Oberlandesgericht München Beschluss, 10. Nov. 2014 - 1 W 1314/14

published on 10/11/2014 00:00
Oberlandesgericht München Beschluss, 10. Nov. 2014 - 1 W 1314/14
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Previous court decisions
Landgericht Augsburg, 102 O 1356/14, 26/05/2014
Subsequent court decisions
Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 3359/14, 20/05/2016

Gericht

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Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26.06.2014 gegen den Beschluss des Landgerichts Augsburg vom 26.05.2014, Az. 102 O 1356/14, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Amtshaftungsklage gestützt auf den Vorwurf menschenunwürdigen Vollzugs von Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt ... im Zeitraum von 27.02.2013 bis 02.09.2013. Er hält eine Entschädigung in Höhe von 18.800 € (188 Tage x 100 €) für angemessen.

Der Antragsteller, ein Raucher, war von 27.02.2013 bis 02.09.2013 in der JVA in 4 - Mann- Hafträumen untergebracht. Der Antragsteller meint, die Hafträume hätten eine Größe von 16 m2 gehabt, während der Antragsgegner unter Vorlage einer Stellungnahme der Bauverwaltung sowie von Bildern der Räume erklärt hat, die Räume seien 16,41 m2 bzw. 17,02 m2 groß. Unstreitig waren die Toiletten abgetrennt und gesondert entlüftet. Der Antragsteller stützt den Vorwurf der menschenunwürdigen Haftbedingungen auf die geringe anteilige Fläche, die im Hinblick auf die in Abzug zu bringende Fläche für die Toiletten nicht einmal 4 m2 betrage, und den Umstand, dass der Antragsteller mit anderen Rauchern inhaftiert gewesen sei.

Mit Beschluss vom 26.05.2014, zugestellt am 02.06.2014, wies das Landgericht den Prozesskostenhilfeantrag zurück. Hiergegen bebtet sich die am 30.06.2014 bei Gebebt eingegangene sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 26.06.2014. Mit Beschluss vom 30.06.2014 hat das Landgericht der Beschwerde des Antragstellers nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht hinreichende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage verneint (§ 114 Abs. 1 ZPO). Auf die zutreffenden Erwägungen des Landgerichts kann Bezug genommen werden.

Es liegen weder die Voraussetzungen für die Zuerkennung von Schadensersatz gemäß § 839 BGB noch für eine verschuldensunabhängige Entschädigung vor.

1. Es kann, anders als der Antragsteller in der Beschwerde geltend macht, den zahlreichen ober- und höchstrichterlichen Entscheidungen zu unzumutbaren Haftbedingungen nicht entnommen werden, dass für jeden Gefangenen im Falle gemeinschaftlicher Unterbringung mindestens eine anteilige Fläche von 6 m2 bis 7 m2 zur Verfügung stehen muss mit der Folge, dass bei Unterschreitung dieser rechnerischen Größe grundsätzlich Schadensersatz oder Entschädigung verlangt werden kann. Auch die vom Antragsteller herangezogenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von 1993 und 2012 enthalten hierzu keine konkreten Aussagen. In beiden Entscheidungen waren die Antragsteller erfolglos, d. h. das Bundesverfassungsgericht sah keinen Verfassungsverstoß in den Haftbedingungen. Abgesehen davon betrafen beide Verfahren die Inhaftierung in einer Einzelzelle bzw. deren notwendige Mindestgröße.

Ob der Vollzug der Strafhaft als menschenunwürdig anzusehen ist, wird von der Rechtsprechung nicht abstrakt, sondern anhand einer Gesamtschau der Umstände des Einzelfalls beurteilt. Als erhebliche Umstände kommen insbesondere die Anzahl der in einem Haftraum untergebrachten Gefangenen, die Größe der zur Verfügung stehenden Hafträume, die Ausgestaltung der sanitären Anlagen im Haftraum, die Gesamtdauer der Unterbringung sowie die tatsächlichen Einschlusszeiten in Betracht (BVerfG vom 22.02.2011, 1 BvR 409/09, Rn. 30 ff; vom 07.11.2011, 1 BvR 1403/09, Rn. 38 ff; BGH vom 04.07.2013, Iii ZR 338/12 und III ZR 342/12).

Der Bundesgerichtshof hat in seinen aktuellen Entscheidungen vom Juli 2013, wie dargelegt, die Rechtsprechung zu Mindestraumgrößen beleuchtet und dabei auch die Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK in seine Erwägungen einbezogen, wonach dieser von einem Regelwert von 4 qm je Inhaftiertem ausgehe. Der EGMR bezieht bei Flächen unter 4 m2 zudem die weiteren Haftbedingungen in seine Würdigung mit ein. So wurde im Urteil des EGMR vom 10.01.2012 (NVwZ-RR 2013, 284) folgendes ausgeführt;

„Der Gerichtshof wiederholt die in seiner Rechtsprechung zu Artikel 3 EMRK niedergelegten Grundsätze (,..). Danach spricht eine starke Vermutung für erniedrigende Haftbedingungen, wenn nicht jeder Häftling einen Schlafplatz in der Zelle hat oder wenn er nicht wenigstens über drei qm Gesamtfläche verfügt oder wenn es der Raum der Zelle insgesamt nicht zulasst, dass sich die Häftlinge zwischen dem Mobiliar frei bewegen. Liegt insoweit eine Überbelegung der Zellen danach nicht vor, sind andere Aspekte für die Beurteilung der Haftbedingungen von Bedeutung, darunter Möglichkeiten der Bewegung im Freien, Tageslicht, natürliche Luft, Lüftung und angemessene Heizung, Toilettenbenutzung unter Wahrung der Privatsphäre sowie angemessene sanitäre und hygienische Vorkehrungen.“

Es kann somit keine Rede davon sein, dass bei Mehrpersonenhafträumen das Unterschreiten einer anteiligen Fläche von 5 m2 pro Gefangener von vorneherein eine entschädigungspflichtige Verletzung der Menschenwürde begründet bzw. in einem Prozesskostenhilfeverfahren die Erfolgsaussichten der Klage schon allein deshalb bejaht werden müssten. Abzustellen ist vielmehr auf die konkreten Gesamtumstände.

Abgesehen davon hat der BGH in den Entscheidungen von Juli 2013 auch geklärt, inwieweit nicht mehr menschenwürdige Haftbedingungen einen verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruch nach Art. 5 Abs. 5 EMRK nach sich ziehen. Die Modalitäten des Vollzugs der Haft unterfallen demnach nicht der Garantie des Art. 5 EMRK, sondern sind Art. 3 EMRK zuzuordnen. Die Rechtsfolgen im Falle eines Verstoßes richten sich somit nach §§ 839, 249 ff BGB. Obergerichtliche Entscheidungen, die dies noch anders beurteilt haben (u. a. OLG Celle NJW 2003, 2463; KG OLGR 2005, 813), sind damit überholt.

2. Unter Anwendung dieser Grundsätze kann ein vorwerfbarer Verstoß gegen das Verbot menschenunwürdiger Unterbringung nicht festgestellt werden.

a) Legt man die Angaben des Antragsgegners zugrunde, errechnet sich ein anteiliger Flächenanteil von 4,1 m2 bzw. 4,25 m2 pro inhaftierte Person. Selbst bei der vom Antragsteller behaupteten Raumgröße von 16 m2 verbleiben für jeden Gefangenen anteilig 4 m2. Eine Mindestgrenze jenseits 4 m2 pro Mann hat die Rechtsprechung für Mehrpersonenräume bislang nicht eindeutig vorgegeben (vgl. Rechtsprechungsnachweis in den BGH-Entscheidungen vom 04.07.2013). Maßgeblich für die Frage einer schuldhaften Amtspflichtverletzung ist nicht allein die rechnerische Fläche, mag sie sich vorliegend auch im untersten Grenzbereich bewegen, sondern die Gesamtschau, insbesondere auch großzügige Aufschlusszeiten sowie Arbeitszeiten, in denen der Betroffene sich nicht in der als unzumutbar eng beanstandeten Zeile aufhalten musste, Dass bei der Ermittlung der Raumgröße das Mobiliar nicht abzuziehen ist, hat der Senat bereits entschieden (vgl. Senatsbeschluss vom 14.08.2013, 1 W 1482/13). Nichts anderes gilt für Toiletten. Maßgeblich ist vielmehr die Grundfläche der dem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten. Anhaltspunkte dafür, dass wegen der vorhandenen Ausstattung kein nennenswerter Bewegungsspielraum mehr verblieben ist, bieten weder der Vortrag der Parteien noch die Fotos von den Räumen. Der Antragsteiler selbst errechnet im Übrigen eine Bewegungsfläche von 6 m2 bis 8 m2 in dem fraglichen 4-Mann-Raum.

b) Abgesehen davon kann bei der Beurteilung der Erfofgsaussichten folgender Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben;

Der Antragsgegner, dem die detaillierten baulichen Verhältnisse seiner Gefängnisse zweifelsfrei bekannt sind, ist seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen und hat exakte Raummaße für die Zellen angegeben. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben unzutreffend sind, liegen nicht vor. Demgegenüber hat der Antragsteiler lediglich pauschal und ohne nähere Begründung eine Größe von 16 m2 behauptet. Es ist nicht dargetan, dass der Vortrag des Antragstellers auf einer belastbaren Informationsgrundlage beruht und nicht nur eine Behauptung ins Blaue darstellt. Es ist schon fraglich, ob insoweit das Bestreiten des Antragstellers zu den Größenangaben des Antragsgegners hinreichend substantiiert ist. Jedenfalls aber fehlt es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht, dass der Antragsteller die ohne nachvollziehbare Begründung behaupteten - im Ergebnis geringfügigen -Abweichungen zur Raumgröße im Rahmen einer Beweisaufnahme nachweisen kann.

c) Die Toiletten waren unstreitig räumlich abgetrennt und wurden gesondert entlüftet. Menschenunwürdige Bedingungen sind insoweit nicht ersichtlich.

d) Auch der Umstand, dass der Antragsteller als Raucher zusammen mit einem anderen Rauchern in einer Zelle untergebracht war, führt zu keiner anderen Beurteilung, Der Antragsgegner hat unwidersprochen vorgetragen, dass der Antragsteller eine Unterbringung in einer Raucherhaftzelle gewünscht hat. Er hat sich - auch insoweit fehlt substantiierter Gegenvortrag - nie gegen Rauchbelästigung oder schlechte Lüftungsmöglichkeit beschwert, ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Kläger bereit gewesen wäre, in einen Nichtraucherraum zu wechseln, was zeitnah möglich gewesen wäre. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist damit eine schuldhafte Amtspflichtverletzung nicht ersichtlich.

3. Ergänzend ist anzumerken, dass die von dem Antragsteller in den Raum gestellte Entschädigungssumme von 100,00 €/Tag weit überhöht wäre. Zu verweisen ist auf Entscheidungspraxis des Senats und anderer Oberlandesgerichte (vgl. z. B. OLG Zweibrücken vom 27.06.2013, 6 U 33/12; OLG Düsseldorf vom 25.08.2010, 18 U 21/10), wonach bei Fällen der Inhaftierung in unzumutbar kleinen Hafträumen je nach den Umständen (insbesondere bei nicht hinreichend abgetrennter Toiletten) Entschädigungssumme in Höhe von 20 € pro Tag zuerkannt werden. Der Hinweis des Antragstellers auf vereinzelt gebliebene, zeitlich deutlich zurückliegende Entscheidungen, bei denen darüber hinaus weitaus gravierendere Verstöße und Folgen geltend gemacht wurden, rechtfertigt keine andere Beurteilung.

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(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Re

(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. (2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadenser

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Annotations

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.