Agentur tätig; ob er Abschlußvertreter war oder nur Büroarbeiten verrichtete, ist zwischen den Parteien streitig. Ende 1994/Anfang 1995 meinte die Klägerin festgestellt zu haben, daß die Prämien für abgeschlossene Lebensversicherungen nicht aus eigenen Mitteln der Versicherungsnehmer , sondern aus den bevorschußten Abschlußprovisionen aufge-
bracht worden seien. Sie stornierte sämtliche von der Agentur vermittelten Verträge und forderte die vorschußweise gezahlten Provisionen zurück. Am 26. Januar 1995 gaben A. B. und ihr geschiedener Ehemann R. B. der Klägerin gegenüber jeweils ein "abstraktes Schuldanerkenntnis" über 642.240,89 DM ab. Außerdem verlangte die Klägerin Mitverpflichtungserklärungen der Mitarbeiter der Agentur. Am 1. Februar 1995 gab der Beklagte - ebenso wie zahlreiche andere Mitarbeiter der Agentur - eine Erklärung ab, mit der er sich für alle gegenwärtigen und zukünftigen Verpflichtungen A. B.s aus ihrer "Tätigkeit oder aus sonstigem Rechtsgrund" gegenüber allen namentlich aufgeführten Gesellschaften , die damals zur "Versicherungsgruppe" der Klägerin gehörten, bis zu einem Höchstbetrag, der im Falle des Beklagten 98.323 DM betrug, selbstschuldnerisch und mit der Maßgabe verbürgte, daß er "auf erste schriftliche Anforderung" zu zahlen habe. Mit Schreiben vom 15. März 1995 focht der Beklagte die Bürgschaftserklärung mit der Begründung an, sie sei durch Täuschung und Drohung zustande gekommen.
Die Klägerin verlangt mit der Behauptung, die von der Agentur B. vermittelten Verträge seien nur zum Schein abgeschlossen worden und der Beklagte sei an der "Provisionsbeschaffung" beteiligt gewesen, von ihm die Zahlung der Bürgschaftssumme. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

I.


Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten sei wirksam zustande gekommen.
1. Die Revision meint, der Bürgschaftsvertrag sei wegen Verstoßes gegen die §§ 3 und 9 AGBG insgesamt unwirksam. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Fragen nicht befaßt. Die Revisionsangriffe sind auf der Grundlage des vorgetragenen und festgestellten Sachverhalts nicht begründet.
Eine formularmäßige Erstreckung der Haftung des Bürgen auf alle bestehenden und künftigen Forderungen des Gläubigers - und, wie hier, noch dazu weiterer mit diesem verbundener Gesellschaften - ist zwar nach § 3 AGBG unwirksam, wenn die Bürgschaft lediglich im Hinblick auf eine bestimmte Verbindlichkeit übernommen worden ist; der Bürge braucht mit einer solchen Ausweitung seiner Verpflichtung nicht zu rechnen, wenn sie sich nicht aus dem Gang der zur Abgabe der Bürgschaftserklärung führenden Verhandlungen ergibt (BGHZ 130, 19, 24 f.). Ebenso verstößt eine weite, über den Anlaß der Verbürgung hinausgehende Zweckerklärung grundsätzlich gegen § 9 AGBG; das gilt, selbst bei einer Höchstbetragsbürgschaft, nicht nur für die Haftungserstreckung auf künftige, sondern auch auf bereits bestehende Ver-
bindlichkeiten (BGHZ 143, 95, 98 ff.). Die Unwirksamkeit der formularmäßigen globalen Zweckerklärung ändert indessen nichts daran, daß der Bürge für die Verbindlichkeit einzustehen hat, die Anlaß der Bürgschaftsübernahme war (BGHZ 143, 95, 102).
Die Revision, die das nicht verkennt, meint, an einem Anlaß für die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten fehle es insgesamt, weil er nach seiner Behauptung - mangels einer Tätigkeit als Versicherungsvertreter - keine noch nicht durch Prämienzahlungen "verdienten" Provisionen erhalten habe. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Anlaß für die Verbürgung waren die vermeintlichen, von der Klägerin auf mehr als 640.000 DM bezifferten Provisionsrückzahlungsansprüche ; das war dem Beklagten bekannt. Die interne Aufteilung dieser Summe auf die einzelnen Mitarbeiter der Agentur - der Zeuge B. will, wie er ausgesagt hat, "die Zahlen willkürlich gegriffen" haben - hat mit der Frage, was Anlaß der Bürgschaft war, nichts zu tun. Die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten erfaßte deshalb im Rahmen des festgesetzten Höchstbetrags eine etwaige Rückzahlungsverbindlichkeit A. B.s gegenüber der Klägerin unabhängig davon, was der Beklagte selbst davon erhalten hatte.
2. Die Revision wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrags im Sinne des § 138 BGB verneint hat. Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , wonach ein Bürgschaftsvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, wenn der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Vermögensverhältnisse übersteigt, und durch weitere , dem Gläubiger zurechenbare Umstände - insbesondere durch Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit - zusätzlich so erheblich belastet wird,
daß ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen wird (Urteil vom 16. Dezember 1999 - IX ZR 36/98, WM 2000, 514, 516 m.w.N.). Der Beklagte hat indessen schon keine Einzelheiten zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme vorgetragen. Für die Klägerin bestand kein Anlaß, sich danach zu erkundigen; denn der Beklagte war aus ihrer Sicht einer von vielen Mitarbeitern, der von den Provisionsvorschüssen in dem intern festgelegten Umfang profitiert und deshalb am Fortbestand der Agentur ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte.

II.


Die Revision ist begründet, soweit sie die Ausführungen angreift, mit denen das Berufungsgericht die Behauptung des Beklagten, die ihm abverlangte Bürgschaftserklärung habe auf einer Täuschung beruht, als nicht bewiesen angesehen hat.
1. Das Berufungsgericht hat sich nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten und von ihm selbst wiederholten Beweisaufnahme nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Beklagte durch die Mitarbeiter der Klägerin arglistig getäuscht worden sei. Diese tatrichterliche Würdigung beruht sowohl in verfahrens- als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht auf Rechtsfehlern.

a) Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, daß der Beklagte gewußt habe, welche "Folgen" die Bürgschaft für ihn habe und welchem Zweck (nämlich "den Fortbestand und die Weiterentwicklung der Agentur zu garantieren")
sie diene. Darum ging es aber bei der Frage, ob der Beklagte arglistig getäuscht worden ist, jedenfalls nicht in erster Linie. Der Beklagte hat behauptet - von dieser Darstellung ist mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich auszugehen -, er hätte die Bürgschaftserklärung nicht abgegeben, wenn er gewußt hätte, daß, wie es später geschehen sei, die Klägerin der Agentur B. keine weiteren Vermittlungsaufträge mehr erteilen und die Auszahlung der noch ausstehenden Provisionen für schon abgeschlossene Versicherungsverträge von einer Untersuchung der Geschäftspraxis der Agentur abhängig machen werde. Schon die Inhaberin habe das Schuldanerkenntnis vom 26. Januar 1995 nur im Hinblick darauf unterschrieben, daß die Klägerin ihr unter dieser Voraussetzung die Auszahlung der weiteren Provisionen in Aussicht gestellt habe.
Nach den protokollierten Aussagen der Zeugen R. und R. B. hatte letzterer den Mitarbeitern gesagt, das Geld - in Form eines Schecks über rund 180.000 DM - werde ausgezahlt, sobald die Bürgschaftserklärungen unterschrieben seien. Die sich darauf gründende Erwartung war - wiederum nach den Zeugenaussagen - den beiden Angestellten der Klägerin, W. und K., die die Abgabe der Bürgschaftserklärungen herbeiführten, bekannt. W. hat als Zeuge erklärt, R. B. habe bei der am 1. Februar 1995 mit den Mitarbeitern der Agentur veranstalteten Zusammenkunft, bei der er und sein Kollege K. anwesend waren, gesagt, die Besicherung der Provisionen sei wichtig, um den Fortbestand der Firma zu garantieren; möglicherweise, so hat sich der Zeuge ausgedrückt , habe der Eindruck bestanden, "daß die künftigen Provisionen fließen würden". Nach der Aussage K.s "motivierte" R. B. die Mitarbeiter, "die Bürgschaften zu unterschreiben, damit endlich Geld fließe". Er selbst habe das nicht gesagt. Er hat aber hinzugefügt: "Wir haben die Aussage des Herrn B. ...
nicht korrigiert". Ein weiterer Mitarbeiter der Agentur, der bereits erwähnte Zeuge R., hat bekundet, bei einer kurz zuvor abgehaltenen ersten Versammlung habe einer der beiden Vertreter der Klägerin mehrmals einen Scheck aus der Jackentasche gezogen und "ansatzweise gezeigt". W. und K. haben bei ihren erstinstanzlichen Aussagen die Taktik geschildert, mit der sie - in Absprache mit A. und R. B. - in der entscheidenden Versammlung am 1. Februar 1995 vorgegangen seien: Die Verhandlung sei in zwei getrennte Tagesordnungspunkte aufgegliedert worden; zunächst sei nur über die Gewährung von Sicherheiten durch die anwesenden Mitarbeiter gesprochen worden; erst, nachdem die Bürgschaftserklärungen unterschrieben gewesen seien, sei "die Frage, wie die Geschäfte betrieben werden", erörtert worden; "wir wollten eine Sache nach der anderen abhandeln". Im Protokoll über die erstinstanzliche Aussage K.s heißt es wörtlich: "Die Bürgschaft wurde zuerst abgefordert, da ich unterstelle, daß wir nach der Erörterung der Probleme über die Ordnungsgemäßheit der Versicherungsverträge die Bürgschaften nicht bekommen hätten". Tatsächlich kam es bei der Erörterung des zweiten Tagesordnungspunkts zu einem von allen Zeugen geschilderten Tumult, bei dem den Versicherungsvertretern die Aktentasche mit den soeben unterschriebenen Bürgschaften für kurze Zeit entrissen wurde und sie sich nur durch gewaltsame Flucht retten konnten, wobei nach der Schilderung, die der in einem anderen Prozeß verklagte Mitarbeiter G. dort bei seiner persönlichen Anhörung gegeben hat, "der eine ... dann noch eine Tür eingetreten" hat.

b) Das Berufungsgericht hat sich mit diesen für die Frage einer arglistigen Täuschung ausschlaggebenden Einzelheiten der Zeugenaussagen nicht befaßt. Diese vermitteln insgesamt den Eindruck, daß die Angestellten der
Klägerin dem Beklagten und den anderen Mitarbeitern der Agentur zwar nicht selbst gesagt haben, nach Abgabe der Bürgschaftserklärungen gebe es Geld, daß sie aber deren für sie erkennbare Erwartung nicht richtig gestellt, sondern stillschweigend ausgenutzt haben. Für die beiden Vertreter der Klägerin scheint danach klar gewesen zu sein, daß die Mitarbeiter der Agentur die Bürgschaften zur Absicherung der Ansprüche der Klägerin nicht übernommen hätten, wenn sie ernstlich damit hätten rechnen müssen, daß die Agentur ihre Tätigkeit für die Klägerin so oder so einstellen mußte.
Das Berufungsgericht hat gemeint, die den Vertretern der Klägerin bekannte , auf Ä ußerungen R. B.s beruhende Erwartung, "daß die künftigen Provisionen fließen würden", begründe für sich allein keine Täuschung, weil "derartiges von den Mitarbeitern der Klägerin ... zu keiner Zeit geäußert worden" sei. Darin liegt ein materiell-rechtlicher Fehler. Dabei spielt es entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung keine Rolle, unter welchen Voraussetzungen die Täuschung durch einen Dritten dem Erklärungsempfänger zuzurechnen ist und ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind; denn die Vertreter der Klägerin haben nach dem für die Revisionsinstanz maßgeblichen Sachverhalt den Beklagten (und die übrigen Bürgen) durch eigenes Verhalten getäuscht. In ihrem Schweigen zu der ihnen bekannten Erwartung lag unter den hier gegebenen Umständen eine Täuschung durch konkludentes Verhalten. Sie hatten, wovon für die Revisionsinstanz auszugehen ist, jene Erwartung auf dem Umweg über die (geschiedenen) Eheleute B. selbst geweckt. Das ist der Aussage der Zeugin A. B. zu entnehmen, die danach ausgesagt hat: "Wir haben uns 'verarscht' gefühlt". Vor diesem Hintergrund war die Taktik, die Erörterungen am 1. Februar 1995 in zwei Teile aufzuspalten und erst nach Abgabe der Bürgschaftserklärungen zu offenbaren, daß man vor weiteren Provisionszahlungen
zunächst die Geschäftspraktiken der Agentur weiter untersuchen wolle, ein Vorgehen, durch das den Adressaten stillschweigend ein unzutreffender Sachverhalt vorgespiegelt wurde. In Wirklichkeit gingen die Vertreter der Klägerin offenbar bereits damals davon aus, daß es sich um ein unzulässiges "Schneeballsystem" handle.
Jedenfalls hätten die Vertreter der Klägerin auf der Grundlage des Geschehens , das der Revisionsentscheidung zugrunde zu legen ist, nicht einfach schweigen dürfen. Eine Rechtspflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die für dessen Entscheidung von Bedeutung sein können, besteht zwar nicht allgemein (BGH, Urteil vom 13. Juli 1983 - VIII ZR 142/82, ZIP 1983, 1073, 1075; vom 15. April 1997 - IX ZR 112/96, WM 1997, 1045, 1047), wohl aber dann, wenn er eine solche Mitteilung aufgrund der konkreten Gegebenheiten nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (BGH, Urteil vom 2. März 1979 - V ZR 157/77, NJW 1979, 2243; vom 13. Dezember 1990 - III ZR 333/89, WM 1991, 604, 606). Das war hier entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung der Fall. R. B. gab die auf den eigenen Ä ußerungen der Vertreter der Klägerin beruhende Erwartung, es werde "Geld fließen", nicht nur mit ihrem Wissen , sondern sogar in ihrer Gegenwart an die Mitarbeiter der Agentur weiter. Die Vertreter der Klägerin durften unter diesen Umständen nicht schweigen, sondern waren verpflichtet, die Mitarbeiter, für die bei Übernahme der Bürgschaften jene Erwartung offensichtlich von entscheidender Bedeutung war, darüber aufzuklären, daß sie bei der Abgabe der Bürgschaftserklärungen von einer falschen Voraussetzung ausgingen.
2. Da somit für die Revisionsinstanz davon auszugehen ist, daß die Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung gegeben sind, und die Anfech-
tungsfrist des § 124 BGB durch das Anfechtungsschreiben des Beklagten vom 15. März 1995 gewahrt ist, kommt es nicht darauf an, daß, worauf die Revision hinweist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Pflicht zur Rückgängigmachung des Bürgschaftsvertrags auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1997 - V ZR 29/96, WM 1997, 2309, 2311 m.w.N.) in Betracht zu ziehen ist. Ebensowenig ist es jedenfalls in der Revisionsinstanz entscheidungserheblich , daß - auch darauf weist die Revision zutreffend hin - auf dieser Rechtsgrundlage die Inhaberin der Agentur, wenn das von ihr abgegebene Schuldanerkenntnis auf Täuschung beruhen sollte, ihrerseits ein nicht durch Fristablauf verlorengegangenes Recht hätte, sich von dem Anerkenntnis zu lösen. Darauf könnte sich der Kläger als Bürge nach den §§ 767 Abs. 1, 768 Abs. 1 BGB berufen. Gegebenenfalls wird zu prüfen sein, ob die formularmäßige Klausel, mit der die Bürgschaft als solche auf erstes Anfordern ausgestaltet ist, wirksam ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, WM 1997, 656, 658; vom 2. April 1998 - IX ZR 79/97, ZIP 1998, 905, 906).

III.


Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit - nach Wiederholung der Beweisaufnahme - eine rechtlich einwandfreie Beweiswürdigung vorgenommen werden kann. Der Senat macht dabei von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Kreft Stodolkowitz Zugehör Ganter Raebel

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄ UMNISURTEIL
XII ZR 279/97 Verkündet am:
16. Februar 2000
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur Rechtsposition eines Mieters, der ein Ladenlokal in einem erst zu erstellenden
Einkaufszentrum gemietet hat, wenn dieses nach der Eröffnung nicht in der erwarteten
Weise von den Kunden angenommen wird.
BGH, Urteil vom 16. Februar 2000 - XII ZR 279/97 - OLG Naumburg
LG Halle
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die
Richter Dr. Krohn, Gerber, Sprick und Weber-Monecke

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. Oktober 1997 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin und Vermieterin eines Einkaufszentrums "C. -C. " in der Innenstadt von H. . Sie bot dem Beklagten über die I. C. M. GmbH (ICM) - unter Vorlage von Grundrißzeichnungen und eines Standortprospekts - Geschäftsräume in dem damals erst noch zu erstellenden C. -C. an. Der Prospekt enthielt unter anderem folgende Angaben:
"... An den Bahnhof angrenzend, am R. platz, beginnt H. 's Fußgängerzone - die L. Straße. Vom Tunnelausgang L. Straße mit Läden und überdachten Verbindungen und über die R. straße führt der direkte Weg in das neue C. -C. . ... ein attraktiver Standort und ein starkes Konzept, das den Erfolg des C. - C. garantiert." Durch Vertrag vom 28. Juni 1994 mietete der Beklagte ein Ladengeschäft mit einer Grundfläche von ca. 35 qm im Passagenbereich des Geschäftszentrums zum Betrieb eines Fachgeschäfts für Wäsche und Dessous. Das Mietverhältnis sollte mit der Übergabe des Objekts, voraussichtlich im November 1995, beginnen und war zunächst auf die Dauer von 10 Jahren abgeschlossen. Der Mietzins sollte monatlich 2.100 DM zuzüglich Nebenkostenvorauszahlung und Mehrwertsteuer betragen. Als Mietsicherheit hatte der Beklagte vor Übergabe der Mieträume eine Kaution von 8.100 DM zu leisten. Der Mietvertrag enthielt unter anderem nähere Regelungen über die Nutzung der Mieträume, die Betriebspflicht, die Ladenöffnungszeiten und die Verpflichtung des Mieters, einer zu gründenden Werbegemeinschaft anzugehören, sowie über die Aufgaben des Vermieters, unter anderem hinsichtlich der "Organisation eines objektbezogenen Center-Managements", wodurch "die Voraussetzungen und Grundlagen für den wirtschaftlichen Erfolg des Objekts geschaffen und gefördert werden" sollten. Am 15. Oktober 1995 schlossen sich die damaligen Mieter zu einer Interessengemeinschaft zusammen, die gegenüber der Klägerin beanstandete, daß bislang nur 50 % der Läden auf 2/3 der Gesamtfläche vermietet seien. Daraufhin halbierte die Klägerin den jeweils vereinbarten Mietzins. Am 23. Oktober 1995 erhielt der Beklagte die gemieteten Räume übergeben. Die vereinbarte Kaution zahlte er nicht. In der Folgezeit geriet er in wirtschaftliche Schwierigkeiten, die er darauf zurückführte, daß die Klägerin
Zusagen unter anderem über die günstige Verkehrsanbindung sowie über die (Voll-) Belegung des C. -C. nicht eingehalten habe mit der Folge, daß dieses von den Kunden nicht angenommen worden sei. Mit Schreiben vom 7. Februar 1996 erklärte der Beklagte die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses, hilfsweise verlangte er die sofortige Auflösung des Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage bzw. wegen Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Mietverhältnisses. Die Klägerin hält die Kündigung für unwirksam. Sie hat den Beklagten mit der Klage auf Zahlung der vertraglich vereinbarten Mietkaution in Höhe von 8.100 DM in Anspruch genommen. Der Beklagte hat im Wege der Widerklage die Feststellung begehrt, daß das Mietverhältnis durch die von ihm erklärte fristlose Kündigung beendet sei. Er hat behauptet, die Klägerin habe ihm bei der Anmietung des Objekts umfangreiche Zusicherungen gemacht über die günstige Erreichbarkeit des Einkaufszentrums, das Vorhandensein einer erheblichen Anzahl von Parkplätzen und die Vollvermietung desC. -C. einschließlich der Belegung mit einem Lebensmittelmarkt. Damit habe die Klägerin - und zwar bereits in ihrem Prospekt - die Garantie für das Gesamtkonzept und für den Erfolg des Einkaufszentrums übernommen, der indessen nicht eingetreten sei. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Es hat die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses verneint, da dem Beklagten kein Kündigungsgrund zur Seite gestanden habe. Der Mietvertrag enthalte keine besonderen Zusicherungen der Klägerin. Das von ihr erstellte Exposései unverbindlich gewesen. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage sei ebenfalls nicht anzunehmen.
Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 1997 eine Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung durchgeführt und sodann - im Hinblick auf eine noch ausstehende schriftliche Zeugenaussage - im Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren mit Schriftsatzfrist bis zum 11. August 1997 (später verlängert bis zum 14. August 1997) und Verkündungstermin am 28. August 1997 (später verlegt auf den 9. Oktober 1997) angeordnet. Durch Urteil vom 9. Oktober 1997 hat das Oberlandesgericht unter Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung die Klage abgewiesen und auf die Widerklage festgestellt, daß der Mietvertrag zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 7. Februar 1996 beendet sei. Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der sie die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erstrebt.

Entscheidungsgründe:

A

Da der Beklagte in der mündlichen Verhandlung trotz rechtzeitiger Bekanntgabe des Termins nicht vertreten war, ist über die Revision antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden (§§ 557, 331 ZPO). Das Urteil beruht jedoch inhaltlich nicht auf einer Säumnisfolge, sondern einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81).

B

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

I.

Die Revision erhebt zunächst eine Verfahrensrüge im Zusammenhang mit der Anordnung des schriftlichen Verfahrens durch das Berufungsgericht. Sie macht dazu geltend: Das Oberlandesgericht habe nicht dargelegt, inwieweit der Prozeß nicht auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung entscheidungsreif gewesen sei. Durch die Anordnung des schriftlichen Verfahrens und die Verkündung des Berufungsurteils am 9. Oktober 1997 - auf die Verhandlung vom 23. Juni 1997 - sei die Dreiwochenfrist des § 310 Abs. 1 ZPO erheblich überschritten worden. Hierauf könne das angefochtene Urteil beruhen , da der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme berührt sei. Diese Rüge hat keinen Erfolg. Die Anordnung des schriftlichen Verfahrens war durch den Umstand bedingt, daß die schriftliche Aussage des Zeugen H. noch ausstand. Aus diesem Grund haben sich beide Parteivertreter ausdrücklich mit dem schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt. Die Überschreitung der Dreiwochenfrist - im schriftlichen Verfahren allerdings zu bemessen vom Ende der eingeräumten Schriftsatzfrist bis zur Urteilsverkündung -, die aus dienstlichen Gründen, zunächst zum Zwecke einer Nachberatung , erfolgte, hält sich noch in dem Rahmen, den § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgibt (vgl. BVerfG Beschluß vom 5. Juni 1992 - 2 BvR 1307/91 = NJW-RR 1993, 253).

II.

Die Revision greift auch die materiell-rechtlichen Ausführungen des Berufungsgerichts als fehlerhaft an. 1. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, der vertraglich vereinbarte Anspruch der Klägerin auf die Kautionszahlung sei infolge wirksamer fristloser Kündigung des Mietvertrages durch den Beklagten erloschen. Die fristlose Kündigung sei berechtigt gewesen, da dem Beklagten der vertragsgemäße Gebrauch der Mietsache nicht gewährt worden sei, §§ 542, 537 BGB. Hierzu hat das Gericht im einzelnen ausgeführt: Der gemietete Laden habe mehrere Mängel aufgewiesen, die seine Tauglichkeit für den vorgesehenen Zweck entscheidend beeinträchtigt hätten. Das gesamte C. -C. und damit auch das Geschäftslokal des Beklagten sei für Fußgänger aus dem Innenstadtbereich nicht in so bequemer Weise zu erreichen gewesen, daß Kunden auch bei schlechtem Wetter angezogen worden seien. Von dem Fußgängerbereich der L. Straße habe kein überdachter Weg zum C. -C. geführt. Das sei dem Beklagten aber bei der Anmietung zugesagt worden. Hierfür spreche schon der Wortlaut des Standort-Prospekts der den Mietern ausgehändigt worden sei. Außerdem hätten auch die Zeugen B. (B.) und K. (K.) - ebenfalls Mieter im C. - -C. - bekundet, ihnen sei zugesichert worden, man werde das C. - -C. vom Bahnhof trockenen Fußes erreichen können. Diesen Bekundungen sei entgegen den Aussagen der auf der Vermieterseite an den Mietverhandlungen beteiligten Zeugen C. (C.) und G. -S. (G.-S.) zu fol-
gen. Das Fehlen einer Überdachung für die Fußgänger sei ein die Erreichbarkeit des C. -C. betreffender Mangel. Ein weiterer Mangel der Mietsache liege darin, daß am C. -C. weniger als 200 Parkplätze für Mieter und Kunden zur Verfügung ständen, obwohl 600 bis 1200 Parkplätze zugesagt worden seien, wie sich ebenfalls aus den Bekundungen der Zeugen B. und K. ergebe. Ferner sei nach den Aussagen B. und K. das Vorhandensein eines Lebensmittelmarktes mit Vollsortiment unter Beteiligung bekannter Firmen zugesichert worden. Auch das sei ein Umstand, der Kunden anziehen könne. Eingehalten worden sei die Zusicherung jedoch nicht. Schließlich sei nach der Aussage K. zugesichert worden, das Zentrum sei voll vermietet, wodurch eine werbewirksame Anziehung von Kunden zu erwarten gewesen sei. Auch diese Zusicherung sei nicht eingehalten worden. Die Gesamtwürdigung der genannten Umstände führe zu dem Ergebnis, daß ein schwerwiegender Mangel des Mietobjekts im Sinne von § 537 BGB anzunehmen sei. Dieser habe die fristlose Kündigung gerechtfertigt. Wenn auch der Mieter eines Ladenlokals das Risiko für die Verwertbarkeit des Mietobjekts und die Ertragslage seines Geschäfts selbst zu tragen habe , dürfe er doch darauf vertrauen, daß die objektiven Gegebenheiten, die die Erreichbarkeit der Geschäfte und die generelle Werbewirksamkeit eines Einkaufszentrums beträfen, in der zugesicherten Weise vorhanden seien. Nur auf dieser Grundlage könne er seine Entscheidung, ob er das Geschäftsrisiko an diesem Ort eingehen wolle, sachgerecht abwägen. Wenn ihm Umstände als besonders werbewirksam dargestellt worden seien, dürfe er darauf vertrauen, daß er sich in einem entsprechenden Umfeld einmiete. Wenn sodann mehrere dieser Umstände nachhaltig ausfielen, liege eine erhebliche Hinderung im Gebrauch vor (§ 542 Abs. 2 BGB).
Eine Frist zur Beseitigung der Mängel habe der Beklagte gemäß § 542 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht zu bestimmen brauchen; denn es sei aufgrund der Haltung der Klägerin nicht damit zu rechnen gewesen, daß die Mängel innerhalb zumutbarer Frist behoben werden könnten. So habe die Klägerin durch ihr weiteres Verhalten zu erkennen gegeben, daß sie weitere bauliche Investitionen - insbesondere Schaffung eines überdachten Fußgängerweges und von Parkplätzen - nicht plane. 2. Diese Ausführungen halten, wie die Revision zu Recht geltend macht, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Kündigungsrecht nach § 542 BGB setzt voraus, daß die Mietsache mit einem Fehler im Sinne des § 537 Abs. 1 BGB behaftet ist, oder daß ihr eine besonders zugesicherte Eigenschaft (§ 537 Abs. 2 BGB) fehlt (vgl. Gerber/ Eckert, Gewerbliches Miet- und Pachtrecht 3. Aufl., Rdn. 116).
a) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht und mit nicht zutreffender Begründung das Vorliegen eines Mangels des von dem Beklagten gemieteten Geschäftslokals bejaht. Unter einem Mangel im Sinne von § 537 Abs. 1 BGB ist die für den Mieter nachteilige Abweichung des tatsächlichen Zustandes der Mietsache von dem vertraglich geschuldeten Zustand zu verstehen (vgl. BGH Urteil vom 26. September 1990 - VIII ZR 205/89 = BGHR BGB § 537 Abs. 1 Fehler 1 m.w.N.; Kraemer in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete , 3. Aufl. III B Rdn. 1328 ff; Gerber/Eckert aaO Rdn. 117), wobei sowohl tatsächliche Umstände als auch rechtliche Verhältnisse in bezug auf die Mietsache als Fehler in Betracht kommen können (st.Rspr. vgl. etwa BGH Urteil vom 1. Juli 1981 - VIII ZR 192/80 = NJW 1981, 2405; Senatsurteil vom 11. Dezember 1991 - XII ZR 63/90 = WM 1992, 583, 585, jeweils m.N.). So können bestimmte äußere Einflüsse oder Umstände - etwa die Behinderung
des beschwerdefreien Zugangs zu einem gemieteten Geschäftslokal - einen Fehler des Mietobjekts begründen (vgl. BGH aaO NJW 1981, 2405; Wolf/ Eckert, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 7. Aufl. Rdn. 235 ff). Erforderlich ist allerdings, um Ausuferungen des Fehlerbegriffs zu vermeiden, stets eine unmittelbare Beeinträchtigung der Tauglichkeit bzw. eine unmittelbare Einwirkung auf die Gebrauchstauglichkeit der Mietsache (vgl. BGH aaO NJW 1981, 2405 m.N.; Kraemer in Bub/Treier aaO III B Rdn. 1342; auch Staudinger/Emmerich BGB 13. Bearb. Vorbem. zu § 537 Rdn 32), wohingegen Umstände, die die Eignung der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch nur mittelbar berühren, nicht als Mängel zu qualifizieren sind (Wolf/Eckert aaO Rdn. 243). In diesem Sinn scheiden die Umstände, die das Berufungsgericht zur Begründung der allgemeinen Werbewirksamkeit des Einkaufszentrums hervorgehoben hat, von vornherein als Fehler des gemieteten Ladenlokals im Sinne von § 537 Abs. 1 BGB aus. Sowohl das Vorhandensein eines überdachten Zuweges vom Hauptbahnhof zu demC. -C. als auch der Bestand von Parkplätzen in ausreichender Anzahl in der Nähe des Einkaufszentrums sind zwar Umstände, die für die Attraktivität des Einkaufszentrums in der Innenstadtlage von - sogar erheblicher - Bedeutung sein dürften. Sie führen jedoch nicht zu einer unmittelbaren Einwirkung auf die Gebrauchstauglichkeit des von dem Beklagten gemieteten Geschäftslokals für Wäsche und Dessous (vgl. BGH aaO NJW 1981, 2405, 2406). Ein Geschäft dieser Art ist auch ohne überdachten Zuweg - grundsätzlich beschwerdefrei und ungehindert - zu erreichen, und zwar auch unabhängig davon, ob ein Kunde, je nach Tageszeit, einen Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Einkaufszentrums oder an entfernterer Stelle findet. Bei einem Geschäft, zu und von dem die Kunden typischerweise
schwerere Lasten zu transportieren haben (wie etwa bei einem Getränkemarkt ), kann das anders sein. Soweit der Beklagte seine fristlose Kündigung darauf gestützt hat, daß das Einkaufszentrum im Zeitpunkt der Eröffnung - und auch später - nicht vollständig vermietet und daß entgegen den Planungen kein Lebensmittelmarkt vorhanden gewesen sei, begründen auch diese Umstände keinen Fehler des Mietobjekts im Sinne von § 537 Abs. 1 BGB. Denn auch sie stellen keine - unmittelbare - Beeinträchtigung der Tauglichkeit der gemieteten Räume zu dem vertraglich vereinbarten Zweck als Geschäftslokal für Wäsche und Dessous dar. Die Möglichkeit, an dem von anderen Geschäften in einem Einkaufszentrum angezogenen Kundenstrom zu partizipieren, kann sich zwar - mittelbar - auf den zu erwartenden Umsatz und damit auf den wirtschaftlichen Erfolg des einzelnen Geschäfts auswirken. Insoweit steht jedoch, wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkennt, nicht die Gebrauchstauglichkeit des Mietobjekts in Frage, sondern das allgemeine unternehmerische Verwendungsund Gewinnerzielungsrisiko, das grundsätzlich bei dem Mieter und nicht bei dem Vermieter liegt (allgemeine Meinung, vgl. nur BGH aaO NJW 1981, 2405 f; Kraemer in Bub/Treier aaO III B Rdn. 1342; Wolf/Eckert aaO Rdn. 168).
b) Das Berufungsgericht hat mehrfach darauf abgehoben, daß die Klägerin bestimmte Zusicherungen bzw. Zusagen erteilt habe, die nicht eingehalten worden seien, und es ist sodann in einer "Gesamtwürdigung der aufgeführten Umstände" zu dem Ergebnis gelangt, daß "ein schwerwiegender Mangel im Sinne des § 537 BGB" vorliege. Diesen Ausführungen ist nicht mit ausreichender Deutlichkeit zu entnehmen, ob das Oberlandesgericht hiermit das Fehlen zugesicherter Eigenschaften des Mietobjekts im Sinne von § 537 Abs. 2 Satz 1 BGB bejahen wollte.
Sollte das der Fall sein, so hält auch diese Annahme der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Denn die von dem Beklagten geltend gemachten Umstände stellen - schon - keine zusicherungsfähigen Eigenschaften des hier streitigen Mietobjekts im Sinne von § 537 Abs. 2 Satz 1 BGB dar; im übrigen fehlt es auch an der schlüssigen Behauptung einer "zugesicherten" Eigenschaft im Sinne der Vorschrift. Als Eigenschaften im Sinne von § 537 Abs. 2 Satz 1 BGB kommen - entsprechend der Regelung in § 459 Abs. 2 BGB (vgl. Staudinger/Emmerich BGB 13. Bearb. § 537 Rdn. 58; Kraemer in Bub/Treier aaO III B Rdn. 1357; RG, Urteil vom 12. November 1936 - IV 148/36 = JW 1937, 675) - neben der physischen Beschaffenheit die tatsächlichen und rechtlichen Beziehungen des Mietgegenstandes zu seiner Umwelt in Betracht, die für die Brauchbarkeit und den Wert des Mietobjekts von Bedeutung sind. Diese Beziehungen müssen jedoch ihren Grund in der Beschaffenheit des Mietobjekts selbst haben, von ihm ausgehen, ihm auch für eine gewisse Dauer anhaften und nicht lediglich durch Heranziehung von Umständen in Erscheinung treten, die außerhalb der Mietsache liegen (vgl. BGHZ 111, 75, 78; 79, 183, 185; 114, 263, 266 jeweils m.w.N.). Nach diesem Maßstab scheiden hier zunächst der - überdachte - Zugang vom Hauptbahnhof zu dem Einkaufszentrum, in welchem sich das gemietete Ladenlokal des Beklagten befindet, und das Vorhandensein von zugesagten 600 bis 1200 (statt ca. 200) Parkplätzen im Umfeld des Einkaufszentrums als zusicherungsfähige Eigenschaften der Mietsache selbst aus. Sie haben mit der Beschaffenheit des gemieteten Ladenlokals nichts zu tun. Aber auch eine (augenblickliche) Vollbelegung (Vollvermietung) des C. - C. , unter anderem mit einem für die Anziehung von Kunden gegebenen-
falls wichtigen Lebensmittelmarkt, stellt keine Eigenschaft des einzelnen in dem Einkaufszentrum gemieteten Ladenlokals dar. Zwar wird die Vollvermietung eines Einkaufszentrums für den Mieter des einzelnen Ladenlokals regelmäßig von erheblicher Bedeutung sein. Gleichwohl stellt sie keinen Umstand dar, der dem Mietobjekt - auf Dauer - als "Eigenschaft" anhaftet. Denn auch insoweit fehlt es an dem notwendigen Bezug zu der Beschaffenheit des Mietobjekts , in der die Bedeutung und die Auswirkungen der "Umweltbeziehungen" auf die Mietsache ihren Grund haben müßten. So kann zwar die örtliche Lage eines gemieteten Ladenlokals als Beschaffenheitsmerkmal, d.h. als tatsächliche Beziehung der Mietsache zu ihrer Umgebung, eine zusicherungsfähige Eigenschaft gemäß § 537 Abs. 2 Satz 1 BGB sein, etwa in dem Sinn, daß die Lage in einer Fußgängerzone im Innenstadtbereich, in einem bestehenden Neubaugebiet oder auch in einem Einkaufszentrum in der Innenstadt oder einem außerörtlichen Gewerbegebiet als Eigenschaft zugesichert wird. Ob und in welchem Umfang potentielle Kunden die Fußgängerzone besuchen, die Geschäfte in dem Neubaugebiet aufsuchen, und/oder durch die Attraktivität des - teil- oder vollbelegten - Einkaufszentrums angezogen werden und damit letztlich zu einem wirtschaftlichen Erfolg des Gewerbes in dem gemieteten Ladenlokal beitragen, beurteilt sich hingegen aufgrund von Umständen, die außerhalb des Mietobjekts liegen (vgl. BGHZ 111 aaO) und ihre Ursache nicht in seiner Beschaffenheit haben. Abgesehen davon, daß die von dem Beklagten geltend gemachten Umstände hiernach bereits die Voraussetzungen einer zusicherungsfähigen Eigenschaft im Sinne von § 537 Abs. 2 BGB nicht erfüllen, fehlt es nach dem eigenen Vortrag des Beklagten auch an dem Merkmal der Zusicherung im Sinne von § 537 Abs. 2 BGB. Dazu müßte die Klägerin durch ihre mit den Vertragsverhandlungen betrauten Mitarbeiter über allgemeine Anpreisungen und Be-
schreibungen der Mietsache hinaus vertragsmäßig bindend erklärt haben, die Gewähr für das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften zu übernehmen und für alle Folgen ihres Fehlens eintreten zu wollen (vgl. Wolf/Eckert aaO Rdn. 221; Kraemer in Bub/Treier aaO III B Rdn. 1355; BGHZ 132, 55, 58 zu § 459 Abs. 2 BGB). Eine derartige Zusicherung durch die Klägerin hat der Beklagte nicht (schlüssig) behauptet. Sein allgemeingehaltener Vortrag, die Klägerin habe die Vollvermietung des Einkaufszentrums, das Vorhandensein eines überdachten Zugangs vom Hauptbahnhof zu dem Zentrum und die Erstellung von mehr als 600 Parkplätzen "zugesagt" bzw. "zugesichert", erfüllt die Voraussetzungen des § 537 Abs. 2 BGB nicht. Soweit sich der Beklagte hinsichtlich des überdachten Zugangs auf den Prospekt der Klägerin bezieht, ist diesem schon nach seinem Wortlaut eine entsprechende Aussage nicht zu entnehmen.
c) Da das von dem Beklagten gemietete Geschäftslokal nach den vorstehenden Ausführungen entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht mit einem die Gebrauchstauglichkeit mindernden Fehler behaftet war (§ 537 Abs. 1 BGB) und ihm auch keine zugesicherte Eigenschaft fehlte (§ 537 Abs. 2 BGB), kann das angefochtene Urteil mit der gegebenen Begründung nicht bestehenbleiben. 3. Es kann auch nicht mit anderer Begründung gehalten werden (§ 563 ZPO).
a) Der Beklagte hat in seinem Schreiben vom 7. Februar 1996, mit dem er die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses erklärte, hilfsweise die Auflösung des Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage verlangt.

b) Auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt war er indessen nicht zur vorzeitigen Kündigung des Mietvertrages berechtigt. Zwar können die Grundsätze über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl. dazu nur Palandt/Heinrichs BGB 59. Aufl. § 242 Rdn. 113 m.w.N.) dann eingreifen, wenn und soweit der Anwendungsbereich der Gewährleistungsvorschriften nach §§ 537 ff. BGB nicht betroffen ist (vgl. Senatsurteil vom 11. Dezember 1991 aaO m.w.N.). Fehlt oder entfällt die Geschäftsgrundlage , so führt dies im Regelfall zur Notwendigkeit der Anpassung des Vertrages an die veränderten Umstände. Ist eine Anpassung im Einzelfall nicht möglich oder unzumutbar, so kann ausnahmsweise eine Auflösung des Vertrages verlangt werden (vgl. BGH Urteil vom 26. Oktober 1984 - V ZR 140/83 = WM 1985, 32, 33/34 m.w.N.). Die Auflösung tritt allerdings nicht automatisch als Folge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ein, sondern wird durch entsprechende Gestaltungserklärung - beim Mietvertrag in der Regel durch eine für die Zukunft wirkende Kündigungserklärung - herbeigeführt (vgl. BGHZ 101, 143, 150 m.w.N.; Bub in Bub/Treier aaO II Rdn. 651). Für eine Berücksichtigung von Störungen der Geschäftsgrundlage - hier etwa der dem Vermieter bei Vertragsschluß erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellung und Erwartung des Mieters, in dem gemieteten Ladengeschäft aufgrund einer positiven Entwicklung des angeblich bereits voll vermieteten und bequem erreichbaren Einkaufszentrums Gewinne zu erzielen - ist allerdings grundsätzlich insoweit kein Raum, als es um Erwartungen und um Umstände geht, die nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fallen sollen (vgl. BGHZ 74, 370, 373 m.w.N.). Eine solche vertragliche Risikoverteilung bzw. Risikoübernahme schließt für den Betroffenen - abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvor-
hergesehene Entwicklung mit unter Umständen existentiell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt (vgl. etwa Senatsurteil vom 13. Dezember 1995 - XII ZR 185/93 = BGHR BGB § 242 Geschäftsgrundlage 54) - regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (vgl. Staudinger/Emmerich aaO Vorbemerkung zu § 537 Rdn. 31 ff.). Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen sich die Anfangsschwierigkeiten , die typischerweise mit einer Existenzgründung oder der Eröffnung eines neuen Ladenlokals verbunden sind, für den Mieter wirtschaftlich negativ auswirken. Aus diesem Grund stand dem Beklagten im vorliegenden Fall kein Recht zur vorzeitigen Beendigung bzw. Kündigung des Mietvertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 242 BGB zu. aa) Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache (BGH aaO NJW 1981, 2405, 2406 m.w.N.; Gerber/Eckert aaO Rdn. 128; Schmidt-Futterer/Eisenschmid , Mietrecht, 7. Aufl. §§ 535, 536 Rdn. 174). Dazu gehört bei der gewerblichen Miete vor allem das Risiko, mit dem Mietobjekt Gewinne erzielen zu können. Erfüllt sich diese Erwartung des Mieters nicht, so verwirklicht sich damit ein typisches Risiko des gewerblichen Mieters, das dieser nicht auf den Vermieter verlagern kann. bb) Diese im Gewerberaummietrecht angelegte Risikoverteilung ändert sich nicht dadurch, daß das vermietete Geschäft in einem Einkaufszentrum liegt und nicht nur der Mieter, sondern auch der Vermieter erwartet, die notwendige geschäftsbelebende Funktion des Einkaufszentrums werde verwirklicht werden können (BGH aaO NJW 1981, 2406; OLG Koblenz NJW-RR 1989, 400, 401; OLG Düsseldorf BB 1991, 159, 160; OLG München ZMR 1996, 256,
257; teilweise anderer Ansicht für ein projektiertes Einkaufszentrum: OLG Celle NJW 1978, 2510, 2511; allgemein zur Risikoverteilung: BGH Urteil vom 20. Mai 1970 - VIII ZR 197/68 = WM 1970, 907, 908 f.). Wie auch in anderen Geschäftslagen fällt es in den Verantwortungsbereich des Mieters, als Unternehmer die Erfolgsaussichten eines Geschäftes in der gewählten Lage abzuschätzen. Das umfaßt bei einem erst geplanten Einkaufszentrum neben der Chance, in einem später florierenden Zentrum erhöhte Gewinne zu erzielen, auch das Risiko eines Scheiterns des Gesamtobjekts mit entsprechenden negativen Folgen für das gemietete Einzelgeschäft (vgl. BGH aaO NJW 1981, 2406). Allein der Umstand, daß auch der Vermieter von einem wirtschaftlichen Erfolg des Projekts ausgeht, verlagert das Verwendungs- und Gewinnerzielungsrisiko für das einzelne gemietete Geschäft in dem Einkaufszentrum nicht von dem Mieter auf den Vermieter. cc) Die Parteien können allerdings die Risikoverteilung vertraglich ändern und vereinbaren, daß der Vermieter das Geschäftsrisiko des Mieters - ganz oder zum Teil - übernimmt. Ob das der Fall ist, ist durch Auslegung der getroffenen Vertragsvereinbarungen zu ermitteln. Das Berufungsgericht hat, von seinem Standpunkt aus folgerichtig, eine Auslegung des Mietvertrages vom 28. Juni 1994 unter diesem Gesichtspunkt nicht vorgenommen. Da weitere Feststellungen insoweit jedoch nicht zu erwarten sind, kann der erkennende Senat den Vertrag selbst auslegen (vgl. BGH Urteil vom 12. Dezember 1997 - V ZR 250/96 = NJW 1998, 1219 m.w.N.). Hierbei ergibt sich, daß der Vertragsinhalt nicht die Annahme rechtfertigt, die Parteien hätten eine Verlagerung des unternehmerischen Geschäftsrisikos von dem Mieter auf den Vermieter vereinbart. Dafür reicht es nicht aus, daß der Mieter in einem projektierten Einkaufszentrum einzelne zusätzliche Vertrags-
pflichten "im Gesamtinteresse" aller Mieter des Zentrums übernommen hat (insoweit teilweise anderer Ansicht OLG Koblenz aaO S. 401). Der Vertrag muß vielmehr konkrete Anhaltspunkte für eine Risikoübernahme durch den Vermieter enthalten. Dabei kann es sich um Vereinbarungen handeln, die den Mieter in seinen unternehmerischen Entscheidungen über das übliche Maß hinaus einschränken, sein Geschäft nach dem äußeren Erscheinungsbild zu einem eingefügten Teil einer Anlage werden lassen (vgl. dazu Sonnenschein EWiR 1987, 1174, Anmerkung zu LG Duisburg 12 O 197/96 oder etwa dem Vermieter das Risiko einer Betriebsunterbrechung auch dann auferlegen, wenn nicht das vermietete Geschäft, sondern nur ein anderer Teil der Anlage dem Publikumsverkehr nicht mehr zugänglich ist (OLG Koblenz aaO S. 402). Solche Vereinbarungen sind dem hier streitigen Vertrag nicht zu entnehmen. Die in den einzelnen Vertragsvorschriften enthaltenen, für Einkaufszentren nicht ungewöhnlichen Regelungen - wie etwa: Beschränkung des Sortiments, Betriebspflicht während der gesetzlichen Ladenöffnungszeiten, Pflichtmitgliedschaft in der Werbegemeinschaft, Verpflichtung zur Zahlung von Nebenkosten für die Gesamtanlage und zur Mitteilung der Umsätze - führen allein nicht zu einer Verlagerung des unternehmerischen Risikos auf den Vermieter. Die Festlegung des Mietzweckes, hier zum Betrieb eines Geschäftes für Wäsche und Dessous (§ 1 Nr. 4), ist in einem Mietvertrag über Gewerberäume üblich. Soweit nach § 2 Nr. 1 des Vertrages jede Ä nderung des Betriebszwecks und die Übernahme branchenfremder Artikel der Zustimmung des Vermieters bedürfen und die Gestaltung des Sortiments und des Geschäftsbetriebes so erfolgen muß, daß keine Überschneidung mit dem Sortiment eines anderen Geschäfts besteht (§ 2 Nr. 3), handelt es sich zwar um einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Mieters; dieser korrespondiert jedoch mit dem festgelegten Vertragszweck und schützt umgekehrt auch den Mieter vor der Konkurrenz durch andere Ge-
schäfte in dem Einkaufszentrum. Hingegen betrifft die Pflicht, die Ladenöffnungszeiten "maximal auszuschöpfen" und für Beleuchtung zu sorgen (§ 2 Nr. 2), in erster Linie das Gesamtinteresse. Ä hnliches gilt für die Nebenkosten, die für die Gesamtanlage zu zahlen sind, insbesondere die Kosten des Hauspersonals und zwar auch insoweit, als von diesem Leistungen für Instandhaltung und Hausverwaltung erbracht werden (§ 7 Nr. 1 Buchst. l), sowie - neben anderem - die Kosten für den Betrieb und die Wartung der Klimaanlage, für die Pflege der Außenanlagen, für die Instandhaltung und Instandsetzung der Gemeinschaftseinrichtungen und -flächen, die Kosten des Center-Managements und die der zur kaufmännischen und technischen Betreuung des Objekts durch vom Vermieter eingesetzten Verwalter (§ 7). Derartige Kosten, die ein Mieter eines Geschäfts in Einzellage nicht zu zahlen hat, hat der Mieter des C. - C. z u dem Zweck übernommen, auf diese Weise für den erhofften wirtschaftlichen Erfolg seines Geschäfts von der Gesamtattraktivität des Einkaufszentrums zu profitieren. Damit läßt sich keine Verlagerung des einzelnen Unternehmerrisikos auf den Vermieter begründen. Ebenso wie ein Unternehmer in einer Einzelgeschäftslage möglicherweise, ohne dazu verpflichtet zu sein, in Außenanlagen in der Umgebung seines Geschäfts investiert, um die Lage attraktiver zu gestalten, steigert ein Mieter in einem Einkaufszentrum seine Umsatzchancen, indem er sich an den Kosten der Gesamtgestaltung des Zentrums beteiligt. Der Mieter erwirbt damit einen (durchsetzbaren) Anspruch gegen den Vermieter auf Verwendung der gezahlten Nebenkosten für die vorgesehene Gestaltung des Umfeldes innerhalb und außerhalb des Einkaufszentrums. Auf die Risikoverteilung für den Fall, daß das Zentrum vom Publikum dennoch nicht angenommen wird und die Kunden ausbleiben, hat dies jedoch keinen Einfluß.
Entscheidend ist insoweit vielmehr, ob der Vermieter durch die Begründung eines Gesamtkonzeptes, in das die einzelnen Mieter finanziell und mit Betriebspflichten vertraglich eingebunden werden, eine Gesamtverkaufsstrategie entwickelt, mit welcher er über die übliche Verwaltung und Koordinierung eines Einkaufszentrums hinaus ein eigenes unternehmerisches Risiko für alle Einzelgeschäfte übernimmt. Das kann äußerlich etwa durch einheitliche Gestaltung der Geschäfte und unternehmerisch durch ein Gesamtmanagement der Anlage geschehen. Hierfür bieten sich jedoch im vorliegenden Fall nach dem Inhalt des Mietvertrages vom 28. Juni 1994 keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die Regelung des § 10 des Vertrages über das Center-Management und die Werbegemeinschaft rechtfertigt nicht die Annahme eines "Gesamtmanagements" mit Risikoübernahme durch die Klägerin in dem vorbeschriebenen Sinn. Zwar ist der Klägerin nach § 10 die "Organisation eines objektbezogenen Center-Managements" als Vermieteraufgabe zugewiesen. Insoweit sollte jedoch ersichtlich die - in erster Linie verwaltungstechnische - Organisation angesprochen sein und nicht zugleich die umfassende unternehmerische Verantwortung für die Vermarktungsstrategie übernommen werden, zumal die Werbung durch eine Werbegemeinschaft gestaltet werden sollte, deren Mitglieder alle Mieter sein sollten. Insoweit ist nach § 10 des Vertrages allenfalls die Aufgabe einer Koordinierung zwischen den einzelnen Mietern im Bereich der Werbung auf die Klägerin übertragen worden. Die in § 10 Abs. 5 des Vertrages geregelte Verpflichtung des Mieters, auf Anforderung des Vermieters Auskunft über seine Umsätze in den Mieträumen zu geben, begründet schließlich ebenfalls keine Verlagerung des Geschäftsrisikos auf den Vermieter. Dabei kann offen bleiben, ob bei regelmäßiger, beispielsweise vierteljährlicher Mitteilungspflicht im Zusammenhang mit anderen Umständen etwas anderes gelten könnte. Hier handelt es sich jedenfalls nicht um eine regelmäßige Verpflichtung
des Mieters, sondern nur um die dem Vermieter eingeräumte Möglichkeit, sich im Einzelfall einen Überblick über die Geschäftssituation zu verschaffen. Daraus kann nicht auf eine Verlagerung des Unternehmerrisikos auf den Vermieter geschlossen werden. Die in dem Mietvertrag getroffenen Vereinbarungen halten sich nach alledem sowohl einzeln betrachtet als auch bei einer Gesamtwürdigung insgesamt in dem üblichen Rahmen einer Regelung über die allgemeinen organisatorischen Grundlagen für ein Einkaufszentrum. Eine Verlagerung des typischerweise dem gewerblichen Mieter obliegenden Unternehmerrisikos auf den Vermieter ist ihnen nicht zu entnehmen. dd) Das unternehmerische Risiko kann im Einzelfall auch im Wege einer Garantiezusage bzw. Garantieerklärung - etwa auch für die Sicherstellung der dauerhaften oder jedenfalls langfristigen Vollvermietung (Vollbelegung) eines Einkaufszentrums - von dem Vermieter übernommen werden (vgl. allgemein BGB-RGRK/Ballhaus 12. Aufl. § 306 Rdn. 4) mit der Folge, daß bei Nichteintritt des garantierten Erfolges die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage eingreifen können. Dafür, daß die Klägerin - durch ihre Mitarbeiter - eine derartige Garantieerklärung abgegeben hätte, bestehen allerdings im vorliegenden Fall nach dem Vortrag des Beklagten keine Anhaltspunkte. 4. a) Nachdem hiernach der Anwendungsbereich der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften nicht betroffen ist und auch die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage aus Rechtsgründen nicht zum Zuge kommen, kann dem Beklagten unter Umständen ein Anspruch wegen Verschuldens der Klägerin beim Vertragsschluß zustehen, der Grund für eine fristlose Kündigung - unter Heranziehung des § 554 a BGB - sein kann (vgl. Senatsurteil vom 16. April 1997 - XII ZR 103/95 = NJW E Mietrecht 1997, 150;
Reinstorf in Bub/ Treier aaO II Rdn. 205; BGHZ 111, 75, 82 m.w.N.). Der Anspruch wäre nicht durch die Sonderregelungen der §§ 537 ff. BGB ausgeschlossen, da diese, wie dargelegt, hier nicht eingreifen (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 1997 - XII ZR 192/95 - NJW 1997, 2813; BGH Urteil vom 28. November 1979 - VIII ZR 302/78 = NJW 1980, 777, 779 f.; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 7. Aufl. vor §§ 535, 536 BGB Rdn. 63). Der Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluß setzt voraus, daß die Klägerin dem Beklagten (entweder vorsätzlich falsche Angaben über die Mietsache gemacht oder) unter Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht schuldhaft unzutreffende Informationen in Bezug auf das Mietobjekt erteilt hat, die keine zusicherungsfähigen Eigenschaften im Sinne von § 537 Abs. 2 BGB betreffen. Dem Vermieter obliegt grundsätzlich eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Mieter hinsichtlich derjenigen Umstände und Rechtsverhältnisse mit Bezug auf die Mietsache, die - für den Vermieter erkennbar - von besonderer Bedeutung für den Entschluß des Mieters zur Eingehung des Vertrages sind (vgl. Emmerich/Sonnenschein aaO vor §§ 535, 536 Rdn. 63; BGB-RGRK/Gelhaar 12. Aufl. vor § 535 Rdn. 127; Staudinger/ Emmerich aaO Vorbemerkung zu §§ 535, 536 Rdn. 172). Der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich nicht zuletzt nach der Person des Mieters, insbesondere nach dessen für den Vermieter erkennbarer Geschäftserfahrenheit oder Unerfahrenheit.
b) Das Berufungsgericht hat hierzu, von seinem Standpunkt aus konsequent , keine Feststellungen getroffen. Diese sind indessen für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich. So bedarf es tatrichterlicher Prüfung und Feststellung, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Mitarbeiter der Klägerin - über die allgemeine Anpreisung der erwarteten Attraktivität des C. - -C. , auch in dem Standortprospekt, hinaus - dem Beklagten kon-
krete Angaben über bestimmte tatsächliche Umstände, insbesondere etwa die angeblich bereits erfolgte "Vollvermietung" des Einkaufszentrums, gemacht und hierdurch, für sie erkennbar, seinen Entschluß zur Eingehung des Mietvertrages maßgeblich beeinflußt haben. Nur allgemeine, eher unverbindliche Angaben, wie sie das Berufungsgericht im Rahmen seiner Prüfung zu § 537 BGB bisher festgestellt hat, reichen hierfür allerdings nicht aus. Darüber hinaus muß ein etwaiges der Klägerin zuzurechnendes Verschulden ihrer Mitarbeiter tatrichterlich festgestellt werden. Zu diesem Zweck ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Blumenröhr Krohn Gerber Sprick Weber-Monecke

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 21/02 Verkündet am:
28. April 2004
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB §§ 242 Ba, 276 Fb culpa in contrahendo
Allein der Umstand, daß die vom gewerblichen Vermieter verlangte Betriebskostenvorauszahlung
die später entstandenen Kosten deutlich unterschreiten, führt noch
nicht zur Annahme einer Verletzung der Aufklärungspflicht. Eine solche ist nur bei
Vorliegen besonderer Umstände, die einen Vertrauenstatbestand beim Mieter begründen
, zu bejahen (im Anschluß an BGH Urteil vom 11. Februar 2004 - VIII ZR
195/03 - NJW 2004, 1102).
BGH, Urteil vom 28. April 2004 - XII ZR 21/02 - OLG Naumburg
LG Halle
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. April 2004 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter
Fuchs, Dr. Ahlt, die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 11. Dezember 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte rückständige Betriebskosten in einer Gesamthöhe von 864.688,20 DM nebst Zinsen geltend. Mit ihrer Hilfswiderklage begehrt die Beklagte Schadensersatz in gleicher Höhe. Mit Vertrag vom 3. März 1994 mietete die Beklagte von der Rechtsvorgängerin der Klägerin die Tiefgarage des C. H. . in Das Mietverhältnis begann mit der Eröffnung des C. im November 1995. Die monatliche Miete betrug 95.000 DM netto. Darüber hinaus verpflichtete sich die Beklagte zur anteiligen Übernahme bestimmter Betriebskosten. Diese soll-
ten - sofern nicht direkt zuzuordnen - entsprechend dem Verhältnis des Einheitswertes der Tiefgarage zu dem Einheitswert des gesamten C. auf die Beklagte umgelegt werden. Die Beklagte hat hierauf vereinbarungsgemäß monatliche Vorauszahlungen in Höhe von 5.000 DM zuzüglich gesetzlicher Mehrwertsteuer geleistet, über die vermieterseits kalenderjährlich abzurechnen war. Die von der Klägerin innerhalb vertraglicher Frist erstellten Betriebskostenabrechnungen ergaben folgende mit der Klage geltend gemachten Nachforderungen: November und Dezember 1995 (Abrechnung vom 3. September 1998): 50.631,68 DM 1996 (Abrechnung vom 3. September 1998): 374.765,43 DM 1997 (Abrechnung vom 3. Juni 1999): 238.097,33 DM 1998 (Abrechnung vom 21. Dezember 1999): 201.193,76 DM
Die Beklagte verweigert die Zahlung im wesentlichen mit der Begründung , die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe bei Vertragsschluß angegeben, sie rechne mit monatlichen Nebenkosten in Höhe von ca. 5.000 DM. Wäre ihr bekannt gewesen, daß die tatsächlichen Betriebskosten die voraussichtlichen um das vier- bis sechsfache übersteigen würden, hätte sie den Vertrag nicht geschlossen. Darüber hinaus erhebt sie Einwendungen gegen die Höhe der Abrechnungen. Das Landgericht hat der Klage durch Versäumnisurteil stattgegeben, das es nach Einspruch der Beklagten aufrecht erhielt; die Hilfswiderklage wies es ab. Die Berufung der Beklagten führte zur Klagabweisung. Hiergegen richtet
sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung erstrebt.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Nachzahlung von Betriebskosten. Dem Vermieter sei die Geltendmachung eines solchen Anspruchs verwehrt (§ 242 BGB), wenn bei vereinbarter Nebenkostenvorauszahlung die sich aus der Abrechnung ergebenden Nachforderungen den Vorauszahlungsbetrag wesentlich übersteigen und besondere Umstände hinzuträten. Ein derartiger besonderer Umstand liege hier darin begründet, daß die geltend gemachte Nachforderung die Vorauszahlungen um das fünf- bis sechsfache übersteige. Bei einem derartig auffälligen Mißverhältnis könne sich ein erfahrener gewerblicher Vermieter nicht darauf berufen, er habe die tatsächlichen Kosten nicht zutreffend einschätzen können, weil das Objekt erst zeitgleich mit Beginn des Mietverhältnisses eröffnet worden sei. Dementsprechend räume die Klägerin ausdrücklich ein, ihrer Rechtsvorgängerin seien die auf das gesamte Objekt voraussichtlich entfallenden tatsächlichen Betriebskosten bekannt gewesen. Soweit sie einwende, ihrer
Rechtsvorgängerin sei wegen der damals noch nicht bekannten Einheitswerte der auf die Tiefgarage entfallende Betriebskostenanteil nicht bekannt gewesen, helfe ihr dies nicht weiter. Selbst wenn man unterstelle, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin tatsächlich davon ausgegangen sei, die Tiefgarage werde nicht zu 33,05 %, sondern nur zu 10 % am Einheitswert des Gesamtgebäudes beteiligt sein, hätte festgestanden, daß die tatsächlichen Betriebskosten die Vorauszahlungen zumindest um das zwei- bis dreifache übersteigen würden. Hierauf hätte die Rechtsvorgängerin der Klägerin die Beklagte nach Treu und Glauben hinweisen müssen. Etwas anderes würde nur gelten, wenn die Festsetzung der zu geringen Betriebskostenvorauszahlungen auf dem ausdrücklichen Wunsch der Beklagten beruht hätte oder ihr bewußt gewesen sei, daß die tatsächlichen Betriebskosten die Vorauszahlungen um ein Vielfaches übersteigen würden. Beides habe jedoch die Beweisaufnahme nicht ergeben.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht stand. Gegen die angefochtene Entscheidung bestehen schon deshalb Bedenken , weil das Berufungsgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Einwendungen der Beklagten zur Höhe der fraglichen Abrechnungen begründet sind. Denn ohne Kenntnis der Höhe der tatsächlich auf die Beklagte entfallenden Betriebskosten läßt sich nicht beurteilen, in welchem Umfang die geleisteten Vorauszahlungen die Höhe der später angefallenen Betriebskosten unterschreiten. Das kann jedoch auf sich beruhen.
Die Beklagte ist nach dem zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrag verpflichtet, bestimmte Betriebskosten des gesamten Mietobjekts anteilig zu tragen. Sie hat hierauf monatliche Vorauszahlungen und erforderlichenfalls die sich aus der jährlichen Endabrechnung ergebenden Nachzahlungen an die Klägerin zu leisten. Den eingeklagten Betriebskostennachforderungen stehen dem Grunde nach keine Einwendungen der Beklagten entgegen. Insbesondere kann die Beklagte von der Klägerin weder ganz noch teilweise Befreiung von der Klagforderung oder Vertragsanpassung aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (culpa in contrahendo; vgl. jetzt §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB n.F.) verlangen. Der Geltendmachung dieser Nachforderungen steht auch nicht der Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen. 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fällt der Rechtsvorgängerin der Klägerin eine schuldhafte Verletzung von Aufklärungspflichten vor oder während des Mietvertragsabschlusses nicht zur Last. Ein Schadensersatzanspruch gegen die Rechtsvorgängerin der Klägerin aus culpa in contrahendo , den die Beklagte entsprechend § 404 BGB auch der Klägerin entgegenhalten könnte, besteht daher nicht.
a) Dem Vermieter obliegt grundsätzlich eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Mieter hinsichtlich derjenigen Umstände und Rechtsverhältnisse mit Bezug auf die Mietsache, die - für den Vermieter erkennbar - von besonderer Bedeutung für den Entschluß des Mieters zur Eingehung des Vertrages sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden kann (Senatsurteil vom 16. Februar 2000 - XII ZR 279/97 - ZIP 2000, 887, 892; vgl. auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1978 - V ZR 122/75 - DB 1978, 979). Das Bestehen bzw. der Umfang der Aufklärungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Person des Mieters und dessen für den
Vermieter erkennbarer Geschäftserfahrenheit oder Unerfahrenheit (BGHZ 96, 302, 311; Senatsurteil vom 16. Februar 2000 aaO). Allerdings ist der Vermieter nicht gehalten, dem Mieter das Vertragsrisiko abzunehmen und dessen Interessen wahrzunehmen. Der Mieter muß selbst prüfen und entscheiden, ob der beabsichtigte Vertrag für ihn von Vorteil ist oder nicht. Es ist seine Sache, sich umfassend zu informieren und zu klärungsbedürftigen Punkten in den Vertragsverhandlungen Fragen zu stellen. Unterläßt er dies, hat er keinen Anspruch auf Schadensersatz (vgl. BGH, Urteile vom 16. September 1981 - VIII ZR 161/80 - NJW 1982, 376 und vom 26. November 1986 - VIII ZR 260/85 - NJW 1987, 909, 910). Stellt der Mieter Fragen oder macht der Vermieter von sich aus Aussagen in bezug auf das Mietobjekt, so müssen dessen Angaben richtig und vollständig sein (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1996 - V ZR 173/95 - NJW-RR 1997, 144). Dies zugrundegelegt, hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin keine Aufklärungspflichten verletzt.
b) Allein der Umstand, daß die Rechtsvorgängerin der Klägerin Vorauszahlungen auf die Betriebskosten verlangt hat, die in ihrer Höhe die tatsächlichen Kosten deutlich unterschreiten, ohne die Beklagte hierauf hinzuweisen, führt nicht zur Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung. Eine solche Pflichtverletzung des Vermieters ist nur dann zu bejahen, wenn besondere Umstände gegeben sind. Derartige besondere Umstände können etwa zu bejahen sein, wenn der Vermieter dem Mieter bei Vertragsschluß die Angemessenheit der Nebenkosten ausdrücklich zugesichert oder diese bewußt zu niedrig bemessen hat, um den Mieter über den Umfang der tatsächlichen Mietbelastung zu täuschen und ihn auf diese Weise zur Begründung eines Mietverhältnisses zu veranlassen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2004 - VIII ZR 195/03 - NJW 2004, 1102). Solche Umstände, die einen Vertrauenstatbestand für die Beklagte bzw.
eine Aufklärungspflicht der Rechtsvorgängerin der Klägerin hätten begründen können, liegen hier nicht vor. aa) Die Beklagte hat zwar behauptet, die Rechtsvorgängerin der Klägerin habe ihre Aufklärungspflicht verletzt, indem sie bei Vertragsschluß unzutreffend angegeben habe, sie rechne mit monatlichen Nebenkosten in Höhe von ca. 5.000 DM. Das Berufungsgericht, das die hierfür benannte Zeugin vernommen hat, konnte jedoch dahingehende Feststellungen nicht treffen. Die Beklagte nimmt dies hin. bb) Die Tatsache, daß die Höhe der anfallenden Betriebskosten regelmäßig von besonderer Bedeutung für die Kalkulation und damit für den Entschluß des Mieters zur Eingehung des Mietvertrages ist, begründete hier nicht die Pflicht der Rechtsvorgängerin der Klägerin, von sich aus ihre Einschätzung über die tatsächliche Höhe der Betriebskosten mitzuteilen. Die Beklagte hat den Mietvertrag geschlossen, obwohl ihr die Höhe der Betriebskosten nicht bekannt war. Sie hat daher bewußt ein ausschließlich in ihrer Sphäre liegendes Risiko übernommen. Da es aber ausschließlich Sache der Beklagten war, sich selbst zu vergewissern, ob der Mietvertrag für sie von Vorteil ist, mithin die Tiefgarage rentabel betrieben werden kann, durfte die Rechtsvorgängerin der Klägerin annehmen, daß die Beklagte über die Höhe der Betriebskosten nachfragt, falls sie hierauf Wert legt (vgl. BGH, Urteil vom 26. November 1986 aaO). cc) Die Rechtsvorgängerin der Klägerin musste hier auch nicht erkennen, die Beklagte gehe aufgrund der im Mietvertrag getroffenen Abrede über die Vorauszahlungen auf die Betriebskosten davon aus, die Betriebskosten würden eine bestimmte Höchstgrenze nicht überschreiten.
Die Höhe der vereinbarten Vorauszahlungen schafft noch keinen Vertrauenstatbestand für die Gesamthöhe der Betriebskosten. Denn der Vermieter ist nicht verpflichtet, überhaupt oder in einer gewissen Mindesthöhe Vorauszahlungen auf die Betriebskosten zu verlangen (vgl. zur Wohnraummiete BGH, Urteil vom 11. Februar 2004 aaO m.w.N.; vgl. auch Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl. Rdn. 528; Soergel /Heintzmann, BGB, 12. Aufl., §§ 535, 536 Rdn. 274). Das gilt für die Gewerberaummiete nicht minder. Der Mieter darf daher nicht ohne weiteres davon ausgehen, der Vermieter habe sich bei Vereinbarung der Betriebskostenvorauszahlungen ungefähr am erwarteten Abrechnungsergebnis orientiert (a.A. Langenberg in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 8. Aufl., § 556 Rdn. 392). Zwar mag der Vermieter mit der Abrede über die Betriebskostenvorauszahlung regelmäßig das Ziel verfolgen, nicht mit gegebenenfalls beträchtlichen Beträgen in Vorleistung treten zu müssen. Dieser Beweggrund findet aber in der bloßen Vorauszahlungsabrede keinen Niederschlag. Denn die Vereinbarung einer Vorauszahlung bedeutet lediglich, daß dem Mieter bei der Abrechnung die vorausgezahlten Beträge gutzubringen sind; eine dem Vermieter zurechenbare Aussage über die Gesamthöhe oder den Höchstbetrag der tatsächlich anfallenden Betriebskosten kommt ihr nicht zu. Im Streitfall kommt hinzu, daß im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für beide Parteien unklar war, mit welchem Anteil die Beklagte für die Betriebskosten des Gesamtobjekts aufzukommen hat. Darüber hinaus handelt es sich hier um eine Erstvermietung, wobei der Vertragsschluß bereits vor Fertigstellung des Mietobjekts erfolgte. Aus Sicht der Beklagten blieb somit zumindest ungewiß , ob die Rechtsvorgängerin der Klägerin hinreichend sichere Kenntnisse besaß , um die ungefähre Höhe der auf die Beklagte entfallenden Betriebskosten zu ermitteln. Auch deshalb konnte die Beklagte nicht darauf vertrauen, die ver-
einbarten Vorauszahlungen werden die Gesamthöhe der Betriebskosten in etwa erreichen. 2. Schließlich steht der Klagforderung nicht der Einwand von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen. Wie bereits ausgeführt, hat die Rechtsvorgängerin der Klägerin weder eigene Pflichten verletzt noch hat sie für die Beklagte einen Vertrauenstatbestand über die Höhe der Betriebskosten geschaffen. Sonstige Umstände, die die Geltendmachung der Betriebskostennachforderungen als treuwidrig erscheinen ließen, sind nicht ersichtlich. 3. Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, da das Berufungsgericht – wie bereits erwähnt - keine Feststellungen zur Berechtigung der streitigen Positionen aus den eingeklagten Abrechnungen getroffen hat. Die Hilfswiderklage gilt nur für den Fall der wenigstens teilweisen Stattgabe der Klage als erhoben. Über sie kann also nicht vor Entscheidung über die Klage befunden werden. Die Sache ist daher insgesamt an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Hahne Fuchs Ahlt Vézina Dose

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 50/04 Verkündet am:
28. Juni 2006
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Bietet der Autovermieter den Unfallgeschädigten ein Fahrzeug zu einem Tarif
an, der deutlich über dem Normaltarif auf dem örtlich relevanten Markt liegt, und
besteht deshalb die Gefahr, dass die Haftpflichtversicherung nicht den vollen
Tarif übernimmt, muss der Vermieter den Mieter darüber aufklären.
Es kommt nicht darauf an, ob der Vermieter mehrere oder nur einen einheitlichen
Tarif anbietet. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, den Mieter deutlich
und unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass die (gegnerische) Haftpflichtversicherung
den angebotenen Tarif möglicherweise nicht in vollem Umfang
erstatten werde.
BGH, Urteil vom 28. Juni 2006 - XII ZR 50/04 - LG Darmstadt
AG Lampertheim
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. Juni 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter
Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und die Richterin Dr. Vézina

für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Beklagten werden das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt vom 18. Februar 2004 aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Lampertheim vom 28. Oktober 2003 abgeändert. Die Klage wird abgewiesen. Der Klägerin werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Klägerin, eine Autovermieterin, macht gegen den Beklagten rückständige Miete für die Überlassung eines Mietwagens geltend.
2
Mit Vertrag vom 26. April 2003 mietete der Sohn des Beklagten nach einem Verkehrsunfall, bei dem der von ihm geführte Pkw des Beklagten beschädigt worden war, von der Klägerin für die Zeit vom 26. April 2003 bis 10. Mai 2003 einen Ersatzwagen zum so genannten Standardtarif von 136,40 € zuzüglich Mehrwertsteuer je Tag. Die Klägerin stellte 2.137,95 € in Rechnung. Dabei legte sie ihren "Standard-Tarif - 18 Tage" zugrunde, einen Pauschaltarif, der insgesamt für den Beklagten etwas günstiger war als die Berechnung nach dem Einzeltagessatz für 14 Tage. Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, dessen volle Haftung für den Unfallschaden nicht streitig ist, zahlte nur 746,97 €. Die Differenz verlangt die Klägerin vom Beklagten, der sich darauf beruft, die Klägerin habe vor Abschluss des Mietvertrages nicht darüber aufgeklärt , dass eine Anmietung zu einem erheblich günstigeren Tarif möglich gewesen sei, dessen Ersatz von der gegnerischen Haftpflichtversicherung nicht abgelehnt worden wäre. Wegen der Verletzung dieser Pflicht stehe ihm ein Schadensersatzanspruch zu, mit dem er aufrechne.
3
Das Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß zur Zahlung von 1.390,98 € nebst Zinsen verurteilt. Die Berufung ist, abgesehen von einer Reduzierung des Zinszeitraums um einen Tag, erfolglos geblieben. Dagegen wendet sich der Beklagte mit der vom Landgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

4
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Klageabweisung.
5
1. Das Landgericht hat ausgeführt, zwischen den Parteien sei ein Mietvertrag zustande gekommen. Dem Beklagten stehe ein Schadensersatzanspruch , mit dem er gegen den Mietzinsanspruch der Klägerin aufrechnen könnte , nicht zu. Eine Pflichtverletzung der Klägerin bei Abschluss des Mietvertrages sei nicht erkennbar. Die Preiskalkulation der Mietwagenunternehmer bei Unfallersatzwagen sei zwar nicht immer nachvollziehbar. Auch im vorliegenden Fall stimme der Vortrag der Klägerin zur Rechtfertigung des Tarifs bei Unfallersatzwagen nicht mit den tatsächlichen Umständen überein.
6
Neben dem Standardtarif bei Unfallersatzwagen gebe es noch einen günstigeren Tarif, wenn der Kunde mit Kreditkarte zahle. Weitere Vergünstigungen gebe es nicht. Auf die Möglichkeit der Zahlung mit Kreditkarte müsse der Vermieter nicht hinweisen. Grundsätzlich treffe die Parteien die Pflicht, sich gegenseitig über die Umstände aufzuklären, die allein der einen Partei bekannt und für die andere Partei sowie den Vertragsschluss erkennbar von Bedeutung seien. Der Umfang der Aufklärungspflicht hänge dabei von den Umständen des Einzelfalls und den Grundsätzen von Treu und Glauben ab. Zwar verhalte sich der Vermieter vertragswidrig, wenn er trotz ausdrücklicher Frage des Geschädigten , ob eine Vergünstigung bei Bar- oder Kreditzahlung möglich sei, nicht oder wahrheitswidrig antworte. Ungefragt müsse er den Kunden aber nicht darauf hinweisen, dass bei einer Zahlung mittels Kreditkarte der Mietpreis günstiger werde. Eine solche Hinweispflicht könne schon deshalb nicht angenommen werden, weil bei der Anmietung eines Unfallersatzwagens der Einsatz der Kreditkarte des Geschädigten nicht die Regel sei. Die Anmietung erfolge, weil das Fahrzeug des Anmietenden durch einen Dritten geschädigt worden sei. Der Geschädigte gehe also davon aus, dass er einen Ersatzanspruch gegen den Dritten habe und deshalb letztlich für die Kosten der Ersatzanmietung nicht aufkommen müsse. Bei Einsatz der Kreditkarte müsste der Geschädigte in Vorleistung treten und würde dem Mietwagenunternehmer sein Konto zum unbegrenzten Zugriff zur Verfügung stellen.
7
Dass der Beklagte die Mietwagenkosten in voller Höhe bezahlen müsse, sei nur auf den ersten Blick unbillig. Er könne nämlich von der Haftpflichtversicherung den vollen Ersatz der von ihm zu zahlenden Mietwagenkosten verlangen. Der Preiskampf zwischen den Versicherern und den Mietwagenunterneh- mern könne nicht auf dem Rücken des Geschädigten ausgetragen werden. Der bei einem Unfall Geschädigte könne deshalb einen Mietwagen zu dem ihm angebotenen Tarif anmieten, wenn er für ihn nicht erkennbar außerhalb des Üblichen liege. Da der Geschädigte dem Unfallgegner gegenüber nicht gegen seine Schadensminderungspflicht verstoße, müsse die gegnerische Haftpflichtversicherung die angefallenen Mietwagenkosten als den zur Schadenswiedergutmachung erforderlichen Geldbetrag erstatten.
8
Ein Hinweis auf billigere eigene Internet-Angebote müsse das Mietwagenunternehmen schon wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der Vertriebswege und der regelmäßigen Forderung nach Kreditkartenzahlung bei einer Internet -Buchung nicht geben. Die Frage brauche aber nicht entschieden zu werden , da die Klägerin erst seit Mai 2003 über das Internet anbiete.
9
Schließlich müsse der Kunde auch nicht auf mögliche Schwierigkeiten mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung hingewiesen werden. Abgesehen davon, dass dem Vermieter der Vorwurf eines Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz gemacht werden könne, müsse der Mieter selbst dafür sorgen, ob und wie er den Schaden ersetzt erhalte. Ein solcher Hinweis wäre nichtssagend , weil Schwierigkeiten bei der Schadensabwicklung immer möglich seien und offensichtlich auch nicht alle Haftpflichtversicherer die Bezahlung der geltend gemachten Mietwagenkosten ablehnten.
10
2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
11
a) Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang eine Aufklärungspflicht des Vermieters gegenüber dem Mieter eines Unfallersatzwagens besteht, ist in Rechtsprechung und Literatur streitig.
12
Eine Aufklärungspflicht wird unter anderem bejaht von OLG Koblenz (NJW-RR 1992, 820); OLG Karlsruhe (DAR 1993, 229, 230); OLG Frankfurt (NZV 1995, 108, 109); OLG Stuttgart (NZV 1999, 169); LG Frankfurt (NZV 1996, 34); LG Regensburg (Urteil vom 7. Oktober 2003 - 2 S 191/03 - NJW-RR 2004, 455); LG Dresden (Urteil vom 15. Dezember 2005 - 8 S 122/05 -); LG Gießen (zfs 1994, 287); LG Bonn (Urteil vom 24. Mai 2004, VersR 2004, 1284); AG Frankfurt (NJW-RR 1999, 708); AG Düsseldorf (NJW-RR 2001, 133, 134); AG Ettlingen (Urteil vom 11. Februar 2004 - 3 C 202/03 -); AG Hamburg -Harburg (Urteil vom 16. April 2003 - 647 C 508/02 -); AG Karlsruhe (Urteil vom 16. September 2003 - 5 C 138/03 -); AG Heidelberg (Urteil vom 5. Februar 2004 - 23 C 504/03 -); MünchKomm/Emmerich BGB 4. Aufl. § 311 Rdn. 141 m.w.N.; Geigel/Rixecker Der Haftpflichtprozess 24. Aufl. § 3 Rdn. 67; Notthoff VersR 1996, 1200, 1205 und 1998, 144, 146 m.w.N.; Etzel/Wagner VersR 1993, 1192, 1193, 1195; Griebenow NZV 2003, 353, 356, 357 m.w.N.; Freyberger MDR 2005, 301, 303.
13
Eine Aufklärungspflicht verneinen OLG Karlsruhe (OLG-Report 2004, 535); LG Heidelberg (Urteil vom 23. September 2004 - 1 S 7/04 -); LG Karlsruhe (Urteil vom 5. April 2004 - 5 S 203/01 -); LG Erfurt (Urteil vom 4. Juni 2004 - 2 S 3/04 -); LG Berlin (Urteil vom 17. Juli 2003 - 51 S 39/03); LG Halle (Urteil vom 7. August 2003 - 2 S 52/03 -); LG Düsseldorf (Urteil vom 19. September 2003 - 20 S 36/03 - Schaden-Praxis 2004, 53); LG Freiburg (Urteil vom 9. Februar 2004 - 1 O 131/03 -); Körber (NZV 2000, 68 f.); Göhringer (zfs 2004, 437 f.).
14
Der Bundesgerichtshof konnte die Frage einer Aufklärungspflicht gegenüber dem Mieter eines Unfallersatzfahrzeuges bisher offenlassen (BGHZ 132, 373 ff.). Sie ist nunmehr zu entscheiden.
15
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 28. April 2004 - XII ZR 21/02 - NJW 2004, 2674, 2675) obliegt dem Vermieter grundsätzlich eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Mieter hinsichtlich derjenigen Umstände und Rechtsverhältnisse mit Bezug auf die Mietsache, die - für den Vermieter erkennbar - von besonderer Bedeutung für den Entschluss des Mieters zur Eingehung des Vertrages sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden kann. Das Bestehen der Aufklärungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Person des Mieters und dessen für den Vermieter erkennbarer Geschäftserfahrenheit oder Unerfahrenheit. Allerdings ist der Vermieter nicht gehalten, dem Mieter das Vertragsrisiko abzunehmen und dessen Interessen wahrzunehmen. Der Mieter muss selbst prüfen und entscheiden, ob der beabsichtigte Vertrag für ihn von Vorteil ist oder nicht. Es ist seine Sache, sich umfassend zu informieren und zu klärungsbedürftigen Punkten in den Vertragsverhandlungen Fragen zu stellen.
16
c) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Aufklärungspflicht des Vermieters gegenüber dem Mieter, der nach einem Unfall ein Ersatzfahrzeug anmietet , im Grundsatz zu bejahen.
17
aa) Auf dem Markt für Mietwagen herrscht in Deutschland eine Tarifspaltung. Wer aus privaten oder geschäftlichen Gründen einen Pkw mietet und die Miete selbst zahlt, hat dafür den so genannten "Normaltarif" zu entrichten. Benötigt der Geschädigte dagegen nach einem Unfall einen Ersatzwagen, wird ihm von zahlreichen Vermietern ein so genannter "Unfallersatztarif" angeboten (Griebenow aaO 353). Dieser übersteigt meist erheblich den für Selbstzahler angebotenen "Normaltarif". Derzeit liegen die Unfallersatztarife durchschnittlich um mindestens 100 % über dem örtlichen "Normaltarif" (vgl. Palandt/Heinrichs BGB 65. Aufl. § 249 Rdn. 31; Freyberger aaO). Zuschläge bis zu 200 % über dem "Normaltarif" sind keine Seltenheit (vgl. Griebenow aaO 353). Selbst Überhöhungen bis zu 465 % kommen vor (Palandt/Heinrichs aaO m.w.N.).
18
bb) Ein durchschnittlicher Unfallgeschädigter gerät durch einen Verkehrsunfall nicht nur unvermittelt, sondern in aller Regel erstmals in eine Situation , einen Pkw anmieten zu müssen. Hält er den Unfallgegner für verantwortlich , geht er davon aus, dass dessen Haftpflichtversicherung die Kosten eines Mietwagens in vollem Umfang übernimmt. Er wird in dieser Auffassung bestärkt , wenn ihm der Vermieter einen Pkw zum "Unfallersatztarif" anbietet. Diese Anmietung zum "Unfallersatztarif" kann sich nachträglich als nachteilig für den Mieter herausstellen. Lehnt die gegnerische Haftpflichtversicherung die Regulierung nach dem "Unfallersatztarif" ab, weil der Mieter mit der Vereinbarung dieses Tarifs gegen seine Schadensminderungspflicht verstoßen habe, muss der Mieter die Differenz zum "Normaltarif" aus eigener Tasche bezahlen. Ein Nachteil zu Lasten des Mieters kann auch dann entstehen, wenn die gegnerische Haftpflichtversicherung den Haftungsanteil des Mieters am Unfall anders bewertet und den Schaden des Mieters nicht zu 100 % ersetzt. Der Mieter muss in diesen Fällen die auf ihn entfallende Quote aus dem "Unfallersatztarif" selbst tragen. Hätte er zum "Normaltarif" gemietet, hätte er nur die Quote aus dem "Normaltarif" selbst zu tragen.
19
cc) Diese Tarifspaltung und die ihm damit drohenden Nachteile sind dem Mieter in der Regel nicht bekannt. Er geht vielmehr davon aus, dass der "Unfallersatztarif" gerade für seine Situation entwickelt wurde, von der gegnerischen Haftpflichtversicherung akzeptiert wird und für ihn insgesamt eine günstige Regelung darstellt. Er weiß regelmäßig auch nicht, dass er, falls sein Verursachungsbeitrag nachträglich anders gewertet wird, er bei Anmietung zum "Normaltarif" einen geringeren Nachteil hätte. Demgegenüber weiß der Vermieter , dass die Tarifspaltung zu den genannten Nachteilen führen kann, und er weiß auch, dass dem Mieter weder die Tarifspaltung noch die ihm daraus drohenden Gefahren vertraut sind, sondern dieser davon ausgeht, dass die Mietwagenkosten vollständig ersetzt werden, zumindest ihm aber kein Nachteil entsteht. Mit dem Autovermieter und dem Unfallgeschädigten stehen sich somit zwei ungleiche Vertragspartner gegenüber. Treu und Glauben gebieten es in einem solchen Fall, dass der (wissende) Vermieter den (unwissenden) Mieter aufklärt.
20
dd) Dem kann nicht entgegengehalten werden, der Haftpflichtversicherer sei zur Erstattung der hohen Unfallersatztarife verpflichtet, so dass schon deshalb keine Aufklärungspflicht bestehen könne. Dem Vermieter könne nicht zugemutet werden, auf das rechtswidrige Verhalten der Versicherer hinzuweisen, um sich dadurch letztlich selbst zu schaden. Dem Mieter sei kein Schaden entstanden , weil er in jedem Fall Anspruch auf Erstattung des Unfallersatztarifs habe.
21
Diese Auffassung mag eine gewisse Berechtigung gehabt haben, weil die Entscheidung des VI. Zivilsenats von 1996 (BGHZ 132 aaO) in der Praxis dahin ausgelegt wurde, der Geschädigte könne einen Unfallersatztarif stets und uneingeschränkt ersetzt verlangen (vgl. Freyberger aaO S. 302). Nach der neueren Rechtsprechung des VI. Zivilsenats zu den Unfallersatztarifen (Urteile vom 26. Oktober 2004 - VI ZR 300/03 - NJW 2005, 135 ff.; vom 15. Februar 2005 - VI ZR 74/04 - NJW 2005, 1041 ff.; vom 15. Februar 2005 - VI ZR 160/04 - NJW 2005, 1043 ff.; vom 19. April 2005 - VI ZR 37/04 - BGHZ 163, 19 ff. und vom 14. Februar 2006 - VI ZR 126/05 - NJW 2006, 1506 ff.) ist der Haftpflichtversicherer gerade nicht ohne Weiteres zur Erstattung von über dem "Normaltarif" liegenden "Unfallersatztarifen" verpflichtet. Vielmehr kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei ebenso wie bei anderen Kosten der Wiederherstellung und ebenso wie in anderen Fällen, in denen er die Schadensbeseitigung selbst in die Hand nimmt, nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlichsten Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann (BGH, Urteil vom 9. Mai 2006 - VI ZR 117/05 - zur Veröffentlichung bestimmt).
22
Einer Aufklärungspflicht steht auch nicht das weitere Argument der Vermieter entgegen, dass die Haftpflichtversicherer bisher die "Unfallersatztarife" beglichen hätten.
23
Seit 1992 bestand zwischen Mietwagenunternehmen und Versicherungswirtschaft Streit darüber, ob die Haftpflichtversicherung den so genannten "Unfallersatztarif" zu ersetzen hatte (Freyberger aaO S. 301). Am 7. Mai 1996 entschied der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGHZ 132, 373 f.), dass der Geschädigte dadurch, dass er nach einem Unfall ein Ersatzfahrzeug zum "Unfallersatztarif" anmietet, nicht gegen die Pflicht verstoße, den Schaden gering zu halten, vielmehr seien "im Grundsatz" die durch den Unfallersatztarif entstandenen Kosten erforderlich im Sinne von § 249 BGB. In der Folge entwickelte sich eine Regulierungspraxis, die den Unfallersatztarif überwiegend als erstattungsfähig ansah. Die Frage, ob der Geschädigte auch Zugriff auf preiswertere Tarife hatte, wurde häufig nicht mehr gestellt (Freyberger aaO 301).
Gleichwohl kam es auch nach dieser Entscheidung immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Regulierung von "Unfallersatztarifen". Die Instanzgerichte haben es oft abgelehnt, erheblich über dem "Normaltarif" liegende "Unfallersatztarife" als erstattungsfähig anzusehen (vgl. LG Bonn, Urteil vom 24. Mai 2004, VersR 1284; LG Freiburg, Urteil vom 11. März 1997, NJW-RR 1997, 1069; LG Bonn, Urteil vom 25. Februar 1998, NZV 1998, 417; AG Frankfurt, Urteile vom 20. November 1998, NJW-RR 1999, 708 und vom 6. September 2001, NZV 2002, 83; AG Düsseldorf, Urteil vom 7. März 2000, NJW-RR 2001, 133) Nach den Feststellungen des LG Regensburg (Urteil vom 7. Oktober 2003 aaO) wird die Durchsetzbarkeit von Unfallersatztarifen in der Praxis "inzwischen sehr skeptisch bis ablehnend" beurteilt.
24
2. Umstritten ist der Umfang der Aufklärungspflicht.
25
a) Das Oberlandesgericht Koblenz (aaO) hat 1992 eine Pflicht des Autovermieters bejaht, potentielle Kunden über die Art des gewünschten Vertrages zu befragen und ihnen alle für ihre Entscheidungen wesentlichen Fakten offen zu legen. Der Kunde sei ungefragt auf mögliche Abrechnungsschwierigkeiten gegenüber Versicherungen im Falle der Anmietung zu einem "Unfallersatztarif" und auf im Vergleich zu diesem Tarif günstigere eigene Tarife des Autovermieters aufmerksam zu machen. Diese Entscheidung hat in Rechtsprechung und Literatur überwiegend Zustimmung gefunden (Nachweise bei Körber NZV 2000, S. 68, 75). Auch der 32. Deutsche Verkehrsgerichtstag 1994 hat empfohlen, den Autovermietern eine Pflicht zur Aufklärung über ihre verschiedenen Tarife aufzuerlegen. Zur Begründung wird angegeben, dass es dem durchschnittlichen Mietwagenkunden nur infolge einer solchen Information möglich sei, Kenntnis über die Möglichkeiten des Autovermietungsmarktes zu erlangen (Körber aaO). Seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai 1996 (aaO), in der der VI. Zivilsenat die Frage, ob den Vermieter eine Aufklärungs- pflicht treffe, offen gelassen hat, wird der Umfang der Aufklärungspflicht von den Instanzgerichten sehr unterschiedlich beurteilt. Es hat sich ein breites Spektrum an Auffassungen entwickelt.
26
Das Landgericht Bonn (aaO) ist der Auffassung, der gewerbliche Vermieter müsse den Mieter insbesondere darauf hinweisen, dass der angebotene Unfallersatztarif über den Sätzen liege, die von den Haftpflichtversicherungen übernommen würden; zugleich müsse er über seine weiteren günstigeren Tarife informieren. Nach Meinung des Amtsgerichts Ettlingen (aaO) muss der Autovermieter darauf hinweisen, dass neben dem Unfallersatztarif ein billigerer Normaltarif besteht. Nach Meinung des Landgerichts Regensburg (aaO) wissen die Autovermieter aufgrund ihrer Erfahrungen mit Haftpflichtversicherungen und Gerichten, dass die Durchsetzbarkeit von Unfallersatztarifen inzwischen sehr skeptisch bis ablehnend beurteilt werde. Auf bevorstehende Schwierigkeiten bei der Durchsetzung der Mietwagenrechnung müsse der Pkw-Vermieter deshalb vor Abschluss des Mietvertrages den Mieter hinweisen. Insbesondere müsse er ihn auch darüber informieren, dass es "Normaltarife" gebe, die vom "Unfalltarif" erheblich nach unten abwichen. Das Amtsgericht Frankfurt (NJW-RR 1999, 708) hat entschieden, der Vermieter müsse, wenn er wisse, dass der von ihm konkret angebotene Mietwagentarif über den Sätzen liege, die von einer Haftpflichtversicherung ohne Abzug akzeptiert würden, den Unfallgeschädigten auf die möglicherweise entstehenden Schwierigkeiten bei der Erstattung hinweisen und den Kunden von sich aus über günstigere Tarife informieren, und zwar unabhängig davon, ob er selber günstigere Normal- oder Pauschaltarife anbieten könne. Das Amtsgericht Düsseldorf (aaO) ist der Ansicht, der Vermieter müsse den Mieter auf die Besonderheiten des gespaltenen Tarifmarkts hinweisen und ihn darauf aufmerksam machen, dass die Versicherung des Unfallgegners möglicherweise nicht ohne Weiteres bereit sein werde, den angebotenen Unfallersatztarif zu akzeptieren.
27
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsurteil vom 28. April 2004 aaO) richtet sich nicht nur das Bestehen, sondern auch der Umfang der Aufklärungspflicht nach der Person des Mieters und dessen für den Vermieter erkennbarer Geschäftserfahrenheit oder Unerfahrenheit. Allerdings ist der Vermieter nicht gehalten, dem Mieter das Vertragsrisiko abzunehmen und dessen Interessen wahrzunehmen. Der Mieter muss selbst prüfen und entscheiden , ob der beabsichtigte Vertrag für ihn von Vorteil ist oder nicht.
28
c) Das bedeutet, dass die Interessen des Vermieters gegen die des Mieters abzuwägen sind. Neben dem Bedürfnis des Unfallgeschädigten nach Information über die Angebote des Vermieters und den gespaltenen Mietmarkt muss berücksichtigt werden, dass dem Vermieter nicht zugemutet werden kann, auf sein jeweils günstigstes Angebot aufmerksam zu machen. Müsste er gar, wie vom Amtsgericht Frankfurt gefordert (NJW-RR 1999, 708), auf günstigere Angebote der Konkurrenz hinweisen, wäre er gezwungen, seine Preise entsprechend anzupassen oder als Anbieter auszuscheiden. In der Marktwirtschaft hat aber derjenige, der den Vertrag schließt, sich selbst zu vergewissern, ob er für ihn von Vorteil ist oder nicht. Die Aufgabe der Preiskontrolle ist in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB primär dem Markt und dem darauf bestehenden Wettbewerb als "Entdeckungsverfahren" zugewiesen (Körber aaO S. 75). Eine Offenbarungspflicht des Leistungsanbieters über seine Preisgestaltung und diejenige der Mitbewerber besteht in der Marktwirtschaft gerade nicht (Schiemann JZ 1996, 1077, 1078).
29
d) Der Senat hält es deshalb nicht für erforderlich, dass der Autovermieter auf günstigere (eigene) oder gar fremde Angebote hinweist. Lediglich dann, wenn er dem Unfallgeschädigten einen Tarif anbietet, der deutlich über dem Normaltarif auf dem örtlich relevanten Markt liegt, und dadurch die Gefahr besteht , dass die Haftpflichtversicherung nicht den vollen Tarif übernimmt, muss er den Mieter darüber aufklären. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der Vermieter mehrere oder - wie im vorliegenden Fall von ihm behauptet - nur einen einheitlicher Tarif anbietet. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es, den Mieter deutlich und unmissverständlich darauf hinzuweisen, dass die (gegnerische ) Haftpflichtversicherung den angebotenen Tarif möglicherweise nicht in vollem Umfang erstattet (entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts liegt in einem solchen Hinweis kein Verstoß gegen das Rechtsberatungsgesetz, weil der Hinweis nicht der Rechtsverfolgung gegenüber dem Haftpflichtversicherer dient); es ist dann Sache des Mieters, sich kundig zu machen, etwa indem er Kontakt zur Haftpflichtversicherung aufnimmt, weitere Angebote einholt oder sich anwaltlich beraten lässt.
30
3. Danach steht dem Beklagten ein Schadensersatzanspruch aus c.i.c. (§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Satz 1, 249 BGB) in Höhe der Klageforderung zu, mit dem er wirksam gegen diese aufgerechnet hat.
31
Zwar hat das Landgericht keine Feststellungen zum "Normaltarif" getroffen. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Beklagten liegt der hier geltend gemachte Mietzins deutlich über dem auf dem örtlich relevanten Markt bestehenden Normaltarif. Die Klägerin hätte den Beklagten deshalb darauf hinweisen müssen, dass die Haftpflichtversicherung den angebotenen Tarif möglicherweise nicht in vollem Umfang ersetzen werde. Es ist davon auszugehen , dass sich der Beklagte "aufklärungsrichtig" verhalten hätte (vgl. Palandt /Heinrichs aaO § 280 Rdn. 39 unter Hinweis auf BGHZ 72, 92, 106; 124, 151, 159). Die Unsicherheit darüber, zu welchem Preis der Beklagte bei ordnungsgemäßer Aufklärung einen Wagen gemietet hätte, geht zu Lasten des Autovermieters (Körber aaO S. 76). Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Beklagte einen Wagen zu einem günstigeren, vom Haftpflichtversicherer nicht beanstandeten Tarif angemietet hätte mit der Folge, dass die Klageforderung nicht entstanden wäre. Der Beklagte kann gemäß § 249 Abs. 1 BGB verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne das schädigende Verhalten des Vermieters gestanden hätte (Palandt/Heinrichs aaO § 311 Rdn. 56).
Hahne Sprick Fuchs Ahlt Vézina

Vorinstanzen:
AG Lampertheim, Entscheidung vom 28.10.2003 - 3 C 1002/03 -
LG Darmstadt, Entscheidung vom 18.02.2004 - 7 S 165/03 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 63/04 Verkündet am:
15. November 2006
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Aufklärungspflicht des Vermieters von nicht haftpflichtversicherungspflichtigen
Baufahrzeugen, wenn für ihn erkennbar der Mieter damit auch am öffentlichen
Straßenverkehr teilnehmen will und diesem die versicherungsrechtliche
Situation unklar ist.
BGH, Urteil vom 15. November 2006 - XII ZR 63/04 - LG Mönchengladbach
AG Mönchengladbach
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren gemäß
§ 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 6. September 2006 am
15. November 2006 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter
Fuchs, Prof. Dr. Wagenitz, Dr. Ahlt und die Richterin Dr. Vézina

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mönchengladbach vom 19. März 2004 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche geltend , die ihm von seinem Sohn abgetreten worden sind.
2
Der Sohn des Klägers, der Zeuge K., mietete am 18. Oktober 2001 von der Beklagten einen Radlader. Hierbei handelte es sich um eine selbst fahrende Arbeitsmaschine, der nach § 18 Abs. 2 Nr. 1 a Straßenverkehrs-ZulassungsOrdnung kein amtliches Kennzeichen zugeteilt war. Außerdem war das Gerät nicht haftpflichtversichert und auch nicht haftpflichtversicherungspflichtig, da seine Höchstgeschwindigkeit 20 km/h nicht überstieg (§ 2 Nr. 6 b Pflichtversicherungsgesetz ). Mit dem Mietvertrag wurde eine Kaskoversicherung für die Maschine abgeschlossen. Der Sohn des Klägers verursachte, als er mit dem Radlader auf öffentlichen Straßen zu einer Baustelle fuhr, allein schuldhaft einen Verkehrsunfall. Er hat deswegen Schadensersatz an seinen Unfallgegner und die Kosten eines Vorprozesses in Höhe von insgesamt 4.314,36 € zahlen müssen. Diesen Betrag macht der Kläger aus abgetretenem Recht gegen die Beklagte geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

3
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
4
1. Das Landgericht meint eine Pflichtverletzung der Beklagten, auf die der Kläger seinen Anspruch stützen könnte, liege nicht vor:
5
a) Der Kläger habe nämlich seine Behauptung nicht bewiesen, der Zeuge V., der für die Beklagte tätig gewesen sei, habe auf die Nachfrage des Zeugen K. wahrheitswidrig erklärt, der Radlader sei haftpflichtversichert. Die dementsprechende Beweiswürdigung des Amtsgerichts sei nicht zu beanstanden.
6
b) Darüber hinaus habe das Amtsgericht zu Recht eine Verpflichtung der Beklagten verneint, ohne konkrete Nachfrage des Sohns des Klägers darauf hinzuweisen, dass der Radlader bei Benutzung im öffentlichen Straßenverkehr nicht haftpflichtversichert sei. Vielmehr habe der Sohn des Klägers als Inhaber einer gültigen Fahrerlaubnis selbst wissen müssen, dass er solche Schäden zunächst selbst zu ersetzen habe, die er Dritten - und sei es auch mit dem Radlader - schuldhaft zufüge, und zwar ganz unabhängig davon, ob dies im öffentlichen Straßenverkehr oder z.B. auf einer Baustelle geschehe. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, von sich aus auf das Fehlen einer Haftpflichtversicherung hinzuweisen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass der Sohn des Klägers nachgefragt habe, weshalb der Radlader kein Nummernschild aufweise. Vielmehr habe sich der Sohn des Klägers mit der Erklärung zufrieden gegeben, dass ein solches bei Fahrzeugen mit einer Maximalgeschwindigkeit von 20 km/h nicht erforderlich sei. Hätte der Sohn des Klägers wegen des Bestehens einer Haftpflichtversicherung weiteren Aufklärungsbedarf gehabt, wäre es seine Sache gewesen, den Mitarbeiter der Beklagten entsprechend zu befragen. Der Beklagten habe es somit nach Treu und Glauben nicht oblegen, umfassend über den Umfang des Versicherungsschutzes zu informieren. Deshalb könne ihr auch eine Vertragsverletzung wegen Unterlassung einer solchen Aufklärung nicht vorgeworfen werden.
7
2. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
8
Die Revision macht mit Erfolg geltend, das Berufungsurteil beruhe auf der Verkennung der Informations- und Aufklärungspflichten, die die Beklagte als Vermieterin fahrbarer Baumaschinen gegenüber ihren Kunden treffe.
9
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2006 - XII ZR 50/04 - NJW 2006, 2618, 2619 m.N.) trifft den Vermieter grundsätzlich eine Aufklärungspflicht gegenüber dem Mieter hinsichtlich derjenigen Umstände und Rechtsverhältnisse mit Bezug auf die Mietsache, die - für den Vermieter erkennbar - von besonderer Bedeutung für den Entschluss des Mieters zur Eingehung des Vertrages sind und deren Mitteilung nach Treu und Glauben erwartet werden kann. Das Bestehen der Aufklärungspflicht richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Person des Mieters und dessen für den Vermieter erkennbare Geschäftserfahrenheit oder -unerfahrenheit. Allerdings ist der Vermieter nicht gehalten, dem Mieter das Vertragsrisiko abzunehmen und dessen Interessen wahrzunehmen. Der Mieter muss selbst prüfen und entscheiden, ob der beabsichtigte Vertrag für ihn von Vorteil ist oder nicht. Es ist seine Sache, sich umfassend zu informieren und zu klärungsbedürftigen Punkten in den Vertragsverhandlungen Fragen zu stellen.
10
Nach Maßgabe dieser Grundsätze musste die Beklagte den Sohn des Klägers im vorliegenden Fall nach Treu und Glauben darüber aufklären, dass der gemietete Radlader nicht haftpflichtversichert war.
11
Zwar wird der durchschnittliche Mieter von selbst fahrenden Baumaschinen diese öfters anmieten und aufgrund seiner Erfahrung mit den Gegebenheiten am Bau auch wissen, dass solche Maschinen auch im öffentlichen Straßenverkehr nicht pflichtversichert sind. Für den Zeugen V., der für die Beklagte handelte, war jedoch erkennbar, dass der Sohn des Klägers insoweit unerfahren war. Denn unstreitig fragte dieser beim Zeugen nach, weshalb die Maschine , obwohl er sie im Straßenverkehr führen wollte, kein amtliches Kennzeichen aufweise. Aus dieser Frage musste der Zeuge weiter schließen, dass dem Sohn des Klägers die versicherungsrechtliche Situation nicht bekannt und somit nicht bewusst war, welchen haftungsrechtlichen Risiken er sich aussetzte, wenn er mit dem Radlader am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. In einem solchen Fall aber gebieten es Treu und Glauben, dass der (wissende) Vermieter den (unwissenden) Mieter über die versicherungsrechtliche Situation aufklärt.
12
Dem Kläger steht daher aus abgetretenem Recht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus Verschulden bei Vertragsschluss (§ 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2, § 249 BGB) zu. Dabei ist davon auszugehen, dass sich der Sohn des Klägers, wenn er aufgeklärt worden wäre, "aufklärungsrichtig" verhalten (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2006 aaO 2621) und somit den Radlader nicht ohne Haftpflichtversicherung im öffentlichen Straßenverkehr geführt hätte.
13
Der Senat kann jedoch in der Sache nicht selbst entscheiden. Denn vom Schadensersatzanspruch des Klägers sind gegebenenfalls die Kosten abzuziehen , die bei Abschluss einer Haftpflichtversicherung entstanden wären. Die Höhe dieser Kosten ist jedoch nicht dargelegt. Das Landgericht wird außerdem zu prüfen haben, ob der Kläger auch die Kosten des Vorprozesses ersetzt verlangen kann.
Hahne Wagenitz Fuchs Ahlt Vézina
Vorinstanzen:
AG Mönchengladbach, Entscheidung vom 29.04.2003 - 3 C 608/02 -
LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 19.03.2004 - 2 S 100/03 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 360/00 Verkündet am:
12. Juli 2001
Bürk,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur arglistigen Täuschung durch stillschweigendes Verhalten und durch
Unterlassen bei Abschluß eines Bürgschaftsvertrages.
BGH, Urteil vom 12. Juli 2001 - IX ZR 360/00 - OLG Jena
LG Erfurt
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 12. Juli 2001 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter
Stodolkowitz, Dr. Zugehör, Dr. Ganter und Raebel

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 27. April 2000 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an den 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Agentur B., deren Inhaberin A. B. war, vermittelte für die Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft, den Abschluß von Versicherungsverträgen. Der Beklagte war für die Agentur tätig; ob er Abschlußvertreter war oder nur Büroarbeiten verrichtete, ist zwischen den Parteien streitig. Ende 1994/Anfang 1995 meinte die Klägerin festgestellt zu haben, daß die Prämien für abgeschlossene Lebensversicherungen nicht aus eigenen Mitteln der Versicherungsnehmer , sondern aus den bevorschußten Abschlußprovisionen aufge-
bracht worden seien. Sie stornierte sämtliche von der Agentur vermittelten Verträge und forderte die vorschußweise gezahlten Provisionen zurück. Am 26. Januar 1995 gaben A. B. und ihr geschiedener Ehemann R. B. der Klägerin gegenüber jeweils ein "abstraktes Schuldanerkenntnis" über 642.240,89 DM ab. Außerdem verlangte die Klägerin Mitverpflichtungserklärungen der Mitarbeiter der Agentur. Am 1. Februar 1995 gab der Beklagte - ebenso wie zahlreiche andere Mitarbeiter der Agentur - eine Erklärung ab, mit der er sich für alle gegenwärtigen und zukünftigen Verpflichtungen A. B.s aus ihrer "Tätigkeit oder aus sonstigem Rechtsgrund" gegenüber allen namentlich aufgeführten Gesellschaften , die damals zur "Versicherungsgruppe" der Klägerin gehörten, bis zu einem Höchstbetrag, der im Falle des Beklagten 98.323 DM betrug, selbstschuldnerisch und mit der Maßgabe verbürgte, daß er "auf erste schriftliche Anforderung" zu zahlen habe. Mit Schreiben vom 15. März 1995 focht der Beklagte die Bürgschaftserklärung mit der Begründung an, sie sei durch Täuschung und Drohung zustande gekommen.
Die Klägerin verlangt mit der Behauptung, die von der Agentur B. vermittelten Verträge seien nur zum Schein abgeschlossen worden und der Beklagte sei an der "Provisionsbeschaffung" beteiligt gewesen, von ihm die Zahlung der Bürgschaftssumme. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.

I.


Das Berufungsgericht hat angenommen, die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten sei wirksam zustande gekommen.
1. Die Revision meint, der Bürgschaftsvertrag sei wegen Verstoßes gegen die §§ 3 und 9 AGBG insgesamt unwirksam. Das Berufungsgericht hat sich mit diesen Fragen nicht befaßt. Die Revisionsangriffe sind auf der Grundlage des vorgetragenen und festgestellten Sachverhalts nicht begründet.
Eine formularmäßige Erstreckung der Haftung des Bürgen auf alle bestehenden und künftigen Forderungen des Gläubigers - und, wie hier, noch dazu weiterer mit diesem verbundener Gesellschaften - ist zwar nach § 3 AGBG unwirksam, wenn die Bürgschaft lediglich im Hinblick auf eine bestimmte Verbindlichkeit übernommen worden ist; der Bürge braucht mit einer solchen Ausweitung seiner Verpflichtung nicht zu rechnen, wenn sie sich nicht aus dem Gang der zur Abgabe der Bürgschaftserklärung führenden Verhandlungen ergibt (BGHZ 130, 19, 24 f.). Ebenso verstößt eine weite, über den Anlaß der Verbürgung hinausgehende Zweckerklärung grundsätzlich gegen § 9 AGBG; das gilt, selbst bei einer Höchstbetragsbürgschaft, nicht nur für die Haftungserstreckung auf künftige, sondern auch auf bereits bestehende Ver-
bindlichkeiten (BGHZ 143, 95, 98 ff.). Die Unwirksamkeit der formularmäßigen globalen Zweckerklärung ändert indessen nichts daran, daß der Bürge für die Verbindlichkeit einzustehen hat, die Anlaß der Bürgschaftsübernahme war (BGHZ 143, 95, 102).
Die Revision, die das nicht verkennt, meint, an einem Anlaß für die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten fehle es insgesamt, weil er nach seiner Behauptung - mangels einer Tätigkeit als Versicherungsvertreter - keine noch nicht durch Prämienzahlungen "verdienten" Provisionen erhalten habe. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Anlaß für die Verbürgung waren die vermeintlichen, von der Klägerin auf mehr als 640.000 DM bezifferten Provisionsrückzahlungsansprüche ; das war dem Beklagten bekannt. Die interne Aufteilung dieser Summe auf die einzelnen Mitarbeiter der Agentur - der Zeuge B. will, wie er ausgesagt hat, "die Zahlen willkürlich gegriffen" haben - hat mit der Frage, was Anlaß der Bürgschaft war, nichts zu tun. Die Bürgschaftsverpflichtung des Beklagten erfaßte deshalb im Rahmen des festgesetzten Höchstbetrags eine etwaige Rückzahlungsverbindlichkeit A. B.s gegenüber der Klägerin unabhängig davon, was der Beklagte selbst davon erhalten hatte.
2. Die Revision wendet sich dagegen, daß das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Sittenwidrigkeit des Bürgschaftsvertrags im Sinne des § 138 BGB verneint hat. Sie verweist auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , wonach ein Bürgschaftsvertrag nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist, wenn der Bürge sich in einem Umfang verpflichtet, der seine gegenwärtigen und künftig zu erwartenden Vermögensverhältnisse übersteigt, und durch weitere , dem Gläubiger zurechenbare Umstände - insbesondere durch Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit - zusätzlich so erheblich belastet wird,
daß ein unerträgliches Ungleichgewicht zwischen den Vertragspartnern hervorgerufen wird (Urteil vom 16. Dezember 1999 - IX ZR 36/98, WM 2000, 514, 516 m.w.N.). Der Beklagte hat indessen schon keine Einzelheiten zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Bürgschaftsübernahme vorgetragen. Für die Klägerin bestand kein Anlaß, sich danach zu erkundigen; denn der Beklagte war aus ihrer Sicht einer von vielen Mitarbeitern, der von den Provisionsvorschüssen in dem intern festgelegten Umfang profitiert und deshalb am Fortbestand der Agentur ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte.

II.


Die Revision ist begründet, soweit sie die Ausführungen angreift, mit denen das Berufungsgericht die Behauptung des Beklagten, die ihm abverlangte Bürgschaftserklärung habe auf einer Täuschung beruht, als nicht bewiesen angesehen hat.
1. Das Berufungsgericht hat sich nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten und von ihm selbst wiederholten Beweisaufnahme nicht davon zu überzeugen vermocht, daß der Beklagte durch die Mitarbeiter der Klägerin arglistig getäuscht worden sei. Diese tatrichterliche Würdigung beruht sowohl in verfahrens- als auch in materiell-rechtlicher Hinsicht auf Rechtsfehlern.

a) Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, daß der Beklagte gewußt habe, welche "Folgen" die Bürgschaft für ihn habe und welchem Zweck (nämlich "den Fortbestand und die Weiterentwicklung der Agentur zu garantieren")
sie diene. Darum ging es aber bei der Frage, ob der Beklagte arglistig getäuscht worden ist, jedenfalls nicht in erster Linie. Der Beklagte hat behauptet - von dieser Darstellung ist mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich auszugehen -, er hätte die Bürgschaftserklärung nicht abgegeben, wenn er gewußt hätte, daß, wie es später geschehen sei, die Klägerin der Agentur B. keine weiteren Vermittlungsaufträge mehr erteilen und die Auszahlung der noch ausstehenden Provisionen für schon abgeschlossene Versicherungsverträge von einer Untersuchung der Geschäftspraxis der Agentur abhängig machen werde. Schon die Inhaberin habe das Schuldanerkenntnis vom 26. Januar 1995 nur im Hinblick darauf unterschrieben, daß die Klägerin ihr unter dieser Voraussetzung die Auszahlung der weiteren Provisionen in Aussicht gestellt habe.
Nach den protokollierten Aussagen der Zeugen R. und R. B. hatte letzterer den Mitarbeitern gesagt, das Geld - in Form eines Schecks über rund 180.000 DM - werde ausgezahlt, sobald die Bürgschaftserklärungen unterschrieben seien. Die sich darauf gründende Erwartung war - wiederum nach den Zeugenaussagen - den beiden Angestellten der Klägerin, W. und K., die die Abgabe der Bürgschaftserklärungen herbeiführten, bekannt. W. hat als Zeuge erklärt, R. B. habe bei der am 1. Februar 1995 mit den Mitarbeitern der Agentur veranstalteten Zusammenkunft, bei der er und sein Kollege K. anwesend waren, gesagt, die Besicherung der Provisionen sei wichtig, um den Fortbestand der Firma zu garantieren; möglicherweise, so hat sich der Zeuge ausgedrückt , habe der Eindruck bestanden, "daß die künftigen Provisionen fließen würden". Nach der Aussage K.s "motivierte" R. B. die Mitarbeiter, "die Bürgschaften zu unterschreiben, damit endlich Geld fließe". Er selbst habe das nicht gesagt. Er hat aber hinzugefügt: "Wir haben die Aussage des Herrn B. ...
nicht korrigiert". Ein weiterer Mitarbeiter der Agentur, der bereits erwähnte Zeuge R., hat bekundet, bei einer kurz zuvor abgehaltenen ersten Versammlung habe einer der beiden Vertreter der Klägerin mehrmals einen Scheck aus der Jackentasche gezogen und "ansatzweise gezeigt". W. und K. haben bei ihren erstinstanzlichen Aussagen die Taktik geschildert, mit der sie - in Absprache mit A. und R. B. - in der entscheidenden Versammlung am 1. Februar 1995 vorgegangen seien: Die Verhandlung sei in zwei getrennte Tagesordnungspunkte aufgegliedert worden; zunächst sei nur über die Gewährung von Sicherheiten durch die anwesenden Mitarbeiter gesprochen worden; erst, nachdem die Bürgschaftserklärungen unterschrieben gewesen seien, sei "die Frage, wie die Geschäfte betrieben werden", erörtert worden; "wir wollten eine Sache nach der anderen abhandeln". Im Protokoll über die erstinstanzliche Aussage K.s heißt es wörtlich: "Die Bürgschaft wurde zuerst abgefordert, da ich unterstelle, daß wir nach der Erörterung der Probleme über die Ordnungsgemäßheit der Versicherungsverträge die Bürgschaften nicht bekommen hätten". Tatsächlich kam es bei der Erörterung des zweiten Tagesordnungspunkts zu einem von allen Zeugen geschilderten Tumult, bei dem den Versicherungsvertretern die Aktentasche mit den soeben unterschriebenen Bürgschaften für kurze Zeit entrissen wurde und sie sich nur durch gewaltsame Flucht retten konnten, wobei nach der Schilderung, die der in einem anderen Prozeß verklagte Mitarbeiter G. dort bei seiner persönlichen Anhörung gegeben hat, "der eine ... dann noch eine Tür eingetreten" hat.

b) Das Berufungsgericht hat sich mit diesen für die Frage einer arglistigen Täuschung ausschlaggebenden Einzelheiten der Zeugenaussagen nicht befaßt. Diese vermitteln insgesamt den Eindruck, daß die Angestellten der
Klägerin dem Beklagten und den anderen Mitarbeitern der Agentur zwar nicht selbst gesagt haben, nach Abgabe der Bürgschaftserklärungen gebe es Geld, daß sie aber deren für sie erkennbare Erwartung nicht richtig gestellt, sondern stillschweigend ausgenutzt haben. Für die beiden Vertreter der Klägerin scheint danach klar gewesen zu sein, daß die Mitarbeiter der Agentur die Bürgschaften zur Absicherung der Ansprüche der Klägerin nicht übernommen hätten, wenn sie ernstlich damit hätten rechnen müssen, daß die Agentur ihre Tätigkeit für die Klägerin so oder so einstellen mußte.
Das Berufungsgericht hat gemeint, die den Vertretern der Klägerin bekannte , auf Ä ußerungen R. B.s beruhende Erwartung, "daß die künftigen Provisionen fließen würden", begründe für sich allein keine Täuschung, weil "derartiges von den Mitarbeitern der Klägerin ... zu keiner Zeit geäußert worden" sei. Darin liegt ein materiell-rechtlicher Fehler. Dabei spielt es entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung keine Rolle, unter welchen Voraussetzungen die Täuschung durch einen Dritten dem Erklärungsempfänger zuzurechnen ist und ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind; denn die Vertreter der Klägerin haben nach dem für die Revisionsinstanz maßgeblichen Sachverhalt den Beklagten (und die übrigen Bürgen) durch eigenes Verhalten getäuscht. In ihrem Schweigen zu der ihnen bekannten Erwartung lag unter den hier gegebenen Umständen eine Täuschung durch konkludentes Verhalten. Sie hatten, wovon für die Revisionsinstanz auszugehen ist, jene Erwartung auf dem Umweg über die (geschiedenen) Eheleute B. selbst geweckt. Das ist der Aussage der Zeugin A. B. zu entnehmen, die danach ausgesagt hat: "Wir haben uns 'verarscht' gefühlt". Vor diesem Hintergrund war die Taktik, die Erörterungen am 1. Februar 1995 in zwei Teile aufzuspalten und erst nach Abgabe der Bürgschaftserklärungen zu offenbaren, daß man vor weiteren Provisionszahlungen
zunächst die Geschäftspraktiken der Agentur weiter untersuchen wolle, ein Vorgehen, durch das den Adressaten stillschweigend ein unzutreffender Sachverhalt vorgespiegelt wurde. In Wirklichkeit gingen die Vertreter der Klägerin offenbar bereits damals davon aus, daß es sich um ein unzulässiges "Schneeballsystem" handle.
Jedenfalls hätten die Vertreter der Klägerin auf der Grundlage des Geschehens , das der Revisionsentscheidung zugrunde zu legen ist, nicht einfach schweigen dürfen. Eine Rechtspflicht, den Vertragspartner über alle Umstände aufzuklären, die für dessen Entscheidung von Bedeutung sein können, besteht zwar nicht allgemein (BGH, Urteil vom 13. Juli 1983 - VIII ZR 142/82, ZIP 1983, 1073, 1075; vom 15. April 1997 - IX ZR 112/96, WM 1997, 1045, 1047), wohl aber dann, wenn er eine solche Mitteilung aufgrund der konkreten Gegebenheiten nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte (BGH, Urteil vom 2. März 1979 - V ZR 157/77, NJW 1979, 2243; vom 13. Dezember 1990 - III ZR 333/89, WM 1991, 604, 606). Das war hier entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung der Fall. R. B. gab die auf den eigenen Ä ußerungen der Vertreter der Klägerin beruhende Erwartung, es werde "Geld fließen", nicht nur mit ihrem Wissen , sondern sogar in ihrer Gegenwart an die Mitarbeiter der Agentur weiter. Die Vertreter der Klägerin durften unter diesen Umständen nicht schweigen, sondern waren verpflichtet, die Mitarbeiter, für die bei Übernahme der Bürgschaften jene Erwartung offensichtlich von entscheidender Bedeutung war, darüber aufzuklären, daß sie bei der Abgabe der Bürgschaftserklärungen von einer falschen Voraussetzung ausgingen.
2. Da somit für die Revisionsinstanz davon auszugehen ist, daß die Voraussetzungen für eine arglistige Täuschung gegeben sind, und die Anfech-
tungsfrist des § 124 BGB durch das Anfechtungsschreiben des Beklagten vom 15. März 1995 gewahrt ist, kommt es nicht darauf an, daß, worauf die Revision hinweist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Pflicht zur Rückgängigmachung des Bürgschaftsvertrags auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (vgl. BGH, Urteil vom 26. September 1997 - V ZR 29/96, WM 1997, 2309, 2311 m.w.N.) in Betracht zu ziehen ist. Ebensowenig ist es jedenfalls in der Revisionsinstanz entscheidungserheblich , daß - auch darauf weist die Revision zutreffend hin - auf dieser Rechtsgrundlage die Inhaberin der Agentur, wenn das von ihr abgegebene Schuldanerkenntnis auf Täuschung beruhen sollte, ihrerseits ein nicht durch Fristablauf verlorengegangenes Recht hätte, sich von dem Anerkenntnis zu lösen. Darauf könnte sich der Kläger als Bürge nach den §§ 767 Abs. 1, 768 Abs. 1 BGB berufen. Gegebenenfalls wird zu prüfen sein, ob die formularmäßige Klausel, mit der die Bürgschaft als solche auf erstes Anfordern ausgestaltet ist, wirksam ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - IX ZR 297/95, WM 1997, 656, 658; vom 2. April 1998 - IX ZR 79/97, ZIP 1998, 905, 906).

III.


Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit - nach Wiederholung der Beweisaufnahme - eine rechtlich einwandfreie Beweiswürdigung vorgenommen werden kann. Der Senat macht dabei von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch.
Kreft Stodolkowitz Zugehör Ganter Raebel

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.

Die in den §§ 711, 712 zugunsten des Schuldners zugelassenen Anordnungen sollen nicht ergehen, wenn die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen das Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen.

(1) In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Streitwert beträgt höchstens 30 Millionen Euro, soweit kein niedrigerer Höchstwert bestimmt ist.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.

Ein Anspruch, welcher die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere zum Gegenstand hat, kann im Urkundenprozess geltend gemacht werden, wenn die sämtlichen zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Als ein Anspruch, welcher die Zahlung einer Geldsumme zum Gegenstand hat, gilt auch der Anspruch aus einer Hypothek, einer Grundschuld, einer Rentenschuld oder einer Schiffshypothek.

Einwendungen des Beklagten sind, wenn der dem Beklagten obliegende Beweis nicht mit den im Urkundenprozess zulässigen Beweismitteln angetreten oder mit solchen Beweismitteln nicht vollständig geführt ist, als im Urkundenprozess unstatthaft zurückzuweisen.